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Das Schwert-Erbe.

I.

Es ist ein gar eigenes Thun, so um Mitternacht wachend auf seinem Lager zu liegen und in die stillschlafende Welt hinauszuhorchen. Zuerst vernimmt das Ohr nichts, als etwa das Ticken der Wanduhr oder das Rauschen des Brunnens draußen vor den Fenstern; aber allmälig wird es rings herum lebendig von unzähligen Stimmen, von deren Dasein wir zu einer andern Stunde keine Ahnung gewinnen könnten. Hart neben uns in der Wand bohrt ein unsichtbares Geschöpf sich seine Wohnung mit mannigfachen Winkeln und Gangwindungen; bisweilen hält es inne, vermutlich um auszuruhen von der Anstrengung, denn wenigstens verräth der veränderte Ton, daß ein neuer Arbeiter das Werk aufgenommen hat. Und nicht lange, so macht sich ein dritter, ein vierter bemerkbar, bis wir uns bald in der Nähe einer ganzen Armee unermüdlich thätiger Wesen wissen. Aber sein Bewenden hat es noch immer nicht damit; vielmehr erhebt sich nun ein Wehen und Flüstern vor den Fenstern, im Gemache und durch das ganze Haus, als sprächen tausend leise Zungen durch einander, um die verborgensten Gedanken unserer Seele in traumartigem Vorübergleiten aufzuwecken. Und das gelingt ihnen auch, diesen Stimmen; denn während das äußerliche Auge mit Nacht bedeckt wird und sich vergeblich anstrengt, zu den Wahrnehmungen des Ohres Gestalten und Körper zu finden, ist plötzlich das innerliche Auge erwacht, das mit einem Blicke lange Jahre der Vergangenheit überschaut und dadurch gestärkt sich bemüht, die verhüllt heranschwebenden Bilder der Zukunft festzuhalten.

Mit solch stillem Thun war in einer Vorfrühlingsnacht des Jahres 1653 der Junker Ulrich von Hallwyl beschäftigt. Vor kaum einer Stunde noch hatte das laute Geräusch einer frohen Gesellschaft das Schloß erfüllt; aber jetzt war es still geworden und der Junker horchte mit einer eigenthümlichen Empfindung behaglichen Grauens einem wehenden Hauche, der wie ein einziger, langanhaltender Athemzug durch die Gemächer und hohen Gänge zog. Ueber den Hof herüber ertönte der dumpfe, einförmige Pendelschlag der Schloßuhr und von unten herauf kam der Klang der leise sich brechenden Wasser des kleinen Flusses, der die Thürme und Vormauern des Schlosses wie ein natürlicher Graben umzieht. Sonst allerwärts die tiefe Stille, durch welche sich das Treiben der winzigen, nachtarbeitenden Thierwelt vernehmen läßt. Der Junker hatte schon lange auf dasselbe hingehört, als er plötzlich den Kopf vom Kissen erhob, wobei der matte Lichtschein der Nachtlampe, der auf sein Gesicht fiel, den deutlichen Ausdruck eines leichten Erschreckens erkennen ließ. Er blieb in horchender Stellung eine geraume Weile halb emporgerichtet, indem er das Ohr geräuschlos näher an die braune Täfelwand heranbrachte. »Es ist so – eine Todtenuhr,« sagte er endlich mit halblauter Stimme und den Kopf wieder zurücklegend; »die käme jetzt doch etwas ungelegen, wenn ihr Klopfen mir gelten sollte; vielleicht hat sie der Lichtschein in die Nähe gelockt.« Mit diesen Worten hauchte er das matte Flämmchen aus und schloß leiser: »Nun ist's auch Zeit zum Schlafen, denn morgen wird's früh genug laut werden.«

Aber der Schlaf, der launische Herrscher der Nacht, wollte sich dem Wunsche nicht fügsam erzeigen, und der Junker mußte unwillkürlich auf's Neue dem leisen Pochen horchen, das in kurzen, doch deutlichen Schlägen in der Wand nebenan vernehmbar wurde. Er begann diese Schläge nachzuzählen, halb in ernsthafter Absicht, halb in der Hoffnung, an der einförmigen Beschäftigung den Weg zum Schlummer zu finden; aber der letztere blieb aus und dafür kam ungerufen ein Schwarm von Gedanken und Erinnerungen, die, bald in raschem Fluge, bald langsam, wie zu genauer Prüfung sich vor den Schlaflosen hinstellend, an seinem innern Blicke vorüberzogen. Vorerst kam mit aller Klarheit, als wäre es gestern gewesen, das Bild jenes Tages, an dem der Junker, kaum dem Knabenalter entwachsen, draußen im Schloßhofe noch vom Sattel herab von Vater und Mutter Abschied genommen, um in Frankreich die Pflichten eines Soldaten und zugleich die Sitten ritterlichen Hoflebens, wie sie dem Sprößlinge eines der ältesten Adelsgeschlechter Europa's gebührten, zu erlernen und sich anzueignen. Es waren nun fünfzehn Jahre vergangen seit jenem Tage; aber was hatten sie in ihrem Schooße mitgebracht und wie war Alles so ganz anders geworden, als Wünschen und Hoffen vorgespiegelt! – Der alte Freiherr, an jenem Abschiedstage noch eine hohe, ritterliche Gestalt in der vollsten Manneskraft, hatte sein Schloß wenige Jahre nachher schon verlassen, um für alle Zeiten eine enge, dunkle Wohnung in der Erbgruft neben seinem Ahnherrn, dem Helden von Murten, zu beziehen; der Sohn aber empfing die Todesnachricht nicht am königlichen Hoflager in Paris, sondern erst lange Zeit später im fernen Böhmenlande, gerade in dem Augenblicke, als die Trompeten ihn aufforderten, mit seinem Fähnlein schwedischer Reiter den Feind zu attaquiren. Als er den Boten, der ihn lange vergeblich in den unsteten Heerlagern gesucht, angehört hatte, fuhr er mit der Hand über die Augen, die sich in einem zitternden Schleier verdunkeln wollten, zog dann seinen langen Reiterdegen und rief mit dröhnender Stimme: »Hie Hallwyl – vorwärts Kinder!« – Damals, im Sturme eines wildbewegten Soldatenlebens, in dem der Fuß bei jedem Schritte an eine Leiche stieß, ließ sich auch der Tod eines Vaters leichter verschmerzen; aber nun seit den wenigen Tagen der Heimkehr war derselbe dem Junker in ganz unerwarteter Weise schwer aufs Herz gefallen, und oft schritt er langsam durch die Gänge des Schlosses, die Wendeltreppen hinauf oder über den Hof hinaus, bis er plötzlich stehen blieb, die Augen zu Boden schlug und leise vor sich hin sprach: »Uli, was treibst du da – er ist ja doch todt, wohl bald zehn Jahre lang.« Es mochten aber außer dem durch die Heimath wieder frischer geweckten, kindlichen Gefühle noch andere Gründe mitwirken, die dem Junker Ulrich den Tod des Vaters so nahe rückten – Gründe, über die er sich indessen nicht einmal klare Rechenschaft abzulegen wagte. Als zweitgeborner Sohn hatte er niemals daran gedacht, Erbe und Stammhalter des alten Heldengeschlechtes zu werden, zumal sein kaum um ein Jahr älterer Bruder nicht nur ein stattlicher, schmucker Jüngling war, sondern sich auch schon seit Jahren fern von den Gefährden des Kriegslebens unter dem friedlichen Schutze des einsam gelegenen Schlosses befand; doch nun seit einem Jahre, gerade von der Zeit an, mit welcher er der Freifrau im Regimente der immer noch ansehnlichen Herrschaft hätte folgen können, zerstörte eine schwere Gemüthskrankheit das Mark seines Lebens, das er, in eine wohlverwahrte Kammer eingeschlossen, in kaum menschenähnlicher Weise dahinschleppte. Der Bruder hatte den Heimgekehrten, an dem er in jüngern Tagen mit so warmer Anhänglichkeit gehangen, nicht wiedererkannt und ihn mit einem Blicke angeschaut, in dem der Glanz des einst so feurigen Geistes längst zu einem nebelhaften Flimmer verblichen war. Ueber Ursache und Anfang dieser trüben Erscheinung hatte Herr Ulrich seine Mutter noch nie genauer zu befragen gewagt; er wußte selbst nicht recht, waren es die dunkeln Gerüchte, die er noch in der Fremde darüber vernommen, welche ihn davon abhielten, oder war es das stolze, strengverschlossene Wesen der Freifrau, das ihm bisher den Muth des Vertrauens benommen hatte. Er war doch sonst wohl gewohnt, dem grimmigsten Feinde fest in's Antlitz zu schauen; aber wenn ihn nun die eigene Mutter mit ihren kleinen, dunkeln Augen so seltsam anblickte, nicht als wollte sie Liebe in seinem Herzen suchen, sondern eher eine verworrene Empfindung entdecken, die im tiefsten Grunde seiner Seele schlummern mochte, dann mußte er die Blicke niederschlagen, und auf der Zunge erstarb das warme Wort, das sich herangedrängt hatte. – Herr Ulrich athmete schwer auf, als er in der nächtlichen Stille diese Dinge bedachte, und mit einer Art wehmüthiger Enttäuschung sprach er in sich hinein: »Pah, wie Manchen hab' ich vom Sattel gehauen, der sein letztes Stündlein noch nicht herbeigewünscht, und an wie manchem Weibe bin ich, ohne mich umzusehen, vorübergeritten, das schreiend und jammernd sich auf einen Todten warf – was hätte da all' mein Mitleid nützen und helfen mögen; aber irgendwo will der Mensch ein Flecklein haben, auf dem er erwärmen kann, das hab' ich längst gespürt. Doch hier bei meiner Frau Mutter wird das nimmer gehen.« An diese Vorstellung schloß sich ein brütendes Sinnen, das lange mit scheuem Tasten an den dunkeln Pforten der Zukunft hin- und wiederging, bis es plötzlich wieder mit einer Erinnerung aus den letzten Tagen zusammentrat. Der Junker war nämlich bei seinem Heimritte durch das Frickthal herauf vor einer kleinen Schenke abgestiegen, um einen Trunk des lange nicht mehr gekosteten Landweines zu probieren, als ein wanderndes Zigeunerweib die Straße kam und ihn um eine Gabe ansprach. In der fröhlichen Voraussicht, noch vor dem Abend das väterliche Schloß erreichen zu können, ging er sie mehr im Scherze als im Ernste um eine Prophezeiung an mit der Frage: ob ihm auf seiner langen Fahrt noch manch ein Abenteuer begegnen werde? Das Weib schaute ihm mit großen, dunkelglänzenden Augen keck in's Gesicht und antwortete: »Eure Reise dauert noch länger, Herr, als ihr denkt, und ein Abenteuer wird nicht auf sich warten lassen.« Durch den zuversichtlichen Ton dieser Antwort belustigt, rief der Junker: »Nun, wenn du das weißt, so wirst du auch noch Weiteres wissen; was kannst du mir von dem feinen Lieb sagen, das auf mich wartet?« – Die Zigeunerin faßte die Hand des Fragenden, prüfte lange und unter manchem bedenklichen Kopfschütteln die Linien derselben und sprach dann in fremd anklingendem Accente halb singend einige Verse, auf die sich aber der Junker schon in der nächsten Stunde durchaus nicht mehr zu besinnen vermochte. Anfänglich waren sie ihm eben als einer jener krausen Orakelsprüche vorgekommen, die absichtlich jedes Verständniß ausschließen, und deshalb hatte er darauf auch nicht weiter Achtung gegeben; aber als er und sein Begleiter, ein armer französischer Edelmann und entfernter Verwandter der Freifrau, die Höhe des steilen Saumpfades über die Staffelegg erreicht, bemerkten sie zu ihrem nicht geringen Verdrusse, daß sich die beiden Pferde übertreten haben mußten und heute, ohne dauernden Schaden zu nehmen, kaum noch nach dem nahen Städtchen Aarau hinabzubringen waren. Während die Reiter nun ihre Thiere langsam am Zaume den Pfad abwärts führten, sagte der Junker, das verdrossene Schweigen unterbrechend, zu seinem Begleiter: »Die Hexe hat doch recht gehabt; das Abenteuer ließ nicht auf sich warten und unsere Reise dauert länger, als wir erwarteten, da wir heute noch einmal fremde Nachtherberge beziehen müssen. Aber was hat sie mir denn noch weiter prophezeit – ich hab' es rein vergessen.« Der Franzose wollte sich ebenfalls nicht auf den Spruch erinnern, und der Junker hatte die Tage her manchmal unwillkürlich daran zurückdenken müssen, ohne daß es ihm möglich geworden wäre, die Worte oder auch nur deren ungefähren Sinn wiederfinden zu können. Aber jetzt, da ihn sein trübes, mitternächtliches Sinnen auf den Vorgang zurückführte, stand der Spruch durch eines jener geheimnißvollen Geistesspiele, die uns längst Vergessenes oder früher blos Geahntes plötzlich mit bleibender Klarheit vor die Seele zurückführen, unversehens ebenso deutlich in seinem Gedächtnisse, als wär' er in Feuerschrift an der Wand vorüber aufgezeichnet:

Der Junker findet Lieb' allein
Mit blutigrother Todespein,
Wo seines Hauses Ehr und Wehr
Schon hundert Jahr und manchen Tag
In Dunkelheit verborgen lag.

Herr Ulrich hob, als er sich diese Worte leise, aber langsam und deutlich vorgesprochen, den Kopf ebenso rasch vom Kissen empor, wie vorhin, da ihn das Pochen der Todtenuhr erschreckt. »Des Hauses Ehr und Wehr in Dunkelheit verborgen« – murmelte er; »sollte das fahrende Weib von meinem armen Bruder wissen, von dem ich auch nicht begreife, wie ihn die eigene Mutter im dunkelsten Kämmerlein, gleich einem namenlosen Verbrecher verschließen konnte? Aber nein, es kann doch nicht sein – oder was sollten die hundert Jahre und das übrige Gerede damit zu schaffen haben – müßiges Wortgeklimper, nach dem ich thöricht und nutzlos genug im Gedächtnisse herumgegrübelt. Gleichwohl –.« Er konnte den Faden des neuen Gedankens nicht weiter spinnen; denn im Augenblicke drang vom Thurmgemache herab ein so schreckhaft jammervoller Klageton durch die Stille herab, als wäre der letzte Hülferuf eines mit dem Tode ringenden, lebendig Begrabenen erklungen. Herr Ulrich horchte dem Tone, bis er durch die langen, hallenden Gänge verschollen war; dann fiel er mit dem leisen Ausrufe »armer Konrad« auf sein Kissen zurück.

 

II.

Der bange Wehruf war nicht innerhalb der langen Gänge und hohen Gemächer des Schlosses verhallt; er war weit weg über die Hofmauern hinausgedrungen in die von schwerziehenden Wolken umfangene Mitternacht und hatte auch dort sein Echo gefunden. Zur selben Zeit nämlich standen an dem Kreuzwege, den die zum Schlosse führende Lindenallee mit der seitwärts ziehenden Thalstraße bildet, zwei dunkle Männergestalten in leisem, aber eifrigem Gespräche verloren. Sie hatten, von dem mächtigen Stamme, an den sie sich lehnten, halb verborgen, schon hier gestanden, als noch der Lichterglanz und der frohe Lärm der Gesellschaft vom Schlosse herabdrang, und schienen, nachdem es stille geworden, noch weniger an ein Weitergehen zu denken, als es bisher geschehen. Wenn die Mondsichel zwischen den ziehenden Wolken hervor einen falben Schein durch die blätterlosen Aeste der Linde an dem Stamme herabgleiten ließ, zeichneten sich die Zwei etwas deutlicher ab von dem dunklen Hintergrunde; doch war mehr nicht zu erkennen, als daß es große, in Mäntel gehüllte Gestalten waren. »Es ist also dein völliger Ernst,« sagte nun der Eine, »du willst nichts mit der Sache zu schaffen haben, Schloßbauer, obwohl du auch diesen Augenblick wieder gesehen hast, wie sie herrlich und in Freuden leben, und jetzt nur ausruhen, um morgen von Neuem anzufangen? Die fressen unsern Speck, ohne uns eine einzige Schwarte übrig zu lassen.« – »Ich habe dir meine Meinung klar gesagt,« erwiderte der Angeredete, »meine Beschwerden und Sorgen sind nicht geringer, als die deinigen, manche wohl größer und berechtigter; aber ich will mich darum nicht in ein Ding einlassen, von dem Keiner weiß, wie und wo es ein Ende nehmen soll.« – »Ja, ja, deine Meinung ist deutlich,« entgegnete der Andere nicht ohne einen Ausdruck des Hohnes, »der Schloßbauer kennt das Ende des Herrendienstes besser, als selbst den Anfang der Sache geringer Leute; doch weiß er trotz all seiner Klugheit auch nicht, wo die Fuchsjagden des neuen Herrn aufhören werden.« – »Nein, das weiß ich nicht,« erwiderte der Schloßbauer ruhig; »dafür aber weiß ich, daß die Fuchsjagden auch nicht mit mir anfangen – das kann ich dich versichern, Riedlinger.«

»Wie meinst du das … du willst dem Befehl keinen Gehorsam leisten?«

»Je nachdem,« lautete die ruhige Antwort auf diese rasch und mit lauter Stimme gestellte Frage, »je nachdem man mich sucht, werd' ich mich finden lassen; handelt es sich um eine bloße Freundlichkeit für den heimgekehrten Junker Ulrich, so haben meine Knechte jetzt wohl Zeit, ein paar Tage herumzustreifen. Sollt's etwas Anderes sein, so weiß Jedermann, daß der Schloßbauer so gut wie sein Vater Nußbaumer heißt.«

»Bei meiner armen Seele,« lachte der Andere, »da hast du viel Neues gesagt, und schad' ist's nur, daß du nicht Schloßschreiber geworden bist; doch hätt' dein Alter, wie ich ihn gekannt, auch ohne das begriffen, daß man Freundlichkeiten nicht befiehlt und verlangt, wie eine Stockbuße.«

Der verletzende Ton dieser Worte konnte seine Wirkung nicht ganz verfehlen und der Schloßbauer rückte seinem Nachbar rasch etwas näher, offenbar in der Absicht, seiner Antwort einen verstärkten Nachdruck zu geben; aber noch bevor er den Mund zu derselben geöffnet, rauschte ein Windzug durch die blätterlosen Zweige des Baumganges und von ihm getragen erscholl jener Klageruf vom Schlosse her mit so unheimlichem Klange, daß selbst der Riedlinger zusammenfuhr und in kurzem Satze zurücksprang von seinem Standorte. »Was war das?« flüsterte er nach einer athemlosen Pause, »mir war's, es sei da von den nächsten Bäumen herabgekommen.«

»Sei's, was es wolle,« erwiderte der Schloßbauer mit gedämpfter Stimme; »gewiß ist's ein Zeichen, daß wir schon zu lange hier verweilt haben. Gute Nacht, und überleg' dir's noch einmal, Riedlinger.« Mit diesen Worten trat er aus dem dichtern Dunkel des Baumganges auf die Straße hinaus, überschritt dieselbe und betrat einen breiten Wiesenplan, ohne sich nach einem besondern Pfade umzusehen. –

Der rasch Dahinschreitende mußte indeß seinen Weg genau kennen; denn in kurzen Pausen übersprang er, ohne einen Augenblick mit seinen Schritten prüfend zu zaudern, mehrere lautlos fließende Wassergraben, die das Auge in der Dunkelheit nicht hätte zu unterscheiden vermögen. Als Zielpunkt diente ihm ein Rauschen, das aus einiger Entfernung immer vernehmbarer herüberdrang, bis mit einem Male sich auch die Nacht erhellte und ein bleicher Mondschein über die braunen Wiesengründe herabschwamm. Am untern Ende derselben erhob es sich in schattenhafter Dämmerung weit und groß, bis allmälig immer deutlicher hohe braune Kuppen und dazwischen langgestreckte Firsten erschienen. Als der einsame Nachtwandler nahe genug gekommen war, um an den verschiedenen Gebäulichkeiten selbst Fenster und Thüren unterscheiden zu können, blieb er einen Augenblick stehen, wendete sich eine kleine Strecke zur Seite und schwang sich hier über eine niedrige Hofmauer. Dem vorsichtigen Aufsprunge folgte augenblicklich das dumpfe Knurren eines Hundes, das aber ebenso augenblicklich wieder verstummte, als der Mann erst einmal innerhalb der Mauer stand. »Es ist Alles zur Ruhe,« sagte er leise, durch das Rauschen des Wassers hinhorchend, das hinter der dunklen Häusergruppe hervordrang, »und das ist mir diesmal lieber, als wenn noch Einer seiner Arbeit nachginge, ob's auch zu früh ist für die Mühle.« Drauf horchte er nochmals nach allen Seiten hin, wehrte dem gewaltigen Hofhunde ab, der wie neugierig fragend mit seinen Vorderpfoten an ihm emporgestanden war, und schritt dann leise einem kleinen Gebäude zu. Es war das kleinste unter den übrigen vier oder fünf herumstehenden und schien nicht einmal ein Fenster zu haben. Der großgewachsene Mann mußte sich bücken, als er unter das nur wenig vorspringende Dach trat, und hätte er die Arme ausgebreitet, so würde er fast im Stande gewesen sein, die Vorderseite des Hüttchens ihrer ganzen Länge nach umspannen zu können. Dagegen bestand dieselbe aus massivem Steinmauerwerk und an der einzigen Thür hing an einer dicken eisernen Stange ein schweres Vorlegschloß herab. Der Schloßbauer spähte noch einmal nach allen Seiten aus; dann aber schob er rasch die Eisenstange zurück, drückte mit beiden Händen auf das Schloß und die Thüre ging augenblicklich von Innen auf, einen mit schwarzer Finsterniß angefüllten Raum hinter sich zeigend, in den der Mann ohne Zaudern hineintrat und die Thüre ebenso rasch wieder zudrückte.

In der undurchdringlichen Nacht blieb er eine geraume Weile stehen, wie von geheimer Ehrfurcht erfüllt, bevor er Stahl und Stein aus seinem Mantel hervorzog, Feuer schlug und eine von der Decke herabhängende Lampe anzündete. Die anfänglich unsichere Flamme derselben schien Minuten lang einen schweren Kampf mit der eingeschlossenen Finsterniß kämpfen zu müssen; aber allmälig erhellte sich der Raum, ohne jedoch etwas anderes zu zeigen, als die nackten Mauern eines kleinen Gewölbes, in dessen Mitte unter der an einer Kette hängenden Lampe ein langer, schwerfällig gezimmerter Tisch sich erhob. Dafür zeichnete das Licht nun den nächtlichen Besucher dieser Stätte mit um so schärfern und kräftigern Umrissen. Vor dem Tische stehend, schien seine Gestalt über die gewöhnliche Höhe eines Mannesmaßes weit hinausgewachsen zu sein, während die Wölbung der Brust zwischen den breiten Schultern auf den ersten Anblick eine riesige Körperkraft verriethen. Dazu wollten jedoch die Züge des Gesichtes fast nicht passen, das, wenn auch wettergebräunt, eher ruhiges Nachdenken, als das Gefühl trotziger Kraft auszudrücken schien, und dieser Ausdruck wurde noch erhöht, als jetzt der Mann den breitkrämpigen Hut vom Haupte nahm und das Licht von oben auf seine Stirne fiel, die sich in faltenloser, feiner Wölbung unter hellen Haaren hervorbog. Der üppige, bis auf die Brust kraus niederfallende Bart war dagegen wieder wohl geeignet, in die ganze Erscheinung Einklang und Harmonie zu bringen.

Nachdem der Schloßmüller das Haupt entblöst, ließ er auch den kurzen, aus grobem Wollentuche bestehenden Mantel achtlos von den Schultern auf den Boden gleiten und zog dann eine der ganzen Länge nach laufende Schublade aus dem Tische hervor. Aus dieser nahm er fast zögernd eine ebenso lange, niedrige Truhe, stellte sie auf den Tisch mitten unter die Lampe und schritt einige Male langsam mit über der Brust gekreuzten Armen um denselben herum, bevor er den Deckel von dem seltsamen, verborgenen Schatze abzuheben wagte. Sein Anblick mußte ihn mit eben der magischen Gewalt anziehen, die der blinkende Glanz verheimlichten Geldes und edler Gesteine auf den Geizhals auszuüben pflegt; denn, die erst milden Blicke begannen sich allmälig mit einem gierigen Feuer zu füllen und mehrmals erhob sich die Rechte, um den Schatz aus seinem engen Behälter herauszunehmen; aber jedesmal zog er sie mit sichtlich gewaltsamer Anstrengung wieder zurück und endlich faßte er den Deckel mit plötzlichem Griffe, um ihn hastig wieder auf die Truhe zu werfen. Sie gab einen hellen Klang, der das ganze Gewölbe erfüllte, so daß der Schloßbauer halb erschrocken den Deckel wieder in die Höhe hob, um ihn dann ruhig und vorsichtig in seine Lage zu bringen. Ebenso sorgfältig legte er die Truhe in die Schublade, schob dieselbe zu und löschte dann die Lampe, noch ehe er nach Hut und Mantel griff. –

Als der Mann, auf den Hof hinaustretend, die Thüre hinter sich wieder in's Schloß gelegt hatte, spähte er wie vor seinem Eintritte einige Augenblicke scharf umher und begann dann langsam an den nähern Gebäuden vorüberzuschreiten. Aus dem ersten vernahm man das Stampfen von Rossen, die ein langsames Verzehren ihres Nachtfutters der Ruhe vorzogen; aus dem zweiten drang das langgehaltene und tiefe Athemholen schlafender Kühe, die da drinnen in langer Reihe vor ihren Krippen lagen. Der Schloßbauer bog, ohne sich dabei aufzuhalten, um die Ecke, warf einen kurzen Blick hinab nach einem dritten Gebäude, neben dem aus hochgehender Leitung die Wasser auf die Schaufeln eines mächtigen Rades niederschossen, und wandte sich dann dem Hause zu, das sich ungefähr mitten in der Hofstatt, auf zwei Seiten von hohen Bäumen überragt, erhob; aber als er auch hier um die Ecke bog, blieb er plötzlich stehen und schaute nach einem Lichtschimmer, der ihm aus einem nahen Fenster entgegenbrach. »Was gibt es da,« sagte er leise vor sich hin; »Mitternacht ist längst vorüber, ich hab' ihr befohlen, nicht zu warten auf mich, und vorhin muß sie auch kein Licht gehabt haben.« Er schritt leise dem Fenster entgegen, um durch dasselbe hineinzuschauen; doch was er erblickte, mochte seine Neugierde wenig befriedigen, denn mit raschen und geräuschvollen Schritten wandte er sich nun augenblicklich der Thüre zu. – Er hatte die kurze Hausflur kaum durchschritten, als ihm ein hochgewachsenes Mädchen, vollständig angekleidet, wie zu einem Ausgange bereit, mit dem Lichte in der Hand entgegentrat. »Was ist das, Else,« rief der Schloßbauer, »warum bist du noch nicht in's Bett gegangen?«

»Das bin ich schon gewesen, Vater,« erwiderte das Mädchen; »aber da ich nicht schlafen konnte, bin ich wieder aufgestanden. Gottlob, daß du da bist.«

»Aber warum ziehst du denn all' deine Kleider an, es geht ja noch manche Stunde, bevor's Tag wird!«

»Ich wollt' dir entgegengehen, Vater.«

»Du mir – in dieser Finsterniß, und wohin denn, einfältiges Kind?«

»Nun – nach dem Schlosse hinauf.«

»Da hätt'st du's schön getroffen,« erwiderte der Schloßbauer zögernd, »ich bin nicht dort gewesen.«

»Du warst nicht dort,« fragte das Mädchen langsam mit gedämpfter Stimme, »und bist doch so lange nicht heimgekommen, Vater?«

»Es sind viel fremde Herrschaften droben, ich konnte nicht hingehen.«

Der Schloßbauer hatte sich halb abgewendet bei dieser Antwort, als wollt' er vorübergehen; aber es war ihm mehr darum zu thun, dem ängstlich fragenden Blicke auszuweichen, der aus Elsens großen, blauen Augen auf ihm haftete, und als sie fortfuhr: »aber Vater, deshalb hättest du doch zu dem alten Christoph gehen können, der würde dir immer Bescheid gegeben haben,« erwiderte er fast rauh: »Laß jetzt das und geh' wieder zu Bett – ich bin einmal nicht dort gewesen; morgen wird sich's schon noch zeigen.«

Die Tochter kehrte sich langsam ab und sagte leise: »Gehen will ich schon, Vater, wenn ich auch nicht an Schlaf denken kann.«

Sie ging; aber der Schloßbauer schritt ihr sogleich nach und sagte, seine Hand auf ihre lichten Haarwellen legend, in weichem Tone: »Sei ruhig, Else, du bist mein gutes Herzenskind und ich habe nicht gethan, was du fürchtest, wenn ich auch nicht Alles thun kann, was du von mir begehren möchtest.«

 

III.

Ueber dem Kamme der Berge im Osten zog kaum ein bleicher Morgenschimmer und im Thale lag noch graue Finsterniß, als sich auf dem Hofe zwischen den Häusern des Schloßbauern schon das Klappern schwerer, holzbeschuhter Schritte vernehmen ließ. Es waren die Knechte, die von verschiedenen Seiten herbeigestoffelt kamen, sich nach kurzem Morgengruße an den großen Brunnentrog stellten und die wildbärtigen Gesichter zu waschen begannen; dann schlenkerten sie die Arme in kräftigem Schwunge auf und nieder, um die feuchten Hände rascher zum Trocknen zu bringen, und als auch dieses wichtige Geschäft ohne ein Wort zu wechseln beendigt war, fing einer um den andern an, nach dem bleichen Osthimmel auszuschauen, als stände ihm dort sein Tagewerk vorgezeichnet. Zum frischen Anfassen der nächstliegenden und gewohnten Arbeit schien Keiner Lust zu haben, aber auch das müßige Plaudern wollte nicht recht in Gang kommen. Endlich sagte doch Einer, indem er einen prüfenden Blick nach den Fenstern des gegenüberstehenden Hauses hinaufschweifen ließ: »Mich wundert's, daß er noch nicht da ist, ein paar von uns werden doch heut in's Schloß hinauf müssen.«

»Aufgestanden ist er schon,« lautete die Antwort, »ich habe erst vorhin noch Licht in seiner Stube gesehen.«

»Pschi,« machte ein Anderer, »das Licht hat die ganze Nacht gebrannt, seit er heimgekommen ist.«

»Hast ihn gehört?«

»Ich hab' noch mehr gehört, er ist auch drüben gewesen.«

Diese mit leiser Stimme ertheilte Auskunft war von einer Handbewegung begleitet, durch welche der Sprecher nach dem Steinschoppen hinüberdeutete, in den der Schloßbauer bei seiner Nachhausekunft getreten war, und nach dem sich nun alle Gesichter mit einer hastigen Scheu hinwendeten. »Ich hab' ihn ganz deutlich hinschleichen und die Thür aufmachen hören,« fügte der Knecht hinzu; »er ist wohl eine halbe Stunde drin geblieben.«

»Ho,« kam nach längerem Schweigen die Gegenrede, »ich hab' ihn die drei Jahr, daß ich hier bin, noch nie dabei ertappt, so oft ich auch aufgepaßt; aber mein Seel, wenn die weißen und rothen Vögel, die dort eingesperrt sind, mir selbst ihre Liedlein pfeifen müßten, ich könnt' drob auch ein paar Stunden vom Schlaf abbrechen.«

»Eh,« machte ein alter, fast graubärtiger Bursche, nicht ohne eine Geberde der Geringschätzung, »daß du doch immer klappern mußt, es müsse durchaus nur dies da sein.« Die letzten Worte begleitete er mit der deutlichen Fingerbewegung des Geldzählens und fügte dann halb ärgerlich hinzu: »Du verschreibst deine Seele auch noch einmal um einen Sack voll Kronen dem Grünmännchen.«

»Heida, wenn ich in redlichem Handel so viel bekommen könnt' für das Ding, meiner Treu –; aber so klappere doch du einmal, alter Storch, was denn dahinter steckt; du thust ja immer, als wär' dir die ganze Geschichte besser auf die Zunge geklebt, als ein Tischgebet.«

»Das ist sie nicht,« erwiderte der Alte, »und was drum und dran ist, weiß ich ebenso wenig; aber das weiß ich, daß allemal etwas vorgeht, wenn die kleine Thür da drüben aufgemacht wird. Wie ging's vor einem Jahre, als der Handel mit dem armen Junker aufkam und die gnädige Frau – –.«

Der Erzähler, der offenbar nicht geringe Lust verspürte, nun über die Begründung seiner Ansicht in redseligen Fluß zu gerathen, konnte die begonnenen Worte nicht vollenden, da im Augenblicke drüben der Schloßbauer aus dem Hause trat und geraden Schrittes auf die Knechte herankam, denen er schon aus einiger Entfernung einen freundlichen Morgengruß entgegenrief. »Aber was ist denn das,« fuhr er sogleich fort, »ist's heut Feiertag, daß ihr da herumsteht wie die Weiber vor der Kirchenthür? Du wirst doch die Rosse nicht erst auf deine Morgensuppe wollen warten lassen, Heiner, – he? –«

»Das grad nicht,« erwiderte der Alte, dem die letzte Frage galt, langsam hinter den Ohren kratzend; »wir haben da eben nur beredet, wer heut von uns auf's Schloß zur Frohn werde gehen müssen.«

»Die Frohnzeit ist um Weihnachten,« sagte der Schloßbauer kurz; »ihr geht an eure Arbeit und was auf dem Schlosse zu thun ist, werd' ich selbst verrichten.«

»Ihr selbst?« rief der Alte, während die Andern verblüfft auf den Meister schauten, »das wird ja nicht sein können; denn der Vogt hat mir selbst gesagt, es gebe eine Jagd, bei der die Bauern herumspringen müßten, wie sonst die Jagdhunde.«

»Nun, das möcht' ich eben selbst lernen,« erwiderte der Schloßbauer mit seiner gewohnten Ruhe; »ihr geht an euer Tagewerk und gebt vor Allem Acht, daß das Wasser nicht in die untere Mühle läuft. Es muß gestiegen sein, diese Nacht.«

Damit wandte er sich ab und ging festen Schrittes dem Ausgange des Hofes zu, während ihm die Knechte verwundert und sich selbst gegenseitig fragende Blicke zuwerfend nachschauten; aber schon fast an dem schweren Bretterthore angelangt, kehrte er sich um und rief mit starker Stimme zurück: »Noch Eines, Heiner; wenn allenfalls vom Schlosse her um Pferde geschickt würde, so kannst du die beiden Braunen hergeben; weiter aber nichts, außer ich schicke selbst den Befehl.« –

Ueber diesem Gerede und Thun war es heller geworden, obwohl mit dem steigenden Tageslichte sich auch ein feuchter Nebel erhob, der wie ein weitwallender Schleier das Thal herabzog und den sonnenverkündenden Goldschimmer im Osten einhüllte. Der Schloßbauer warf noch einen langsam prüfenden Blick auf Haus und Scheunen und betrat dann gemessenen Schrittes den breitern Fahrweg, der vom Gehöfte entlang den breiten und tiefen Bach aufwärts führte. Der Mann schien auf einem längst gewohnten Morgengange begriffen, um auf Feld und Wiese Nachschau zu halten; denn hie und da blieb er stehen, betrachtete die aus Zweiggeflechten angelegten Wehren längs dem Bachrande und stieß wohl auch mit seinem langen Stocke nach einer Schleuße, um ihre Widerstandskraft zu prüfen. Als er aber an einen kleinen Graben gelangt war, der von der Wiese her in den Bach auslief, blickte er betroffen vor sich nieder und fuhr mit der Hand in plötzlichem Unmuthe nach seinem breiten Hutrande; so blieb er einige Augenblicke unbeweglich stehen und faßte dann rasch die kleine Schleuße, die den Graben vom Bache abschloß und über Nacht niedergefallen sein mußte. »Packt euch,« rief er unmuthig das Schließbrett emporziehend, »ich wollt' lieber, ihr wäret im Rhein, als daß ich euch gerade jetzt da antreffen muß.« Diesen Worten folgte ein zappelndes Plätschern, mit dem ein dichter Schwarm Fische, die vom Bache in den Graben gezogen und dann von der niedergefallenen Schleuße abgeschnitten worden waren, sich wieder in ihr wasserreicheres Zuggebiet zurückflüchteten. Der Schloßbauer schaute ihnen nach, bis sie in die Tiefe tauchend verschwunden waren, indem er leise vor sich hinmurmelte: »Fisch am Morgen – Abends Sorgen;« aber als schämte er sich der besorglichen Stimmung, die durch den alten Glauben angeregt über ihn kommen wollte, richtete er sich plötzlich stramm und straff in seiner ganzen Länge empor und begann dann rascher den Weg aufwärts zu schreiten, als er's bisher gethan hatte.

Vor dem Schlosse angekommen, das wie in verborgenem Feuer glimmend von dem beweglichen Nebel umdampft war, fand er eine Schaar älterer und jüngerer Bauern, die an dem großen Hofthore zusammengedrängt standen und ihm nun theils verwundert, theils sichtlich erfreut einen »guten Tag« entgegenboten. »Ei, was da,« rief Einer, »du wirst doch die neue Frohn nicht selbst abarbeiten wollen, Schloßbauer? das möcht' dir sauer ankommen.«

»Wer weiß,« erwiderte der Angeredete ruhig; »ich würd' doch wohl so viel aushalten können, als irgend Einer von euch; aber warum steht ihr Leute denn hier draußen; sind sie noch nicht wach im Schlosse?«

»Das schon,« lautete die Antwort, »aber es hat uns ein gar stolzes Junkerlein befohlen, hier zu warten, und das Hofthor ist auch verriegelt von innen.«

»Ja, ja, man will die zweifüßigen Hunde nicht einmal in den Stall lassen,« rief eine Stimme aus dem Haufen.

»Still mit solchen Worten,« entgegnete der Schloßbauer in befehlendem Tone; »ein Hund würde nur der sein von uns, der nichts Besseres sein will; aber hat der Junker Ulrich verboten, auf den Hof hineinzugehen?«

»Nein, 's ist ein Fremder gewesen,« sagte ein alter Bauer, »nach seinem Gewälsch zu schließen ein Franzos.«

Der Schloßbauer trat näher an das Thor heran, um durch das eiserne Gitterwerk hindurchzuschauen. Es war ein bewegtes, buntes Bild, das sich da dem Anblicke entgegenbot. Zunächst auf dem Hofe, der halb und halb vom Nebel verschleiert war, standen ein paar junge Bursche in knapp anliegenden Kleidern, die mehrere Koppeln unruhiger Hunde an langen Leinen hielten. Weiter rückwärts waren Andere mit Gewehren beschäftigt, die geladen und dann an eine lange, aufgestellte Bank gelehnt wurden. Auf der andern Seite, vor den Stallungen hatte eine Reihe von Reitknechten Posten gefaßt, die Pferde zäumten und sattelten oder bereits Eingeschirrte langsam hin und wieder führten. Da und dort saß schon Einer im Sattel, das Gewehr am Riemen über die Schulter geworfen und um die Hüften einen Dachsranzen geschnallt. Alle mit bunten, nickenden Federn auf den runden Hüten. Zwischen den verschiedenen Gruppen eilte anordnend und befehlend ein zierlicher Herr hin und her, vom Kopfe bis zu den Füßen mit einem schwarzen, eng anliegenden Kleide angethan, nur daß auf dem ebenfalls schwarzen Hütchen eine hochrothe Feder wankte, wie ein Flämmchen, das auf bereits verkohltem Grunde nach Nahrung umherleckt.

»Der Schwarze dort ist's,« sagte ein Bursche, »der neben dem Schloßbauer das Gesicht an das Gitterthor drückte, der uns vorhin so abgekanzelt hat.«

»Es soll ein Verwandter von der gnädigen Frau sein,« erwiderte der Schloßbauer, »der mit dem Junker Ulrich heimgekommen ist.«

»Dort kommen sie ja selbst,« rief der Andere halblaut, »der Junker und die gnädige Frau.«

Der Schloßbauer drückte den Hut tiefer auf die Stirn, gleich als ob er die eben auf den Hof Tretenden, hinter denen noch mehrere Herren und Damen erschienen, schärfer in's Auge fassen müßte. »Der Junker ist ein schöner, stattlicher Mann, gleich wie sein Herr Vater selig,« sagte er halb für sich, halb zu seinem Nachbar; »aber die alte, gnädige Frau wird doch nicht – ja, bei meiner armen Seligkeit, der Franzose hebt sie in den Sattel, als wär's ein Fräulein von zwanzig Jahren. Nun die ist doch schon lange bei Lebzeiten des gnädigen Herrn nie mehr auf ein Pferd gekommen. Was man erleben muß.« Er wendete sich ab, um eine Weile, die Hand über die Stirn gelegt, vor sich niederzublicken. »Else hatte Recht,« murmelte er, »nun wär's doch besser, ich hätte die Sache gestern Abend noch mit dem alten Christoph besprochen; jetzt wird's schwer halten.« –

Und schwer hielt es auch, auszuführen, was der Schloßbauer im Sinne hatte. Er war mit der Ueberlegung, wie die Sache nun, da alles so ganz anders gekommen als er erwartet hatte, noch immer nicht im Reinen, als das Hofthor in seinen Angeln knarrte und die schwarze Nothfeder mit noch drei andern Männern heraustrat. Die Letztem waren den Landleuten wohl bekannt; es war der Walddieter, wie er in der Gegend genannt wurde, der herrschaftliche Jäger von Hallwyl selbst, der Jägerknecht des Junkers von Landenberg auf dem benachbarten Schlößchen Brestenberg und der Jäger des gnädigen Herrn Landvogtes auf Lenzburg. »So denn, Mann,« sagte der Schwarze in fremd klingender, gebrochener Sprache, aber in kurzem, herrischem Tone, nimmt Jeder eine Abtheilung von diesen Bauern da mit und thut, wie ich euch's anbefohlen; aber nur, daß ihr mir die Bursche gehörig antreibt und nicht zu Athem kommen laßt, bis allemal das Zeichen mit meinem Horne gegeben ist. Versteht ihr?«

»Wohl, Junker,« erwiderte der Walddieter mürrisch; »für Alles möcht ich aber nicht gut stehen. Hab' mein Lebtag nur mit Hunden, noch nie mit Bauern gejagt.«

»Du wirst's bald lernen, alter Murrkopf,« sagte der Franzose; »die Bauern sind manchmal nicht halb so widerhaarig, als deine schlechtdressirten Bracken.«

Der Jäger blickte trotzig auf und rüstete sich offenbar zu einer Antwort auf diesen Angriff gegen seine Waidmannskunst; aber noch bevor er damit im Reinen war, trat der Schloßbauer vor und sagte, den Hut vom Kopfe nehmend, in seiner ruhigen Weise: »Um Vergebung, Junker, da Ihr doch einmal hier befehlt; doch ehe ich und diese Leute den Vergleich zwischen uns und den Hunden anstellen lassen, muß ich die gnädige Frau oder den Junker Ulrich um ein geneigtes Wort bitten.«

»Was soll's – was gibt's da?« sagte der Franzose, sich rasch gegen den Sprecher wendend, »wer bist du?«

»Ich bin der Schloßbauer.«

» A diable, was geht das mich an,« machte der Schwarze verächtlich, als ärgere er sich über die Frage, die ihm diese Antwort zugezogen; »packt euch vorwärts, daß ihr an Ort und Stelle kommt.«

»Von Ort und Stelle rühr' ich mich nicht und auch keiner dieser Leute soll's thun, soweit ich's wehren kann,« erwiderte der Nußbaumer, »ehe ich ein Wort mit der gnädigen Herrschaft gesprochen.«

»Ha, Schurke,« rief der Franzose, mehr noch durch die ruhig furchtlose Haltung des Bauern, als durch seine Worte in Harnisch gebracht, »du hättest Lust, diese Leute da aufzuwiegeln und sie den Pflichten gegen ihre Herrschaft abwendig zu machen!«

»Von Aufwiegeln weiß ich nichts und die Pflichten gegen die Herrschaft hab' ich stets redlich erfüllt, Herr,« erwiderte der Schloßbauer.

»Nun denn, zum Teufel, vorwärts,« rief der Schwarze mit gepreßter Stimme, während eine flüchtige Röthe über sein blasses Gesicht hinwegglitt, »sonst werde ich dir Füße machen.« Mit diesen Worten hob er seine Reitgerte empor und holte zu einem Schlage aus, den der Walddieter mit raschem Dazwischensprunge aufhalten wollte; aber der Alte kam zu spät und im Augenblicke des kurzen, zischenden Klatschens zog sich ein blutrother Streifen über die Stirne des Schloßbauern hinweg.

Die Landleute, die bisher bei dem unerwarteten und rasch sich entwickelnden Vorgange mehr verblüffte als drohende Zuschauer abgegeben, geriethen nun in unruhiges Stoßen und Drängen, aus dem sich neben den Ausbrüchen der Ueberraschung auch gefährliche Trotzrufe vernehmen ließen. Der Franzose faßte, mit verlangendem Blicke nach dem Schloßhofe, in dem der ganze Vorgang unter lautem Gerede und dem Stampfen der Pferde unbemerkt geblieben, an den Griff seines Stoßdegens, der ihm zur Seite hing, und die zwei Jäger selbst rückten an den Gewehren, die sie über den Schultern trugen. Von Allen schien einzig der Schloßbauer seine ungestörte Ruhe bewahrt zu haben; zwar blieben seine Augen mit seltsam funkelnden Blicken fest auf seinen Gegner gerichtet, aber in seinem Gesichte verzog sich keine Miene, keine Falte, die einen auflodernden Zorn hätte verrathen können. Den langen Stock, den er bisher in der Rechten gehalten, ließ er auf den Boden fallen und stülpte dann gemessen den Hut über die blutrünstige Stirne. Kaum war dies jedoch geschehen, als er mit zwei raschen Schritten an den Franzosen herantrat und diesen mit so gewaltigem Griffe am Arm faßte, daß die bereits gezogene Klinge aus kraftloser Hand auf die Steine klirrte. »Du sollst den Schloßbauer von Hallwyl nicht umsonst geschlagen haben,« raunte er mit dumpfer Stimme, und bevor der Walddieter auch diesmal abwehrend dazwischentreten konnte, flog der Schwarze mannshoch in so gewaltigem Schwunge über den Boden weg gegen das Gitterthor, daß die dicken Eisenstäbe in schrillzitternden Tönen zusammenklangen.

 

IV.

Der schnelle und entscheidende Sieg, den der wehrlose Bauer über den bewehrten Edelmann errungen, hätte für die Bewohner des Schlosses und seine Gäste unter den obwaltenden Verhältnissen leicht verderblich werden und den zu froher Lust ausersehenen Tag in einen trauervollen Jammertag umwandeln können. Es wehte nämlich zu jener Zeit eine drückende Luft in einem großen Theile unseres Vaterlandes, vom hohen Ursprunge der Aare hinweg bis zum Rheine, vom Waldstättersee bis nach Basel hinunter, eine Luft, die jener dumpfen Schwüle glich, die den nahenden Föhnsturm ankündigt. Und er blieb auch nicht aus damals, der Sturm; denn schon wenige Wochen später stand alles Volk in Waffen, vom graubärtigen Greise bis zum bartlosen Knaben herab, nicht zum Streite gerüstet gegen einen auswärtigen Feind, sondern im erbitterten, blutigen Bruderstreite. Die Bauernschaft, der die Erinnerung an die gewaltige Rolle, welche sie in den alten Heldentagen gespielt, noch nicht verloren gegangen, beklagte sich mit Recht über manche Unbill und Beeinträchtigung, welche sie von den regierenden Herren und Städten zu ertragen hatte; denn bei den letztern selbst war der ehemals schlichte und einfache Sinn allmälig einer üppigen Prachtliebe, das stolze Unabhängigkeitsgefühl einer geldgierigen Herrschsucht gewichen, die größtentheils auf Unkosten der Bauernsame zur Geltung kommen wollte. Es war eben die aufgehende Drachensaat, welche der fremde Fürstensold und die damit verbundenen fremden Sitten über das ganze Land ausgestreut hatten. Und eine giftige Aehre dieser Saat war nun auch das von dem Franzosen im Schlosse Hallwyl angebahnte Vorhaben, die zu Ehren des Junkers Ulrich anwesenden Gäste mit einem großen Treibjagen zu vergnügen, wobei die der Herrschaft pflichtigen Bauern zum Hetzen des Wildes sollten verwendet werden. Ein solches Beginnen war seit Menschengedenken unerhört gewesen in diesen Bergen und Thälern. Die Herren jagten zwar wohl, wenn es sie erfreute, durch Wald und Wiese, durch Korn und Dorn, ohne ängstliche Rücksicht auf den Schaden, den sie gelegentlich mit ihrer Meute anrichten mochten; dafür zog aber auch der Bauer in arbeitsfreien Wintertagen auf die Birsch, und an manchem Wildbraten, der auf seinem Tische dampfte, freute er sich mehr des glücklichen Schusses wegen, der ihm denselben eingebracht, als über das köstliche Mahl, das Weib und Kind ergötzte. Jetzt aber sollte das anders kommen, der Jäger wollte zum Hunde gemacht werden und das zu einer Zeit, wo er seine Büchse sonst schon oft über einem Schwarm verworrener und unheimlicher Gedanken brütend in der Hand gewogen hatte. Ein Funke – und diese verworrenen Gedanken schlugen in entfesselte Thaten aus.

Dieser Funke war entzündet mit dem Wurfe des Schloßbauern, der den französischen Junker mit erblichenem Antlitze am Fuße des Hofthores niederlegte. Einen Augenblick starrte die Menge lautlos, zwischen Ueberraschung und Grauen schwankend, auf die zusinkenden Augen und zuckenden Glieder des Niedergeschmetterten; aber es war nur der Augenblick, der zwischen der zündenden Lunte und dem ausbrechenden Donner des Schusses verstreicht, die kurze Frist, welche der einmal zur Leidenschaft angefachte Wille der weichern Empfindung des Herzens vergönnt, bevor er weiterschreitet. Noch hatten es selbst die Jäger weder zu einer helfenden Bewegung, noch zu einem Hülferuf gebracht, als eine Stimme mitten aus dem Haufen hervorscholl: »In den Hof – auf die Gewehre! –« und als hätte dieses Wort in jedem Einzelnen tausend unwiderstehliche Sprungfedern gelöst, stürzte der ganze Schwarm in einen Knäuel zusammengeballt in den Hof nach der Ladenbank, an welcher die geladenen Gewehre lehnten. Der Schloßbauer selbst wurde durch die Wucht des gemeinsamen Stoßes an der Spitze des Haufens durch das Thor gedrängt; der sonst unerschütterlich ruhige Mann war durch die Nothwehr für seine Würde und Ehre mit einem Male zum wilden Bandenführer geworden. So wenigstens mußte der Walddieter glauben, der um sein Gewehr ringend neben jenem hergedrängt wurde. »Tod und Teufel, Nußbaumer,« keuchte der Alte, als ihm ein unwiderstehlicher Ruck von hinten die Waffe entrang, »was thust du da!« – »Das, gib Acht!« entgegnete der Schloßbauer, indem er, plötzlich anhaltend, die Arme straff ausgespannt und die Füße vorgestellt, sich mit den Schultern rückwärts stemmte. »Die Gewehre weg, Dieter!« – Der Jäger verstand seinen Nebenmann mit der Schnelligkeit des Instinktes, der in gefahrvollen und entscheidenden Augenblicken die Ueberlegung ersetzen muß. Während der Nußbaumer durch seine riesige Kraft den enggeschlossenen, vorwärtsbrausenden Strom zurückstaute, sprang Jener mit einem Satze an die Ladenbank voran, raffte die Gewehre zusammen und flüchtete mit denselben fliegenden Laufes der Schloßtreppe zu. Erst als er diese beinahe erreicht, wendete sich der Schloßbauer gegen den in's Stocken gerathenen Haufen um und rief mit fester, ruhiger Stimme: »Was soll das eigentlich, ihr Leute – was stoßt und drängt ihr so ungeberdig?« –

Ein Schifferglaube erzählt, daß Oel auf die empörte See gegossen, die Wogen alsobald glätte und die Brandung zur stillen Fläche ausbreite; hier waren die Worte und das Antlitz des Nußbaumers das Oel, das den gefährlichsten aller Stürme, den Aufruhr wilderregter Gemüther in augenblickliche Windstille umwandelte. Der Hut war ihm in der heftigen Bewegung vom Kopfe gefallen, aber trotz der dadurch sichtbar werdenden Blutspur über seiner Stirn lag ein fast wehmüthiger Ernst auf seinem Gesichte, als hätte er sich höchstens über das wilde Gebühren ungezogener Kinder zu beschweren. »Ja, ich weiß in der That nicht, was euch anficht, ihr Leute,« fuhr er gleichmüthig fort, »wenn es eben auch nicht billig war, uns den Eintritt auf den Hof zu verwehren, so liegt Derjenige, der's gethan hat, jetzt selbst noch draußen. Was sollten wir hier weiter zu schaffen haben?«

Die Bauern standen verwirrt und verblüfft, bald sich gegenseitig, bald den fest und kalt dastehenden Schloßbauer anblickend, manche Blicke gingen auch schon nach dem Hofthore zurück. Es war ein eigenes Schauspiel, das sich nun in wenigen Sekunden hier abwickelte, aber doch ein solches, wie es sich bei tausend ähnlichen Fällen in großem und kleinem Maßstabe zu wiederholen pflegt. Die Leute empfanden wohl, daß der Mann, der so seltsam zu ihnen sprach, als ob gar nichts Besonderes vorgefallen wäre, jetzt ein Spiel mit ihren eben noch vorhandenen Entschlüssen treibe; aber noch besser empfanden sie, daß er der Einzige sei, der das zu rasch begonnene Unterfangen zu ihrem möglichst geringen Schaden zu wenden verstand; sie hatten zwar nur auf den von ihm gegebenen Anstoß gehandelt, aber ohne vorher seinen Rath und Willen zu befragen, und darum fügten sie sich schnell und ohne den geringsten Versuch des Widerstrebens jener höhern Macht, welche klare und bewußte Naturen stets über unbewußtere ausüben werden. Ein Einziger in dem ganzen Haufen warf dem Schloßmüller einen trotzigen Blick entgegen und schien zu überlegen, wie er dessen Absichten durchkreuzen könne; es war der Nämliche, der vor dem Thore den Ruf nach den Gewehren hatte ertönen lassen. Aber der Nußbaumer sagte gleichmüthig: »Du hast die Flinte aufgehoben, Riedlinger, die der Walddieter hat fallen lassen – gib her, sie wird keinen Schaden genommen haben!« – »Meinetwegen,« murrte der so Angeredete, das Geschoß über die vor ihm Stehenden wegreichend, »meinetwegen, wenn du Lust hast, dich hängen zu lassen, was geht's mich an.«

Der Schloßbauer nahm das Gewehr, ohne eine Antwort zu geben und stellte es an die Ladenbank; dort blieb er selbst stehen, während der Schwarm sich dem Hofthore zu wieder auseinanderknäuelte und draußen augenblicklich, nun erst von Schrecken erfaßt über das Vorgefallene auseinanderstob, wie eine Schaar Tauben, zwischen die der Habicht niederschießt.

Obwohl der ganze Vorgang sich fast rascher verlaufen, als das unbeholfene Wort der schnellen That nachzuerzählen vermag, so war es doch für Alle wohl ein glücklicher Zufall, daß der Junker Ulrich in dem Augenblicke gerade noch einmal nach seinem Gemache zurückgegangen war, um eine vergessene Sattelpistole nachzuholen. Die übrige Gesellschaft, mit sich selbst beschäftigt, war erst aufmerksam geworden, als die zwei vorausgeschickten Jäger vom Thore her über den Hof wegflüchteten und der alte Dieter die Gewehre zusammenraffte; in diesem nämlichen Augenblicke war aber auch die Gefahr schon beschworen und der Schrecken, der seinen bleichen Athem über die Gesichter der Herren und Damen hauchte, nun ein unnöthiger. Anders aber hätte es werden mögen, wenn das scharfe Auge des Soldaten gleich bei der ersten Bewegung das Gefährliche erkannt und sein entschlossener Sinn ihn zum vereinzelten Widerstande vorwärts getrieben hätte; dann möchte zwischen Schlag und Gegenschlag die beschwichtigende Ruhe untergegangen sein.

Jetzt, nachdem der Haufe auseinandergestoben, kam der Junker, von Dieter über das Vorgefallene flüchtig unterrichtet, mit blanker Klinge in der Faust die Schloßtreppe herabgestürmt. »Wo sind die Bursche?« rief er mit dröhnender Stimme auf den Hof stürzend, »vorwärts, Kameraden;« aber als er außer den ihm wohlbekannten Gestalten nur den ruhig und wehrlos dastehenden Schloßbauer erblickte, hielt er selbst seine Schritte an und schaute halb verwundert, halb zornig nach dem Jäger zurück. »Was soll das heißen, Dieter,« herrschte er ihm entgegen, »was treibst du für Possen mit mir?« – »Das weiß ich auch nicht,« erwiderte der Alte, mit nicht geringerer Verwunderung als sein Herr um sich blickend, »vorhin sah's anders aus; aber der Junker muß noch draußen am Thore liegen – von denen da scheint ihn Keiner gesucht zu haben.« Diese Worte begleitete er mit einem verächtlichen Seitenblicke auf die Gesellschaft, die in seltsamer Verwirrung, theils zu Pferde sitzend, theils neben denselben stehend, sich durcheinanderbewegte, fragend und rufend, ohne daß Einer dem Andern die richtige Antwort gab oder auch nur zu geben wußte. Die Gedanken des Junkers mochten wohl nahe genug mit denjenigen Dieters zusammentreffen, wenigstens winkte er diesem, nachdem er zweimal rasch mit der Hand über die Augen gefahren, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und eilte dem Hofthore zu. Hier angekommen, streifte sein Blick zuerst durch die ganze Allee hinaus, an deren äußerstem Ende die letzten Flüchtigen über die Wiesen wegeilten, und erst dann beugte er sich auf den noch immer unbeweglich neben dem Gitter liegenden Verwundeten nieder. Er hob leise sein Haupt empor, schaute ihm prüfend in das bleiche Antlitz und schob dann die Hand unter das losgeknöpfte Sammetwamms. »Er lebt noch und wird bald wieder zu sich kommen,« sagte der Junker aufathmend zu Dieter, der all' seinen Bewegungen mit ängstlichen Blicken gefolgt war; »aber sag' mir, ist's auch der da drinnen, der's gethan hat?« – Dabei deutete er auf den noch immer unbeweglich an der Ladenbank stehenden Schloßbauer, nach dem die großen, dunkeln Augen einen flammenden Blick hinüberwarfen. – »Freilich ist er's,« erwiderte der Alte, dem dieser Blick nicht entgangen war, mit zögernder, unsicherer Stimme; »aber ich schwöre drauf, gnädiger Herr –.«

»Still und hilf da,« erwiderte der Junker kurz, »die da drinnen scheinen noch immer nicht ausgeschlafen zu haben.«

Die Beiden hoben nun den Verwundeten auf die Arme und traten mit ihm auf den Hof herein, als sich eben von der Gesellschaft eine Gruppe ablöste, die doch wohl nach dem Schloßherrn sehen wollte. »Es muß richtig ein halbes Dutzend beisammen sein, bevor sie die Dachtraufe zu überschreiten wagen,« murmelte der Junker mit einem halbverbissenen Soldatenfluche; »halte den Kopf des Herrn ein wenig höher, Dieter.«

Als der Zug näher gegen die Mitte des Hofes herankam, erhob sich ein Jammern, Rufen und Herbeidrängen, als ob die wetternarbigen Schloßmauern Hallwyls noch nie einen wunden Mann aufgenommen hätten. Junker Ulrich warf verächtlich und unmuthig den Kopf in die Höhe und befahl mit lauter Stimme: »Gebt Raum, ihr Herren, wenn's gefällig ist, und bringt die Damen auf ihre Gemächer zurück – aus der Jagd wird für heute nicht viel werden. Und ihr da,« rief er einigen waidmännisch geputzten Dienern der herrschaftlichen Gäste zu, »haltet den Mann dort fest, bis ich zurückkomme.«

»Der entspringt Euch nicht,« sagte schüchtern der alte Jäger.

»Schweig – vorwärts.«

Aber trotz dieses prompten Befehles konnt' es noch nicht ohne weiteres Hinderniß vorgehen; denn im Augenblick stürzte die Freifrau, die eben erst jetzt genauer über das Geschehene unterrichtet worden war, herbei und wollte sich in leidenschaftlicher Erregung mit weit ausgebreiteten Armen auf ihren Verwandten werfen.

»Ich bitt Euch, Frau Mutter,« sagte der Junker abwehrend, »Ihr werdet dem Herrn von Venel Schaden zufügen; geduldet Euch, bis er auf sein Gemach gebracht ist und sich wieder ein wenig erholt hat.«

»Er wird sich nie mehr erholen – er ist todt, sagt man mir,« rief die Freiin.

»Ich aber sage Euch, er wird sich erholen und zwar schnell, wenn nur einmal die Betäubung vorüber ist,« erwiderte der Junker nicht ohne einen Anflug von Ungeduld.

»Du hast ihn nie liebgewonnen, wie ich, Ulrich, oder willst mich jetzt mit leeren Tröstungen hintergehen.«

»Dazu wüßt' ich keinen Grund, Frau Mutter.«

»Und der da drüben soll sein Mörder sein,« fuhr die Dame mit gleicher Leidenschaftlichkeit fort; »armer, armer Alphons, mußtest du hieher kommen, um im Hause deiner Verwandten ein so schreckliches Ende zu finden; aber ich will dich rächen, blutig rächen – das schwör' ich dir bei diesen lieben Augen, die du nie mehr öffnen wirst.« Sie wollte sich niederbeugen, um ihre Lippen auf die noch immer geschlossenen Lider ihres Verwandten zu drücken; aber Herr Ulrich hielt sie mit der einen Hand zurück und sagte in ernstem, entschiedenem Tone: »Ich wiederhole Euch, Frau Mutter, daß unser Vetter weder todt, noch auch nur erheblich verwundet ist; aber Ihr schadet ihm durch die Zögerung, die Ihr hier veranlaßt, ihm die nöthige Hülfe zu bringen.«

»Mein Gott, Ulrich, wenn du dich täuschen würdest; aber ihr dort,« rief sie gegen die Bedienten gewendet, die sich mit gezogenem Waidfänger neben den Schloßbauer gestellt, »was steht ihr gaffend und müßig herum? Holt die Handeisen und schlagt den alten Rebellen in Ketten – ich befehl' es!« –

Der Junker schaute seine Mutter, die ihre Rechte gebieterisch gegen die Bedienten ausgestreckt, mit großen Augen an und sagte dann mit gepreßter Stimme: »Nun marsch – Dietrich.«

Dieser ließ sich diesmal den Befehl nicht wiederholen. Der Verwundete wurde rasch auf sein Lager gebracht, wo er in kurzer Frist nach den Anordnungen, die Herr Ulrich anbefohlen, wieder zum Bewußtsein kam. »Nun kann ich ihn für den Augenblick Eurer Obhut überlassen, Frau Mutter,« sagte der Junker kalt; »unterdessen will ich nach seinem Mörder sehen.«

Die Freifrau warf ihrem Sohne einen Blick zu, der in ihm vielleicht wieder, wie es schon oft geschehen, das unheimliche Frösteln erregt haben würde; aber er sah ihn nicht, diesen Blick, da er sich bereits der Thüre zugewendet hatte.

Als er die Treppe hinunterstieg, die zum Hofe führte, stand der alte Jäger an den untersten Stufen. »Was willst du, Dietrich?« fragte er, da dieser mit demüthiger Geberde den Hut von den grauen Haaren nahm, »was gibt's?«

»Euch bitten möcht' ich,« stotterte der Alte, »da es mit dem – dem gnädigen Herrn nicht so schlimm stehn soll – der Schloßbauer –.«

»Still, Mann,« unterbrach ihn der Junker, »ich bin noch nicht der Gerichtsherr von Hallwyl.« –

Auf dem weiten Schloßhof war es jetzt still geworden. Nur den Stallungen entlang waren noch einige Knechte beschäftigt und gegenüber stand der Schloßbauer zwischen dem Trupp Bedienter mit zusammengeschlossenen Händen an die Ladenbank gelehnt. Der Junker trat mit gemessenen Schritten auf ihn zu und schaute ihm ohne ein Wort zu sprechen und hart vor ihm stehen bleibend mit strengen Mienen in's Angesicht. Der Gefangene, hielt die forschenden Blicke ruhig eine Weile aus und sagte dann, das Handeisen ein wenig erhebend: »Ich hatte noch nicht die Ehre, den gnädigen Herrn zu grüßen seit seiner Heimkehr und jetzt kann ich nicht einmal den Hut abnehmen, wie sich's gebührt.«

Der Junker mochte eine solche Anrede nicht erwartet haben und unwillkürlich mußte er sich zur Seite wenden, um ein Lächeln zu verbergen, das eine seltsam frohe Bewegung auf seine Lippen trieb. »Nehmt ihm das Handeisen ab, befahl er nach einer kurzen Pause den Wächtern, vier Klingen werden doch wohl genügen, einen unbewaffneten Gefangenen festzuhalten.«

»Ich mag den Männern die Mühe schon ersparen,« erwiderte der Schloßbauer, indem sich seine dichten Brauen tief auf die Augen zusammenzogen, »und ich habe das Ding auch nur so lange geduldet, um mich vorerst keinem Befehle der gnädigen Frau widerspenstig zu erzeigen.« Mit diesen Worten bog er die Hände auseinander und das Eisen fiel klirrend auf das Pflaster nieder.

Herr Ulrich trat bei dieser drohenden Bewegung einen Schritt zurück und unwillkürlich langte seine Rechte nach dem Degengriffe; aber ebenso rasch ließ er sie wieder niedergleiten, als der Gefangene den Hut vom Kopfe nehmend mit Würde sagte: »Nun grüß' ich Euch, gnädiger Herr, und wünsch' Euch Segen zu Eurer Heimkehr.«

Der Junker strich langsam mit der Hand über das Gesicht, um ein Erröthen zu verbergen, das ihm aus solchem Grunde schon lange nicht mehr auf die Wangen gestiegen. Er war die Jahre her gewohnt, mit Fürsten und Feldherren zu verkehren und hatte manchen bedenklichen Augenblick mit der Gewandtheit des Cavaliers oder der Kaltblütigkeit des Soldaten zu bestehen verstanden; aber jetzt auf einmal empfand er, daß dem gefangenen Bauern im groben Mantel und den zwilchenen Pluderhosen gegenüber ihm jede Sicherheit und bewußte Würde des Benehmens zu schwinden begann. Er mußte Zeit zur Ueberlegung gewinnen, ob er es hier mit der ehrbar sich stellenden Verschmitztheit zu thun habe, oder mit dem angeborenen Stolze des rechten Mannes, den er schon mehr als einmal unter einem zerrissenen Kittel verborgen gefunden hatte. Daher sagte er nach einer Weile in möglichst gleichmüthigem Tone zu den Wächtern: »Führt den Gefangenen hinüber in den rothen Thurm; das Weitere wird sich dann finden.«

Der Schloßbauer setzte mit einer hastigen Bewegung den Hut auf den Kopf, den er bisher in der Hand gehalten, blieb dann aber ruhig mit zu Boden gesenktem Blicke stehen, als ob er sich auf etwas besinnen müßte oder noch eine Gegenvorstellung anbringen möchte.

»Was soll's noch?« fragte der Junker kurz.

»Ich will mich Eurem Befehle jetzt nicht widersetzen, gnädiger Herr,« erwiderte der Schloßbauer, und diesmal ging ein hörbares Zittern durch seine sonst so ruhige Stimme; »aber um was ich Euch ersuche – sprecht mit dem Gerichtsverwalter, dem Herrn Christoph, bevor Ihr weitere Befehle ertheilt.«

»Es wird geschehen, sobald er zurückkommt; heut' ist er abwesend.«

Der Gefangene wendete sich und folgte seinen Begleitern, ohne nun gegen den Junker das geringste Zeichen eines Grußes zu machen. Dieser schaute ihm nach, bis er um die Ecke am rothen Thurm verschwunden war und murmelte dann fast unwillkürlich: »Ein Mann – bei Gott, ein Mann, wenn nicht Alles trügt.« Mit diesen Worten kam ein unwiderstehliches Gefühl über ihn, als hätte er irgend ein folgenreiches Unrecht begangen, und wie in Verlegenheit darüber, beobachtet worden zu sein, ließ er die Augen rings an den Thürmen und Gallerien Herumstreifen. Es war kein Mensch sichtbar, weder an Thüren, noch an Fenstern, selbst die Knechte drüben am Marstalle waren verschwunden; und doch – nein, es war eine Täuschung, sein armseliges Gemach lag ja nach der andern Seite auf das einsame Gebüsch hinaus. Der Junker schloß die Augen, als wäre ihm ein Gaukelbild erschienen, das sogleich verschwinden müßte; aber als er die Blicke wiederum aufschlug, entfuhr ein lauter Ausruf der Ueberraschung und des Schreckens seinen Lippen. Droben aus dem höchsten Fenster eines Erkerthürmchens lehnte mit halbem Leibe der arme, wahnsinnige Bruder heraus, der ihn mit festen Blicken anzustarren schien und als er sich nun bemerkt sah, ein helles Lachen aufschlug. Herr Ulrich war wie festgebannt von dieser Erscheinung; dann aber sprang er, sich gewaltsam aufraffend, mit dem Rufe: »Heiliger Gott, er wird herabstürzen!« der Treppe zu.

 

V.

Schon am Nachmittage, der dem stürmischen Morgen folgte, war es stille, fast unheimlich stille geworden im Schlosse Hallwyl. Die Gäste, wenn ihnen auch das für Alle Bedrohliche des Vorganges nicht deutlich war, hatten gefunden, daß sie überflüssig seien in einem Hause, dessen erste Obsorge nun die Pflege eines Kranken sein mußte, und hatten bald nach dem Mittagsmahle Abschied genommen. Manche, und zumal die Damen, mochten eine weitere Ursache ihres raschen Scheidens wohl für sich behalten, offen ließ sie sich gegen die Schloßbewohner und zumal gegen Junker Ulrich immerhin nicht aussprechen. Als dieser nämlich am Morgen von tödtlichem Schrecken ergriffen die engen Wendeltreppen des Erkerthürmchens hinaufgeeilt war, sah er seinen Bruder, der sich bereits wieder vom Fenster entfernt hatte, langsamen Schrittes, wie in tiefes Nachsinnen versunken, den Corridor dahinwandeln nach seinem Gemache zurück. Er folgte ihm leise und unbemerkt nach und setzte den Fuß erst fester auf, als er hart hinter ihm durch die Thüre der dunklen Kammer trat; aber nur mit Mühe hielt er einen stürmischen Ausbruch der Freude zurück, als sich der Andere umwandte und ihn mit Augen anschaute, in denen es gedankenhell aufdämmerte, wie das sieghafte Sonnenlicht aus einem nächtigen Nebelmeer. »Kennst du mich?« fragte Herr Ulrich bang aufathmend, während sich seine eigenen Augen selbst verdunkelten, »kennst du deinen Bruder nicht mehr, Konrad?« – Der Andere besann sich eine Weile, strich mit der Hand über das langgewachsene, unordentlich auf Nacken und Schultern herabhängende Haar, faßte dann gierig nach der dargebotenen Rechten und flüsterte hastig: »Ulrich! Ulrich!« Aber mit dem Wort und Händedruck war auch die aufjauchzende Bruderfreude schon zerronnen, wie ein Sternenblick in der Gewitternacht; die Blicke des Armen begannen sich plötzlich wieder mit dem unheimlichen Dämmerflimmer zu füllen, und unter einem Gelächter, das schmerzlicher durch die Seele Ulrichs schnitt, als es das letzte Röcheln eines geliebten Sterbenden vermocht hätte, kollerte er auf ein am Boden liegendes Kissen nieder.

Hier jedoch verhielt er sich ruhig, ohne wieder aufzuschauen und Herr Ulrich begann, nachdem er aus dem Schmerze der Enttäuschung und der widerstreitenden Eindrücke immerhin noch eine tröstliche Hoffnung gefunden, sich genauer in dem Gemache des Unglücklichen umzusehen. Wie die schwere, mit Eisen beschlagene Thüre geöffnet worden, war nicht zu bestimmen. Der massive, eiserne Riegel, der nur von außen zurückgeschoben werden konnte, schien zwar in der Mitte etwas gebogen, aber immerhin nicht hinlänglich, um ihn ohne übermenschliche Anstrengung aus dem Schließhaken heben zu können. An diesem selbst, wie an dem übrigen Eisenwerke war nichts Auffallendes zu bemerken, und so blieb nur die Annahme, daß die Thüre aus Vergeßlichkeit eines Bedienten nicht geschlossen worden sei. – »Oder war es nicht bloßer Zufall, lag vielleicht doch eine Absicht dahinter,« sagte der Junker halblaut vor sich hin, »aber welche denn?« – »Schloßbauer« – ertönte es hinter ihm so unheimlich klanglos, daß er von einem kalten Schreck erfaßt weit zurückfuhr. Es war der arme Konrad, der den Namen ausgesprochen, denn er wiederholte ihn nun noch einmal mit leiserer Stimme, indem er den Kopf dabei wie von einem kindlichen Wohlbehagen erfüllt hin und her wiegte. – »Schloßbauer, sagst du, Bruder?« fragte Herr Ulrich, nachdem er sich von dem Eindrucke erholt, den der Name in diesem Augenblicke und an diesem Orte in ihm erweckt hatte; »aber was hast du denn mit dem Schloßbauer zu schaffen?« – Doch statt einer Antwort rollte sich der Wahnsinnige auf sein Kissen zurück, wieder das helle Lachen aufschlagend.

Wenn einmal der anglimmende Funke eines Gedankens auf dem Grunde der Seele ruht, so braucht es nur des leisesten Hauches, um ihn weiter anzufachen, bis er zur hellen Flamme aufschlägt. Der nach Klarheit ringende Geist ordnet das bisher wenig beachtete Vereinzelte zusammen, rastlos thätig, bis er die Wahrheit oder – den Wahn gefunden. So ging jetzt auch an dem Junker plötzlich wieder das Gefühl der Reue oder wenigstens unklarer Besorgniß vorüber, das er vorhin im Hofe gerade in dem Augenblicke empfunden, als er den Bruder erblickt, und dieser nannte ihm nun unbewußt den Namen, der jenes Gefühl erweckt, gleichsam als Antwort auf eine Frage, die abermals nur aus einem unklaren Drange hervorgegangen. Er begann langsam das Gemach auf und nieder zu gehen, so leise auftretend, als dürfe er selbst das Geräusch der Schritte nicht hören, bis er plötzlich wieder stille stand und die Hand mit einem lauten Schlage an die Stirne schlug. »Ja, das ist es,« murmelte er, »den nämlichen Namen hat in Versailles der Soldat genannt in seiner verworrenen Erzählung. Ach, warum bin ich so lange aus der Heimath fortgeblieben und meinem eigenen Hause so fremd, fremder als der Fremde selbst geworden. – Doch was hilft es – jetzt bist du daheim dafür, Ulrich!« –

Mit diesen Worten war ein fester Entschluß gereift in des Junkers Seele, der augenblicklich ausgeführt werden sollte. Er warf noch einen Blick auf das armselige Geräthe der Kammer, die außer einem Lager nichts enthielt, als ein paar niedrige Schemel, und ging dann, da der Bruder that, als ob er seine Gegenwart nicht bemerke, zur Thüre hinaus. Er zog dieselbe zu und horchte; es regte sich nichts drinnen, als das Knistern des Binsenkissens, auf dem Konrad sich niedergekauert.

Auf der ersten, niedergehenden Treppenwindung traf er den alten Dietrich, der langsam abwärts stieg. »Was treibst du hier oben,« fragte der Junker, dem ein Verdacht durch den Kopf fuhr, in einem fast strengen Tone, »wann bist du heraufgekommen?«

»Vor ungefähr einer halben Stunde, Herr.«

»Vor einer halben Stunde – wie kam das?«

»Als Ihr über den Hof zum Schloßbauer gegangen seid, hab' ich den Junker Konrad da droben an einem Fenster gesehen und so bin ich denn hinaufgestiegen, um für alle Fälle bei der Hand zu sein.«

»Und du warst schon oben, als ich heraufkam?«

»Ich bin seitwärts im Corridor gewesen; Ihr habt mich nicht gesehen und ich mocht' Euch nicht stören auf Eurem Wege.«

»Hör' Dietrich,« sagte der Junker stehen bleibend, »ich halte dafür, du seiest etwas früher hier heraufgestiegen, als du angibst, oder dann habe mein Bruder etwas später erst auf den Hof geschaut.«

»Ich versteh' Euch nicht, Junker.«

»Nun, deutlicher meinetwegen; du hast meinem armen Bruder die Thüre geöffnet.«

»Ich?« rief der Jäger, »nein, Herr, das hab' ich nicht gethan.« Diese Ablehnung war in so entschiedenem Tone gegeben, daß Herr Ulrich dadurch wohl die Ueberzeugung gewinnen mußte, er jage hier auf falscher Fährte, und deshalb nach einer Pause in milderm Tone fortfuhr: »Du glaubst also, die Thüre sei von Ungefähr offen geblieben; denn von Innen konnte sie unmöglich geöffnet werden.«

»Das letztere glaub' ich auch,« sagte der Alte bestimmt.

»Du denkst also doch, sie sei von außen und nicht ohne Absicht geöffnet worden?«

Der Jäger schwieg und drehte sein Gesicht dem dunklerer: Geländer zu, offenbar, um eine Verlegenheit zu verbergen.

»Nun, Dietrich,« sagte der Junker, dem diese Bewegung nicht entgangen, nach einigem Schweigen, »ich habe dich in meinen jungen Jahren als einen treuen, redlichen Burschen gekannt; jetzt freilich bin ich noch fremd in meines Vaters Hause und kenne Vieles noch nicht, das seitdem anders geworden; aber darum will ich dich doch nicht ohne Noth um Dinge plagen, die du nicht gerne mittheilen magst. Dafür wirst du mir sagen können, ob mein Bruder seit seiner Krankheit schon öfter aus seinem Gemache gekommen ist?«

»Noch nie, meines Wissens,« lautete die Antwort.

»Er hat wohl auch nie verlangt darnach?«

Der Alte schwieg abermals; dann wendete er sein Gesicht wieder dem Junker zu und sagte bewegt: »Hört, gnädiger Herr, wenn Ihr mir versprecht, mich nie weiter über diese Dinge auszufragen, oder wenigstens, bis Ihr nicht mehr fremd seid in Eures Vaters Hause, wie Ihr sagt, will ich Euch meine Meinung gerade heraus sagen, geh's wie es wolle.«

»Ich versprech' es dir, Dietrich.«

»Nun denn,« brachte der Alte mit gedrückter Stimme hervor, »ich glaube, die Thüre des armen Junkers ist vorhin aufgegangen, weil – weil der Schloßbauer drunten im Hofe als Verbrecher und Gefangener stehen gemußt.«

»Der Schloßbauer – deswegen, meinst du,« rief der Junker betroffen, »und wie sollte das zusammenhängen?«

»Denkt an Euer Versprechen,« erwiderte Dietrich mit stockender Stimme, während plötzliche Thränen in seinen ergrauenden Bart niederrannen; »was ich sagte, ist die redliche Herzensmeinung eines alten, ehrlichen Mannes, der an Euch und dem armen Junker Konrad von Kindsbeinen an mehr gehangen, als er am eigenen Kinde hätte hangen können.«

Herr Ulrich lehnte sich schweigend an das Geländer zurück, während der alte Jäger nur mit Mühe einen gewaltsam hervorbrechenden Schmerz niederzukämpfen vermochte. Endlich nahm der Erstere wieder das Wort und sagte, indem er dem Alten wie zur Beruhigung die Hand auf die Schulter legte: »Hör', Dietrich, mein Versprechen soll dir gehalten werden, dagegen verlange ich einen Dienst, wohl einen schweren Dienst von dir, wenigstens bis sich Jemand findet, der dich ablösen kann.«

»Sprecht, Herr,« erwiderte der Alte noch immer schluchzend.

»Mein Bruder darf nicht mehr hier eingeschlossen bleiben,« fuhr Herr Ulrich fort, »er wird das Gemach, das dem meinigen gerade gegenüberliegt, beziehen, das er ja auch früher bewohnt hat. Dagegen muß Jemand da sein, der Tag und Nacht um ihn bleibt und ihn nie aus den Augen läßt. Willst du das übernehmen?«

»Ist das Euer Ernst?« sagte der Jäger langsam das Gesicht erhebend.

»Warum sollt' es nicht, Dietrich?«

»Nun denn,« rief der Alte erschüttert die Hand des Junkers ergreifend, während auf's Neue Thränen aus seinen Augen stürzten, »dann komme aller Segen des Himmels über Euch, den ein alter Mann herabflehen kann.«

»Ich werde dir daran denken, Dietrich,« erwiderte der Junker bewegt; »jetzt geh' nur wieder hinauf in den Corridor und warte dort auf meine weitern Befehle.«

Herr Ulrich trat mit ernstem Gesichte in das Gemach der Freifrau, bei der noch mehrere Damen versammelt waren.

»Wie geht es dem Herrn Vetter, Frau Mutter?« fragte er, die übrige Gesellschaft begrüßend.

»Er ist eingeschlummert; den alten Verbrecher hättest du aber wohl in Ketten einsperren sollen, Ulrich. Verdient hat er's schon lange tausendfach.«

»Die Mauern und Wächter werden stark genug sein, ihn bis zur Beurtheilung festzuhalten,« erwiderte der Junker ernst; »vorher haben wir jedoch für Jemanden zu sorgen, der weniger achtsam bewacht war, obwohl es nöthiger gewesen wäre.«

»Wen meinst du?« fragte die Frau leichthin.

»Meinen Bruder Konrad.«

»Konrad,« entgegnete die Freifrau, diesmal ihre Blicke von dem Gesichte ihres Sohnes abwendend, »was sollt' es mit dem armen Junker gegeben haben?«

»Weiter nichts,« sagte Herr Ulrich, »als daß ihn die Engel diese Stunde besser behütet haben mögen, als die Menschen; deshalb hab' ich angeordnet, daß er von diesem Augenblick an wieder sein altes Gemach, dem meinigen gegenüber bezieht.«

»Um Gotteswillen, Ulrich,« rief die Freifrau von ihrem Lehnstuhle sich erhebend, »du wirst doch nicht einen Wahnsinnigen in unsere Mitte bringen wollen? und gerade noch jetzt, wo –.«

»Der Sohn meines Vaters wird von dieser Stunde an neben seinem Bruder wohnen, Frau Mutter,« unterbrach sie der Junker kalt, und schritt mit einer flüchtigen Verbeugung der Thüre zu. –

Dieser Vorgang, sowie die Aussicht, nun hart neben dem Wahnsinnigen wohnen zu müssen, wirkte entscheidend auf die Reiselust der Gesellschaft, die nach wenigen Stunden auf verschiedenen Wegen von dannen fuhr.

Herr Ulrich schritt, als die Letzten Abschied genommen, erleichterten Gemüthes über den Schloßhof dem Thore zu. Dem nebelbedeckten Vormittag war ein sonniger Vorfrühlingsnachmittag gefolgt, der mit seinem milden Scheine den Junker aus den ihm so eng gewordenen, väterlichen Mauern in's Freie lockte. Er gedachte hinaufzugehen auf den See, der kaum eine Viertelstunde oberhalb des Schlosses die weite Thalfläche mit seinem ruhigen Spiegel bedeckt. Dort, auf der verschwiegenen Einsamkeit der Wasser, dem Lieblingsaufenthalte seiner jungen Tage, hoffte er die verworrenen Eindrücke, Vorstellungen und Gedanken zu beschaulicherer Sammlung bringen zu können, als im Gemache; aber gerade als er an das Hofthor gelangte, trat ihm eine Erscheinung entgegen, vor der sein Fuß unwillkürlich am Boden haften bleiben mußte. Und doch war es nur ein Mädchen in bäuerlicher Tracht, wie sie landesüblich war; aber hoch und schlank und mit einem Antlitze, auf dem der Ausdruck kummervollen Leides mit dem stolzern Abglanze jungfräulicher Schönheit in rührendstem Widerstreite lag. Herr Ulrich wußte kaum, was er that, als er behend nach seinem Barette griff und sich verneigend um ihr Begehr fragte. »Wenn Ihr der Junker Ulrich seid, wie ich glaube,« erwiderte das Mädchen in wehmüthigem Tone, aber ohne befangene Scheu, »so möcht' ich Euch bitten, mich mit meinem Vater sprechen zu lassen.«

»Mit Eurem Vater –« sagte Herr Ulrich in zögernder Betroffenheit, »und wer ist denn Euer Vater?«

»Ich bin Else, die Tochter des Schloßbauern, den Ihr im Thurme gefangen haltet, Junker.« –

 

VI.

Eine halbe Stunde später stand Herr Ulrich wieder am Hofthore und blickte sinnend der Tochter des Schloßbauern nach, wie sie, von dem Besuche bei ihrem gefangenen Vater heimkehrend, mit Anmuth und Würde durch die Allee hinausschritt. Er war, während sie sich im Thurme befunden, nicht vom Hofe weggegangen und ein eigenes Gefühl von Selbstsucht, die beinebens schon entschlossen war, sich in möglichste Großmuth umzuwandeln, hatte ihm zugeflüstert, die Tochter werde ihn nach gepflogener Zwiesprach mit Thränen und Bitten angehen für den Gefangenen; er überlegte daher, was er der schönen Fürbitterin antworten könne, um sie zu trösten, ohne seine beschränkten Befugnisse zu überschreiten, immerhin schon gesonnen, der Anwendung äußerster Strenge so viel thunlich entgegenzuwirken. Aber seltsam war der Junker betroffen, als das Mädchen aus dem Thurme tretend ihn kaum flüchtig begrüßte und ruhig, ja stolz, wie es schien, an ihm vorüberschritt; der feuchte Glanz, der nachschimmernde Thränenthau, war verschwunden aus ihren blauen Augen, die vorhin so bleichen Wangen hatten sich leicht geröthet und Gang und Haltung sprachen eher von sicherer Entschlossenheit, als von besorgnißvoller Zaghaftigkeit. Herr Ulrich hatte bei diesem unerwarteten Anblicke zuerst Mühe, ein zwischen Kränkung und Verdruß schwankendes Gefühl niederzukämpfen; aber als er der Weiterschreitenden nachgeschaut, bis sie an dem äußersten Ende der Allee auf die Wiesen einbog, mußte er unwillkürlich vor sich hinsprechen: »Schade, daß sie im Hause eines geringen Bauern geboren worden ist!«

Dieser Gedanke ging mit ihm auf dem Wege, den er nun nach dem See hinauf einschlug, und wie oft er auch mit der Hand über die Stirne fuhr, als könnt' er ihn wegstreichen und einem andern Sinnen rufen – das jungfräuliche Bild stand immer wieder unversehens vor seinem innern Blicke, bald kummerbleich mit der letzten Thränenspur an den gesenkten Wimpern, bald in ruhigem, fast majestätischem Gange dahinschreitend. Herr Ulrich drehte sich stehen bleibend langsam um, als müßt' er ihr noch einmal nachschauen, als er das Schloß schon weit hinter sich gelassen. »Und gesehen habe ich sie doch schon irgendwo,« sagte er laut zu sich selbst, nachdem fein Blick lange vergeblich an der menschenleeren Allee hin- und hergestreift, »gesehen muß ich sie früher schon haben, wenn auch in anderer Umgebung und Kleidung; aber wo? – Nein, es ist nicht möglich, und doch – seltsam!« Ueber dieser neuen Wendung seiner Gedanken brütete er, bis das Schifferhäuschen vor ihm stand und ihm eine Stimme hinter dem kleinen Fenster hervor entgegenrief, ob er über den See zu fahren wünsche. Es trat ein eisgrauer Mann aus der niedrigen Thüre, der mit freundlichem Gruße auf eine der an's Ufer gezogenen Nauen zuschritt, und fragte, wohin der Herr gefahren sein wolle. Der Junker hatte sonst vorgehabt, sich selbst planlos auf dem See herumzurudern, jetzt aber antwortete er ohne langes Besinnen: »Nach Birrwyl, wenn es dir nicht zu weit und beschwerlich ist.«

Er kennt mich nicht mehr, der alte Jochem, dachte er, während in seinem Gesichte selbst sich seit zwanzig Jahren keine Falte geändert zu haben scheint. Um so besser kann ich plaudern, was mir gelüstet. – »Zu weit Herr?« erwiderte der Alte, die Naue losmachend, »Ihr scheint mit Verlaub unbekannt in der Gegend; der Ort, wohin Ihr wollt, liegt da drüben am Berge – 's ist kaum eine halbe Stunde. Seht dort den kleinen Kirchthurm!« – »Schon recht,« sagte der Junker einsteigend, »so genau bin ich freilich nicht bekannt hier herum.«

»Ja, Herr,« begann der redselige Alte, nachdem er das Schiffchen mit einem kräftigern Abheben vom Ufer gestoßen, als sich von seiner verwitterten Gestalt erwarten ließ, »gerade dort liegt Birrwyl und gleich neben der Kirche hinauf geht der Weg über den Homberg in's Wynethal, wohin Ihr vermuthlich beabsichtigt, Herr. Nicht? – Ja, ja, ich hab' mir's gedacht; in Birrwyl würd' auch ein fremder Herr von Eurem Aussehen nicht viel zu schaffen haben, 's ist ein armes, ungeberdiges Völklein. Aber deswegen braucht Ihr doch nicht den steilen Weg über den Berg zu gehen, wenn's Euch anders beliebt. Seht Ihr dort außerhalb des Dörfleins die zwei, drei neuen großen Häuser? Sie sehen vornehmer aus als die Kirche, mein' ich. Gerade an diesen vorbei führt der neue Weg, den der Nußbaumer auf seine eigenen Kosten hat herrichten lassen und den könnt Ihr gehen, um nach Reinach oder sonst in's Thal hinüberzukommen.«

»Der Nußbaumer sagst du? Das muß ja ein mächtig reicher Mann sein, der solche Wege auf eigene Kosten herstellen läßt.«

»Reich, sagt Ihr?« fuhr der Alte fort, »reich, Herr? Ja, das will ich meinen, der könnt' manchen Junker Land auf und ab auskaufen, ohne seinen Kronen und Goldgulden stark weh zu thun. Hat der dort die Wässerlein hoch im Berge droben alle zusammengegraben und sie zu seinen neuen Häusern herabgeleitet, wo sie nun – wartet – ja fünf bis sechs Räder treiben. Jetzt hat er sie in's Lehen gegeben, aber es heißt, auf den Herbst wolle er selbst hinaufziehen.«

»Und wer ist er denn eigentlich, dieser Nabob?«

»Den kennt Ihr nicht?« sagte der Alte verwundert; »ach ja, Ihr seid fremd hier. Nu, es ist der Schloßbauer von Hallwyl.«

»Der Schloßbauer von Hallwyl?« rief der Junker; aber ruhiger fügte er sogleich hinzu: »'s ist mir, als ob ich schon von dem gehört hätte. Doch wie verhält sich's, ich glaube Birrwyl gehört nicht zum Herrschaftsgebiet von Hallwyl und der Schloßbauer kann dort Häuser bauen und sogar selbst hinziehen – gestattet das die Herrschaft?«

»Ja, die wird wenig dazu zu sagen haben.«

»Das wäre!«

»Wie das so genau ist, weiß ich nicht,« sagte der Alte, »aber so viel ist gewiß, daß der Schloßbauer auch nicht vor das Herrschaftsgericht, sondern vor das Landgericht nach Lenzburg gehört, oder dann nach Bern vor die gnädigen Herren und Obern, gerad' wie die Junker von Brestenberg.«

»Hat denn der Schloßbauer einen Streithandel?« fragte der Junker rasch.

»Nicht, daß ich wüßt',« antwortete der Alte unbefangen, »ich mein' nur so von wegen der Herrschaft. Aber daß er dahin auszieht, glaub' ich; es geht nicht mehr drunten in Hallwyl, schon seit der alte, gnädige Herr gestorben ist. Und nun erst seit der Geschichte mit dem Junker Konrad – daß Gott erbarm'.«

»Davon glaub' ich schon etwas gehört zu haben,« sagte Herr Ulrich, seine Unruhe verbergend, »wie ist das nur hergegangen?«

»Wie das hergegangen ist, Herr? Ja, das ist eine seltsame Geschichte, von der mancherlei geredet worden ist unter den Leuten. So recht ausgekommen ist's nie; die gnädige Frau im Schlosse wird es wohl für sich behalten, und der arme Junker ist am Morgen wahnsinnig gewesen, der kann's auch nicht erzählen.«

»Ja, wie denn,« fragte Herr Ulrich, »ich meine gehört zu haben, der Junker Konrad habe den Verstand in Folge einer schweren Krankheit verloren?«

»Einer Krankheit?« machte der Alte mit den Augen zwinkernd, »eine Krankheit ist so was freilich auch, wenn es ein so unglückliches Ende nimmt. Aber so viel ist gewiß, daß der Junker noch am Abend gesund und frisch, wenn auch nicht so fröhlich wie sonst, in meinem neuen Schifflein auf dem See gefahren ist und am Morgen – na, da war er, was er jetzt noch sein wird. Schade, jammerschade um ihn, er war ein schöner, schmucker Mann, wie Ihr selbst, Herr.«

»Aber was hatte denn der Nußbaumer dabei zu schaffen, daß ihm seitdem der Aufenthalt auf seinem Hofe verleidet ist, wie du sagst?«

»Nun Herr, nehmt's nicht übel,« erwiderte der Alte, »Ihr seid noch jung und werdet manche Dinge ansehen, wie es eben die Jugend gewohnt ist; aber habt Ihr einmal eigene Töchter, so werdet Ihr wohl auch ein Wort dreinsprechen wollen, wenn es sich um Dinge handelt, wie es hier der Fall war. Doch da sind wir am Ziele, Herr.«

»Ich hätte Lust, mich noch ein wenig auf dem See umherfahren zu lassen,« sagte der Junker, »das Wetter ist hell und mild und meine Nachtherberge kann ich immer noch früh genug erreichen.«

»Thät's gerne,« entgegnete der Alte, »aber seht, dort kommen schon Zwei den Weg herab, die nach Fahrwangen übergesetzt sein wollen.«

Der Junker sprang, wenn auch ungerne, doch behende aus dem Schifflein auf diese Bemerkung, da er es nicht dem Zufalle anheimgeben mochte, ob die Ankömmlinge ihn vielleicht kennen und sein Incognito dem Fährmann verrathen möchten. Er warf diesem deshalb ein reichliches Fährgeld in den vorgehaltenen Hut mit dem Vorsatze, seine Dienste möglichst bald wieder in Anspruch zu nehmen.

Aber der schmale Fußsteig, der zwischen hohen mit Buschwerk bedeckten Borden hinanführte zur Straße, die längs dem Höhenzuge wieder nach dem Schlosse und thalabwärts lenkte, wurde dem Junker schwer diesmal, so rüstig er auch sonst auszuschreiten pflegte; denn schwere Gedanken sind gar oft die schwerste Wanderbürde, und Herrn Ulrich war durch die Reden des alten Jochem die schon hergetragene Last noch vermehrt worden. Daher mußte er im Hinansteigen manchmal stehen bleiben, als wollt' ihm der Athem versagen. Also war doch etwas Wahres daran, was ein aus dieser Gegend gebürtiger Soldat vor bald einem Jahre in Versailles erzählt! Der arme Konrad hatte nicht in Folge einer schweren Krankheit seine gesunden Sinne verloren, wie es die Freifrau dem Bruder geschrieben – oder was konnte sonst den alten Schiffer veranlassen, solch eine bestimmte Angabe zu machen? Jener Soldat hatte noch weiter geplaudert, der Junker habe seinen Verstand verloren, weil ihm die Freifrau verwehrt, die Tochter eines Bauern, zu der er große Liebe getragen, als Gattin in's Schloß einzuführen – sich dann aber auf weiteres Befragen wieder ausgeredet, diese Dinge nur im Rausche erfunden und geschwatzt zu haben. Herr Ulrich hatte dieses Gerede damals auch keiner besondern Beachtung gewürdigt, da ihm ein solch tiefgehendes Verhältniß seines Bruders zu einem Landmädchen eben nicht sehr wahrscheinlich vorkommen mochte, und die Worte des Schiffers deuteten nun auch freilich etwas Anderes an. »Aber immerhin,« sagte der Junker aus diesen Gedanken heraus, »wo so viel Rauch, muß auch ein Feuerlein zu finden sein, so oder so, und es wird allgemach deutlich, warum der alte Dietrich für einmal reinen Mund zu halten verlangt. Was mag da zu Tage kommen! – Aber fast,« fuhr er nach einer Weile mit einer neuen Wendung seines nachdenklichen Sinnes fort, »fast wär' mir's lieber, der Soldat hätte die Wahrheit getroffen und Konrad mit einer ächten, gerechten Herzensliebe an dem Kinde gehangen, denn schön ist sie wahrlich, trotz ihres niedrigen Standes und bäuerlichen Gewandes, wie ich noch selten ein Weib getroffen. – Aber gesehen hab' ich sie doch schon irgend anderswo,« rief Herr Ulrich wiederum nach einer Pause so laut vor sich hin, daß er ob dem Schalle betroffen umherschaute, als könnte Jemand seine Gedanken belauscht haben. –

Ein lauschendes Menschenohr war nun wohl nicht in der Nähe, dafür stand kaum hundert Schritte vor dem Wanderer auf einem luftigen Hügelvorsprunge ein sauberes Häuslein, das ihn wie ein Erinnerungsmal vergangener, glücklicher Zeiten anmuthete. Wie oft hatte er in frühern Tagen dort unter dem breitvorspringenden Dache gesessen und sich mit seinem Bruder, ermüdet von den Streifereien durch Wald und Gebirg, an einem Trunke kräftigen Landweines erfreut! Wie oft hatten sie da zwischen Ernst und Scherz den Erzählungen waidmännischer Thaten und Fahrten zugehört, die ihnen ihr gewöhnlicher Begleiter bei solchen Ausflügen, der Jäger Dietrich, oder einer seiner Berufsgenossen auftischte! Es ging ein freundliches Aufleuchten über das gedankenvolle Antlitz des Junkers, als er des Hauses ansichtig wurde, und er erfreute sich um so mehr an diesem Funde, als er vorher gar nicht daran gedacht hatte. Ohne Säumen ging er über die Wiesen seinem Ziele entgegen, das er freilich in der Nähe vielfach anders fand, als es seiner Erinnerung sich dargestellt hatte. Der alte, fröhliche Wirth mit dem runden, stets lachenden Gesicht war längst zu seinen Vätern versammelt und der nun ebenfalls schon gealterte Sohn begrüßte den Gast mit Mienen, die wohl gedeutet werden konnten: Mir ist's recht, wenn du dich gleich wieder von dannen trollst. Er erkannte den Junker so wenig als der alte Jochem drunten am See; doch ließ er sich auf freundliche Einladung zu einem Becher Weines aus der großen, zinnernen Kanne herbei, vom Tode seines Vaters zu erzählen; begann dann aber alsbald über die schlechten Zeiten zu klagen und über die Unbill der gnädigen Herren und Obern in Bern, die den Landmann mit Erhöhung der Steuern und Abgaben bedrückten, dagegen den Werth des Geldes um die Hälfte herabgesetzt hätten; sich von großen Pensionen fremder Potentaten mästeten und dafür die heimgekehrten Reisläufer geringern Standes am Hungertuche nagen ließen. Es seien aber viele von diesen im Lande, die Haar auf den Zähnen hätten und den »Kronenfressern« schon eine tüchtige Suppe einbrocken würden. Der Wirth schaute dabei Herrn Ulrich mit zwinkernden Augen an und sagte, auf den schmucklosen Degen deutend, den dieser zur Seite trug: »Ich denke fast, das Ding da ist auch schon als Eisen in die Fremde gegangen, ohne versilbert heimgekommen zu sein.« – »Kann sein,« erwiderte der Junker kurz, dem dieses Gespräch bei der Stimmung, in welcher er das Haus betreten, ungelegen kam, und der deshalb für den Augenblick froh war, daß der Wirth von zwei neuen Gästen, die sich am andern Ende der offenen Laube hinsetzten, abgerufen wurde. Es waren Landleute, doch der Tracht nach zu schließen, nicht aus der nächsten Umgegend, die sich mit dem Gastgeber bald in ein eifriges, leisgeführtes Gespräch einließen. Der Junker erhob sich, um, vor der Laube auf- und niedergehend, der untergehenden Sonne nachzublicken, die das Thal zum Abschiedsgruße mit zauberhafter Schönheit übergoß. Zur Linken lagen die Thürme und Giebel des Schlosses Hallwyl schon in graue Schatten gehüllt, aber der See flimmerte und glühte, wie ein mächtiges Feuerbecken und warf auf die jenseits leis ansteigenden Höhen einen Wiederschein, von dem die noch kahlen Gebüsche wie mächtige Rosenhecken aufleuchteten. Drüber weg, dem sanftgebogenen Lindenberge entlang, glomm in endloser Kette Feuer an Feuer, die sich im Abendglanze wiederspiegelnden Fenster der Schlösser, Dörfer und Weiler, bis weit an den dunkeln Fuß der Hochgebirge hinan, deren Häupter wieder mit Purpur angethan über das Land herabschauten.

Der Junker stand verloren im Anschauen dieses ihm nun längst entwöhnten Schauspiels, bis ein Name des in der Laube lauter werdenden Gesprächs sein Ohr berührte. Er horchte unwillkürlich auf, und als der Name nochmals mit Nachdruck genannt wurde, kehrte er langsam und scheinbar unbefangen zu seinem Kruge zurück. Gleichwohl deutete einer der Gäste nach ihm hinüber, dem Andern, der gerade das Wort führte, mit dem Gesichte zuwinkend; der Wirth aber sagte vernehmlich: »Laßt nur, den braucht ihr nicht zu scheuen; 's ist auch einer von Denen, die lieber vom Leder ziehen, als den Karst wieder zur Hand nehmen.«

»Um so besser,« machte der Wortführer, ein kurzgewachsener aber breitschultriger Geselle mit trotzigem, bräunlichem Gesichte, »die wird man wohl gebrauchen können, so viele ihrer kommen. Aber was ich sagen wollte,« fuhr er nun ohne besondere Rückhaltung fort, »ich halt's für einen wahren Kapitalspaß, wie es da gekommen ist. Ohne den Nußbaumer wäre gar nichts anzufangen gewesen, der hätte die Herrschaftsleute in allen Dörfern herum besser im Zaume gehalten, als ein Regiment Soldaten, das ihnen der Oberherr auf den Hals geschickt. Das hat sich ja heut selbst am Besten gezeigt. Der Riedlinger und ein paar Andere waren im besten Zuge, mit dem ganzen Plunder, wie er im Schlosse versammelt war, fertig zu machen und dann den rothen Hahn auf das leere Nest zu jagen; der übrige Haufe ist auch mitgelaufen, so lange er der Meinung war, der Schloßbauer sei einverstanden; doch sobald der das Maul aufthat, nahmen sie den Finkenstrich, als hätten sie Eier gestohlen. Nu, sag' ich, 's ist besser so, der Nußbaumer ist mehr werth, als ein paar todte Schloßhasen.«

»Aber weißt du auch so gewiß, daß er nun herüberschlagen wird?« sagte der andere der Gäste, ein Mann mit spitzem, dürrem Gesichte und kleinen, lauernden Augen; »zudem sitzt er für einmal fest und mag da nicht viel ausrichten können für unsere Sache.«

»Pah,« machte der Erstere verächtlich, »was das Festsitzen betrifft – je länger, desto besser; haben wir ihn einmal nöthig, so wird sich schon ein Thürlein finden und er dann nur um so brühwarmer sein. Für seine Bekehrung laß du aber nur die allergnädigste Freifrau sorgen, die wird's geschickter anreisen, als wenn wir ihm ein paar Pfaffen mit ganzen Säcken voll Ueberredungskünsten auf den Hals gejagt hätten. Wie ist's denn mit dem Schybi im Entlebuch gegangen? Er wollte anfänglich auch nichts wissen von der Sache, meinte, man solle in Liebe und Minne unterhandeln mit den Herren, die werden schon billige Rücksichten tragen und dergleichen Dummheiten mehr; aber zum Danke dafür fuhren sie ihn grob an, steckten ihn ein paar Wochen ein, und das hat richtig geholfen. Als er herauskam, war der Teufel mit einem Schlage los durch die ganze Thalschaft – das Ding hatte Kopf und Hand zugleich gefunden an dem Schybi.«

»Ja, ja, er hat recht,« wendete sich der Wirth an den Spitzen, accurat so Einer ist der Schloßbauer; wird der einmal hart Harte wurden im Bauernkriege die entschiedenen Anhänger der Volkssache; Linde die Unentschiedenen oder zu friedlichem Vergleiche Geneigten genannt., dann gibt's Funken, rechnet darauf. Des lieben Friedens wegen hat er schon manchem kleinen Schlucker, der hinter ihm herumgehen wollte, durch die Finger gesehen; aber von den großen Hansen läßt er sich am allerwenigsten auf die Füße treten, wenn er auch dem alten Herrn im Schlosse noch so dienstfertig gewesen ist. Man sagt freilich, er habe dem, ohne einen Titel zu verlangen, so viel Geld vorgeschossen, als die halbe Herrschaft Werth sei; doch wie hat er letzten Winter den dicken Landvogt auf Lenzburg abgeputzt – he?«

»Was war das?« fragte der Spitze, »ich hab' nichts gehört davon.«

»Nun,« erzählte der Wirth, »der kleine Korber da draußen, zunächst den neuen Häusern des Nußbaumers, wollte den Schuldenboten die Steuern mit abgeschätztem Gelde bezahlen, aus dem guten Grunde, weil er kein anderes hatte, und als der Bursche sich weigerte und sich anschickte, die Kuh aus dem Stalle wegzuführen, geriethen sie aneinander, so daß dem Korber ein Bein lahm geschlagen wurde. Gleichwohl sollte er bei der grimmigen Kälte gedäumelt mit dem Hatschier nach Lenzburg stoffeln; aber er konnte nicht und fiel ein paar Mal hin auf das wunde Bein. Was that der Nußbaumer, der gerade dazu kam? Er spannte ein Wägelchen an und führte den Korber selbst nach Lenzburg, bis in den Schloßhof hinein. Dafür schrie der Landvogt ihn nun an, ob er sein Fuhrwerk zu nichts Besserem zu brauchen wisse, als solches Strolchenpack im Lande herumzukutschiren. »Herr Landvogt,« sagte drauf der Nußbaumer, »wenn's Euch einmal passiren sollt', daß Ihr nicht mit dem Hatschier gehen könnt, was wohl einem begegnen kann, so schickt nur zu mir, ich will Euch den nämlichen Dienst thun, wie dem Korber.« Der Landvogt wollte solche Rede nicht leiden und schrie dem Hatschier zu, den Grobian am Kragen zu packen; der Schloßbauer meinte aber ganz gemächlich: »Laßt's nur gut sein, ich habe da die Geißel bei mir, obschon ich sie für meine Rosse sonst nie brauche. Im Uebrigen heiß' ich Nußbaumer und Ihr wißt, wo ich daheim bin,« und damit fuhr er zum Thor hinaus mit seinem Wägelchen.«

Die Bauern lachten, auf die Gesundheit des Schloßbauern anstoßend, aus vollen Hälsen über diese Geschichte und selbst Herr Ulrich konnte sich eines augenblicklichen Lächelns nicht erwehren bei dem Gedanken an den Aerger, der den unbehülflich wohlgenährten Landvogt mit dem krebsrothen Gesichte gewürgt haben mochte ob dieser groben Antwort. Der Wirth, der dies Lächeln bemerkt und nach seiner Art deutete, rief, sich an den Junker wendend: »He da, Herr Kriegsmann, gelüstet Euch nicht auch, einen Becher mit uns zu leeren? 's ist reiner Brestenberger, wie der Eurige.«

Der Angerufene verspürte nun freilich keine Neigung, dieser Einladung Folge zu leisten; andrerseits widerstrebte es ihm jedoch auch, der Unterhaltung, so mächtig sie ihn interessirte, gleichsam hinter der Wand zuzuhorchen. Einen Augenblick besann er sich, ob er nicht vor die Leute hintreten und sie für ihre Reden haftbar machen sollte; aber, dachte er sogleich wieder, steh' ich doch nicht auf dem Gebiete meiner väterlichen Herrschaft, noch bin ich der Häscher für meine Herren Vettern in Bern; für mich hab' ich genug gehört. Somit stand er auf und sagte kurz: »Mein Weg ist der weitere; gehabt euch wohl.« –

Es fing bereits an, stark zu dunkeln, als der Junker von der Höhe nach dem Schlosse hinabschritt, in dem sich da und dort einige unruhige Lichter zeigten. Er freute sich auf die Ruhe der Nacht, die ihm bringen sollte, was er den Nachmittag vergeblich gesucht, ruhige Stille, um die tausendfach sich kreuzenden Gedanken zu klarer Ueberlegung zu sammeln. Was er da droben in dem Wirthshause gehört, kam ihm auf dem Heimwege bald wie ein neckisches Märchen vor, das er nirgends recht anzufassen wußte. Hatten die Bauern ihn doch vielleicht erkannt und sich blos einen groben Spaß mit ihm erlaubt? – Er erröthete bei dem Gedanken, und blieb einen Augenblick stehen, sich besinnend, ob er nicht wieder umkehren solle. Aber nein, zu einem solch gewagten Spiele würde der Wirth, der immerhin das Ganze hätte einfädeln müssen, sich schwerlich herbeigelassen haben – die Zeche wäre zu unsicher gewesen. Den Verhältnissen in der Heimath völlig fremd geworden und ebenso unbekannt mit der Stimmung und den Ansichten des Volkes, hatte er den Vorfall vom heutigen Morgen mehr als einen Zufall betrachtet, der, wenn auch möglicherweise von gefährlichen Folgen begleitet, doch nur durch das hochfahrende Wesen des fremden Herrn von Venel und den Ausbruch des Bauerntrotzes hervorgerufen worden war; daß es das erste Aufflackern eines weitverbreiteten unterirdischen Brandes bedeuten sollte, der kaum gedämpft, doch wieder benützt wurde, um die ganze verzehrende Gluth zu schüren, davon hatte der Junker bis zur Stunde keine Ahnung gehabt. Doch wie nun unter diesen veränderten Umständen mit dem Gefangenen verfahren – das war eine Frage, die reifer Ueberlegung bedurfte. – Besorgliche Furcht war dem Junker unbekannt; im Gegentheil regte sich das Soldatenblut zu rascherm Gange bei dem Gedanken an Kampf und Schwertschlag. Aber gegen wen und mit wem? sprach es zugleich in ihm, als er den Blick über die friedlichen Lichter der zerstreut herumliegenden Hütten streifen ließ und dabei das Bild des traulichen Verhältnisses in seiner Erinnerung aufstieg, in dem der Vater mit seiner ländlichen Umgebung gelebt hatte; – nein, Ulrich, du bist des Streites und Getümmels satt, heimgekehrt, um Ruhe und Frieden zu suchen; sei auf der Hut drum, was du thust. –

»Hier ist sie wie eine Königin hinausgeschritten,« sagte er halblaut, in die Allee einbiegend; aber verwundert blieb er stehen beim Anblicke mehrerer sich auf dem Hofe durcheinander bewegender Lichter, zu denen sich lautes Gerede gesellte. Näher gekommen, erkannte er eine Anzahl Knechte des Schlosses mit dem Thurmwarte, die sämmtlich mit Schießgewehr und Hallbarten hantierten. »Was gibt's da, ihr Leute,« fragte der Junker, »was wollt ihr mit dem Kriegszeug?«

»O gnädiger Herr,« erwiderte der Thurmwärter mit verlegenem Stottern, »dem Himmel sei Dank, daß Ihr da seid.«

»Aber was soll's denn? so gib doch Antwort.«

»Der Schloßbauer ist entsprungen und nun sollen wir ihn auf Befehl der gnädigen Frau wieder herholen.«

»Entsprungen, sagst du?« rief der Junker; »wäre das möglich!«

»O gnädiger Herr, glaubt mir, ich bin unschuldig,« antwortete der Thurmwächter in wehklagendem Tone, »glaubt es nur, so etwas ist mir in meinem Leben noch nicht passirt.«

»Aber zum Guguck –.«

»Ja, ja, ich erzähl's schon, haarklein,« fiel der Thürmer in seiner angestimmten Melodie ein. »Seht, die gnädige Frau wollte den Nußbaumer verhören und befahl mir, ihn hinaufzubringen in den schwarzen Saal, aber gut gedäumelt und geschlossen. Das that ich denn auch, wie befohlen, und er ließ es ruhig geschehen, der hinterlistige Rothkopf; doch kaum daß wir aus dem Thurme heraus waren, warf er, der Satan mag wissen, wie er es machte, die Eisen zu Boden und sprang davon.«

»Und du hast ihn nicht festgehalten?«

»Festhalten wollt' ich ihn schon, gnädiger Herr,« athmete der Bedrängte auf, »aber er warf mich dabei mit einem tückischen Stoß vor die Brust rücklings so über den Haufen, daß ich mein Lebenlang einen Resten davontragen werde.«

»Und ich sah ihn wohl draußen am Thor,« sagte einer der Knechte; »aber da er gar so langsam und ruhig davonging, so meint' ich, er sei ledig gelassen worden von der gnädigen Herrschaft.«

»Ist der Verwalter schon heimgekommen?« fragte der Junker nach augenblicklichem Besinnen.

»Noch nicht, gnädiger Herr.«

»Nun gut, so stellt eure Gewehre einstweilen noch bei Seite; wenn es an der Zeit ist, werde ich selbst mit euch kommen.«

Mit diesen Worten stieg Herr Ulrich die Treppe hinan; wendete sich aber, oben angekommen, statt nach dem Gemache der Freifrau, zuerst nach demjenigen Junker Konrads hinüber.

 

VII.

Der Wahnsinnige saß in einem bequemen Polsterstuhle, auf dem er sich mit sichtlichem Behagen hin- und herwiegte; beim Anblick des Eintretenden fuhr er jedoch hastig in die Höhe und suchte etwas zu verbergen, zuerst in die Falten seines Kleides, dann aber, als dies nicht ging, da Dietrich ihm auch andere Gewandung angezogen, zwischen den Kissen des Lehnstuhles. Als dies bewerkstelligt war, setzte er sich ruhig wieder hin und schien gedanken- und theilnahmslos vor sich hinzustarren, doch nicht ohne einen Zug der Verlegenheit im Gesichte, wie Herr Ulrich zu bemerken glaubte. Er bot daher dem Bruder die Hand entgegen, die dieser schweigend umfaßte und eine geraume Weile festhielt, ohne jedoch auf eine der gestellten Fragen zu antworten oder auch nur zu thun, als ob er sie höre.

»Nun, Dietrich, wie ist's gegangen, diesen Nachmittag,« wendete sich der Junker an den Alten, der beschäftigt war, noch dies und jenes im Hintergründe des Zimmers zu ordnen und zurechtzurücken, »wie hat er sich verhalten, der arme Junker?«

»Recht ordentlich, gnädiger Herr,« antwortete der Alte vergnügt, »dem Himmel sei gedankt. Manchmal hat er gelacht, aber nie mehr so wild, wie ich ihn sonst wohl gehört habe, besonders als ich ihm die neuen Kleider anzog. Drauf hat er sich auch vor den Spiegel gestellt, sich hin- und herbesehen und dann mit einem Bückling gegen sein Abbild gesagt: So, so, ich hab' die Ehre, Euch wieder einmal zu grüßen, Junker Konrad. Er machte ein heiteres, fast spöttisches Gesicht dazu, wie mir's schien. Nur als das Geschrei kam, der Schloßbauer sei entsprungen, da wollte er ebenfalls davon und ich mußte ihn festhalten eine Weile.«

»Was hat er denn verborgen bei meinem Eintritt?« fragte der Junker nachdenklich.

»Ja, das muß ich noch erzählen,« fuhr der Alte leiser fort, »aber tretet da etwas näher, gnädiger Herr; habt Ihr bemerkt, wie er ausschaute, als ich den Namen des Schloßbauern nannte? Nach einiger Zeit, wie er hier unten war, fing er an, unruhig im Gemache hin- und herzugehen, kauerte in allen Winkeln nieder und durchstöberte sie mit den Fingern, als suche er etwas. Ich meinte, es sei das Ungewohnte und werde sich schon geben; aber als ich die Kissen von oben herunterbrachte, fuhr er mit einem Sprunge über eines derselben her, durchwühlte es gierig mit den Händen, bis er etwas daraus hervorzog und lachend damit an's Fenster sprang.«

»Und was war's denn?«

»Er hat es immer in den Händen behalten und wenn ich nahe kam, versteckte er's; aber als sie drunten nach dem Schloßbauern gerufen, ließ er's auf den Boden fallen und da hab' ich gesehen, was es ist – das alte, kleine Bildniß von dem verstorbenen Fräulein, das sonst in dem Gemache des seligen Herrn unter dem Spiegel gehangen hat.«

»Was sagst du, das Bildniß meiner Schwester Elisabeth?« rief der Junker.

»Nicht so laut, um Vergebung, gnädiger Herr,« erwiderte der Alte, »seht, wie er wieder aufschaut bei dem Namen, als traut er uns nicht, und Vertrauen muß man wecken bei dem kranken Junker, das hab' ich schon gemerkt. Ja, Herr, es war das Bildniß des Fräulein Elisabetha. Sie war um drei Jahr, sieben Monat und neun Tage älter als Ihr und ist gerade zwei Tage vorher gestorben, bevor Ihr das vierzehnte Jahr antratet. Aber wie groß, schön und gut sie schon war, das arme Fräulein.«

»Seltsam,« sagte der Junker nach einer Pause, während das Bild der verstorbenen, einzigen Schwester wieder lebhaft vor seiner Erinnerung emporstieg, mehr für sich hin als an den Alten gewendet – »seltsam, und doch hat er nie mit besonderer Liebe an der Todten gehangen. Ihr schon früh hervortretendes, ernstes und stilles Wesen konnte sich nie recht vertragen mit unserer Beiden wilden Art. Jetzt freilich, ja – jetzt möcht' es anders sein.« Er lehnte sich an das Kamin zurück und blieb lange, das Gesicht auf die Hand gestützt, stehen, ohne daß ihn der Alte in seinem Nachdenken zu stören wagte; dann aber erhob er sich rasch und fragte: »Nicht wahr, das große Bildniß der Schwester steht noch an seinem alten Platze droben im braunen Saale?«

»So viel ich weiß, ja – wenigstens vor einigen Wochen noch,« antwortete Dietrich.

»Zünde mir einen Leuchter an. – Und noch eins,« sagte er, schon an der Thüre stehend, »wenn du den Herrn Christoph in den Hof hereinreiten hörst, melde mir's gleich.«

So stieg Herr Ulrich die Treppen hinauf und schritt durch lange, sich kreuzende Gänge nach dem alten Thurme hinüber, in dem sich der Ahnensaal befand. Er hatte diesen noch nie betreten seit seiner Heimkehr, so oft er sich's vorgenommen; aus einer Art Scheu vielleicht, die er sich selbst nicht klarer machte. Das Leben und die Lebendigen im väterlichen Hause waren ihm ja noch so fremd, er mußte zuerst wieder an der Gegenwart erwärmen, ehe er vor die Vergangenheit treten mochte. Jetzt aber ging er, von einem seltsamen Gedanken getrieben nächtigerzeit, nur von seinem eigenen, in gigantischen Formen ihm nachschwankenden Schatten gefolgt, den Denkmälern der Todten, die einst hier gelebt, gelitten und sich gefreut, einen Besuch zu machen, um von ihnen vielleicht einen Wegweiser zu empfangen für die verworrenen Lebenspfade der Gegenwart selbst. Es zog ein ahnungsvoller Schauer über ihn, als er die schwere Thüre öffnete und sein Licht mit ungewissem Scheine über die lange Reihe der stummversammelten Gäste hinzitterte. »Ruhig, Knabe Ulrich,« sagte er laut vor sich hin, die Thüre zudrückend, »was dich hertreibt, ist am Ende doch nur eines der vielen Hirngespinnste, die manchmal unnöthigerweise deinen Kopf verwirren. Beginne am Anfänge!« –

Langsam trat er an die Wand zur Rechten heran, das Licht emporgehalten, um den bewegungslosen Bildern in's Antlitz zu leuchten – alte, schwergepanzerte Ritter, von denen kaum noch halbverklungene Sagen zu melden wußten, und mit Gesichtern zwischen den breiten Helmkappen, wie sie wohl nie in Wirklichkeit, sondern blos in der Phantasie eines unbeholfenen Malers gelebt haben konnten. Doch hier kam ein Antlitz, feurig und lebendig, als wollt' es sich, dem Adler gleich, eben auf seine Beute stürzen. Es war jener Rudolf, der nach langen Jahren aus den Kreuzzügen heimkehrend seine väterliche Burg in ein Kloster umgewandelt fand und sein Erbrecht gegen die Ansprüche der geistlichen Eindringlinge mit dem Schwerte im Gottesgerichte beweisen mußte. Dann folgte eine lange Reihe Derer, die in unentwegter Anhänglichkeit den Habsburgern ihre Kämpfe und Fehden hatten ausfechten helfen; die beiden Thüringe, von denen der eine bei Sempach gefallen, der andere sich zuerst mit seinen Burgen an die Berner ergeben, dreißig Jahre später aber, im alten Zürichkriege, wieder mit List und Gewalt gegen sie im Felde lag. Vor einem der nächsten Bildnisse blieb der Junker mit klopfendem Herzen länger verweilen. »Warum bist du der Berühmteste unsers Geschlechtes geworden und lebst noch in Aller Munde fort,« redete er das Bild mit den goldhellen Haaren und den klaren, blauen Augen an, »während doch die vor und nach dir Schwert und Speer so wacker zu führen verstanden, wie du selbst? Sprich, Held von Murten! – Du schweigst, aber ich kenne gleichwohl das Geheimniß deiner Größe; du hast mit und für dein Volk gekämpft, nicht im Solde eines Fürsten, sondern im Dienste des Landes, dem du angehörtest. Das ist's, alter Degen, was deinen Namen unsterblich gemacht!« –

Beim letzten Bilde der ganzen Reihe wollten die Augen des Junkers ihren Dienst versagen und er mußte mehrmals mit der Hand über dieselben wegstreifen, bevor er fest in das Antlitz blicken konnte. So stattlich und männlich es auch drein schaute, schien doch um die Lippen ein leiser, wehmüthiger Zug zu schweben, der von irgend einem unabwendbaren Kummer zeugte; gleichwohl wendete sich Herr Ulrich endlich erleichtert aufathmend mit den Worten ab: »Nein – es ist nichts, schwarz und braune Augen, gottlob! Ja, wenn es den Großvater beträfe, der dem Hans von Murten fast so ähnlich sieht, wie der Abendstern dem Morgenstern, so hell und licht an Aug' und Haaren. Doch nun zu euch, ihr todten Schönen!«

So sprechend trat er an die Wand, an welcher die Bildnisse der dem Hause entsprossenen Töchter aufgestellt waren. Es war eine verhältnißmäßig geringe Zahl, vielleicht auch nur diejenigen, die sich besonderer, älterlicher Liebe erfreut oder durch Schönheit sich ausgezeichnet hatten; denn schön und von liebreizender Anmuth waren sie alle, diese Gesichter, wenn auch das eine mehr den Ausdruck bewußter Würde, das andere mehr denjenigen milden, freundlichen Ernstes trug. Aber schon nach einigen Schritten blieb Herr Ulrich zögernd stehen, als getraute er sich nicht, weiter nachzuschauen. »Mir ist's, ich habe das Letzte in jedem einzelnen Bisherigen schon gesehen,« murmelte er vor sich hin; »die Männer da drüben schillern in allen Farben, Tönen und Formen durcheinander, wie ihre Lebensschicksale. Doch hier, hier ist ein Zug, ein Charakter und Typus, der sich in dem stillern und gleichförmigern Lebensstrome erhalten hat und selbst dem blödesten Auge erfaßlich sein müßte. Das lichthelle, fast goldschimmernde Haar mit den tiefblauen Augen und dichten Wimpern, der kleine Mund mit den runden Lippen und die durchsichtige Stirn, hinter der man die Bewegung jeden Pulsschlages zu erkennen glaubt – komm heran, Elisabeth, Letzte der schönen Schaar, ich bin bereit, dir in's Antlitz zu schauen.«

Herr Ulrich hatte diese Worte mit so fester und lauter Stimme gesprochen, daß sie noch nicht verhallt waren in dem öden Saale, als er schon vor dem Bilde der todten Schwester stand. Aber nach wenigen Augenblicken schon fing der silberne Leuchter in seiner Hand zu zittern an, daß das Licht heftig hin- und herschwankte und endlich prasselnd zu Boden fiel. »Lösch immerhin aus, unglückselige Flamme, deren Licht mir gezeigt, was mein Auge besser nie erschaut hätte,« murmelte der Junker dumpf und tonlos; »nun weißt du, Ulrich, wo du sie früher schon gesehen hast. Armer Konrad – arme Else!« –

Als er langsam durch die Finsterniß tappend das Gemach des Bruders erreicht, rief ihm der alte Dieter erschrocken entgegen: »Um des Himmels willen, was ist Euch begegnet, Junker?«

»Nichts Besonderes, Dietrich, das Licht ist mir von einem Luftzuge ausgelöscht worden. Ist Herr Christoph noch nicht angekommen?«

»Nein, gnädiger Herr; aber ich bitt' Euch, geht zu Bett, Ihr seid krank, glaubt es mir; so todtenbleich hab' ich Euch mein Lebtag nicht gesehen.«

»Beruhige dich, Alter,« entgegnete Ulrich, all' seine Kraft zusammennehmend, um sich die äußerliche Ruhe zu bewahren, »ich komme ja so eben auch von den Todten. Aber nun wirst du mir eine Frage beantworten, Dietrich; sie geht nicht gegen das Versprechen, das ich dir heute gegeben, da du aus der Frage selbst sehen kannst, daß ich nicht mehr so fremd bin in gewissen Dingen, als vor wenigen Stunden noch. Sage mir also aufrichtig: Hat meine Mutter lange bevor mein Bruder krank geworden, von dem Verhältniß zu der Tochter des Schloßbauern gewußt?«

»Gnädiger Herr,« stotterte der Alte, »wie sollt' ich –.«

»Ehrliche Antwort, Dietrich; wenigstens kannst du mir deine Meinung sagen, wenn du mich lieb hast.«

»Das hab' ich, gnädiger Herr, Gott weiß es,« entgegnete Dieter nach längerem Schweigen; »und ja, wenn Ihr es befehlt, die gnädige Frau hat darum gewußt, wohl von Anfang an.«

»Du weißt es gewiß?«

»Ich weiß es, Herr; der Schloßbauer hat die gnädige Frau selbst aufmerksam gemacht, und da eben –.«

»Nun?«

»Hat sie ihn mit Schimpf und Spott heimgeschickt. Ich vergeß' es nicht – die Thränen standen ihm in den Augen, als er mir beim Fortgehen auf der Treppe begegnete.«

»Aber von da an hat die Mutter dem Bruder verboten oder abgewehrt, dem Mädchen nachzugehen?«

»Nicht daß ich wüßte, gnädiger Herr; ich möcht' fast das Gegentheil eher glauben.«

»Unglückselige Frau,« murmelte der Junker, »sie hat nichts geahnt von dem unheilvollen Geheimnisse. Aber der Schloßbauer,« fuhr er lauter fort, »wie hat sich der verhalten nach dieser Erklärung?«

»Nu,« sagte der Alte, »er hat dem Junker verboten, sich wieder in der Nähe seines Hauses zu zeigen, wenn es nicht Unglück geben solle, und das Mädchen hat er auch eine Zeit lang fortgethan – es wußte Keiner wohin; aber als sie wieder heimkam und er sah, wie der Junker die schöne Else nun in redlicher Liebe gar so gern hatte, da würd' er nicht mehr viel dagegen gehabt haben, auch wenn die gnädige Frau ihren Willen nicht geben wollte dazu.«

»Der Bauer hätte nichts mehr dagegen gehabt,« rief der Junker, »und doch mußt' wenigstens er die Verhältnisse kennen!«

»Bitt' Euch, gnädiger Herr, nicht so laut,« bat der Alte; »ich glaubte, der Junker sei eingeschlafen, aber seht, wie er gezwinkert hat mit den Augen! – Darin war der Nußbaumer schon im Unrecht; aber da der selige Herr in so großer Freundlichkeit mit ihm gelebt, besonders in den letzten Jahren, so mocht' er seinen niedrigen Stand wohl etwas vergessen haben.«

Herr Ulrich lehnte sein Gesicht gegen das hohe Kamingesims, um die brennende Stirn an dem kalten Marmor abzukühlen. Am Ende hast du dir doch durch leere Selbsttäuschung wieder eine qualvolle Stunde erkauft, sprach es aus seinem dumpfen Sinnen heraus; wäre deine Befürchtung begründet, so hätte der Nußbaumer doch nicht das Sündhafte aus eitel Hochmuth wagen können – ihm müßt es ja bekannt gewesen sein. Oder aus Haß gegen meine Mutter, wenn diese nichts von der Wahrheit geahnt hätte? – Nein, nein, darnach sieht er mir nicht aus, der Mann, und er würd' es auch schon dem todten Vater, der ihm freundlich gewesen, im Grabe nicht zu leid gethan haben. Wie bist du so ein ganz Anderer geworden, seit du die väterliche Schwelle betreten hast, Ulrich! Hüte dich, hüte dich, und bewache dein Sinnen und Denken, wenn du nicht bald einst dem armen Bruder in seinem bedauernswürdigen Zustande Gesellschaft leisten willst. Wie bist du eigentlich nur zu der schrecklichen Vorstellung gekommen? durch das unklare oder müßige Gerede fremder Menschen oder durch eine Sinnentäuschung? – Aber in wie vielen seltsamen Spielen ergötzt sich die Natur bei ihren unzählbaren Bildungen! – Nein, sei wahr gegen dich selbst, Ulrich; die Tochter des Bauern hat einen Ton angeschlagen in der Tiefe deines Herzens, einen unklaren, mächtigen Ton, der dir unbewußt all' die andern Klänge zu diesem schreckhaften Mißtone zusammengefügt. Es war die Furcht vor dir selbst, die Furcht vor deinem eigenen Herzen, das ihr erster Anblick getroffen hat! So ist es, Ulrich, und nicht anders!

Mit dieser Selbstbeschwichtigung wendete er sich wieder an den Alten und sagte ruhiger: »Nun noch eins, Dietrich; wie lange ist der Bruder krank gewesen, bevor er in diesen Zustand verfiel?«

»Krank?« zögerte der Alte, »das weiß ich nicht.«

»Ist's denn plötzlich gekommen?«

»Seht, gnädiger Herr,« erwiderte Dietrich trüb, »ich hab' nun so viel gesagt, daß ich den Rest auch noch sagen muß. Der Junker ging eines Abends, es war gerade um Lichtmeß vorigen Jahres, in's Gemach der gnädigen Frau, wohin er schon viele Tage vorher nie gegangen war. Sie mochten wohl harte Worte gewechselt haben mit einander, wenigstens so kam's mir vor, als die gnädige Frau klingelte und mir befahl, das Bildniß des seligen Fräulein aus dem Gemache des gnädigen Herrn herzuholen. Ich bracht' es und ging wieder; aber ich war noch nicht weit von der Thüre weg, als ich drinnen einen lauten Schrei hörte, und einen Augenblick darauf kam der Junker heraus. Er schwankte hin und her, daß ich meinte, ihn halten zu müssen; aber er stieß mich ohne ein Wort zu sagen weg und riegelte in seinem Gemache die Thüre hinter sich zu. In der Nacht dann fing er an zu rufen und zu schreien, und als wir kamen und die Thüre mit Gewalt aufthaten – da – da kannt' er uns nicht mehr, der arme, gute Junker.«

»Also doch – und sie hat gewußt darum,« stöhnte Herr Ulrich, dem ein kalter Schweiß auf die Stirne trat – »ja, ich will zu Bette gehen, ich bin müde, Dietrich.« –

 

VIII.

Auf seinem Gemache angekommen, warf Herr Ulrich sich mit verhülltem Antlitze in einen Lehnstuhl nieder, während er zugleich das Licht auslöschte, als könnte dessen einsamer Schein seine wild durcheinander strömenden Gedanken verrathen. Und verrathen durften sie ja selbst der schweigenden Nacht nicht werden, diese Gedanken; denn welch ein schreckhafter Abgrund von Schwachheiten, Irrthümern und Leidenschaften hatte sich mit einem Male vor dem Blicke aufgethan, und all' das in dem engen Raume, den sich der Junker mitten unter dem rauhen Lärm seines bisherigen Lebensganges stets nur als die wohlbehütete Wohnstatt selbstgenügsamer Ruhe und ungetrübten Friedens geträumt. Er hatte zwar in der Fremde wohl Tag um Tag Gelegenheit gehabt, das seltsame Thun und Treiben der Menschen kennen zu lernen, aus dessen Folgen ihnen die Schuld und das verderbliche Verhängniß entspringt; aber mit dem leichten Sinne des Soldaten, der, nicht an eine Scholle gebunden, auf flüchtigem Rosse über das Elend der Erde hinwegsetzt, war er an diesen Folgen auch stets nur flüchtig vorübergestreift, so daß sie ihm kaum wie in fernen Nebeln verwehende Schreckgestalten erschienen waren. Doch hier, innerhalb der fest und unbeweglich stehenden Mauern des väterlichen Schlosses waren diese Gestalten ebenfalls fest und unbeweglich geworden, wie dämonische Einsassen, die ihn mit offenen Blicken anstarrten. Ach, und nicht nur die Schuld der Lebenden wandelte durch diese Räume, die Schuldigen züchtigend, selbst diejenige geliebter Todten erhob sich, weit über das Grab hinausreichend, wie eine Denksäule an jene alte Lebensweisheit, welche lehrt, daß sich die Sünden der Väter an den Kindern strafen. Das war von allen der qualvollste Gedanke, der die Seele des Junkers traf, und seufzend sprach er in die Finsterniß hinein: »Das also war's, was mich den Tod des Vaters seit meiner Heimkehr so schmerzlich empfinden ließ – die trübe Vorahnung, daß ich ihm eine noch ungesühnte Schuld zu verzeihen und zu tilgen habe. – Verzeihen – wie kommt dieses Wort auf deine Zunge, die dein eigenes Irren und Verschulden, wenn sie es genau erkannt hätte, nicht auszusprechen wagen würde? – Tilgen – ja, soweit die gebrechliche Kraft des Menschen reicht; geh' zur Ruh' geliebter Schatten. Doch Licht, mehr Licht!«

Herr Ulrich erhob sich bei den letzten Worten und zündete hastig den Leuchter an, als könnte ihm nun das äußerliche Licht das ersehnte innerliche gewähren. Und nach einer Seite hin geschah dies, wenn auch auf andern Wegen. Denn kaum hatte die Flamme das Gemach erhellt, als sich an der Thüre ein bescheidenes Anklopfen hören ließ und auf des Junkers Ruf Herr Christoph, der Verwalter, hereintrat. »Ich bin vorhin schon da gewesen,« sagte der Eintretende, »wie ich aber kein Licht bemerkte, glaubt' ich, Ihr wäret schon zur Ruh' gegangen. Nun bin ich froh, noch einmal nachgesehen zu haben, Junker Ulrich.«

»Ich dank' Euch, lieb ist's auch mir, Herr Christoph,« erwiderte der Junker, beide Hände über das Gesicht legend, wie ein Erwachender, »ich muß ein wenig eingeschlafen sein – ich war müde von einem Nachmittagsgange.«

»Derweil haben unsere Leute, wie es scheint, gegen Euern Wunsch, aber auf wiederholten Befehl der gnädigen Frau drunten bei der Mühle auf den Schloßbauer gefahndet.«

»Beim Himmel, das hatt' ich vergessen,« rief der Junker; »haben sie ihn wieder hergebracht, und Ihr wißt also bereits von der Geschichte?«

»Bis jetzt weiß ich nur, was ich von Dietrich und dem Thurmwart erfahren habe – die gnädige Frau hat meiner noch nicht begehrt,« erwiderte der Verwalter mit theils verdrießlichem, theils bekümmertem Gesichte; »aber nein, gefunden haben sie den Nußbaumer nicht; dagegen eine Wache in seinem Hause aufgestellt.«

»Nun, wenn Ihr die Beiden gesprochen, werdet Ihr so ziemlich wissen, was ich selbst,« sagte der Junker, der immer noch Mühe hatte, einen äußern Gleichmuth wiederzugewinnen; »was haltet Ihr von dem Geschehenen und was ist jetzt ferner zu thun?«

»Das sind zwei Fragen, Junker Ulrich,« entgegnete Christoph ernst, »die ich seit einer Viertelstunde unablässig an mich selbst gerichtet habe, ohne zu wagen, mir eine entscheidende Antwort zu geben. Vor Allem bedaure ich, daß Euerm Wunsche nicht nachgelebt und die Haussuchung beim Schloßbauern vorgenommen worden ist. Das wird ihn aufs Neue erbittern.«

»Erbittern? und wenn auch,« machte Herr Ulrich aufschauend, doch scheinbar gleichgültig; »gerne hätte ich freilich auch Eure Meinung abgewartet, da Ihr in solchen Dingen den besten Bescheid wissen müßt. Immerhin aber wird Euch bekannt sein, wie sich der Schloßbauer gegen Herrn von Venel vergangen hat!«

»Das ist mir erzählt worden und ich bedaure den Herrn von ganzem Herzen, hoffentlich wird es keine schlimmen Folgen haben; gleichwohl war die Herrschaft nicht befugt, den Schuldbaren länger als zwei Stunden in Haft zu halten, ohne dem Landvogte zu Handen unserer Obern Anzeige zu machen. In Eisen durfte er schon gar nicht gelegt werden.«

»Was Ihr da sagt!« entgegnete der Junker rasch; »ist der Schloßbauer nicht unser Herrschaftsunterthan – ist er uns nicht zehnt- und frohnpflichtig?«

»Weder das Eine noch das Andere,« lautete die bedächtige Antwort, »sobald der Nußbaumer nur an seinen hergebrachten Rechten festhalten will, wie etwa die Eichenberger droben auf dem Berghofe. Zehnt und Frohn haben zwar die Nußbaumer seit vielen Jahren geleistet, wie die übrigen Herrschaftsleute; aber daneben gleichwohl die Bodengefälle an die landvogtliche Kammer entrichtet, wie die Herrschaft selbst.«

»Seltsam – davon hab' ich nie gewußt,« sagte der Junker, die Stirn auf die Hand stützend; »von den Eichenbergern weiß ich wohl, daß sie ihre Rechte aus einer Seltenverwandtschaft mit uns herleiten; aber die Nußbaumer – oder wißt Ihr von einem ähnlichen Verhältniß derselben zu unserer Familie, Herr Christoph?«

Herr Ulrich hatte diese Frage in leisem, fast ängstlichem Tone gestellt und seine Augen richteten sich dabei mit so dunkler Gluth auf das faltenreiche Gesicht des Verwalters, daß dieser verlegen erwiderte: »Nein, gnädiger Herr, davon weiß ich nichts; dagegen ist's gewiß, daß die genannten Rechte der Schloßbauern schon mehr denn anderthalb Jahrhundert zu Kraft bestehen.«

»Und Ihr kennt alle bezüglichen Urkunden – sagt keine etwas über den Ursprung dieser Rechte?«

»Was im Archive vorhanden ist, hab' ich genau geprüft und durchgesehen, Junker Ulrich; doch mag Euch nicht unbekannt sein, daß beim Brande des alten Thurmes vor ungefähr neunzig Jahren manche alte Familienpergamente zu Grunde gegangen sind. Wie ich glaube, haben die Nußbaumer gegen das Ende des vorvorigen Jahrhunderts schon ihre Freiung durch Kauf erworben. Die Herrschaft ist damals, in Folge der schweren Kriegszeiten öfters in Geldnöthen gewesen und hat nachweisbar manche Rechtsame verkauft oder verpfändet, ohne sie später wieder einzulösen.«

Der Junker erhob sich und begann, das Antlitz tief vorgeneigt, das Gemach auf- und niederzuschreiten. »Auch diese Hoffnung verloren,« murmelte er, »nach der ich schon, wie ein Schiffbrüchiger nach dem hertreibenden Strohhalme, greifen wollte.«

»Ich bitt' um gütige Nachsicht,« sagte der Verwalter nach einer Pause bekümmert, »ich wollt' Euch nicht betrüben durch meine Reden, gnädiger Herr; aber ich halte die Sache nach dem, was ich heute vernommen, für so ernst und wichtig, daß ich glaubte, Euch in Betreff des Schloßbauern die ganze Wahrheit schuldig zu sein.«

»Dafür dank' ich Euch auch,« erwiderte der Junker, neben dem alten Manne stehen bleibend und die Hand auf seine Schulter legend, »seid dessen versichert, Christoph, und auf eine weitere Frage erwarte ich die nämliche Offenheit von Euch. Ist etwas an dem, daß der Schloßbauer meinem seligen Vater bedeutende Summen dargeliehen habe, ohne Titel noch Pfand darüber zu begehren?«

»Wie kommt Ihr dazu, Junker Ulrich,« fragte der Verwalter verwundert aufblickend, »doch nicht durch die gnädige Frau? – gewiß nicht.«

»Gleichviel – Ihr seht, daß ich darum weiß.«

»Nun wohl,« erwiderte der Verwalter nach längerem Besinnen; »durch des Himmels Fügung seid Ihr zum Erbherrn bestimmt und darum bin ich Euch auch hierüber die Wahrheit schuldig. Die Summe, welche der gnädige Herr auf die angedeutete Weise vom Schloßbauern empfangen hat, beläuft sich meines Wissens auf nahezu zehntausend Kronen.«

»Zehntausend Kronen, sagt Ihr?« rief der Junker; »aber um des Himmels willen, zu welchem Zwecke sollte mein Vater solcher Summen benöthigt gewesen sein!«

»Er hat sie und wohl noch mehr dazu nach Lothringen geschickt – der Verwandtschaft der gnädigen Frau, die in Rückgang gekommen war,«

»Nach Lothringen – und meine Mutter wußte, wie und woher diese Hülfe floß?«

»Ob sie es schon damals von dem gnädigen Herrn erfahren, kann ich nicht bestimmt sagen; ich glaub' es aber, da er sich anfänglich ihren Wünschen nicht geneigt erzeigen wollte; wohl aber weiß ich bestimmt, daß der Schloßbauer selbst bei einem Anlasse im Zorne sie daran erinnert hat.«

»Aber wie kam der Schloßbauer, und sei er auch noch so reich, zu einer solch seltenen Großmuth?« fragte der Junker, indem er wieder den dunkelleuchtenden Blick auf den Verwalter heftete; »da müssen doch gewiß besondere Gründe vorgewaltet haben, abgesehen davon, daß mein Vater ohne solche ein Darlehen in dieser Weise nicht angenommen haben würde.«

»Darüber wüßt' ich keinen andern Bescheid,« erwiderte der Verwalter, »als daß die Nußbaumer, der Vater wie der Sohn, schon all' die fünfundvierzig Jahre her, die ich im Dienste der Herrschaft verbracht, in besondern Treuen an derselben gehangen haben. Bisweilen waren sie fast Jahre lang kaum einmal zu sehen im Schloß, so daß man hätte meinen können, sie trügen Groll gegen dasselbe; aber kam irgend ein Anlaß, bei dem man ihrer bedurfte, waren sie auch ungerufen da, wie die Schwalben im Frühjahr. Ja, gnädiger Herr, glaubt es einem alten, erfahrenen Manne; wenn die Anhänglichkeit solcher Leute zu wanken anfängt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn alle Treu und Glauben verschwindet von der Erde und das Unterste sich zu oberst kehren will. Der Himmel mag Denen verzeihen, welche die erste Schuld tragen daran.«

»Ich hab' Euch unterbrochen vorhin durch meine Frage,« sagte der Junker, sich wieder auf seinen Stuhl niederlassend, »erzählt, Herr Christoph, wie Ihr das meint und was Ihr erfahren habt auf Eurer heutigen Fahrt.«

»Nicht viel Gutes, Junker Ulrich,« erwiderte der Verwalter mit seiner besorgten Miene »und ich hätte Euch von Herzen gönnen mögen, daß Ihr nach so langer Abwesenheit bessere Zeiten getroffen zur Heimkehr. Die Entlebucher Bauern seien bereits in hellen Haufen vor die Stadt Luzern gezogen und in unsern Gegenden soll der Aufruhr ebenfalls jeden Augenblick ausbrechen. Der Oberherr von Rued berichtete mir, wie er durch seine Leute erfahren, seien letzte Nacht zwei Emissäre des Rebellenführers Schybi aus dem Rothenburgeramt über den Berg gekommen, die sich heute hier im Thale herumtreiben müßten. Zur Sicherheit seines Schlosses hat er durch einen reitenden Boten vierundzwanzig Mann Besatzung verlangt von Bern, ist aber freundlich erbötig, Euch die Hälfte davon abzutreten, wenn Ihr's begehrt, Junker Ulrich.«

»Wie – so weit sollt' es schon gekommen sein!« rief der Junker; »aber unsere Herrschaftsleute – was ist von denen zu erwarten? Das könnt Ihr am Besten wissen, Herr Christoph!«

»Ach,« erwiderte der Alte, »seit dem Tode des gnädigen Herrn ist wohl dies und das vorgefallen, was besser unterblieben wäre; die gnädige Frau konnte sich nie so recht an Land und Leute gewöhnen und sie verstehen lernen. An vielen wackern und treuen Männern fehlt es gleichwohl nicht; aber wenn einmal der Same der Rebellion ausgeworfen ist – wer weiß an wie vielen Orten er unerwartet aufgehen wird, Junker Ulrich.«

»Dabei denkt Ihr zunächst an den Nußbaumer?«

»Ja Herr, das thu' ich.«

»Nun hört, Herr Christoph,« sagte der Junker nach einer Weile, »ich bin heimgekommen ohne von diesen schlimmen Dingen zu wissen, noch hab' ich einen Theil daran; mein Wille war, Jedermann gerecht und billig zu sein und das auch von Andern für mich zu verlangen. Wie es nun aber einmal steht, werd' ich als ehrlicher Soldat mein Recht und Eigenthum zu schirmen wissen, gegen wen es sei. Dem Oberherrn von Rued mögt Ihr meinerseits für sein Anerbieten gebührenden Dank abstatten lassen – Besatzung begehr' ich keine, so lange sie nicht vom Regiment in Bern selbst verordnet wird; dagegen tragt Sorge, daß wir mit hinlänglichem Mundvorrathe versehen sind im Schlosse auf ein paar Monate; Anderes werd' ich selbst besorgen und was den Nußbaumer betrifft – darüber wollen wir uns mit meiner Frau Mutter morgen weiter besprechen, Herr Christoph.«

Der Verwalter erhob sich langsam und schritt zögernd der Thüre zu, als sei er nicht befriedigt von diesem Entscheide und möchte noch eine weitere Weisung erwarten. Die Hand schon auf der Klinke, blieb er stehen, den Junker mit einem fragenden Blicke anschauend. »Morgen, morgen,« sagte dieser mit der Hand winkend, »ich bin müde und die Nacht wird uns vielleicht Besseres bringen, als es der Tag gethan.« –

»Das war zu viel auf einmal, zu viel an einem Tage für Kopf und Herz,« sprach er leise und bitter vor sich hin, als der alte Mann mit einem trüben »das walte Gott« das Gemach verlassen hatte; »oder bist du im Stande, ein Facit zu ziehen aus diesen Summen wirklichen und drohenden Unheiles? – Nein, es geht nicht, und so mögen die Dinge den Lauf nehmen, wie er ihnen in den Sternen vorgeschrieben ist.«

Mit diesem Entschlusse einer dumpfen Ergebung öffnete Herr Ulrich das Fenster, um sein brennendes Haupt sich von der Nachtluft kühlen zu lassen. Draußen war es längst stille geworden und nur noch hie und da leuchtete ein einsames Lichtlein in die Sternennacht hinaus. Dafür lag ein dämmernder Mondschein über Thal und Höhen ausgegossen, jenes milde, verwehende Licht, das, von der sichelförmig sichtbaren Scheibe unserer Nachtsonne ausgegangen, die Gegenstände mehr in einen Schleier einzuhüllen, als sie dem Auge faßbar zu machen scheint. Das frische Wehen, das von dem am Fuße der Mauern hinfließenden Wasser heraufzog, umsäuselte den Ermüdeten mit einem träumerischen Hauche, der das dunkle Band der beängstigenden Gedanken und Gefühle endlich allmälig loslöste und diese auf freundlicheren Bahnen wandeln ließ. Der Junker schaute sinnend auf die leisrauschenden Wasser nieder, deren tausendfach gewundenes und sich durchschlingendes Gekräusel im Mond- und Sternenscheine aufflimmerte; aber allmälig kam es ihm vor, als schaute er auf leicht sich kräuselnde, lichthelle Haarwellen, unter denen hervor ihn ein jungfräuliches Antlitz voll milden Ernstes und süßer Traurigkeit anblickte. Und das Antlitz erhob sich aus den Wassern höher und höher, bis das Bild voll anmuthiger Schönheit und Würde in freien Lüften vor ihm auf- und niederschwebte, bald von weichem, weitfaltigem Seidengewande umflossen, bald nur mit einem schlichten, dunkeln Kleide angethan, aber immer umhaucht von Huld und herzbewegendem Liebreiz. »Wer bist du,« redete der Junker das Phantom seiner eigenen Einbildungskraft und verschwiegenen Gefühle an, »wer bist du, die du mir aus dunkeln Tiefen erscheinst? Bist du meine Schwester oder jenes Unglückskind, das mit der Liebe das Verderben auf unser Haus gebracht? Sprich, wenn du menschliche Sprache kennst!« – »Ich bin Beides zugleich und in Einem,« lautete die flüsternde Antwort, »aber schuldlos an Unheil und Verderben.« Herr Ulrich fuhr erschrocken empor bei diesen Worten, mit starren, fast wilden Blicken um sich schauend. Er war allein im Gemache und vor ihm die Erscheinung plötzlich verschwunden in Nacht und Dämmerung; aber nur mit Mühe konnte er sich's deutlich machen, daß er auf die eigene Frage auch sich selbst die Antwort gegeben habe. »Und gleichwohl hast du die Wahrheit gesprochen,« sagte er, langsam das Fenster schließend, wiederum laut; »du mußt schuldlos sein an dem Unheile, seiest du, wer immer du sein magst. Wehren wir drum neues Unglück ab von deinem Haupte, wenn es geschehen kann.«

Mit diesen Worten warf Herr Ulrich rasch einen Mantel über die Schultern und stieg, das Gemach verlassend, leisen Trittes durch den Corridor in den Hof hinunter. Im Schlosse schien Alles Zur Ruhe gegangen zu sein, und nur drüben am rothen Thurme drang noch ein schwacher Lichtschein aus dem Gelasse des Thurmwartes hervor. Der Junker schritt auf denselben zu und klopfte an dem Schließladen, durch dessen Ritzen der Schimmer brach. »Wer ist da?« rief die erschrockene, halb schlaftrunkene Stimme des Thurmwartes von innen; »habt ihr ihn verspürt oder bringt ihr ihn?«

»Nicht so laut – ich bin's,« sagte der Junker. »Die Wächter sind also noch drunten beim Schloßbauern?«

»Ach ja, gnädiger Herr; ich warte mit Aengsten auf Bericht von ihnen.«

»Wie viele sind es ihrer?«

»Fünf, gnädiger Herr.«

»Und haben die Knechte des Schloßbauern nicht Miene gemacht, euch fortzujagen, als ihr ankamet?«

»O gütiger Himmel, ich meinte, wir würden keinen gesunden Knochen mehr heimtragen, besonders da ich wegen des Faustschlages des Nußbaumers noch jetzt nicht zu gesundem Athem komme und keinen rechten Widerstand hätte leisten können.«

»Also haben die Leute sich euch nicht widersetzt,« sagte der Junker ungeduldig.

»Sie wollten, sie wollten, gnädiger Herr, ich versichre's Euch. Die Kerle standen nur so heimlich lachend herum, als wir kamen – es waren wenigstens ein Dutzend, ja was sag' ich, zwei Dutzend und griffen heimtückisch nach Sensen und Flegeln, grad als wollten sie uns niedermähen, wie Binsengras, oder zerdreschen, wie Haferstroh.«

»Und warum thaten sie's denn nicht?«

»Ach, gnädiger Herr, Ihr habt gut lachen – ich weiß wohl, Ihr würdet Euch nicht fürchten selbst vor dem Gottseibeiuns; aber unser Einer – na, wir können doch nicht alle so brave, wackre Junker sein.«

»Gib Antwort auf meine Frage!«

»Ei ja – dem Himmel sei Lob und Dank, da kam gerade noch im rechten Augenblicke die liebe, herzgute Else – wißt Ihr, gnädiger Herr, die Tochter des Schloßbauern, und befahl den wilden Kerlen, sich ruhig zu verhalten und uns gewähren zu lassen. Sie nahm dann noch zwei von ihnen in's Haus hinein, die uns bald drauf einen Tisch mit bravem Essen und Trinken auf den Hof herausbrachten.«

»Tropf oder Hallunke!« murmelte der Junker, fragte aber sogleich in ruhigem Tone: »du hast also die Else gesehen – hat sie gesprochen mit dir?«

»Mit mir, gnädiger Herr? Ei, das will ich meinen. Sie sagte demüthiglich, wir müßten warten, bis der Vater heimkomme – er sei ausgegangen; und dann fragte sie mich auch noch, ob wir auf den Befehl Junker Ulrichs herkämen?«

»Und du, Spitzbube, was hast du geantwortet auf die Frage?« rief der Junker.

»Barmherziger Himmel – Spitzbube?« entgegnete der Thurmwart weinerlich; »wie mögt Ihr einem armen Manne, der redlich seine schwere Pflicht erfüllt, solch einen Namen geben, gnädiger Herr? Weiß ich doch schon seit vielen Jahren nie, wem ich gehorsamen soll, ob der gnädigen Frau oder dem Herrn Christoph, und immer geht's übel, folg' ich dem oder dem; aber wenn nun Ihr auch noch kommt, mein gütigster –

»Antwort sollst du mir geben!«

Aber bevor die Antwort kam, ließ sich von innen das Geräusch eines leise vorgeschobenen Riegels hören, und erst dann sagte der Mann nun mit festerer Stimme: »Kommt gleich, Junker Ulrich; und kurz und gut, ich gab der Else den pflichtrechten Bescheid, Ihr würdet selbst mit uns gekommen sein, wenn wir ohne den wiederholten Befehl der gnädigen Frau länger auf Euch hätten warten können. Der Herr Verwalter hat mir vorhin schon ein schief Gesicht gemacht darüber; aber so habt Ihr's mit eigenen Worten uns gesagt bei Eurer Heimkunft, gnädiger Herr.«

Der Junker fuhr mit zorniger Hand nach dem Fensterladen, als müßte er denselben aus den Angeln reißen; aber eben so rasch zog er sie wieder zurück und wendete sich dem Hofthore zu.

Als er vom äußern Ende der Allee in den Fahrweg einbog, der am Bache entlang nach dem Gehöfte des Schloßbauern hinabführte, fing er an, langsamer zu gehen, und allmälig erbleichte das dunkle Roth wieder, das sich über sein Gesicht ergossen hatte. »Was soll ich ihm zürnen, dem armen Wichte,« sagte er leise zu sich selbst; »was vermag er sich dessen? Oder liegt die Schuld an ihm, daß er statt eines furchterregenden Vertreters der Gewalt und strafenden Gerechtigkeit nur ein lautzeugendes Exempel der Schwäche und ohnmächtiger Willkür darstellt? – Nein, nein, daran ist er schuldlos, wenn sich auch die gesunkene Kraft meines Geschlechtes schwerlich in einem deutlichern Bilde versinnlichen ließe, als in der marklosen Aengstlichkeit dieses feigen Tropfes. Ha, wie das so kommen konnte und wie es enden wird! – Und dort drunten – wie soll ich auftreten in dem Hause des Mannes, in dessen Hand, wäre sie im Augenblicke auch nicht mächtiger als die meinige, schon so lange die Ehre unsers eigenen Hauses gelegen hat? – Hallwyl, Hallwyl, dein Stern ist tief gesunken.« Herr Ulrich blickte lange sinnend auf die hohen, stillen Baumkuppen, die, aus der Dunkelheit vor ihm aufsteigend, sich mit scharfem Rande gegen den Nachthimmel erhoben, bis er plötzlich stillstehend mit bitterm Lachen ausrief: »Halt Junker und überlege, was du thust! Ist das dort vielleicht die Dunkelheit, in der deines Hauses Ehre begraben liegt? – Wenn auch nicht schon hundert Jahr und manchen Tag, doch ohnehin schon allzulange, und die Wehre wird sich hoffentlich ebenfalls dort finden – fünf Mann hoch wenigstens, vermuthlich in gesundem Schlafe begraben. Die Liebe fehlte auch nicht ehedem, und kommt nun noch die blutige Todespein dazu, so hast du einen feinen Spruch gethan, verdammte Hexe. Sehen wir, wie er sich erfüllen mag!«

Die letzten Worte waren kaum über die Lippen gegangen, als von dem Gehöfte her ein Geräusch sich erhob, das rasch näher herankam und sich bald als der Schall eilender Schritte erkennen ließ. Und wirklich – in wenigen Augenblicken tauchten mehrere Gestalten aus der Dämmerung auf, die flüchtigen Laufes über die Wiese heranstürmten. »Halt!« rief Herr Ulrich, den Degen ziehend, »was gibt's da – stillgestanden!« Aber der Befehl schien wenig Eindruck zu machen auf die fußschnellen Flüchtlinge, und nur mit Mühe konnte er denjenigen, der am nächsten gegen ihn losgestürmt, am Schopfe fassen und festhalten. »Zum Teufel, was soll das,« rief er, dem Gefangenen in's Gesicht schauend – »wie, du bist's, Jörg?«

»Und Ihr, ah – gnädiger Herr,« stöhnte der Bursche, nach einem ersten Schreckensrufe aufathmend, »Ihr habt ihn auch schon gesehen?«

»Wen denn, einfältiger Geselle?«

»Ah, ah,« schnappte der Schloßknecht, scheu um sich blickend, »gerade den, den Ihr genannt habt – den Teufel!«

»Den Teufel?« erwiderte der Junker, den Gefangenen fahren lassend, wo habt ihr den gesehen?«

»Drunten – drunten beim Schloßbauern, gnädiger Herr – er ist in feuerrothem Kleide über den Hof schnurgerade auf uns losgekommen.«

»Und das sind deine Kameraden, die dort dem Schlosse zurennen?«

»Dem Himmel sei Dank – ja, gnädiger Herr, er hat keinen erwischt von uns.«

»Lauf ihnen nach, Hallunke!« rief der Junker, »sonst wird er dich einzig am Kragen packen.«

Er blickte dem Davoneilenden, der sich den Rath nicht zweimal ertheilen ließ, nach, bis er durch die Nacht verschwunden war. »Ehre und Wehre, Freiherr von Hallwyl,« murmelte der Junker, mit der Hand über das zu bitterm Selbsthohne verzogene Gesicht streifend, und wendete sich dann mit raschen Schritten wieder den Häusern des Schloßbauern zu.

 

IX.

Die äußersten Spitzen der Mondsichel waren gerade hinter dem gegenüberstehenden Waldsaume niedergetaucht, dem bläulich dämmernden Sternenscheine die Hut der stillen Gegend überlassend, als der Junker das angelweit offen stehende Hofthor des Schloßbauern erreichte. Auch da drinnen, auf dem von einer zwischen den einzelnen Gebäulichkeiten hinziehenden Mauer umfangenen Hofe war es stille, nur daß das gleichförmige Rauschen der Wasser hereintönte und in der Entfernung von wenigen Schritten noch ein Lichtschimmer sichtbar war. Herr Ulrich blieb einen Augenblick stehen und drückte die Hand gegen die Brust, um das lauter werdende Pochen des Herzens zur Ruhe zu bringen; dann aber ging er festen Schrittes auf den Lichtschein zu. Dieser rührte von einem Oellämpchen her, das auf einem mit zwei großen, strohbekleideten Flaschen beschwerten Tische an verkohltem Dochte niederglimmte; daneben standen halbgefüllte Gläser, von denen die Schloßknechte eben erst zu schleuniger Flucht sich erhoben hatten, und zur Seite lehnten noch zwei Hallbarten an der Wand. Der Junker schaute umher und hauchte dann hastig das Lämpchen aus, als würde mit dem Verschwinden seines Scheines auch die Feigheit derer in Nacht und Dunkel vergehen, die seines Hauses Ansehen so übel gewahrt hatten. »Doch was soll ich hier,« murmelte er drauf zwischen Wehmuth und Zorn, »die Leute sind unbekümmert zur Ruhe gegangen, als wären die Wächter zu ihrer eigenen Hut an diesem Tische gesessen – kein Laut, kein Athemzug, ich bin zu spät gekommen.« Mit diesen Gedanken wollte er sich wieder dem Hofthore zuwenden und dem folgenden Morgen das Weitere überlassen; aber im Augenblick war es ihm, als ob an der gegenüberliegenden Mauer der schwache Wiederschein eines zweiten Lichtes erzittere. Mit forschendem Blicke schritt er, die Hand am Degen, nach der Richtung hin, und kaum hatte er die Ecke des nächsten Gebäudes erreicht, als ihm auch der hellere Glanz aus einem mit dichtem Zweiggeflechte umsponnenen Fenster entgegendrang. Der Junker schlich erfreut, doch leise und vorsichtig heran, um Nachschau zu halten; aber wie sein Blick durch das unverhüllte Fenster in das Gemach fiel, wäre ihm jegliche Vorsicht bald in einem nur halbunterdrückten Ausrufe der Ueberraschung verloren gegangen.

Drinnen im einsamen Gemache saß, das Gesicht über ein Buch gebeugt, die Tochter des Schloßbauern. Die Stirn ruhte halb verdeckt auf der emporgehaltenen Hand und die Augen schienen ermüdet sich zum Schlummer geschlossen zu haben; wenigstens deuteten weder die Lider, noch die tiefherabgesenkten Wimpern eine Bewegung an, mit welcher der Blick den Zeilen über die breiten Blätter hätte folgen können. Sie schläft – du darfst sie nicht wecken, flüsterte Herr Ulrich; aber nur mit um so behaglicherer Muße ruhte das Auge auf dem unbeweglichen Lichtbilde, vor dem Sorgen und bange Zweifel zerrannen, wie die in verborgenen Schluchten umherhuschenden Schatten der Nacht vor dem aufwallenden Tagesgestirn. Um das in feinen, lichten Wellen über das Haupt gescheitelte Haar schien ein beweglicher Schimmer zu spielen, der sein röthliches Licht bis über die Stirne herabgoß – ein voller Mondenstrahl, der auf einem Schneefelde ruht. Auf dem obern Theile der Wangen bespiegelte sich der gesenkte Seidenflor der Wimpern in einem bräunlichen Schattenkranze, als sei er berufen, vor dem lichtern Hauche, der gegen den wie eine frisch aufgebrochene Rose blühenden Mund herabfloß, Wache zu halten. Aber es war nicht blos die Schönheit, die auf Stirn, Wange oder Mund ruhte, die das Auge des Beschauenden so mächtig fesselte; es war noch etwas Anderes, dem äußern Blicke nicht Erfaßbares und doch allerorten wie ein leicht verhülltes Licht Hervorschimmerndes, das so mächtig zum Herzen sprach – der Wiederschein der Seele, den nur die verwandte Seele erschaut. – »Ja, die verwandte Seele,« sprach es in Herrn Ulrich, der wie geblendet die Hand auf beide Augen drückte, »aber wie sind unsere Seelen verwandt, du unglückseliges, verlockendes Zauberbild?« – »Wie sie es nur immer sein mögen,« kam die Antwort des unsichtbaren Zwiesprechers, und die Hand sank rasch wieder von den Augen herab, um deren sehnsüchtigem Begehren freien Lauf zu lassen. Aber an dem kleinsten Finger der vom Lichte purpurn durchschimmerten Hand, die da drinnen das müde Antlitz stützte, glitt jetzt langsam ein glänzender Funke nieder, dem bald ein zweiter und dritter folgte, als wollte sich ein Diamantenkranz um die feinen Formen schließen. Herr Ulrich folgte mit den Blicken diesem beweglichen Geschmeide, bis die ersten der flimmernden Lichtlein, von den nachfolgenden gedrängt, verglommen waren und glanzlos auf das Buch herniederfielen; dann rief er, von einem plötzlichen Gefühle des Mitleids übermannt sich selbst vergessend: »Du schläfst nicht – du weinst Else?«

Während der Rufer über den Laut des eigenen Rufes erschrocken vom Fenster zurückfuhr, schaute auch drinnen ein erschrockenes Antlitz empor; aber noch ehe der Junker in seltsamer Verlegenheit einen Entschluß gefaßt, hatte Else sich schon dem Fenster genähert und fragte mit freudigbanger Stimme: »Gütiger Gott – bist du da?«

»Ich weiß nicht, wen Ihr erwartet,« antwortete der Junker wieder an's Fenster tretend: »doch wollt' ich Euch nicht erschrecken, Jungfrau Else – ich bin's, Ulrich von Hallwyl.«

»Erschreckt habt Ihr mich gleichwohl,« sagte Else, nachdem sie die ergriffene Lampe wieder mit langsamer, zitternder Hand auf den Tisch gestellt; »doch ist's nun schon vorüber: Eure Leute im Hofe draußen, die Euch längst erwartet, werden Euch gesagt haben, daß der Vater noch nicht heim ist, Junker Ulrich.«

»Meine Leute sind nicht mehr im Hofe, und ist der Vater noch nicht heimgekommen, so wünscht' ich ein Wort mit Euch zu sprechen, Else. – Ihr dürft Euch nicht fürchten vor mir,« fügte Herr Ulrich hinzu, als die Antwort nicht sogleich erfolgte, wenn der Vater indessen zurückkehren sollte; »ich wiederhole Euch, unsere Leute sind im Schlosse droben.«

»Ich wüßt' auch nicht, warum ich Euch fürchten sollt',« erwiderte das Mädchen mit ruhiger Stimme; »dort zur Rechten ist die Thüre, ich werde sie aufschließen, Junker.«

Else ergriff sofort die auf dem Tische stehende Lampe, um auf den Flur hinauszugehen; aber kaum war es dunkel geworden drinnen im Gemache, als eine feste Stimme hart hinter dem Junker sagte: »Ein später Besuch, Junker Ulrich.« Bei der unerwarteten Anrede drehte dieser sich rasch um und sprang mit einem nicht zu unterdrückenden Ausrufe des Schreckens zurück, als er in der Dunkelheit eine, wie es ihm vorkam, über menschliche Größe hinausragende Gestalt in feuerrother Farbe vor sich aufragen sah.

»Wer bist du?« rief er seine Besonnenheit schnell wiedergewinnend, während doch ein kalter Schauer als Nachhall des unvorbereiteten Schreckens über seine Glieder rieselte – »was willst du hier? Steh' fest!«

»Das werd' ich wohl, bis Licht kommt,« erwiderte der Rothe, und Ihr mögt deshalb Euern Degen unbesorgt wieder in die Scheide stecken; ich meinte eben, Ihr wolltet etwas von mir oder meiner Tochter, Junker.«

»Nun beim Himmel,« erwiderte Herr Ulrich ärgerlich, als gerade die Thüre aufging und Elsens Licht auf das ruhige Gesicht ihres Vaters fiel, »ich dachte nicht daran, daß der Schloßbauer sich vergnüge, um Mitternacht im Großvaterstaate herumzuwandeln.«

»Thut Ihr das doch bei Tag und Nacht, von innen und außen, Junker,« lautete die Antwort; »übrigens irrt Ihr Euch im Alter meines Staates; mein Wamms wär' wohl zu klein gewesen für meinen Großvater. Doch hier ist die Thüre geöffnet für Euch, Junker, wenn Ihr erlaubt, werde ich mit eintreten.«

Es lag etwas in diesen Worten, das den Junker bei all' seiner Furchtlosigkeit einen Augenblick überlegen ließ, ob er dem Voranschreitenden folgen solle; war es nun doch klar, daß dieser trotz des Ableugnens der Tochter schon längere Zeit im Gehöfte und kein Anderer als er das Schreckbild gewesen sein mußte, das die Schloßknechte in die Flucht gejagt; auch Else empfing den Ankömmling ohne ein Zeichen des Staunens oder der Ueberraschung, obgleich ihre Stimme hörbar bekümmert klang, als sie zu ihm sagte: »Du bist lange fortgeblieben, Vater – ich war in Sorge deinetwegen.« Doch diese leise Empfindung der Besorglichkeit konnte nicht tiefern Boden fassen in der Brust des Junkers, und ohne eine Antwort zu geben, folgte er dem voranschreitenden Mädchen durch den Flur in's Haus hinein.

In's Gemach getreten löste der Schloßbauer sogleich einen breiten Gurt von den Hüften und hob das daran hängende kurze, breite Seitengewehr, wie es die Landleute bei feierlichen Anlässen noch immer zu tragen pflegten, an einen hölzernen Wandhaken empor; darüber warf er den breitrandigen Hut und begann dann zwei, drei Mal, die Hände über den Rücken gelegt, die Stube auf- und niederzuschreiten, während der Junker auf Elsens unbefangene Einladung sich am Tische niederließ. Herr Ulrich mußte sich nicht ohne ein Gefühl der Bewunderung gestehen, daß der Mann, der da vor ihm hin- und wiederging, in seiner jetzigen Tracht ganz anders aussah, als heute droben im Schloßhofe in dem groben Wollmantel und den weiten, zwilchenen Pluderhosen, und unwillkürlich fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf: Der freilich läßt sich nicht schlagen ohne Gegenschlag. Der rothe Leibrock, über den um den Nacken ein handbreiter, weißer Kragen geschlagen war und der vornen von einer dichten Reihe kugelförmiger, silberner Knöpfe zusammengehalten wurde, umschloß den gewaltigen Oberkörper so fest und stramm, wie die Rinde den Eichenstamm; gegen die Knie herab fiel er in halbglockenförmigen Falten auseinander, um den mit knapp anliegenden, gelben Lederhosen bekleideten Schenkeln freien Raum zum Ausschreiten zu geben. Vom Fuße weg zogen sich bis nah' an das Knie herauf ebenfalls gelblederne Stiefelschäfte, die, auf der einen Seite offen, durch kreuzweis übereinandergehende Riemen zusammengezogen waren. »Ihr seht mich verwundert an in meinem Kleide,« sagte der Schloßbauer mit einem seltsam freundlich-spöttischen Tone vor dem Junker stehen bleibend, »und doch ist's nur mein Hochzeitskleid. Ihr mögt Euch auch wohl erinnern, daß bis vor etwa zwanzig Jahren das Soldatenkleid unserer Leute gerade diesem da geglichen hat. Es gibt noch viele Rothröcke im Lande, wenn sie auch nicht jeden Tag aus Kisten und Kasten kommen, Junker Ulrich!«

Die letzten Worte waren mit nachdrücklicher, wie drohend anklingender Stimme gesprochen und der Junker entgegnete daher mit einem festen Blicke auf den vor ihm Stehenden: »Ich entsinne mich dessen wohl, was Ihr sagt, und Rothröcke hab' ich schon mehr als genug gesehen in meinem Leben; verwundern muß ich mich aber doch, was Euch in so hochzeitliche Stimmung versetzt, daß Ihr gerade heute das Staatskleid hervorholt, Nußbaumer. Unter den mir bekannten Begegnissen kann ich keinen triftigen Grund finden.«

Else, die bisher schweigend und gesenkten Blickes am Tische gestanden, rückte dem Vater einen Stuhl entgegen, während sie, wie der Junker wohl bemerkte, ihm mit einer Miene voll ängstlicher Bitte in's Antlitz schaute. Der Schloßbauer setzte sich und sagte dann, während nun ein fast wehmüthiger Ausdruck sich auf sein Gesicht legte: »Da mögt Ihr wohl recht haben, Junker Ulrich, ein Tag der Freude und des Glückes ist's nicht gewesen; kommt Ihr doch wohl in so später Nacht Euern Gefangenen zurückzuholen!«

»Mein nächster Zweck war das nicht bei meinem Gange,« erwiderte der Junker ernst; »ob er's nun wird, hängt von der Antwort auf meine Frage ab, die ich an Euch stellen muß, Nußbaumer.«

»Und diese Frage lautet, Junker Ulrich?«

»Ist es wahr, Schloßbauer, daß Ihr Euch zu den Rebellen halten wollt, die, wie ich weiß, auch in unserer Gegend ihr verdammliches Wesen zu treiben unterfangen?«

»Ja, dem ist so, Junker, und eben diese Nacht hab' ich mit solchen Leuten Rücksprach gehalten.«

Else stieß bei dieser Antwort, indem sie das noch immer offen auf dem Tische liegende Buch zusammenlegte, einen tiefen Seufzer aus; der Junker aber rief aufspringend: »Wie, und das wagst du mir mit kaltem Blute in's Gesicht zu sagen?«

»Ich sag' es Euch,« erwiderte der Schloßbauer ohne eine Miene zu verziehen, »weil Ihr mich drum befragt habt, und weil Menschenfurcht ebenso fern von mir ist, als Unwahrheit, Junker.«

»Nun dann,« fuhr dieser, von der Kaltblütigkeit seines Gegenübers mehr gereizt als beschwichtigt, fort, »so magst du auch den Lohn deiner Wahrhaftigkeit dahinnehmen. Ich habe mich belehren lassen, daß du trotz deines an unserm Vetter begangenen Frevels heute von uns in deinen hergebrachten Rechten verletzt worden seiest; deshalb bin ich hergekommen. Jetzt aber verhaft' ich dich als Verschwörer und Rebellen.«

»Das thut Ihr nicht, Junker!«

»Ob ich's thu'? Hier siehst du's!«

Unter diesem Ausrufe hatte Herr Ulrich mit der Rechten den Degen gezogen und wollte mit der Linken nach dem unbeweglich vor ihm Sitzenden greifen; aber noch bevor er ihn berührt, wurde sein ausgestreckter Arm niedergezogen und sein Blick fiel auf zwei thränenglänzende Augen, die ihm mit plötzlicherer Gewalt Halt geboten, als es vielleicht die unbewehrte Kraft seines Gegners für den Augenblick vermocht hätte. Es kam kein Laut über Elsens Lippen, die mit ihren beiden Armen den seinigen umschlungen an sich zog; aber das bange Beben ihrer Glieder ergoß sich wie ein lähmender Strom nach seinem Herzen, so daß er fast widerstands- und willenlos der leisen Gewalt nachgebend sich auf seinen Stuhl zurückziehen und die erhobene Klinge gegen den Boden sinken ließ.

»So laß doch den Junker los,« rief der Nußbaumer, ohne eine Hand zu erheben, während jener sein Antlitz den nahen Athemzügen der Jungfrau entgegenhielt, als wollt' er sich die aufsteigende Gluth weghauchen lassen; »so laß ihn doch, Else; zwei redliche Männer werden sich schon verständigen ohne Weiberhülfe.«

Else mochte jedoch im Augenblicke nicht ganz der Meinung ihres Vaters sein; wenigstens fühlte der Junker, wie sie trotz der beschwichtigten Gefahr und ergangenen Ermahnung seinen Arm nochmals mit einem langen Drucke und aufleuchtenden Blicke an ihre Brust preßte, bevor sie ihn dann langsam und zögernd fahren ließ.

»Ihr scheint ganz das rasche Blut Eures Vaters, des seligen Herrn in seinen jüngern Jahren zu haben, Junker,« fuhr der Schloßbauer sogleich in seiner unverwüstlichen Ruhe fort, als ob kaum ein lautes Wort gewechselt worden wäre; »aber das legt sich bald wieder, wenn nur der Quell gesund ist, aus dem es entspringt. Und der muß gesund sein bei Euch, Herr Ulrich – ich glaub' es. Drum wär' ich schon auch noch gekommen, Euch zu danken, daß Ihr mein gutes Recht nicht ganz wollet zertreten lassen. Ihr habt befohlen, mir die Eisen abzunehmen, das vergißt Euch der Nußbaumer nie, Junker Ulrich!«

»Und doch willst du zum Rebellen werden gegen mich!« rief der Junker.

»Nicht gegen Euch, Herr Ulrich, nicht gegen Eures Vaters Sohn und Erben – glaubt es mir.«

»Nicht gegen mich, und gegen wen denn?« erwiderte der Junker, an dem der warme Ton der letzten Worte nicht wirkungslos verklungen – »was meint Ihr denn, daß Rebellion und Bürgerkrieg sei? Habt Ihr sie schon gesehen in der Nähe, im eigenen Lande? Nein, das habt Ihr nicht, Nußbaumer; aber ich – ich bin dabei gewesen und ich sag' Euch, mir graut trotz langer Angewöhnung jetzt noch manchmal bei der Erinnerung an die schrecklichen Bilder, die mir entgegengetreten sind. Oder glaubt Ihr, es lasse sich da genau ausscheiden und markten über Mein und Dein, zwischen mir und dir? Meint Ihr nicht, ich müßte Euch von dem Orte aus, auf den ich gestellt bin, niederstoßen, sobald Euch meine Degenspitze erreichen möchte? Nein, nein, Mann, ist der Brand einmal angefacht, so legt er Haus und Hof in Asche, ohne zu fragen, wem sie gehören und wer darin zu Grunde gehe!«

»Gerade weil ich mir Alles das vorstelle, wie Ihr es beschreibt, hab' ich meine Zusage gegeben, mitzuhalten.«

»Ihr sprecht das aus, als ob es sich um ein Kartenspiel handelte,« rief der Junker mit einem zornigen Blicke; »aber ich sag' Euch, der Trumpf wird mit Eurem Kopfe ausgespielt werden, verblendeter Mann!«

»Das steht in Gottes Hand,« erwiderte der Schloßbauer gelassen; »aber seht, Herr Ulrich, als heute der ganze Haufe hinter mir her in den Schloßhof stürzte, wie eine Meute Hunde, die den Schweiß des wunden Thieres gefunden, und dann doch wieder auf ein Wort zurückging, da hab' ich den Entschluß gefaßt, zu thun, was ich bisher verweigert hatte. Jetzt ist's geschehen und bleibt.«

»Ihr hättet es also nicht gethan, weil Ihr Euch gekränkt und von Gefahr bedroht glaubtet?«

Der Schloßbauer schüttelte langsam mit dem Kopfe. »Deswegen noch nicht, Junker, ich würde mich wohl gewehrt haben zur rechten Zeit. Was ich aber Euch bitten wollte – Ihr solltet von dem Dinge fern bleiben, Junker Ulrich.«

»Ich? – Ich glaube, es gelüstet Euch, Euren Spott mit mir zu treiben!«

Der Schloßbauer machte abermals eine langsam abwehrende Bewegung mit dem Kopfe und faßte dann schweigend nach dem Buche, das auf dem Tische lag. Es war ein großer Band, den der Junker für eine Hausbibel gehalten hatte, mit schweren an den Kanten silberbeschlagenen Deckeln und mit zwei massiven, silbernen Schließhaken; aber als der Nußbaumer ein paar Blätter umgeschlagen und nun das Buch Herrn Ulrich entgegenschob, fiel der Blick des letztern sogleich auf ein großes Schlachtenbild; zunächst jedoch blieb er an einigen feuchtdunklen Flecken haften, die am untern Rande bemerkbar waren. Die Thränenspuren Elsens, dachte er zu dieser aufschauend, das ist das Blatt, über das sie sich hingebeugt. Er blickte nun hastig näher auf das Bild und rief betroffen: »Murten – die Schlacht bei Murten!«

»Ja, das ist das Chronikbild von der Murtenschlacht,« erwiderte der Schloßbauer sich ebenfalls näher auf das Bild vorbeugend; »und seht da in der Mitte des dichten Haufens, der auf das große Burgunderpanner losstürmt, da steht Euer Ahnherr mit dem sieghaften Schwerte – man meint sein Funkeln und Blitzen zu sehen; aber wißt Ihr auch, wer die sind, die ihn so mannhaft umstehen mit Spieß und Hallbarte, wie eine Eisenmauer?«

»Dem Fähnlein nach zu schließen ist es eine Schaar Herrschaftsleute,« sagte der Junker seltsam ergriffen von dem unerwarteten Bilde und dem gehobenen Tone der Stimme des Schloßbauern; da auf den Helmhauben ist auch unser Wappen bemerkbar gemacht.«

»So ist es, wie Ihr sagt, es ist das Fähnlein der sieben Dörfer,« fuhr der Schloßbauer fort, während auch Else sich so nah zu dem Bilde niederbog, daß ihr Athem abermals die Stirn des Junkers umsäuselte; und seht da, der vorwärts drängende Fahnenträger, das ist einer meiner eigenen Vorfahren, Kunz, der Nußbaumer, hat er geheißen!«

»Wie, das wißt Ihr so genau?« fragte der Junker ungläubig; »es ist schon lange her seitdem.«

»Für mich nicht länger als für Euch, Herr Ulrich,« sagte der Nußbaumer ernst, »und was ich weiß ist gut bewahrt worden in unserm Hause, von Kind zu Kindeskind, glaubt es mir. Aber warum sollte heute der Enkel des Ritters Hans nicht ebenso getrost zu seinen Herrschaftsleuten stehen, wie dieser es gethan?«

»Ah, da will's hinaus?« erwiderte der Junker über die weitausholende Ueberredungskunst des Bauern lächelnd; »nein, nein, da habt Ihr fehlgegriffen, Nußbaumer.«

»Nur, wenn Ihr mich falsch verstehen wollt,« lautete die Antwort; »ich hab' Euch schon gesagt, Ihr möchtet jetzt dem Dinge fern bleiben. Dafür aber halt ich, daß die Kindeskinder dieser Männer, die stehend und fallend Eurem Ahnherr Ruhm und Sieg erstreiten halfen, nicht zu Jagdhunden dressirt werden sollten.«

Das Lächeln verschwand von den Lippen des Junkers bei diesen Worten, um einem zornigen Zucken Raum zu machen; doch bevor dieses noch einen andern Ausdruck gefunden, fuhr der Schloßbauer fort: »Nein, mein Herr Ulrich, das Wort ist nicht gesagt, um Euch zu erzürnen oder weh zu thun, weiß ich ja wohl, daß das Vorhaben weder von Euch ausgegangen ist, noch daß Ihr Freude daran hattet. Doch nun hört, es ist nach meiner Meinung das Einzige, über das sich die Herrschaftsleute ohne Ausnahme mit Fug und Recht beschweren konnten – alles Andere, was seit dem Tode des gnädigen Herrn vorgefallen, wird vergessen und vergehen, wenn die Herrschaft in Eure Hände fällt. Drum sag' ich Euch auch, Junker Ulrich, die nun trotzig werdenden Begehren des Volkes, die Ihr Rebellion nennt, sind nicht gegen Euch und Eure Rechte gerichtet, oder wo das geschehen sollte, will ich eben dabei sein; aber was wollt Ihr Euch in Dinge mischen, die Ihr nicht verschuldet und für die Ihr Euch darum auch nicht zu verantworten habt? Oder haben die Herren vom Regiment in Bern sich etwa von jeher großen Dank verdient um Euer Haus, Junker? – Die Chronik da weiß nicht viel zu erzählen davon und Euer seliger Herr Vater wußte noch weniger. Wir wären heute auch noch zur Jagd gegangen, ich voran, wenn der Eimer nicht schon von anderer Seite zum Ueberlaufen voll gewesen wäre, in den der schwere Tropfen fallen wollte! Verlaßt Euch darauf, Junker von Hallwyl!« –

Die Vorboten des Zorns waren allmälig wieder, wie vorhin das Lächeln, von den Lippen des Junkers verschwunden und mit unverhohlener Verwunderung schaute er auf den Mann, der sonst kurz und karg in Worten, nun hochaufgerichtet mit erhobener Hand wie ein ermahnender Prophet vor ihm stand. Seine Reden hatten mehr als eine lautanklingende Saite in der Brust Herrn Ulrichs berührt und es wehte ihm ein Hauch entgegen aus denselben wie frischer Waldesodem. Hatte sich ja das altfreiherrliche Blut schon oft genug empört über den dünkelhaften Hochmuth dieses neugebackenen Städteadels, dessen Stammbaum mit kaum fingerlanger Wurzel in die Werkstatt des ehrsamen Meisters zurückreichte, dessen Zweige sich aber um so mehr bemühten, mit ihrem üppigen Laubwerk den Glanz der alten Geschlechter in Schatten zu stellen! Und wahr war es ja auch, was hatte der Junker mit den geldsüchtigen Verordnungen, mit dem Zins- und Krämerwucher des Regiments zu schaffen, unter denen sein eigenes Haus am Ende nicht weniger zu leiden hatte, als seine Unterthanen! Nein, die Mahnung an diese Dinge konnte nicht blos aus der Ueberredungskunst eines pfiffigen Rebellen entspringen, dafür hatte der Mann auch keine Ursache, der aus freier Ergebenheit dem herrschaftlichen Hause schon so manches Opfer gebracht und der vielleicht mit noch tiefern Banden an dasselbe geknüpft war, als eben zu Tage lag!

Bei diesem Gedanken wurde dem Junker wieder schwül um's Herz und er mußte sich erheben, um einige Schritte hin- und herzugehen; denn gerade in dem noch Verborgenen, Unaufgeklärten mußte ja die Erklärung des Benehmens und der Absichten des Bauern zu finden sein; aber wie die Lösung des Räthsels erlangen, von diesem ebenso furchtlosen als ruhig überlegenden Manne, der für einmal außer dem Bereich der äußerlichen Gewalt sich befand? –

Der Schloßbauer ließ seine Blicke eine Weile schweigend auf dem Hin- und Widergehenden ruhen und sagte dann, sich ihm nähernd: »Hört, Junker Ulrich, es ist schon spät und ein schwerer Tag war der heutige auch für Euch, ich glaub' es. Der Müde aber soll keine Entschlüsse fassen, die weit hinausreichen, es fehlt ihnen sonst das rechte Mark und die Kraft zur Ausführung. Wollt Ihr, daß ich morgen zur Verantwortung meines Begehens an Eurem Vetter im Schloß erscheine, so schickt mir einen Boten, ich werde kommen. Geschieht dies nicht, so gebt unserm Hause am Abend, wenn es still geworden, nochmals die Ehre; dann will ich Euch sagen, was der selige, gnädige Herr gewiß wenigstens Eurem armen Bruder Konrad mitgetheilt haben würde, wenn der Tod nicht so unvermuthet und plötzlich über ihn gekommen wäre. Das wird Euch für Vieles einen Fingerzeig geben. Wollt Ihr?«

Herr Ulrich drückte die Hand an's Herz, das bei dieser Frage mit fast hörbarem Schlagen zu pochen begann. Hier stand er also unversehens an der Schwelle, hinter der ihm seine beängstigenden Zweifel und Fragen gelöst werden konnten. Und doch freute er sich, daß noch ein Tag vergehen sollte, bevor er diese Schwelle überschritt! – »Ich werde mich einfinden,« antwortete er ernst; »Ihr sprecht im Namen eines Todten und werdet mir die Wahrheit sagen.«

 

X.

Die Mondsichel neigte sich abermals tief auf den bewaldeten Bergsaum nieder, als der Junker das bereits still gewordene Schloß verlassend den Fahrweg nach dem Hofe des Nußbaumers betrat. Die Erwartung auf die nächste Stunde verdrängte fast die Erinnerung an das eben erst Vergangene; und doch war auch der heutige Tag ein vielbewegter und ruheloser gewesen. Schon am frühen Morgen hatte die Freifrau die gewaltsame Gefangennehmung des Schloßbauern aufs Neue in's Werk setzen wollen, wobei es bei dem Widerstande, den der Junker, von dem Verwalter unterstützt diesem Beginnen entgegenstellte, nicht ohne verletzende und harte Worte abgehen konnte. »Hab' ich es nicht schon tausendmal deinem Vater gesagt,« rief die leidenschaftliche Dame ihrem Sohne zu; »es stießen zehn Tropfen Bauernblutes neben einem ächten, adeligen in den Adern euern Geschlechtes; darum habt ihr euch auch von jeher auf die Seite der Canaille gestellt, wenn ich die Ehre des Hauses aufrecht erhalten wollte, wie sich's gebührt.«

Der Junker würde vielleicht diesen Ausfall, der ihm ein schmerzliches Streiflicht auf das gegenseitige Verhältniß seiner Aeltern warf, aus Achtung gegen die Frau und Schonung für die Mutter, ohne besondere Erwiderung gelassen haben, hätte ihn der lothringische Vetter, der sich außer einigen Quetschungen wieder ziemlich munter befand, drob nicht mit einem so geringschätzig höhnischen Blicke angeschaut, als gälte der Schimpf nicht ihm, dem Erben von Hallwyl, sondern dem geringsten Stadtjunker. So aber rief er erbittert: »Und doch waren die Herren und Bauern von Hallwyl nicht zu gering, Frau Mutter, um in dem verfallenen Burgstall Eurer Sippe wieder Thor und Fenster herstellen zu lassen!« – Die Freifrau schleuderte auf diese Antwort zuerst gegen den Verwalter und dann gegen ihren Sohn zwei jener unheimlich flimmernden Blicke, die wie ein im Auge verlängerter Rachegedanken erschienen; darauf aber wendete sie sich gegen den Verwandten und sagte spöttisch: »Nun siehst du Alphons, daß ich nie zuviel gesagt und geklagt habe.«

Diesem Zwiespalte wurde noch bevor er die schlimmste Spitze erreicht ein ebenso plötzliches als unerwartetes Ende gemacht durch die Ankunft eines reitenden Boten, der vom Landvogte auf Lenzburg abgeschickt war. Dieser meldete in einem eilfertigen Schreiben, daß nach Berichten, die während seiner kurzen Lustbarkeit in Hallwyl eingegangen, jeden Tag der Ausbruch eines weitverzweigten Bauernaufstandes zu erwarten sei. Leider vermöge er bei den geringen, zuverlässigen Hülfsmitteln, die dem Regimente in Bern annoch zur Verfügung stehen, seinen Gastfreunden keinen militärischen Schutz zuzusichern, und das Beste möchte deshalb sein, sie kämen ihrer Sicherheit wegen noch rechtzeitig zu ihm auf das feste Schloß Lenzburg. In einer Nachschrift war beigefügt, der dem Landgerichte zuständige Schloßbauer habe selbst Anzeige machen lassen von seinem scheußlichen Vergehen gegen den Hrn. v. Venel; es scheine jedoch nicht räthlich, den Verbrecher gegenwärtig gewaltsam einzufangen, und es sei auch nicht Zeit vorhanden, gehörig der Gerechtigkeit zu pflegen. – So wenig Herr Ulrich sonst auch zur Schadenfreude geneigt war, so hatte er nun doch Mühe, eine kleine Lachlust zu unterdrücken, als er über dem Verlesen des Schreibens die übel verhehlte Unruhe des Herrn von Venel bemerkte. Auch die Züge der Freifrau hatten einen plötzlich veränderten Ausdruck angenommen. »O du mein Himmel,« rief sie klagend aus, »daß ich dich veranlassen mußte, in dieses unglückselige Land zu kommen, mein armer Alphons; wie werd' ich das vor dem Marquis, deinem Vater, verantworten!« – »Darüber könntet Ihr Euch trösten, Frau Mutter,« sagte Herr Ulrich kalt, »ich stelle mir vor, Euer Bruder, der Marquis, werde sich Glück wünschen, daß seinem Sohne Gelegenheit geboten wird, Euch im Nothfalle schützen und schirmen zu helfen.« – »Gegen jeden ritterlichen Feind,« intonirte der Herr von Venel in etwas unsicherem Tone, »gewiß; aber gegen die gemeine Canaille zu kämpfen – hätt' ich doch den Schurken gestern nur gleich niedergestoßen.« – »Nun, Herr Vetter,« sagte der Junker, sich gegen die Thüre wendend, »es bleibt wohl noch Zeit zur Ueberlegung, ob Ihr mit der Freifrau nicht das Anerbieten des Herrn Landvogtes annehmen wollt. Ich meinestheils würde rathen dazu.«

Herr Ulrich machte sich hierauf, nachdem er das Gemach verlassen und dem Verwalter einige Weisungen ertheilt hatte, unverzüglich an die Untersuchung der Vertheidigungsfähigkeit und der Waffenvorräthe des Schlosses. Beides fand er in ziemlich befriedigendem Zustande, und auch die Schloßknechte, von deren Mannhaftigkeit er eben keine großen Erwartungen hegte, stellten sich recht handlich an, als ihnen der Ernst vor Augen gerückt wurde. Mit bekümmertem und sorgenvollem Gesichte kam dagegen am Spätnachmittage der Verwalter in's Schloß zurück; er war vergeblich in den Dörfern fast von Haus zu Haus gegangen, um die benöthigten Fruchtvorräthe herbeizuschaffen – nicht zwei Säcke hatte er auftreiben können. Die Bauern waren mit allerlei Ausflüchten bei der Hand und manche hatten sich nicht einmal mehr die Mühe genommen, zu solchen zu greifen. »Wenn ich das baare Geld aus den Tisch legen könnte,« sagte der Alte betrübt, »so möcht' es da und dort vielleicht noch gelingen; sonst aber ohne Gewalt nimmermehr.« – »Wie … auch daran fehlt es?« rief der Junker erröthend; »dann freilich sind wir schlimm bestellt.« Der Verwalter zuckte leise mit den Achseln. »Ich kann Ihnen jeden Augenblick meine Bücher und Rechnungen vorlegen, Junker Ulrich,« sagte er; »es wäre mir lieb, wenn Ihr Einsicht nehmen wolltet davon.« – »Nein, nein,« machte der Junker mit einer abwehrenden Handbewegung, »so war's nicht gemeint, Christoph, und alle Rechnungen würden uns auch wenig helfen für den Augenblick. Doch guter Rath ist theuer hier; Getreide müssen wir haben und Gewalt dürfen wir für einmal noch nicht anwenden dazu. Wißt Ihr gar keinen Weg mehr, Christoph?«

»Noch Einen vielleicht; aber ich habe mich gescheut, hinzugehen.«

»Und das wäre?«

»Der Schloßbauer.«

»Nein, nein,« rief der Junker rasch, »da habt Ihr wohlgethan; dort klopfen wir nicht an, wenigstens jetzt nicht.«

So standen die Beiden noch rathlos berathschlagend, als ein hochgethürmter Wagen von drei kräftigen Rossen gezogen, die Allee herankam und langsam auf den Hof hereinknarrte. »Was hast du da, Heiner,« rief der Verwalter dem Fuhrmann entgegen, »woher kommst du?«

»Nu, weit nit, Herr Christoph,« erwiderte der Bursche, die Pelzmütze von dem grauen Kopfe nehmend; »da ist das Mehl, das Ihr vor einiger Zeit meinem Meister abgekauft, und dann sei auch noch eine Tracht verrechneten Zehntens dabei. Der Schloßbauer hat gesagt, er könnte nicht länger gutstehen für die Waare in seinem Hause und so mögt Ihr sie aufspeichern.«

Der Junker warf einen großen, fragenden Blick auf den Verwalter; aber dieser sagte, ohne etwas davon bemerken zu wollen, gelassen zu dem Knechte: »Nun ja, Heiner, wenn es deinem Meister daran gelegen ist, das können wir schon machen. Fahre nur dort zum innern Kornboden, die Knechte sollen dir abladen.«

»Was will das bedeuten,« fragte der Junker leise, als der Knecht seine Rosse anziehen ließ, »solltet Ihr wirklich nicht mehr gewußt haben von dem Kaufe – zum Vergessen scheint er mir doch zu beträchtlich.«

»Was nie geschehen, ist auch nicht zu vergessen oder vielmehr nicht zu wissen,« erwiderte Herr Christoph vergnügt die Hände reibend; »aber was sollten wir uns viel plagen darum, Junker Ulrich? Hab' ich Euch nicht gesagt, daß die Nußbaumer schon oft genug unberufen erschienen sind, wenn man ihrer bedurfte?«

»Und Ihr seid wirklich nicht dort gewesen?«

»Pscht – nein; am Haus vorbei bin ich gegangen, aber den Muth hatt' ich nicht, hineinzugehen. Doch was ich stets sagte, die Race ist ächt und schlägt nicht so leicht aus ihrer Art.« Damit klopfte Herr Christoph auf seine Dose, um mit großem Bedachte eine Prise zu nehmen – ein Luxus, den er sich stets nur in den vergnüglichsten Augenblicken zu erlauben pflegte.

In gleichem Maße konnte sich nun freilich der Junker nicht freuen über die unerwartete Hülfe, auch wenn er sich gestehen mußte, daß es wirklich eine Hülfe in der Noth gewesen, die zudem auf eine möglichst schonende Art geboten war. Dem sich wohl auch zudrängenden Gedanken, ob der Schloßbauer glaube, durch solche Mittel einen bestimmenden Einfluß auf seine Ansichten und Wünsche zu gewinnen, gab er nicht weiter Raum, der Mann hatte einen allzu entschiedenen Eindruck auf ihn gemacht; aber eines bedrückenden Gefühls der Abhängigkeit und einer daraus entspringenden Demüthigung konnte er sich doch nicht erwehren, und dieses Gefühl kam nun wieder mit vermehrter Stärke über ihn, als er das Gehöfte des Nußbaumers vor seinen Blicken sich aus der Nacht erheben sah. »Wie,« sagte er zu sich selbst, indem er seine Schritte langsamer gehen ließ, »wie möchtest du es ertragen, wenn er dir nun anvertrauen würde, daß er All' das, früher und jetzt, nicht meinem Vater oder uns zu lieb gethan, sondern des Kindes wegen, das unter seinem Dache aufgewachsen, ihm wie das eigene Kind lieb geworden? Oder noch mehr, wenn er mir gestünde, daß seine anhängliche Opferbereitwilligkeit nur von einem geheimen Rachegedanken geleitet worden wäre – denn gewiß ist's, daß jetzt ein schöner Theil der Ehre unseres Hauses ebenso gut in seine Hände gelegt ist, als seine eigene Hausehre einmal blosgestellt gewesen sein könnte. Aber wie kommst eigentlich zu diesen Vorstellungen, Ulrich!« rief der Junker stehen bleibend; »erschrickst du nicht vor den Folgen der Beleidigung, die du dadurch auf das Grab des Vaters schleuderst? – Nein, nein, er konnte menschlicher Schwachheit erlegen sein und geirrt haben, besonders in den Verhältnissen, von denen ich früher keine Ahnung gehabt und die wohl noch schlimmer gewesen sein mögen, als mich die wenigen Andeutungen über dieselben jetzt schon befürchten lassen; aber einer unedlen Handlung ist er nie fähig gewesen, nie, Ulrich; und wären deine Gedanken nicht so plötzlich und gewaltsam aus all' ihren bisherigen Geleisen geworfen worden, so würde sich auch nie eine leiseste Ahnung solcher Dinge in deine Seele haben einschleichen können. Else mag meine Schwester und der Nußbaumer nur ihr Pflegevater sein – ich erwarte das als das Geheimniß, dem ich fast unbewußt, vielleicht durch den Instinkt des Blutes mehr, als durch die Andeutungen äußerlicher Umstände auf die Spur gekommen, und das nach den Worten des Nußbaumers mein Vater dem Bruder noch mitgetheilt haben würde, hätte der plötzliche Tod nicht seinen Mund verschlossen. Aber der Schloßbauer kann auch nur der wohlvertraute und wohlbestellte Pflegevater des Mädchens sein – eine weitere Unehre ist nicht verbunden damit, gewiß nicht.« – Mit dieser Selbstberuhigung begann der Junker wieder schneller vorwärtszugehen; doch nur, um nach wenigen Schritten aufs Neue stehen zu bleiben. »Aber warum der Schloßbauer meinem Bruder das Geheimniß nicht anvertraut? Oder glaubte er anfänglich, Konrad wüßte vom Vater her darum und wagte, als sich dies nicht bestätigte, nur verhängnißvolle Andeutungen, die dann jenen Trübsinn zur Folge hatten, von dem mir der alte Johann und Dietrich erzählt? – Ach, was hilft es, all' diese Zweifel noch einmal durchzukämpfen; einer kettet sich an den andern, ohne daß mir Licht käme. Dort magst du's finden – vorwärts, Ulrich!« –

Auf dem Hofe des Schloßbauern war's wieder still, wie in der vergangenen Nacht, und als der Junker durch das ihm nun schon bekannte, erleuchtete Fenster blickte, saß der Nußbaumer auch einzig im Gemache. Für Elsens Ohren möchte, was wir zu besprechen haben werden, freilich wenig passen, dachte Herr Ulrich, und doch wäre er froh gewesen, sie wenigstens einen Augenblick sehen zu können; das qualvoll erregte Herz müßte sich vor dem mildruhigen Ernste ihres Antlitzes beruhigt und ihm neue Kraft verliehen haben. »So suche diese Kraft nun in dir selbst,« sagte der Junker halblaut und ließ dann seine Finger mit vernehmlichem Pochen auf die Scheiben des Fensters fallen. Es flog ein Ausdruck sichtbarer Freude über das ernste Gesicht des Nußbaumers, als er den Ankömmling erkannte, und mit raschen Schritten verließ er das Gemach, um ihm die Thüre zu öffnen.

»Ich habe schon befürchtet, Ihr würdet nicht mehr kommen,« sagte er, den Junker begrüßend, »und das wäre mir leid gewesen; muß man doch die Zeit zu Rathe halten in solchen Tagen!«

»Ich hab' es Euch ja versprochen, Nußbaumer.«

»Nun ja, ich dank' Euch; aber wir hatten auch einige harte Worte gewechselt gestern Nacht, und dann – sagen gewisse Leute – habe man einem Rebellen kein Versprechen zu halten.«

»Ihr beharrt also bei Eurem Entschlusse,« erwiderte der Junker, froh, dem Gespräch, bevor es den verhängnißvollen Gegenstand erfaßte, noch eine andere Richtung geben zu können; »Ihr wollt also, abgesehen von Recht oder Unrecht, mit offenen Augen in's Verderben rennen?«

»Ich habe ja mein Versprechen gegeben,« erwiderte der Schloßbauer; »doch kommt nun, Junker Ulrich, wenn's Euch beliebt; wir wollen unsere eigene Angelegenheit in's Reine bringen, bevor wir von Andrem sprechen.«

»Und das kann nicht hier geschehen, sind wir nicht allein und ungestört?« entgegnete der Junker, als der Schloßbauer die Thüre des Gemaches öffnete und mit einer Handbewegung ihn zum Hinaustreten einlud; »ich dächte, für unsere Zwiesprache bedürften wir nichts als Wände, die keine Ohren haben.«

»Doch noch etwas mehr,« sagte der Nußbaumer mit einem fast feierlichen Lächeln; »drum muß ich Euch bitten, mir an einen andern Ort zu folgen. Weit ist's nicht, Junker.«

Vor der Thüre löschte der Nußbaumer seine Lampe und faßte dann Ulrichs Hand, um ihn sicher über den Hof zu geleiten. Er lenkte seine Schritte schweigend und langsam nach jenem kleinen Gebäude, in das er bei seiner Heimkehr der vorvorigen Nacht getreten, und ließ die Hand des Junkers erst los, als sie vor der massiven Thüre desselben standen. »Dahin wollt Ihr mich führen,« sagte Herr Ulrich verwundert auf die dicke, rauhe Steinmauer blickend, nicht ohne ein heimliches Erbangen über diese stummen Vorbereitungen; »Eure Mittheilungen müssen seltsamer Art sein, daß Ihr mir sie nicht über der Erde machen dürft.«

»Unter dieselbe geht es doch auch nicht, wie Ihr meint, Junker,« erwiderte der Schloßbauer, durch die sich öffnende Thüre in die schwarze Finsterniß tretend; »es sind nur zwei kleine Stufen hier, wenn Ihr mir die Hand geben wollt. So – Herr Ulrich von Hallwyl; sie ist heiß, Eure Hand – ich werde sogleich Licht anzünden,«

Nachdem die Thüre wieder in ihre Angeln zurückgefallen und die Hängelampe langsam angeglommen war, sah sich der Junker erstaunt in dem Mauergewölbe um, das keine Habe, kein Geräthe verwahrte außer dem langen Tisch, der in der Mitte stand. Die nackten Steinwände schienen ehemals mit einem Bewurfe bekleidet gewesen zu sein; doch sah man deutlich, daß sich seit Menschenaltern keine verändernde Hand an sie gelegt; von dem feuchten Modergerüche, der sich sonst in solchen verschlossenen Räumen zu finden pflegt, war indessen nichts bemerkbar und im Gegentheile schien von der Lampe der Duft eines wohlriechenden Oeles auszuströmen. Herr Ulrich hatte sich noch immer nicht erholt von seiner Verwunderung, als der Schloßbauer langsam an den Tisch tretend mit feierlicher Stimme sagte: »Seit ich weiß, was hier begraben liegt, bin ich gewohnt, das Haupt zu entblößen, bevor ich das Verborgene an's Licht ziehe; Ihr thut's mir zu Gefallen vielleicht auch, Junker von Hallwyl.« Der Angeredete that schweigend und unwillkürlich das Gewünschte, mit unverwandten, neugierigen Blicken auf den Schloßbauer schauend, der die Truhe zog und sie einen Augenblick emporhaltend langsam mitten unter die Lampe stellte. »Kommt und schaut,« rief er dann den Deckel wegnehmend, »was seht Ihr hier, Freiherr von Hallwyl?« – Der Junker beugte sich mit angehaltenem Athem vor, hatte aber beim ersten Anblick Mühe, einen Ausruf des Unwillens zu unterdrücken. »Wenn das Alles ist, was Ihr mir zu zeigen habt,« sagte er, das Gesicht wieder erhebend, verdrießlich, »so hättet Ihr meinetwegen all' diese Mühe sparen können, Nußbaumer; Ihr wißt, daß in der Rüstkammer des Schlosses alte Schlachtschwerter zu Dutzenden aufbewahrt werden und mir ein solches also nichts Seltenes ist.«

»Das weiß ich wohl,« erwiderte der Schloßbauer in seinem angenommenen, feierlichen Tone; »doch habt Ihr das Gewaffen hier noch nicht genauer besehen. Nehmt es heraus und betrachtet es, Junker Ulrich.«

Der Junker faßte das auf einer rothen Sammtlage ruhende Schwert bei dem silbernen, mit eingelegten Goldstreifen gezeichneten Griffe und hob es in die Höhe. Die lange, breite Klinge war noch stahlhell und warf, an's Licht gezogen, einen glänzenden Wiederschein zurück. »Nun ja,« sagte Herr Ulrich, die Waffe in der Hand wiegend, »es ist ein wohlerhaltenes, stattliches Ritterschwert; wie seid Ihr dazu gekommen, Nußbaumer?«

»Da könnt Ihr's sehen,« erwiderte dieser mit leuchtenden Augen, indem er nach der innern Seite der Klinge deutete; »legt's nur auf den Tisch und lest.«

Der Junker bemerkte nun erst, daß der Stahl unterhalb des Griffes eine Inschrift trug und brachte dieselbe näher an's Auge; aber als er die alterthümlichen Zeichen entziffert, legte er das Schwert mit eigenthümlichem Zittern auf den Tisch nieder und rief, hochaufathmend: »Was treibt Ihr für ein Spiel mit mir … wie soll ich das verstehen, Nußbaumer?«

»Nicht anders, als wie es auf dieser guten Urkunde geschrieben steht,« antwortete der Schloßbauer mit ernster, bewegter Stimme. »Es heißt: »Dies Schwert, mit dem ich bei Murten geschlagen, verehr' ich meinem Brudersohne Kunz, dem Nußbaumer, zum Gedächtniß seiner adeligen Kriegsthat.« Und drunter steht der Name Hans von Hallwyl, Ritter, mit der Jahreszahl 1476. Oder ist's nicht so, Junker Ulrich?«

»So heißt es,« erwiderte dieser in Gedanken verloren auf das Schwert blickend; »aber was weiter nun, Nußbaumer?«

»Was weiter? – das könntet Ihr vielleicht zum besten Theile selbst errathen. Der Kunz, von dem hier die Rede ist, war der Fahnenträger der Herrschaftsleute, dessen Bild Ihr gestern Nacht in der Chronik gesehen habt und der, wie eine alte Pergamentschrift erzählt, das erste Panner der Burgunder gewonnen hat. Sein Vater, der ebenfalls Kunz geheißen, war der jüngere Bruder des Ritters Hans und hatte als Erbtheil diesen Hof erhalten, der von den großen und vielen Nußbäumen seinen Namen auf die Besitzer übertrug.«

»Und Ihr sagtet gestern, wenn ich mich recht entsinne,« erwiderte Ulrich langsam aufschauend, »dieser Fahnenträger Kunz sei Euer Vorfahr gewesen?«

»Gerade wie Ritter Hans der Eurige, Junker.«

»Und demnach wären wir Vettern und Else, Eure Tochter, meine Base!«

»So ist es und so hat es Euer seliger Herr Vater auch stets angesehen, seit er darum gewußt hat,« erwiderte der Schloßbauer lächelnd.

»Nun denn,« rief der Junker, seine Arme ausbreitend, »so seid mir auch willkommen und gegrüßt als Vetter, Nußbaumer!« –

Der Schloßbauer, der keine Ahnung hatte, welch schwere Last er durch seine Entdeckung Herrn Ulrich von der Seele gewälzt und daher diesen Freudenausbruch auch nur nach seiner Weise deuten konnte, machte mit beiden Händen eine lebhaft abwehrende Bewegung, indem er halb erschrocken hinter sich trat. »Nicht so, Junker, besinnt Euch,« rief er um sich blickend mit leiser Stimme, als fürchte er selbst zwischen diesen Mauern belauscht zu werden; »wenn auch von einem Stamme, so sind doch unsere Zweige zu weit auseinandergegangen – der Ihrige aufrecht in die freien Lüfte, der meinige abwärts zur dunklen Furche geneigt. Drum bleib' ich nach wie vor der Bauer und Ihr der Freiherr. Auch müßt Ihr das Versprechen geben, nie etwas zu verrathen von dem, was Ihr hier erfahren, nicht einmal Eurem einstigen Erben, den der Himmel segnen möge; denn bis dahin ist mein Zweig mit mir abgedorrt oder das noch vorhandene, schwache Reis auf einen fremden Stamm verpflanzt, Junker Ulrich.« – Die letzten Worte waren von einem leiswehmüthigen Tone durchklungen, der wie ein im Abendhauche verwehendes Vesperglöcklein zum Herzen des Hörers drang; doch mit fester Stimme fuhr der Schloßbauer alsbald wieder fort, indem er das Schwert sorgfältig in die Truhe zurücklegte: »Nun wißt Ihr, wie wir stehen zueinander, Junker, und wenn Ihr später noch dies oder jenes vernehmen solltet, was Euch auffallen könnte, so wird Euch die Erklärung nach diesem Abend nicht mehr schwer fallen. Ich mußt' es Euch sagen jetzt, da von heut an unsere Wege weit auseinandergehen werden, weiter als gut ist unter alten Blutsverwandten. Ich hab' es nicht gethan geringer, irdischer Dinge wegen; aber ich möchte bei dem Gange, der vielleicht bald an der schwarzen Grube endigt, von dem Erben von Hallwyl nicht um unrechter Gesinnung wegen angesehen werden. Denn ja – recht mögt Ihr haben, Junker – der Trumpf kann mit meinem Kopfe in's Spiel fallen.«

»Drum bleibt weg von diesem Spiele,« rief Herr Ulrich bewegt; »steht zu mir, wo Ihr hingehört, und wir haben wenigstens den Trost, zusammen aufrecht zu stehen oder zu fallen miteinander. Gebt mir die Hand drauf, Vetter.«

»Hier habt Ihr meine Hand, Junker,« erwiderte der Schloßbauer seine Rechte ausstreckend, »es haftet, soweit ich weiß, kein Unrecht daran, das meinen Namen verunehren könnte; aber das Spiel muß ich mitspielen und der Bauer darf nur zu seines Gleichen stehen – komme, was da wolle. Seht, jedesmal wenn ich das Schwert anschaute, so war ich wieder bewahrt vor unrechten Gedanken, die gegen Euer Haus oder gegen Andere einschleichen wollten bei mir – es liegt eine wahre Gotteskraft in diesem reinen Stahl, der einst unser Land und Volk aus der Noth gerettet, wie das Schwert Gideons das Volk Israels, glaubt es mir. Darum wird es mich auch behüten in dem Streite, zu dem ich es tragen will, vor jedem Unrechte, wenn ich oder meine Mitstreiter in Versuchung fallen sollten.«

Diese Worte waren wieder mit der festen, gehobenen Stimme gesprochen, deren Klang allein schon jede Einrede im Keime ersticken mußte, und dabei stand der Mann in so ruhiger Entschlossenheit da, daß Herr Ulrich kaum wußte, ob er ihn mehr zu bedauern oder zu bewundern habe. Die arbeitsrauhe Hand mit warmem Drucke umfassend sagte er deshalb: »Nun wohl, so sei es, Vetter; es würde doch nichts nützen, wollt' ich Euch prophezeien, daß Ihr dem Unrechte weder hüben noch drüben zu wehren im Stande sein werdet. Ihr wollt mit dem Strome schwimmen und zugleich den Schlamm zurückhalten, den er in der Tiefe führt, ohne zu bedenken, daß Ihr darüber untersinken müßt. Doch noch eine Frage gestattet mir, wenn Ihr den Dank für Eure Mittheilungen vollständig machen wollt, bevor wir auseinandergehen.«

»Redet, Junker.«

»Ihr habt vorhin von unrechten Gedanken gesprochen, die manchmal gegen unser Haus in Euch aufgestiegen, während ich bis zur Beschämung nur von Thaten weiß, die aus der Gesinnung treuester Anhänglichkeit entspringen mußten. Sagt, hat mein Bruder Konrad Euch jemals Veranlassung gegeben, zu solch unrechten Gedanken, wie Ihr sie nennt?«

Der Schloßbauer warf einen betrübten Blick auf den Junker und schlug dann die Augen langsam zu Boden. »Einmal ja,« sagte er endlich, »einmal hat's der Junker gethan.«

»Aber er wußte nichts von Eurer Abstammung – von Eurer Verwandtschaft mit uns!«

»Er wußte nichts davon, nein; aber die Tochter des Schloßbauern kann die ihrem Alter und Geschlecht gebührenden Rücksichten verlangen, ob einmal einer ihrer Vorfahren im Schlosse oder in einer Hütte geboren worden sei. Sie selbst weiß jetzt ebenfalls noch nichts Näheres darüber.«

Herr Ulrich fühlte, daß seine Wangen sich rötheten und ihm der Muth entschwand, über den Punkt eine weitere Frage zu stellen. Also doch – armer Konrad, dachte er und sagte dann: »Aber Ihr habt ihm verziehen, Vetter?«

»Längst, Herr Ulrich, und von ganzem Herzen. Er hat das Unrecht auch redlich wieder gutgemacht, soweit sich so etwas hintendrein noch gutmachen läßt – der arme Junker.«

»Und meine Frau Mutter,« fragte der Junker, seine Blicke auf den Boden heftend, »weiß die um Eure Abkunft?«

Der Schloßbauer hob die Schwert-Truhe in die Schublade und schob dieselbe wieder in ihr Gefach zurück. »Ja, Junker Ulrich,« sagte er dann mit fester, fast trotziger Stimme, »die weiß darum. Euer seliger Herr Vater hatte die Unvorsichtigkeit, es ihr einmal anzuvertrauen, oder vielmehr es ist ihm im Zorne entfahren, und von dem Augenblick an hat sie mir und meinem Hause Feindschaft geschworen. Doch über solche Dinge werdet Ihr keine Frage mehr an mich zu stellen haben, Junker; wir können gehen.« Mit diesen Worten erlosch die Lampe und ging die Thüre auf.

Als die Beiden auf den Hof hinaustraten, hörten sie aus der Ferne ein dumpfes Tönen durch die Stille der Nacht hinziehen, das sich bald als Schall von Glocken, die an verschiedenen Orten geläutet wurden, erkennen ließ. »Was ist das,« rief der Junker, »Feuerglocken? Und doch ist keine Röthe sichtbar am Himmel!«

»Gleichwohl sind es Feuerglocken,« erwiderte der Schloßbauer, nachdem er ebenfalls mit aufmerksamem Ohre hingehorcht, »und zugleich ist's unser Abschiedsgeläute, Junker Ulrich. Sie läuten Sturm droben im Hitzkircherthale – zum Aufbruche des Volkes gegen die Stadt Luzern.«

 

XI.

Für die Schloßbewohner von Hallwyl hatten diese mitternächtlichen Glocken trübe, unheimliche Zeiten eingeläutet, und auch manchem Andern, an dessen schlafendem Ohr ihr Schall spurlos vorübergegangen, waren sie zu Grabglocken geworden. Schon am folgenden Vormittage zeigten sich bewaffnete Trupps von Landleuten, die über den Berg vom Freiamte herkamen, sich einige Stunden im Dorfe verweilten und dann in verstärkter Zahl längs den beiden Ufern des Sees thalaufwärts zogen der Luzernischen Grenze zu. »Der Schloßbauer hatte recht,« sagte Herr Ulrich, vom alten Wartthurme aus die Gegend überblickend und den vereinzelten, dahinziehenden Haufen nachschauend, »es sind noch viele Rothröcke im Lande.« Denn all' diese Bewaffneten trugen Röcke oder kurze Mäntel von rothem Wolltuche, wie sie ehemals als Soldatenkleid landesüblich gewesen. Am Schlosse vorbei zogen sie still und ohne ein feindliches Gebühren zu äußern, kaum daß da und dort aus einem der Haufen ein Spottwort gegen einen der Knechte heraufflog, die in schweigender Aufmerksamkeit ihre Köpfe über die Mauern streckten oder durch die Schießscharten hinauslugten. Gleichwohl fand es Herr Ulrich rathsam, schon am Nachmittage die nächsten Linden zu beiden Seiten vor dem Hofthore fällen und ihre Stämme und mächtigen Aeste vor dem Eingange zu einem hohen Walle aufthürmen zu lassen. Sie war ihm schwer geworden, diese Anordnung, so unerläßlich sie auch zur Vertheidigung des Schlosses gegen allfällige Angriffe von außen erscheinen mußte, und mit düstern Blicken schaute er dem niederkrachenden Falle der alten Thorhüter zu, deren äußerste Zweige sich schon mit den ersten Blätterknospen geschmückt hatten. Was mochten sie alles erlebt und erschaut haben, diese weithinwurzelnden, wetternarbigen Stämme, seit jenen Tagen, in denen sie als schwankes Reis vom schwellenden Frühlingstriebe erzittert! Hatten sie doch schon duftige Blüthenkronen geschüttelt, als der Held von Murten unter den heilrufenden Glückwünschen des Volkes wieder heimkehrend durch dieses Thor geritten! Wie erklangen damals diese Mauern von dem Festgelage, das der Hauptmann mit seinen schlachtmuthigen Herrschaftsleuten beging, und wie freudestrahlend pflanzte der ritterliche Fahnenträger Kunz sein Fähnlein hier am Bogenthore auf! – Und jetzt, Junker Ulrich?

Bei diesem Gedanken trat er weiter auf die Lichtung hinaus, um über den weiten Wiesenplan nach dem Nußbaumhofe hinabzuschauen. Die dicht aneinandergereihten Baumkuppen verdeckten die Häuser und ließen nur einen Streifen der niedrigen Hofmauer nach der Einfahrt zu erkennen; aber Herr Ulrich kehrte von dieser Ausschau, bald wieder mit düstern Mienen zwischen die eigenen Hofmauern zurück, während den Fahrweg vom Nußbaumhofe her zwei rothe Reiter über die Wiesen dahintrabten.

So vergingen die Tage in einsamer Besorgniß und unruhigen Erwartungen. Von den Schloßleuten erhielt keiner die Erlaubniß, sich in ein benachbartes Dorf zu begeben, außer Dietrich und Christoph, da Herr Ulrich die Andern ebenso wenig der Gefahr einer Verführung als derjenigen einer nutzlosen oder gefährlichen Händelmacherei aussetzen wollte. Er selbst überschritt ebenfalls nie die nächste Umgebung des Schlosses und begnügte sich, von den Thürmen herab stundenlang in das allmälig aufblühende Land hinauszuschauen. Auf Aeckern und Wiesen zeigten sich zur Besorgung der beginnenden Sommerarbeit nur Kinder und Weiber; oft konnten mehrere Tage vergehen, bevor sich wieder ein Trupp rothröckiger Männer erblicken ließ. Sie waren fortgezogen in großen Schaaren, mit Trommeln und Pfeifen und fliegenden Fähnlein an der Spitze; aber weder Dietrich noch der Verwalter konnten von ihren kurzen Ausflügen genauere Berichte bringen, wo die Massen sich gesammelt hatten oder was sie zunächst im Schilde führten. Die zurückgebliebenen Dörfler wußten eben auch nichts darüber und waren mehr noch als die von dem ruhigen Muthe Junker Ulrichs beherrschten Schloßbewohner verworrenen und angstverbreitenden Gerüchten preisgegeben. Dieser selbst hütete sich wohl, seine Besorgnisse merken zu lassen, obgleich die Gründe zu solchen sich bei dem Gange der Dinge für den Erfahrenen von Tag zu Tag vermehren mußten. Vom Regimente, dem Landvogte auf Lenzburg und den Oberherrn benachbarter Thäler ohne die geringste Nachricht oder Weisung gelassen, konnte Herr Ulrich nichts Anderes annehmen, als daß die Aufständischen weithin Meister der Gegend wären und er mitten in feindlichem Gebiete von jeder Verbindung und möglichen Hülfeleistung von außen abgeschnitten sei. Diese Annahme sollte auch die Bestätigung ihrer Richtigkeit bald genug in einem Schreiben finden, das ein reitender Bote den Thorwächtern übergeben hatte. Es war an Junker Ulrich gerichtet und enthielt einen Geleitsbrief für ihn und seine Angehörigen auf den Fall, daß sie sich zu größerer Sicherheit vom Schlosse weg nach einem andern Orte begeben wollten. Datirt war derselbe aus dem wohl neun Stunden entfernten Flecken Langenthal, dem Hauptquartiere der Aufständischen, und unterzeichnet von ihrem Hauptführer Nikolaus Leuenberger, »dem Obmanne des Bundes«. Es war also sicher, daß die Rebellen auf diese ganze Entfernung und natürlich noch weiter hin Herren des offenen Landes waren, wenn ihnen auch einzelne Schlösser und Städtchen verschlossen sein mochten.

Trotzdem würde Herr Ulrich diesen Sicherheitsbrief ohne Besinnen von der Hand gewiesen haben, hätte ihn nicht ein seltsamer Vorfall dem unzweifelhaften Urheber desselben abermals zu Dank verpflichtet. In dem Verlaufe dieser einsamen Tage war nämlich dem Junker wenigstens der Trost geworden, daß das Verhalten des Bruders zu den fröhlichsten Hoffnungen berechtigte. Unter der sorgsamen Obhut des alten Dieter schien die Wiedergenesung des Armen die überraschendsten Fortschritte zu machen, und in kurzer Frist schon wandelte er still im Schloßhofe umher, mit aufmerksamen Blicken die kriegerischen Vorkehren und Anordnungen betrachtend. Herr Ulrich brachte deshalb bald auch jede freie Stunde in seiner Gesellschaft zu, mit ängstlicher Beobachtung die Wege aufspürend, auf denen das erloschene Bewußtsein wieder zu neuem Leben zurückgeführt werden könnte, während er gerne dem lothringischen Vetter die Sorge überließ, von der Freifrau so viel möglich Furcht und lange Weile ferne zu halten. Denn je mehr Konrad wieder über seine Schwelle trat, um so vorsichtiger und ängstlicher zog sich seine Mutter in ihre Gemächer zurück, und noch nie hatte sie ihre Scheu vor dem Wahnsinnigen soweit überwinden können, ein Wort an ihn zu richten oder auch nur ihm unter die Augen zu treten. Herrn Ulrich war das nicht entgangen, aber er ließ sich nichts merken und sagte nichts, da auch Konrad nie durch irgend ein Zeichen errathen ließ, daß noch eine Spur der Erinnerung an die Mutter in seiner Seele haften geblieben sei. Und doch war das Erinnerungsvermögen des Kranken nach einer andern Seite längst deutlich wieder aufgewacht. Schon bei seinen ersten Gängen an der Schloßmauer hin hatte er die einzige Schießscharte entdeckt, die einen freien, weder von Bäumen noch Gesträuch verdeckten Ausblick nach dem Gehöfte des Schloßbauern bot, und von der Zeit an konnte er täglich stundenlang an der Stelle sitzen, mit stillen Augen nach den hohen Baumkuppen blickend, die sich mit neuem Laubschmuck begrünten. Herr Ulrich sagte leise vor sich hin, wenn er ihn an dieser Warte verweilen sah: »Du suchst vergeblich, armer Bruder; sie ist fort, verschwunden, der Himmel mag wissen wohin – gerade wie damals, als sie sich vor deiner Liebe verborgen hielt.«

Eines Abends kam Dietrich von einem seiner kleinen Erkundigungsausflügen zurück und stattete dem Junker, der sich auf dem Gemache seines Bruders befand, mit leiser Stimme die eingezogenen Berichte ab. Die Gewalthaufen des Bundesheeres, hieß es im Dorfe, zögen aus den obern Gegenden das Aarthal herab den Zürchern entgegen, die dem Regiments zu Hülfe kommen wollten; seien diese zurückgeschlagen, so gehe es an die Schlösser und Städte im Aargau, um dann bei dem Hauptangriffe auf Bern selbst freien Rücken zu haben. Der Schloßbauer, der ein mächtigs Wort führe im Kriegsrathe der Aufständischen, habe sich und seiner Schaar zum Voraus die Wegnahme der Schlösser in diesen Thälern herum ausbedungen und auch Vollmacht erhalten, mit denselben zu schalten und walten nach seinem Gutdünken. »Etwas müsse an diesen Berichten sein,« fügte der alte Dietrich hinzu; denn diesen Nachmittag sei unversehens auch des Schloßbauern Else heimgekommen und mit ihr ein bewaffneter Trupp Aufständischer, die in aller Stille drunten auf dem Nußbaumhofe Quartier bezogen hätten.

Junker Konrad hatte während dieses Berichtes mit geschlossenen Augen in seinem Lehnstuhle gesessen, ruhig eingeschlummert, wie es schien. Herr Ulrich sagte deshalb ohne weitere Beachtung: »Um so besser, wenn es einmal zu einer Entscheidung kommt – mir wird's allmälig enge in diesen Mauern. Lieb wär's mir freilich, die Freifrau wäre irgendwo sicherer aufgehoben, als es hier geschehen kann, auch wenn wir es blos mit dem Nußbaumer zu thun bekommen. Geh' du noch einmal, da der Bruder eingeschlafen ist, zum Thore und schärfe dem Posten Wachsamkeit ein für diese Nacht; ich will unterdessen auf dem obern Thurme nachsehen.«

Die Beiden verließen das Gemach, ohne die Thüre abzuschließen; aber kaum hatte Herr Ulrich die Hälfte seines beabsichtigten Weges zurückgelegt, als sein Schritt durch ein lautes Angstgeschrei festgebannt wurde. Es kam aus dem Gemache der Freifrau und es war auch ihre Stimme, die um Hülfe rief. Mit fliegenden Schritten sprang der Junker zurück und stürzte, die Stufen überspringend, die Treppe hinan; aber noch bevor er den Corridor erreicht, ließ sich auch der Hülferuf des Herrn v. Venel vernehmen, und als er näher kam, sah er bei dem Lichtscheine, der aus dem geöffneten Gemache der Freifrau drang, den Franzosen sich in ohnmächtigem Widerstande in den Armen Konrads winden. »Halt Bruder!« rief Herr Ulrich erschrocken, »was machst du da?« Aber kaum hatte er den Wahnsinnigen berührt, als dieser seinen Gegner fahren ließ und mit einem unheimlichen Lächeln in das Gemach der Freifrau zurückdeutete, die bewegungslos vor einem Stuhle hingesunken lag.

Konrad ließ sich durch den ebenfalls herbeigeeilten Dietrich ruhig auf sein Gemach zurückführen, ohne die geringste Aufregung zu verrathen; die Freifrau dagegen erlangte nur nach langen Bemühungen das Bewußtsein wieder, das ihr der tödtliche Schrecken geraubt hatte. Wie Herr v. Venel selbst mit schreckenbleichem Gesichte erzählte, waren sie Beide in ein Gespräch vertieft von der Thüre abgewendet beisammen gesessen, als sich plötzlich eine Hand auf die Schulter der Freifrau legte und diese erschrocken aufschauend in das Antlitz ihres wahnsinnigen Sohnes blicken mußte, der leise und ungehört in das Gemach getreten war.

Die Folgen dieser gewaltsamen Erschütterung traten bei der Freifrau für die gegenwärtigen Verhältnisse auf die allerbedenklichste Art zu Tage; sie wagte kaum mehr das Bett, geschweige denn das Gemach zu verlassen und wurde bei dem geringsten Geräusche von einem krampfhaften Beben erfaßt, so daß für den Fall einer Belagerung das Schlimmste zu befürchten stand. Deshalb war Herr Ulrich wirklich dankbar für den ihm wenige Tage nach dem Vorfalle zugesandten Geleitsbrief und auch augenblicklich entschlossen, von demselben Gebrauch zu machen. Schon am folgenden Morgen geleitete er die bereitwillige Mutter und den Herrn Vetter nach dem Schlosse Lenzburg, das durch seine Lage und Besatzung wenigstens auf so lange Sicherheit gewähren konnte, als das Regiment überhaupt zur Fortsetzung des Kampfes Kräfte fand. Unterwegs konnte der einsichtige Soldat sich indessen sattsam überzeugen, daß das Rebellenheer keineswegs aus untergeordneten und nur ihrer Willkür folgenden Haufen bestand, wie er es sich wohl vorgestellt hatte; vielmehr machte sich den ganzen Weg entlang die genaueste und planmäßigste Ordnung bemerkbar, wie sie nur von einer einzigen, regierenden Hand ausgehen konnte. Die Reisenden wurden von kleinen, gleichmäßig vertheilten Posten angehalten, aber auf Vorweisung ihres Geleitscheines auch sogleich und mit geziemender Achtung wieder ziehen gelassen, ohne je ein Drohwort oder auch nur eine unehrerbietige Geberde entgegennehmen zu müssen. Herr Ulrich konnte sich trotz seiner Lage eines geheimen Stolzes nicht erwehren bei diesem Anblicke, und er ließ es daher auch mit einer ruhigen Antwort bewenden, als Herr v. Venel bemerkte: »Man sieht es dieser Canaille von weitem an, daß sich die Edelleute herabgelassen, ihre Lehrmeister abzugeben. Bei uns daheim ist's anders, gnädige Frau.«

Der Junker fühlte sich nach der Rückkehr von diesem Ausfluge freier und frischer in seinem Schlosse; die Gegenwart der zwei Personen hatte ihn stets mit einem unklaren Drucke befangen, und jetzt, da er die Mutter geborgen wußte, sehnte er herzlich einen entscheidenden Schlag herbei. Hatte er zwar auf seiner kurzen Reise unabweisbar der Einsicht Raum geben müssen, daß er sich mit seinen schwachen Mitteln einem solcher Art geordneten Feinde gegenüber kaum Tage lang zu halten vermöchte, so war ihm dafür die Ueberzeugung geworden, er habe es mit einem Gegner zu thun, bei dem auch ein mannhaftes Unterliegen keine Unehre bringen könne, und das war Trostes genug für den furchtlosen Soldaten. Dagegen beschlich ihn nun unablässig eilt anderer Gedanke, der wieder geeignet war, die freie Kampfeslust einzudämmen. So lange er den Schloßbauer und seine Tochter in der Ferne gewußt, hatte er an Beide mit einem gewissen Gleichmuthe denken können; die eine befand sich nach seiner Vorstellung in wohlgeborgener Sicherheit, der andere hatte aus freien Stücken Haus und Heim verlassen und stand als offen erklärter Gegner im Felde wie tausend Andre mit und neben ihm. Aber jetzt? War sie geschützt gegen die Wechselfälle eines so zweifelhaften Kampfes in ihrem einsamen Hause? War selbst die Wache, die in demselben lag, zuverlässig und unter Umständen selbst nicht mehr Gefährde als Schirm für die Jungfrau? – Der Junker erröthete bei dem Gedanken und murmelte ein unwilliges Wort gegen den Schloßbauer, der diese Verhältnisse nicht sorgfältiger überlegt haben mochte; aber der Unwille mußte bald wieder weichen bei der weitern Frage: Und wenn er nun das Spiel vor diesen Mauern selbst beginnen will – wie, Ulrich, darf die Kugel aus dem Verstecke hervor auf den Mann zielen, der mit dem Ehrenschwerte meines Hauses umgürtet im Freien steht? Darf deine Klinge in fröhlichem Schwünge niederfahren nach ihm, der sich diesen Theil des Kampfes doch nur erwählt hat, weil er ihn aus Anhänglichkeit an unser Geschlecht keinem Andern anzuvertrauen gewagt? – Nein, Ulrich, das darfst du nicht thun – das darf nicht geschehen gegen den Vater Elsens – komme, was da wolle.

So vergingen zwischen dem Herbeisehnen und in die Ferne wünschen eines Entscheides wieder einige Tage, als Dietrich eines Abends später denn gewöhnlich von einem Ausfluge heimkehrte und erzählte, er sei wohl die Hälfte Weges nach Lenzburg hinabgegangen, ohne einen einzigen Mann der Aufständischen anzutreffen. Dort sei ihm ein vom Schlosse Lenzburg ausgeschickter Späher begegnet, der ihm berichtet habe, daß das letzte Bein im Laufe des Nachmittags abwärts gegen Mellingen gezogen sei, wo eine Hauptschlacht mit den Zürchern geschlagen werden solle. Während sie nun Beide in das kleine Wirthshaus am Walde getreten seien, um von den Leuten noch Genaueres zu erfahren, sei der Schloßbauer, nur von einem einzigen Manne begleitet, die Straße aufwärts vorbei geritten und bis zur Stunde noch nicht wieder zurückgekehrt. Der werde allem Anscheine nach die Nacht daheim zubringen wollen. »Aber stattlich sieht er aus, der Nußbaumer, mit seinem großen Schwert an der Seite,« schloß Dietrich, »recht wie ein geborener Kriegsherr; ich hätte das nimmer geglaubt.«

»Und du sagst, thalabwärts sei alle Mannschaft zurückgezogen?« entgegnete Herr Ulrich nachdenklich; »der wahrlich setzt ein gutes Vertrauen in uns. Doch vermutlich wird er nur die Else abholen wollen, um sie anderwärts in Sicherheit zu bringen – obwohl die Nacht auch nicht die geeignetste Zeit ist dazu. Es wird pressiren, denk' ich, und vielleicht der Tanz nun auch bald bei uns angehen. Drum wollen wir noch gehörig ausruhen, so lange es geht, Dietrich.«

Der Junker ging; doch an der Thüre blieb er nochmals stehen und fragte: »Hat der Lenzburger den Schloßbauer gekannt?«

»Freilich,« erwiderte Dieter, »er hat mich zuerst aufmerksam gemacht.«

»Wenn das einschlüge,« murmelte der Junker und fragte dann weiter, wer die Wacht auf dem äußern Thurme habe diese Nacht.

»Die Reihe ist am Thurmwart.«

»Geh' du selbst hin, Dietrich,« sagte der Junker, wieder umkehrend; »Konrad schläft und ich will ebenfalls hier ein wenig Schlaf suchen. Nach Mitternacht werd' ich selbst dich ablösen.«

Mitternacht nahte jedoch heran, bevor Herr Ulrich den gewünschten Schlummer finden konnte, der denn endlich als Nachhall des wachen Sinnens auch nur mit ängstlichen Träumen kam, in denen Else und ihr Vater bald in freundlichen, bald in wilden, drohenden Bildern phantastisch durcheinanderschwebten; doch lange hatten sich die Augen nicht geschlossen, als Dietrich mit dem Rufe in's Gemach stürzte: »Es brennt beim Schloßbauern – das Feuer schlägt aus drei, vier Fenstern zugleich auf, gnädiger Herr!«

»Was sagst du?« rief der Junker aufspringend; »hast du Lärm gehört dabei?«

»Lärm keinen, außer dem Prasseln des Feuers; vorher war's still, als ob die ganze Welt im tiefsten Schlafe läge.«

Die Beiden eilten aus dem Gemache auf den Hof hinunter; aber als Herr Ulrich das Thor erreichte, vor dem die flammenerhellte Nacht sich schon mit blutigrothem Scheine ergoß, hörte er die Wiesen herauf rasch aufeinander mehrere Schüsse knallen. »Es wird sein, was mir geahnt hat,« rief er mit bewegter, zorniger Stimme; »geh' zurück, Dietrich, sammle unsere Leute und mit der Hälfte komme mir nach auf den Nußbaumhof – nicht mit Musketen, mit Hallbarden – lauf, Alter, spute dich!«

Mit diesem Befehle flog er selbst die Allee hinaus, in einem Sprunge über die Straße wegsetzend und wie ein gehetztes Edelwild die Wiesen abwärts jagend; dabei bemerkte er nicht, daß noch ein Anderer lautlos hinter ihm drein stürmte, und erst als er so nahe herangekommen war, daß die tosende, prasselnde Feuergarbe mit blendendem Scheine in seine Augen drang, war es ihm, als ob ein flüchtiger Schatten an ihm vorbeihuschend den Flammen zufliege. In athemlosem Laufe achtete er nicht darauf, so wenig als er, die Hofmauer mit einem Satze überspringend, der qualmenden Gluth achtete, die ihm sinnbetäubend entgegenschlug. Aber hier drinnen stellte sich ihm ein Anblick dar, wie ihn ohne Verzagen und Entsetzen nur das an die wildesten Kriegsbilder gewöhnte Soldatenauge zu ertragen vermochte. Aus den zusammenstürzenden Scheunen drang das Angstgebrüll der Kühe und Rinder, mit seinem erschütternden Schalle den Kampflärm übertönend, der sich seitwärts von einzelnen Schüssen untermischt durch den flammenhellen Hof wälzte; und hier in der Mitte, kaum zehn Schritte vor dem Junker, bot sich eine Scene dar, die gerade durch die stumme, von keinem Laut und Ruf begleitete That wie eine gespenstische Erscheinung das Grauen der Seele wecken mußte. Auf dem flachen Dache des Steinhäuschens, in dem ehemals das stolze Hauserbe geborgen lag, erhoben sich zwei Gestalten, die, bald von einem blutigrothen Schein übergossen, bald wie wesenlose Schatten verdunkelt, sich emporrichteten und in rascher Bewegung wieder niederbeugten. Die eine schwang mit beiden Händen ein sausendes Schwert, die andere warf Steine, die sonst zum Schirme des Schindeldaches gedient, auf einen Haufen anderer Gestalten nieder, die sich bemühten, den niedrigen Dachrand zu erklimmen. Herr Ulrich mußte die Hand gegen die brennenden Augen drücken, vor denen Schatten und Licht, Gluth und Nacht wie eine rollende, quellende Fluth durcheinanderzuwogen begannen; aber als er den Blick wieder aufschlug, hatten sich zwei andere Gestalten auf das Dach geschwungen, die einander mit lautlosem Grimme umschlangen und augenblicklich ringend wieder über den jenseitigen Rand hinausstürzten. Ihrem Falle folgte ein lauter Aufschrei von oben, und erst jetzt erkannte der Junker, daß es Else war, die neben ihrem Vater stand. »Haltet ein!« schrie er mit so dröhnender Stimme, daß sie selbst das Tosen des Feuers und das Krachen der einstürzenden Balken übertönte, »haltet ein, Schurken, wenn ihr nicht des Todes sein wollt!« und mit wuchtigem Schlage sich durch die an der Mauer Stehenden Bahn brechend, faßte er mit beiden Händen nach dem Dachrande, um sich selbst hinaufzuschwingen; aber noch im Aufschwunge drang ein schrilles Krachen an sein Ohr, und als er die Zinne erreichte, stand Else allein auf derselben. Sie hatte sich vorgebeugt, um ebenfalls über den Rand zu stürzen, sank aber mit einem leiserlöschenden Wimmern in Ulrichs Arme zurück. –

 

XII.

Die ersten Strahlen der Morgensonne, die wie in Blut getaucht über den Bergen emporwallte, fanden an der Stelle, wo sie gestern Abend mit ihrem letzten Scheine die Stätten blühenden Wohlstandes umleuchtet, nur noch einen qualmenden Schutt- und Moderhaufen. Die mächtigen Nußbäume standen mit versengten Kronen rings in der Runde, wie trauernde Zeugen der Verwüstung, die sie selbst nicht lange mehr überleben wollten. Zwischen den Schutthügeln, aus denen noch da und dort eine Flamme emporzüngelte, gingen rauchgeschwärzte Männer umher, die mit langen Haken in die Kohlenhaufen stachen und sie durcheinanderwarfen, als müßten sie noch etwas auffinden in diesen traurigen Ueberresten. Aber allmälig blieb einer bei dem andern stehen und sagte den Kopf schüttelnd: »Da ist nichts – der hat sich rechtzeitig mit heiler Haut davongemacht, ich wollt' wetten drauf.« Die Meinung wurde von Andern getheilt und endlich stand die ganze Schaar müßig an ihre Haken gelehnt beisammen, mit schweigendem Grauen die Brandstätte überschauend.

»Ich will's dem Junker sagen,« begann nach langer Pause einer der Männer, »zu finden ist nichts mehr da und wir können nach Hause gehen. Dort treffen wir genug an – Gott sei es geklagt.« Dabei legte er die Hand über die Augen, aus denen unaufhaltsam Thränen in den grauen Bart zu rieseln begannen.

»Thu' das, Dieter, mir wird's ganz weh in dieser Wüste; – wenn's der Schloßbauer noch sehen könnte!«

Der Alte wendete sich langsam nach dem Steinhäuschen hinüber, um das in der Nacht mit so stummem Grimme gerungen worden. Es war der einzige Raum auf dem weiten Gehöfte, der dem Feuer getrotzt hatte, wenn auch die Mauern mit Ruß und Asche bedeckt waren. Dietrich horchte zuerst an der Thüre, dann klopfte er mit leisem Anpochen. Als sie nach innen aufging, nahm er den Hut vom grauen Haupte und blieb, die Hände faltend, stehen, ohne einen Schritt vorwärts zu wagen. Drinnen in dem Gewölbe lag auf dem Tische hingestreckt der Schloßbauer, auf dessen unbewegliches Antlitz die mattbrennende Lampe zitternde Streiflichter niederwarf. Die Arme hielt er über die breite Brust gekreuzt und darüber lag ein mächtiges Schwert, dessen Klinge in der Mitte entzweigebrochen war. Jenseits des Tisches saß, an die Mauer gelehnt, Else, die schöne Tochter des Todten, nun selbst in ihrer starren, unbeweglichen Ruhe einem erblichenen Todtenbilde ähnlicher, als einem lebenden Menschenbilde.

»Was willst du, Dietrich,« fragte Herr Ulrich, der die Thüre geöffnet hatte, leise, »habt ihr noch nichts gefunden?«

»Es ist auch nichts mehr zu finden, gnädiger Herr,« erwiderte der Alte, »wir haben den letzten Winkel durchstört. Und in die vordern Häuser, die ja schon fast zusammengebrannt waren, als wir kamen, hat er sich doch gewiß nicht geflüchtet. Dort freilich liegt der Schutt noch hoch.«

»Das hat er nicht gethan – nein; ist der Bote noch nicht zurück von Lenzburg?«

»Jemand ist vorhin die Straße aufwärts geritten – wer's war, konnte ich nicht erkennen. Vielleicht glaubte er Euch schon im Schlosse droben.«

»Ich komme, Dietrich.«

Der Junker trat zur Tochter des Schloßbauern zurück, die bisher unbeweglich dagesessen und reichte ihr schweigend die Hand entgegen. Sie erhob die ihrige langsam, wie im Traume, während sie mit den großen, thränenlosen Augen zu ihm aufblickte und um die Lippen ein leises Zucken hin- und wiederschwebte, ohne daß sie sich jedoch zu einem Laut öffnen wollten. »Wenn Ihr meiner bedürfen solltet, bevor ich wiederkomme, so schickt Ihr zu mir, armes Kind – nicht wahr?« – Sie nickte leise mit dem bleichen Gesichte und der Junker trat zur Thüre, die er hinter sich in die Angeln zog.

Ein Theil der Männer, die zwischen den Trümmern standen, folgte ihm dem Fahrweg am Bache entlang die Wiesen aufwärts. Es war ein heller Morgen voll Blüthenduftes und Sonnenscheines; aber doch still, unheimlich still in der weiten Gegend umher. Die Vögel, von dem nächtlichen Lärm und Feuerschein aus ihrer Ruhe geschreckt, flatterten noch immer ohne Sang und Klang ängstlich in den Zweigen umher und die Menschen selbst gingen schweigsam ihre Wege. Denn Schweigen ist das reinste Opfer, welches das Herz einem großen Schmerze bringt; die laute Klage kommt erst, wenn der Weihrauch dieses Erstlingsopfers schon zu Gott emporgestiegen.

Am Schloßthore angekommen, meldete dem Junker ein Bote, daß die gnädige Frau wohl schon die nächste Stunde anlangen werde. »Wie, sie kommt,« rief der Junker leise, »und der Herr von Venel?«

»Er ist weder mit der übrigen Schaar zurückgekehrt, noch ist er bis zu meinem Weggange auf Schloß Lenzburg erschienen,« antwortete der Bote.

»Und seine Begleiter – halten sie ihn für todt, oder glauben sie, er sei verwundet irgendwo liegen geblieben?«

»Nein, gnädiger Herr, um bei der Wahrheit zu bleiben; wenigstens sagte mir Einer von den Besatzungsleuten, der mit bei'm Ueberfalle auf den Nußbaumhof war, er habe den Junker fast in dem nämlichen Augenblicke, als Ihr auf dem kleinen Dache erschienen, hinter dem Häuschen über die Hofmauer hinausspringen sehen. Zwei Andere wollen das Nämliche bemerkt haben.«

»Und er war der einzige Führer der Bande?«

»Ja, gnädiger Herr, er war der Einzige. Wie ich gehört, haben sich die übrigen Offiziere der Besatzung geweigert, an dem Ausfalle Theil zu nehmen, da sie nur Ordre hätten, das Schloß zu vertheidigen. Dagegen wollten sie den Soldaten, die Lust bezeigten, nicht verwehren, mitzuziehen, besonders nicht gegen den Willen des Landvogtes.«

»Und waren denn Viele bereit zu dem Streiche? Bekamen sie besondere Löhnung?«

Der Bote schwieg und schlug die Blicke zu Boden. »Es waren an zwanzig Mann, gnädiger Herr,« sagte er nach einer Pause; »aber gut sind sie nun hintendrein nicht zu sprechen auf den Herrn v. Venel. Er habe für den Zug Jedem drei Dukaten Löhnung versprochen, denen sie nun lange nachgucken könnten, wenn nicht etwa die gnädige Frau bezahle – meinen die Leute.«

»Gut; macht mir gleich Bericht, wenn die gnädige Frau ankommen sollte.« –

Der Junker schritt langsam, mit tiefgesenktem Antlitze über den Hof und die breite Treppe hinan, an deren obersten Stufen ihm der alte Dietrich entgegentrat. »Er wird auf seinem Gemache liegen, der arme Bruder,« sagte der Junker schweraufathmend, »nicht wahr, Dietrich?«

»So still und freundlich, wie ich ihn in seinen glücklichsten Tagen nie im Schlafe habe liegen sehen,« antwortete der Alte von Neuem in Thränen ausbrechend;. »und denkt, gnädiger Herr, dies kleine Bildniß des seligen Fräulein Elisabetha hat er an einem Schnürlein auf der Brust getragen. Der Stich muß hart daneben vorbeigegangen sein.«

Herr Ulrich nahm das Bild, drückte es schweigend an die Lippen und wollte mit entblößtem Haupte in das Gemach treten, als sich vom Hofe herauf das Geräusch eines vorfahrenden Wagens vernehmen ließ. Er kehrte langsam wieder zurück, um der ankommenden Mutter entgegenzugehen; aber seine Knie zitterten, als er die Treppe hinabstieg, und das Herz zog sich in einem so dumpfen Schmerze zusammen, daß er sich am Geländer festhalten mußte, um neue Kraft und Athem zu schöpfen. Hast du den Muth, ihr sogleich Alles zu enthüllen, sprach es in ihm, wird sie es ertragen können? Ist es dir doch selbst zu schwer, Ulrich!

Wie mancher Schatten sich auch verdunkelnd zwischen Sohn und Mutter stellen mochte, so fühlte sich dieser doch tief erschüttert von ihrem Anblicke. Die sonst so lebhafte und leicht erregbare Frau trat ihm langsam und ruhig entgegen, gerade als müßte sie ihm im Bewußtsein eigener Würde ihre Ehrfurcht bezeigen; aber diese Ruhe konnte nichts anderes sein, als das krampfhafte Ringen der letzten Kraft, bevor sie zersplitternd auseinanderbrach. Davon zeugte das fahle, erstorbene Antlitz mit den halbgeschlossenen Augen und die erzitternde, brennende Hand, die sie dem Sohne entgegenbot. »Ich will ihn gleich sehen, Ulrich,« sagte sie leise, »du wirst mich zu ihm führen.«

»Ruht Euch vorher ein wenig aus, Frau Mutter,« erwiderte der Junker; »ich habe nicht gedacht, daß Ihr sobald kommen würdet. Ihr könntet Schaden nehmen davon.«

»Nein, nein, jetzt – sogleich; ich muß ihn sehen, Ulrich.«

Sie stiegen die Treppe hinan dem Gemache zu, in dem Junker Konrad auf einem schmalen, schwarzbedeckten Bette lag. Dietrich hatte Recht gehabt, er war eine schöne Leiche, das Antlitz von Ruhe und Friede überhaucht. Herr Ulrich stellte der Mutter einen Stuhl zur Rechten und ließ sich dann gegenüber zur Linken des Todten nieder.

So saßen die Beiden lange stumm auf den stillen Dritten schauend. Endlich erhob die Freifrau langsam ihre fieberheiße Hand, um sie auf die kalte Stirn des Verblichenen zu legen. »Nun, Ulrich,« sagte sie scheinbar gelassen, »erzähle mir, wie das Schreckliche gekommen ist.«

»Ich kann Euch nicht viel sagen,« erwiderte der Junker, der das Beben seiner Stimme nicht zu unterdrücken vermochte; »als die Flammenhelle vom Nußbaumhofe heraufkam, mußte Konrad durch den Lärm aufmerksam geworden sein. Ich eilte zu Hülfe, allen Andern voran; aber als ich zu der unheilvollen Brandstätte kam, sah ich schon eine Gestalt sich auf das niedrige Dach schwingen, von dem herab der Schloßbauer sein und seines Kindes Leben vertheidigte; ein Anderer schwang sich nach, um mit seinem Vorgänger sogleich nach hinten über den Rand zu stürzen. Dort haben wir, als der Kampf sich gelegt, Euern Sohn als Leiche gefunden.«

»Und wer hat ihn getödtet?«

Der Junker beugte sein Gesicht verbergend auf die vorgehaltenen Hände nieder. »Ich weiß es nicht, Mutter,« lautete leise die Antwort.

»Was dein Mund mir nicht sagen will, sagt mir meine Ahnung,« fuhr die Freifrau in ihrer todtenhaften Ruhe fort; »nun höre aber, was dir, wie ich glaube, deine Ahnung ebenfalls schon gesagt hat. Ob ich dieses vergossene Blut zu verantworten habe – der Allwissende wird richten, ich bedarf seiner Barmherzigkeit; denn den Wahnsinn deines Bruders hab' ich verschuldet, Ulrich.«

»Ja, ich hab' es geahnt, Mutter.«

»Höre mich – ich weiß nicht, wie lange meine Kraft noch halten wird zur Beichte. Der ganze Stolz meines Lebens ist der alte Glanz meines väterlichen Hauses gewesen – ich mocht' es nie vergessen, daß selbst noch königliches Blut in meinen Adern fließt. Und wie nun dieser Glanz sich verdunkeln wollte, da mußte dein Vater mir helfen, ihn aufrecht zu erhalten, und er hat es bis auf einen gewissen Punkt gethan, vielleicht nun zu deinem Schaden, Ulrich – ich glaub' es so; aber gleichwohl wär' er noch weitergegangen, würde meinen Wünschen nicht jener unglückselige Bauer entgegengetreten sein, von dem ich zugleich erfahren mußte, daß er sich zur Verwandtschaft deines Hauses zähle.«

»Und doch hat er selbst große Opfer gebracht zur Befriedigung Eurer Wünsche, Mutter!«

»Er hat sie gebracht, ich weiß es; aber nur unter der entehrenden Bedingung, daß er Kenntniß erhalte, zu welchem Zwecke seine Zuschüsse verwendet werden sollten, und dein Vater war schwach genug, ihm zu willfahren, Ulrich. Das konnt' ich nie vergessen, du darfst mir's glauben. Doch wie nun dein Vater starb, da mußt' ich darauf sehen, daß die Herrschaft bis zu meinem eigenen Tode in meinen Händen blieb – es war nur so möglich, meinen Zweck zu erreichen und das Vergangene in Dunkelheit zu vergraben. Drum war's mir auch nur hoch erwünscht, als ich bemerkte, daß Konrad, statt sich nach einer Gemahlin seines Standes umzusehen, bei der ich ihm in der Herrschaft hätte weichen müssen, seine Blicke auf die Tochter des Bauern warf. Ich nährte und unterstützte seine Leidenschaft, in der Hoffnung, er werde den Stolz des Vaters durch die Unehre der Tochter zu Schanden machen.«

»Unglückliche Frau,« stöhnte Ulrich auf, »welch eine Seelenschuld!«

»Die Schuld ist schwer, Ulrich,« fuhr sie fort; »aber sieh', die Strafe ist nicht ausgeblieben. Denn als Konrad mit den Bewerbungen, wie ich sie gewünscht, kein Gehör fand, schlug seine Leidenschaft in eine alles Andere nicht achtende Liebe um und er verlangte, die Bauerntochter als Gebieterin einzuführen in dein väterliches Haus, Ulrich.«

»Und dann, Mutter – und dann?«

»Und dann,« sagte die Freifrau mit schwerem Aufathmen und leiser, tonloser Stimme, »und dann, als er eines Abends zu mir kam mit der Drohung, er werde seine mündigen Rechte auch gegen meinen Willen zur Geltung bringen, da fuhr mir in meiner Rathlosigkeit ein Gedanke durch den Kopf, ein satanischer Gedanke, ich weiß es jetzt. Ich erinnerte Konrad an die fast erschreckende Aehnlichkeit Elsens mit meiner verstorbenen Tochter und sagte ihm, Else sei ein Kind der Unehre; aber – seine Schwester.«

»Und zum Beweise Eurer Behauptung benutztet Ihr dieses Bildniß Eures todten Kindes?« fragte Ulrich sich erhebend und das kleine Bild des Fräuleins über den Todten hinhaltend; »nicht so, Mutter?«

Die Freifrau nickte, die Augen schließend, langsam mit dem Haupte; »Konrad glaubte es und wurde wahnsinnig,« flüsterte sie mit erlöschender Stimme; »doch nun ist's genug, laß mich zu Bette bringen, Ulrich.«


Zwei Tage später traten in die Erbgruft von Hallwyl in aller Stille zwei neue Bewohner ein; neben dem geborenen Erbsohn des Hauses der bäuerliche Schwert-Erbe. Dieser hatte, von dem mordbrennerischen Ueberfall von allen Seiten umgangen, sein Kind auf das Dach des alten Familienheiligthums geflüchtet und von dort herab die andringenden Gegner mit wuchtigen Hieben zurückgetrieben; aber als er hinter seinem sich heranschwingenden Todfeinde hart angeschmiegt den Junker Konrad erkannte, ließ er die schon zum Streiche ausholende Klinge wieder sinken und beugte sich dann erschrocken über den Rand vor, um den schnell von der schmalen Zinne stürzenden Ringern nachzublicken. Da fuhr eine tödtliche Kugel durch seine Brust, und nun selbst auf das Pflaster niederstürzend, fiel er so schwer auf die alte Heldenklinge, daß sie mit schrillem Klange mitten entzweispringen mußte. – Und mit ihr war auch die Kraft des alten schweizerischen Bauernthums gebrochen, die sich bislang noch von der Erinnerung an die Großthaten der Väter genährt; denn fast zur nämlichen Stunde, in welcher der Nußbaumer zu Grabe getragen wurde, erlagen seine Mitstreiter im blutigen Kampfe bei Mellingen und Wohlenschwyl den Streichen des verbündeten Städteheeres. –

Die Zeit hat einen Balsam für jeden Menschenschmerz, und als der Frühling abermals über das Land zog, drängte sich im Schloßhofe von Hallwyl eine fröhliche Menge durcheinander. Es waren die Armen des Herrschaftsgebietes und der ganzen Thalschaft, die sich an reichlich besetzten Tischen der hochzeitlichen Freigebigkeit des Schloßherrn freuten. Als aber Herr Ulrich am Arme seiner holdseligen Braut durch die jauchzenden Schaaren schritt, blieb er plötzlich vor einem Weibe stehen, das ihn mit großen, dunkeln Augen anschaute. »Ich habe dich schon einmal gesehen hinter dem blauen Berge dort,« sagte er, »und damals hast du mir einen seltsamen Spruch gethan. Es soll dich nicht reuen, wenn du mir jetzt sagst, wie du dazu gekommen bist.«

»Ach,« erwiderte die Zigeunerin mit einem kecken Lächeln, des Sprüchleins kann ich mich noch wohl entsinnen, gnädiger Herr; ich hab' es als Kind schon aus einem alten Liede gelernt.«

»Aus einem alten Liede?« rief der Junker, »und was meinst du dazu,« flüsterte er, sich zu seiner Begleiterin neigend – »glaubst du das?«

»Ich glaube an deine Liebe, Ulrich,« antwortete Else leise, »und das ist mir genug für diese Welt.« –


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