Ludwig Fulda
Das Wundermittel
Ludwig Fulda

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Erster Aufzug

Ein ärmliches Dachzimmer

In der Mitte der Hinterwand Eingangstür, die, wenn geöffnet, den Flur und die gerade gegenüberliegende Flurtür (mit Guckloch und Briefkasten) erblicken läßt. In der linken Seitenwand eine zweite Tür, in der rechten Atelierfenster. Der Raum ist mit unzulänglichen Mitteln als Maleratelier und zugleich als Wohnstube eingerichtet. rechts vor dem Fenster Staffelei mit ungerahmtem Bild und allerlei Malgerät, dahinter, an die Wände gelehnt, aufgestapelte ungerahmte Bilder. Links vorn Tisch mit einer Lampe darauf und Rohrstühle, rechts vorn ein baufälliger Diwan und ein wackliger Armsessel, dazu, beliebig verteilt, einiges andere Gerümpel. Links hinter der Tür Kleiderriegel, von einem Vorhang bedeckt. An den Wänden allerlei, mit Reisnägeln angeheftete Skizzen.

Erster Auftritt

Klaus. Frau Baenicke

Klaus (Mitte der Zwanzig, feingliedriger Nervenmensch mit einem hübschen, aber zerquälten Gesicht, ebenso leicht erregt wie verzagt, steht im zerschlissenen Malkittel mit Pinsel und Palette vor der Staffelei, eine lebhafte Diskussion fortsetzend). Wenn ich Ihnen sage, liebe Frau Baenicke . . .

Frau Baenicke (dicke, derbe Kleinbürgerin, Ende der Vierzig). Sagen Sie mir gar nichts, Herr Donald. Zahlen Sie mir lieber die Miete, die Sie und Ihr Freund Jürgens mir seit vier Monaten schuldig sind. 8

Klaus. Aber Sie sehen doch, daß das Bild so gut wie fertig ist. . . .

Frau Baenicke. Grad so fertig wie all die übrigen dort – jawohl, das seh' ich. Aber ich sehe keinen, der sie Ihnen abkauft.

Klaus. Und die Rattenlöcher hier – meinen Sie, daß die so schnell andere Liebhaber finden?

Frau Baenicke. Massenhaft. Und für den doppelten Preis.

Klaus. So warten Sie doch nur . . .

Frau Baenicke. Bis Sie berühmt sind? Nee, mein Lieber, das zieht nicht mehr. Hab' lange genug drauf gewartet.

Klaus. Mit diesem Bild werd' ich's, verlassen Sie sich drauf.

Frau Baenicke. Nee, nee, da wär' ich verlassen. Entweder die Miete, oder . . .

Klaus (begütigend). 'ne vorläufige kleine Rate, Frau Baenicke . . .

Frau Baenicke. Wieviel?

Klaus. Alles, was ich habe . . . (Er legt Pinsel und Palette hin, kramt in seinen Taschen, dann in verschiedenen Schubladen.

Frau Baenicke. Na, was haben Sie denn?

Klaus (weiter kramend). Alles, was ich an Barbestand im Augenblick zur Verfügung habe . . .

Frau Baenicke. Nichts haben Sie.

Klaus (kleinlaut). Beziehungsweise, was mein Freund hat . . .

Frau Baenicke (ungläubig). Der hat was?

Klaus. Unzweifelhaft. Ganz unzweifelhaft. (Rufend.) Fritz! (Er geht zur Tür links, aus der a tempo Fritz den Kopf herausstreckt.) 9

Zweiter Auftritt

Vorige. Fritz (von links)

Fritz (zweite Hälfte der Zwanzig, breitschultrig, muskulös; alles an ihm ist Kraft und Selbstvertrauen). Du, Klaus, kannst du mir vielleicht fünf Mark pumpen?

Klaus (auf Frau Baenicke deutend). Unglücksmensch!

Frau Baenicke. Dacht' ich mir's doch! Der hat auch nichts.

Fritz (eintretend, ebenfalls im Arbeitskittel) Ach so! Hoher Besuch.

Frau Baenicke. Glauben Sie zwei beide, mich führt man an der Nase 'rum?

Fritz. Das fragt eine Frau wie Sie, Madame Baenicke? Und ich habe Sie immer für eine Menschenkennerin gehalten.

Frau Baenicke. Bin ich auch.

Fritz. Nun, dann schauen Sie sich doch uns zwei mal richtig an. Sehen so Leute aus, denen man nicht ruhig Kredit geben kann, zehnmal mehr Kredit als für die Lumperei, mit der wir bei Ihnen in der Kreide stehn? Bieten seine Meisterwerke, bieten meine Erfindungen Ihnen nicht Sicherheit genug – selbst wenn die Räume, die Sie uns gütigst überlassen haben, noch weit fürstlicher wären, als sie sind?

Frau Baenicke. Nee, nee, Ihre faulen Wechsel auf die Zukunft – die müssen Sie anderswo in Zahlung geben. So 'ne Geschäfte mach' ich nicht. Uebermorgen ist der Erste. entweder bis dahin die Miete . . .

Klaus. Aber . . .

Frau Baenicke. Verstehen Sie wohl – die ganze Miete auf Heller und Pfennig, oder 'raus. (Ab durch die Mitte.) 10

Dritter Auftritt

Klaus. Fritz

Klaus (ausbrechend). Da hast du's. Exmittiert! Auf die Straße gesetzt! Das ist das Ende.

Fritz. Kopf hoch, Klaus! Laß dich nicht ins Bockshorn jagen.

Klaus. Uebermorgen! Hast du nicht gehört?

Fritz. Uebermorgen, das sind noch achtundvierzig Stunden. Bis dahin kann die Welt untergehn, kann unser Stern aufgehn, können hundert Millionen Wunder geschehen.

Klaus (bitter). Achtundvierzig Stunden vor uns – und drei Berliner Jahre hinter uns, wo wir gehofft und geschuftet haben wie die Wahnsinnigen, und wieder geschuftet und wieder gehofft. Wo sind sie denn, die Wunder, die uns vor der Nase baumelten, damals, wie wir mit Erika aus unserm Heimatwinkel hier angerückt kamen, in dies vermaledeite Riesennest, diese erbarmungslos zuschnappende Menschenfalle? Wo sind die Goldklumpen, für die wir glücklich unsre mitgebrachten paar Groschen eingebrockt haben, bis auf den letzten? Das einzige Wunder ist, daß wir noch nicht vor Hunger krepiert sind. An die andern glaub' ich nicht mehr.

Fritz. Auch nicht an deine eigene Kraft?

Klaus. Haha, mit allem, was heute Namen hat, was obenauf schwimmt und in der Sonne sich plustert, nehm' ich's noch zehnmal auf. (Er nimmt wieder Pinsel und Palette und tut ab und zu an dem Bild einen Strich.) Das Bild hier – das soll mir erst einer nachmachen von dem ganzen Geschmeiß, das durch Clique und Claque, durch Tamtam und Trara sich in den Vordergrund gemogelt hat.

Fritz. Na also. 11

Klaus. Aber was, zum Henker, hilft es mir, wenn niemand an mich glaubt, als ich selbst?

Fritz. Was das hilft? Das merkst du doch an mir, sollt' ich meinen. Ich weiß, was ich bin und was ich kann, und darum weiß ich auch mit mathematischer Gewißheit, daß ich durchdringen werde, heut, morgen, übers Jahr – gleichviel.

Klaus. Als ob du nicht ebensogut von der hundsgemeinen Sorge ums Brot zerfressen würdest wie ich!

Fritz. Nicht meinethalb. Meine Sorgen gelten ihr.

Klaus. Meine auch, selbstverständlich.

Fritz. Das Mädel, Klaus! Das Mädel!

Klaus (aufleuchtend). Ja, wenn wir die nicht hätten . . .

Fritz. Unser Herzenstrost!

Klaus. Unsere Augenweide!

Fritz. Unser guter Engel! Unser Hausmütterchen!

Klaus. Du brauchst mir nicht herzuzählen, was wir an ihr haben.

Fritz. Aber sie – was hat sie an uns? Ob ihr Vater sich's wohl so vorgestellt hat, als er sie mit seinen letzten Worten uns auf die Seele band? Als wir ihm gelobten, unsere Jugendgespielin es nie empfinden zu lassen, daß sie verwaist und mittellos in der Welt zurückblieb, ihm schworen, sie zu schützen, über sie zu wachen wie zwei ältere Brüder?

Klaus. Haben wir das etwa nicht redlich gehalten?

Fritz. Ob der Alte wohl gedacht hat, unser ganzer Schutz werde darin bestehen, daß sie in Frau Baenickens Räuberhöhle mit uns zusammen haust, da drüben in ihrer stickigen Kammer, und uns die Bettelwirtschaft führt mit Prinzessinnenhänden?

Klaus. Und doch hat sie's immer noch besser als wir. Sie verdient sich wenigstens ihren Unterhalt. 12

Fritz. Da liegt's ja eben! Dies Püppchen, dies Kreatürchen, das in Seide und Spitzen gepackt werden müßte, das in gläsernen Pantoffeln über Teppiche huschen müßte, die wir für sie ausbreiten – dies Gottesgeschöpf stößt sich in elender Lohnsklaverei herum, hockt von morgens bis abends im Bureau an der Tippmaschine, jeder kecken Vertraulichkeit ausgesetzt, jeder lüsternen Nachstellung . . .

Klaus. Hör auf! Quäle mich nicht mit solchen Gedanken! Oder ich werde wild.

Fritz. Sehr bequem.

Klaus. Warum ist sie auch mit einemmal so hübsch geworden? So verwettert hübsch? Warum hat sich aus dem unscheinbaren Kücken, das sie noch vor kurzem war, plötzlich so ein Paradiesvogel entpuppt? War das ausgemacht? Konnte man darauf vorbereitet sein? Man braucht ja nur über die Straße mit ihr zu gehn und die Blicke aufzufangen, die diese Lumpenkerle ihr zuwerfen . . . Tag und Nacht foltert mich, ärger noch als der Hunger, die Angst um sie.

Fritz. Tröste dich mit mir. Geht mir ungefähr ebenso. Aber gerade deshalb. . . .

Klaus. Horch! Ging nicht die Flurtür? Kam da nicht jemand?

Vierter Auftritt

Vorige. Erika (durch die Mitte)

Erika (zwanzig Jahre, voll aller Frische, Gesundheit und Tapferkeit ihrer Jugend, mit einem klugen Spitzbubengesicht und blitzenden Schelmenaugen, hinter denen sich Lebenslust und Lebensernst gemeinsam verbergen, jeder Zoll eine Evastochter, aber durchaus ohne bewußte Koketterie Sie trägt ein billiges Frühlingskleidchen, tritt heiter ein). 'tag, Jungens.

Klaus (höchst erstaunt). Erika – du? 13

Fritz (ebenso). Schon zurück aus deinem Bureau?

Klaus. Ist ja erst Nachmittag.

Fritz. Was soll das bedeuten?

Klaus. Hast du Urlaub?

Fritz. Oder bist du nicht wohl?

Klaus. So rede doch . . .

Fritz. Erkläre uns . . .

Erika. Sobald ihr mich zu Wort kommen laßt.

Klaus. Schweig doch, Fritz!

Fritz. Unterbrich sie nicht, Klaus!

Erika. Aber erst möcht' ich sitzen.

Fritz. Verzeih', Kind . . .

Klaus. Entschuldige . . . (Sie wollen gemeinsam den Sessel herbeischleppen.)

Erika. Nein, nicht im Thronsessel. Dieser Thron wackelt. (Sie setzt sich links, während die Freunde zu beiden Seiten von ihr Posto fassen.) Also, Jungens, ihr wollt wissen, warum ich zu so ungewohnter Stunde in unser Schloß Belvedere zurückgekehrt bin?

Klaus. Sprich!

Fritz. Ist was vorgefallen?

Erika. Nichts von Belang. Ich habe bloß um meine sofortige Entlassung ersucht und sie erhalten.

Klaus. Wie?

Fritz. Warum?

Erika. Nun – das Uebliche. Mein Brotherr hat mir schon lang liebliche Mienen gemacht . . .

Klaus. Der Bursche hat sich erdreistet . . .

Fritz. Und davon hast du uns nichts gesagt?

Erika. Wozu euch mit solchen Lappalien behelligen? Na, und heute, da ist er deutlich geworden. Allzu deutlich.

Fritz. Da hätt' ich dabei sein sollen! 14

Klaus. Und ich erst!

Fritz. Dem hätt' ich heimgeleuchtet.

Klaus. Den hätt' ich geohrfeigt.

Erika. Ueberflüssig. Hab' ich schon selbst besorgt. (Mit entsprechender Handbewegung.) Und zwar feste.

Fritz. Bravo, Kreatürchen!

Klaus. Feudal!

Erika. Und er hat's ruhig eingesteckt.

Fritz. Schmach und Schande nur, daß du immer wieder solchen Niederträchtigkeiten preisgegeben bist.

Erika. Da mach' ich mir nichts draus.

Klaus. Und daß wir dich nicht davor schützen können.

Erika. Ach, ihr zwei feurigen Schutzengel, wie oft soll ich euch noch sagen, daß ihr euer Flammenschwert getrost in der Scheide lassen könnt. Ein rechtes Mädel schützt sich selbst. Glaubt doch nicht, daß einer was geschehen kann, solang sie nicht will. Alle, die behaupten, sie seien der Hinterlist oder Uebermacht erlegen, haben ein klein, klein bißchen mitgeholfen. Und wenn eine die Männer durchschaut, so durch und durch . . .

Fritz (lächelnd). Tust du das, Erika?

Erika. Sie so von A bis Z auswendig kennt wie ich . . .

Klaus. Woher denn?

Erika. Ist das ein Kunststück? Bei der unwahrscheinlich primitiven Technik, mit der sie operieren? Was haben die Feinen vor den Plumpen voraus, als daß sie nicht mit der Tür ins Haus fallen, erst hochtrabende Redensarten vorausschicken: Sie, mein Fräulein, sind ganz anders als alle andern; Sie stehen turmhoch über ihrem Geschlecht, sind die erste, die mir wahren Respekt einflößt; zu Ihnen blicke ich auf wie 15 zu einer Freundin, wie zu einer Schwester, und so fort mit Grazie. Aber wehe der dummen Gans, die das für bare Münze nimmt!

Klaus. Willst du sämtliche Männer in einen Topf werfen?

Erika. In diesem Punkt allerdings.

Fritz. Leugnest du, daß es sehr verschiedene unter ihnen gibt?

Erika. Nein. Aber was sie von uns wollen, ist immer dasselbe.

Fritz. Und wir zum Beispiel?

Klaus. Ja, wir, Erika?

Erika. Ihr? Was fällt euch ein? Euch rechn' ich doch nicht mit.

Klaus. Ich danke.

Fritz. Nettes Kompliment!

Erika. Ihr seid doch meine großen Jungens. Ich bin doch eure zweite Mutter, sozusagen.

Fritz. Erlaube, wir sind sozusagen deine zweiten Väter.

Erika (mit hellem Lachen). Haha, und dabei hab' ich euch schon als winziges Ding meine zwei Bräutigams genannt. Eine kuriose Verwandtschaft!

Fritz (ernst werdend). Die Moral von der Geschichte: du bist brotlos.

Erika. Wird nicht lange dauern. Ich habe, weil ich das kommen sah, schon vorher alle Hebel in Bewegung gesetzt, und einiges hab' ich schon in Aussicht.

Fritz. Aber bis dahin . . .

Erika. Unbesorgt. Eine Woche kann ich von meinen Ersparnissen leben. Wenn's not tut, sogar zwei. Meine Ferien aber werden dem Haushalt von Schloß Belvedere sehr zustatten kommen. Der schreit nach einer 16 gründlichen Aufbesserung. Vor allem eure Garderobe, die ich heut früh revidierte . . .

Klaus (bitter). Wird dir nicht schwer gefallen sein, da sie nur aus unserm gemeinsamen Sonntagsrock besteht.

Erika. Eben dieses Feierkleid hat ein paar Knöpfe zu wenig und ein paar Löcher zu viel. Drum will ich's mal gleich in die Kur nehmen. (Sie geht zum Kleiderriegel, holt den Rock hervor, setzt sich damit wieder, entnimmt ihrem mitgebrachten Täschchen Nähzeug und beginnt ihn zu flicken.)

Klaus (währenddessen zu Fritz, halblaut). Das hat noch gefehlt.

Fritz (ebenso). Still! Verrat' ihr nichts.

Klaus. Ach, diese ewige Vertuscherei! Einmal muß sie's ja doch erfahren, daß es mit uns Matthäi am letzten ist.

Fritz. Nicht, bevor ich versucht habe . . .

Erika (aufblickend, beobachtet sie). Jungens, was habt ihr? Was geht mit euch vor? Mir scheint gar, ihr verbergt mir was.

Fritz. Nichts. Gar nichts.

Klaus. Du mußt dich bloß drauf gefaßt machen, daß unser Zusammenwohnen hier ein Ende nimmt.

Fritz (strafend). Klaus!

Erika. Was? Ihr wollt ausziehen?

Fritz. Ist ja noch lange nicht so weit!

Erika. Dann zieh' ich eben mit.

Klaus (schwer atmend). Wohin, Erika?

Erika. Ach so! Jetzt kapier' ich. Ihr sitzt auf dem Trocknen. Ihr wißt nicht mehr aus und ein. (Sich erzürnend.) Und das muß ich euch erst mühsam aus der Nase ziehn? Das habt ihr mir bis heute verheimlicht? Ja, zum Donnerwetter, wozu bin ich denn überhaupt da?

Fritz. Wir sind da, um für dich zu sorgen. Wir haben die starken Arme . . . 17

Erika (aufstehend). Du besonders, Junker Drachentöter. Riesenstarke. Und da soll ich mich immer weiter drauf 'rumtragen lassen wie ein Wickelkind, auch wenn die Arme ihre eigene Last kaum noch schleppen können? Soll in der Klemme nicht euer Kamerad sein, wie ihr die meinen? Das wäre ja noch schöner. Wie, Klaus, hab' ich nicht Recht?

Klaus. Du hast immer Recht, Erika.

Erika. Kurz und gut, mein Sparkapitälchen wird in drei Teile geteilt . . .

Fritz (heftig). Nie und nimmer!

Erika. Ihr gebt mir's wieder, wenn ihr's habt.

Fritz. Nie und nimmer sag' ich.

Klaus. Schließlich, was wäre denn dabei?

Fritz. Du fragst? Ihr sauer verdientes Geld nehmen, statt daß wir . . . Lieber Holz hacken, lieber betteln gehn!

Erika. Und außerdem hab' ich da noch das Medaillon, euer Geschenk zu meinem siebzehnten Geburtstag. (Sie bringt es an ihrem Hals zum Vorschein.) Wenn wir das versetzen . . .

Klaus. Nein, dagegen protestier' auch ich. Das haben wir dir gegeben, damit du mal die Photographie deines Auserwählten hineintust.

Erika. Ei, bis dahin ist es längst wieder eingelöst.

Klaus. Niemals!

Fritz. Niemals!

Erika. Und noch immer keine grüne Weide in Sicht? Noch immer keine?

Klaus (weist hohnlachend auf das Bild). Du siehst ja! Hast mir ja prophezeit, damit würd' ich die Welt einreißen.

Erika. Bin nach wie vor davon überzeugt. 18

Klaus. Gute Seele! Soll ich's wieder auf die Ausstellung schicken, damit man mir's tot hängt und tot schweigt? Fleiß, Können, ehrliche Arbeit – wer schert sich drum? Oder kennst du 'nen Kunsthändler, dem ich nicht schon die Bude eingerannt habe wie ein Hausierer? Himmelhoch hab' ich sie jetzt alle gebeten, sie möchten sich das Ding wenigstens mal ansehn. Kommt einer? Sie denken nicht dran. Auch nicht der große Herr Marschall, obwohl er mir's in die Hand versprochen hat. Dieser Grünschnabel, dieses Lausbübchen, das vor ein paar Jahren noch Ladenschwengel war, wodurch beherrscht er denn heute den ganzen Kunstmarkt und kann sich bei der hohen Kritik als Geschmackspapst aufspielen? Weil er die Flöhe husten hört! Weil er die blöde Herde mit immer neuen Tricks zu bluffen versteht! Wenn andre hinter Berühmtheiten her sind, er macht's mit dem Entdecken; er kreiert jeden Monat ein Dutzend neue Genies, neue Richtungen, neue Epochen. Das Niedagewesene, der Spektakel, die Sensation – je gröber, je sudelhafter, desto besser. Schmieragen, zu denen nichts gehört als die nötige Dosis Unverfrorenheit. Nach meinem jüngsten Besuch in seinem Salon hab' ich vor lauter Wut eine Parodie auf diesen Modeschwindel hingesaut, nur zum Beweis, daß es Kinderspiel wäre, die Kerls zu übertrumpfen. – Hier, seht! (Er holt aus der Ecke eine Leinwand hervor und zeigt sie ihnen.) Wie gefällt euch das?

Erika (lachend.) Irrsinnig.

Fritz. Weiß Gott, da hast du den Futurismus noch überfuturisiert.

Erika. Was soll's denn vorstellen?

Klaus. Den Katzenjammer meinethalb, oder den Urbrei, oder die letzten Gedanken eines Gehängten. (Er stellt die Leinwand wieder beiseite.) Aber bevor ich mich zu 19 Konzessionen erniedrige, bevor ich diese Scharlatanerie, diesen schamlosen Humbug mitmache, will ich selbst gehängt sein. (Er setzt sich erschöpft.) Und so geht man rettungslos kaputt.

Fritz. Schimpfen ändert nichts.

Erika. Laß ihn. Er muß sich ab und zu Luft machen. (Sie streicht Klaus beschwichtigend übers Haar.) Armer Junker Schmerzenreich.

Fritz. Der hat's gut.

Erika. Wieso?

Fritz. Mir hast du noch nie übers Haar gestrichen, Kreatürchen.

Erika. Weil du nicht so leidest wie er, Junker Drachentöter. Eine Mutter streichelt ihr krankes Kind, nicht ihr gesundes.

Fritz. Mag wohl sein.

Erika. Ein Recke wie du, der sich weder vor Hölle noch Teufel scheut . . .

Fritz. Nicht einmal vor Humbug und Scharlatanerie. Sind die Menschen denn was Besseres wert, als daß man sie am Narrenseil führt?

Erika. Trotzdem pantschst du da drinnen in deiner Hexenküche unermüdlich, um ihnen wohlzutun.

Fritz. Wenn sie aber doch nicht wohlgetan haben wollen – die Hornviecher? Wenn sie mir meine Erfindungen nicht glauben, weil ich sie ihnen nicht experimentell vorführen kann? Herstellung eines künstlichen Nahrungsmittels, Verbilligung des Indigoverfahrens, Verbesserung der Farbenphotographie, ein neuer Leuchtstoff, und was noch alles – fertig in der Theorie! Fehlt nichts als die Möglichkeit zu den notwendigen Versuchen, ein richtiges Laboratorium und eine Handvoll Hilfsarbeiter. 20

Erika. Die chemische Fabrik, bei der du dich kürzlich bewarbst?

Fritz. Genau wie die andern.

Erika. Schmählich.

Fritz. Eine Stelle? Erst wenn ich gezeigt, was ich leisten kann. Um's aber zu zeigen, müßt' ich erst die Stelle haben. Doch ein Schaf, wer sich bieder im ewigen Zirkel rumdreht, wenn irgend ein Schleichweg ihn gradaus zum Ziel zu führen verspricht. Jetzt muß vor allen Dingen Geld geschafft werden, egal, wie. Und ich werd's schaffen, gebt acht.

Erika. Womit?

Fritz. Mit Humbug natürlich.

Klaus. Pfui.

Fritz (mit Blick auf Erika). Der Zweck heiligt die Mittel.

Erika. Was hast du ausspintisiert?

Fritz. Kennt ihr Zinkendraht?

Erika. Nein.

Klaus. Zinkendraht? Ist das nicht der Hühneraugenfritze?

Fritz. Zinkendrahts Hühneraugenmittel Eufrasin. Zinkendrahts Bartwichse Korroborit. Zinkendrahts Toiletteseife Solidol. In allen besseren Geschäften zu haben, von Batavia bis Honolulu. Ursprünglich Barbiergehilfe, heut einer der gerissensten Marktschreier in allen fünf Weltteilen, ja – daß ihr's nur wißt – der ist jetzt mein Mann. Dem hab' ich meine Dienste angeboten, und er – zu seinem Ruhm sei's gesagt – ist der erste, der sie zu würdigen scheint.

Erika. Bist du sicher?

Fritz. Ich wette, der beißt an.

Klaus. Wann entscheidet sich das?

Fritz. Noch vor Ablauf von Frau Baenickens Ultimatum. 21

Erika. Das wäre ja . . . (Läuten der Flurglocke.) Es läutet.

Klaus. Es läutet.

Erika. Wer kann das sein?

Klaus. Ein Gläubiger. Wer sonst?

Erika. Schauen wir nach. (Sie eilen alle drei durch die Eingangstür in den Flur und spähen, während sie offen bleibt, nacheinander durch das Guckloch.)

Klaus. Kenn' ich nicht.

Erika. Kenn' ich auch nicht.

Fritz (elektrisiert). Wetter! Das ist er ja in Person!

Klaus, Erika. Wer?

Fritz. Zinkendraht, wie er leibt und lebt.

Erika. Ich öffne.

Fritz. Halt, einen Augenblick. Ich zieh nur schnell den Sonntagsrock an. (Er ist nach vorn geeilt, vertauscht hastig den Kittel mit dem Rock. Klaus folgt ihm. Erika öffnet die Flurtür und läßt Zinkendraht eintreten.)

Fünfter Auftritt

Vorige. Zinkendraht (durch die Mitte)

Erika (draußen). Sie wünschen?

Zinkendraht (ebenso). Wohnt hier der Chemiker Jürgens?

Erika. Jawohl. Bitte nur hereinzuspazieren. (Sie schließt, während er näher tritt, hinter ihm Flurtür und Mitteltür.)

Zinkendraht (Fünfziger; hagerer Plebejer mit völlig kahlem Geierkopf und heiser krächzendem Organ, gekleidet wie ein wohlhabender Mann, der auf sein Äußeres wenig Wert legt. Er schnappt nach Luft, sieht sich mit forschenden Blicken um, murmelt etwas, das wie eine Begrüßung klingt, schält sich aus einem mehrmals umgewickelten Halstuch).

Fritz (ihm entgegen). Es ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Zinkendraht . . .

Zinkendraht (schnaufend). Alles für die Firma. Zwar verdammt hoch hier herauf . . . 22

Erika. Dafür sind Sie nun aber auch in Schloß Belvedere.

Zinkendraht. Wo?

Erika. Wir wohnen hier nämlich nur wegen der schönen Aussicht. (Zum Fenster weisend.) Sie umfaßt mindestens fünfzig Dächer. Und wenn Sie gute Augen haben, können Sie am Dachfenster dort hinten links einen Geranientopf in voller Blüte sehn.

Zinkendraht (zu Fritz). Ihre Frau?

Fritz. Nein.

Zinkendraht. Ach so.

Erika. Auch nicht seine »Ach so«.

Fritz (ihm Platz anbietend). Darf ich bitten? (Er bemerkt seine argwöhnischen Blicke). Vor meinen Freunden hier hab' ich keine Geheimnisse.

Zinkendraht (setzt sich in den Sessel). Sie haben . . . (Der Sessel bricht unter ihm zusammen). Verdammt.

Erika. Verzeihen Sie. Wir sind antik eingerichtet.

Zinkendraht (sich erhebend). Man merkt's.

Erika (zieht sich zu Klaus, der wieder zu malen begonnen hat, zurück, bessert Wäsche aus. Doch folgen beide dem Gespräch mit Spannung, wispern einander manchmal etwas zu).

Fritz. Ich bedaure . . . (Er weist auf den Diwan). Hier, wenn's beliebt. Ich wäre übrigens, um Ihnen die fünf Treppen zu ersparen, grad so gern zu Ihnen ins Bureau gekommen.

Zinkendraht (hat sich auf den Diwan gesetzt, den er mißtrauisch prüft). Bin in meinem Bureau nicht zu sprechen. Für niemand. Lasse mir in meinen Geschäftsbetrieb nicht 'reinschnüffeln. (Er hüstelt.)

Fritz (setzt sich zu ihm). Sie sind erkältet?

Zinkendraht. Nee. Chronische Heiserkeit, beim Probieren verschiedener mir offerierter Hustenmittel 23 erwischt. Ebenso wie Kahlkopf beim Probieren einer Tinktur für üppigen Haarwuchs.

Fritz. Da haben Sie sich ja förmlich aufgeopfert.

Zinkendraht. Alles für die Firma. Probiere jeden Artikel erst am eigenen Leib. Geschäftsprinzip.

Fritz. Demnach haben Sie wohl auch meine Sachen probiert? Aber ohne nachteilige Folgen, wie ich hoffen darf?

Zinkendraht (achselzuckend). Leider keine Verwendung dafür.

Fritz. Wie deut' ich mir dann Ihren werten Besuch?

Zinkendraht. Menschenfreundlichkeit. Gebe strebsamen jungen Leuten gern was zu verdienen.

Fritz (an sich haltend). So befindet sich doch vielleicht was Verwendbares drunter?

Zinkendraht. Höchstens – womöglich – unter Umständen – allenfalls das Heilmittel.

Fritz. Das Nervenberuhigungsmittel, meinen Sie?

Zinkendraht. Na ja, das Medikament. Hab' es auch amtlich prüfen lassen. Als unschädlich anerkannt.

Fritz. Unschädlich! Was wollen Sie mehr? Ist das für so ein Mittel nicht die Hauptsache.

Zinkendraht. Nee. Hauptsache für jedes Mittel ist der Name. Wie nennen Sie's denn?

Fritz. Darüber hab' ich noch nicht nachgedacht.

Zinkendraht (erwärmt sich). Sehen Sie! Keinen blassen Dunst. So'n Präparat zusammenstellen, kein Kunststück. Aber Namen erfinden, Namen von unwiderstehlicher Zugkraft, Namen, die knallen, sich ins Ohr hämmern, vertrauenerweckend, lockend, erobernd, Schlager, Fanfaren, Magneten – wer kann das außer mir?

Fritz. Dafür sind Sie ja bekannt.

Zinkendraht. So einen Namen habe zufällig auf Lager. Erstklassig. Phänomenal. 24

Fritz. Und dazu könnten Sie mein Mittel brauchen.

Zinkendraht. Eventuell, je nachdem. Ihres oder ein andres.

Fritz. Ihre Bedingungen?

Zinkendraht. Erwerbe durch Kauf das Mittel mit allen Rechten, lasse das Verfahren auf meine Firma für alle Staaten patentieren, unter der Schutzmarke – jetzt passen Sie auf!

Fritz. Ich bin fieberhaft gespannt.

Zinkendraht. Werden staunen. Unter der Schutzmarke . . .

Fritz. Sprechen Sie es aus, das Zauberwort.

Zinkendraht. Mirakulin! – Was sagen Sie? – Mirakulin.

Erika. Überwältigend.

Zinkendraht. Stellen Sie sich das mal vor auf einem Plakat. Mirakulin.

Fritz. Kolossal.

Zinkendraht. Mirakulin. Der aufgelegte Erfolg.

Fritz. Und der Preis, den Sie mir bieten . . .

Zinkendraht. In Anbetracht, daß der Name von mir ist . . .

Fritz. Immerhin, er allein genügt doch noch nicht.

Zinkendraht. Biete Ihnen . . . biete Ihnen, um splendid zu sein, sehr splendid – dreitausend Mark.

Fritz (seine Freude verbergend). Nebst Gewinnbeteiligung, nicht wahr?

Zinkendraht. Ausgeschlossen. Drei Mille einmaliges Honorar. Alleräußerste Kulanz bei meinem enormen, kolossalen Risiko.

Fritz. Bedenken Sie: die Bestandteile sind grad so spottbillig wie die Fabrikation. Jeder kleine Laborant 25 kann Ihnen das ohne irgendwelchen Apparat massenweis herstellen.

Zinkendraht. Haben Sie 'nen Begriff! Mit dem Risiko meine selbstredend die Reklamekosten. Unter 'ner halben Million fängt sich da überhaupt nichts an.

Fritz. Gut. Ich verzichte auf Beteiligung. Aber das Honorar . . .

Zinkendraht (steht auf). Zwinge niemand. Dachte, Sie hätten's nötig. Dachte auch, meine Verbindungen mit der chemischen Industrie könnten Ihrer Karriere von Nutzen sein. Hatte vor, wenn Artikel einschlägt, Sie zu empfehlen.

Fritz. Das würden Sie wirklich tun?

Zinkendraht. Hätt' es getan. Doch war offenbar im Irrtum. Werd' ein Haus weiter gehn. Kriege zu so einem Namen Dutzende von Mitteln für 'nen Pappenstiel. (Er wendet sich zum Gehen.)

Fritz (wirft einen Blick auf Erika, vertritt ihm den Weg). Herr Zinkendraht, sei's drum. Ich nehme Ihre Bedingungen an.

Zinkendraht (zieht ein Blatt aus der Tasche). Hier der Vertrag.

Fritz. Den haben Sie gleich fertig mitgebracht?

Zinkendraht (zieht eine Füllfeder heraus, reicht sie ihm). Unterzeichnen Sie. Stelle dann sofort Scheck ans.

Fritz. Sie sind tüchtig. (Er überfliegt das Schriftstück, unterschreibt, gibt es ihm samt der Feder zurück.)

Zinkendraht (hat ein Scheckbuch hervorgezogen, schreibt). Dreitausend . . . So. Abgemacht. (Er gibt ihm den Scheck.) Werden Ihre Freude haben. (Sich verabschiedend.) 'nabend.

Fritz (will ihn begleiten). Sie gestatten . . .

Zinkendraht. Keine Umstände.

Erika (öffnet ihm die Mitteltür). Es war uns ein 26 Vergnügen, Herr Zinkendraht, solch eine Weltberühmtheit kennen zu lernen.

Zinkendraht (sich in sein Halstuch wickelnd). Werden Ihr blaues Wunder erleben. Universalerfolg. Zinkendrahts Mirakulin. Bombensichere Sache. 'nabend. (Ab durch die Mitteltür.)

Sechster Auftritt

Fritz. Klaus. Erika

Erika. Das ist ein Prachtexemplar.

Klaus. Ein Obergauner. Auf die Nerven ging mir der Kerl.

Fritz (losbrechend). Kinder! Kinder! Begreift ihr denn noch gar nicht? (Den Scheck schwenkend). Dreitausend Mark! Soviel Geld haben wir doch unser Lebtag noch nicht beisammen gesehen. Ein kleines Vermögen! Die Rettung dicht vor Torschluß. Wir sind fein heraus. Und ihr jubelt nicht? Ihr springt nicht bis an die Decke?

Erika. Ich bin glücklich für dich, Drachentöter.

Fritz. Und ich für dich, Kreatürchen! Nun brauchst du dich nicht zu strapazieren mit Stellensuchen, kannst gemächlich 'ne Weile zusehn. Wir können unsere drückendsten Schulden bezahlen, uns einen neuen Sonntagsrock kaufen . . .

Erika. Oder gar für jeden einen.

Fritz. Zwei Sonntagsröcke, du hast Recht!

Erika. Und du kannst deine Erfindungen ausführen.

Fritz. Dazu langt's noch nicht, Kind. Aber ist es nicht ein Gaudium? Was ich bisher mit all meiner ernsten Arbeit nicht erreichen konnte, das bringt mir nun so ein Plunder. Die erste Einnahme! Ein harmloses Beruhigungsmittel wie hundert andre. Mit einem Glas Zuckerwasser erzielt man genau denselben Effekt. 27

Erika. Du hättest ihm noch mehr abknöpfen können. Oder merktest du nicht, wie happig er drauf war?

Fritz. Ich durfte nicht va banque spielen, in unserer Lage.

Klaus. So oder so, ein sauberer Handel ist das nicht.

Fritz. Darauf pfeif' ich.

Erika. Kannst du auch, mit gutem Gewissen.

Klaus. Mit gutem? Na, na.

Fritz. Du an meiner Stelle hättest wohl vorgezogen, selbdritt zu verhungern?

Klaus. Offen gesagt, ja.

Fritz. Wirst aber hoffentlich meine Einladung nicht verschmähen, wenn dieses unsaubere Geld sich in leckere Mahlzeiten verwandelt.

Klaus. Das ist ganz was Anderes.

Erika (zu Fritz). Da hat nun eigentlich er wieder Recht.

Fritz. Und warum soll ich ein schlechtes Gewissen haben? Geht das Publikum auf den Leim, so fährt es um kein Haar schlechter, als wenn es ähnliche Mixturen schluckt. Ich hab' einem schwerreichen Spekulanten verhökert, was er haben wollte, das ist alles.

Klaus. Nein, das ist nicht alles. Du selber hältst nichts von der Sache. Und wer etwas von sich in die Welt hinausgehen läßt, wofür er nicht voll einstehen kann bis zum letzten Blutstropfen . . .

(Läuten der Flurglocke.)

Erika. Es läutet.

Fritz. Merkwürdig.

Erika. Wenn es diesmal ein Manichäer ist, braucht ihr ihn wenigstens nicht mehr zu fürchten.

(Wie vorher eilen sie wieder zu dritt in den Flur, um nacheinander durchs Guckloch zu spähen.) 28

Fritz (spähend). Ein fremder Jüngling von Distinktion.

Erika (spähend). Ach, der!

Fritz. Du kennst ihn?

Klaus. Laßt schauen. (Spähend.) Die Welt geht unter. Marschall!

Fritz. Ist die Möglichkeit!

Erika. Das ist Marschall?

Klaus (aufgeregt). Der Allgewaltige, der Hochgebietende findet den Weg zu mir! (Zu Fritz.) Siehst du, so wird das ehrliche Ringen zu guter Letzt doch belohnt. Man muß nur durchhalten.

(Neues Läuten.)

Fritz (zu Erika). Mach ihm doch auf.

Klaus. Wart! (Zu Fritz.) Gib mir den Sonntagsrock.

Fritz. Mit Wonne. (Er zieht den Rock aus, gibt ihn Klaus.) Da hast du ihn. (Er legt seinen Kittel wieder an.)

Klaus (vertauscht schnell seinen Kittel mit dem Rock; dann zu Erika). Jetzt.

Erika (öffnet die Flurtüre und läßt Marschall eintreten).

Siebenter Auftritt

Vorige. Marschall (durch die Mitte)

Marschall (noch im Flur). Ist Herr Maler Donald zu Hause?

Erika. Ja, hier, in seinem Atelier. (Sie schließt hinter ihm Flurtür und Mitteltür.)

Marschall (tritt ein. Smartes Jüngelchen von 24 Jahren, bartlos, sehr patent, blasiert, überlegt und überlegen, Snob aus Geschäftsinteresse, mit Unfehlbarkeitspose, seine Worte behutsam wählend. Er mustert zunächst Erika mit Kennerblicken). Sie kommen mir so bekannt vor, mein Fräulein. Wo mögen wir uns schon begegnet sein? 29

Erika. Auf der Straße, glaub' ich. (Leise, zu Fritz.) Wiederholt nachgestiegen ist er mir.

Marschall (als ob er jetzt erst Klaus bemerkte). Ah, da sind Sie ja, lieber Donald.

Klaus. Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Marschall . . .

Marschall. Ich versprach Ihnen doch, Sie mal heimzusuchen. Aber wollen Sie mich nicht vorstellen?

Klaus. Meine Freunde. Fräulein Götz, Herr Jürgens.

Marschall. Sehr angenehm. – Waren Sie nicht kürzlich in meinem Salon, mein Fräulein?

Erika. Doch nicht.

Marschall. Dann muß ich das geträumt haben.

Erika. Offenbar.

Klaus (ungeduldig). Dürft' ich Sie nun bitten . . .

Marschall. Ja, nun lassen Sie mal sehn.

Klaus (führt ihn zur Staffelei). Dies neue Bild. Ich halt' es für mein bestes Werk.

Marschall (mit einem Kennerlächeln). Alle Künstler halten ihr letztes für ihr bestes.

Erika. Wir halten es auch dafür.

Fritz. Für ein Kabinettsstück halten wir's.

Marschall (betrachtet das Bild mit handwerksmäßiger Routine, während die andern gespannt an seinen Lippen hängen, verändert keine Miene und schweigt).

Klaus (nach einer längeren Pause). Nun?

Marschall. Hm.

Klaus. Wie finden Sie's?

Marschall (ablenkend). Beiläufig, hat meine jüngste Ausstellung nicht auch auf Sie revoltierend gewirkt? Es würde mich interessieren, welche Eindrücke Sie mit fortnahmen. 30

Klaus (gequält). Wollen Sie mir nicht erst Ihren Eindruck verraten?

Marschall (scheinbar zerstreut). Meinen Eindruck? – Ja so, von Ihrem Bild?

Klaus. Oder haben Sie noch keinen?

Marschall (nach einer Pause). Soll ich aufrichtig sein?

Klaus. Ich ersuche Sie darum.

Marschall. Sehr brav, sehr geschickt, sehr sorgfältig. Aber – zu meinem Bedauern – nichts für mich.

Klaus (entgeistert). Weshalb nicht?

Marschall. Keine elementare Persönlichkeit, keine moderne Note, keine zündende Originalität. So was zieht in meinem Salon keinen Käufer an. Das könnte Jahre lang bei mir hängen, ohne daß es jemandem auffällt. Denn bei mir sucht man Neuheit, Gärung, Rebellion.

Klaus (seiner selbst nicht mehr mächtig, fährt mit breitem Pinsel über das Bild und verschmiert es). Da haben Sie Gärung!

Erika (erschrocken). Was tust du?!

Fritz. Klaus, bist du verrückt?

Klaus. Da haben Sie Rebellion.

Marschall. Hm. Jetzt ist es tatsächlich besser geworden.

Klaus. Wollen Sie mich auch noch verhöhnen Herr?

Marschall. Im Ernst. Jetzt ist etwas Urhaftes hineingekommen. Tatze. Klaue.

Klaus (grimmig auflachend). Haha, wie konnt' ich auch zweifeln, was Ihnen gefällt! Meinen Eindruck von Ihrer jüngsten Ausstellung wollen Sie haben? (Er holt rasch die Leinwand von vorhin wieder herbei, hält sie ihm vor die Augen.) Hier ist er in Reinkultur. Hier in zwanzig Klexen so viel Urhaftigkeit, so viel Tatze, so viel Klaue, wie in Ihrer ganzen Jahrmarktsbude zusammengenommen. 31

Marschall (sieht sich die Leinwand sehr ernsthaft und eingehend an. Nach einer Pause). Das ist von Ihnen?

Klaus. Eine saftige Verulkung – was?

Marschall. Warum haben Sie mir das nicht gleich gezeigt?

Klaus. Eine gediegene Abfuhr – wie?

Marschall. Daraus läßt sich was machen.

Klaus. Sie meinen, wenn man noch ein paar Tuben mehr drauf ausquetscht!

Marschall. Im Gegenteil. Nur ja keinen Strich mehr daran. Gerade das wild Improvisierte, das leidenschaftlich Fragmentarische gibt ihm den Reiz. Daraus läßt sich geschäftlich was machen. Eine Nummer, ein Programm, eine Parole. Das Bild stell' ich aus.

Klaus. Sie scherzen!

Marschall. Keineswegs.

Klaus. Ausstellen wollen Sie das?

Marschall. Haben Sie schon einen Titel dafür? Einen möglichst eklatanten?

Klaus. Nennen Sie's Klimbim oder Tohuwabohu oder gemischten Salat. Mir gleich.

Marschall Wenn Sie die Wahl mir überlassen, so betiteln wir's »Delirium«. Das trifft die darin ausgedrückte seelische Verwirrung, den inneren Tumult.

Klaus. Delirium! Meinetwegen sogar tremens. Aber – mit oder ohne Titel – ich geb's nicht her.

Marschall. Auch nicht, wenn ich's Ihnen abkaufe? Sofort. Für dreihundert Mark.

Klaus (ungläubig). Dreihundert Mark – für das da?

Marschall (entnimmt die Scheine seiner Brieftasche). Hier sind sie.

Klaus (bekommt Oberwasser). Viel zu wenig. (Sich mit Selbstüberwindung verbessernd.) Und überhaupt – ich geb's nicht her. 32

Marschall. Ich bin bereit, Ihnen das Zehnfache als Vorschuß zu zahlen, falls Sie nur für Ihre weiteren Werke – wohlverstanden, für Werke dieser Manier – das Vorkaufsrecht einräumen.

Klaus. Aber so was mal' ich Ihnen haufenweise – jeden Tag ein Dutzend!

Marschall. Um so besser. Dann kann ich Sie höchstwahrscheinlich lancieren. (Ihm die Scheine hinreichend.) Also – hier das Angeld.

Klaus (im Kampf mit sich selbst). Sie denken, ich werde so schwach sein . . .

Marschall. Ja, wenn Sie durchaus nicht wollen . . .

Klaus (von einem Gedanken durchzuckt). Doch! Doch! Ich will. Jetzt grade! Nur her mit den Lappen.

Marschall (gibt ihm das Geld). Morgen früh lass' ich's abholen. (Sich verabschiedend.) Wiedersehn. (Zu Erika.) Ich hoffe, mein Fräulein, Sie werden meinen Traum bald mal bewahrheiten.

Erika (leise, zu Fritz). Da kann er lange warten.

Marschall (an der Tür). Meine Herrschaften. (Ab durch die Mitte.)

Achter Auftritt

Fritz. Klaus. Erika

Klaus (bricht in ein krampfhaftes Lachen aus). Hahaha! – Luft! – Ich ersticke!

Erika (auf ihn zu). Gratuliere, Junker Schmerzenreich.

Fritz (ebenso). Bruderherz, nun bist auch du über den Berg.

Klaus (nach Atem ringend, ohne auf sie zu hören). Haha! Ich könnte mich totlachen. So eine Welt! So eine Menagerie! So ein Affentheater! Der große Marschall, 33 der Mann mit dem unfehlbaren Riecher, wie seine Trabanten ihn benamsen – der fällt herein auf diese Farce, diese Persiflage, diesen offenkundigen G'schnas.

Erika. Unbegreiflich!

Klaus. Ein Bild, woran ich seit Monaten schaffe, Erika – schaffe mit meiner ganzen Kraft, an dem geht er kaltlächelnd vorüber. Einen hingehauenen Jux, womit ich ihn und seine Clique ironisiert habe, wiegt er mir mit Gold auf.

Fritz. Und du hast es genommen.

Klaus (indem er den Rock aus- und den Kittel wieder anzieht). Sollt' ich etwa nicht?

Erika. Wäre schön dumm von dir gewesen.

Fritz. Hast es genommen, wie ich – trotz deiner Moralpauke.

Klaus. Wie? Du willst sagen . . .? Erika! Er vergleicht seinen Fall mit dem meinen!

Fritz. Ich sehe keinen Unterschied.

Klaus (zu Erika). Du auch nicht?

Erika. Laß dich's nicht anfechten, Junker Schmerzenreich, daß du nun gleichfalls eine Konzession gemacht hast. Wir bezeugen dir: Es ist dir sauer genug geworden.

Klaus. Eine Konzession? Ihr haltet mich für fähig . . .

Fritz. Du bist halt auch dahinter gekommen, daß man Schund verkaufen muß, wenn man für seine wertvolle Ware keinen Absatz findet. Warum willst du das nicht ruhig zugeben?

Klaus. Niemals geb' ich das zu. Niemals. Auf dem Holzweg seid ihr, alle beide.

Fritz. So?

Klaus. Ahnt ihr denn, was ich damit beabsichtigte? Ha, selbst wenn ich diesen grünen Jungen bloß hätte 34 einseifen wollen, diesen stockblinden, verrannten, verstiegenen Snob – das wäre noch lange keine Konzession, das wäre nur eine Rache, eine Abrechnung. Aber nein, ich führe was Andres im Schild.

Erika. Was denn?

Klaus. Das sollt ihr erfahren. Später. Denn vor allem will ich mir jetzt mal gütlich tun.

Fritz. Wahrhaftig, da sprichst du mir aus dem Magen. Ich erinnere mich nur noch dunkel der Zeit, wo er nicht geknurrt hat.

Erika. Jungens, das ist mein Ressort. So ein Wendepunkt, so ein Glückstag, der muß gebührend gefeiert werden. Eine Bowle werd' ich euch brauen, wie Schloß Belvedere noch keine gesehen hat, so lang' es steht. Gleich lauf' ich hinüber zur Requirierung der Rohstoffe.

Fritz. Aber es geht aus unserer Tasche, Kind!

Erika. Hab keine Bange. Ich leg' es für euch zwei Nabobs nur aus. Bar auf den Tisch. Der Kaufmann wird Augen machen. (Schnell ab durch die Mitteltür.)

Neunter Auftritt

Fritz. Klaus. (Während des Auftritts beginnt es zu dämmern.)

Klaus. Ein Wettermädel!

Fritz. Ein Schatz!

Klaus. Eine Hexe!

Fritz. Die ist goldener als Gold.

Klaus. Zum Aufessen ist sie.

Fritz. Am liebsten möcht' ich sie unter einen Glassturz stellen, damit sie ihr Lebtag so bleibt wie heut.

Klaus. Und ich möchte sie am liebsten beim Schopf nehmen und küssen, bis ihr und mir der Atem vergeht. 35

Fritz (stirnrunzelnd). Untersteh dich! Sie ist unsere Schwester.

Klaus. Ach was! Hand aufs Herz. Sind deine Gefühle für sie noch rein brüderlich?

Fritz (etwas verlegen). Einerlei. Sie ist unseren Händen als Vermächtnis anvertraut . . .

Klaus. Soll sie deshalb eine alte Jungfer werden? Ist sie nicht auch aus Fleisch und Blut? Hat sie nicht junge, durstige Sinne wie wir?

Fritz (tritt eisern an ihn heran). Hör' mal, Klaus. Wir sind Kameraden von Kindheit an. Ich habe damals, als du auf den Tod darniederlagst, mich mit ihr in die Nachtwachen an deinem Krankenbett geteilt. Durchs Feuer geh' ich für dich, wenn's not tut. Aber wenn du mir das Mädel anrührst, schlag' ich dich nieder.

Klaus (unwillkürlich erbebend). Unsinn! Das war doch nur Scherz.

Fritz. Laß derartige Scherze.

Klaus. Ich will sie ja heiraten.

Fritz. Das will ich ebenfalls.

Klaus. Unsere Schwester! Sieh mal einer an.

Fritz. Ja, ja, Klaus.

Klaus. Ei, ei, Fritz.

Fritz. Ich wie du.

Klaus. Wir alle beide.

Fritz. Da haben wir uns auf einmal eingestanden, was schon lang' zwischen uns in der Luft liegt.

Klaus. Wie die Katze um den heißen Brei sind wir drum 'rumgegangen.

Fritz. Diesen Wunsch kann keiner von uns dem andern verargen.

Klaus. Gut wenigstens, daß wir uns endlich klar darüber sind. 36

Fritz. War's denn früher möglich? Wären wir nicht Verbrecher gewesen, wenn wir im entferntesten an so was gedacht hätten, mit keinem Pfennig im Beutel?

Klaus. Jetzt aber tritt der Gedanke in Sehweite.

Fritz. Ja, sobald wir genug verdienen, um eine Frau ernähren zu können . . .

Klaus. Dann wird gefreit.

Fritz (sich am Ohr kratzend). Fragt sich nur, von wem.

Klaus. Einer von uns wird dann wohl verzichten müssen.

Fritz. Oder wir müssen uns übers Schnupftuch duellieren.

Klaus. Das wird kaum nötig sein. Denn schließlich – die Entscheidung liegt bei ihr.

Fritz. Hast du am Ende schon hinter meinem Rücken auf den Busch geklopft?

Klaus. Nein.

Fritz. Wirklich nicht?

Klaus. In meiner bisherigen Verfassung!

Fritz. Ich glaube dir.

Klaus. Aber irgendeinmal werden wir doch feststellen müssen, welchen von uns beiden sie vorzieht.

Fritz. Das ist richtig.

Klaus. Und ohne auf den Busch zu klopfen, wird das nicht gehn.

Fritz (nach kurzem Nachdenken). Ich will dir einen Vorschlag machen. Wir waren von jeher wie Brüder. Laß uns drum auch brüderliche Rivalen sein.

Klaus. Einverstanden.

Fritz. Wir wollen einander das Wort geben, daß keiner von uns heimlich, ohne Vorwissen des andern um sie wirbt, und daß dem, den sie erwählt, der andere sie neidlos gönnen wird.

Klaus. Sehr einverstanden. Hier meine Hand. 37

Fritz (ihn scharf ansehend). Deine eilige Bereitschaft . . . Fast sollte man vermuten, daß du deiner Sache schon sicher wärst.

Klaus. Weil ich mit deinem Vorschlag einverstanden bin?

Fritz. Du hast keinerlei Anzeichen?

Klaus. Je nun, man hofft, was man ersehnt.

Fritz. Du hoffst also . . .?

Klaus. Du nicht?

Fritz. Immer wieder hab' ich ihr Benehmen gegen uns daraufhin zu sondieren gesucht. Doch ich kam zu keinem bestimmten Ergebnis.

Klaus. Du kannst ja von heut an deine Aufmerksamkeit verdoppeln.

Fritz. Das werd' ich.

Klaus. Vereint werden wir's schon 'rauskriegen.

Fritz (horchend). Still! Sie kommt.

Zehnter Auftritt

Vorige. Erika.

Erika (durch die Mitteltür, die offen bleibt. Sie trägt eine Platte mit Aufschnitt, Brot usw., stellt sie auf den Tisch). Da bin ich wieder. Und guckt mal, was ich euch angefahren bringe. (Sie steckt die Lampe an.)

Fritz. O lang' entbehrter Anblick!

Klaus. O kaum noch gekannter Hochgenuß!

Fritz. Abendbrot!

Klaus. Veritables kaltes Abendbrot!

Fritz. Nur haben wir weder Messer noch Gabeln.

Klaus (gierig). Macht nichts. Wir nehmen die Finger dazu.

Erika. Was denkt ihr! Es ist nicht wie bei armen Leuten. Alles da. (Sie eilt ab durch die Mitteltür.) 38

Klaus (ihr nachrufend). Woher denn?

Fritz (ebenso). Kannst du zaubern?

Erika (noch unsichtbar). Jawohl. Hokuspokus. (Sie kehrt zurück mit Bestecken, Tellern, Gläsern auf einem Brett, das sie auf den Tisch setzt.)

Fritz. Kein Zweifel, du hast Geister im Sold.

Erika. Erraten. Eine gütige Fee hat mir's gepumpt. Mit Anfangsbuchstabe Baenicke.

Fritz. Frau Baenicke?!

Klaus (stets mit der Platte liebäugelnd). Das fauchende Ungetüm?

Erika. Auf meinen feierlichen Schwur, daß ihr zu Geld gekommen seid und morgen früh berappen werdet, wurde sie wie ein Ohrwürmchen. – Achtung. Fortsetzung folgt. (Sie eilt wieder ab.)

Klaus. Hast du was bemerkt?

Fritz. Noch nicht.

Klaus. Auch nicht, daß sie mir zulächelte?

Fritz. Da irrst du. Dies Lächeln galt mir.

Klaus. Pst!

Erika (kehrt zurück, eine Suppenterrine mit Schöpflöffel tragend). Hier das Festgetränk.

Fritz (zuspringend). Gestatte! (Er nimmt sie ihr galant ab und stellt sie auf den Tisch.)

Erika (die Mitteltür schließend). Mein Stolz.

Klaus. Ah, welcher Duft!

Fritz. So was gibt's auf Erden!

Klaus. Und steht vor uns zum Zugreifen! (Die beiden setzen sich an den Tisch, rechte und linke Seite.)

Erika (ist an die Hinterseite des Tisches getreten, verteilt das Geschirr und füllt dann die Gläser). Nichts reden, bevor ihr gekostet habt.

Klaus (der sofort eine große Portion auf seinen Teller 39 geladen hat). Ausprobieren am eigenen Leib, wie Zinkendraht.

Erika. Mit Verstand, bitt' ich mir aus. Denn dies ist ein Heilmittel und ein Kunstwerk zugleich. (Sie setzt sich zwischen sie.)

Klaus (sein Glas erhebend). Was wir lieben.

Fritz (ebenso). Dein Wohl, Kreatürchen!

Erika. Das eure, Jungens.

Klaus. Prost! (Sie stoßen an und trinken.)

Erika. Nun, wie schmeckt euch das?

Fritz. Das hast du gut gemacht.

Klaus. Ein Göttertrank! (Essend.) Wer uns heut früh prophezeit hätte, daß wir heut abend so schlemmen werden!

Fritz. Ohne Gewissensbisse.

Klaus (mit vollem Mund). Ich sogar mit dem Bewußtsein, mein lieber Fritz, kein Tütelchen von meinen Ueberzeugungen geopfert zu haben.

Fritz. Potztausend.

Klaus. Den Zweck, den ausschließlichen Zweck, der mich geleitet hat, ja, merkt auf, nun sollt ihr ihn kennen.

Erika. Schieß los.

Klaus. Aufs Glatteis hab' ich den Kunstkrämer geführt, ganz einfach. Wenn es ihm tatsächlich gelingen sollte, mit der Klexerei seine gläubige Gemeinde zu angeln, dann – das ist mein fester Entschluß – dann werd' ich der Welt eine Laterne aufstecken, daß ihr die Augen übergehn.

Erika (gepackt). Du, das ist 'ne Idee!

Klaus. Laut hinausschreien werd' ich dann, daß ich mir einen satirischen Scherz geleistet habe, nichts weiter, und daß ich ihn mitten unter ernstgemeinte Bilder hängen ließ, bloß um zu konstatieren, bis zu welchem Rekord sich die öffentliche Dummheit versteigt. 40

Erika (in die Hände klatschend). Herrlich! Großartig! O jerum, was für einen Kladderadatsch müßte das geben, wenn du – oder noch besser ihr alle zwei, du mit dem Bild und du mit dem Mittel – dem stumpfsinnigen Volk die Binde vom Gesicht risset. Schaut her, ihr Gimpel, wie ihr aufgesessen seid! Schaut her, wie ihr mal wieder dicht an Kostbarkeiten vorbei dem Krempel nachlauft! Ein Ereignis wäre das, eine Tat! (Sie füllt wieder die Gläser.) Darauf müssen wir anstoßen.

Klaus. Prost!

Fritz. Kinderchen, ihr macht die Rechnung ohne den Wirt. Erst wartet doch mal ab, ob unser Krempel einen Hund vom Ofen lockt. Und selbst dann werden schon andere Leute dafür sorgen, daß die Bäume von Zinkendraht, Marschall und Kompanie nicht in den Himmel wachsen.

Klaus. Nichts da! Ein flammendes Menetekel, mit so greller Beleuchtung von Falsch und Echt, daß unsere wahren Werke wie von selbst aus dem Schatten treten. Und darauf allein kommt es an.

Erika. So ist's. Durch dick und dünn voran zum Triumph. Soll ich umsonst bewundernd zu euch hinaufgeblickt haben, schon als ihr euch noch drum balgtet, wer von euch meine Schulmappe tragen darf? Zwei Koryphäen müßt ihr mir werden; billiger tu' ich's nicht. (Das Glas erhebend.) Auf eure Zukunft.

Fritz (ebenso). Auf die deine.

Klaus (ebenso). Auf unsere gemeinsame, Erika.

Erika (lachend). Nicht allzuviel auf einmal.

Fritz. Daß du nie mehr mit Sklavenhaltern dich 'rnmschinden mußt.

Erika. Gottlob, darüber kann ich euch beruhigen. 41 Ja, ihr Männer, euer Glückstag hat zuletzt auch mir noch was Feines beschert.

Fritz. Dir?

Klaus. Wieso?

Erika (einen Brief hervorziehend). Ratet mal, was ich da in der Hand halte.

Fritz. Einen Brief.

Erika. Den ich bei der Rückkehr in unserem Kasten fand.

Klaus. Von wem?

Erika. Ich hab' eine Stelle.

Fritz (unwillig). Aber du solltest doch nicht mehr . . .

Erika. Wie ich sie mir vorteilhafter nicht wünschen kann. Sekretärin bei Professor von Schellander.

Fritz. Dem bekannten Arzt?

Erika. Einem der allerersten, um den die nobelste Gesellschaft sich nur so reißt. Hört nur! (Aus dem Brief vorlesend.) »Von 37 Bewerberinnen haben Sie mir am besten gefallen.«

Klaus. Kein Wunder.

Erika. Ach, so meint er das doch nicht! Den dürft ihr nicht mit meinem früheren Brotherrn verwechseln. Ein ernster Mann der Wissenschaft . . .

Klaus. Wie alt?

Erika. Ueber vierzig.

Fritz. Verheiratet?

Erika. Längst. Und gleich morgen früh kann ich eintreten, mit anständigem Gehalt und freier Station.

Fritz. Das heißt doch nicht etwa, daß du dort wohnen sollst?

Erika. Doch.

Fritz. Dann wirst du ablehnen, hoff' ich.

Klaus. Unbedingt. 42

Fritz. Oder willst du uns verlassen?

Erika. Ihr selbst werdet wohl bald eure Residenz etwas näher der Erde aufschlagen . . .

Klaus. Sagtest du nicht, du würdest mit uns ziehen?

Erika. Ueberlegt mal vernünftig, Jungens. Die Situation hat sich geändert. Für euch ist vorläufig gesorgt. Aber wenn ihr euch einbildet, ich ließe mich nun von eurem ersten bißchen Verdienst mit durchfuttern und legte mich auf die faule Haut, da kennt ihr mich schlecht. Ich bin nicht mehr das Nesthäkchen, das ihr behüten und bewachen mußtet. Ich mag, ich darf euch nicht länger zur Last fallen.

Fritz. Zur Last nennst du das?

Klaus. Unsere einzige Freude!

Fritz. Du würdest uns fehlen überall.

Klaus. Wir würden uns nicht zurechtfinden ohne dich.

Erika. Ich geh' ja nicht nach Afrika. Eurer Wirtschaft steh' ich weiter vor, natürlich. Jeden Sonntag komm' ich und seh' nach dem Rechten. – Es ist besser so, glaubt mir. Besser in jeder Beziehung.

Fritz (mit Blick auf Klaus). In gewissem Sinn, allerdings.

Klaus (mit Blick auf Fritz). Kommt mir beinah' auch so vor.

Erika. Morgen in aller Herrgottsfrühe werd' ich übersiedeln. Drum sag' ich euch jetzt gute Nacht. (Sie steht auf.)

Fritz (aufstehend). Schon?

Klaus (ebenso). Die Bowle ist ja noch nicht einmal leer.

Erika. So laßt uns das letzte Glas auf unsere Freundschaft trinken.

Fritz (während er einschenkt, wehmütig). Das letzte. 43

Erika. Nur für diesmal.

Klaus. Scheiden!

Erika. Aber doch nicht meiden.

Klaus (leise zu Fritz). Gib acht; nun zeigt es sich.

Erika. Recht schön aber dank' ich euch dafür, daß ihr mich all die Zeit um die Wette so väterlich geschützt und gehätschelt habt.

Fritz. Und wir? Wie sollen wir dir danken?

Erika. Dadurch, daß alles zwischen uns beim alten bleibt.

Klaus (forschend). Alles?

Erika. Na, krieg' ich keinen Abschiedskuß?

Fritz. Klaus (gleichzeitig). Von wem?

Erika. Von euch beiden, versteht sich. (Beide küssen sie gleichzeitig auf je eine Wange.) Ihr seid ja doch meine zwei Bräutigams. Was auch kommen mag, seid gewiß, euch bleib' ich treu. (Sie entschlüpft ihnen und eilt hinaus durch die Mitteltür.)

Klaus (enttäuscht). Uns beiden!

Fritz. Da sind wir so klug wie zuvor. 44


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