Gustav Freytag
Die Journalisten
Gustav Freytag

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Oberst.

Oberst (der durch die Mittelthür eingetreten, mit erzwungener Ruhe). Du sollst darüber nicht in Ungewißheit bleiben, meine Tochter! – Sie, Herr Professor, bitte ich zu vergessen, daß Sie in diesem Hause einst Freundschaft gefunden haben; von dir fordre ich, daß du nicht mehr an die Stunden denkst, wo dich dieser Herr von seinen Gefühlen unterhalten hat. – (heftiger) Still, in meinem Hause wenigstens ertrage ich von einem Journalisten keine Angriffe. Vergiß ihn, oder vergiß, daß du meine Tochter bist. Hinein! (führt Ida ohne Härte ab nach links, stellt sich vor die Thür.) Auf diesem Posten, mein Herr Redacteur und Abgeordneter, vor dem Herzen meines Kindes sollen Sie mich nicht schlagen. (Ab nach links.)

Adelheid (bei Seite.) O weg, das ist arg!

Oldendorf (bevor der Oberst sich zum Abgang wendet, entschlossen). Herr Oberst, es ist unedel, mir jetzt eine Unterredung zu verweigern! (geht auf die Thür zu.)

Adelheid (ihm schnell in den Weg tretend). Halt, nicht weiter! Er ist in einer Aufregung, wo jedes Wort Unheil stiften würde! – Gehen Sie aber nicht so von uns, Herr Professor, schenken Sie mir noch einige Augenblicke.

Oldendorf. Ich muß in dieser Stimmung Ihre Nachsicht erbitten. Lange habe ich eine ähnliche Scene gefürchtet, und fühle jetzt doch kaum die Kraft, meine Fassung zu bewahren.

Adelheid. Sie kennen unsern Freund, und wissen, daß sein lebhaftes Gefühl ihn zu Uebereilungen hinreißt, die er wieder gut zu machen eilt.

Oldendorf. Das war schlimmer als eine Laune. Es ist ein Bruch zwischen uns beiden, – ein Bruch, der mir unheilbar scheint.

Adelheid. Unheilbar, Herr Professor? Ist Ihr Gefühl für Ida, wie ich annehme, so ist die Heilung nicht schwer. Wäre es nicht an Ihnen, den Wünschen des Vaters noch jetzt, gerade jetzt nachzugeben? Verdient nicht das Weib, welches Sie lieben, daß Sie Ihren Ehrgeiz wenigstens einmal zum Opfer bringen?

Oldendorf. Meinen Ehrgeiz, ja, meine Pflicht nicht.

Adelheid. Ihr eigenes Glück, Herr Professor, scheint mir für lange, vielleicht für immer zerstört, wenn Sie von Ida auf solche Weise getrennt werden.

Oldendorf (finster). Nicht Jeder kann in seinem Privatleben glücklich werden.

Adelheid. Diese Resignation gefällt mir gar nicht, am wenigsten an einem Mann; verzeihen Sie, daß ich das gerade heraussage. (gutmüthig) Ist das Unglück denn so groß, wenn Sie einige Jahre später, oder niemals Vertreter dieser Stadt werden?

Oldendorf. Mein Fräulein, ich bin nicht eingebildet, ich schlage meine Kraft nicht eben hoch an, und so weit ich mich kenne, verbirgt sich kein ehrgeiziger Drang auf dem Grund meiner Seele. Es ist möglich, daß, wie jetzt Sie, auch eine spätere Zeit unsern politischen Hader, unsere Parteibestrebungen und was damit zusammenhängt, sehr niedrig schätzen wird. Es ist möglich, daß unser ganzes Arbeiten erfolglos bleibt; es ist möglich, daß vieles Gute, das wir ersehnen, sich, wenn es erreicht ist, in das Gegentheil verkehrt, ja, es ist höchst wahrscheinlich, daß mein eigener Antheil an dem Kampfe oft peinlich, unerquicklich und durchaus nicht das sein wird, was man eine dankbare Thätigkeit nennt; aber das alles darf mich nicht abhalten, dem Kampf und Ringen der Zeit, welcher ich angehöre, mein Leben hinzugeben; denn es ist trotz alledem dieser Kampf das Höchste und Edelste, was die Gegenwart hervorbringt. Nicht jede Zeit erlaubt ihren Söhnen Erfolge zu erobern, welche für alle Zeiten groß bleiben, und ich wiederhole es, nicht jedes Jahrhundert ist geeignet, die Menschen, welche darin leben, stattlich und glücklich zu machen.

Adelheid. Ich denke, jede Zeit ist dazu geeignet, wenn die einzelnen Menschen nur verstehen wollen, tüchtig und glücklich zu werden. (aufstehend) Sie, Herr Professor, wollen für das kleine Hausglück Ihres Lebens nichts thun, Sie zwingen Ihre Freunde, für Sie zu handeln.

Oldendorf. Zürnen Sie wenigstens so wenig als möglich, und sprechen Sie für mich bei Ida.

Adelheid. Ich werde versuchen, mit meinem Frauenverstand zu nützen, mein Herr Staatsmann. (Oldendorf ab.)

Adelheid (allein). Das also ist einer von den Edlen, Hochgebildeten, von den freien Geistern deutscher Nation? Sehr tugendhaft und außerordentlich vernünftig! er klettert auch aus reinem Pflichtgefühl ins Feuer! Aber etwas zu erobern, die Welt, das Glück, oder gar eine Frau, dazu ist er doch nicht gemacht.

Karl.

Karl (meldend). Herr Doctor Bolz!

Adelheid. Ah! – Der wenigstens wird kein solcher Tugendheld sein! – Wo ist der Herr Oberst?

Karl. Im Zimmer des gnädigen Fräuleins.

Adelheid. Führen Sie den Herrn hier herein. (Karl ab.) – Ich fühle einige Verlegenheit, Sie wieder zu sehen, Herr Bolz, ich will mir Mühe geben, Ihnen das nicht zu zeigen.

Bolz.

Bolz. Soeben verläßt Sie eine arme Seele, die vergebens nach ihrer Philosophie sucht, um sich zu trösten; auch ich komme als Unglücklicher, denn ich habe gestern Ihr Mißfallen erregt, und ohne Ihre Gegenwart, welche eine muthwillige Scene abkürzte, würde mir Herr von Senden im Interesse des gesellschaftlichen Anstandes wohl noch ärger mitgespielt haben. Ich danke Ihnen für die Erinnerung, welche Sie mir gaben; ich nehme sie als Beweis, daß Sie mir Ihre freundschaftliche Theilnahme nicht entziehen wollen.

Adelheid (bei Seite). Sehr artig, sehr diplomatisch! – Es ist freundlich von Ihnen, daß Sie mein auffallendes Benehmen so gut deuten. – Aber verzeihen Sie noch eine dreiste Einmischung. Jene Scene mit Herrn von Senden wird doch nicht die Veranlassung zu einer neuen werden?

Bolz (bei Seite). Immer dieser Senden! – Ihr Interesse an ihm soll für mich ein Grund sein, weitere Folgen zu verhüten. Ich glaube, daß ich es vermag.

Adelheid. Ich danke Ihnen. Und jetzt lassen Sie sich sagen, daß Sie ein gefährlicher Diplomat sind. Sie haben hier im Hause eine vollständige Niederlage angerichtet. – An diesem trüben Tage hat mich nur Eins gefreut, die einzelne Stimme, welche Sie zum Deputirten machen wollte.

Bolz. Es war ein toller Einfall des ehrlichen Weinhändlers.

Adelheid. Sie haben sich so viel Mühe gegeben, Ihren Freund durchzusetzen. Warum haben Sie nicht für sich selbst gearbeitet? Der junge Herr, den ich einst kannte, hatte einen hohen Sinn, und nichts erschien seinem fliegenden Ehrgeiz unerreichbar. Sind Sie anders geworden, oder brennt das Feuer noch?

Bolz (lächelnd). Ich bin Journalist geworden, gnädiges Fräulein.

Adelheid. Das ist Ihr Freund auch.

Bolz. Nur so nebenbei, ich aber gehöre zur Zunft. Wer dazu gehört, kann den Ehrgeiz haben, witzig oder bedeutend zu schreiben; was darüber hinausgeht, ist nicht für uns.

Adelheid. Nicht für Sie?

Bolz. Dazu sind wir zu flüchtig, zu unruhig und zerstreut.

Adelheid. Ist das Ihr Ernst, Konrad?

Bolz. Mein völliger Ernst. Warum soll ich mich Ihnen anders zeigen, als ich bin? Wir Zeitungsschreiber füttern unsern Geist mit Tagesneuigkeiten, wir müssen alle Gerichte, welche Satan für die Menschen kocht, in den allerkleinsten Bissen durchkosten, darum müssen Sie uns schon etwas zu Gute halten. Der tägliche Aerger über das Verfehlte und Schlechte, die ewigen kleinen Aufregungen über alles Mögliche, das arbeitet in dem Menschen. Im Anfange ballt man die Faust, später gewöhnt man sich darüber zu spotten. Wer immer für den Tag arbeitet, ist es bei dem nicht auch natürlich, daß er in den Tag hinein lebt?

Adelheid (unruhig). Das ist ja traurig!

Bolz. Im Gegentheil. Es ist ganz lustig. Wir summen wie die Bienen, durchfliegen im Geist die ganze Welt, saugen Honig, wo wir ihn finden, und stechen, wo uns etwas mißfällt. – Ein solches Leben ist nicht gerade gemacht, große Heroen zu bilden, es muß aber auch solche Käuze geben, wie wir sind.

Adelheid (bei Seite). Jetzt fängt der auch an, und er ist noch ärger als der Andere.

Bolz. Wir wollen deshalb nicht gefühlvoll werden! Ich schreibe frisch drauf los, so lange es geht. Geht's nicht mehr, dann treten Andere für mich ein und thun dasselbe. Wenn Konrad Bolz, das Weizenkorn, in der großen Mühle zermahlen ist, so fallen andere Körner auf die Steine, bis das Mehl fertig ist, aus welchem vielleicht die Zukunft ein gutes Brot bäckt zum Besten Vieler.

Adelheid. Nein! Nein! Das ist Schwärmerei, solche Resignation ist ein Unrecht.

Bolz. Solche Resignation findet sich zuletzt bei jedem Berufe. Sie ist nicht Ihr Loos! Ihnen gebührt ein anderes Glück, und Sie werden es finden. – (Mit Gefühl.) Adelheid, ich habe Ihnen als Jüngling zärtliche Verse geschrieben und mich in thörichten Träumen gewiegt; ich habe Sie sehr lieb gehabt, und die Wunde, welche mir unsere Trennung schlug, sie schmerzt zuweilen noch. (Adelheid macht eine abwehrende Bewegung.) – Erschrecken Sie nicht, ich werde Sie nicht verletzen. – Ich habe lange mit meinem Schicksal gegrollt und hatte Stunden, wo ich mir vorkam wie ein Verstoßener. Aber jetzt, wo Sie vor mir stehen in vollem Glanze, so schön, so begehrungswert, wo mein Gefühl für Sie so warm ist wie jemals, jetzt muß ich doch sagen: Ihr Vater hat zwar rauh an mir gehandelt, aber daß er uns trennte, daß er Sie, die reiche Erbin, an Ansprüche gewöhnt, in bestimmte Kreise eingelebt, verhinderte, Ihr Leben einem wilden Knaben zu schenken, der immer mehr Uebermuth als Kraft gezeigt hatte, das war doch sehr verständig, und er hat ganz recht damit gethan.

Adelheid (in Aufregung seine Hände ergreifend). Ich danke Ihnen, Konrad, ich danke Ihnen, daß Sie so von meinem verstorbenen Vater reden. Ja, Sie sind gut, Sie haben ein Herz; es macht mich sehr glücklich, daß Sie mir das gezeigt haben.

Bolz. Es ist nur ein ganz kleines Taschenherz zum Privatgebrauch, es geschah wider meine Willen, daß es so zum Vorschein kam.

Adelheid. Und jetzt genug von uns beiden. Hier im Hause braucht man unsere Hilfe. Sie haben gesiegt, haben Ihren Willen vollständig gegen uns durchgesetzt, ich unterwerfe mich und erkenne Sie als meinen Meister an. Jetzt aber üben Sie Gnade und werden Sie mein Verbündeter. Bei diesem Streit der Männer ist rauh in das Herz eines Mädchens gegriffen worden, das ich liebe. Ich möchte das gut machen, und wünsche, daß Sie mir dabei helfen.

Bolz. Befehlen Sie über mich.

Adelheid. Der Oberst muß versöhnt werden. Sinnen Sie etwas aus, das geeignet ist, sein krankes Selbstgefühl zu heilen.

Bolz. Ich habe daran gedacht und Einiges vorbereitet. Leider kann ich nichts thun, als ihm fühlbar machen, daß sein Zorn gegen Oldendorf eine Thorheit ist. Den milden Sinn, der zur Versöhnung treibt, werden Sie allein hervorrufen können.

Adelheid. So müssen wir Frauen unser Heil versuchen.

Bolz. Ich eile, unterdeß das Wenige zu thun, was ich vermag.

Adelheid. Leben Sie wohl, Herr Redacteur. Und denken Sie nicht allein an den Lauf der großen Welt, sondern zuweilen auch an eine einzelne Freundin, welche an dem unwürdigen Egoismus leidet, auf ihre eigene Hand das Glück zu suchen.

Bolz. Sie haben immer Ihr Glück darin gefunden, für das Glück Anderer zu sorgen. Wer diesen Egoismus hat, für den ist es keine Kunst, glücklich zu sein. (Bolz ab.)

Adelheid (allein). Er liebt mich noch! – Er ist ein zartfühlender, hochherziger Mensch! – Aber auch er ist resignirt, sie sind alle krank, diese Männer. Sie haben keine Courage! Aus lauter Gelehrsamkeit und Nachdenken über sich selbst haben sie das Vertrauen zu sich selbst verloren. Dieser Konrad! warum sagt er nicht zu mir: Adelheid, ich wünsche Sie zur Frau? Er ist ja sonst unverschämt genug! Behüte, er philosophirt über meine Art Glück und seine Art Glück! Es war Alles sehr schön, aber es ist doch nichts als dummes Zeug. – Da sind meine Junker auf dem Land ganz andere Leute. Die tragen kein großes Bündel Weisheit mit sich herum und haben mehr Grillen und Vorurtheile, als verzeihlich ist; aber sie hassen und lieben doch tüchtig und trotzig darauf los, und vergessen die Sorge für ihr eigenes Wohlbefinden niemals. Sie sind besser daran, ich lobe mir das Land, die frische Luft und meine Aecker. – (Pause; mit Entschlossenheit) Die Union soll verkauft werden! Der Konrad soll mir auf das Land, damit er seine Grillen verliert! (Setzt sich und schreibt; klingelt.)

Karl.

Diesen Brief an Herrn Justizrath Schwarz, ich bitte ihn, sich in einer dringenden Angelegenheit zu mir zu bemühen. (Karl ab.)


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