Gustav Freytag
Ingo und Ingraban
Gustav Freytag

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8. Die letzte Nacht

Um die Türme der Königsburg tobte der uralte Streit der Winterriesen gegen die guten Götter, welche das Wachstum auf der Menschenerde schützen. Die harten Gewaltigen hoben ein graues Wolkendach zwischen Himmelslicht und Erde, sie bedrängten auch den Helden Ingo durch finstere Gedanken und durch Sorge um das Heil derer, die ihm lieb waren. Die Sturmgeister trieben die Schneewehen durch die Ritzen der Herberge bis auf die Schlafdecken der Gäste: selbst der Krieger, welcher einen Bärenpelz trug, merkte den scharfen Zahn des Frostes, drängte sich bei Tage zum Herdfeuer in den Hallen des Wirtes und sang bekümmert: »Schneezeit ist dem fahrenden Helden leid, denn sein bester Freund wird das Tannenscheit.« Die unholden Feinde des Lebens schieden auch den Strom durch schwere Eisdecke von der freien Luft, zornig schlug und hämmerte der Nix, welcher in der Tiefe sein Heimwesen führt, von unten gegen die kristallene Last. Was aber unter der Eisdecke wogte, welche die Gedanken der Königin verbarg, das wußte keiner: sie allein saß still unter den streitenden Männern, stets gleich war ihre kalte Freundlichkeit gegen die Fremden; nur dem König dünkte, daß Frau Gisela weniger hochfahrend sprach als ehedem. Wenn der Nordwind seine Todeslieder um die Türme des Königs heulte, dann murrte Bisino zuweilen gegen seine Gäste, aber immer wieder überwand das Wohlgefallen an dem Fremden den Ärger, und so oft ein Sonnenstrahl die Schneedecke rötlich färbte, rief er: »Diesen Winter rühme ich, denn ich höre gute Worte an der Herrenbank und in der Kammer.« Zu den Jagdreisen, welche vom Könige den Helden bereitet wurden, kam auch ein Kriegszug gegen einen Gau der Sachsen, dorthin ritten die Vandalen neben den Königsmannen; und als die Helden siegreich und mit Beute beladen heimkehrten, pries der König laut das gute Schwert Ingos, und seine Knaben saßen seitdem geduldig mit den Fremden um die Bänke.

Wer Schnee schmolz im Frühlingslicht, neues Grün schoß aus dem Boden, an Birken und Haseln hingen die braunen Kätzchen; auch in den Seelen der Menschen regte sich die Hoffnung des neuen Lebens und der Wunsch nach Ausfahrt aus dem Winterdach. Die ersten Wandervögel flogen aus dem Süden heran, mit ihnen Volkmar der Sänger, er kündete in der Königshalle vergangene Kämpfe der Götter und Helden und sang leise in Ingos Ohr von der Trauer und Sehnsucht eines Waldvogels. Dann berichtete er, daß in den Lauben Unfriede und harte Rede den Sinn der Weisen beschwerten. Theodulf saß noch als siecher Mann im Hofe des Fürsten, die Freundschaft des Sintram war dort mächtig, und Herr Answald herrschte unwirsch über die Bankgenossen und hatte den Sänger zur Hochzeit der Tochter für die Maienzeit gefordert. Aber auch aus der Königsburg gingen vertrauliche Grüße in die Wälder. Wolf erhielt einen Urlaub in seine Heimat. Er sprach vor seiner Reise heimlich mit seinem Herrn und Berthar, rastete auf dem Wege in den Höfen des Rothari und Bero und ritt mit Bero auf wenig betretenen Waldwegen südwärts dem Main zu. Als er zurückkehrte, sah man in der Gastherberge frohe Mienen.

Endlich sprengte auch der Strom die Eisdecke und ergoß seine Flut herrschlustig über das junge Grün der Wiesen, im plötzlichen Schwall rauschten seine Wasser und die Menschen merkten scheu die Gewalt des Unbändigen. Aber der Ostwind erhob gegen ihn starkes Blasen, er dämpfte die Flut und trocknete den Grund am Rande der Waldhügel. Der Falkner hatte dem Königssohn zwei junge Bussarde zur Jagd auf kleine Vögel abgerichtet, und Hermin erbat an einem Morgen vom Vater den Ausritt, um die Kunst der geflügelten Jäger zu prüfen. Schon war das Roß des Königs für die Beize gesattelt, da sprengte ein Bote in den Hof und trug Nachrichten zu, welche dem König die Braue finster zusammenzogen. Er ließ sein Roß zurückführen und sandte den Sohn mit der Königin und dem Helden Ingo auf die Hügel. Warm schien die Sonne, zum erstenmal ritt Ingo neben der Königin ohne ihr Gefolge in das offene Land. Der Falkner löste dem Bussard die Haube, der junge König jagte mit dem Helden Valda und seinen Begleitern jauchzend unter dem Vogel dahin. Gemächlicher folgte die Königin. Sie tummelte mit geröteten Wangen ihr feuriges Roß und lachte ihrem Begleiter zu, der sich über das schöne Weib an seiner Seite freute und vorsorglich auf die Sprünge ihres Rosses achtete. Als er einmal helfend in den Zügel griff, hielt die Königin an und sprach: »Ich denke des Tages, wo du einem Kinde denselben Dienst tatest, als wir weit von hier nebeneinander über die bunten Blumen dahinritten; damals saß ich ängstlicher, aber ich wollte dich's nicht merken lassen.«

»Runder war an jenem Tage das Antlitz meiner königlichen Base,« rief Ingo lustig, »und kürzer die Locke, welche um das Haupt flog. Aber als du mir hier in der Halle entgegentratst und den König so günstig an alte Zeit mahntest, da erkannte ich aus der stolzen Miene das Gesicht des kleinen Mädchens, und ich merkte wohl, daß ich dir den Dank schulden werde, wenn man in der Königsburg mir Gnade erwies.«

Die Königin lachte und trieb ihr Roß wieder in wilden Sprüngen umher, bis die Reiter vor ihr hinter einer Erdwelle verschwanden, dann hielt sie von neuem an und sprach herzlich: »Danke mir immerhin, Ingo, denn gern höre ich, daß ich dir wert bin. Beide sind wir aus unserer Heimat in die Fremde gescheucht, seit der Haß meines Geschlechtes uns trennte. Auch ich vergaß deiner nicht, oft habe ich nach dir gefragt, wenn ein Wanderer aus dem Süden in die Burg kam. Wie ein Bruder im Unglück wurdest du mir, und mit Stolz vernahm ich, daß du dich edel hieltest unter schwerem Geschick. Als du endlich zu uns drangst, wurde ich froher als wohl sonst.« Sie sah ihn so freundlich an, daß er, unter dem Zauber ihres Blickes hingerissen, nach ihrer Hand griff, sie streckte ihm den weißen Arm entgegen und ritt so, das Antlitz ihm zukehrend, eine Weile neben ihm hin. Dann warf sie übermütig seine Hand zurück, jagte aufs neue in wilden Roßsprüngen über das Feld und wandte sich rückwärts, ob er ihr nachkam. Und wieder sprach sie lachend: »Ein anderer denkt dich zu halten wie einen Jagdfalken unter der Kappe, aber ich meine wohl, der Aar schwingt sich einmal frei auf und zieht seine eigenen Pfade im Sonnenlicht. Denn du, Vetter, bist nicht geschaffen, Diener eines anderen zu sein, und wer dich festhalten will, der sehe zu, daß ihn die Fänge nicht verwunden.«

Als die Königin vertrauliche Reden begonnen hatte, gedachte der Held, ihr etwas aus den Waldlauben zu sagen, was ihm sonst immer auf der Seele lag, aber bei den Worten und den Augen der Königin gelang es ihm nicht, bis sie selbst mit verändertem Tone sprach: »Und doch hing einst der Edelfalk mit gebundenen Flügeln im Hofe des Bauern. Ich preise die Torheit des Vaters, weil sie das ruhmlose Band zerrissen hat, denn dir ziemt das Höchste zu begehren. Nur kühne Gewalttat vermag dich herauszuheben über die Häupter der anderen, daran denke, Ingo. Komm zu meinem Sohn, mich freut's, daß das Kind dir vertraut, keinen besseren Lehrmeister wünsche ich ihm für alles Heldenwerk als dich.« Wieder jagte sie vor ihm hin, der Königsmantel und ihre Locken flogen im Winde, sie warf den kleinen Wurfspeer, den sie in der Hand hielt, vor sich in die Luft und fing ihn im Laufe; Ingo aber blieb jetzt hinter ihr zurück, bis beide sich dem Jagdzug anschlossen und dem kämpfenden Bussard zuriefen, der mit einem Wasserhuhn in den Fängen herabsank.

Als der Jagdzug in die Königsburg zurückkehrte, fand er dort ungewöhnliche Bewegung, Reiter kamen und gingen, die Diener trugen Teppiche und Polster in das steinerne Haus, welches für vornehme Gäste bestimmt war, von der Königshalle her tönte Geklirr der Waffen und Hufschlag zahlreicher Rosse. Ingo sprang mit dem jungen Königssohn am Schlafhaus der Vandalen vom Pferde und Berthar eilte ihm entgegen: »Während du draußen den Habichten nachschautest, stieß ein anderer Raubvogel in den Königshof. Der Cäsar hat neue Botschaft gesandt, und wer, meinst du, kam als Bote? Der wildeste Gesell aus dem Römerheer, der Franke Harietto, den sie den Heervertilger nennen, er, der einst den raubenden Sachsen in der Waldesnacht die Köpfe abschnitt und wie Kohlhäupter nach der Stadt trug. Schon bevor er kam, schritt der König finster durch die Höfe, verlegen war seine Antwort auf meinen Gruß, und die Königsknaben sahen über die Achsel auf uns und mieden unsere Gesellschaft. Eben war ein Kämmerer des Königs in der Herberge und verkündete stotternd, daß er dein Mahl hierher tragen werde, damit du nicht den Römern an der Bank des Königs begegnest.«

»Ist's nicht beim Mahle, so sei es im Hofe,« versetzte Ingo, »wir bergen unser Antlitz vor dem Ungetüm nicht; meint seine Botschaft mich, so ist gut, wenn wir sie früh erfahren. Komm, Vetter,« rief er den Königssohn, »sehen wir zu, wie die Fremden reiten, und der König die Boten der Römer begrüßt.« Das Kind ging neben ihm über den Hof in den großen Burgraum vor der Königshalle. Dort standen die Fremden vor den Rossen, während der König dem Gesandten die Ansehnlichsten aus seinem Gefolge bei Namen nannte und dieser von Mann zu Mann schritt, mit kriegerischem Gruße hier und da einzelne Worte spendend. Über die hohen Knaben des Königs ragte der römische Franke fast um eines Hauptes Höhe. Wie ein Riese stand er da, gewaltig an Schultern und Gliedern, die Arme besteckt mit Ringen, auf dem Schuppenpanzer goldene Kaiserbilder. Unter dem Helme starrten die buschigen Brauen, düster war sein Blick, kaum bemerkbar sein höfliches Lächeln.

Als Bisino mit seinem Gast eine Wendung machte, trat er plötzlich Ingo gegenüber, der den König schweigend grüßte und ihm den Knaben zuführte. Der König ergriff schnell die Hand seines Sohnes und zog ihn an sich. Aber der Blick des Fremden haftete fest auf Ingo, und unwillkürlich zuckte die Hand nach dem Schwert, als denke er darauf, den Feind seines Herrn schnell zu erledigen. Doch Ingo trat grüßend auf ihn zu und begann: »Da wir uns zum letztenmal sahen, Held Harietto, war es an einem heißen Tage; ehrlicher war dein Blick, während du dein Schwert gegen mich schwangst auf blutiger Walstatt, als hier, wo der Wille eines fremden Herrn dir die Hand vom Gruße zurückhält.«

»Gern würde ich dir sagen, Held Ingo, daß ich mich freue, dir zu begegnen, doch ich stehe hier als Bote des großen Römers, und nicht freundlich ist seine Meinung gegen dich.«

»Ich aber rühme die Botschaft nicht,« antwortete Ingo, »die dem tapferen Manne verwehrt, im Königsfrieden einen Kampfgesellen zu begrüßen, mit dem er einst ehrliche Schläge getauscht hat.«

»Dich und mich warfen zürnende Götter aus der Heimat in feindliche Schlachtreihen, beide folgen wir dem Eid, der uns bindet«, sprach der Franke.

»Du folgtest den Feldzeichen der Fremden, ich dem Ruf unserer Landgenossen.«

»Im Lager des Römers singt der Sänger dieselben Lieder wie hier im Lande«, entgegnete Harietto.

»Mich lehrten die Lieder, die ich als Knabe hörte, die Herrschaft der Fremden meiden«, versetzte Ingo.

»Kommt alle zu des Cäsars Banner, dann sind wir die Römer.«

»Alle rufst du, Harietto, die hier stehen, nur einen, meine ich, ladest du nicht. Und darum zürne nicht, wenn ich für unziemlich halte, den Hals vor dem Hochgericht des Cäsars zu beugen.«

Beide neigten stolz das Haupt und traten auseinander. Die Königsmannen aber hatten sich dazu gedrängt, nach Rede und Gegenrede murmelten sie beistimmend, stärker, wenn Harietto sprach, doch auch Ingos Worten fehlte der Beifall nicht, und er sah, daß bei seinen letzten Worten der König selbst mit dem Kopfe nickte.

Der Gesandte schritt mit dem König in den Saal, wo seine Begleiter die Geschenke des Cäsars aufstellten. Der König schaute erfreut auf die Goldschalen und Becher, auf die wundervolle Arbeit mit eingesetzten Edelsteinen, und versicherte den Gesandten, er sei ein Freund des Cäsar und zu vielem guten Dienst erbötig. Da begehrte Harietto geheimes Gespräch, und als der König alle Hörer weggescheucht hatte, forderte der Franke die Auslieferung Ingos.

Bisino erschrak, er saß lange überlegend und antwortete endlich, die Forderung sei allzuhart für ihn, und er brauche Zeit, um eine Antwort zu finden, der Gesandte möge sich's unterdes als Gast an seinem Hofe gefallen lassen. Aber Harietto drang auf schnellen Entschluß, bot höhere Geschenke und drohte. Da empörte sich der Stolz des Königs, und zornig rief er, was er freundlichem Gesuch verweigere, werde er dem Drohenden vollends nicht bewilligen. So entließ er den Fremden, und dieser lagerte mit seinem Gefolge unter den Knaben des Königs, trank mit ihnen und teilte Geschenke aus.

König Bisino aber blieb verstört; zuletzt ging er in sein Schatzhaus, setzte sich auf den Schemel, besichtigte mit schwerem Herzen noch einmal die neuen Geschenke und überzählte darauf seine Schnüre, an denen goldene Armringe aufgereiht waren, seine großen Schüsseln und Kannen, die goldenen Becher und Trinkhörner. Mit Mühe hob er eine Silberschüssel, spiegelte sich darin und sprach kummervoll zu sich selbst: »Grämlich ist das Bild, das ich sehe. Der Fremde hat mir reiche Geschenke gebracht, obgleich die größte Schale nur vergoldetes Silber und keine rühmliche Gabe an einen Volkskönig ist. Dennoch würde ich ungern die anderen Gaben missen, von denen er spricht, und der Römer gibt sie mir nicht, wenn ich jenen nicht lebendig oder vielleicht auch tot ausliefere. Aber wenn ich das Unrecht auf mein Leben nehme und ihn seinen Feinden einhändige, so werde ich scheusälig vor allem Volk als ein Mietling der Fremden, und weil ich den Gastfreund einem ehrlosen Tode preisgebe. Auch tut mir der Gesell selbst leid, denn gutherzig ist er und ehrbar, und ein treuer Genosse beim Kruge und auf dem Rosse. Dagegen wenn ich ihn trotz den Römern bewahren will, so droht mir markverzehrende Arbeit, der Krieg räumt vielleicht meinen Schatz, er mindert die Kraft des Volkes und rüttelt an meinem Königsstuhl.« Sein Blick fiel auf ein Schwert, welches über dem glänzenden Metall an der Wand hing. »Dies ist die Königswaffe meines Geschlechtes, gerühmt im Liede und gefürchtet im Volke, manche schwere Tat hat sie ausgeführt, ein Gott hat, wie die Sage kündet, einst den Stahl dazu gehämmert, mich wundert, daß ich heut die Augen nicht von ihr abwenden kann.« Und seufzend fuhr er fort: »Ich habe mit ihm getrunken, gejagt und an seiner Seite gefochten, und ich wünsche ihm, daß sein Ende rühmlich sei wie das seiner Väter, die es auch eilig hatten, die Todeswunde auf der Brust zu erhalten. Vermag ich ihn nicht zu retten, so will ich ihm doch wenigstens Königsehre erweisen.«

Der König erhob sich und ergriff die Waffe. Da fühlte er sich leise am Arme gefaßt, er fuhr zusammen und zückte das Schwert; vor ihm stand Frau Gisela und sah ihn spottend an: »Will der König mit seinem Tafelgerät zu Felde ziehen, daß er darüber Heerschau hält?«

»Worin liegt Königsmacht, wenn nicht im Schatze?« fragte der König unwillig zurück. »Wie kann ich der Begehrlichen Sinn festhalten und ihren Treuschwur gewinnen, wenn ich ihnen nicht von dem fremden Metall spende? In meinem Lande haben es wenige, und alle fordern es, woher soll ich's holen, wenn ich's nicht von den Fremden erkaufe?«

»Der König will den Mann an die Römer verhandeln?« fragte die Königin und ihre Augen flammten wie Feuer.

»Würde ich mich bedenken, wenn ich's tun wollte?« murrte der König. »Aber dieser Fremde sitzt wie ein Uhu auf meinen Bäumen, alles Geflügel der Luft schießt heran und schreit gegen ihn, nicht lange, so senden auch die Könige von der Oder und fordern seinen Leib.«

»Du täuschest mich nicht,« brach die Königin in heißem Zorne los, »siehe zu, o König, ob du leben kannst nach solcher Schmach, ich will es nicht. Dem meineidigen Mann, der um römisches Gold seinen Schwurgenossen verkauft, weigere ich die Genossenschaft an Tisch und Lager.«

Der König sah mit querem Blick auf sie: »Heftig stürmen deine Gedanken, Frau Gisela, ich meine, sie verfehlen das Ziel.«

»Wer darf mehr für des Königs Ehre eifern als die Königin?« antwortete das Weib nach Fassung ringend. »Getraust du dich nicht, ihn vor den Römern zu bewahren, so entlaß ihn von deinem Hofe. Besser ist es, sich schwach zu erweisen als treulos.«

»Damit er nach der Kränkung lebe als mein Feind«, sprach der König.

»So binde ihn durch hohen Schwur; er ist, wie ich meine, von denen, die ihr Gelübde halten.«

»Will die Königin ihn dazu überreden, daß er der Kränkung niemals gedenke?« fragte der Burgherr lauernd.

»Ich will,« versetzte Frau Gisela tonlos, »wenn es dem Könige nützt.« Beide standen einander mit finstern Gedanken gegenüber, endlich begann der König: »In der Not dient schnelle Tat, versuche dein Heil, Gisela, sende ihm heute abend Botschaft, daß er in deinen Turm steige zu geheimer Unterredung, vielleicht hilfst du ihm dort zu einer guten Ausfahrt.«

Die Königin sah vor sich nieder, erblichen war ihr Antlitz, als sie antwortete: »Ich will ihn zur Ausfahrt mahnen, da du es gebietest.« Sie wandte dem König schnell den Rücken. Er sah ihr finster nach.

Am Abend harrte die Königin in ihrem Turmgemach, die Nachtvögel saßen auf der Mauer und klagten über das Unheil, welches drinnen einem bereitet werden sollte, in den scharfen Stößen der Luft, die durch das offene Fenster drang, flackerte die Wachsfackel und trieb den Schatten des schönen Weibes an den Wänden hin und her. Frau Gisela stand inmitten des Raumes, im Festgewande, die rote Königsbinde über der Stirn, das bleiche Haupt vorgebeugt, die Hände fest geschlossen wie zu gewaltsamer Tat. »Scheidest du von hier, Ingo, mir ist es Qual, ärger als Tod, und weilest du, dann ist von dreien, welche leben, einer zu viel.« Sie fuhr zusammen und horchte wieder, aus der Tiefe erklang Gemurr von Stimmen und leises Waffengeklirr. Da riß sie die Fackel von dem hohen Leuchter und hielt sie zum Fenster hinaus, daß der Rauch und die lodernde Flamme an die Turmzinne wehte und die Eulen erschreckt aufflogen. Aus der Ferne antwortete nach wenigen Augenblicken ein einzelner Jagdruf, die Königin hob die Leuchte zurück und schob den Teppich vor die Fensteröffnung.

Auf der Steintreppe klang ein Männertritt. »Er ist es«, sprach sie leise. Aber als sich die Tür öffnete, fuhr sie zurück, denn König Bisino trat ein, düster war sein Antlitz, der vierschrötige Leib gedeckt mit einem Panzerhemd, das Haupt mit dem Stahlhut; am Griff seines Schwertes schimmerte im Lichte ein blutroter Stein. »Die Königin ist geschmückt wie zu einem Hochzeitsfest«, sagte er zornig.

»Du hast es gewollt.«

»Ich will auch unsichtbar ein Zeuge sein deiner Unterredung mit ihm, und damit du alles sprichst wie ich geboten, so höre die Warnung: am Fuße des Turmes harren zwei meiner Knaben mit harten Händen, steigt er hinab ohne mich, er überschreitet nicht lebend die Schwelle.«

»Gut sorgte der König«, antwortete Frau Gisela starr. Da fiel ihr Blick auf das Schwert des Königs und sie schrie: »Blutig glänzt der Stein an dem Messer des Königs, die Todeswaffe deiner Ahnen ist's«, und ihr Entsetzen mühsam bändigend fuhr sie fort: »Vom Gemach der Königin bleibt sonst das Schwert der Männer ausgeschlossen. Warum kränkt der König mein Recht?«

»Es ist nur Vorsicht, Gisela«, versetzte der König grimmig. Er schritt nach dem Hintergrund des Zimmers, öffnete eine kleine Seitentür und verschwand dahinter.

Wieder stand die Königin allein, und in wilder Empörung flogen ihre Gedanken. »Gewalttat sinnt der lauschende König, und ich soll helfen bei nichtswürdiger Tat.«

Da klang draußen der Tritt des anderen und Ingo trat ein, ungerüstet und schwertlos. »Ich danke dir, Base Gisela,« begann er herzlich, »daß du mir heut deinen Turm öffnest.« Er sah in den geschmückten Raum, auf gestickte Teppiche an der Wand und kostbares Gerät aus fremdem Lande. »Seit ich die Mutter verlor, habe ich niemals wieder das Prunkgemach einer Königin betreten. Was stehst du so feierlich, Base?« fuhr er traurig fort, »verzeihe mir, wenn ich mich nicht, wie ich sollte, der Ehre freue, daß du den armen Ingo im Königsschmucke empfängst.« Er ergriff ihre Hand, trotz der Angst flog ein rosiger Schein über ihr bleiches Antlitz, als sie die Hand zurückzog. »Leichter ist der Aufgang zum Gemach der Königin als der Sprung aus der Turmtür«, sprach sie leise.

»Ich sah lauernde Knaben des Königs,« antwortete Ingo, »und mich verwundert das nicht, denn ich weiß, Harietto hat den Sinn des Königs, der mir sonst gütig war, gegen mich empört, darum flehe ich, sorge du, so weit du vermagst, daß mir nicht Schmach widerfahre. Müde bin ich, Königin, meines Erdenloses, verleidet bin ich jedem Gastfreund, elend überall, gleich einem tollen Wolf gehetzt von Hof zu Hof, verächtlich wird mir solches Leben, denn eines besseren Schicksals fühle ich mich wert, und selbst denke ich zu sorgen, daß ich nicht als Lebender durch Römerfesseln gebunden werde. Wenn du aber mein Geschick nicht zu wenden vermagst, dann, flehe ich, rette meine Blutgenossen, den irrenden Schwarm, vor ruhmlosem Tode. Gern werden sie kämpfen, gegen wen es auch sei, aber sie fürchten ein Verderben, das sich ihnen unsichtbar nahen mag, denn fest eingehegt stehen wir zwischen Steinmauern.«

Lautlos starrte die Königin nach der verborgenen Tür, plötzlich stieß sie einen heiseren Schrei aus, denn der König trat hervor und rief: »Eingehegt bist du selbst zur letzten Wunde.« Mit gehobenem Schwert fuhr der König gegen Ingo, aber wie eine Löwin sprang Frau Gisela dem Herrn entgegen und wand ihm den Arm, daß das Schwert klirrend zu Boden fiel. Ingo ergriff die Waffe vom Boden und rief, sie schwingend: »Ich halte deinen Tod in der Hand, König Bisino, wenig wird dir deine Rüstung frommen, wenn ich die Tat üben wollte, die du mir zugedacht. Danke dem Gotte, dem du vertraust, daß der Gastschwur mir heiliger ist als dir.« Und er warf die Waffe dem König vor die Füße. Ein leiser Ton wie das Stöhnen eines Weibes zitterte durch den Raum.

Der König sah wild um sich: »Du sprichst als ein Mann: wohlan, hebe dein Schwert von der Treppe, wir fechten.«

»Ich habe dir Friede geschworen«, antwortete Ingo unbeweglich.

»Und ich dir.« versetzte der König, »gebrochen ist der Eid, du bist frei, hebe die Waffe.«

»Gegen dich kämpfe ich nicht um mein Leben,« versetzte Ingo, »ehrwürdig ist mir dein Königshaupt, wenn du mir auch zuweilen Übles gedacht hast. Und nimmer will ich helfen, daß der Ruf deines Gemahls entehrt werde durch dein oder mein Blut, das vor ihrem Lager vergossen wird. Muß ich vertilgt werden, dann klage ich nicht, wenn du selbst es tust, dann stoß zu, König, und sei bedankt für das Gastgeschenk.«

Der König beugte sich, das Schwert zu erheben, da klang von unten Geschrei und Kriegsruf, Ingo schnellte empor. »Fluch mir, vergessen habe ich in der eigenen Not die Notgenossen. Den Sang meiner Schwäne höre ich, ich komme. Du wahre dich, König, ich finde, was dich zwingt.« Mit Sturmeseile brach er aus der Tür, der König raunte heiser: »Erbarmen kennen die nicht, die unten seiner harren«, und er eilte ihm mit geschwungenem Schwerte nach.

Aber Ingo sprang nur wenige Stufen hinab, wo sein Schwert lehnte und unter dem Gemach der Königin der junge Sohn neben dem Helden Balda schlief. Er raffte den Knaben vom Lager, drückte ihn an sich und flüsterte ihm zu: »Hilf mir, Hermin, mir droht das Verderben. Ich tue dir kein Leid, wenn nicht von dem König meinen Genossen ein Übles geschieht.« Der Knabe hing schlaftrunken in seinem Arm und faßte ihn um den Hals. »Gern helfe ich dir, Vetter«, sagte er ahnungslos. Bevor der alte Krieger sich vom Lager erhob, trug Ingo den Knaben hinauf an die Tür der Königin, wo der König mit dem Schwerte ihm entgegensprang. Aber Bisino fuhr entsetzt zurück, als er sein Kind unter dem Messer Ingos erblickte. »Geh voran, König Bisino,« rief Ingo befehlend, »bereite mir den Weg, ich halte, was dich zwingt. Das Leben deines Knaben sei Bürge für die Häupter der Meinen. Lebe wohl, Frau Gisela, flehe zu den Göttern, daß das Haus des Königs nicht zerbreche in dieser Nacht.«

Die Männer eilten die Steintreppe hinab, Frau Gisela lauschte starr nach dem Getöse und Fall am Fuß der Treppe. Ob sie wünschen sollte, daß er entrann, der den Sohn ihr gepfändet? Ob er selbst zurückkehren würde in ihr Turmgemach, oder der König oder keiner von beiden, das stürmte ihr durch die Seele; sie fühlte Haß gegen ihn, der ihre Hilfe sich nicht begehrt, und doch auch heiße Angst um sein Leben, und Angst vor der Wiederkehr des Königs. Sie sprang an das Fenster und sah hinaus in die Nacht. Sie hörte fernes Gemurr und helles Geschrei, dann wurde es still, sie sah einen Feuerschein blinken, aber auch er verlosch, die Nacht blieb schwarz und unsicher, wie ihr eigenes Schicksal. – Auf den letzten Stufen vor der Turmtür hielt Ingo an: »Verjage die Hunde, König, daß ihr Biß nicht deinen Sohn treffe.« Der König trat ungern vor, aber er verscheuchte seine Wächter. Ingo sprang an ihm vorüber wie ein flüchtiger Hirsch zu der Herberge seiner Mannen. Nicht vermochte der König ihm zu folgen, so sehr er sich eilte.

Um die Herberge standen die Haufen der Königsknaben, gerüstet mit Schild und Speer, manche auch mit Fackeln in der Hand. Auf dem Erdboden vor den Stufen loderte eine rote Flamme und warf ein unsicheres Licht in den dunkeln Saal und auf die wilden Gesichter der Vandalen. »Was blinzen die Käuze beim Lichtschein und wenden abwärts den Blick?« rief Berthar von der Treppe, »mich wundert's, daß die Knaben des Königs vor niederträchtigem Werke sich scheuen, sie sind ja, wie ich höre, gewöhnt, bei Nacht zu töten. Für ganz schamlos gelten sie im Volke. Hat sie erschreckt, daß mein Schwert ihrem Fackelträger den Brand zerschlug? Tretet näher, ihr bösen Verzagten, damit ihr vor allem Volke verflucht werdet als Friedensbrecher. Heran, auf daß meine Knaben euch die letzte Fahrt rüsten.«

»Grobe Worte sind die Münze des heimatlosen Bettlers,« rief Hadubald entgegen, »gut verstehst du sie zu zahlen, wenn du an fremden Bänken lungernd durch die Welt fährst. Ganz unnütz seid ihr auf der Männererde und schwerlich beschwert ihr fortan noch fremde Höfe durch euer Geschrei.«

So bereiteten sich die Helden durch heftige Rede zum Kampf; da sprang durch den lärmenden Haufen Ingo, den Königssohn im Arme. Er fuhr auf die Stufen und stand unter seinen Getreuen. Ein lauter Heilruf der Vandalen tönte um die Halle; Ingo aber rief befehlend gegen die Knaben des Königs: »Weicht zurück, tapfere Helden der Thüringe; der junge König, den ich halte, gebietet euch Frieden. Wollt ihr, daß sein Haupt unversehrt bleibe, so vermeidet, meine Mannen zu kränken. Heil sei dem König in der Herberge,« setzte er hinzu, da Bisino herankam, »und Frieden bedeute sein Nahen. Betritt, o König, huldvoll das Schlafgemach deiner Gäste, denn nicht durch Waffen, meine ich, enden wir heut die Verstörung. Hilf mir den König geleiten, Hermin, mein Vetter!« Er ließ den Knaben zur Erde und trat, das Messer über ihn haltend, dem König entgegen, das Kind ergriff die Hand des Vaters und stand zwischen beiden Helden. »Entzündet die Fackeln an der Flamme«, rief Ingo den Seinen zu. »Jedermann weiche aus dem Raume, ihr Vandalenhelden bewacht auf den Stufen die Beratung der Könige!«

Mürrisch winkte Bisino seinem Gesinde, den Zugang zu räumen, dann gebot er Hadubald mit einer gleichen Zahl von Königsmannen die Stufen zu besetzen. Auf die erhöhte Bühne der Halle, wo Ingos Lager stand, geleitete dieser den Herrn, er selbst saß ihm gegenüber und schlang seinen Arm um den jungen König. Bisino setzte sich zögernd und sah finster vor sich hin. »Du meinst, mich durch das Haupt meines Sohnes zu zwingen, daß ich dich und deine Landstreicher verschone. Aber wild hat der Zorn sich erhoben zwischen mir und dir, und dauerlos wäre, so fürchte ich, die Versöhnung. Entziehst du dich heut meinem Zorn, so trifft er dich doch morgen oder zu anderer Zeit, denn selbst wenn die Bitte dieses Knaben dir meinen Zwinger öffnet, so weißt du doch, daß meine Macht weit reicht, und daß des Königs Wille dich umstellt wie ein gehetztes Wild.«

»Wohl ehre ich deine Macht, König,« versetzte Ingo, »und ich weiß, daß es mir mühselig wäre, über die Brücke zu reiten und über die Heide zu traben, wenn dein Zorn feindlich hinter mir fährt. Dennoch meine ich, daß der König edel handelt, wenn er mir die Treue hält, soweit die Eide reichen. Den Zweikampf hat mir der König angetragen; ruhmvoll war das Erbieten und eines Helden würdig, und vermag er mich nicht zu dulden auf der Männererde, so weiß ich wohl, daß es für mich keine bessere Ehre gibt im Gedächtnis der Menschen, als durch die Waffe des Königs zu fallen, oder wenn ich ihn selbst voraussenden sollte in die Totenhalle, mit meinen Gefährten vertilgt zu werden durch den Grimm der Thüringe. Dennoch ist es mir unleidlich, gegen dich zu kämpfen, mein Herr und Wirt, denn freundlich warst du gegen mich, Guttat genoß ich an deinem Hofe, ehrenwert ist mir auch dein Gemahl und hier der Knabe, den ich im Arm halte, und Frohes habe ich von deiner Huld für mein Leben gehofft. So kränkt mich's, obgleich ich den Schwertgrimm für rühmlich halte, daß ich um meinen Leib feindlich gegen dich ringen soll.«

»Verständig sind deine Worte,« versetzte der König, »auch dein Sinn ist redlich, wie ich vermute, und ungern sinne ich auf dein Verderben, aber mich zwingt die Königsnot, die keiner versteht, außer wer als Wirt über seinem Volke waltet. So wisse denn, friedloser Mann, der Cäsar fordert, daß ich dich ausliefere an seine Boten.«

»Will der große Volkskönig dem Befehl eines neidvollen Römers gehorchen wie ein Besiegter?«

»Die Katten hat er aufgehetzt, sie sind eilig, sich Sklaven und Herden zu holen aus meinem Volke, um deinetwillen sollen die Thüringe den Schlachtgesang singen.«

»Stelle mich in deine Heere, o König,« unterbrach ihn Ingo, »nimmer kehre ich zurück, wenn nicht als Sieger.«

»Meinst du, daß du mir als Sieger willkommener wärest als jetzt, du mit der Erbtochter?« fragte der König finster. »Über die Schlachten der Thüringe waltet der König allein!«

Da legte Ingo die Hände auf das Haupt des Knaben und sprach traurig: »Gleich diesem Kinde wuchs ich fröhlich auf unter der Königskrone, schuldlos wie dein Sohn war ich, da ich aus der Heimat gescheucht wurde. Denke daran, König, daß sich schnell die Geschicke der Männer wandeln, auch du weißt nicht, welches Schicksal deinem Knaben einst bereitet ist. Wie auch die Götter uns die Lose werfen, von uns fordern sie, daß wir treu sind unserem Wort. Sorge auch du, o Herr, damit sie nicht den Eid, den du dem armen Ingo geschworen, einst an dem Haupte deines Sohnes rächen.«

»An den Sohn denke ich, daß ich ihm die Herrschaft sichere, wenn ich mich des Eides gegen dich entledige«, versetzte der König.

»So löse den gastlichen Eid, ohne daß die Götter dir zürnen,« fuhr Ingo flehend fort, »entlaß mich mit meinem Gesinde ungekränkt aus deiner Burg und aus deinem Lande. Mehr fordert dein Volk nicht, und begehrt der Römer Ärgeres von dir, so kränkt er deine Ehre. Hilf mir, Knabe, und bitte bei deinem Vater für mich.«

Hermin kniete nieder und umschlang das Knie des Königs: »Tu dem Vetter kein Leid, mein Vater!«

Der König sah lange auf den Knaben, über welchen Ingo die bewehrte Hand hielt. »Du weißt nicht, was du bittest, Kind«, sagte er endlich. Und mitleidiger zu Ingo aufsehend fuhr er fort: »Willst du, Ingo, mir mit hohem Eide geloben, niemals diese Nacht zu rächen, niemals schädlich zu sein mir und meinem Sohne, und niemals Freundschaft zu suchen im Herrensitz am Walde, so will ich dich entlassen aus meiner Burg, aus meinem Land.«

»Den Eid nehme ich auf mein Leben,« sprach Ingo leise, »wenn auch der König mir geloben will bei dem Haupt dieses Knaben, der Worte zu gedenken, die er vor kurzem zu mir sprach und das Königsauge zu schließen gegen mein Tun, wenn nicht das Volksgeschrei übermächtig zwingt.«

Der König lächelte finster. »Ich will, wenn du mir etwas von deinen Gedanken vertraust.« Ingo neigte beistimmend das Haupt. »Wohlan denn, setze dich zu mir wie einst und künde leise dein Geheimnis.« Die Könige sprachen heimlich, und der Knabe saß zwischen ihnen und umfaßte mit den Händen beider Knie.

Auf den Stufen lagen getrennt die Vandalen und die Königsknaben hinter ihren Schilden. Über ihnen saßen auf den Schemeln die beiden Schwerthalter Berthar und Hadubald gegeneinander. Da begann Hadubald: »Frieden bereitet, wie ich merke, das Gespräch im Saale unseren Schwurherren. Gefällt dir's, Held, so tilgen wir den Groll durch einen Trunk, den einer meiner Genossen schnell zu schaffen weiß, denn kühl weht die Nachtluft.«

»Mordbrenner!« versetzte Berthar grimmig.

»Töricht handelst du, den Diener zu schelten, der getan hat, was seinem Herrn nützt.«

»Nachtschächer!« brummte Berthar wieder, »deine Treue brachst du für des Königs Bier, seitdem ist der Trunk verdorben, den du bietest.«

»Wer hochmütig verschmäht, beim Zapfen Bescheid zu tun, der wahre sich, daß nicht sein Blut gezapft wird auf grüner Heide.«

»Auf grüner Heide und im finsteren Wald, wie hier in der Herberge bist du blutiger Schläge sicher, sobald dich nicht der Königsfrieden schützt; damit begnüge dich, Held!«

Lange währte die Zwiesprache der Herren, endlich rief der König: »Bringe den Becher, Schenk, Minne zu trinken, bevor Held Ingo scheidet.« Willig regten sich die Mannen auf den Stufen, der Schenk lief und trug einen großen Becher Met herzu, die Könige taten über dem Becher und auf dem Haupt des Knaben einander das Gelöbnis. »Und jetzt scheiden wir, Ingo,« sagte der König, »leid tut mir's, daß du ein fahrender Held und nicht von meinem Geschlecht bist, und doch, wärst du von meinem Stamme, du wärst mir vielleicht weniger vertraulich.«

»Denke mein im Guten, o Herr«, dankte Ingo, und fröhlich rief er dem Alten zu: »Rüste den Aufbruch, wir reiten.«

»Bei Sonnenlicht kamen wir,« versetzte Berthar, »mein Herr und seine Helden entweichen nicht wie Nachtdiebe. Will der Häuptling, daß wir aufbrechen, bevor der Hahn singt, so flehe ich, König Bisino, daß deine Knaben uns mit den Fackeln leuchten, die sie am Abend sorglich um dieses Haus getragen haben, damit wir bei unserer Abfahrt den hellen Schein nicht missen.«

Der König sah zuerst zornig auf den Kühnen, aber er sprach: »Ich lobe dich, du verstehst für deinen Herrn mit Schlägen und mit Worten zu streiten. Besteigt die Rosse, ihr stolzen Gäste, ihr Mannen aber entzündet die Brände, denn der König selbst gibt das Geleit zum Tor.«

Auf der Brücke schied Ingo von dem König und seinem Sohn, und alle erstaunten, als der König nach dem Abschied noch einmal über die Bretter zu Ingo eilte, ihn mit den Armen umfing und küßte. Lachend sah Berthar auf die finsteren Mienen der leuchtenden Königsknaben. »Reitet im Schritt,« gebot er vor dem Tor den Vandalen, »damit sie nicht wähnen, daß wir ihren Gruß im Rücken fürchten.« Und nach einer Weile rief er: »Nimm die Spitze, Wolf, und laß die Rosse springen, frisch bläst die Nachtluft, und wohl gelang uns die Reise nach der Königsburg.«

Als sich das Tor hinter den Gästen geschlossen hatte, befahl der König seinen Knaben: »Wer etwa morgen oder später von dieser Nacht schwatzt, oder wer noch mit dem Römer beim Trunke raunt, wie heut mancher getan, dem zerschellt die Axt des Königs das Tor seiner Worte.«

Darauf nahm er das schlafende Kind in die Arme und trug es zu seiner eigenen Kammer. Als er beim Turme vorüberkam, blickte er finster nach dem Gemach der Königin. Dort drinnen lag ein trostloses Weib mit dem Haupt an der Fenstermauer und hörte auf den Schall der Stimmen und auf den Hufschlag, welcher in der Ferne verklang. Der König aber dachte: Wenn sie nicht so erlaucht wäre von Geschlecht, wäre es besser für mich und sie. Denn gern möchte ich ihr Schläge geben und sie dann wieder liebhaben. Sie aber wollte das Tuch zerschneiden zwischen sich und mir, und sie hat gerungen gegen mein Schwert; ob sie meint, daß ich ihr das vergesse? – Was aber den Römer betrifft, so ist mir's im Herzen lieb, daß ihm nicht sein Wille geschieht, denn nichtswürdig war die Forderung, und herrisch war der Bote. Jetzt will auch ich ihm Silber statt dem Gold bieten, das er sich begehrt. Und am anderen Morgen lud der König den erstaunten Harietto und sprach: »Um des großen Cäsars willen habe ich alles getan und ausgeführt, was die Königsehre mir gestattet und nicht mehr. Dem Gebannten habe ich das Gastrecht aufgekündigt und ihn ohne Geleit entlassen, damit er aus meinem Lande weiche. Und er trabt jetzt wohl schon weit von hier über die Heide.« Als der König wieder in sein Schatzhaus ging und sein Angesicht in der Schüssel betrachtete, da sprach er seufzend zu sich selbst: »Eine Sorge wich, aber eine größere kam: nur eines ist mir lieb, es ist ein ehrliches Gesicht, das ich schaue.«

 


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