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4. Die Heimkehr

Auf dem Saumpfad, der dem Waldgebirge zuführte, wallte eine waffenlose Schar. Voran ging ein schlanker Knabe, das Holzkreuz tragend, welches er aus zwei Stäben zusammengefügt hatte, hinter ihm leitete Gottfried den Haufen der Kinder. Das goldene Haar der Kleinen flatterte in der Morgenluft, barfüßig stapften sie vorwärts, die Bäckchen gerötet und die Augen blau wie der Himmel. Über ihnen flogen die Lerchen und zur Seite schwebten die Bienen und Schmetterlinge; alle Wegblumen und Gräser des Tals hoben und neigten sich unablässig grüßend im Winde gegen sie. Hinter den Kindern zogen die Frauen, welche dem Kreuz angehörten, halbentblößte Gestalten, die Häupter gesenkt, die Gesichter vergrämt, manche von ihnen trug auf den Schultern ihr kleines Kind. Mitten darunter saß auf dem Roß des Priesters Walburg, das Antlitz dicht verhüllt. Der Mönch begann eine lateinische Hymne, feierlich zog der Gesang in die wilde Landschaft, die Frauen und Kinder drängten sich näher heran und sangen am Ende jeder Strophe sich tief verneigend, das heilige Kyrie eleison, denn mehr vermochten sie nicht; aber aus bewegten Herzen kam der Anruf, und oft rangen sie die gefalteten Hände. Hinter der Christenheit wandelte ungern die Kuh, der Schatz des Haufens, welchen Miros den Abziehenden mitleidig gespendet hatte. Das Rind schied Christentum und Heidenschaft, denn bei ihm liefen die Heidenfrauen mit ihren Kindern und eine von ihnen, Gertrud, eine hochgeschürzte Magd, hielt zur linken Seite des Rindes den Strick und schwenkte den Stab. Aber die Heidenkinder blieben nicht auf der Bahn, sondern fuhren wild umher und suchten nach Wurzeln auf der Wiese, nach Beeren und Pilzen im Gehölz. Als letzter kam Wolfram geritten, der später als die anderen das Lager des Ratiz verlassen hatte, er scheuchte die Säumigen vorwärts und trabte den Zug entlang bis zur Spitze, Ausschau zu halten. »Ich lobe deine Kunst, dies barfüßige Volk zusammenzuhalten,« begann er zu dem Mönch, »du wirst sie noch gebrauchen. Drei Tage lang fahrt ihr mit Kinderschritten durch die Bergwildnis, und wenn du zu den ersten Häusern der Landsleute kommst, magst du kalten Empfang finden.«

»Ich vertraue deiner Hilfe«, versetzte Gottfried, in das gutherzige Gesicht blickend.

Wolfram räusperte sich stark. »Einer ist hinten geblieben und mir ist die Haut näher als das Hemd.«

»Willst du zu den Sorben zurück und diese im Walde verlassen?« fragte Gottfried erschrocken.

Der Mann beantwortete die Frage nicht. »Er war immer jäh und unbedacht,« sagte er, »und doch lebt keiner, der ihn beim Metkrug überwindet. Einem Betrüger ist er arglos verfallen, der Becher des Ratiz hat ein Geheimnis, die Sorben erzählten es am Feuer und lachten. Wenn der Gaukler mit dem Finger an den Becher drückt, so läuft der Met in eine Höhlung ab, und wenn der Schenk wieder drückt, läuft der verborgene Trank in den Becher zurück. Der eine trank nur die Hälfte, der andere das Ganze. Voll von Listen sind diese schmutzigen Zwerge und durch List haben sie ihn bewältigt. Beim Becher verloren, beim Würfel verloren und mit Weiden gebunden, das ist zu viel für ihn. Manchen Schlag wird er schlagen müssen, bevor er seinen Stolz wieder findet. Und darum will ich zu ihm, hat er gespielt, so spiele ich auch, ihn zu lösen oder ihm zu folgen; denn bei uns ist ein Spruch: wie der Herr, so der Knecht.«

Gottfried wechselte mit ihm einen Blick des Einverständnisses: »Hebe mir einen Zweifel; wenn dir gelingt, dem Unglücklichen die Bande zu lösen, bist du sicher, ob er dir in die Flucht willigen wird? Er selbst hat sich freiwillig der Freiheit entäußert, von einer Schatzung sprach er, die ihn entledigen müsse, und doch sah er aus wie einer, der an seinem Geschick verzweifelt.«

»Mein Wirt hält die Treue, wie wenige im Lande,« antwortete Wolfram, »aber wenn er entrinnen kann, wird er nicht säumen. Weißt du denn nicht, und haben die Sorben dir es verborgen? Ein schmachvolles Urteil haben sie über ihn gefunden, als sie in der Halle Rat hielten. Denn ihr Spruch ist gefallen, daß sie ihn bei ihrem nächsten Hochfest über den Opferstein beugen wollen als Ehrengabe für ihren Gott. Elende Hunde!« rief er zornig, »wer hat je gehört, daß einer, der sich selber in die Knechtschaft gespielt hat, von dem Messer des Opferers entseelt wird?«

»Greulich ist, was du sagst«, rief Gottfried entsetzt.

»Du sprichst ganz über sie, wie sich's gebührt«, lobte Wolfram, befriedigt durch den Zorn des Mönches. »Wer sich hingibt, weil er sein Spiel verloren, der kauft sich los von dem Manne, der Gewalt über ihn hat, durch Rinder und Rosse, wenn er sie schaffen kann, und dem Sieger ist es Ehre, ihn niedrig zu schatzen. Ist mein Wirt doch kein kriegsgefangener Mann, denn nur solchem gebührt der Schnitt mit dem Opfermesser, wenn die Götter ein Mannopfer heischen.«

Als Gottfried sprachlos die Hände rang, fuhr Wolfram begütigend fort: »Sei ruhig, mein Wirt wird ihnen diese Hoffnung verderben, er selbst soll sein Messer zurückerhalten, gegen wen er es gebrauchen will. Und darum, Fremder, kurz gesagt, will ich euch verlassen, denn ich merke, die Späher der Sorben folgen nicht mehr in unserer Spur. Bist du des Weges unkundig, wie ich fürchte, so wird die Treiberin Gertrud dir raten, sie ist von unserer Seite des Waldes und weiß Bescheid in den Bergen, wenn ich ihr die nächsten Wegstunden deute.«

»Sage mir noch eins, Wolfram, wenn du magst. Gute Wache halten die Sorben, niemand der größer ist als ein Wiesel vermag den Hügel hinaufzuklimmen, ohne daß sie ihn erspähen. Wie gedenkst du allein durch die Verschanzung zu dringen?«

»Du fragst zu vieles auf einmal,« versetzte Wolfram schlau, »forsche bedächtig, damit ich dir antworte. Ohne Helfer bin ich nicht. Wo das Lager des Ratiz liegt, war sonst ein Gehege meines Volkes, welches sie das Dorf des Ebers nennen. Viele Siedler hat der Räuber erschlagen, andere sitzen noch dort in der Knechtschaft; mehr als einem ist's unleidlich, einem Sorbenherrn die Rosse zu striegeln, und ich habe Kundschaft mit ihnen. Du rühmst die Wachen der Sorben, ich fürchte nur ihre Hunde, die struppigen Kläffer; doch ich führe bei mir, was ihnen das Heulen verwehrt.«

»Aber Ratiz und seine Krieger auf der Höhe?« Wolfram drängte sein Roß näher an den Mönch: »Hast du nicht gemerkt, was für ein Kind zu sehen war, daß der Sorbe zu neuem Beutezug rüstet. Er hat dir die Gefangenen verkauft, bevor die Händler heranzogen, obwohl diese Witterung haben von einem Raube wie die Geier von der Walstatt. Damit sie nicht umsonst kommen, holt er sich neuen Fang aus den Frankendörfern im Süden, oder wo ihm sonst seine Späher raten.«

Empört rief Gottfried: »Und zugleich begehrt er Frieden mit dem Frankenherrn?«

»Vielleicht meint er, daß der Friede wertvoller wird, wenn er sich furchtbar erweist. Willst du den Kater zwingen, das Mausen zu meiden?« versetzte Wolfram.

»Du aber,« begann Gottfried nach einer Weile, »hast nicht bedacht, was du diesen hier bereitest. Wenn dir das Unglaubliche gelingt, deinen Herrn zu entledigen, dann wird der grimmige Sorbe die Frauen zurückholen; breit ist unsere Spur und langsam der Gang.«

»Auch du, der Christenmann, würdest ihnen nicht zu gering sein für ihr Götterfest«, antwortete Wolfram nachdenklich und warf einen mitleidigen Blick auf die Kinder. »Sicherlich kann Eile retten; droht euch Gefahr von rückwärts, so ist's nicht, bevor die Sonne morgen sinkt.« Er sah Gottfried mißtrauisch an. »Unsere Alten sagen, daß die Christenpriester viele geheime Künste verstehen, vielleicht gefällt es dir, den Sorbenrossen die Kraft zu nehmen oder ein Blendwerk zu erregen, das den Spähern die Spur verwirrt.«

»Kein Mensch auf der Männererde vermag das, nur der Christengott allein,« sagte Gottfried, »seinem Schutz will ich uns empfehlen.«

Wolfram nickte beistimmend. »Immer habe ich geglaubt, daß euer Gott viel vermag; ich gehöre gar nicht zu denen, welche den Christenglauben verachten. Christengebet und Heidengebet mag kräftig sein, um das Blut zu stillen, wenn man sich geschnitten hat, oder um Regen vom Himmel zu ziehen, wenn die Saaten verdorren. Ich aber merke, daß die gar nicht im Glück leben, welche am eifrigsten den Unsichtbaren zurufen. Darum vertraue ich am liebsten auf mich selbst. Und hier löse ich mich von euch. Laß nicht die Weiber und niemand sonst merken, wohin ich von euch schweife. Und höre, damit ich dir meine gute Meinung erweise, lasse ich dies Pferd zurück, möglich, daß ich's bereue, möglich auch, daß ein Tier mich hindert, denn nicht hoch zu Roß gedenke ich durch die Holzringe der Sorben zu traben. Die Trude trägt ein Handbeil und vermag die Kuh zu schlachten. Fahr' wohl, Fremder, sehen wir uns wieder, so ist es, hoffe ich, im Lande der Thüringe.«

Der Mann blickte noch einmal auf die flüchtige Schar, über die Ringellocken der Kinder und die verblichenen Gesichter der Frauen, dann stieg er vom Pferde und wartete, bis die Treiberin der Kuh an ihm vorüberkam. »Höre ein vertrauliches Wort, Trudis,« sprach er leise, »ich gehe nach Jagdbeute über die Hügel, das Pferd lasse ich euch zurück; der Braune ist freundlich gegen die Kinder, hänge die Schwachen darauf, so mag er euch nützen, denn Eile ist ratsam. Bin ich zur Nacht nicht zurück, so sorge du um die Wache und schüre das Feuer, damit ihr das Ungeziefer des Waldes abwehrt.«

Das Weib sah ihn unwillig an: »Diesen Sprung lehre deine Jungen, sagte der Fuchs, als er zur Häsin sprang und ihr den Kopf abbiß. Du Waldläufer verläßt die Waffenlosen, wie sollen diese sich retten mit dem Stabe in der Hand und den Kindern auf dem Rücken?«

»Manchen Kriegsmann weiß ich, der deine Zunge mehr fürchtet als einen Schwertschlag; versuche sie auch einmal gegen die Bären«, versetzte der Mann begütigend und ging in einer Anwandlung von Unsicherheit noch einige Schritte mit. »Denn ich muß scheiden, Gertrud«, sagte er endlich vertraulich. »Achte auch auf den Weg, damit ich euch wiederfinde; der euch führt, ist nur ein Fremder. Dies hier ist der Rennweg der Sorben, auf dem sie zum Raube nordwärts reiten, er führt über Berg und Tal, zu beiden Seiten rinnen die Quellen abwärts, ihr braucht auf ihm nicht waten und nicht überbrücken. Wenn ihr eilt, kommt ihr heut im Sonnenlicht zum großen Eichwald an die Saale, da wo der Sorbenbach hineinfällt, der das Grenzwasser des Ratiz gegen uns ist. Durch den Sorbenbach führt eine Furt, seht zu, daß ihr euch vor Abend hindurchwindet bis eine Stunde westwärts zu dem Eibengehölz, aus dem ein heiliger Quell springt, dort steht auf der Höhe ein alter Mauerturm aus Holz und Stein seit der Väter Zeit als eine Grenzwarte, aber die Slawen haben ihn zerrissen; dort, rate ich, rastet im Gemäuer. Morgen aber lauft ihr neben dem Saalwasser nordwärts, die Strömung zur Rechten, die Wälder zur Linken; über euren Weg rinnen kleine Bäche, sie sind leicht zu durchwaten und der Pfad ist eben, aber es hausen diebische Slawen am Ufer. Gelingt es euch, sie zu meiden, so kommt ihr endlich zu dem großen Bach, den sie das schwarze Wasser nennen, da wo es in die Saale läuft, darüber müßt ihr auf dem Baumstamme flößen, denn das Wasser ist tief. Hinter der Überfahrt dürft ihr in keinem Fall längs der Schwarza aufwärts streben, denn dort sind wilde Klippen und unheimlicher Bannwald, der den Nachtgöttern geweiht ist, und jedermann fürchtet das Tal wegen der Gespenster. Ihr aber wandelt weiter nordwärts an der Saale bis zu dem Hügel mit einem alten Turmgerüst, in diesem haltet die zweite Nachtrast. Von da führt der Weg gerade dahin, wo jetzt die Sonne untergeht, zwei Tage lang.«

»Wiederhole den Sang, damit ich ihn festhalte«, antwortete das Mädchen aufmerksam. Wolfram gab aufs neue seinen Bericht, legte die Zügel des Pferdes in die Hand einer Frau und sah noch zu, wie drei Kinder jauchzend hinaufstrebten. Dann suchte er eine harte Wegstelle und schwang sich mit weitem Satze in das Gehölz.

In großer Versammlung der Sorben teilte der Opferpriester dem gebundenen Ingram das Schicksal mit, welches ihm beschlossen war. Feierlich waren die Mienen der Sorbenkrieger, als der Opfermann sprach und der Weißbart den Spruch deutete, sie spähten in das Antlitz des Gebundenen, wie er die Botschaft aufnehmen würde, und sahen mißvergnügt, daß sein Auge nicht starr wurde, sondern zornig leuchtete, als er dem Ratiz zurief: »Dein Spruch ist tückisch und unehrlich, nicht wie ein Krieger, sondern wie ein altes Weib suchst du blutige Rache an dem Wehrlosen!«

»Dem Gezirp der Grillen gleichen die Schmähworte eines Gebundenen«, versetzte Ratiz und schritt stolz an ihm vorüber. »Zäumt mir den Raben, daß ich ihn reite; das Opfertier führt in den Stall.« Miros und einige von dem Gesinde führten den Gefangenen in ein leeres Blockhaus auf der Höhe. »Gefällt dir's, Ingram,« sagte der Sorbe, »mir zu geloben, daß du aus dem Raume nicht weichst, so lasse ich dir die Füße frei, damit du sie regest.«

Ingram dankte ihm mit einem Blick, aber er sprach: »Von einem Mann des Ratiz nehme ich keine Gunst, auch wenn sie freundlich geboten wird.«

»Dann bindet ihm die Beine und zwängt ihn an den Boden.« Im Nu war Ingram geschnürt, zur Erde gelegt und mit dem Leibe an einen schweren Holzklotz gebunden. Der Sorbe verließ den Raum, ein junger Krieger hielt die Wache. Ingram lag am Boden, ein aufgegebener Mann, und träge war der Zug seiner Gedanken. Nur einmal hob er sich, als er Hufschlag hörte, er rief ein lautes Hara, das Wiehern eines Rosses antwortete, und er merkte den Hieb des treibenden Reiters. Dann ward es wieder still, durch eine kleine Luke der Holzwand fiel das Sonnenlicht in den Raum, immer näher zur Gegenwand schob sich das goldene Viereck; er sah gleichmütig darauf, ihm waren die Stunden langweilig. Neben dem Lichtloch hatte eine Schwalbe ihr Nest gebaut, die Vögel flogen aus und ein, die Jungen flatterten in der Öffnung und ließen sich von den Alten füttern. Er dachte daran, daß auch in seinem Hofe die Schwalben unter dem Dach bauten, und zuckte, wie von einem Messer gestochen; aber der Gedanke zerrann wieder.

So kam der Abend, der Wächter brachte Brot und Wasser, er nahm dankend an, daß der Mann ihm den Krug zum Munde führte, das Brot wies er zurück. Das Gold der Sonne wurde feuriger, dann schwand es in mildem Rot, zum letztenmal kamen die Schwalben herein, zwitscherten und zankten im engen Nest und er sah durch die Luke, wie die Abendröte den Himmel bedeckte, bis auch sie im matten Grau verschwand. Dunkel erfüllte den Raum; der Mann, welcher an der Tür lagerte, zog ein Heubund unter seinen Kopf und entschlief. Auch Ingram rückte das müde Haupt auf den Klotz, soweit die geschnürten Arme erlaubten, die Augen sanken ihm zu und undeutlich wurde ihm seine Umgebung.

Da rasselte es leise draußen am Boden, etwas strich längs dem untersten Balken hin, wie der Igel, wenn er längs der Hecke fährt. Ingram richtete den Leib auf, seine Seele trat gespannt in Auge und Ohr und aus seinen Lippen drang ein summender Laut.

Zum zweiten Male knarrte der Igel längs der Wand und zum zweiten Male gab Ingram Antwort und starrte auf das Luftloch in seiner Nähe, er sah, wie etwas durch die Öffnung hineingeschoben wurde, es fuhr auf und ab wie an einer Schnur und klang leise an der Wand. Er wußte, es war ein Messer. Die Arme waren ihm gebunden und die Füße gebunden, vielleicht mochte er es mit den Füßen erreichen und festhalten, wenn es ihm gelang, den schweren Holzklotz, an den er gefesselt lag, zu rücken. Er stemmte und schob, dann faßte er das Messer zwischen die geschnürten Füße und mühte sich, bis er den Griff zu seinem Munde hob. Er hielt das Messer mit den Zähnen und zerschnitt allmählich den Strick, der seinen Leib am Klotze festhielt, dann stemmte er die Spitze des Messers in den Boden und rieb an der Schneide die Weiden, welche ihm die Arme banden; mit den befreiten Händen löste er leicht die Füße. Es war langwierige, sorgliche Arbeit. Noch jetzt blieb er liegen und regte die Arme und Beine, bis in die geschwollenen Glieder wieder Bewegung kam. Dann klopfte er leise an die Wand, wie ein Holzwurm pickt, und lauschte. Eine lange Zeit verging, endlich hörte er eine bekannte Stimme leise rufen: »Jetzt zu mir.« Der Wächter rührte sich, aber blitzschnell warf Ingram seine Jacke ab, warf sich über den Sorben an der Tür, schnürte ihm die Jacke über dem Haupt zusammen und Hände und Füße mit dem Seil, raunte ihm zu: »Dein Leben danke dem Krug Wasser«, und sprang aus der geöffneten Tür. Draußen regte sich nichts, er fuhr um das Haus herum, eine Freundeshand faßte ihn und half ihm beim Schwunge über den Zaun. Zwei Männer rollten den Berg hinab und sprangen durch die Dorfgassen. Wütend kläfften die Hunde und der andere stieß einen Fluch aus: »Die Köter sind ihre beste Hilfe, wir verfehlen das Schlupfloch.« Da wurde es plötzlich tageshell, von der entgegengesetzten Seite des Lagers brach ein Feuer auf, beide sprangen vorwärts wie vom Winde getrieben. Einer von den Wächtern, die längs dem Zaune gingen, schrie sie an, Wolfram antwortete in der Sorbensprache und wies nach dem Feuer. Durch eine Lücke im Dorfzaun glitten sie in den Graben hinab, im nächsten Augenblick standen sie im Freien. »Jetzt schnellen Schritt und gutes Glück.« Hinter ihnen erscholl wirres Geschrei und Rufe. Vor den Laufenden erhob sich im Felde ein hoher Birnbaum, unter seinem Blätterdach hielt ein Reiter ledige Rosse. Die Flüchtigen schwangen sich auf die Pferde und ritten in die Nacht hinein, während hinter ihnen die Flamme zum Himmel stieg und der Lärm des erwachten Dorfes klang.

Der wilde Ritt trieb das Blut schneller durch Ingrams Adern, vom Rosse reichte er seinem Treuen die Hand. »Wer ist der dritte?« fragte er.

»Godes, einer von uns, ein Roßknecht des Miros; er hat sich mir gelobt; sein Herr hat ihn mit der Peitsche geschlagen, dafür hat er ihm eine Fackel angesteckt. Die Flamme mag uns Rettung werden, sie steigt jenseit der Ratizburg auf, dorthin zieht es ihre Gedanken von unserem Wege.«

Der Reiter vor ihnen hob warnend den Arm: »Vorsicht, Herr, wir nahen dem Ringzaun an der Dorfmark. So schlaftrunken ist keine Sorbenwache, daß sie den roten Schein am Himmel mißachtet und den Tritt dreier Pferde, die aus ihrem Weidegrund brechen.«

Sie waren einen Hügel hinabgejagt, gedeckt durch das Baumlaub, jetzt fuhren sie hinaus auf das offene Feld zwischen die Baumstümpfe, hinter ihnen leuchtete der Feuerschein, er fiel auf die weißen Slawenröcke, welche zwei der Reiter trugen, und warf die Schatten vor ihnen auf das Feld. »Dort im Dorfe half uns die heiße Lohe, hier hat sie unsern Nachtmantel verbrannt«, brummte Wolfram. Von der Seite erscholl Anruf und Geschrei und Hufe klapperten. »Jetzt gilt es leben oder verderben«, rief der Mann und die Flüchtlinge sausten wie Sturmwind dahin, hinter ihnen die Verfolger. Ein Pfeil fuhr auf Ingrams Sattel, ein anderer streifte sein wehendes Haar. »Hier ist der Holzring der Grenze«, mahnte Wolfram, sie trieben die Pferde zum Sprunge und flogen hinüber, noch wenige Roßsprünge und über ihnen breiteten sich die Äste eines Fichtenwaldes. Auf schmalem Wege ritten die Reiter bergauf, die Pferde stolperten und stöhnten. »Bricht ein Pferdefuß, so sollen Sorbenmädchen weinen«, rief Wolfram. Aber die Rufe der Verfolger wurden schwächer und verhallten. »Die Nachtjagd im finsteren Wald dünkte ihnen gefährlich. Gemach, Godes, Pferdeleib und Menschenbein sind nicht von Eisen, die Äste zausen das Haar und die Stämme brechen die Knie.«

Sie schlugen sich durch das Dickicht die Höhe hinauf und ritten durch niedriges Buschholz über einen langen Bergrücken. Der Weg hatte sich gewandt, zu ihrer rechten Seite flammte das Feuer, immer höher und röter, und dunkle Rauchwolken wirbelten durch die Masse. Mitten in der feurigen Lohe hob sich der Hügel des Ratiz, die beleuchtete Halle und die Strohdächer. Plötzlich blinkte ein heller Schein auf dem First der Halle, ein weißes Licht flackerte über das Dach, gleich darauf standen auch die Dächer des Hügels in hellen Flammen und die Röte breitete sich über den halben Nachthimmel. »Dort sengt das Räubernest,« rief Ingrams Mann in wilder Freude, »nicht umsonst hast du, Herr, beim Eintritt mit den Feuerzungen gedroht.« Ingram lachte, aber er blickte scheu auf die Flamme und kalt fuhr es ihm über den Leib. Seit seiner Kinderzeit war ihm ein Hausbrand greulich und oft hatten ihn seine Gesellen darum gehöhnt, jetzt mühte er sich wegzusehen, aber immer zog es ihm die Augen nach der Lohe; er fühlte deutlich, wie einem zumute war, der hoffnungslos mit beklommenem Atem darin saß, er dachte an die Worte des Jünglings, der ihn bat, nichts Böses zu wünschen, und plötzlich erinnerte er sich des Wächters, den er unter dem Strohdach gefesselt hatte, und er wandte unwillkürlich sein Pferd nach dem fernen Sorbendorfe zurück. Aber Wolfram riß das Tier beim Zügel vorwärts, trieb es durch einen Schlag und rief lachend: »Der Gaul merkt, daß sein Stall brennt.« »Manches Sorbenweib muß heut stöhnen im heißen Ofen«, rief der Führer ebenso zurück.

»Das ist schwache Vergeltung für den Mordbrand, den sie in unseren Dörfern geübt,« versetzte Wolfram, »ich denke, der Ratiz wird die Lust verlieren, morgen Frankendörfer zu brennen, die Kerzen leuchten ihm heimwärts.« Ingram schwieg.

Noch eine Stunde ritten die Reiter, der rote Schein wich hinab an den Horizont, das bleiche Licht des neuen Tages stieg herauf, mit leichterem Herzen sah Ingram die Brandröte im Frühlicht dahinschwinden. Der Morgennebel setzte sich in Haar und Gewand der Reiter und die Rosse zogen ihre Spur in den graulichen Tau, der auf dem Rasen des Grundes lag. Vor ihrem Wege schoß ein Bach, sie tränkten die Rosse, der Vordermann ritt mit dem Lauf des Wassers bis zu einer Stelle, wo viele Tritte auf dem feuchten Grund sichtbar wurden, dort trieben sie die Rosse hindurch bis hinter ein Erlengebüsch unweit des anderen Ufers. Der Führer hielt.

»Ich erkenne, was du meinst, Godes«, sagte Wolfram. »Wähle unseren Weg, Herr; durch die Furt sind die Frankenfrauen geschritten, die der Christ erledigt hat, man sieht jeden Fußstapfen, das Roß des Priesters mit fremdländischem Eisen, die Kinder, die Kuh, und hier den tiefen Tritt, welchen die Gertrud in den Boden gestampft hat. Sollen wir nachziehen auf ihrem Wege? Ein Blinder könnte ihn fühlen.«

Ingram sah düster auf den Wiesengrund. »In wenigen Stunden haben wir sie eingeholt, wenn die müden Sorbengäule uns noch tragen, obgleich du gut gewählt hast unter den Rossen des Miros.«

»Die Weiber rasteten diese Nacht im Steinturm an der Saale, den die Slawen zerrissen«, erinnerte Wolfram.

Ingram sah vor sich nieder. »Wie mag der Vogel fliegen, wenn ihm die Schwingen ausgerauft sind, waffenlos bin ich.«

»Ich sah dich doch sonst schon mit knotigem Astholz treffen, wenn andere Waffen fehlten«, versetzte Wolfram erstaunt.

»Führt unsere Spur zu den Frankenfrauen, so locken wir den Ratiz auf ihre Fährte und leiten ihnen die Gefahr auf ihren Weg.«

»Ein hungriger Bär packt das Wild, das er zunächst erreicht. Meinst du, daß die Sorben jetzt an etwas anderes denken als an Rache? Dreißig und ein Haupt können bezahlen für die rote Lohe, schwerlich wird der Ratiz seine Krieger zurückhalten, auch wenn er wollte, wenn diese bei der Heimkehr ihre Weiber und Kinder aus der Asche aufheben.«

Wieder fuhr es kalt über den Rücken Ingrams. »Teurer Preis wurde bezahlt für das Haupt des einen Mannes.«

»Hätte er nur den Raben und sein Schwert,« dachte Wolfram bekümmert, »denn völlig ist der Mann verwandelt. Willst du, so fragen wir den Godes, er kennt die Sorben.« Er rief den Führer heran und stellte die Frage. Godes antwortete: »Einige folgen uns Männern, ob sie uns fangen; aber das Sorbenvolk wird, wie ich denke, ausziehen gegen die entledigten Weiber.«

»Und wann mag der Ratiz in seine zerstörte Burg einfliegen?« fragte Ingram.

Der Mann sah nach dem Himmel und überlegte. »Hat er den Nachtbrand gesehen, und er hat ihn gesehen, so kann er noch vor Mittag sich an den Kohlen seiner Halle das Mahl bereiten.«

»Dann drückt er zum Abend den Nacken des Priesters«, rief Wolfram.

»Genug«, rief Ingram und stieß dem Pferd seine Fersen in die Flanke. Sie ritten weiter über Berg und Tal, bis sie den verfallenen Turm vor sich sahen, zu ihm führte deutlich die Spur. Sie drangen auf den Gipfel, umritten den wüsten Balkenring, erkannten den Rastplatz, die Haut der geschlachteten Kuh, eine Feuerstätte, in der Ecke gepflückte Zweige und gerauftes Gras. »Hier war das Lager der Walburg«, sagte Wolfram. Sein Herr warf nur einen Blick darauf, dann trieb er sein Roß wieder aus den Balken ins Freie. »Jetzt haben wir sie sicher,« tröstete Wolfram, »die Spur weist nordwärts, gerade wie ich mit den Weibern beredet hatte.«

Die Reiter folgten vorsichtig der Spur, sie überschritten die Bäche, bogen zuweilen in den Wald aus, um die Slawenhöfe am Wege zu meiden, und kamen im Nachmittag an den schwarzen Bach. Fröhlich erkannten sie die Stelle, wo der Zug durch das Wasser gedrungen war, und trabten nach kurzer Rast nordwärts weiter. Der Grund war hier fester, und die Spur ging ihnen verloren. Sie hielten an und suchten, endlich fanden sie die Hufspur zweier Rosse, welcher sie folgten, bis Ingram eine Stelle traf, wo der Boden weicher wurde. »In gestrecktem Lauf sind die Tiere gesprengt, wer von der Schar kann gefahren sein wie der Wind; die Stapfen der kleinen Füße sehe ich nicht.« Er stieg ab, eilte mit beflügeltem Schritt zurück, durchsuchte die ganze Umgebung, aber er erkannte nichts von Menschentritten. »Hat der Christengott sie der Erde enthoben?« rief er bekümmert. Die Reiter trabten unsicher weiter.

»Die Rosse waren ledig,« sagte Wolfram, »mein Brauner führt; wir mögen sie, wenn sie nicht im Magen der Wölfe schwanden, an deinem Hoftor finden. Wahrlich, der Fremde versteht manches Geheimnis, die Kinder sind in die Felsen zu den Zwergen gegangen oder als Vögel davongeflogen. Folgen ihnen die Sorben, dann wird es ein Wiedersehn unter der Erde oder in den Wolken.«

Ingram hörte wenig auf den Trost seines Mannes, mit ängstlichem Blick suchte er längs der Saale und auf der anderen Seite im Dickicht. Aber fruchtlos war das Spähen. Sie hielten wieder, dann ritten sie vorsichtig auf dem Saumwege zurück, bis Wolfram seinem Herrn in den Zügel griff. »Hier bis zu dem Felsen sind sie gegangen, und hier werden sie spurlos. Wir aber reiten dem Ratiz fruchtlos in die Arme.« Ingram wandte sein Roß und wieder ging es in gestrecktem Lauf heimwärts bis zu der Höhe, welche die zweite Nachtrast der Frauen sein sollte. Dort sprangen die Reiter von den Rossen und durchsuchten im Abendlicht den Hügel und seine Umgebung. Aber sie fanden weder Menschen noch ihre Fußtritte. Zuletzt endlich die Hufspuren der zwei Rosse.

»Hier zu rasten meine ich nicht,« begann Ingram das finstere Schweigen brechend, »folgt mir aufwärts in die Berge, vielleicht erblicken wir dort von der Höhe ihr Feuer.« Wieder ritten sie weiter, der große Gebirgswald nahm sie auf, sie mußten absteigen und ihre müden Rosse führen.

Unter den Bäumen wurde es finster, immer noch lauschten sie auf den Ton von Menschenstimmen oder auf ein fremdartiges Geräusch, aber nur die alten Gebieter des Bergwaldes, die Riesenbäume, redeten zu ihnen in ihren geheimnisvollen Tönen. Endlich hielt Wolfram an, als sie in ein dunkles Waldtal gestiegen waren. »Fleisch und Bein wollen nicht mehr zusammenhalten, gefällt's Euch, Herr, so rasten wir, sonst verlieren wir die Pferde.«

Ingram sprang ab und sprach mit heiserer Stimme: »Unselig sei das Lager, auf dem ich diese Nacht raste; ist euch die Ruhe nötig, so erwartet mich; ich fahre zurück durch die Wildnis und suche das Feuer der Hilflosen. Hoffe nicht mich zu bereden, Wolfram«, setzte er befehlend hinzu. »Die Sorge macht mich zornig, bin ich mit dem Morgen nicht zurück, so fahrt heimwärts und erwartet mich im Hofe.«

»Was einer tun muß, soll der andere nicht hindern«, versetzte Wolfram, kummervoll seinem Herrn nachsehend. »Ich lobe nicht den Verstand eines Mannes, der bei Nacht dem Schrei der Raubtiere nachzieht. Laß uns die Rosse sichern vor dem Ungeziefer, Godes, und unseren Gürtel fester schnallen, denn schmal ist die Nachtkost. Einer schläft nach dem anderen, wer den längsten Halm zieht, hat die erste Wache.« Sie zogen, Godes setzte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm, legte die Keule neben sich, Wolfram streckte sich der Länge nach in das Moos. »Trägt mich ein Bär fort, so zahle ihm den Trägerlohn«, sagte er schläfrig und war nach wenig Augenblicken entschlafen.

Durch die Nacht drang Ingram bergauf, verstört war sein Sinn, wild der Flug seiner Gedanken, und rings um ihn die Schwärze des Todes. Mit der Hand griff er vorwärts in die Finsternis, er tastete an den Stämmen und sank zu Boden zwischen Steinen und knorrigen Wurzeln, aber immer wieder erhob er sich und drang höher und immer sah er vor seinen heißen Augen das lodernde Dorf und die feurigen Zungen, welche über die Strohdächer des Ratiz flackerten. Er dachte an die Rache der Sorben, neuer Mordbrand würde in den Grenzdörfern seiner Heimat aufsteigen, und auf ihn würde die Schuld fallen. Und zwischen solchen Angstgedanken hörte er die leisen Worte des Mönches: »Rächet euch nicht, denn die Rache ist mein.« Törichte Worte für das Ohr eines Kriegers! Wie kann ein solcher tatlos seinem Gott die Sorge überlassen, den Feind zu verderben. Die Götter hatten ja auch ihn selbst nicht vor der Kunst und vor der Tücke des Ratiz bewahrt. Durch das Grauen des Waldes wand er sich dahin als ein entlaufener Knecht. Sein Angesicht wurde glühend heiß und seine Faust ballte sich, er stürmte fort und schlug mit seinem Leib an Baumstamm und Felsen, bis er keuchend zur Höhe kam, wo der Sturmwind alte Stämme gefällt hatte und der graue Nachthimmel über ihm sichtbar war. Er kletterte mühselig auf das Gewirr von Ästen und Wurzeln und suchte einen Ausblick auf die Höhen und auf das Tal davor, ob ein Feuerfunke blinke durch die Schwärze oder der Laut einer Stimme hörbar sei. Er wußte, daß es ein kindisches Hoffen war.

Alles um ihn war finstere, öde, menschenfeindliche Wildnis. Nur die Überirdischen sprachen hier, wenn die Wipfel rauschten, und unten in der Tiefe heulten die Krieger des Waldes, die wilden Tiere. Hier waren die Götter sogar dem wehrhaften Manne feindlich, würden sie Erbarmen üben gegen den Haufen, der mit dem Kreuz des Fremden dahinzog, und würden sie die Frauen retten vor Bärenklaue und Wolfsbiß, vor dem jähen Abgrund und dem fallenden Baum? Keiner konnte sagen, ob die Götter mächtig waren und von gutem Willen, sie selbst waren geworden und hatten das Geschlecht der Männererde gezeugt, und sie sollten alt werden und grämlich, wie die Weisen verkündeten, und die Götter und die Geschlechter der Menschen sollten zuletzt untergehen in bitterem Todeskampfe vor dem Weltbrand? Der Christengott aber war, wie der Fremde rühmte, ewig. Und er sollte ewig regieren hier auf der Erde und im Himmelssaal. Daher war auch der Christenmann so fest, denn er vertraute auf die Dauer und auf die Sorgfalt seines Gottes. – Sie hatte sich das Antlitz zerrissen, weil sie den Feind des Lebens nicht töten wollte. Lieber als das Wohlgefallen der Menschen war ihr das Gebot ihres Gottes. Ihr Gott hatte sie fest gemacht, weil sie ihm treu war.

Ingram seufzte tief und seinem Stöhnen antwortete aus der Tiefe das Geheul der grauen Wölfe. Er kannte solchen Gesang der Götterhunde, so schrien sie, wenn sie sich zum Leichenmahle rüsteten auf der Walstatt oder um den Pferch einer Herde. Dort unten strichen sie um ihre Beute. Und er dachte sich die schwachen Pfähle, welche Frauenhand geschlagen hatte, das Weib und die Kinder, und um sie die glühenden Augen und die aufgesperrten Rachen der Wölfe. Schreiend schwang er die Keule und sprang hinab wie ein Rasender, er fiel und er sprang wieder und fiel, und als er sich aufraffte, hörte er dicht vor sich einen Stein gleiten und eine Weile darauf in die Tiefe krachen. Er warf sich zurück und sein Haar sträubte sich, er merkte, daß vor ihm ein Abgrund gähnte. Eine Weile lag er so, kraftlos, in kaltem Schweiß gebadet, aber wieder heulten die Raubtiere, sie zankten miteinander und wie ein heiseres Lachen klang ihr Gebell. Er kletterte rückwärts und fuhr längs der Höhe dahin, bis er einen Quell rieseln hörte, er fühlte sich zu dem Wasser, schöpfte in der hohlen Hand und führte es an den brennenden Mund, dann stieg er vorsichtig in dem Rinnsal bis zur Taltiefe, in welcher ein Bach der Saale zufloß. In dem Dämmer des ersten Zwielichts sah er jenseit des Baches die grauen Schatten der Wölfe beim gierigen Fraß, die Nasen in dem Blut eines gejagten Wildes, gedrängt wie die Schafe am Brunnentrog. Tief aufatmend wich er zurück und lief den Bach abwärts der Saale zu. Es trieb ihn zu der Stelle, die sein Mann zum Lager der Weiber gewählt hatte. Ob sie dort in der Nähe rasteten? Da, wo die Waldhügel zum Saalufer abfielen, hielt er an. Vor sich sah er verglimmende Feuer, er hörte stampfende Hufe und sah eine grauröckige Gestalt neben einem Rosse stehen, den Wächter des Lagers. Die Verfolger waren auf dem Wege. Er warf sich zu Boden und wand sich im Schatten des Gehölzes entlang, angstvoll mit den Augen durch die Dämmerung nach Weibern und Kindern unter den schlafenden Feinden spähend. So lag er und wartete auf das Frühlicht.

Er, der im Buchenlaub lag mit roten Augen, und der Sorbe, welcher hundert Schritt von ihm wachte, beide Nachtgänger wußten nicht, wie nahe ihnen die Ruhestätte war, in welcher das Kreuz stand. Auf einer langgestreckten Höhe, etwa eine Wegstunde nach Westen zu hatte der Mönch seine Schützlinge gelagert. Ganz friedlich war ihre Fahrt gewesen, zwei sonnige Tage zwischen Laub und blühendem Gras, zwei stille Nächte unter dem Sternenlicht. Es hatte sie kein wildes Tier umheult und kein Nachtgespenst der Wälder geschädigt; sie waren an Sorbenhütten vorübergekommen, dort hatten die Sorben Wasser aus dem Brunnen zugetragen und die Wangen der Kinder gestreichelt, eine Slawenfrau hatte der Gertrud mitleidig einen Topf geschenkt, als wertvolle Gabe, damit sie den Kindern die Wurzeln und Pilze koche, und kleine Sorbenjungen waren mitgelaufen, den Gesang zu hören, und hatten versucht das Kyrie nachzuschreien. Von dem Feuerschein in ihrem Rücken wußten die Fahrenden nichts, und als ein Sorbenmann sie danach fragte, hatten sie das ehrlich gesagt und der Mann hatte ihnen geglaubt und sich über das feurige Zeichen am Himmel sehr gewundert. Erst am letzten Mittag, da sie zum Schwarzwasser gelangten, hatte Walburg, während der Mönch bei ihr vorüberging, den Schleier gehoben und mit Anstrengung zu ihm gesagt: »Raste nicht, wo Ingrams Mann geboten, ziehe nicht den Pfad, den er dir gewählt, vergeblich wäre es, durch hastige Fahrt die Kinder vor dem Verfolger zu retten. Laß mich absteigen, ich vermag wohl zu gehen, und jage die Rosse ohne uns nordwärts, denn sie ziehen uns die Wölfe und die Sorben nach. Lieber vertraue unser Leben dem Bannwald und den Klippen der Schwarza. Dort birg die Kinder.« Den Rat billigte Gertrud, obwohl ihr vor Ungeheuern graute, denn auch sie hatte ihre Gedanken über den Feuerschein und über das Jagdglück des Wolfram. Und als sie über das Schwarzwasser gedrungen waren, rief Gertrud einige Weiber und die Knaben und führte sie mit den Rossen auf weichem Grunde eine Wegstrecke denselben Pfad entlang, welchen Wolfram ihr vorgesungen hatte, bis dahin, wo der Boden hart wurde und die Tritte undeutlich, dann trieb sie die ledigen Rosse mit starken Schlägen nordwärts und lehrte die Kinder die Schritte hinter sich zu setzen und rückwärts zu stapfen bis an die Stelle des Baches, von der sie gekommen waren.

»Es ist eine Kinderlist,« sagte sie, »vielleicht hilft sie doch Kluge täuschen.« Darauf zogen sie im schwarzen Tal entlang, das Wasser zur Linken, bis ihnen ein Bach, der aus der Richtung ihrer Heimat in die Schwarza rann, den Weg hemmte. An dieser Wasserrinne zogen sie talauf, endlich erstiegen sie langsam und mit müden Beinen eine Bergleite und gingen auf dem Rücken noch eine Strecke dahin, während der Himmel sich rötete. Da fanden sie ein altes Verhau, das früher einmal Jäger oder flüchtige Talleute zusammengeworfen hatten, sie drängten sich hinein, suchten den Quell und zündeten im Abendlicht unter den Bäumen ihre Feuer an. Die Frauen bereiteten für Walburg ein Lager von Heidekraut und rüsteten wilde Nachtkost. Die Kinder aber lagerten sich im Kreise um Gottfried und dieser erzählte ihnen die Geschichte von einem Königsohn aus Morgenland, der Joseph hieß und den seine Brüder in eine tiefe Grube warfen, die ganze Geschichte bis dahin, wo Joseph seinen alten Vater wiederfand und küßte. Die Kinder saßen um ihn, die kleinsten drückten sich an seine Arme und hingen sich an seinen Hals, die blauen Kinderaugen blickten ihn so gespannt und so fröhlich an, daß er sich vorkam wie ein Seliger unter den Engeln. Und als er geendet hatte und alles um ihn her schwieg, rief ein kleiner Heidenknabe, den sie Bezzo nannten, indem er an ihm hinaufkletterte und seinen Hals umfing: »Ich bin Joseph, und ich will essen.« Alle lachten und sahen auf Gertrud, welche mit einem Holzstabe im Topfe rührte. Da hockten die Kinder um das Feuer, und die Frauen teilten ihnen auf Tellerlein von Rinde die Bissen zu, worauf die Frauen auch der eigenen Mahlzeit gedachten. Gottfried aber sang den Kindern das Nachtgebet vor, und ein grauer Waldvogel knarrte zu dem Amen der Gemeinde seinen rauhen Triller, gerade wie einst in der Zelle unter den Brüdern der alte Hunibert, welcher harthörig war. Dann legte Gottfried die Kinder zur Nachtruhe; aneinandergeschmiegt, die Köpfe ins Moos gedrückt, schliefen sie ein.

Neben ihm saß eine junge Heidenfrau, verworren hing ihr das Haar um das bleiche Gesicht, und ihre Augen starrten ausdruckslos umher. Sie war die zwei Tage schweigend unter den anderen hingewankt, und mit scheuer Teilnahme hatten die Frauen ihr gedient, wie unglücklich sie auch selbst waren. Jetzt öffnete sie zum erstenmal die Lippen: »Gut sorgst du um die Lebenden, Fremdling; aber wenig nützt deine Mühe dem toten Kinde, das zerschlagen am Wege liegt, klein waren seine Beinchen und es weinte, da es lief. Jetzt wischt wohl sein Schatten in der Nacht längs dem wilden Wege und sucht die Mutter, oder es sitzt tief unten im Brunnen, wo die weiße Frau die armen Kinderseelen hütet, kalt ist das Wasser, stumm kauert das Kind, und die Mutter sehnt sich und verhaßt ist ihr das Leben.«

Gottfried kniete zu ihr in das Moos, auch ihm rannen die Tränen vom Angesicht. »Die weiße Frau kenne ich, welche dein totes Kind behütet, und den Weg weiß ich, der zu ihr führt; denn uns ist etwas verkündet von den Kleinen, und es steht in den heiligen Büchern geschrieben: Der Kleinen ist das Himmelreich. Nicht im kalten Brunnen kauert dein Liebling, die Jungfrau Maria ist's, wie ich meine, welche hoch oben im Himmel über den Kindern waltet. In Wonne leben sie und schwingen ihre Flügel und hohe Engel heißen sie unter den Menschen. Selig jauchzen sie dem Frommen entgegen, der aus der Erde aufsteigt in den Himmelssaal. Harre, Frau, und vertraue, auch dir wird dein Engel entgegenfliegen in deiner letzten Stunde und wird dich hinaufführen in den Saal der ewigen Freude.«

Das Weib weinte laut, dann legte sie die Hände über die seinen und flehte angstvoll an ihm niedersinkend: »Bete deinen Sang, damit ich es wiederfinde.«

Gottfried sprach ihr die fromme Bitte vor und sie wiederholte stöhnend die Worte.

Zuletzt trat er zu Walburg, sah zu, ob ihr die Wunde genetzt war, und segnete sie. Die Kranke versuchte sich aufzuraffen und drückte ihm dankbar die Hand. Der Mönch zog seine Hand zurück, aber die Hand bebte. »Nicht mir erweise treue Gesinnung, Jungfrau,« sprach er, »denn wenn ich für dich sorge, so geschieht es nicht, um dir gefällig zu werden, sondern weil ich nach dem Befehl des großen Himmelsgottes handle. An ihn denke, ich bin nur wie der Windhauch, der dir seine Stimme zuträgt, daß sie in dein Ohr tönt. Von Vater und Mutter bin ich gewichen, und von meiner Schwester Herzen habe ich mich gerissen, keinem Menschen zuliebe darf ich handeln, nur ihm diene ich und was er mir gebietet, das tue ich, sei es mir schwer oder leicht.« So stärkte er seufzend sich selbst.

Walburg sank auf ihr Lager zurück, und Gottfried schritt mit gesenktem Haupt zum Eingang des Geheges. Die Nacht stieg herauf, die Frauen lehnten die Köpfe an die Baumstämme, und Gottfried saß lange allein mit seinen Gedanken, bis auch ihm der Schlummer die Augen schloß. Und im Schlaf machte er das Kreuz, wenn das Gebell der Waldtiere aus der Tiefe scholl und der Schrei des Uhus.

Wolfram schaute müde nach dem Morgenhimmel, als auf der Höhe Zweige brachen und Ingram herabsprang. Mit verstörtem Antlitz rief der Held: »Nur ein Zeichen sah ich, die Feuer der Sorben, mit zwanzig Pferden liegen sie an der Saale. Zwei Jägerhaufen neiden einander das Wild; neu beginnt die Suche; auf die Rosse und hinein in den Wald!«


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