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Dieselbe Dekoration.
Friedrich. (Gleich darauf) Freiherr
Friedrich (kommt von links hinten mit einem Medizinfläschchen, sieht sich um, geht dann zur Tür links vorn und klopft an)
Freiherr (tritt aus der Tür links vorn) Ja! Was gibt's?
Friedrich Hier ist die Medizin, Exzellenz.
Freiherr (ihm das Fläschchen abnehmend) Kaum mehr notwendig. Der Baronesse geht es besser. Sie ist aufgestanden. Aber für alle Fälle . . . (Er will wieder abgehen)
Friedrich Exzellenz . . .
Freiherr (sich umdrehend) Was?
Friedrich Herr Geheimrat Schellhorn läßt fragen, ob Exzellenz noch immer nicht zu sprechen sind. Er säße nun schon über 'ne Viertelstunde im Vorzimmer. 166
Freiherr Tut nichts. – (Er will wieder abgehen; sich besinnend) Führen Sie den Geheimrat einstweilen hier herein. (Ab links vorn)
Friedrich Befehl. (Er geht zur Tür links hinten, öffnet sie, spricht hinaus) Exzellenz lassen Herrn Geheimrat bitten, hier einzutreten.
Friedrich. Geheimrat
Geheimrat (von links hinten; verstört, übernächtig, ohne seinen sonstigen Aplomb. Er sieht sich um) Wo . . . wo ist denn Seine Exzellenz?
Friedrich Bei der Baronesse.
Geheimrat Bei der . . . so, so! – Wird es noch lange dauern?
Friedrich Weiß nicht. (Ab links hinten)
Geheimrat. (Dann) Freiherr. (Später) Friedrich
Geheimrat (allein, geht auf und ab, wie ein Tier im Käfig, unverständliche Worte vor sich hin murmelnd)
Freiherr (nach einiger Zeit von links vorn) Herr Geheimrat haben mich zu sprechen gewünscht? 167
Geheimrat Ja; ich warte schon lange . . .
Freiherr Bedaure; es war mir nicht früher möglich. – Womit kann ich Ihnen dienen?
Geheimrat (sich den Schweiß abtrocknend) Exzellenz können sich doch vorstellen . . .
Freiherr (auf einen Stuhl deutend) Ich bitte.
Geheimrat (setzt sich) Das ist ja eine furchtbare Geschichte!
Freiherr Wie man's nimmt.
Geheimrat Wenn ich hundert Jahre alt werde, den gestrigen Tag und die heutige Nacht werd' ich nicht vergessen. Meine Frau war höchst besorgt um mich. Dreimal wollte sie dem Arzt telephonieren . . .
Freiherr Darf ich fragen, was Sie zu mir führt?
Geheimrat Aber Exzellenz, das können Sie sich doch denken! Es muß doch etwas geschehen! Es muß doch schleunigst ein Entschluß gefaßt werden, bevor es zu einem unerhörten, beispiellosen Skandal kommt! 168
Freiherr Aha, ich verstehe.
Geheimrat Wenn Exzellenz nur von vorn herein offen mit mir gesprochen hätten! Ich bin ja kein Unmensch! Ich bin ja ein Mann, dem das Leben nicht fremd ist . . .
Freiherr Sie hätten noch gestern alles erfahren. Ich wollte nur, daß Sie meine Tochter erst persönlich kennen lernen. Was Sie inzwischen ins Werk setzten, konnt' ich nicht ahnen.
Geheimrat Aber ich konnte doch auch nicht ahnen . . .! Wie soll einem denn so etwas in den Sinn kommen! Exzellenz haben uns mit so unbarmherziger Geschicklichkeit aufs Eis geführt . . .
Freiherr Aufs Eis? Wieso?
Geheimrat Indem Sie uns glauben machten, das Fräulein sei Ihre richtige Tochter.
Freiherr Was ist sie denn sonst?
Geheimrat Das brauch' ich Exzellenz doch nicht zu sagen.
Freiherr Sie ist mein Kind! 169
Geheimrat Ihr natürliches Kind.
Freiherr Übernatürlich sind wir alle nicht.
Geheimrat Also Ihr illegitimes Kind.
Freiherr Die Legitimation ist im Gange.
Geheimrat Wenn auch . . .
Freiherr Und ich habe mir die Freiheit genommen, sie daraufhin schon jetzt als meine rechtmäßige Tochter zu betrachten, einerlei ob das amtliche Aktenstück schon in meinem Kasten liegt oder nicht.
Geheimrat Ganz gut; aber sie war doch nicht die Baronesse, als welche . . .
Freiherr Sie wird es binnen weniger Tage sein.
Geheimrat Immerhin, Exzellenz werden doch zugeben müssen, daß es nicht ganz korrekt von Ihnen war . . .
Freiherr Korrekt? Wenn wir uns auf diesen Standpunkt stellen wollen, Herr Geheimrat, dann war es wohl auch nicht ganz korrekt von Ihrem Herrn Sohn, meine Tochter zu verführen. 170
Geheimrat Wem sagen Sie das! Nie und nimmer werd' ich das verwinden. Ein solcher Fall in meiner Familie! Mir unfaßlich, wie der Junge auf derartige Abwege geraten konnte, wo er doch in seinem Elternhaus nichts anderes vor sich gesehen hat als Ehrbarkeit und Gottesfurcht. Ein so sträflicher Leichtsinn! Ein so abgründiger Verstoß gegen das Sittengesetz! Zum allermindesten hätte er sich doch vorher genau über die Herkunft des Mädchens informieren müssen . . .
Freiherr (ironisch) Ja, das ist die Hauptsache.
Geheimrat Wahrlich, Exzellenz werden ihm keinen Vorwurf machen können, den er nicht schon doppelt und dreifach von mir gehört hat.
Freiherr Ich mache Ihrem Sohn keinen Vorwurf. Dazu hätt' ich auch gar kein Recht. Denn ich habe einmal ungefähr ebenso gehandelt wie er. Ja, vielleicht noch schlimmer. In der Sache wenigstens, wenn auch nicht in der Form. Aber gerade darum wollt' ich ihm die Hand bieten, meinen Irrweg zu vermeiden und sich nicht die Gewissenslast aufzubürden, unter der ich geseufzt habe mein halbes Leben lang.
Geheimrat Ja, glauben denn Exzellenz, daß ich dazu nicht auch die Hand bieten will?
Freiherr So? Warum haben Sie ihn dann diesen Brief schreiben lassen? 171
Geheimrat Dieser Brief, dieser unglückselige Brief – ich leugne nicht, das war eine Übereilung, eine blinde Übereilung. Aber seitdem sind mir ja die Augen aufgegangen; seitdem sehe ich den Fall in einem gänzlich anderen Lichte . . .
Freiherr Sie sehen, daß hinter dem Mädchen plötzlich ein Beschützer steht, mit dem man rechnen muß.
Geheimrat Ich sehe vor allem, daß sie diesen Beschützer verdient. Ich habe sie ja vorher nicht gekannt! Ich habe ja nicht gewußt, was für ein seltenes Juwel dieses Mädchen ist!
Freiherr Sie haben sie unbesehen verurteilt.
Geheimrat Exzellenz, der Mensch kann irren. Sie gestanden das ja eben von sich selbst. Aber was ist schöner, was ist erhebender, als einen Irrtum wieder gut zu machen? Was ist christlicher, als eine Unglückliche zu trösten, eine Gefallene aufzurichten?
Freiherr Und zu diesem frommen Werk der Nächstenliebe erklären Sie sich jetzt bereit?
Geheimrat Ja, Exzellenz.
Freiherr Meine Hochachtung, Herr Geheimrat. Sie sind ein Charakter. 172
Geheimrat Ich erkläre, daß mein Sohn unter gewissen Bedingungen geradezu die moralische Verpflichtung hat, das Fräulein zu heiraten.
Freiherr Also doch noch Bedingungen!
Geheimrat Bedingungen, die eine Basis schaffen, auf der . . .
Freiherr Und die wären?
Geheimrat In erster Linie natürlich, daß des Fräuleins Vergangenheit strengstes Geheimnis bleibt.
Freiherr Ihre Vergangenheit besteht doch lediglich in den Beziehungen zu Ihrem Sohn.
Geheimrat Das ist es ja grade! Erwägen Sie nur– wenn es ruchbar würde, daß seine Frau vor der Ehe seine Geliebte gewesen ist . . . Wenn das seine Vorgesetzten, wenn das mein Chef, Ihr Herr Bruder, erführe . . . (In jäher Angst emporschnellend) Um Gottes willen, er weiß doch noch nichts davon?
Freiherr Davon nicht.
Geheimrat (sich wieder setzend) Gott sei gedankt! Es gibt also außer uns noch keinen Mitwisser? 173
Freiherr Soviel mir bekannt, nur die Frau, bei der meine Tochter gewohnt hat.
Geheimrat Hm, hm! Deren Schweigen könnte man wohl erkaufen?
Freiherr Ja, das könnte man.
Geheimrat Man müßte es sogar.
Freiherr Nur böte Ihnen das keine Sicherheit. Solche Geheimnisse sickern meistens durch, man weiß nicht wie.
Geheimrat Aber dann ginge es ja nicht! Beim besten Willen nicht!
Freiherr Weshalb nicht?
Geheimrat Exzellenz, wir sind eine alte Beamtenfamilie . . .
Freiherr Nun, Ihr Avancement würde wohl kaum darunter leiden.
Geheimrat Und mein fleckenloser Name!
Freiherr Bei halbwegs Vernünftigen auch der nicht. 174
Geheimrat Aber die Karriere meines Sohnes . . .
Freiherr Ja, ob Ihr Sohn Beamter bleiben könnte, das ist fraglich.
Geheimrat Da haben Sie's ja! Nach ungezählten Generationen, die nichts Höheres gekannt haben als die Pflicht . . .
Freiherr Seiner Pflicht, Herr Geheimrat, kann man auf die verschiedenste Weise nachleben. Insbesondere dadurch, daß man ein anständiger Mensch ist.
Geheimrat Das ist noch nicht genug.
Freiherr Ich finde, es ist schon sehr viel. Und wenn Ihr Sohn überhaupt etwas taugt, dann wird er auch außerhalb des Staatsdienstes sich zur Geltung bringen können. Der materiellen Sorgen würde er ja ohnehin enthoben sein. Denn meine Tochter wird meine Universalerbin . . .
Geheimrat Bitte, das kommt ja gar nicht in Betracht!
Freiherr O doch! Denn in dieser Hinsicht ist sie durchaus die gute Partie, nach der Sie für ihn so ungestüm gestrebt haben. 175
Geheimrat Sie werden mir doch nicht zutrauen, daß nur der schnöde Mammon . . .
Freiherr Im Brief Ihres Sohnes stand es so zu lesen.
Geheimrat (luftschnappend) Aber das . . . das war doch nur, um für den Bruch ein glaubhaftes Motiv anzugeben!
Freiherr Einerlei, mir scheint, daß Sie wesentliche Gründe haben, diese Verbindung zu wünschen. Denn zum Gerede kann es ebensogut kommen, wenn er sie nicht heiratet.
Geheimrat (entwaffnet) Leider wahr!
Freiherr Und dann wären Sie sowohl als er noch weit übler dran. Die Tochter des Freiherrn von Wittinghof, von dem jungen Schellhorn verführt, auf Befehl des alten im Stich gelassen – sollten das die Spatzen von den Dächern pfeifen, dann gute Nacht Familiennimbus!
Geheimrat (händeringend) Leider wahr!
Freiherr Halten Sie es daher nicht für würdiger, einfach das Rechte zu tun, ohne die Folgen zu scheuen?
Geheimrat (eindringlich) Aber Exzellenz, in Ihrem eigenen Interesse . . . 176
Freiherr Ich meinerseits scheue sie nicht. Im Gegenteil, ich sehne mich nach einem Geschlecht, das den Mut hat, offen für seine Handlungen einzustehn. Es könnte mir nur erfreulich sein, wenn Ihr Sohn den Anfang machte.
Geheimrat Warum denn grade mein Sohn?
Freiherr Mann, ich sehe schon, ich muß deutlicher werden. Sie sind in meiner Hand! Ich brauche nur den kleinen Finger auszustrecken, und das Hohngelächter einer ganzen Welt fegt Sie hinweg. Aus der Sackgasse, in die Sie sich verrannt haben, gibt es für Sie nur einen einzigen Ausweg. Das wissen Sie sehr genau. Und Sie kommen mir noch mit allerlei Winkelzügen! Sie kommen mir mit Bedingungen, statt mich in geziemender Demut nach den Bedingungen zu fragen, die ich Ihnen vorschreibe!
Geheimrat (ächzend) Alles, was Sie wollen! Nur keinen Skandal! Nur keinen Skandal!
Freiherr Sehr wohl. Nun werden wir uns schon leichter verständigen. Ihr Herr Sohn wird noch heute hier erscheinen und in aller Form um die Hand meiner Tochter anhalten.
Geheimrat (kleinlaut) Er wird.
Freiherr Aber das ist das wenigste. Meine Tochter fühlt sich von ihm und von Ihnen aufs schwerste verwundet. Noch 177 bevor er selbst sich bemühen wird, sie zu versöhnen, werden Sie alles aufzubieten haben, um ihre sehr begreifliche Erbitterung zu mildern.
Geheimrat Daran hab' ich schon gedacht.
Freiherr Sehr schön.
Geheimrat Nur meinte ich, daß für diesen Zweck ein weiblicher Zuspruch sich besser eignet. Deshalb hab' ich meine gute Frau ersucht, hierher zu kommen und mit dem Fräulein zu reden.
Freiherr Sie ist damit einverstanden?
Geheimrat Meine Frau? Sie ist mit allem einverstanden, was mir richtig scheint.
Freiherr Vortrefflich.
Geheimrat Und wenn man noch dazu Ihrem Fräulein Tochter den ganzen Brief als ein Mißverständnis hinstellen könnte; wenn Exzellenz uns dabei unterstützten . . .
Freiherr Nichts da! Keine Flausen mehr! Nur noch die Wahrheit!
Geheimrat (sich wieder den Schweiß abtrocknend) Die Wahrheit. 178
Friedrich (von links hinten, meldet) Frau Geheimrätin Schellhorn.
Geheimrat Da ist sie schon.
Freiherr Ich lasse bitten. (Friedrich ab)
Geheimrat Ja, gottlob, meine Frau und ich, wir können in jeder Lebenslage aufeinander zählen.
Freiherr. Geheimrat. Johanna (von links hinten)
Freiherr (ist ihr entgegengegangen) Gnädige Frau . . .
Geheimrat (seine Sicherheit wiederfindend) Liebe Johanna, ich habe mich mit Seiner Exzellenz in Ruhe ausgesprochen; wir sind vollkommen einig.
Johanna (sehr echauffiert und ungewöhnlich lebhaft) Exzellenz, ich bitte um Vergebung, wenn ich zuerst von meinen Angelegenheiten rede. Aber ich habe eben eine Nachricht erhalten . . .
Geheimrat Was denn schon wieder?
Johanna (fortfahrend) Und da auch Sie an meiner Schwester Anteil nehmen . . . 179
Freiherr Den allergrößten.
Johanna Ach Gott, mir klopft das Herz zum Zerspringen!
Freiherr Es ist ihr doch kein Unglück zugestoßen?
Johanna Sie ist heute früh abgereist!
Geheimrat Wohin?
Johanna Nach Lugano – zu Aubert!
Geheimrat Was?!
Freiherr Aus welchem Grund?
Johanna Sie hat erfahren, daß er dort infolge der Aufregungen schwer erkrankt ist und einsam im Hotel liegt. Da ist sie Hals über Kopf zu ihm hin, um ihn zu pflegen.
Geheimrat Das Dümmste, was sie tun konnte!
Freiherr Eine tapfere Frau, Ihre Schwester!
Johanna Aber ihr Ruf . . . 180
Geheimrat Damit ruiniert sie ihn vollständig. Damit bestätigt sie das Gerücht auf die eklatanteste Art. Damit macht sie es Aubert unmöglich, auf seinen Posten zurückzukehren. Nun sind sie geliefert, alle beide.
Freiherr Oder auch alle beide gerettet, Herr Geheimrat. Wenn man von einem steilen Ufer in den Fluß gestoßen worden ist, dann tut man am besten, an das gegenüberliegende zu schwimmen. Das hat diese tapfere Frau getan. Und es sollte mich sehr wundern, wenn aus dem ganzen Wirrwarr nicht zu guter Letzt ein beneidenswertes Paar hervorgeht – wieder zwei freie Menschen mehr.
Johanna Sie glauben . . .
Freiherr Ich glaube, Sie dürfen sich beruhigen, gnädige Frau.
Geheimrat (zärtlich) Ja, beruhige dich, mein Schatz, und vergiß nicht, daß du hier eine heilige Mission zu erfüllen hast.
Johanna (mühsam) Ich will mit Ihrer Tochter sprechen, Exzellenz.
Geheimrat Ja, sprich mit ihr, sanft und mütterlich! Such ihr klar zu machen, daß es eine Familie gibt, deren Arme und Herzen weit für sie geöffnet sind. Laß aus unserer ungetrübten Seelengemeinschaft einen verheißungsvollen Strahl auf ihre eigene Zukunft fallen. Bereite unserem 181 Edmund den Boden . . . Dann dürfen wir hoffen, Johanna, daß dieser Tag für uns allesamt reiche Früchte trägt.
Johanna Schon gut.
Geheimrat (sich verabschiedend) Ich muß jetzt auf mein Bureau. Aber Exzellenz werden mir erlauben, vor Tisch noch einmal vorzusprechen.
Freiherr (verneigt sich) Herr Geheimrat . . .
Geheimrat Bis dahin wird unzweifelhaft alles geschlichtet und geebnet sein, und ich will es mir nicht nehmen lassen, dem jungen Paar sogleich meinen väterlichen Segen zu geben.
(Ab linkes hinten)
Freiherr. Johanna
Freiherr Soll ich meine Tochter rufen, gnädige Frau?
Johanna (nach Atem ringend) Noch nicht, Exzellenz; noch nicht!
Freiherr Was haben Sie?
Johanna Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Ich ersticke! 182
Freiherr Die Sorge um Ihre Schwester?
Johanna Sie war meine einzige Freundin, meine einzige Vertraute. Nun hab' ich niemand mehr, niemand . . .
Freiherr Aber Sie haben doch Ihren Gatten. Und bei dem herzlichen Einverständnis, das zwischen Ihnen waltet . . .
Johanna (ausbrechend) Es ist ja nicht wahr! Es ist ja alles nicht wahr! Und wenn ich darüber zu Grunde gehe, ich kann nicht mehr schweigen; ich kann nicht mehr.
Freiherr (teilnahmvoll) So sprechen Sie doch ohne Scheu. Sie kennen mich ja seit Ihrer Mädchenzeit . . .
Johanna Jawohl; da war ich jemandem gut, der es nicht merkte.
Freiherr (nach einem Moment der Betroffenheit) Gnädige Frau, was auch immer Sie hier sagen, das bleibt unter uns.
Johanna Und wenn Sie das Fenster aufreißen und es auf die Gasse hinausschreien – mir ist es gleich. Ich kann mich nicht mehr verstellen; ich kann die Komödie nicht mehr fortsetzen. Fünfundzwanzig Jahre lang – das ist zu viel.
Freiherr Ihre Ehe? 183
Johanna Ich habe keine Ehe. Ich habe keinen Mann. Ich habe kein Heim. Ich bin eine Fremde in meinem Haus. Ich gehöre nicht dorthin. Ich gehöre nirgends hin.
Freiherr (erschüttert) So steht es bei Ihnen?
Johanna Glauben Sie nicht, was Sie sehen! Glauben Sie nicht, was Sie hören! Es ist alles nicht wahr! Lug und Trug und Falschmünzerei! Sand in die Augen, und immer wieder Sand in die Augen – weiter nichts.
Freiherr Warum sind Sie dann bei ihm geblieben?
Johanna Ich blieb nicht bei ihm. Schon nach drei Jahren lief ich ihm davon. Damals, als ich dahinter kam, wie schamlos er mich betrog, zuletzt im eigenen Haus mit Edmunds Kinderfräulein – da rannte ich zu meinen Eltern und flehte sie an, mich wieder aufzunehmen. Aber sie hatten kein Geld mehr; sie waren froh, daß ich untergebracht war; sie predigten mir von den Pflichten gegen meinen Mann, gegen mein Kind; sie führten mich fast mit Gewalt zu ihm zurück – und alles wurde vertuscht. Er betrog mich weiter; er behandelte mich mit Geringschätzung; er ließ es mich fühlen, daß ich seine Hoffnungen auf meine Mitgift enttäuscht hatte; nur vor anderen war er zuckersüß, und wenn ich es nicht auch war, dann mußt' ich's entgelten. Meine Eltern gaben ihm recht; es sei notwendig, den Schein zu wahren. Ich wollte wieder von ihm fort; 184 noch oft war ich drauf und dran. Aber da stand er jedesmal vor einer Auszeichnung oder vor einem Avancement; da beschwor man mich, seine Karriere nicht zu verderben – und es wurde vertuscht. So verging Jahr um Jahr. Ich wurde immer schlaffer, immer ohnmächtiger, immer gleichgültiger. Was mir im Anfang unerträglich erschienen war, am Ende erschien es mir selbstverständlich. Ich ließ mich willig von ihm abrichten, bis ich wurde, wie ein gut dressierter Pudel, der aufs Stichwort seine Kunststücke produziert. Ich verziehe meinen Mund zu einem Lächeln; ich krame die einstudierten Redensarten aus, so oft es verlangt wird. Vor den Leuten spielen wir Philemon und Baucis; zu Haus gehen wir aneinander vorbei und grüßen uns nicht. Noch heute dreh' ich jeden Pfennig dreimal um, damit seine Mätressen nicht zu kurz kommen. Und wenn mir auch manchmal noch der Ekel bis zum Halse steigt, ich wäre nicht mehr im stand, ein neues Leben zu beginnen. Ich lebe überhaupt nicht mehr; ich tue nur noch so.
Freiherr (nach einer kleinen Pause) Sie haben ein unsäglich schweres Martyrium auf sich genommen. Niemand kann Ihnen das tiefer nachempfinden als ich. Aber Sie dürfen sich doch zum Troste sagen: das Opfer war nicht ganz umsonst. Ihr Sohn . . .
Johanna Mein Sohn ist mir fremd, und ich bin es ihm. Wie soll denn ein Sohn vor seiner Mutter Respekt haben, wenn er mit ansieht, daß sie jahraus, jahrein hintergangen wird!
Freiherr Aber er ist doch Ihr Kind, das unter Ihren Augen 185 erwachsen und gereift ist. Fühlen Sie denn nicht die Befriedigung . . .
Johanna Fünfundzwanzig Jahre Komödie – wie kann man da noch wissen, was man fühlt?
Freiherr Auch nicht, daß Sie ihn lieben?
Johanna Ich glaube fast, ich liebe niemand mehr; nicht einmal mich selbst.
Freiherr Und als Sie gestern meiner Tochter so warme Worte sagten, war das auch nur Komödie?
Johanna Nein, da war mir zu Mut, als ob ich dieses Mädchen vielleicht liebgewinnen könnte. Vielleicht; ich weiß es nicht.
Freiherr O, sicherlich!
Johanna Wollen Sie sie jetzt rufen?
Freiherr Sie sind sehr erschöpft.
Johanna Nein, mir ist wohl. Mir ist unbeschreiblich wohl. Endlich einmal die Larve für einen Augenblick abgestreift – das ist ja wie Erlösung; das ist ja, als wäre mir ein Alp von der Brust gewälzt. 186
Freiherr Gut denn, ich rufe sie. (Er geht zur Tür links vorn, öffnet sie, ruft hinein) Gerda! – Willst du nicht kommen? – – Sei unbesorgt! Hier ist jemand, der es aufrichtig meint.
Vorige. Gerda. (Dann) Friedrich
Gerda (erscheint auf der Schwelle links vorn; blaß, aber ruhig) Da bin ich.
Freiherr (nimmt sie bei der Hand) Wie fühlst du dich, Kind?
Gerda Danke, viel besser.
Freiherr (sie zu Johanna führend) Komm. Hier ist eine Freundin.
Gerda (ist bei Johannas Anblick zusammengezuckt) Gnädige Frau . . .
Johanna (ihr entgegen> Liebes Fräulein, ich habe von dem ganzen Handel nichts gewußt.
Gerda Das will ich gerne glauben.
Johanna Hätt' ich Sie nur schon früher gekannt! 187
Gerda Sie hätten mich nicht verdammt?
Johanna Ich hätte Sie nur bedauert.
Gerda Dann hab' ich Ihnen in meinen Gedanken unrecht getan.
Johanna Wenn wir armen Frauen nicht mal beieinander Erbarmen fänden, was sollte dann aus uns werden?
Gerda Sie brauchen mein Erbarmen nicht, gnädige Frau.
Johanna Ich bin sehr einsam.
Gerda Nicht so, wie ich es war.
Johanna Vielleicht noch mehr.
Gerda Was könnt' ich Ihnen sein?
Johanna Ich habe mir immer eine Tochter gewünscht wie Sie.
Gerda Sie sind gut! 188
Johanna Mein Sohn wird gleich hier sein . . .
Gerda Von ihm sprechen Sie mir bitte nicht!
Johanna Wollen Sie ihn nicht empfangen?
Gerda Nein.
Freiherr Das solltest du doch, mein Kind.
Gerda Was kann er mir noch zu sagen haben?
Johanna Hören Sie ihn an!
Gerda Es hat keinen Zweck.
Johanna Tun Sie's mir zuliebe.
Gerda Ihnen zuliebe? Sie wünschen also . . .
Johanna Ich wünsche nichts, als daß Sie glücklich werden. Ob mein Sohn der Mann dazu ist, Sie glücklich zu machen, das müssen Sie besser beurteilen können als ich. 189
Gerda Er wird mich wieder belügen.
Johanna Stellen Sie ihn auf die Probe!
Gerda (von einem Gedanken erfaßt) Auf die Probe? –
Friedrich (von links hinten, meldet) Herr Assessor Schellhorn.
Freiherr Nun, Kind?
Gerda (mit Entschluß) Ja, er soll kommen.
(Friedrich auf einen Wink des Freiherrn ab)
Johanna Ich möchte ihm jetzt nicht begegnen.
Freiherr (auf die Tür rechts deutend) Hier durchs Speisezimmer führt auch ein Weg. (Er geht hin und öffnet die Tür)
Johanna (sich von Gerda verabschiedend) Ich könnte Sie sehr lieb gewinnen.
Gerda Ich Sie auch, gnädige Frau.
Johanna Gott behüte Sie.
(Sie geht schnell ab rechts. Der Freiherr folgt ihr) 190
Gerda. (Gleich darauf) Edmund. (Später) Friedrich
Gerda (steht an einen Sessel gelehnt, tief Atem holend)
Edmund (von links hinten, mit einem Strauß loser Rosen. Er ist sehr gedrückt und verlegen, sucht aber Haltung zu zeigen) Gerda . . .
Gerda (ohne sich nach ihm umzudrehen, tonlos) Was willst du noch von mir?
Edmund (ihr naher tretend) Gerda, kannst du mir verzeihen?
Gerda (wie oben) Nein.
Edmund (eindringlicher) Gerda! Weißt du nicht, weshalb ich jetzt hier bin? Hat meine Mutter dir nicht gesagt . . .
Gerda (wie oben) Nur um ihretwillen hab' ich deinen Besuch angenommen. Ersieh daraus, wie ich sie verehre. Sie hätte nichts von mir fordern können, was mich größere Überwindung kostet.
Edmund Ich bin hier, um dich zu fragen . . .
Gerda (sich blitzschnell nach ihm umwendend) Was? (Sie bemerkt die Blumen, die er ihr hinhält) Ach so! Zuerst die Dornen und dann die Rosen! Das nennt man 191 Abwechslung (Sie hat ihm die Blumen abgenommen und wirft sie in einen Sessel)
Edmund Ich bin hier, um dich zu fragen, ob du meine Frau werden willst. (Da Gerda schweigt) Ich . . . äh . . . ich bitte dich hiermit um deine Hand.
Gerda (höhnisch) Sehr verbunden.
Edmund Mit Einwilligung meiner Eltern und in durchaus offizieller Weise bitte ich dich um deine Hand.
Gerda Du verstehst, dich nach der Decke zu strecken, mein Freund; das muß man dir lassen. Der reine Tausendkünstler! Vor drei Tagen schworst du mir noch, daß du mich liebst; daß ich immer auf deine Liebe bauen kann. Gestern schicktest du mir den Abschiedsbrief. Heute machst du mir einen Heiratsantrag. Geschwindigkeit ist keine Hexerei.
Edmund Gerda, wenn du 'ne blasse Ahnung hättest, was ich seit vorgestern durchgemacht habe . . .
Gerda So? Hab' ich deine Elastizität überschätzt? Hast du dir jedesmal einen Ruck geben müssen? Und soll es vorläufig damit sein Bewenden haben? Oder was für 'ne Nummer kommt morgen und übermorgen dran?
Edmund Ich bitte dich, laß den Spott! Bin schon ohnedies hart genug gestraft. Die Szene, die zwischen mir und 192 meinem Vater gespielt hat, die hast du nicht erlebt; von der kannst du dir keinen Begriff machen. Es ist ihm sauer geworden, mich so weit 'rumzukriegen, das versicher' ich dir! Fehlte nicht viel, und wir wären mit Fäusten aufeinander losgegangen. Ich hab' um dich gekämpft . . .
Gerda Wie ein Löwe.
Edmund Bis zur Bewußtlosigkeit. Mir heute absolut rätselhaft, wie er's anstellte, mich schließlich breit zu schlagen. Er hat meine momentane Konfusion mißbraucht; er hat mir den Brief abgezwungen, abgelistet . . .
Gerda Aber geschrieben hast du ihn mit eigener Hand.
Edmund Und als ich damit fertig war, da hab' ich geheult wie 'n Schloßhund.
Gerda 's ist herzerweichend.
Edmund Als er abgeschickt war, da hab' ich krampfhaft all meine Energie zusammennehmen müssen, um mir nicht schlankweg 'ne Kugel vor den Kopf zu schießen.
Gerda Und dann hast du noch einmal deine Energie zusammengenommen, hast deinen Jammer hinuntergeschluckt und bist hier angetreten, um dich nach dem bewußten Goldfisch umzusehn. 193
Edmund In was für 'ner Verfassung, Gerda! Es war 'ne Art von hypnotischem Zustand – ja, Ehrenwort, das war es. Aber als ich dann zur Besinnung kam, als ich wie aus 'nem bösen Traum erwachte . . .
Gerda Aufgerüttelt durch mich!
Edmund Was da in mir vorging, wie soll ich dir das schildern? Meine Reue, meine Zerknirschung, meine Selbstanklagen – einfach scheußlich! Und doch sagt' ich mir immer wieder: Ist ja undenkbar, positiv undenkbar, daß 'ne einzige, schwachsinnige Stunde alles verdonnern und verhageln soll, was wir zwei mit'nander geteilt haben! Eine Stunde gegen fünf selige Monate! Gerda, waren wir nicht wie die Engel im siebenten Himmel? War ich nicht dein Edmund? Warst du nicht meine süße kleine Maus? Und das alles soll sein wie nie gewesen? Gerda, wenn du mich je geliebt hast . . .
Gerda Ja, ich habe dich geliebt – mit einer Liebe, die du nicht verdient hast und nicht verstanden. Ich habe dich geliebt, weil ich in dir etwas sah, was du nicht bist, und was du in meinen Augen nie wieder werden kannst. Ich habe dir alles gegeben, was ich zu geben hatte; du hast es hingenommen mit dem Versprechen, es zu hüten wie ein Heiligtum, und mit dem Hintergedanken, daß es dir nichts andres sein könnte als ein Amüsement für einige Zeit. Du bist unehrlich gegen mich gewesen vom ersten Augenblick an; das hat dein Brief mir bescheinigt. Aus 194 ihm hab' ich dich erkannt, und mir schaudert bis ins innerste Mark hinein, wie ich mich weggeworfen habe. Fünf Monate lang bin ich deine Geliebte gewesen; aber erst gestern hast du mich entehrt. (Sie kann ihre Tränen nicht zurückhalten)
Edmund Maus! – Mäuschen! – Denk von mir, was du willst; nur nicht, daß ich aufgehört habe, dich zu lieben. Grad umgekehrt – jetzt erst ist mir's evident klar geworden, was du mir bist – jetzt, wo ich dich verlieren sollte! Gerda, ich liebe dich mehr als je. Komm, gib den dämlichen Brief heraus, damit wir ihn in tausend Stücke zerreißen – und alles wird wieder werden, wie es war; nein, noch hunderttausendmal schöner. Ja, wenn du erst mein holdes Bräutchen, wenn du mein angebetetes kleines Frauchen bist . . .
Gerda (hat ihre Tränen getrocknet; wieder gefaßt und kalt) Wahrhaftig, mein Freund, das ist eine Lösung, mit der du zufrieden sein darfst. Zwei Fliegen mit einer Klappe! Du kannst deinen Wortbruch reparieren und kriegst den großen Geldsack noch dazu. Die süße Maus und die gute Partie in einer Person – mein Liebchen, was willst du noch mehr?
Edmund Ich will nur dich. Alles andre ist mir egal.
Gerda Und wenn ich nun zufällig nicht einen reichen, hochgestellten Vater gefunden hätte – was dann? 195
Edmund Wozu noch darüber nachdenken? Du hast ihn doch gefunden, glücklicherweise!
Gerda Wenn ich das einsame, mittellose Mädchen geblieben wäre – ich frage dich: was dann? Hättest du mich dann auch weiter geliebt? Wärst du dann auch gekommen, um deinen Brief zu widerrufen?
Edmund Ja, das wär' ich.
Gerda So? Wirklich? – Und hättest mich gar auch dann gebeten, deine Frau zu werden?
Edmund Was ich dann getan hätte, das kann ich dir jetzt im Moment so genau nicht sagen. Aber eines darfst du mir unbesehen glauben: ich hätte nie und nimmer von dir lassen können! Ich hätt' es ohne dich nicht ausgehalten! Ich wäre unter allen Umständen zu dir zurückgekehrt . . .
Gerda Wenn nur erst deine Hochzeit mit dem Goldfisch vorüber gewesen wäre. Es soll ja verheiratete Männer geben, die das nicht geniert.
Edmund Nein, Ehrenwort, so hätt' ich mich nicht verheiratet! Nicht zehn Pferde hätten mich dazu gekriegt. Tag und Nacht hätt' ich meinen Alten bearbeitet, bis er klein beigegeben hätte. Und wenn's auf Spitz und Knopf 196 gekommen wäre – lieber hätt' ich ihn schießen lassen und den ganzen Krempel von Position und Karriere, als dich.
Gerda (scheinbar besiegt) Wenn es sich so verhält, Edmund – ja, dann wollen wir den Brief zerreißen.
Edmund (erleichtert, tritt auf sie zu) Na also!
Gerda (einen Schritt zurück) Aber woran soll ich erkennen, daß du diesmal die Wahrheit sprichst? Wie soll ich mich von deiner Opferbereitschaft überzeugen?
Edmund Gerda, was gäb' ich drum, wenn ich dir beweisen könnte . . .
Gerda Du kannst es mir beweisen!
Edmund Wie?
Gerda Und zwar auf der Stelle.
Edmund Wodurch?
Gerda Denn ich bin entschlossen, das großherzige Anerbieten meines Vaters nicht anzunehmen.
Edmund Was?! 197
Gerda Ich will mir nicht eine glänzende Existenz schenken lassen, für die ich nicht erzogen bin. Ich will nicht von der Gnade eines Mannes leben, der mich so lange verleugnet hat. Ich lehne die Legitimierung ab und bleibe die Gerda Hübner, als die du mich kennen und lieben lerntest.
Edmund Du scherzest wohl!
Gerda Ganz und gar nicht.
Edmund Das . . . das ist dein Ernst?
Gerda Mein voller Ernst.
Edmund Und dein Vater – was sagt der dazu?
Gerda Er kann mich wider meinen Willen nicht zurückhalten.
Edmund Gerda, bist du total von Sinnen?
Gerda Ich glaube nicht.
Edmund Ein solches kolossales, fabelhaftes Glück willst du mir nichts, dir nichts hinschmettern für 'ne Marotte, für ein Hirngespinst! 198
Gerda Ich habe ja dich – meinen künftigen Gatten! Du willst ja mein Glück sein.
Edmund Das alles ist nur Gerede, um mir auf den Zahn zu fühlen.
Gerda Wart's doch nur ab.
Edmund So etwas tut man einfach nicht.
Gerda Noch heute verlasse ich dies Haus und ziehe wieder in meine alte Stube.
Edmund Gerda, das wirst du bleiben lassen! Diese himmelschreiende Absurdität wirst du nicht begehen!
Gerda Willst du mich daran hindern?
Edmund Ja, das will ich ganz entschieden.
Gerda Mit welchem Recht?
Edmund Na, mir scheint, als dein künftiger Gatte werd' ich doch da ein Wörtchen mitzureden haben. 199
Gerda Aha!
Edmund Als dein Bräutigam werd' ich doch die Befugnis haben, dich ganz energisch von einem so frivolen Schritt abzubringen.
Gerda Frivol?
Edmund Ja, frivol – ich finde keine andere Bezeichnung dafür. Jetzt, wo uns beiden ein so seltener Treffer in den Schoß fällt; jetzt, wo für unsere Vereinigung über alle Hindernisse hinweg die soziale Möglichkeit geschaffen ist . . .
Gerda (nach der Tür deutend, gebieterisch) Geh!
Edmund Was soll das?
Gerda Geh! Du bist mir verächtlich!
Edmund (knirschend) Gerda – das Wort – das nimmst du zurück!
Gerda Geh, sag' ich dir.
Edmund Ich bin Offizier! So ein Wort darf ich nicht einstecken – auch nicht von einem Weib!
Gerda Geh, oder ich werd' es dir vor meinem Vater wiederholen. 200
Edmund Komm zu dir! überlege dir . . .
Gerda Glaubst du mir nicht? (Sie klingelt)
Edmund Du willst doch nicht etwa die Tollheit so weit treiben . . .
Gerda (zu Friedrich, der von links hinten eintritt) Mein Vater möchte sogleich hierherkommen.
Friedrich Befehl. (Ab rechts)
Edmund Noch einmal, nimm das Wort zurück, bevor es zu spät ist!
Gerda Es ist zu spät.
Edmund (wie erstarrt) Gerda! – – (Dann mit Entschluß) Das wirst du noch bereuen. (Schnell ab links hinten)
Gerda. Freiherr. (Dann) Friedrich
Freiherr (kommt von rechts, sieht Edmund gerade noch verschwinden) Was war denn das? – Er ist fort?
Gerda Für immer. Ich hab' ihm den Laufpaß gegeben. 201
Freiherr Also doch!
Gerda Jetzt hat er sich mir erst völlig entpuppt. Verzeihen Sie; ich bin nicht im stand, einen Menschen zu heiraten, den ich nicht mehr achten kann.
Freiherr Bist du dir auch klar, was das auf sich hat?
Gerda O ja. Ich habe den Plan durchkreuzt, den Sie für mich mit so viel Hingabe betrieben. Zum Lohn für all Ihren guten Willen hab' ich Sie in eine peinliche Lage gebracht. Und darum bitte ich Sie: lassen Sie mich die Folgen allein tragen! Was ich ihm gesagt habe, um ihn auf die Probe zu stellen, das wiederhole ich Ihnen als meinen ehrlichsten Wunsch: geben Sie Ihre edle Absicht auf! Ich nehme sie für empfangen an und werd' Ihnen immer ein dankbares, liebevolles Andenken bewahren. Aber gestatten Sie mir, zu bleiben, was ich war, und lassen Sie mich meiner Wege gehen! Beladen Sie sich nicht mit meinem Schicksal! Sie haben Besseres zu tun.
Freiherr Bravo, mein Kind! Bravo! Ich habe dich auch auf die Probe gestellt, und du hast sie bestanden. Du heuchelst nicht; du spekulierst nicht; du spielst nicht zweierlei Spiel; du besitzest die Kraft, dir treu zu sein. In dir ist schon der neue Tag, den ich ausgebreitet schauen möchte über das ganze Land. Du bist meine echte Tochter; bei meiner armen Seele, ich bin stolz auf dich!
Gerda Aber . . . 202
Freiherr Und du meinst, ich könnte dich jetzt wieder von mir lassen?
Gerda Die Welt, in der Sie leben! Die Gesellschaft . . .
Freiherr Ich pfeife auf die Gesellschaft. Was hat sie mir bisher geboten, was könnte sie mir noch bieten, das dich aufwiegt? Und wenn uns hier der Boden zu heiß werden sollte – das Haus Gottes hat viele Wohnungen.
Gerda Wohin Sie mich auch führen würden, mein Leben ist verpfuscht.
Freiherr Kind, du bist jung, und die Möglichkeiten des Lebens sind unbegrenzt. Um den da brauchst du nicht zu trauern. Und wenn du nur magst, dann hast du jemand, der zu dir gehört. Eine gute Weile wenigstens denk' ich noch auszuhalten. – Gerda, willst du bei mir bleiben?
Gerda (an seine Brust stürzend) Ja; denn ich habe dich lieb! – –
Friedrich (von links hinten, meldet) Herr Geheimrat Schellhorn.
Freiherr Soll hereinkommen! (Friedrich ab) 203
Gerda (hat sich erschrocken losgemacht) Aber ich . . . (Sie will gehen)
Freiherr Halt! Bleib nur hier! Diese Genugtuung sind wir uns noch schuldig.
Freiherr. Gerda. Geheimrat
Geheimrat (von links hinten, in freudiger Erregung) Exzellenz! Baronesse! Pardon, wenn ich mich verspätet habe. Aber mein Chef hat mich soeben amtlich mit der Vertretung Auberts betraut.
Freiherr Das ist so gut wie Ihre Beorderung. Ich gratuliere, Herr Ministerialdirektor!
Geheimrat Und darf man hier auch gratulieren? – Aber, wo ist denn Edmund?
Freiherr Meine Tochter muß leider verzichten.
Geheimrat Was?!
Freiherr Sie lehnt den ehrenvollen Antrag Ihres Herrn Sohnes dankend ab. 204
Geheimrat (perplex) Warum?
Freiherr Weil er nicht verstanden hat, ihr das Vertrauen einzuflößen, das für eine dauernde Verbindung notwendig ist.
Geheimrat Dieser Dummkopf!