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Viele über die wirkliche Sachlage nur unzureichend Unterrichtete haben sich über meine Heerführung nach der Schlacht von Prag aufgehalten. Ich will die Gründe meines Verhaltens hier schlicht und wahr darlegen. Die Kenner mögen dann beurteilen, wer recht hat: meine Kritiker oder ich.
Man sagt, die Belagerung von Prag wäre ein Wagnis gewesen. Anstatt das geschlagene feindliche Heer einzuschließen, hätte man es lieber entweichen lassen und dann verfolgen sollen. Darauf erwidere ich: die Blockade einer zwar geschlagenen, aber starken Armee war allerdings ein sehr schwieriges Unternehmen, wäre aber gelungen, hätte der Feind nicht, unseren anfänglichen Nachrichten entgegen, so große Proviantmagazine besessen, oder hätte Leopold Daun nicht so starke Streitkräfte zu sammeln vermocht. Das ist der Kernpunkt der Sache. Wir hatten den Feind in offener Feldschlacht geschlagen. Sein rechter Flügel war abgeschnitten und vom linken getrennt. Ich war mit aller Kavallerie und Infanterie, die ich zusammenraffen konnte, drauflosmarschiert, um die Flüchtigen von der Sazawa abzuschneiden. Das gelang so gut, daß ich sie bis an den Wischehrad drängte und sie zwang, sich in wildem Durcheinander in die Stadt zu retten. Ferner sandte ich ein Detachement hinter den Flüchtlingen her, die bei Beneschau über die Sazawa gegangen waren. Ließ ich aber die entkommen, die sich nach Prag gerettet hatten, so setzte ich das einmal Errungene wieder aufs Spiel und verpaßte eine unvergleichliche Gelegenheit, 40 000 Mann zu Kriegsgefangenen zu machen. Wir hatten sie durch unsere Stellungen und Schanzen schon von zwei Seiten derart eng umzingelt, daß sie nicht mehr an ein Entkommen zu denken wagten. Durch Feuer und Bomben hoffte ich, einige ihrer Magazine zu zerstören und sie durch Hunger zu bewältigen. Das war das einzig vernünftige Mittel, sie zur Übergabe zu zwingen. Sie wirklich zu belagern, wäre angesichts der starken Besatzung ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Die Erstürmung von Prag wäre ein Spiel mit Menschenleben gewesen, und man hätte dem Zufall mehr überlassen, als einem klugen Feldherrn erlaubt ist. Die Blockade hingegen im Verein mit dem Bombardement hatte unsere Sache so gefördert, daß sich die eingeschlossene Armee höchstens bis zum 28. Juni hätte halten können. Dann hätte sie die Waffen strecken müssen.
Hätten wir kein anderes Hindernis gehabt als die Belagerung selbst und die starke Besatzung von Prag, so wäre uns die Sache sicher geglückt. Aber folgende Schwierigkeiten wurden uns verhängnisvoll und wuchsen uns schließlich über den Kopf. Bekanntlich befand sich Feldmarschall Daun mit 14 000 Mann in vollem Anmarsch und wollte bei Prag zu Browne stoßen. Er stand am Tage der Schlacht bei Böhmisch-Brod. Ich detachierte den Herzog von Bevern mit 16 Bataillonen und 70 Schwadronen zur Vertreibung Dauns, dessen Nähe gefährlich war. Der Herzog drängte ihn in der Tat zurück, aber nicht mit der ganzen erwünschten Energie. Immerhin nahm er die Magazine von Nimburg, Suchdol, Kolin und Kuttenberg weg und warf Daun bis Czaslau zurück. Aber Daun erhielt große Verstärkungen, und auf die Nachricht hin entschloß ich mich, die Stellungen um Prag enger zusammenzuziehen und selbst mit 16 Bataillonen und 30 Schwadronen zum Herzog von Bevern zu stoßen. Inzwischen hatte Daun seinerseits den Herzog umgangen und ihn zum Verlassen der Höhen von Kuttenberg gezwungen. Als ich mich in vollem Anmarsch befand, um bei Kuttenberg zu ihm zu stoßen, sah ich ihn in Kaurzim anlangen, wo ich mich vorübergehend gelagert hatte.
Demgegenüber behaupten die Kritiker: wenn ich imstande gewesen sei, den Herzog von Bevern mit 16 Bataillonen und ebensoviel Schwadronen zu verstärken, so hätte ich das von Anfang an tun sollen. Dadurch hätte ich ihm die Ausführung meines Auftrags erleichtert, und er hätte Leopold Daun dann sicher aus Böhmen vertrieben.
Darauf antworte ich ihnen: Sie haben zwar sehr recht, es war mir aber unmöglich, soviel Leute von den Prager Besatzungstruppen fortzunehmen, bevor die Einschließungslinie enger gezogen war. Einige dieser Stellungen hatten wir erst mit dem Degen in der Hand erobern müssen. Um uns in anderen festsetzen zu können, mußten erst viel Erdarbeiten gemacht werden. Die Schlacht bei Prag hatte 16 000 Tote und Verwundete gekostet, und für die Errichtung der Batterien, deren Deckung und für die Erdarbeiten waren so viel Leute nötig, daß die Truppen nur einen um den anderen Tag Ruhe hatten. Schließlich war unser Hauptzweck die Einnahme Prags. Hätten wir unsere Kräfte von vornherein gegen Daun verwandt, so wäre vielleicht beides mißlungen.
Schön, sagt man, es mag noch hingehen, daß du Daun nicht so viel Truppen entgegenschicktest. Warum aber hast du nicht die Regel der großen Feldherren befolgt, mit der Beobachtungsarmee jeden Kampf zu vermeiden, und dich nicht damit begnügt, befestigte Stellungen zu besetzen, den Feind an der Verstärkung der Belagerten zu verhindern und durch Bewegungen und geschickte Märsche die Absichten der feindlichen Generale zu vereiteln? Darauf erwidere ich dreist: Diese Regel ist nicht allgemein gültig. Bei der Belagerung von Dünkirchen griff Turenne Don Juan d'Austria, den Prinzen Condé und Estevan de Gamare in den Dünen an, schlug sie und eroberte die Stadt. Als Ludwig XIV. Mons belagerte, schlug sein Bruder, der Herzog von Orléans, oder vielmehr der Marschall von Luxemburg, der die Beobachtungsarmee befehligte, bei Mont-Cassel den Prinzen von Oranien, der der Stadt zu Hilfe eilen wollte. Auch Prinz Eugen schlug die Türken bei Belgrad. Während der Belagerung von Tournai schlug der Marschall von Sachsen den Herzog von Cumberland bei Fontenoy, und den Marschällen La Feuillade und Marsin wird mit Recht der Vorwurf gemacht, daß sie ihre Verschanzungen bei Turin nicht verlassen haben, um dem Prinzen Eugen entgegenzutreten, der mit Riesenschritten auf Turin rückte. So verlor Frankreich im Jahre 1706 Italien einzig und allein deshalb, weil die Franzosen in ihren Verschanzungen blieben, statt sich dem Vorrücken des Prinzen Eugen entgegenzustellen. Ich glaube, das sind Beispiele genug zur Rechtfertigung eines heutigen Heerführers, der den großen Vorbildern folgen und, fehlt es ihm an Erfahrung, sich an sein Gedächtnis halten soll.
Aber nicht genug damit: ich will auch die besonderen Gründe anführen, die mich zu meinem Entschlüsse bestimmten.
Fast ganz Europa hatte sich gegen Preußen verbündet. Ich durfte nicht abwarten, bis alle meine Feinde mit vereinten Kräften über mich herfielen. Der Herzog von Cumberland brauchte Hilfe. Die Reichstruppen versammelten sich. Wären im Juli 30 000 Preußen ins Reich eingerückt, so hätten sie dies Phantom von Reichsarmee in alle Winde zerstreut und am Ende noch die Franzosen aus Westfalen herausgeworfen. Die Staatsraison gebot also, sich des nächststehenden Feindes zu entledigen, um freie Hand gegen die anderen zu bekommen.
Dazu traten mehrere strategische Gründe. Erstens wurde die Beschaffung von Fourage für die Belagerungsarmee, besonders für die Truppen bei Michle, immer schwieriger. Ein Umkreis von drei Meilen mußte ihr sichergestellt werden, damit sie ihren Unterhalt fand. Zweitens mußte sie nach Aurzinowes und der Sazawa hin geschützt werden, von wo der Feind große Detachements vorschicken konnte. Sonst hätten die Österreicher die Einschließungstruppen im Rücken angreifen können, und dann wäre es den Belagerten leicht gefallen, die Blockade an irgend einer Stelle zu durchbrechen und zu entkommen. Nun aber vermochte ich für die Beobachtungsarmee keine Stellung zu finden, die allen diesen Ansprächen genügte. Daun hatte mehr als 15 000 Mann leichter Truppen. Sobald die Stellung bei Kuttenberg aufgegeben war, konnte die preußische Armee, die bei Kaurzim stand, nicht zugleich die Sazawa und das Magazin von Nimburg decken, das durch einen Handstreich zu nehmen war. Nimburg lag zwei Meilen von unserm linken Flügel und die Sazawa drei Meilen vom rechten. Der Feind konnte sie überschreiten, wo er wollte. Die Höhen, Wälder und Defileen an beiden Ufern machten für uns die Annäherung schwierig, ja mörderisch wegen der Menge von Panduren, die die meisten Schluchten und Wälder der Gegend besetzt hielten.
Schon diese Gründe hätten genügt, um den Entschluß zur Schlacht zu fassen, aber es gab noch gewichtigere. Das Haus Österreich hatte nur noch die Daunsche Armee. War sie gründlich geschlagen, so fiel die Prager Besatzung in Kriegsgefangenschaft, und man durfte annehmen, daß der Wiener Hof, aller weiteren Hilfsmittel beraubt, dann Frieden schließen mußte. Wagte ich eine Schlacht, so hatte ich also viel mehr zu gewinnen, als zu verlieren.
Das Beispiel großer Feldherren, strategische Gründe, die auf meine Situation zutrafen, ebenso gewichtige politische Gründe, besonders aber die Hoffnung, bald zu einem allgemeinen Frieden zu gelangen, all das brachte mich dazu, den herzhaften Entschluß ängstlichen Erwägungen vorzuziehen.
Das Sprichwort: Dem Mutigen hilft das Glück, stimmt in den meisten Fällen. Einmal zur Schlacht entschlossen, nahm ich mir vor, den Feind anzugreifen, weil man damit immer am besten fährt. Ich wußte nicht, wo sich das österreichische Lager befand. Im Begriff, auf Swojschitz zu marschieren, sah ich, wie die österreichische Armee sich entfaltete und sich dort selbst festsetzen wollte. Das zwang mich zur Änderung meiner Dispositionen, da eine Kette von Sümpfen und Defileen den Angriff auf die Stellung verbot. Wir marschierten auf Planjan. Unser rechter Flügel rückte nach Kaurzim, und der linke besetzte die Höhen jenseits der Kaiserstraße von Böhmisch-Brod nach Kolin. Am folgenden Morgen (18. Juni) gingen wir zum Angriff auf den Feind vor. Mein Schlachtplan und die Gründe dazu waren folgende.
Die vom Feind besetzten Höhen bildeten einen Winkel. Sein rechter Flügel stand auf einer Hügelkette, war aber nirgends angelehnt. Das Zentrum sprang zurück, und der linke Flügel bildete mit dem andern einen rechten Winkel, dessen Schenkel sich im Zentrum trafen. Vor dem linken Flügel und hinter der Armee dehnte sich eine Kette von Sümpfen. Die Front der Österreicher sowie die Höhen waren stark mit Geschütz besetzt. Daraufhin entschied ich mich, meinen Hauptstoß mit dem linken Flügel zu machen, den rechten Flügel zu versagen, den Feind auf den Höhen bei Kolin in der Flanke zu packen und ihn gegen die Defileen zu drängen, die er im Rücken und auf seiner linken Flanke hatte. Bei der Ausführung dieses Planes wäre ein Teil des feindlichen Heeres gar nicht zum Kampfe gekommen. Auch die feindliche Artillerie hätte uns wenig anhaben können, da sie nur gegen einen Teil meiner Truppen zu feuern vermochte. Wäre der Feind dann bis gegen die Sümpfe gedrängt worden, so hätte seine Infanterie großenteils die Waffen strecken müssen.
Ich habe mir nur den einen Vorwurf zu machen, daß ich mich nicht selbst auf den äußersten linken Flügel begab, um das Gelände zu rekognoszieren. Es dehnte sich weiter aus, als man mir angegeben hatte. Unglücklicherweise wurde meine ganze Infanterie gegen meinen Befehl in kürzester Frist mit dem Feinde handgemein, und meine Kavallerie gehorchte den Generalen nicht, die sie auf den linken Flügel werfen wollten. Eine Fülle unberechenbarer Ursachen trat hinzu. Da meine gesamte Infanterie des ersten Treffens zur Unzeit ins Gefecht kam, wurde auch das zweite Treffen sofort mit hineingezogen, und ich hatte nicht mehr ein Bataillon übrig, um den Angriff des linken Flügels zu unterstützen. Er hatte bereits drei Stellungen erobert und siebenmal hintereinander frische Truppen, die man ihm entgegenwarf, angegriffen. Vier frische Bataillone hätten die Schlacht gewonnen: war doch der rechte feindliche Flügel gänzlich geschlagen. Es fehlte also nur wenig, und die Schlacht wäre völlig nach Wunsch verlaufen. Die Niederlage des rechten Flügels zwang mich, gegen 9 Uhr zurückzugehen. Die Armee marschierte nach Nimburg. Sie hatte 10 000 Mann der besten Infanterie verloren und war daher zu schwach, um die Stellung von Planjan zu halten.
Da sich nun kein Beobachtungskorps mehr zwischen der Daunschen Armee und den Blockadetruppen von Prag befand, so mußte die Belagerung aufgehoben werden. Ich eilte dorthin, und am 20. marschierte ich unter klingendem Spiel mit allen Truppen, die vor der Neustadt standen, nach Brandeis, ohne daß die Belagerten mir zu folgen wagten. Auf dem Rückmarsch wurde Feldmarschall Keith von der Festungsartillerie beschossen. Ich ließ die Stellung von Alt-Bunzlau besetzen und marschierte nach Neu-Lysa, indem ich Alt-Bunzlau eine Meile zur Rechten und Nimburg eine Meile zur Linken ließ. Feldmarschall Keith wurde nach Minkowitz geschickt.
Die Zeitumstände zwangen mich zur Bildung von zwei Armeen. Die eine sollte den Österreichern entgegentreten und einen Verteidigungskrieg zur Deckung der Lausitz und Schlesiens führen. Die zweite sollte Sachsen decken und gleichzeitig den Franzosen, die in Westfalen standen, dem Korps unter dem Prinzen von Soubise, den Reichstruppen und den Schweden entgegentreten, die Pommern mit einem Einfall bedrohten. Diese Aufgabe übernahm ich selbst, weil ich sie für die schwierigste hielt. Den Oberbefehl der ersten Armee, die die Lausitz decken sollte, übertrug ich meinem Bruder und gab ihm zur Unterstützung die besten Generale. Mein Bruder besitzt Geist, Kenntnisse und das beste Herz von der Welt, aber keine Entschlußfähigkeit. Er ist viel zu zaghaft und hat eine Abneigung gegen herzhafte Entschlüsse.
Ich setzte mich in Marsch, um mich mit Feldmarschall Keith zu vereinigen. Ich glaubte ihn bei Welwarn und fand ihn in Leitmeritz eingekeilt. Dort im Lager ergriff ich die nötigen Maßnahmen, um mich im voraus aller Pässe und Übergänge nach Sachsen zu bemächtigen. Nun lagerte sich Nadasdy mit 10 000 Mann bei Gastorf. Ich hatte 3000 bis 4000 Mann leichter Truppen rechts und links auf den Bergen, dazu 3000 Verwundete und ein großes Magazin in Leitmeritz. Die Stadt wird von den umliegenden Höhen beherrscht. Sie konnte nur von einem Korps verteidigt werden, das ihre Zugänge besetzte. Ich stellte dort 13 Bataillone und 20 Schwadronen unter meinem Bruder Heinrich auf, der sich der Aufgabe vorzüglich entledigte.
Die Armee meines Bruders rückte nach Böhmisch-Leipa, um sich Zittau zu nähern, wo sich ihr Magazin sowie eine Verstärkung von 6000 Mann befand, die General Brandes ihr aus Schlesien zuführte. Alles verlief leidlich bis zum 14. Juli, wo Daun auf der linken Flanke meines Bruders das Lager von Niemes bezog. In Gabel, das zur Verbindung unserer Armee mit Zittau diente, stand eine Besatzung. Mein Bruder duldete es, daß sich der Feind in seiner Flanke lagerte, und bezog keine andere Stellung. Er wußte, daß Gabel angegriffen wurde. Aber anstatt mit seiner ganzen Armee dorthin aufzubrechen, ließ er es geschehen, daß die Österreicher den Ort eroberten. Dadurch war ihm der beste Weg zum Rückzug nach der Lausitz abgeschnitten. Erst am 17. Juli trat er durch Defileen und auf höchst schwierigen Straßen den Marsch nach Zittau an. Er ließ dem Feinde Zeit, alle diese Defileen mit leichten Truppen zu besetzen, und so verlor er auf dem Rückzuge fast sein ganzes Gepäck. Er kam später in Zittau an als Daun. Die Österreicher hatten bereits die Höhen besetzt, und er konnte sie nun nicht mehr einnehmen. Der Feind bombardierte die Stadt, schoß sie in Brand und legte sie in Asche. Nun blieb weiter nichts übrig, als die Besatzung, so gut es ging, herauszuziehen. Darauf ging mein Bruder ohne Verluste nach Löbau und von da nach Bautzen zurück (27. Juli).
Alle diese falschen Operationen zwangen mich zur Änderung meiner Maßnahmen. Ich räumte Böhmen ohne Verlust an Bagage, Magazinen und Verwundeten und bot alles auf, um möglichst bald Pirna zu erreichen. Dort setzte ich mit 16 Bataillonen und 28 Schwadronen über die Elbe und traf bei der Armee meines Bruders am 29. Juli ein. Feldmarschall Keith folgte mir. Prinz Moritz wurde mit 14 Bataillonen und 20 Schwadronen bei Cotta postiert, um die Elbe zu decken, und Feldmarschall Keith marschierte auf Bautzen.
In dieser kritischen Lage mußte ich meine Zuflucht zu Gewaltmaßregeln nehmen. Um die Situation richtig zu beurteilen, muß man sich die allgemeine Lage Europas vergegenwärtigen. 60 000 Russen marschieren gegen die Provinz Preußen. Ein russisches Korps hat bereits Memel genommen, während sich die Hauptarmee zehn Meilen von der Grenze bei Kowno verschanzt hat. Eine russische Kriegsflotte bedroht die Küsten mit einer Landung. Lehwaldt sieht sich darauf beschränkt, die Hauptstadt der Provinz zu schützen, und muß abwarten, ob sich eins der feindlichen Korps ihm nähern wird, um es zu schlagen. Ich selbst erhalte die Nachricht, daß der Herzog von Cumberland geschlagen ist, und daß 40 000 Franzosen von Westfalen her gegen das Halberstädtische vordringen. Alles, was ich tun kann, besteht darin, die 6 Bataillone der Besatzung von Wesel nach Magdeburg zu werfen, so daß sich dort insgesamt 10 Bataillone befinden. Prinz Soubise rückt von Weimar heran, um in Sachsen einzufallen. Die Schweden haben bereits gegen 10 000 Mann bei Stralsund stehen. Ich habe zwei Regimenter Infanterie nach Stettin geschickt. Zwei Bataillone sind zur Zeit dort. Das macht mit 10 Bataillonen Milizen, die ich außerdem aushebe, im ganzen 16 Bataillone. Ein Korps von 8000 bis 10 000 Ungarn ist bei Landeshut in Schlesien eingebrochen, und ein anderes, ebenso starkes soll von Teschen her eindringen.
Wäre auch meine Armee noch so stark wie zu Beginn des Frühlings, ich könnte der Überzahl meiner Feinde doch nur mit Mühe entgegentreten. Gegenwärtig kann ich nur eine einzige Armee bilden und mit ihr dem gefährlichsten Gegner die Spitze bieten. Zaudere ich, die Österreicher aus der Lausitz zu verjagen, so werden sie große Detachements in die Kurmark schicken und sie mit Feuer und Schwert verheeren. Greife ich die Österreicher an und verliere die Schlacht, so beschleunige ich meinen Untergang um einen Monat. Habe ich aber noch so viel Glück, sie zu schlagen, so kann ich die Lausitz von ihnen säubern, dort ein Verteidigungskorps lassen, einen Teil der Truppen nach Schlesien senden, selbst nach dem Halberstädtischen marschieren, um den Franzosen entgegenzutreten, und so Zeit gewinnen. In meiner schlimmen Lage ist das also der sicherste, mutigste und ehrenvollste Ausweg.
Ich hielt mich für verpflichtet, dem Staat und der Nachwelt Rechenschaft über meine Lage und die Gründe zu geben, die mich zu diesem und zu keinem anderen Entschlüsse bewogen haben, damit mein Andenken nicht durch ungerechte Anklagen entehrt werden kann. Ich zweifle nicht, daß es in der Welt eine Menge geschickterer Leute gegeben hat als mich. Ich bin völlig überzeugt, daß mir sehr viel an der Vollendung fehlt. Nur in der Liebe zum Vaterlande, im Eifer für seine Erhaltung und seinen Ruhm nehme ich es mit der ganzen Welt auf. Diese Gefühle werde ich bis zum letzten Atemzuge bewahren.
Am 3. Dezember war Ruhetag. Am Vormittag erhielten die Generale, Regiments- und Bataillonkommandeure Befehl, sich zum König zu begeben. Er sagte zu ihnen:
»Der Feind steht in einem befestigten Lager vor Breslau, das meine Truppen mit Ehren verteidigt haben. Morgen marschiere ich, um ihn anzugreifen. Ich bin nicht in der Lage, über mein Verhalten Rechenschaft zu geben, auch nicht über die Gründe, die meinen Entschluß bestimmen. Ich weiß und kenne die Schwierigkeiten, die diesem Vorhaben entgegenstehen, aber in meiner Lage gibt es nur Sieg oder Tod. Unterliegen wir, so ist alles verloren. Gedenken Sie, meine Herren, daß wir in dieser Schlacht für unseren Ruhm kämpfen werden, für Haus und Herd, Weib und Kind. Wer wie ich denkt, kann versichert sein, wenn er fällt, daß ich mich seiner Frau und seiner Kinder annehmen werde; wer aber lieber seinen Abschied haben will, kann ihn auf der Stelle erhalten, doch er muß auf jede Wohltat von mir verzichten.«
Man kann sich denken, daß niemand so feig war, um seinen Abschied zu bitten. Alle schworen dem König zu, sie wollten ihm mit ihrem Blut und Leben die Schlacht gewinnen helfen.