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Wer einmal Anlaß gehabt hat, sich in der Literatur bei Ästhetikern und Psychologen zu erkundigen, welche Aufklärung über Wesen und Beziehungen des Witzes gegeben werden kann, der wird wohl zugestehen müssen, daß die philosophische Bemühung dem Witz lange nicht in dem Maße zuteil geworden ist, welches er durch seine Rolle in unserem Geistesleben verdient. Man kann nur eine geringe Anzahl von Denkern nennen, die sich eingehender mit den Problemen des Witzes beschäftigt haben. Allerdings finden sich unter den Bearbeitern des Witzes die glänzenden Namen des Dichters Jean Paul (Fr. Richter) und der Philosophen Th. Vischer, Kuno Fischer und Th. Lipps; aber auch bei diesen Autoren steht das Thema des Witzes im Hintergrunde, während das Hauptinteresse der Untersuchung dem umfassenderen und anziehenderen Probleme des Komischen zugewendet ist.
Man gewinnt aus der Literatur zunächst den Eindruck, als sei es völlig untunlich, den Witz anders als im Zusammenhange mit dem Komischen zu behandeln.
Nach Th. Lipps (Komik und Humor, 1898)Beiträge zur Ästhetik, herausgegeben von Theodor Lipps und Richard Maria Werner, VI. – Ein Buch, dem ich den Mut und die Möglichkeit verdanke, diesen Versuch zu unternehmen. ist der Witz »die durchaus subjektive Komik«, d. h. die Komik, »die wir hervorbringen, die an unserem Tun als solchem haftet, zu der wir uns durchwegs als darüberstehendes Subjekt, niemals als Objekt, auch nicht als freiwilliges Objekt verhalten« (S. 80). Erläuternd hiezu die Bemerkung: Witz heiße überhaupt »jedes bewußte und geschickte Hervorrufen der Komik, sei es der Komik der Anschauung oder der Situation« (S. 78). K. Fischer erläutert die Beziehung des Witzes zum Komischen mit Beihilfe der in seiner Darstellung zwischen beide eingeschobenen Karikatur. 14 (Über den Witz, 1889.) Gegenstand der Komik ist das Häßliche in irgendeiner seiner Erscheinungsformen: »Wo es verdeckt ist, muß es im Licht der komischen Betrachtung entdeckt, wo es wenig oder kaum bemerkt wird, muß es hervorgeholt und so verdeutlicht werden, daß es klar und offen am Tage liegt ... So entsteht die Karikatur« (S. 45). – »Unsere ganze geistige Welt, das intellektuelle Reich unserer Gedanken und Vorstellungen, entfaltet sich nicht vor dem Blicke der äußeren Betrachtung, läßt sich nicht unmittelbar bildlich und anschaulich vorstellen und enthält doch auch seine Hemmungen, Gebrechen, Verunstaltungen, eine Fülle des Lächerlichen und der komischen Kontraste. Diese hervorzuheben und der ästhetischen Betrachtung zugänglich zu machen, wird eine Kraft nötig sein, welche imstande ist, nicht bloß Objekte unmittelbar vorzustellen, sondern auf diese Vorstellungen selbst zu reflektieren und sie zu verdeutlichen: eine gedankenerhellende Kraft. Diese Kraft ist allein das Urteil. Das Urteil, welches den komischen Kontrast erzeugt, ist der Witz, er hat im stillen schon in der Karikatur mitgespielt, aber erst im Urteil erreicht er seine eigentümliche Form und das freie Gebiet seiner Entfaltung« (S. 49–50).
Wie man sieht, verlegt Lipps den Charakter, welcher den Witz innerhalb des Komischen auszeichnet, in die Betätigung, in das aktive Verhalten des Subjekts, während K. Fischer den Witz durch die Beziehung zu seinem Gegenstand, als welcher das verborgene Häßliche der Gedankenwelt gelten soll, kennzeichnet. Man kann diese Definitionen des Witzes nicht auf ihre Triftigkeit prüfen, ja man kann sie kaum verstehen, wenn man sie nicht in den Zusammenhang einfügt, aus dem gerissen sie hier erscheinen, und man stände so vor der Nötigung, sich durch die Darstellungen des Komischen bei den Autoren hindurchzuarbeiten, um von ihnen etwas über den Witz zu erfahren. Indes wird man an anderen Stellen gewahr, daß dieselben Autoren auch wesentliche und allgemein gültige Charaktere des Witzes anzugeben wissen, bei welchen von dessen Beziehung zum Komischen abgesehen ist.
Die Kennzeichnung des Witzes bei K. Fischer, die den Autor selbst am besten zu befriedigen scheint, lautet: »Der Witz ist ein spielendes Urteil« (S. 51). Zur Erläuterung dieses Ausdruckes werden wir auf die Analogie verwiesen: »wie die ästhetische Freiheit in der spielenden Betrachtung der Dinge bestand« (S. 50). An anderer Stelle (S. 20) wird das ästhetische Verhalten gegen ein Objekt durch die Bedingung charakterisiert, daß wir von diesem Objekt nichts verlangen, insbesondere keine Befriedigung unserer ernsten Bedürfnisse, sondern uns mit dem 15 Genuß der Betrachtung desselben begnügen. Das ästhetische Verhalten ist spielend im Gegensatz zur Arbeit. – »Es könnte sein, daß aus der ästhetischen Freiheit auch eine von der gewöhnlichen Fessel und Richtschnur losgelöste Art des Urteilens entspringt, die ich um ihres Ursprungs willen ›das spielende Urteil‹ nennen will, und daß in diesem Begriff die erste Bedingung, wenn nicht die ganze Formel enthalten ist, die unsere Aufgabe löst. ›Freiheit gibt Witz und Witz gibt Freiheit‹, sagt Jean Paul. ›Der Witz ist ein bloßes Spiel mit Ideen‹« (S. 24).
Von jeher liebte man es, den Witz als die Fertigkeit zu definieren, Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem, also versteckte Ähnlichkeiten zu finden. Jean Paul hat diesen Gedanken selbst witzig so ausgedrückt: »Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut.« Th. Vischer fügt die Fortsetzung an: »Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen.« Vischer wendet aber ein, daß es Witze gebe, bei denen von Vergleichung, also auch von Auffindung von Ähnlichkeit, keine Rede sei. Er definiert also den Witz mit leiser Abweichung von Jean Paul als die Fertigkeit, mit überraschender Schnelle mehrere Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus, dem sie angehören, einander eigentlich fremd sind, zu einer Einheit zu verbinden. K. Fischer hebt dann hervor, daß in einer Menge von witzigen Urteilen nicht Ähnlichkeiten, sondern Unterschiede gefunden werden, und Lipps macht darauf aufmerksam, daß sich diese Definitionen auf den Witz beziehen, den der Witzige hat, und nicht, den er macht.
Andere in gewissem Sinne miteinander verknüpfte Gesichtspunkte, die bei der Begriffsbestimmung oder Beschreibung des Witzes herangezogen wurden, sind der »Vorstellungskontrast«, »der Sinn im Unsinn«, »die Verblüffung und Erleuchtung«.
Auf den Vorstellungskontrast legen Definitionen wie die von Kraepelin den Nachdruck. Der Witz sei »die willkürliche Verbindung oder Verknüpfung zweier miteinander in irgendeiner Weise kontrastierender Vorstellungen, zumeist durch das Hilfsmittel der sprachlichen Assoziation«. Es wird einem Kritiker wie Lipps nicht schwer, die völlige Unzulänglichkeit dieser Formel aufzudecken, aber er selbst schließt das Moment des Kontrastes nicht aus, sondern verschiebt es nur an eine andere Stelle. »Der Kontrast bleibt bestehen, aber er ist nicht so oder so gefaßter Kontrast der mit den Worten verbundenen Vorstellungen, 16 sondern Kontrast oder Widerspruch der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte« (1898, S. 87). Beispiele erläutern, wie letzteres verstanden werden soll. »Ein Kontrast entsteht erst dadurch, daß ... wir seinen Worten eine Bedeutung zugestehen, die wir ihnen dann doch wieder nicht zugestehen können« (S. 90).
In der Weiterentwicklung dieser letzten Bestimmung kommt der Gegensatz von »Sinn und Unsinn« zur Bedeutung. »Was wir einen Moment für sinnvoll nehmen, steht als völlig sinnlos vor uns. Darin besteht in diesem Falle der komische Prozeß« ... »Witzig erscheint eine Aussage, wenn wir ihr eine Bedeutung mit psychologischer Notwendigkeit zuschreiben, und indem wir sie ihr zuschreiben, sofort auch wiederum absprechen. Dabei kann unter der Bedeutung verschiedenes verstanden sein. Wir leihen einer Aussage einen Sinn und wissen, daß er ihr logischerweise nicht zukommen kann. Wir finden in ihr eine Wahrheit, die wir dann doch wiederum den Gesetzen der Erfahrung oder allgemeinen Gewohnheiten unseres Denkens zufolge nicht darin finden können. Wir gestehen ihr eine über ihren wahren Inhalt hinausgehende logische oder praktische Folge zu, um eben diese Folge zu verneinen, sobald wir die Beschaffenheit der Aussage für sich ins Auge fassen. In jedem Falle besteht der psychologische Prozeß, den die witzige Aussage in uns hervorruft und auf dem das Gefühl der Komik beruht, in dem unvermittelten Übergang von jenem Leihen, Fürwahrhalten, Zugestehen, zum Bewußtsein oder Eindruck relativer Nichtigkeit« (S. 85).
So eindringlich diese Auseinandersetzung klingt, so möchte man hier doch die Frage aufwerfen, ob der Gegensatz des Sinnvollen und Sinnlosen, auf dem das Gefühl der Komik beruht, auch zur Begriffsbestimmung des Witzes, insofern er vom Komischen unterschieden ist, beiträgt.
Auch das Moment der »Verblüffung und Erleuchtung« führt tief in das Problem der Relation des Witzes zur Komik hinein. Kant sagt vom Komischen überhaupt, es sei eine merkwürdige Eigenschaft desselben, daß es uns nur für einen Moment täuschen könne. Heymans (1896) führt aus, wie die Wirkung eines Witzes durch die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung zustande komme. Er erläutert seine Meinung an einem prächtigen Witz von Heine, der eine seiner Figuren, den armen Lotteriekollekteur Hirsch-Hyacinth, sich rühmen läßt, der große Baron Rothschild habe ihn ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär 17 behandelt. Hier erscheine das Wort, welches der Träger des Witzes ist, zunächst einfach als eine fehlerhafte Wortbildung, als etwas Unverständliches, Unbegreifliches, Rätselhaftes. Dadurch verblüffe es. Die Komik ergebe sich aus der Lösung der Verblüffung, aus dem Verständnis des Wortes. Lipps (1898, S. 95) ergänzt hiezu, daß diesem ersten Stadium der Erleuchtung, das verblüffende Wort bedeute dies und jenes, ein zweites Stadium folgt, in dem man einsehe, dies sinnlose Wort habe uns verblüfft und dann den guten Sinn ergeben. Erst diese zweite Erleuchtung, die Einsicht, daß ein nach gemeinem Sprachgebrauch sinnloses Wort das ganze verschuldet habe, diese Auflösung in Nichts, erzeuge erst die Komik.
Ob die eine oder die andere dieser beiden Auffassungen uns einleuchtender erscheinen möge, durch die Erörterungen über Verblüffung und Erleuchtung werden wir einer bestimmten Einsicht näher gebracht. Wenn nämlich die komische Wirkung des Heineschen famillionär auf der Auflösung des scheinbar sinnlosen Wortes beruht, so ist wohl der »Witz« in die Bildung dieses Wortes und in den Charakter des so gebildeten Wortes zu versetzen.
Außer allem Zusammenhang mit den zuletzt behandelten Gesichtspunkten wird eine andere Eigentümlichkeit des Witzes als wesentlich für ihn von allen Autoren anerkannt. »Kürze ist der Körper und die Seele des Witzes, ja er selbst«, sagt Jean Paul (1804, II. Teil, § 42) und modifiziert damit nur eine Rede des alten Schwätzers Polonius in Shakespeares Hamlet (II. Akt, 2. Szene):
»Weil Kürze dann des Witzes Seele ist,
Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat,
Fass' ich mich kurz.«
(Schlegelsche Übersetzung.)
Bedeutsam ist dann die Schilderung der Kürze des Witzes bei Lipps (1898, S. 90). »Der Witz sagt, was er sagt, nicht immer in wenig, aber immer in zu wenig Worten, d. h. in Worten, die nach strenger Logik oder gemeiner Denk- und Redeweise dazu nicht genügen. Er kann es schließlich geradezu sagen, indem er es verschweigt.«
»Daß der Witz etwas Verborgenes oder Verstecktes hervorholen müsse« (K. Fischer, 1889, S. 51), wurde uns schon bei der Zusammenstellung des Witzes mit der Karikatur gelehrt. Ich hebe diese Bestimmung nochmals hervor, weil auch sie mehr mit dem Wesen des Witzes als mit seiner Zugehörigkeit zur Komik zu tun hat.
18 Ich weiß wohl, daß die vorstehenden kümmerlichen Auszüge aus den Arbeiten der Autoren über den Witz dem Werte dieser Arbeiten nicht gerecht werden können. Infolge der Schwierigkeiten, welche einer von Mißverständnis freien Wiedergabe so komplizierter und fein nuancierter Gedankengänge entgegenstehen, kann ich den Wißbegierigen die Mühe nicht ersparen, sich die gewünschte Belehrung an den ursprünglichen Quellen zu holen. Aber ich weiß nicht, ob sie von ihr voll befriedigt zurückkehren würden. Die von den Autoren angegebenen und im vorigen zusammengestellten Kriterien und Eigenschaften des Witzes – die Aktivität, die Beziehung zum Inhalt unseres Denkens, der Charakter des spielenden Urteils, die Paarung des Unähnlichen, der Vorstellungskontrast, der »Sinn im Unsinn«, die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung, das Hervorholen des Versteckten und die besondere Art von Kürze des Witzes – erscheinen uns zwar auf den ersten Blick als so sehr zutreffend und so leicht an Beispielen erweisbar, daß wir nicht in die Gefahr geraten können, den Wert solcher Einsichten zu unterschätzen, aber es sind disiecta membra, die wir zu einem organisch Ganzen zusammengefügt sehen möchten. Sie tragen schließlich zur Kenntnis des Witzes nicht mehr bei als etwa eine Reihe von Anekdoten zur Charakteristik einer Persönlichkeit, über welche wir eine Biographie beanspruchen dürfen. Es fehlt uns völlig die Einsicht in den vorauszusetzenden Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen, etwa was die Kürze des Witzes mit seinem Charakter als spielendes Urteil zu schaffen haben kann, und ferner die Aufklärung, ob der Witz allen diesen Bedingungen genügen muß, um ein richtiger Witz zu sein, oder nur einzelnen darunter, und welche dann durch andere vertretbar, welche unerläßlich sind. Auch eine Gruppierung und Einteilung der Witze auf Grund ihrer als wesentlich hervorgehobenen Eigenschaften würden wir wünschen. Die Einteilung, welche wir bei den Autoren finden, stützt sich einerseits auf die technischen Mittel, anderseits auf die Verwendung des Witzes in der Rede (Klangwitz, Wortspiel – karikierender, charakterisierender Witz, witzige Abfertigung).
Wir wären also nicht in Verlegenheit, einer weiteren Bemühung zur Aufklärung des Witzes ihre Ziele zu weisen. Um auf Erfolg rechnen zu können, müßten wir entweder neue Gesichtspunkte in die Arbeit eintragen oder durch Verstärkung unserer Aufmerksamkeit und Vertiefung unseres Interesses weiter einzudringen versuchen. Wir können uns 19 vorsetzen, es wenigstens an dem letzteren Mittel nicht fehlen zu lassen. Es ist immerhin auffällig, wie wenig Beispiele von als solchen anerkannten Witzen den Autoren für ihre Untersuchungen genügen und wie ein jeder die nämlichen von seinen Vorgängern übernimmt. Wir dürfen uns der Verpflichtung nicht entziehen, dieselben Beispiele zu analysieren, die bereits den klassischen Autoren über den Witz gedient haben, aber wir beabsichtigen, uns außerdem an neues Material zu wenden, um eine breitere Unterlage für unsere Schlußfolgerungen zu gewinnen. Es liegt dann nahe, daß wir solche Beispiele von Witz zu Objekten unserer Untersuchung nehmen, die uns selbst im Leben den größten Eindruck gemacht und uns am ausgiebigsten lachen gemacht haben.
Ob das Thema des Witzes solcher Bemühung wert ist? Ich meine, daran ist nicht zu zweifeln. Wenn ich von persönlichen, während der Entwicklung dieser Studien aufzudeckenden Motiven absehe, die mich drängen, Einsicht in die Probleme des Witzes zu gewinnen, kann ich mich auf die Tatsache des intimen Zusammenhanges alles seelischen Geschehens berufen, welche einer psychologischen Erkenntnis auch auf einem entlegenen Gebiet einen im vorhinein nicht abschätzbaren Wert für andere Gebiete zusichert. Man darf auch daran mahnen, welch eigentümlichen, geradezu faszinierenden Reiz der Witz in unserer Gesellschaft äußert. Ein neuer Witz wirkt fast wie ein Ereignis von allgemeinstem Interesse; er wird wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen. Selbst bedeutende Männer, die es für mitteilenswert halten, wie sie geworden sind, welche Städte und Länder sie gesehen und mit welchen hervorragenden Menschen sie verkehrt haben, verschmähen es nicht, in ihre Lebensbeschreibung aufzunehmen, diese und jene vortrefflichen Witze hätten sie gehörtJ. v. Falke, Lebenserinnerungen, 1897..
Wir folgen einem Winke des Zufalls und greifen das erste Witzbeispiel auf, das uns im vorigen Abschnitt entgegengetreten ist.
In dem Stück der Reisebilder, welches ›Die Bäder von Lucca‹ betitelt ist, führt H. Heine die köstliche Gestalt des Lotteriekollekteurs und Hühneraugenoperateurs Hirsch-Hyacinth aus Hamburg auf, der sich gegen den Dichter seiner Beziehungen zum reichen Baron Rothschild berühmt und zuletzt sagt: Und so wahr mir Gott alles Gute geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild und er behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär.
An diesem als ausgezeichnet anerkannten und sehr lachkräftigen Beispiel haben Heymans und Lipps die Ableitung der komischen Wirkung des Witzes aus der »Verblüffung und Erleuchtung« (s. oben) erläutert. Wir aber lassen diese Frage beiseite und stellen uns die andere: was es denn ist, was die Rede des Hirsch-Hyacinth zu einem Witze macht? Es könnte nur zweierlei sein; entweder ist es der in dem Satz ausgedrückte Gedanke, der den Charakter des Witzigen an sich trägt, oder der Witz haftet an dem Ausdruck, den der Gedanke in dem Satz gefunden hat. Auf welcher Seite sich uns der Witzcharakter zeigt, dort wollen wir ihn weiter verfolgen und versuchen, seiner habhaft zu werden.
Ein Gedanke kann ja im allgemeinen in verschiedenen sprachlichen Formen – in Worten also – zum Ausdruck gebracht werden, die ihn gleich zutreffend wiedergeben mögen. In der Rede des Hirsch-Hyacinth liegt uns nun eine bestimmte Ausdrucksform eines Gedankens vor und, wie uns ahnt, eine besonders eigentümliche, nicht diejenige, welche am leichtesten verständlich ist. Versuchen wir, denselben Gedanken möglichst getreulich in anderen Worten auszudrücken. Lipps hat dies bereits getan und damit die Fassung des Dichters gewissermaßen erläutert. Er sagt (1898, S. 87): »Wir verstehen, daß Heine sagen will, die Aufnahme sei eine familiäre gewesen, nämlich von der bekannten Art, die 21 durch den Beigeschmack des Millionärtums an Annehmlichkeiten nicht zu gewinnen pflegt.« Wir verändern nichts an diesem Sinn, wenn wir eine andere Fassung annehmen, die sich vielleicht besser in die Rede des Hirsch-Hyacinth einfügt: »Rothschild behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz familiär, d. h. soweit ein Millionär das zustande bringt.« »Die Herablassung eines reichen Mannes hat immer etwas Mißliches für den, der sie an sich erfährt«, würden wir noch hinzusetzenDerselbe Witz wird uns noch an anderer Stelle beschäftigen, und dort werden wir Anlaß finden, an der von Lipps gegebenen Übertragung desselben, der sich die unsrige anschließt, eine Korrektur vorzunehmen, welche aber die hier nachfolgenden Erörterungen nicht zu stören vermag..
Ob wir nun bei dieser oder einer anderen gleichwertigen Textierung des Gedankens verbleiben, wir sehen, daß die Frage, welche wir uns vorgelegt haben, bereits entschieden ist. Der Witzcharakter haftet in diesem Beispiel nicht am Gedanken. Es ist eine richtige und scharfsinnige Bemerkung, die Heine seinem Hirsch-Hyacinth in den Mund legt, eine Bemerkung von unverkennbarer Bitterkeit, wie sie bei dem armen Manne angesichts so großen Reichtums leicht begreiflich ist, aber wir würden uns nicht getrauen, sie witzig zu heißen. Meinte nun jemand, der bei der Übertragung die Erinnerung an die Fassung des Dichters nicht loszuwerden vermag, der Gedanke sei doch auch an sich witzig, so können wir ja auf ein sicheres Kriterium des bei der Übertragung verlorengegangenen Witzcharakters verweisen. Die Rede des Hirsch-Hyacinth machte uns laut lachen, die sinngetreue Übertragung derselben nach Lipps oder in unserer Fassung mag uns gefallen, zum Nachdenken anregen, aber zum Lachen bringen kann sie uns nicht.
Wenn aber der Witzcharakter unseres Beispiels nicht dem Gedanken anhaftet, so ist er in der Form, im Wortlaut seines Ausdruckes zu suchen. Wir brauchen nur die Besonderheit dieser Ausdrucksweise zu studieren, um zu erfassen, was man als die Wort- oder Ausdruckstechnik dieses Witzes bezeichnen kann und was in inniger Beziehung zu dem Wesen des Witzes stehen muß, da Charakter und Wirkung des Witzes mit dessen Ersetzung durch anderes verschwinden. Wir befinden uns übrigens in voller Übereinstimmung mit den Autoren, wenn wir soviel Wert auf die sprachliche Form des Witzes legen. So z. B. sagt K. Fischer (1889, S. 72): »Es ist zunächst die bloße Form, die das Urteil zum Witz macht, und man wird hier an ein Wort Jean Pauls erinnert, welches eben diese Natur des Witzes in demselben Ausspruche erklärt und 22 beweist: ›So sehr sieget die bloße Stellung, es sei der Krieger oder der Sätze.‹«
Worin besteht nun die »Technik« dieses Witzes? Was ist mit dem Gedanken etwa in unserer Fassung vorgegangen, bis aus ihm der Witz wurde, über den wir so herzlich lachen? Zweierlei, wie die Vergleichung unserer Fassung mit dem Text des Dichters lehrt. Erstens hat eine erhebliche Verkürzung stattgefunden. Wir mußten, um den im Witz enthaltenen Gedanken voll auszudrücken, an die Worte »R. behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz familiär«, einen Nachsatz anfügen, der aufs kürzeste eingeengt lautete: d. h. soweit ein Millionär das zustande bringt, und dann fühlten wir erst noch das Bedürfnis nach einem erläuternden ZusatzGanz ähnliches gilt für die Übertragung von Lipps.. Beim Dichter heißt es weit kürzer:
»R. behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär.«
Die ganze Einschränkung, die der zweite Satz an den ersten anfügt, welcher die familiäre Behandlung konstatiert, ist im Witze verlorengegangen.
Aber doch nicht ganz ohne einen Ersatz, aus dem man sie rekonstruieren kann. Es hat auch noch eine zweite Abänderung stattgefunden. Das Wort »familiär« im witzlosen Ausdruck des Gedankens ist im Text des Witzes zu »famillionär« umgewandelt worden, und ohne Zweifel hängt gerade an diesem Wortgebilde der Witzcharakter und der Lacheffekt des Witzes. Das neugebildete Wort deckt sich in seinem Anfang mit dem »familiär« des ersten, in seinen auslautenden Silben mit dem »Millionär« des zweiten Satzes, es vertritt gleichsam den einen Bestandteil »Millionär« aus dem zweiten Satze, infolgedessen den ganzen zweiten Satz, und setzt uns auf diese Weise in den Stand, den im Text des Witzes ausgelassenen zweiten Satz zu erraten. Es ist als ein Mischgebilde aus den zwei Komponenten »familiär« und »Millionär« zu beschreiben, und man wäre versucht, sich seine Entstehung aus diesen beiden Worten graphisch zu veranschaulichenDie beiden Worten gemeinsamen Silben sind hier fett gedruckt im Gegensatz zu den verschiedenen Typen der besonderen Bestandteile beider Worte. Das zweite l, welches in der Aussprache kaum zur Geltung kommt, durfte natürlich übergangen werden. Es ist naheliegend, daß die Übereinstimmung der beiden Worte in mehreren Silben der Witztechnik den Anlaß zur Herstellung des Mischwortes bietet..
FAMILI ÄR |
MILIONÄR |
|
FAMILIONÄR |
23 Den Vorgang aber, welcher den Gedanken in den Witz übergeführt hat, kann man sich in folgender Weise darstellen, die zunächst recht phantastisch erscheinen mag, aber nichtsdestoweniger genau das wirklich vorhandene Ergebnis liefert:
»R. behandelte mich ganz familiär,
d. h. soweit ein Millionär es zustande bringt.«
Nun denke man sich eine zusammendrängende Kraft auf diese Sätze einwirken und nehme an, daß der Nachsatz aus irgendeinem Grunde der weniger resistente sei. Dieser wird dann zum Schwinden gebracht werden, der bedeutsame Bestandteil desselben, das Wort »Millionär«, welches sich gegen die Unterdrückung zu sträuben vermag, wird gleichsam an den ersten Satz angepreßt, mit dem ihm so sehr ähnlichen Element dieses Satzes »familiär« verschmolzen, und gerade diese zufällig gegebene Möglichkeit, das Wesentliche des zweiten Satzes zu retten, wird den Untergang der anderen unwichtigeren Bestandteile begünstigen. So entsteht dann der Witz:
»R. behandelte mich ganz famili on är.«
/ \
(mili) (är)
Abgesehen von solcher zusammendrängenden Kraft, die uns ja unbekannt ist, dürfen wir den Hergang der Witzbildung, also die Witztechnik dieses Falles, beschreiben als eine Verdichtung mit Ersatzbildung, und zwar besteht in unserem Beispiel die Ersatzbildung in der Herstellung eines Mischwortes. Dieses Mischwort »famillionär«, an sich unverständlich, in dem Zusammenhange, in dem es steht, sofort verstanden und als sinnreich erkannt, ist nun der Träger der zum Lachen zwingenden Wirkung des Witzes, deren Mechanismus uns allerdings durch die Aufdeckung der Witztechnik in keiner Weise nähergebracht wird. Inwiefern kann ein sprachlicher Verdichtungsvorgang mit Ersatzbildung durch ein Mischwort uns Lust schaffen und zum Lachen nötigen? Wir merken, dies ist ein anderes Problem, dessen Behandlung wir aufschieben dürfen, bis wir einen Zugang zu ihm gefunden haben. Vorläufig werden wir bei der Technik des Witzes bleiben.
Unsere Erwartung, daß die Technik des Witzes für die Einsicht in das Wesen desselben nicht gleichgültig sein könne, veranlaßt uns zunächst zu forschen, ob es noch andere Witzbeispiele gibt, die wie Heines »famillionär« gebaut sind. Es gibt deren nun nicht sehr viele, aber immerhin genug, um eine kleine Gruppe, die durch die Mischwortbildung 24 charakterisiert ist, aufzustellen. Heine selbst hat aus dem Worte Millionär einen zweiten Witz gezogen, sich gleichsam selbst kopiert, indem er von einem »Millionarr« spricht (›Ideen‹, Kapitel XIV), was eine durchsichtige Zusammenziehung von Millionär und Narr ist und ganz ähnlich wie das erste Beispiel einen unterdrückten Nebengedanken zum Ausdruck bringt.
Andere Beispiele, die mir bekannt geworden sind: Die Berliner heißen einen gewissen Brunnen in ihrer Stadt, dessen Errichtung dem Oberbürgermeister Forckenbeck viel Ungnade zugezogen hat, das »Forckenbecken«, und dieser Bezeichnung ist der Witz nicht abzusprechen, wenngleich das Wort »Brunnen« erst eine Wandlung in das ungebräuchliche »Becken« erfahren mußte, um mit dem Namen in einem Gemeinsamen zusammenzutreffen. – Der böse Witz Europas hatte einst einen Potentaten aus Leopold in Cleopold umgetauft wegen seiner damaligen Beziehungen zu einer Dame mit dem Vornamen Cleo, eine unzweifelhafte Verdichtungsleistung, die nun mit dem Aufwand eines einzigen Buchstabens eine ärgerliche Anspielung immer frisch erhält. – Eigennamen verfallen überhaupt leicht dieser Bearbeitung der Witztechnik: In Wien gab es zwei Brüder, namens Salinger, von denen einer Börsensensal war. Das gab die Handhabe, den einen Bruder Sensalinger zu nennen, während für den anderen zur Unterscheidung die unliebenswürdige Bezeichnung Scheusalinger in Aufnahme kam. Es war bequem und gewiß witzig; ich weiß nicht, ob es berechtigt war. Der Witz pflegt danach nicht viel zu fragen.
Folgender Verdichtungswitz wurde mir erzählt: Ein junger Mann, der bisher in der Fremde ein heiteres Leben geführt, besucht nach längerer Abwesenheit einen hier wohnenden Freund, der nun mit Überraschung den Ehering an der Hand des Besuchers bemerkt. Was? ruft er aus, Sie sind verheiratet? Ja, lautet die Antwort: Trauring, aber wahr. Der Witz ist vortrefflich; in dem Worte »Trauring« kommen die beiden Komponenten, das Wort: Ehering in Trauring gewandelt und der Satz: Traurig, aber wahr, zusammen.
Es tut der Wirkung des Witzes hier keinen Eintrag, daß das Mischwort eigentlich nicht ein unverständliches, sonst nicht existenzfähiges Gebilde ist wie »famillionär«, sondern sich vollkommen mit dem einen der beiden verdichteten Elemente deckt.
Zu einem Witz, der wiederum dem »famillionär« ganz analog ist, habe ich selbst im Gespräche unabsichtlich das Material geliefert. Ich erzählte 25 einer Dame von den großen Verdiensten eines Forschers, den ich für einen mit Unrecht Verkannten halte. »Aber der Mann verdient doch ein Monument«, meinte sie. »Möglich, daß er es einmal bekommen wird«, antwortete ich, »aber momentan ist sein Erfolg sehr gering.« »Monument« und »momentan« sind Gegensätze. Die Dame vereinigt nun die Gegensätze: Also wünschen wir ihm einen monumentanen Erfolg.
Einer vortrefflichen Bearbeitung des gleichen Themas in englischer Sprache (A. A. Brill, ›Freud's Theory of Wit‹, 1911) verdanke ich einige fremdsprachige Beispiele, die den gleichen Mechanismus der Verdichtung zeigen wie unser »famillionär«.
Der englische Autor de Quincey, erzählt Brill, hat irgendwo die Bemerkung gemacht, daß alte Leute dazu neigen, in »anecdotage« zu verfallen. Das Wort ist zusammengeschmolzen aus den sich teilweise überdeckenden
anecdote | ||
und | dotage (kindisches Gefasel). |
In einer anonymen kurzen Geschichte fand Brill einmal die Weihnachtszeit bezeichnet als »the alcoholidays«. Die gleiche Verschmelzung aus
alcohol | ||
und | holidays (Festtage). |
Als Flaubert seinen berühmten Roman Salammbo, der im alten Karthago spielt, veröffentlicht hatte, verspottete ihn Sainte-Beuve als Carthaginoiserie wegen seiner peinlichen Detailmalerei:
Carthaginois | ||
chinoiserie. |
Das vorzüglichste Witzbeispiel dieser Gruppe hat einen der ersten Männer Österreichs zum Urheber, der nach bedeutsamer wissenschaftlicher und öffentlicher Tätigkeit nun ein oberstes Amt im Staate bekleidet. Ich habe mir die Freiheit genommen, die Witze, die dieser Person zugeschrieben werden und in der Tat alle das gleiche Gepräge tragen, als Material für diese Untersuchungen zu verwendenOb ich ein Recht dazu habe? Ich bin wenigstens nicht durch eine Indiskretion zur Kenntnis dieser Witze gekommen, die in dieser Stadt (Wien) allgemein bekannt sind und in jedermanns Munde gefunden werden. Eine Anzahl derselben hat Ed. Hanslick in der Neuen Freien Presse und in seiner Autobiographie der Öffentlichkeit übergeben. Für die bei mündlicher Tradition kaum vermeidlichen Entstellungen, die etwa die anderen betroffen hätten, bitte ich um Entschuldigung., vor allem darum, weil es schwergehalten hätte, sich ein besseres zu verschaffen.
26 Herr N. wird eines Tages auf die Person eines Schriftstellers aufmerksam gemacht, der durch eine Reihe von wirklich langweiligen Aufsätzen bekannt geworden ist, welche er in einer Wiener Tageszeitung veröffentlicht hat. Die Aufsätze behandeln durchweg kleine Episoden aus den Beziehungen des ersten Napoleon zu Österreich. Der Verfasser ist rothaarig. Herr N. fragt, sobald er den Namen gehört hat: »Ist das nicht der rote Fadian, der sich durch die Geschichte der Napoleoniden zieht?«
Um die Technik dieses Witzes zu finden, müssen wir auf ihn jenes Reduktionsverfahren anwenden, welches den Witz durch Änderung des Ausdruckes aufhebt und dafür den ursprünglichen vollen Sinn wieder einsetzt, wie er sich aus einem guten Witz mit Sicherheit erraten läßt. Der Witz des Herrn N. vom roten Fadian ist aus zwei Komponenten hervorgegangen, aus einem absprechenden Urteil über den Schriftsteller und aus der Reminiszenz an das berühmte Gleichnis, mit welchem Goethe die Auszüge: ›Aus Ottiliens Tagebuche‹ in den Wahlverwandtschaften einleitet»Wir hören von einer besonderen Einrichtung in der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der Krone gehören. Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet.« (20. Band der Sophien-Ausgabe, S. 212.). Die unmutige Kritik mag gelautet haben: Das also ist der Mensch, der ewig und immer wieder nur langweilige Feuilletons über Napoleon in Österreich zu schreiben weiß! Diese Äußerung ist nun gar nicht witzig. Auch der schöne Vergleich Goethes ist kein witziger und ganz gewiß nicht geeignet, uns zum Lachen zu bringen. Erst wenn diese beiden in Beziehung zueinander gesetzt werden und dem eigentümlichen Verdichtungs- und Verschmelzungsprozeß unterliegen, entsteht ein Witz, und zwar von erstem RangeWie wenig diese regelmäßig zu wiederholende Beobachtung mit der Behauptung stimmt, der Witz sei ein spielendes Urteil, brauche ich nur anzudeuten..
Die Verknüpfung zwischen dem schimpflichen Urteil über den langweiligen Geschichtschreiber und dem schönen Gleichnis in den Wahlverwandtschaften muß sich aus Gründen, die ich hier noch nicht verständlich machen kann, auf weniger einfache Weise hergestellt haben als in vielen ähnlichen Fällen. Ich werde es versuchen, den vermutlichen 27 wirklichen Hergang durch folgende Konstruktion zu ersetzen. Zunächst mag das Element der beständigen Wiederkehr desselben Themas bei Herrn N. eine leise Reminiszenz an die bekannte Stelle der Wahlverwandtschaften geweckt haben, die ja zumeist fälschlich mit dem Wortlaut »es zieht sich wie ein roter Faden« zitiert wird. Der »rote Faden« des Gleichnisses übt nun eine verändernde Wirkung auf den Ausdruck des ersten Satzes aus, infolge des zufälligen Umstandes, daß auch der Geschmähte rot, nämlich rothaarig ist. Es mag nun gelautet haben: Also dieser rote Mensch ist es, der die langweiligen Feuilletons über Napoleon schreibt. Nun griff der Prozeß ein, der die Verdichtung beider Stücke zu einem bezweckte. Unter dem Drucke desselben, der in der Gleichheit des Elements »rot« den ersten Stützpunkt gefunden hatte, assimilierte sich das »langweilig« dem »Faden« und verwandelte sich in »fad«, und nun konnten die beiden Komponenten verschmelzen zu dem Wortlaut des Witzes, an welchem diesmal das Zitat fast mehr Anteil hat als das gewiß ursprünglich allein vorhandene schmähende Urteil.
»Also dieser | rote Mensch ist es, der das | fade Zeug über N. schreibt. |
Der | rote | Faden, der sich durch alles hindurchzieht. |
|
||
Ist das nicht der rote Fadian, der sich durch die Geschichte der N. zieht?« |
Eine Rechtfertigung, aber auch eine Korrektur dieser Darstellung werde ich in einem späteren Abschnitt geben, wenn ich diesen Witz von anderen als bloß formalen Gesichtspunkten her analysieren darf. Was immer aber an ihr zweifelhaft sein möge, die Tatsache, daß hier eine Verdichtung vorgefallen ist, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Das Ergebnis der Verdichtung ist einerseits wiederum eine erhebliche Verkürzung, anderseits anstatt einer auffälligen Mischwortbildung vielmehr eine Durchdringung der Bestandteile beider Komponenten. »Roter Fadian« wäre immerhin als bloßes Schimpfwort existenzfähig; es ist in unserem Falle sicherlich ein Verdichtungsprodukt.
Wenn nun an dieser Stelle zuerst ein Leser unwillig würde über eine Betrachtungsweise, die ihm das Vergnügen am Witz zu zerstören droht, ohne ihm aber die Quelle dieses Vergnügens aufklären zu können, so würde ich ihn zunächst um Geduld bitten. Wir stehen erst bei der Technik des Witzes, deren Untersuchung ja auch Aufschlüsse verspricht, wenn wir sie erst weit genug ausgedehnt haben.
Wir sind durch die Analyse des letzten Beispiels vorbereitet darauf, 28 daß, wenn wir dem Verdichtungsvorgang noch in anderen Beispielen begegnen, der Ersatz des Unterdrückten nicht in einer Mischwortbildung, sondern auch in einer anderen Abänderung des Ausdrucks gegeben sein könne. Worin dieser andersartige Ersatz bestehen mag, wollen wir aus anderen Witzen des Herrn N. lernen.
»Ich bin tête-à-bête mit ihm gefahren.« Nichts leichter als diesen Witz zu reduzieren. Offenbar kann es dann nur heißen: Ich bin tête-à-tête mit dem X. gefahren, und der X. ist ein dummes Vieh.
Keiner der beiden Sätze ist witzig. Oder in einen Satz zusammengezogen: Ich bin tête-à-tête mit dem dummen Vieh von X. gefahren, was ebensowenig witzig ist. Der Witz stellt sich erst her, wenn das »dumme Vieh« weggelassen wird und zum Ersatz dafür das eine tête sein t in b verwandelt, mit welcher geringen Modifikation das erst unterdrückte »Vieh« doch wieder zum Ausdruck gelangt. Man kann die Technik dieser Gruppe von Witzen beschreiben als Verdichtung mit leichter Modifikation und ahnt, daß der Witz um so besser sein wird, je geringfügiger die Modifikation ausfällt.
Ganz ähnlich, obwohl nicht unkompliziert, ist die Technik eines anderen Witzes. Herr N. sagt im Wechselgespräch über eine Person, an der manches zu rühmen und vieles auszusetzen ist: »Ja, die Eitelkeit ist eine seiner vier Achillesfersen.«Dasselbe Witzwort soll schon vorher von H. Heine auf Alfred de Musset geprägt worden sein. Die leichte Modifikation besteht hier darin, daß anstatt der einen Achillesferse, die man ja auch beim Helden zugestehen muß, deren vier behauptet werden. Vier Fersen, also vier Füße hat aber nur das Vieh. Somit haben die beiden im Witz verdichteten Gedanken gelautet: »Y. ist bis auf seine Eitelkeit ein hervorragender Mensch; aber ich mag ihn doch nicht, er ist doch eher ein Vieh als ein Mensch.«Eine der Komplikationen der Technik dieses Beispiels liegt darin, daß die Modifikation, durch welche sich die ausgelassene Schmähung ersetzt, als Anspielung auf diese letztere zu bezeichnen ist, da sie erst über einen Schlußprozeß zu ihr hinführt. Ober ein anderes Moment, welches hier die Technik kompliziert, s. unten.
Ähnlich, nur viel einfacher, ist ein anderer Witz, den ich in einem Familienkreise in statu nascendi zu hören bekam. Von zwei Brüdern, Gymnasiasten, ist der eine ein vortrefflicher, der andere ein recht mittelmäßiger Schüler. Nun passiert auch dem Musterknaben einmal ein Unfall in der Schule, den die Mutter zur Sprache bringt, um der Besorgnis Ausdruck zu geben, das Ereignis könne den Anfang einer dauernden Verschlechterung bedeuten. Der bisher durch seinen Bruder verdunkelte 29 Knabe greift diesen Anlaß bereitwillig auf. Ja, sagt er, Karl geht auf allen Vieren zurück.
Die Modifikation besteht hier in einem kleinen Zusatz zur Versicherung, daß der andere auch nach seinem Urteil zurückgeht. Diese Modifikation vertritt und ersetzt aber ein leidenschaftliches Plaidoyer für die eigene Sache: Überhaupt müßt ihr nicht glauben, daß er darum soviel gescheiter ist als ich, weil er in der Schule besseren Erfolg hat. Er ist doch nur ein dummes Vieh, d. h. viel dümmer, als ich bin.
Ein schönes Beispiel von Verdichtung mit leichter Modifikation zeigt ein anderer sehr bekannter Witz des Herrn N., der von einer im öffentlichen Leben stehenden Persönlichkeit behauptete, sie habe eine große Zukunft hinter sich. Es war ein jüngerer Mann, auf den dieser Witz zielte, der durch seine Abstammung, Erziehung und seine persönlichen Eigenschaften berufen erschien, dereinst die Führung einer großen Partei zu übernehmen und an ihrer Spitze zur Regierung zu gelangen. Aber die Zeiten änderten sich, die Partei wurde regierungsunfähig, und nun ließ sich vorhersehen, daß auch der zu ihrem Führer prädestinierte Mann es zu nichts bringen werde. Die kürzeste reduzierte Fassung, durch die man diesen Witz ersetzen könnte, würde lauten: Der Mann hat eine große Zukunft vor sich gehabt, mit der ist es aber jetzt aus. Anstatt des »gehabt« und des Nachsatzes die kleine Veränderung im Hauptsatze, daß das »vor« durch ein »hinter«, sein Gegenteil, abgelöst wirdAn der Technik dieses Witzes wirkt noch ein anderes Moment mit, welches ich mir später anzuführen aufspare. Es betrifft den inhaltlichen Charakter der Modifikation (Darstellung durch das Gegenteil, Widersinn). Die Witztechnik ist durch nichts behindert, sich mehrerer Mittel gleichzeitig zu bedienen, die wir aber nur der Reihe nach kennenlernen können..
Fast der nämlichen Modifikation bediente sich Herr N. im Falle eines Kavaliers, der Ackerbauminister geworden war ohne anderes Anrecht, als daß er selbst Landwirtschaft betrieb. Die öffentliche Meinung hatte Gelegenheit, ihn als den mindest begabten, der je mit diesem Amt betraut gewesen, zu erkennen. Als er aber das Amt niedergelegt und sich auf seine landwirtschaftlichen Interessen zurückgezogen hatte, sagte Herr N. von ihm:
»Er ist, wie Cincinnatus, auf seinen Platz vor dem Pflug zurückgekehrt.«
Der Römer, den man auch von der Landwirtschaft weg zum Amt berufen hatte, nahm seinen Platz hinter dem Pflug wieder ein. Vor dem Pflug ging damals wie heute nur – der Ochs.
30 Eine gelungene Verdichtung mit leiser Modifikation ist es auch, wenn Karl Kraus von einem sogenannten Revolverjournalisten mitteilt, er sei mit dem Orienterpreßzug in eines der Balkanländer gefahren. Gewiß treffen in diesem Wort die beiden anderen »Orientexpreßzug« und »Erpressung« zusammen. Infolge des Zusammenhanges macht sich das Element »Erpressung« nur als Modifikation des vom Verbum geforderten »Orientexpreßzuges« geltend. Dieser Witz hat für uns, indem er einen Druckfehler vorspiegelt, noch ein anderes Interesse.
Wir könnten die Reihe dieser Beispiele leicht um weitere vermehren, aber ich meine, wir bedürfen keiner neuen Fälle, um die Charaktere der Technik in dieser zweiten Gruppe, Verdichtung mit Modifikation, sicher zu erfassen. Vergleichen wir nun die zweite Gruppe mit der ersten, deren Technik in Verdichtung mit Mischwortbildung bestand, so sehen wir leicht ein, daß die Unterschiede nicht wesentliche und die Übergänge fließend sind. Die Mischwortbildung wie die Modifikation unterordnen sich dem Begriff der Ersatzbildung, und, wenn wir wollen, können wir die Mischwortbildung auch als Modifikation des Grundwortes durch das zweite Element beschreiben.
Wir dürfen aber hier einen ersten Halt machen und uns fragen, mit welchem aus der Literatur bekannten Moment sich unser erstes Ergebnis ganz oder teilweise deckt. Offenbar mit dem der Kürze, die Jean Paul die Seele des Witzes nennt (s. oben S. 17). Die Kürze ist nun nicht an sich witzig, sonst wäre jeder Lakonismus ein Witz. Die Kürze des Witzes muß von besonderer Art sein. Wir erinnern uns, daß Lipps versucht hat, die Besonderheit der Witzkürzung näher zu beschreiben (s. S. 17). Hier hat nun unsere Untersuchung eingesetzt und nachgewiesen, daß die Kürze des Witzes oftmals das Ergebnis eines besonderen Vorganges ist, der im Wortlaut des Witzes eine zweite Spur, die Ersatzbildung, hinterlassen hat. Bei der Anwendung des Reduktionsverfahrens, welches den eigentümlichen Verdichtungsvorgang rückgängig zu machen beabsichtigt, finden wir aber auch, daß der Witz nur an dem wörtlichen Ausdruck hängt, welcher durch den Verdichtungsvorgang hergestellt wird. Natürlich wendet sich jetzt unser volles Interesse diesem sonderbaren und bisher fast nicht gewürdigten Vorgang zu. Wir 31 können auch noch gar nicht verstehen, wie aus ihm all das Wertvolle des Witzes, der Lustgewinn, den der Witz uns bringt, entstehen kann.
Sind ähnliche Vorgänge, wie wir sie hier als Technik des Witzes beschrieben haben, auf irgendeinem anderen Gebiete des seelischen Geschehens schon bekannt geworden? Allerdings, auf einem einzigen und scheinbar recht weit abliegenden. Im Jahre 1900 habe ich ein Buch veröffentlicht, welches, wie sein Titel (Die Traumdeutung) besagt, den Versuch macht, das Rätselhafte des Traumes aufzuklären und ihn als Abkömmling normaler seelischer Leistung hinzustellen. Ich finde dort Anlaß, den manifesten, oft sonderbaren, Trauminhalt in Gegensatz zu bringen zu den latenten, aber völlig korrekten Traumgedanken, von denen er abstammt, und gehe auf die Untersuchung der Vorgänge ein, welche aus den latenten Traumgedanken den Traum machen, sowie der psychischen Kräfte, die bei dieser Umwandlung beteiligt sind. Die Gesamtheit der umwandelnden Vorgänge nenne ich die Traumarbeit, und als ein Stück dieser Traumarbeit habe ich einen Verdichtungsvorgang beschrieben, der mit dem der Witztechnik die größte Ähnlichkeit zeigt, wie dieser zur Verkürzung führt und Ersatzbildungen von gleichem Charakter schafft. Jedem werden aus eigener Erinnerung an seine Träume die Mischgebilde von Personen und auch von Objekten bekannt sein, die in den Träumen auftreten; ja, der Traum bildet auch solche von Worten, die sich dann in der Analyse zerlegen lassen (z. B. Autodidasker = Autodidakt + Lasker). Andere Male, und zwar noch viel häufiger, werden von der Verdichtungsarbeit des Traumes nicht Mischgebilde erzeugt, sondern Bilder, die völlig einem Objekt oder einer Person gleichen bis auf eine Zutat oder Abänderung, die aus anderer Quelle stammt, also Modifikationen ganz wie die in den Witzen des Herrn N. Wir können nicht bezweifeln, daß wir hier wie dort den nämlichen psychischen Prozeß vor uns haben, den wir an den identischen Leistungen erkennen dürfen. Eine so weitgehende Analogie der Witztechnik mit der Traumarbeit wird gewiß unser Interesse für die erstere steigern und die Erwartung in uns rege machen, aus einem Vergleich von Witz und Traum manches zur Aufklärung des Witzes zu ziehen. Aber wir enthalten uns, auf diese Arbeit einzugehen, indem wir uns sagen, daß wir die Technik erst bei einer sehr geringen Zahl von Witzen erforscht haben, so daß wir nicht wissen können, ob die Analogie, deren 32 Leitung wir uns überlassen wollen, auch vorhalten wird. Wir wenden uns also von dem Vergleich mit dem Traume ab und kehren zur Witztechnik zurück, lassen an dieser Stelle unserer Untersuchung gleichsam einen Faden heraushängen, den wir vielleicht später wieder aufnehmen werden.
Das nächste, was wir erfahren wollen, ist, ob der Vorgang der Verdichtung mit Ersatzbildung bei allen Witzen nachweisbar ist, so daß er als der allgemeine Charakter der Witztechnik bezeichnet werden kann. Ich erinnere mich da an einen Witz, der mir infolge besonderer Umstände im Gedächtnis geblieben ist. Einer der großen Lehrer meiner jungen Jahre, den wir für unbefähigt hielten, einen Witz zu schätzen, wie wir auch nie einen eigenen Witz von ihm gehört hatten, kam eines Tages lachend in das Institut und gab bereitwilliger als sonst Bescheid über den Anlaß seiner heiteren Stimmung. »Ich habe da einen vorzüglichen Witz gelesen. In einem Pariser Salon wurde ein junger Mann eingeführt, der ein Verwandter des großen J. J. Rousseau sein sollte und auch diesen Namen trug. Er war überdies rothaarig. Er benahm sich aber so ungeschickt, daß die Dame des Hauses zu dem Herrn, der ihn eingeführt, als Kritik äußerte: »Vous m'avez fait connaître un jeune homme roux et sot, mais non pas un Rousseau.« Und er lachte von neuem.
Dies ist nach der Nomenklatur der Autoren ein Klangwitz, und zwar niedriger Sorte, einer, der mit dem Eigennamen spielt, etwa wie der Witz in der Kapuzinade aus Wallensteins Lager, die bekanntlich der Manier des Abraham a Santa Clara nachgebildet ist:
»Läßt sich nennen den Wallenstein,
ja freilich ist er uns allen ein Stein
des Anstoßes und Ärgernisses.«Daß dieser Witz infolge eines anderen Moments doch einer höheren Einschätzung würdig ist, kann erst an späterer Stelle gezeigt werden.
Welches ist aber die Technik dieses Witzes?
Da zeigt es sich, daß der Charakter, welchen wir vielleicht hofften allgemein nachzuweisen, schon bei dem ersten neuen Fall versagt. Es liegt hier keine Auslassung, kaum eine Verkürzung vor. Die Dame sagt im 33 Witze selbst fast alles aus, was wir ihren Gedanken unterlegen können. »Sie haben mich auf einen Verwandten von J. J. Rousseau gespannt gemacht, vielleicht einen Geistesverwandten, und siehe da, es ist ein rothaariger dummer Junge, ein roux et sot.« Ich habe da allerdings einen Zusatz, eine Einschaltung machen können, aber dieser Reduktionsversuch hebt den Witz nicht auf. Er bleibt und haftet an dem Gleichklang von ROUSSEAU / ROUX SOT. Damit ist nun erwiesen, daß die Verdichtung mit Ersatzbildung an dem Zustandekommen dieses Witzes keinen Anteil hat.
Was aber sonst? Neue Versuche zur Reduktion können mich belehren, daß der Witz so lange resistent bleibt, bis der Name Rousseau durch einen anderen ersetzt wird. Ich setze z. B. anstatt desselben Racine ein und sofort hat die Kritik der Dame, die ebenso möglich bleibt wie vorhin, jede Spur von Witz eingebüßt. Nun weiß ich, wo ich die Technik dieses Witzes zu suchen habe, kann aber noch über deren Formulierung schwanken; ich will folgende versuchen: Die Technik des Witzes liegt darin, daß ein und dasselbe Wort – der Name – in zweifacher Verwendung vorkommt, einmal als Ganzes und dann in seine Silben zerteilt wie in einer Scharade.
Ich kann einige wenige Beispiele anführen, die in ihrer Technik mit diesem identisch sind.
Mit einem auf der gleichen Technik der zweifachen Verwendung beruhenden Witz soll sich eine italienische Dame für eine taktlose Bemerkung des ersten Napoleon gerächt haben. Er sagte ihr auf einem Hofballe, auf ihre Landsleute deutend: »Tutti gli Italiani danzano si male«, und sie erwiderte schlagfertig: »Non tutti, ma buona parte.« (Brill, 1911.)
(Nach Th. Vischer und K. Fischer.) Als in Berlin einmal die Antigone aufgeführt wurde, fand die Kritik, daß die Aufführung des antiken Charakters entbehrt habe. Der Berliner Witz machte sich diese Kritik in folgender Weise zu eigen: Antik? Oh, nee.
In ärztlichen Kreisen ist ein analoger Zerteilungswitz heimisch. Wenn man einen seiner jugendlichen Patienten befragte, ob er sich je mit der Masturbation befaßt habe, würde man gewiß keine andere Antwort hören als: O na, nie.
34 In allen drei Beispielen, die für die Gattung genügen mögen, dieselbe Technik des Witzes. Ein Name wird in ihnen zweimal verwendet, das eine Mal ganz, das andere Mal in seine Silben zerteilt, in welcher Zerteilung seine Silben einen gewissen anderen Sinn ergebenDie Güte dieser Witze beruht darauf, daß gleichzeitig ein anderes Mittel der Technik von weit höherer Ordnung zur Anwendung gekommen ist (s. unten). – An dieser Stelle kann ich übrigens auch auf eine Beziehung des Witzes zum Rätsel aufmerksam machen. Der Philosoph Fr. Brentano hat eine Gattung von Rätseln gedichtet, in denen eine kleine Anzahl von Silben zu erraten ist, die, zu einem Worte vereinigt, oder so oder anders zusammengefaßt, einen anderen Sinn ergeben, z. B.:
... ließ mich das Platanenblatt ahnen oder: wie du dem Inder hast verschrieben, in der Hast verschrieben? Die zu erratenden Silben werden im Zusammenhang des Satzes durch das entsprechend oft zu wiederholende Füllwort dal ersetzt. Ein Kollege des Philosophen übte eine geistreiche Rache, als er von der Verlobung des in reiferen Jahren stehenden Mannes hörte, indem er fragte: Daldaldal daldaldali (Brentano brennt-a-no?) Was macht den Unterschied zwischen diesen Daldal-Rätseln und den obenstehenden Witzen? Daß in ersteren die Technik als Bedingung angegeben ist und der Wortlaut erraten werden soll, während in den Witzen der Wortlaut mitgeteilt und die Technik versteckt ist.
Die mehrfache Verwendung desselben Wortes einmal als eines Ganzen und dann der Silben, in die es sich zerfällen läßt, war der erste Fall einer von der Verdichtung abweichenden Technik, der uns begegnet ist. Nach kurzer Besinnung müssen wir aber aus der Fülle der uns zuströmenden Beispiele erraten, daß die neu aufgefundene Technik kaum auf dieses Mittel beschränkt sein dürfte. Es gibt offenbar eine zunächst noch gar nicht übersehbare Anzahl von Möglichkeiten, wie man dasselbe Wort oder dasselbe Material von Worten zur mehrfachen Verwendung in einem Satze ausnützen kann. Sollten uns alle diese Möglichkeiten als technische Mittel des Witzes entgegentreten? Es scheint so zu sein; die nachfolgenden Beispiele von Witzen werden es erweisen.
Man kann zunächst dasselbe Material von Worten nehmen und nur etwas an der Anordnung derselben ändern. Je geringer die Abänderung ist, je eher man den Eindruck empfängt, verschiedener Sinn sei doch mit denselben Worten gesagt worden, desto besser ist in technischer Hinsicht der Witz.
D. Spitzer (Wiener Spaziergänge):
»Das Ehepaar X lebt auf ziemlich großem Fuße. Nach der Ansicht der 35 einen soll der Mann viel verdient und sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben.«
Ein geradezu diabolisch guter Witz! Und mit wie geringen Mitteln er hergestellt ist! Viel verdient – sich etwas zurückgelegt, sich etwas zurückgelegt – viel verdient; es ist eigentlich nichts als eine Umstellung dieser beiden Phrasen, wodurch sich das vom Manne Ausgesagte von dem über die Frau Angedeuteten unterscheidet. Allerdings ist dies auch hier wiederum nicht die ganze Technik dieses WitzesEbensowenig wie in dem vortrefflichen, bei Brill angeführten Witz von Oliver Wendell Holmes: »Put not your trust in money, but put your money in trust.« Es wird hier ein Widerspruch angekündigt, der nicht erfolgt. Der zweite Teil des Satzes nimmt diesen Widerspruch zurück. Übrigens ein gutes Beispiel für die Unübersetzbarkeit der Witze von solcher Technik..
Ein reicher Spielraum eröffnet sich der Witztechnik, wenn man die »mehrfache Verwendung des gleichen Materials« dahin ausdehnt, daß das Wort – oder die Worte –, an denen der Witz haftet, das eine Mal unverändert, das andere Mal mit einer kleinen Modifikation gebraucht werden dürfe.
Z. B. ein anderer Witz des Herrn N.:
Er hört von einem Herrn, der selbst als Jude geboren ist, eine gehässige Äußerung über jüdisches Wesen. »Herr Hofrat«, meint er, »Ihr Antesemitismus war mir bekannt, Ihr Antisemitismus ist mir neu.«
Hier ist nur ein einziger Buchstabe verändert, dessen Modifikation bei sorgloser Aussprache kaum bemerkt wird. Das Beispiel erinnert an die anderen Modifikationswitze des Herrn N. (s. S. 28 f.), aber zum Unterschiede von ihnen fehlt ihm die Verdichtung; es ist im Witze selbst alles gesagt, was gesagt werden soll. »Ich weiß, daß Sie früher selbst Jude waren; es wundert mich also, daß gerade Sie über Juden schimpfen.«
Ein vortreffliches Beispiel eines solchen Modifikationswitzes ist auch der bekannte Ausruf: Traduttore – Traditore!
Die fast bis zur Identität gehende Ähnlichkeit der beiden Worte ergibt eine sehr eindrucksvolle Darstellung der Notwendigkeit, die den Übersetzer zum Frevler an seinem Autor werden läßtBrill zitiert einen ganz analogen Modifikationswitz: Amantes amentes (Verliebte = Narren)..
Die Mannigfaltigkeit der möglichen leisen Modifikationen ist bei diesen Witzen so groß, daß keiner mehr ganz dem anderen gleicht.
Hier ein Witz, der sich bei einem rechtswissenschaftlichen Examen 36 zugetragen haben soll! Der Kandidat soll eine Stelle des Corpus juris übersetzen. »Labeo ait« ... Ich falle, sagt er ... Sie fallen, sag' ich, erwidert der Prüfer, und die Prüfung ist zu Ende. Wer den Namen des großen Rechtsgelehrten für eine, zudem falsch erinnerte, Vokabel verkennt, verdient freilich nichts Besseres. Aber die Technik des Witzes liegt in der Verwendung fast der nämlichen Worte, welche die Unwissenheit des Geprüften bezeugen, zu seiner Bestrafung durch den Prüfer. Der Witz ist außerdem ein Beispiel von »Schlagfertigkeit«, deren Technik, wie sich zeigen lassen wird, von der hier erläuterten nicht viel absteht.
Worte sind ein plastisches Material, mit dem sich allerlei anfangen läßt. Es gibt Worte, welche in gewissen Verwendungen die ursprüngliche volle Bedeutung eingebüßt haben, deren sie sich in anderem Zusammenhange noch erfreuen. In einem Witz von Lichtenberg sind gerade jene Verhältnisse herausgesucht, unter denen die abgeblaßten Worte ihre volle Bedeutung wieder bekommen müssen.
»Wie geht's?« fragte der Blinde den Lahmen. »Wie Sie sehen«, antwortete der Lahme dem Blinden.
Es gibt im Deutschen auch Worte, die in anderem Sinne voll und leer genommen werden können, und zwar in mehr als nur einem. Es können nämlich zwei verschiedene Abkömmlinge desselben Stammes, das eine sich zu einem Worte mit voller Bedeutung, das andere sich zu einer abgeblaßten End- oder Anhängesilbe entwickelt haben, und beide doch vollkommen gleich lauten. Der Gleichlaut zwischen einem vollen Wort und einer abgeblaßten Silbe mag auch ein zufälliger sein. In beiden Fällen kann die Witztechnik aus solchen Verhältnissen des Sprachmaterials Nutzen ziehen.
Schleiermacher wird z. B. ein Witz zugeschrieben, der uns als fast reines Beispiel solcher technischen Mittel wichtig ist: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.
Dies ist unstreitig witzig, wiewohl nicht gerade kräftig als Witz. Es fallen hier eine Menge von Momenten weg, die uns bei der Analyse anderer Witze irremachen können, solange wir jeden von ihnen vereinzelt in Untersuchung ziehen. Der im Wortlaut ausgedrückte Gedanke ist wertlos; er gibt jedenfalls eine recht ungenügende Definition der Eifersucht. Von »Sinn im Unsinn«, »verborgenem Sinn«, »Verblüffung 37 und Erleuchtung« ist keine Rede. Einen Vorstellungskontrast wird man mit der größten Anstrengung nicht herausfinden, einen Kontrast zwischen den Worten und dem, was sie bedeuten, nur mit großem Zwang. Von einer Verkürzung ist nichts zu finden; der Wortlaut macht im Gegenteil den Eindruck der Weitschweifigkeit. Und doch ist es ein Witz, selbst ein sehr vollkommener. Sein einzig auffälliger Charakter ist gleichzeitig derjenige, mit dessen Aufhebung der Witz verschwindet, nämlich daß hier dieselben Worte eine mehrfache Verwendung erfahren. Man hat dann die Wahl, ob man diesen Witz jener Unterabteilung zurechnen will, in welcher Worte einmal ganz und das andere Mal zerteilt gebraucht werden (wie Rousseau, Antigone), oder jener anderen, in der die volle und die abgeblaßte Bedeutung von Wortbestandteilen die Mannigfaltigkeit herstellen. Außer diesem ist nur noch ein anderes Moment für die Technik des Witzes beachtenswert. Es ist hier ein ungewohnter Zusammenhang hergestellt, eine Art Unifizierung vorgenommen worden, indem die Eifersucht durch ihren eigenen Namen, gleichsam durch sich selbst definiert ist. Auch dies ist, wie wir hier hören werden, eine Technik des Witzes. Diese beiden Momente müssen also für sich hinreichend sein, einer Rede den gesuchten Charakter des Witzes zu geben. Wenn wir uns nun in die Mannigfaltigkeit der »mehrfachen Verwendung« desselben Wortes noch weiter einlassen, so merken wir mit einem Male, daß wir Formen von »Doppelsinn« oder »Wortspiel« vor uns haben, die als Technik des Witzes längst allgemein bekannt und gewürdigt sind. Wozu haben wir uns die Mühe gegeben, etwas neu zu entdecken, was wir aus der seichtesten Abhandlung über den Witz hätten entnehmen können? Wir können zu unserer Rechtfertigung zunächst nur anführen, daß wir an dem nämlichen Phänomen des sprachlichen Ausdrucks doch eine andere Seite hervorheben. Was bei den Autoren den »spielerischen« Charakter des Witzes erweisen soll, fällt bei uns unter den Gesichtspunkt der »mehrfachen Verwendung«.
Die weiteren Fälle von mehrfacher Verwendung, die man auch als Doppelsinn zu einer neuen, dritten Gruppe vereinigen kann, lassen sich leicht in Unterabteilungen bringen, die freilich nicht durch wesentliche Unterscheidungen voneinander gesondert sind, ebensowenig wie die ganze dritte Gruppe von der zweiten. Da gibt es zunächst
a) die Fälle von Doppelsinn eines Namens und seiner dinglichen Bedeutung, z. B. »Drück dich aus unserer Gesellschaft ab, Pistol« (bei Shakespeare).
38 »Mehr Hof als Freiung«, sagte ein witziger Wiener mit Beziehung auf mehrere schöne Mädchen, die seit Jahren viel gefeiert wurden und noch immer keinen Mann gefunden hatten. »Hof« und »Freiung« sind zwei aneinanderstoßende Plätze im Innern der Stadt Wien.
Heine: »Hier in Hamburg herrscht nicht der schändliche Macbeth, sondern hier herrscht Banko« (Banquo).
Wo der unveränderte Name nicht brauchbar – man könnte sagen: nicht mißbrauchbar – ist, kann man mittels einer der uns bekannten kleinen Modifikationen den Doppelsinn aus ihm gewinnen:
»Weshalb haben die Franzosen den Lohengrin zurückgewiesen?« fragte man in nun überwundenen Zeiten. Die Antwort lautete: »Elsa's (Elsaß) wegen.«
b) den Doppelsinn der sachlichen und metaphorischen Bedeutung eines Wortes, der eine ergiebige Quelle für die Witztechnik ist. Ich zitiere nur ein Beispiel: Ein als Witzbold bekannter ärztlicher Kollege sagte einmal zum Dichter Arthur Schnitzler: »Ich wundere mich nicht, daß du ein großer Dichter geworden bist. Hat doch schon dein Vater seinen Zeitgenossen den Spiegel vorgehalten.« Der Spiegel, den der Vater des Dichters, der berühmte Arzt Dr. Schnitzler, gehandhabt, war der Kehlkopfspiegel; nach einem bekannten Ausspruch Hamlets ist es der Zweck des Schauspieles, also auch des Dichters, der es schafft, »der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihre eigenen Züge, der Schmach ihr eigenes Bild und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen« (III. Akt, 2. Szene).
c) den eigentlichen Doppelsinn oder das Wortspiel, den sozusagen idealen Fall der mehrfachen Verwendung; dem Wort wird hier nicht Gewalt angetan, es wird nicht in seine Silbenbestandteile zerrissen, es braucht sich keiner Modifikation zu unterziehen, nicht die Sphäre, der es angehört, etwa als Eigenname, mit einer anderen zu vertauschen; ganz so wie es ist und im Gefüge des Satzes steht, darf es dank der Gunst gewisser Umstände zweierlei Sinn aussagen.
Beispiele stehen hier reichlich zur Verfügung:
(Nach K. Fischer.) Eine der ersten Regentenhandlungen des letzten Napoleon war bekanntlich die Wegnahme der Güter der Orleans. Ein vortreffliches Wortspiel sagte damals: »C'est le premier vol de l'aigle.« »Vol« heißt Flug, aber auch Raub.
Ludwig XV. wünschte den Witz eines seiner Hofherren, von dessen 39 Talent man ihm erzählt hatte, auf die Probe zu stellen; bei der ersten Gelegenheit befiehlt er dem Kavalier, einen Witz zu machen über ihn selbst; er selbst, der König, wolle »Sujet« dieses Witzes sein. Der Hofmann antwortete mit dem geschickten Bonmot: »Le roi n'est pas sujet.« »Sujet« heißt ja auch Untertan.
Der Arzt, der vom Krankenbett der Frau weggeht, sagt zu dem ihn begleitenden Ehemanne kopfschüttelnd: Die Frau gefällt mir nicht. Mir gefällt sie schon lange nicht, beeilt sich dieser zuzustimmen.
Der Arzt bezieht sich natürlich auf den Zustand der Frau, er hat aber seine Besorgnis um die Kranke in solchen Worten ausgedrückt, daß der Mann in ihnen die Bestätigung seiner ehelichen Abneigung finden kann.
Von einer satirischen Komödie sagte Heine: »Diese Satire wäre nicht so bissig geworden, wenn der Dichter mehr zu beißen gehabt hätte.« Dieser Witz ist eher ein Beispiel von metaphorischem und gemeinem Doppelsinn als ein richtiges Wortspiel, aber wem läge daran, hier an scharfen Grenzen festzuhalten?
Ein anderes gutes Wortspiel wird bei den Autoren (Heymans, Lipps) in einer Form erzählt, durch die ein Verständnis desselben verhindert wird»›Wenn Saphir‹, so sagt Heymans, ›einem reichen Gläubiger, dem er einen Besuch abstattet, auf die Frage: Sie kommen wohl um die 300 Gulden, antwortet: Nein, Sie kommen um die 300 Gulden, so ist eben dasjenige, was er meint, in einer sprachlich vollkommen korrekten und auch keineswegs ungewöhnlichen Form ausgedrückt. In der Tat ist es so: Die Antwort Saphirs ist an sich betrachtet in schönster Ordnung. Wir verstehen auch, was er sagen will, nämlich daß er seine Schuld nicht zu bezahlen beabsichtige. Aber Saphir gebraucht dieselben Worte, die vorher von seinem Gläubiger gebraucht wurden. Wir können also nicht umhin, sie auch in dem Sinne zu nehmen, in welchem sie von jenem gebraucht wurden. Und dann hat Saphirs Antwort gar keinen Sinn mehr. Der Gläubiger »kommt« ja überhaupt nicht. Er kann ja auch nicht um die 300 Gulden kommen, d. h.: er kann nicht kommen, um 300 Gulden zu bringen. Zudem hat er als Gläubiger nicht zu bringen, sondern zu fordern. Indem die Worte Saphirs in solcher Weise zugleich als Sinn und als Unsinn erkannt werden, entsteht die Komik« (Lipps, 1898, S. 97).
Nach der obenstehenden, zur Aufklärung vollständig wiedergegebenen Fassung ist die Technik dieses Witzes weit einfacher, als Lipps meint. Saphir kommt nicht, um die 300 Gulden zu bringen, sondern um sie erst von dem Reichen zu holen. Somit entfallen die Erörterungen über »Sinn und Unsinn« in diesem Witz.
»Saphir kam einst mit Rothschild zusammen. Sie hatten kaum ein Weilchen miteinander geplaudert, als Saphir sagte: ›Hören Sie, Rothschild, meine Kasse ist dünn geworden, Sie könnten mir 100 Dukaten pumpen.‹ ›Je nun‹, erwiderte Rothschild, ›darauf soll es mir nicht ankommen, 40 aber nur unter der Bedingung, daß Sie einen Witz machen.‹ ›Darauf soll's mir ebenfalls nicht ankommen‹, versetzte Saphir. ›Gut, so kommen Sie morgen auf mein Bureau.‹ Saphir stellte sich pünktlich ein. ›Ach‹, sagte Rothschild, als er den Eintretenden gewahrte. ›Sie kommen um Ihre 100 Dukaten.‹ ›Nein‹, erwiderte dieser, ›Sie kommen um Ihre 100 Dukaten, da es mir bis zum Jüngsten Tage nicht einfallen wird, sie wieder zu bezahlen.‹«
»Was stellen diese Statuen vor?« fragt ein Fremder einen einheimischen Berliner angesichts einer Front von Denkmälern auf einem öffentlichen Platz. »Je nu«, antwortet dieser, »entweder das rechte oder das linke Bein.«Weiteres zur Analyse dieses Wortspiels siehe unten.
Heine in der Harzreise: »Auch sind mir in diesem Augenblicke nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben.«
Wir üben uns vielleicht in der diagnostischen Differenzierung, wenn wir hier einen anderen allbekannten Professorenwitz anschließen. »Der Unterschied zwischen ordentlichen und außerordentlichen Professoren besteht darin, daß die ordentlichen nichts außerordentliches und die außerordentlichen nichts ordentliches leisten.« Das ist gewiß ein Spiel mit den zwei Bedeutungen der Worte »ordentlich« und »außerordentlich«, in und außer der ordo (dem Stande) einerseits und tüchtig, beziehungsweise hervorragend, anderseits. Die Übereinstimmung dieses Witzes aber mit anderen uns bekanntgewordenen Beispielen mahnt uns daran, daß hier die mehrfache Verwendung weit auffälliger ist als der Doppelsinn. Man hört ja in dem Satz nichts anderes als das immer wiederkehrende »ordentlich«, bald als solches, bald negativ modifiziert (vgl. S. 35). Außerdem ist hier wiederum das Kunststück vollbracht, einen Begriff durch seinen Wortlaut zu definieren (vgl. Eifersucht ist eine Leidenschaft usw.), genauer beschrieben, zwei korrelative Begriffe durcheinander, wenn auch negativ, zu definieren, was eine kunstvolle Verschränkung ergibt. Endlich kann man den Gesichtspunkt der Unifizierung auch hier hervorheben, die Herstellung eines innigeren Zusammenhanges zwischen den Elementen der Aussage, als man nach deren Natur zu erwarten ein Recht hätte.
Heine in der Harzreise: »Der Pedell Sch. grüßte mich sehr kollegialisch, 41 denn er ist ebenfalls Schriftsteller und hat meiner in seinen halbjährigen Schriften oft erwähnt; wie er mich denn auch außerdem oft zitiert hat, und wenn er mich nicht zu Hause fand, immer so gütig war, die Zitation mit Kreide auf meine Stubentür zu schreiben.«
Der »Wiener Spaziergänger« Daniel Spitzer fand für einen sozialen Typus, der zur Zeit des Gründertums blühte, die lakonische, aber gewiß auch sehr witzige, biographische Charakteristik:
»Eiserne Stirne – eiserne Kasse – eiserne Krone.« (Letzteres ein Orden, mit dessen Verleihung der Adelsstand verknüpft war.) Eine ganz ausgezeichnete Unifizierung, alles gleichsam aus Eisen! Die verschiedenen, aber nicht sehr auffällig miteinander kontrastierenden Bedeutungen des Beiwortes »eisern« ermöglichen diese »mehrfachen Verwendungen«.
Ein anderes Wortspiel mag uns den Übergang zu einer neuen Unterart der Doppelsinntechnik erleichtern. Der auf Seite 38 erwähnte witzige Kollege ließ sich zur Zeit des Dreyfushandels den Witz zuschulden kommen:
»Dieses Mädchen erinnert mich an Dreyfus. Die Armee glaubt nicht an ihre Unschuld.«
Das Wort »Unschuld«, auf dessen Doppelsinn der Witz aufgebaut ist, hat in dem einen Zusammenhang den gebräuchlichen Sinn mit dem Gegensatz: Verschulden, Verbrechen, in dem anderen aber einen sexuellen Sinn, dessen Gegensatz sexuelle Erfahrung ist. Nun gibt es sehr viele derartige Beispiele von Doppelsinn, und in ihnen allen kommt es für die Wirkung des Witzes ganz besonders auf den sexuellen Sinn an. Man könnte für diese Gruppe etwa die Bezeichnung »Zweideutigkeit« reservieren.
Ein ausgezeichnetes Beispiel solch eines zweideutigen Witzes ist der auf Seite 34 f. mitgeteilte von D. Spitzer:
»Nach der Ansicht der einen soll der Mann viel verdient und sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben.«
Vergleicht man aber dieses Beispiel von Doppelsinn mit Zweideutigkeit mit anderen, so fällt ein Unterschied ins Auge, der für die Technik nicht ganz belanglos ist. In dem Witz von der »Unschuld« liegt der eine Sinn des Wortes unserem Erfassen ebenso nahe wie der andere; man wüßte wirklich nicht zu unterscheiden, ob die sexuelle oder die nichtsexuelle Bedeutung des Wortes die gebräuchlichere und uns 42 vertrautere ist. Anders in dem Beispiel von D. Spitzer; in diesem ist der eine, banale, Sinn der Worte »sich etwas zurückgelegt« der bei weitem aufdringlichere, verdeckt und versteckt gleichsam den sexuellen Sinn, der einem Arglosen etwa gar entgehen könnte. Setzen wir zum scharfen Gegensatz ein anderes Beispiel von Doppelsinn hin, in dem auf solches Verstecken der sexuellen Bedeutung verzichtet ist, z. B. Heines Charakterschilderung einer gefälligen Dame: »Sie konnte nichts abschlagen außer ihr Wasser.« Es klingt wie eine Zote, der Eindruck des Witzes kommt kaum zur GeltungVgl. hiezu K. Fischer (1889, S. 85), der für solche doppelsinnige Witze, in denen die beiden Bedeutungen nicht gleichmäßig im Vordergründe stehen, sondern die eine hinter der anderen, den Namen »Zweideutigkeit« beansprucht, den ich oben anders verwendet habe. Solche Namengebung ist Sache des Übereinkommens, der Sprachgebrauch hat keine sichere Entscheidung getroffen.. Nun kann die Eigentümlichkeit, daß die beiden Bedeutungen des Doppelsinnes uns nicht gleich nahe liegen, auch bei Witzen ohne sexuelle Beziehung vorkommen, sei es, daß der eine Sinn der an sich gebräuchlichere ist, sei es, daß er durch den Zusammenhang mit den anderen Teilen des Satzes vorangestellt wird (z. B. c'est le premier vol de l'aigle); alle diese Fälle schlage ich vor als Doppelsinn mit Anspielung zu bezeichnen.
Wir haben bis jetzt bereits eine so große Anzahl verschiedener Techniken des Witzes kennengelernt, daß ich fürchten muß, wir könnten die Übersicht über dieselben verlieren. Versuchen wir darum eine Zusammenstellung derselben:
43 Diese Mannigfaltigkeit wirkt verwirrend. Sie könnte uns mißmutig werden lassen, daß wir uns gerade der Beschäftigung mit den technischen Mitteln des Witzes zugewendet haben, und könnte uns argwöhnen lassen, daß wir deren Bedeutung für eine Erkenntnis des Wesentlichen am Witze doch überschätzen. Stände dieser erleichternden Vermutung nicht die eine unabweisbare Tatsache im Wege, daß der Witz jedesmal aufgehoben ist, sobald wir die Leistung dieser Techniken im Ausdruck wegräumen! Wir werden also doch darauf hingewiesen, die Einheit in dieser Mannigfaltigkeit zu suchen. Es müßte möglich sein, alle diese Techniken unter einen Hut zu bringen. Die zweite und dritte Gruppe zu vereinigen ist nicht schwierig, wie wir uns schon gesagt haben. Der Doppelsinn, das Wortspiel ist ja nur der ideale Fall von Verwendung des nämlichen Materials. Letzterer ist dabei offenbar der umfassendere Begriff. Die Beispiele von Zerteilung, Umordnung des gleichen Materials, mehrfacher Verwendung mit leichter Modifikation (c, d, e) würden sich dem Begriff des Doppelsinnes nicht ohne Zwang unterordnen. Aber welche Gemeinsamkeit gibt es zwischen der Technik der ersten Gruppe – Verdichtung mit Ersatzbildung – und jener der beiden anderen, mehrfache Verwendung des nämlichen Materials?
Nun, eine sehr einfache und deutliche, sollt' ich meinen. Die Verwendung des nämlichen Materials ist ja nur ein Spezialfall der Verdichtung; das Wortspiel ist nichts anderes als eine Verdichtung ohne Ersatzbildung; die Verdichtung bleibt die übergeordnete Kategorie. Eine zusammendrängende oder richtiger ersparende Tendenz beherrscht alle diese Techniken. Es scheint alles Sache der Ökonomie zu sein, wie Prinz Hamlet sagt (Thrift, thrift, Horatio!).
Machen wir die Probe auf diese Ersparnis an den einzelnen Beispielen. »C'est le premier vol de l'aigle«. Das ist der erste Flug des Adlers. Ja, aber es ist ein Raubausflug. Vol bedeutet zum Glück für die Existenz dieses Witzes sowohl »Flug« als auch »Raub«. Ist dabei nichts verdichtet und erspart worden? Gewiß der ganze zweite Gedanke, und zwar ist er ohne Ersatz fallengelassen worden. Der Doppelsinn des Wortes vol macht solchen Ersatz überflüssig, oder ebenso richtig: Das Wort vol enthält den Ersatz für den unterdrückten Gedanken, ohne daß der erste Satz darum einen Zusatz oder eine Abänderung brauchte. Das eben ist die Wohltat des Doppelsinnes.
Ein anderes Beispiel: Eiserne Stirne – eiserne Kasse – eiserne Krone. Welch außerordentliche Ersparnis gegen eine Ausführung des Gedankens, in welcher der Ausdruck das »eisern« nicht gefunden hätte! 44 »Mit der nötigen Frechheit und Gewissenlosigkeit ist es nicht schwer, ein großes Vermögen zu erwerben, und zur Belohnung für solche Verdienste bleibt natürlich der Adel nicht aus.«
Ja, in diesen Beispielen ist die Verdichtung, also die Ersparnis, unverkennbar. Sie soll aber in allen nachweisbar sein. Wo steckt nun die Ersparnis in solchen Witzen wie Rousseau – roux et sot, Anti-gone – antik? o – nee, in denen wir zuerst die Verdichtung vermißt haben, die uns vor allem bewogen haben, die Technik der mehrfachen Verwendung des nämlichen Materials aufzustellen? Hier würden wir allerdings mit der Verdichtung nicht durchkommen, aber wenn wir diese mit dem ihr übergeordneten Begriff der »Ersparnis« vertauschen, geht es ohne Schwierigkeit. Was wir in den Beispielen Rousseau, Antigone usw. ersparen, ist leicht zu sagen. Wir ersparen es, eine Kritik zu äußern, ein Urteil zu bilden, beides ist im Namen selbst schon gegeben. Im Beispiel der Leidenschaft – Eifersucht ersparen wir es uns, eine Definition mühsam zusammenzustellen: Eifersucht, Leidenschaft und – Eifer sucht, Leiden schafft; die Füllworte dazu, und die Definition ist fertig. Ähnliches gilt für alle anderen bisher analysierten Beispiele. Wo am wenigsten erspart wird, wie in dem Wortspiel von Saphir: »Sie kommen um Ihre 100 Dukaten«, da wird wenigstens erspart, den Wortlaut der Antwort neu zu bilden; der Wortlaut der Anrede genügt auch zur Antwort. Es ist wenig, aber nur in diesem Wenigen liegt der Witz. Die mehrfache Verwendung der nämlichen Worte zur Anrede wie zur Antwort gehört gewiß zum »Sparen«. Ganz, wie Hamlet die rasche Aufeinanderfolge des Todes seines Vaters und der Hochzeit seiner Mutter aufgefaßt sehen will:
»Das Gebackene
Vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitsschüsseln.«
Ehe wir aber die »Tendenz zur Ersparnis« als den allgemeinsten Charakter der Witztechnik annehmen und die Fragen stellen, woher sie stammt, was sie bedeutet und wieso der Lustgewinn des Witzes aus ihr entspringt, wollen wir einem Zweifel Raum gönnen, der ein Recht hat, angehört zu werden. Mag es sein, daß jede Witztechnik die Tendenz zeigt, mit dem Ausdruck zu sparen, aber die Beziehung ist nicht umkehrbar. Nicht jede Ersparung am Ausdruck, jede Kürzung, ist darum auch witzig. Wir standen schon einmal an dieser Stelle, damals als wir noch bei jedem Witz den Verdichtungsvorgang nachzuweisen hofften, 45 und damals machten wir uns den berechtigten Einwand, ein Lakonismus sei noch kein Witz. Es müßte also eine besondere Art von Verkürzung und von Ersparnis sein, an welcher der Charakter des Witzes hinge, und solange wir diese Besonderheit nicht kennen, bringt uns die Auffindung des Gemeinsamen in der Witztechnik der Lösung unserer Aufgabe nicht näher. Außerdem finden wir den Mut zu bekennen, daß die Ersparungen, welche die Witztechnik macht, uns nicht zu imponieren vermögen. Sie erinnern vielleicht an die Art, wie manche Hausfrauen sparen, wenn sie, um einen entlegenen Markt aufzusuchen, Zeit und Geld für die Fahrt aufwenden, weil dort das Gemüse um einige Heller wohlfeiler zu haben ist. Was erspart sich der Witz durch seine Technik? Einige neue Worte zusammenzufügen, die sich meist mühelos ergeben hätten; anstatt dessen muß er sich die Mühe geben, das eine Wort aufzusuchen, welches ihm beide Gedanken deckt; ja, er muß oft erst den Ausdruck des einen Gedankens in eine nicht gebräuchliche Form umwandeln, bis diese ihm den Anhalt zur Zusammenfassung mit dem zweiten Gedanken ergeben kann. Wäre es nicht einfacher, leichter und eigentlich sparsamer gewesen, die beiden Gedanken so auszudrücken, wie es sich eben trifft, auch wenn dabei keine Gemeinsamkeit des Ausdruckes zustande kommt? Wird die Ersparnis an geäußerten Worten nicht durch den Aufwand an intellektueller Leistung mehr als aufgehoben? Und wer macht dabei die Ersparung, wem kommt sie zugute?
Wir können diesen Zweifeln vorläufig entgehen, wenn wir den Zweifel selbst an eine andere Stelle versetzen. Kennen wir wirklich bereits alle Arten der Witztechnik? Es ist sicherlich vorsichtiger, neue Beispiele zu sammeln und der Analyse zu unterziehen.
Wir haben in der Tat einer großen, vielleicht der zahlreichsten Gruppe von Witzen noch nicht gedacht und uns dabei vielleicht durch die Geringschätzung beeinflussen lassen, welche diesen Witzen zuteil geworden ist. Es sind die, welche gemeinhin Kalauer (calembourgs) genannt werden und für die niedrigste Abart des Wortwitzes gelten, wahrscheinlich, weil sie am »billigsten« sind, mit leichtester Mühe gemacht werden können. Und wirklich stellen sie den mindesten Anspruch an die Technik des Ausdrucks wie das eigentliche Wortspiel den höchsten. Wenn bei letzterem die beiden Bedeutungen in dem identischen und darum meist nur 46 einmal gesetzten Wort ihren Ausdruck finden sollen, so genügt beim Kalauer, daß die zwei Worte für die beiden Bedeutungen durch irgendeine, aber unübersehbare Ähnlichkeit aneinander erinnern, sei es durch eine allgemeine Ähnlichkeit ihrer Struktur, einen reimartigen Gleichklang, die Gemeinsamkeit einiger anlautender Buchstaben u. dgl. Eine Häufung solcher, nicht ganz treffend »Klangwitze« benannter Beispiele findet sich in der Predigt des Kapuziners in Wallensteins Lager:
»Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg,
Wetzt lieber den Schnabel als den Sabel,
. . .
Frißt den Ochsen lieber als den Oxenstirn',
. . .
Der Rheinstrom ist geworden zu einem Peinstrom,
Die Klöster sind ausgenommene Nester,
Die Bistümer sind verwandelt in Wüsttümer
. . .
Und alle die gesegneten deutschen Länder
Sind verkehrt worden in Elender.«
Besonders gern modifiziert der Witz einen der Vokale des Wortes, z. B.: Von einem kaiserfeindlichen italienischen Dichter, der dann doch genötigt war, einen deutschen Kaiser in Hexametern zu besingen, sagt Hevesi (Almanaccando, , S. 87): Da er die Cäsaren nicht auszurotten vermag, merzt er wenigstens die Cäsuren aus.
Bei der Fülle von Kalauern, die uns zur Verfügung stünden, hat es vielleicht noch ein besonderes Interesse, ein wirklich schlechtes Beispiel hervorzuheben, das Heine zur Last fällt. Nachdem er sich (Buch Le Grand, Kapitel V) durch lange Zeit vor seiner Dame als »indischer Prinz« gebärdet, wirft er dann die Maske ab und gesteht: »Madame! Ich habe Sie belogen ... Ich war ebensowenig jemals in Kalkutta, wie der Kalkutenbraten, den ich gestern mittag gegessen.« Offenbar liegt der Fehler dieses Witzes darin, daß die beiden ähnlichen Worte nicht mehr bloß ähnlich, sondern eigentlich identisch sind. Der Vogel, dessen Braten er gegessen, heißt so, weil er aus dem nämlichen Kalkutta stammt oder stammen soll.
47 K. Fischer hat diesen Formen des Witzes große Aufmerksamkeit geschenkt und will sie von den »Wortspielen« scharf getrennt wissen (1889, S. 78). »Das calembourg ist das schlechte Wortspiel, denn es spielt mit dem Wort nicht als Wort, sondern als Klang.« Das Wortspiel aber »geht von dem Klange des Wortes in das Wort selbst ein«. Anderseits zählt er auch Witze wie »famillionär«, Antigone (antik? o nee) usw. zu den Klangwitzen. Ich sehe keine Nötigung, ihm hierin zu folgen. Auch im Wortspiel ist das Wort für uns nur ein Klangbild, mit dem sich dieser oder jener Sinn verbindet. Der Sprachgebrauch macht aber auch hier wieder keine scharfen Unterschiede, und wenn er den »Kalauer« mit Mißachtung, das »Wortspiel« mit einem gewissen Respekt behandelt, so scheinen diese Wertungen durch andere als technische Gesichtspunkte bedingt zu sein. Man achte einmal darauf, welcher Art die Witze sind, die man als »Kalauer« zu hören bekommt. Es gibt Personen, welche die Gabe besitzen, wenn sie in aufgeräumter Stimmung sind, durch längere Zeit jede an sie gerichtete Rede mit einem Kalauer zu beantworten. Einer meiner Freunde, sonst das Muster der Bescheidenheit, wenn seine ernsthaften Leistungen in der Wissenschaft in Rede stehen, pflegt dergleichen auch von sich zu rühmen. Als die Gesellschaft, die er einst so in Atem erhielt, der Verwunderung über seine Ausdauer Ausdruck gab, sagte er: »Ja, ich liege hier auf der Ka-Lauer«, und als man ihn bat endlich aufzuhören, stellte er die Bedingung, daß man ihn zum Poeta Ka-laureatus ernenne. Beides sind aber vortreffliche Verdichtungswitze mit Mischwortbildung. (Ich liege hier auf der Lauer, um Kalauer zu machen.)
Jedenfalls aber entnehmen wir schon aus den Streitigkeiten über die Abgrenzung von Kalauer und Wortspiel, daß ersterer uns nicht zur Kenntnis einer völlig neuen Witztechnik verhelfen kann. Wenn beim Kalauer auch der Anspruch auf die mehrsinnige Verwendung des nämlichen Materials aufgegeben ist, so fällt doch der Akzent auf das Wiederfinden des Bekannten, auf die Übereinstimmung der beiden dem Kalauer dienenden Worte, und somit ist dieser nur eine Unterart der Gruppe, die im eigentlichen Wortspiel ihren Gipfel erreicht.
Es gibt aber wirklich Witze, deren Technik fast jegliche Anknüpfung an die der bisher betrachteten Gruppen vermissen läßt.
Man erzählt von Heine, daß er sich eines Abends in einem Pariser 48 Salon mit dem Dichter Soulié befunden und unterhalten habe, unterdessen tritt einer jener Pariser Geldkönige in den Saal, die man nicht bloß um des Geldes willen mit Midas vergleicht, und sieht sich bald von einer Menge umringt, die ihn mit größter Ehrerbietung behandelt. »Sehen Sie doch«, sagt Soulié zu Heine, »wie dort das neunzehnte Jahrhundert das goldene Kalb anbetet.« Mit einem Blick auf den Gegenstand der Verehrung antwortet Heine, gleichsam berichtigend: »Oh, der muß schon älter sein« (K. Fischer, 1889, S. 82–3).
Worin ist nun die Technik dieses ausgezeichneten Witzes gelegen? In einem Wortspiel, meint K. Fischer: »So kann z. B. das Wort ›goldenes Kalb‹ den Mammon und auch den Götzendienst bedeuten, im ersten Falle ist das Gold, im zweiten das Tierbild die Hauptsache; es kann auch dazu dienen, um nicht eben schmeichelhaft jemand zu bezeichnen, der sehr viel Geld und sehr wenig Verstand hat« (loc. cit.). Wenn wir die Probe machen und den Ausdruck »goldenes Kalb« wegschaffen, heben wir allerdings auch den Witz auf. Wir lassen dann Soulié sagen: »Sehen Sie doch, wie die Leute den dummen Kerl umschwärmen, bloß weil er reich ist«, und das ist freilich gar nicht mehr witzig. Heines Antwort wird dann auch unmöglich.
Aber wir wollen uns besinnen, daß es ja sich gar nicht um den etwa witzigen Vergleich Souliés, sondern um die Antwort Heines handelt, die gewiß weit witziger ist. Dann haben wir kein Recht, an die Phrase vom goldenen Kalb zu rühren, dieselbe bleibt als Voraussetzung für die Worte Heines bestehen und die Reduktion darf nur diese letzteren betreffen. Wenn wir diese Worte: »Oh, der muß schon älter sein«, ausführen, können wir sie nur etwa so ersetzen: »Oh, das ist kein Kalb mehr, das ist schon ein ausgewachsener Ochs.« Für den Witz Heines erübrigte also, daß er das »goldene Kalb« nicht mehr metaphorisch, sondern persönlich genommen, auf den Geldmenschen selbst bezogen hätte. Wenn dieser Doppelsinn nicht etwa schon in der Meinung Souliés enthalten war!
Wie aber? Nun glauben wir zu bemerken, daß diese Reduktion den Witz Heines nicht völlig vernichtet, vielmehr dessen Wesentliches unangetastet gelassen habe. Es lautet jetzt so, daß Soulié sagt: »Sehen Sie doch, wie dort das neunzehnte Jahrhundert das goldene Kalb anbetet!« und Heine zur Antwort gibt: »Oh, das ist kein Kalb mehr, das ist schon ein Ochs.« Und in dieser reduzierten Fassung ist es noch immer ein 49 Witz. Eine andere Reduktion der Worte Heines ist aber nicht möglich.
Schade, daß dieses schöne Beispiel so komplizierte technische Bedingungen enthält. Wir können an ihm zu keiner Klärung kommen, verlassen es darum und suchen uns ein anderes, in dem wir eine innere Verwandtschaft mit dem vorigen zu verspüren glauben.
Es sei einer der »Badewitze«, welche die Badescheu der Juden in Galizien behandeln. Wir verlangen nämlich keinen Adelsbrief von unseren Beispielen, wir fragen nicht nach ihrer Herkunft, sondern nur nach ihrer Tüchtigkeit, ob sie uns zum Lachen zu bringen vermögen und ob sie unseres theoretischen Interesses würdig sind. Beiden diesen Anforderungen entsprechen aber gerade die Judenwitze am besten.
Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. »Hast du genommen ein Bad?« fragt der eine. »Wieso?« fragt der andere dagegen, »fehlt eins?«
Wenn man über einen Witz recht herzlich lacht, ist man nicht gerade in der geeignetsten Disposition, um seiner Technik nachzuforschen. Darum bereitet es einige Schwierigkeiten, sich in diese Analysen hineinzufinden. »Das ist ein komisches Mißverständnis«, drängt sich uns auf. – Gut, aber die Technik dieses Witzes? – Offenbar der doppelsinnige Gebrauch des Wortes nehmen. Für den einen ist »nehmen« das farblos gewordene Hilfswort; für den anderen das Verbum mit unabgeschwächter Bedeutung. Also ein Fall von »voll« und »leer« nehmen desselben Wortes (Gruppe II, f). Ersetzen wir den Ausdruck »ein Bad genommen« durch den gleichwertigen einfacheren »gebadet«, so fällt der Witz weg. Die Antwort paßt nicht mehr. Der Witz haftet also wiederum am Ausdruck »genommen ein Bad«.
Ganz richtig, doch scheint es, daß auch in diesem Falle die Reduktion an unrichtiger Stelle angesetzt hat. Der Witz liegt nicht in der Frage, sondern in der Antwort, in der Gegenfrage: »Wieso? Fehlt eins?« Und diese Antwort ist ihres Witzes durch keine Erweiterung oder Veränderung, die nur ihren Sinn ungestört läßt, zu berauben. Auch haben wir den Eindruck, daß in der Antwort des zweiten Juden das Übersehen des Bades bedeutsamer ist als das Mißverständnis des Wortes »nehmen«. Aber wir sehen auch hier noch nicht klar und wollen ein drittes Beispiel suchen.
Wiederum ein Judenwitz, an dem aber nur das Beiwerk jüdisch ist, der Kern ist allgemein menschlich. Gewiß hat auch dieses Beispiel seine unerwünschten Komplikationen, aber zum Glück nicht diejenigen, welche uns bisher klarzusehen verhindert haben.
50 »Ein Verarmter hat sich von einem wohlhabenden Bekannten unter vielen Beteuerungen seiner Notlage 25 fl. geborgt. Am selben Tage noch trifft ihn der Gönner im Restaurant vor einer Schüssel Lachs mit Mayonnaise. Er macht ihm Vorwürfe: ›Wie, Sie borgen sich Geld von mir aus und dann bestellen Sie sich Lachs mit Mayonnaise. Dazu haben Sie mein Geld gebraucht?‹ ›Ich verstehe Sie nicht‹, antwortet der Beschuldigte, ›wenn ich kein Geld habe, kann ich nicht essen Lachs mit Mayonnaise, wenn ich Geld habe, darf ich nicht essen Lachs mit Mayonnaise. Also wann soll ich eigentlich essen Lachs mit Mayonnaise?‹«
Hier ist endlich nichts mehr von Doppelsinn zu entdecken. Auch die Wiederholung von »Lachs mit Mayonnaise« kann nicht die Technik des Witzes enthalten, denn sie ist nicht »mehrfache Verwendung« desselben Materials, sondern durch den Inhalt geforderte wirkliche Wiederholung des Identischen. Wir dürfen vor dieser Analyse eine Weile ratlos bleiben, werden vielleicht zur Ausflucht greifen wollen, der Anekdote, die uns lachen machte, den Charakter des Witzes zu bestreiten.
Was läßt sich sonst Bemerkenswertes über die Antwort des Verarmten sagen? Daß ihr in eigentlich auffälliger Weise der Charakter des Logischen verliehen ist. Mit Unrecht aber, die Antwort ist ja unlogisch. Der Mann verteidigt sich dagegen, daß er das ihm geliehene Geld für den Leckerbissen verwendet hat, und fragt mit einem Schein von Recht – wann er denn eigentlich Lachs essen darf. Aber das ist gar nicht die richtige Antwort; der Geldgeber wirft ihm nicht vor, daß er sich den Lachs gerade an dem Tage gegönnt, an dem er sich das Geld geborgt, sondern mahnt ihn daran, daß er in seinen Verhältnissen überhaupt nicht das Recht habe, an solche Leckerbissen zu denken. Diesen einzig möglichen Sinn des Vorwurfes läßt der verarmte Bonvivant unberücksichtigt, antwortet, als ob er den Vorwurf mißverstanden hätte, auf etwas anderes.
Wenn nun gerade in dieser Ablenkung der Antwort von dem Sinn des Vorwurfes die Technik dieses Witzes gelegen wäre? Eine ähnliche Veränderung des Standpunktes, Verschiebung des psychischen Akzents wäre dann vielleicht auch in den beiden früheren Beispielen, die wir als verwandt empfunden haben, nachzuweisen.
Siehe da, dieser Nachweis gelingt ganz leicht und deckt in der Tat die Technik dieser Beispiele auf. Soulié macht Heine darauf aufmerksam, daß die Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert das »goldene Kalb« anbetet, geradeso wie einst das Volk der Juden in der Wüste. Dazu paßte eine Antwort von Heine etwa wie: »Ja, so ist die menschliche 51 Natur, die Jahrtausende haben an ihr nichts geändert«, oder irgendetwas anderes Beipflichtendes. Heine lenkt aber in seiner Antwort von dem angeregten Gedanken ab, er antwortet überhaupt nicht darauf, er bedient sich des Doppelsinnes, dessen die Phrase »goldenes Kalb« fähig ist, um einen Seitenweg einzuschlagen, greift den einen Bestandteil der Phrase, das »Kalb«, auf und antwortet, als ob auf dieses der Akzent in der Rede Souliés gefallen wäre: »Oh, das ist kein Kalb mehr« usw.Die Antwort Heines ist eine Kombination von zwei Witztechniken, einer Ablenkung mit einer Anspielung. Er sagt ja nicht direkt: Das ist ein Ochs.
Noch deutlicher ist die Ablenkung im Badewitz. Dieses Beispiel fordert eine graphische Darstellung heraus.
Der erste fragt: »Hast du genommen ein Bad?« Der Akzent ruht auf dem Element Bad.
Der zweite antwortet, als hätte die Frage gelautet: »Hast du genommen ein Bad?«
Der Wortlaut »genommen ein Bad?« soll nur diese Verschiebung des Akzents ermöglichen. Lautete es: »Hast du gebadet?« so wäre ja jede Verschiebung unmöglich. Die unwitzige Antwort wäre dann: »Gebadet? Was meinst du? Ich weiß nicht, was das ist.« Die Technik des Witzes aber liegt in der Verschiebung des Akzents von »Baden« auf »nehmen«Das Wort »nehmen« eignet sich infolge seiner vielseitigen Gebrauchsfähigkeiten sehr gut für die Herstellung von Wortspielen, von denen ich ein reines Beispiel zum Gegensatz gegen den obenstehenden Verschiebungswitz mitteilen will: »Ein bekannter Börsenspekulant und Bankdirektor geht mit einem Freunde über die Ringstraße spazieren. Vor einem Kaffeehaus macht er diesem den Vorschlag: ›Gehen wir hinein und nehmen wir etwas.‹ Der Freund hält ihn zurück: ›Aber Herr Hofrat, es sind doch Leute darin.‹«.
Kehren wir zum Beispiel »Lachs mit Mayonnaise« als dem reinsten zurück. Das Neue an demselben darf uns nach verschiedenen Richtungen beschäftigen. Zunächst müssen wir die hier aufgedeckte Technik mit einem Namen belegen. Ich schlage vor, sie als Verschiebung zu bezeichnen, weil das Wesentliche an ihr die Ablenkung des Gedankenganges, die Verschiebung des psychischen Akzents auf ein anderes als das angefangene Thema ist. Sodann obliegt uns die Untersuchung, in welchem Verhältnis die Verschiebungstechnik zum Ausdruck des Witzes steht. Unser Beispiel (Lachs mit Mayonnaise) läßt uns erkennen, daß der Verschiebungswitz in hohem Grade unabhängig vom wörtlichen Ausdruck ist. Er hängt nicht am Worte, sondern am Gedankengange. Um ihn wegzuschaffen, fruchtet uns keine Ersetzung der Worte bei Festhaltung des Sinnes der Antwort. Die Reduktion ist nur möglich, wenn wir den 52 Gedankengang abändern und den Feinschmecker auf den Vorwurf direkt antworten lassen, welchem er in der Fassung des Witzes ausgewichen ist. Die reduzierte Fassung würde dann lauten: »Was mir schmeckt, kann ich mir nicht versagen, und woher ich das Geld dafür nehme, ist mir gleichgültig. Da haben Sie die Erklärung, warum ich gerade heute Lachs mit Mayonnaise esse, nachdem Sie mir Geld geliehen haben.« – Das wäre aber kein Witz, sondern ein Zynismus.
Es ist lehrreich, diesen Witz mit einem ihm dem Sinne nach sehr nahestehenden zu vergleichen:
Ein Mann, der dem Trunk ergeben ist, ernährt sich in einer kleinen Stadt durch Lektionengeben. Sein Laster wird aber allmählich bekannt, und er verliert infolgedessen die meisten seiner Schüler. Ein Freund wird beauftragt, ihn zur Besserung zu mahnen. »Sehen Sie, Sie könnten die schönsten Lektionen in der Stadt haben, wenn Sie das Trinken aufgeben wollten. Also tun Sie's doch.« – »Wie kommen Sie mir vor?« ist die entrüstete Antwort. »Ich geb' Lektionen, damit ich trinken kann; soll ich das Trinken aufgeben, damit ich Lektionen bekomme!«
Auch dieser Witz trägt den Anschein von Logik, der uns bei »Lachs mit Mayonnaise« aufgefallen ist, aber er ist kein Verschiebungswitz mehr. Die Antwort ist eine direkte. Der Zynismus, der dort verhüllt ist, wird hier offen eingestanden. – »Das Trinken ist mir ja die Hauptsache.« Die Technik dieses Witzes ist eigentlich recht armselig und kann uns dessen Wirkung nicht erklären, sie liegt nur in der Umordnung des gleichen Materials, strenger genommen in der Umkehrung der Mittel- und Zweck-Relation zwischen dem Trinken und dem Lektionengeben oder -bekommen. Sowie ich in der Reduktion dieses Moment im Ausdruck nicht mehr betone, habe ich den Witz verwischt, also etwa so: »Was ist das für unsinnige Zumutung? Mir ist doch das Trinken die Hauptsache, nicht die Lektionen. Die Lektionen sind für mich doch nur ein Mittel, um weitertrinken zu können.« Der Witz haftete also wirklich am Ausdruck.
Im Badewitz ist die Abhängigkeit des Witzes vom Wortlaut (Hast du genommen ein Bad?) unverkennbar, und die Abänderung desselben bringt die Aufhebung des Witzes mit sich. Die Technik ist hier nämlich eine kompliziertere, eine Verbindung von Doppelsinn (von der Unterart f) und Verschiebung. Der Wortlaut der Frage läßt einen 53 Doppelsinn zu, und der Witz kommt dadurch zustande, daß die Antwort nicht an den vom Fragesteller beabsichtigten, sondern an den Nebensinn anknüpft. Wir sind demgemäß imstande, eine Reduktion zu finden, welche den Doppelsinn im Ausdruck bestehen läßt und doch den Witz aufhebt, indem wir bloß die Verschiebung rückgängig machen:
»Hast du genommen ein Bad?« – »Was soll ich genommen haben? Ein Bad? Was ist das?« Das ist aber kein Witz mehr, sondern eine gehässige oder scherzhafte Übertreibung.
Eine ganz ähnliche Rolle spielt der Doppelsinn im Heineschen Witz über das »goldene Kalb«. Er ermöglicht der Antwort die Ablenkung von dem angeregten Gedankengang, welche im Witz von Lachs mit Mayonnaise ohne solche Anlehnung an den Wortlaut geschieht. In der Reduktion würden die Rede Souliés und die Antwort Heines etwa lauten: »Es erinnert doch lebhaft an die Anbetung des goldenen Kalbes, wie die Gesellschaft hier den Mann, bloß weil er so reich ist, umschwärmt.« Und Heine: »Daß er wegen seines Reichtums so gefeiert wird, finde ich nicht das ärgste. Aber Sie betonen mir zu wenig, daß man ihm wegen seines Reichtums seine Dummheit verzeiht.« Damit wäre bei Erhaltung des Doppelsinnes der Verschiebungswitz aufgehoben.
An dieser Stelle dürfen wir uns auf den Einwand gefaßt machen, daß uns vorgehalten werde, diese heikeln Unterscheidungen suchen auseinanderzureißen, was doch zusammengehöre. Gibt nicht jeder Doppelsinn Anlaß zu einer Verschiebung, zu einer Ablenkung des Gedankenganges von dem einen Sinn zum anderen? Und wir sollten damit einverstanden sein, daß »Doppelsinn« und »Verschiebung« als Repräsentanten zweier ganz verschiedener Typen der Witztechnik aufgestellt werden? Nun, diese Beziehung zwischen Doppelsinn und Verschiebung besteht allerdings, aber sie hat mit unserer Unterscheidung der Witztechniken nichts zu tun. Beim Doppelsinn enthält der Witz nichts als ein mehrfacher Deutung fähiges Wort, welches dem Hörer gestattet, den Übergang von einem Gedanken zu einem anderen zu finden, den man etwa – mit einigem Zwang – einer Verschiebung gleichstellen kann. Beim Verschiebungswitz aber enthält der Witz selbst einen Gedankengang, in dem eine solche Verschiebung vollzogen ist; die Verschiebung gehört hier der Arbeit an, die den Witz hergestellt hat, nicht jener, die zu seinem Verständnis notwendig ist. Sollte uns dieser Unterschied nicht einleuchten, so haben wir an den Reduktionsversuchen ein nie versagendes Mittel, uns denselben greifbar vor Augen zu führen. Einen Wert wollen wir 54 aber jenem Einwand nicht bestreiten. Wir werden durch ihn aufmerksam gemacht, daß wir die psychischen Vorgänge bei der Bildung des Witzes (die Witzarbeit) nicht mit den psychischen Vorgängen bei der Aufnahme des Witzes (die Verständnisarbeit) zusammenwerfen dürfen. Nur die ersterenÜber die letzteren siehe die späteren Abschnitte. sind der Gegenstand unserer gegenwärtigen UntersuchungVielleicht sind hier einige Worte zur weiteren Klärung nicht überflüssig: Die Verschiebung findet regelmäßig statt zwischen einer Rede und einer Antwort, welche den Gedankengang nach anderer Richtung fortsetzt, als er in der Rede begonnen wurde. Die Berechtigung, Verschiebung von Doppelsinn zu sondern, geht am schönsten aus den Beispielen hervor, in denen sich beide kombinieren, wo also der Wortlaut der Rede einen Doppelsinn zuläßt, der vom Redner nicht beabsichtigt ist, aber der Antwort den Weg zur Verschiebung weist. (S. die Beispiele.).
Gibt es noch andere Beispiele der Verschiebungstechnik? Sie sind nicht leicht aufzufinden. Ein ganz reines Beispiel, dem auch die bei unserem Vorbild so sehr überbetonte Logik abgeht, ist folgender Witz:
Ein Pferdehändler empfiehlt dem Kunden ein Reitpferd: »Wenn Sie dieses Pferd nehmen und sich um 4 Uhr früh aufsetzen, sind Sie um ½7 Uhr in Preßburg.« – »Was mach' ich in Preßburg um ½7 Uhr früh?«
Die Verschiebung ist hier wohl eklatant. Der Händler erwähnt die frühe Ankunft in der kleinen Stadt offenbar nur in der Absicht, die Leistungsfähigkeit des Pferdes an einer Probe zu beweisen. Der Kunde sieht von dem Leistungsvermögen des Tieres, das er weiter nicht in Zweifel zieht, ab und geht bloß auf die Daten des zur Probe gewählten Beispieles ein. Die Reduktion dieses Witzes ist dann nicht schwer zu geben.
Mehr Schwierigkeiten bietet ein anderes, in seiner Technik recht undurchsichtiges Beispiel, welches sich aber doch als Doppelsinn mit Verschiebung auflösen läßt. Der Witz erzählt von der Ausflucht eines Schadchens (jüdischen Heiratsvermittlers), gehört also zu einer Gruppe, die uns noch mehrfach beschäftigen wird.
Der Schadchen hat dem Bewerber versichert, daß der Vater des Mädchens nicht mehr am Leben ist. Nach der Verlobung stellt sich heraus, daß der Vater noch lebt und eine Kerkerstrafe abbüßt. Der Bewerber macht nun dem Schadchen Vorwürfe. »Nun«, meint dieser, »was habe ich Ihnen gesagt? Ist denn das ein Leben?«
55 Der Doppelsinn liegt in dem Worte »Leben«, und die Verschiebung besteht darin, daß der Schadchen sich von dem gemeinen Sinn des Wortes, in dem es den Gegensatz zu »Tod« bildet, auf den Sinn wirft, den das Wort in der Redensart: Das ist kein Leben, hat. Er erklärt dabei seine damalige Äußerung nachträglich für doppelsinnig, obwohl diese mehrfache Bedeutung gerade hier recht fernliegt. Soweit wäre die Technik ähnlich wie im Witz vom »goldenen Kalb« und im »Badewitz«. Aber es ist hier noch ein anderes Moment zu beachten, welches durch seine Vordringlichkeit das Verständnis der Technik stört. Man könnte sagen, dieser Witz sei ein »charakterisierender«, er bemüht sich, die für den Heiratsvermittler charakteristische Mischung von verlogener Dreistigkeit und schlagfertigem Witz durch ein Beispiel zu illustrieren. Wir werden hören, daß dies nur die Schauseite, die Fassade, des Witzes ist; sein Sinn, d. h. seine Absicht ist eine andere. Wir schieben es auch auf, eine Reduktion von ihm zu versuchenS. unten Abschnitt III..
Nach diesen komplizierten und schwierig zu analysierenden Beispielen wird es uns wiederum Befriedigung bereiten, wenn wir in einem Falle ein völlig reines und durchsichtiges Vorbild eines »Verschiebungswitzes« zu erkennen vermögen. Ein Schnorrer trägt dem reichen Baron seine Bitte um Gewährung einer Unterstützung für die Reise nach Ostende vor; die Ärzte hätten ihm Seebäder zur Herstellung seiner Gesundheit empfohlen. »Gut, ich will Ihnen etwas dazu geben«, meint der Reiche, »aber müssen Sie gerade nach Ostende gehen, dem teuersten aller Seebäder?« – »Herr Baron«, lautet die zurechtweisende Antwort, »für meine Gesundheit ist mir nichts zu teuer.« – Gewiß, ein richtiger Standpunkt, nur eben nicht richtig für den Bittsteller. Die Antwort ist vom Standpunkt eines reichen Mannes gegeben. Der Schnorrer benimmt sich, als wäre es sein eigenes Geld, das er für seine Gesundheit opfern soll, als gingen Geld und Gesundheit die nämliche Person an.
Knüpfen wir nun von neuem an das so lehrreiche Beispiel »Lachs mit Mayonnaise« an. Es kehrte uns gleichfalls eine Schauseite zu, an welcher ein auffälliges Aufgebot von logischer Arbeit zu bemerken war, und wir haben durch die Analyse erfahren, daß diese Logik einen Denkfehler, nämlich eine Verschiebung des Gedankenganges zu verdecken hatte. Von hier aus mögen wir, wenn auch nur auf dem Wege der 56 Kontrastverknüpfung, an andere Witze gemahnt werden, die ganz im Gegenteil etwas Widersinniges, einen Unsinn, eine Dummheit unverhüllt zur Schau stellen. Wir werden neugierig sein, worin die Technik dieser Witze bestehen mag.
Ich stelle das stärkste und zugleich reinste Beispiel der ganzen Gruppe voran. Es ist wiederum ein Judenwitz.
Itzig ist zur Artillerie assentiert worden. Er ist offenbar ein intelligenter Bursche, aber ungefügig und ohne Interesse für den Dienst. Einer seiner Vorgesetzten, der ihm wohlgesinnt ist, nimmt ihn beiseite und sagt ihm: »Itzig, du taugst nicht zu uns. Ich will dir einen Rat geben: Kauf dir eine Kanon' und mach' dich selbständig.«
Der Rat, über den man herzlich lachen kann, ist ein offenbarer Unsinn. Es gibt doch keine Kanonen zu kaufen, und ein einzelner kann sich als Wehrkraft unmöglich selbständig machen, gleichsam »etablieren«. Es kann uns aber keinen Moment zweifelhaft bleiben, daß dieser Rat kein bloßer Unsinn ist, sondern ein witziger Unsinn, ein vorzüglicher Witz. Wodurch wird also der Unsinn zum Witz?
Wir brauchen nicht lange zu überlegen. Aus den in der Einleitung angedeuteten Erörterungen der Autoren können wir erraten, daß in solchem witzigen Unsinn ein Sinn steckt und daß dieser Sinn im Unsinn den Unsinn zum Witz macht. Der Sinn in unserem Beispiel ist leicht zu finden. Der Offizier, welcher dem Artilleristen Itzig den unsinnigen Rat gibt, stellt sich nur dumm, um Itzig zu zeigen, wie dumm er selbst sich benimmt. Er kopiert den Itzig. »Ich will dir jetzt einen Rat geben, der genauso dumm ist wie du.« Er geht auf Itzigs Dummheit ein und bringt sie ihm zur Einsicht, indem er sie zur Grundlage eines Vorschlags macht, der Itzigs Wünschen entsprechen muß, denn besäße Itzig eine eigene Kanone und betriebe das Kriegshandwerk auf eigene Rechnung, wie kämen ihm da seine Intelligenz und sein Ehrgeiz zustatten! Wie würde er die Kanone instand halten und sich mit ihrem Mechanismus vertraut machen, um die Konkurrenz mit anderen Kanonenbesitzern zu bestehen!
Ich unterbreche die Analyse dieses Beispiels, um in einem kürzeren und einfacheren, aber minder grellen Fall von Unsinnswitz den gleichen Sinn des Unsinns nachzuweisen.
»Niemals geboren zu werden, wäre das beste für die sterblichen Menschenkinder.« »Aber«, setzen die Weisen der Fliegenden Blätter hinzu, »unter 100 000 Menschen passiert dies kaum einem.«
57 Der moderne Zusatz zum alten Weisheitsspruch ist ein klarer Unsinn, der durch das anscheinend vorsichtige »kaum« noch dümmer wird. Aber er knüpft als unbestreitbar richtige Einschränkung an den ersten Satz an, kann uns also die Augen darüber öffnen, daß jene mit Ehrfurcht vernommene Weisheit auch nicht viel besser als ein Unsinn ist. Wer nie geboren worden ist, ist überhaupt kein Menschenkind; für den gibt es kein Gutes und kein Bestes. Der Unsinn im Witze dient also hier zur Aufdeckung und Darstellung eines anderen Unsinns wie im Beispiel vom Artilleristen Itzig.
Ich kann hier ein drittes Beispiel anfügen, welches durch seinen Inhalt die ausführliche Mitteilung, die es erfordert, kaum verdienen würde, aber gerade wieder die Verwendung des Unsinns im Witze zur Darstellung eines anderen Unsinns besonders deutlich erläutert:
Ein Mann, der verreisen muß, vertraut seine Tochter einem Freunde an mit der Bitte, während seiner Abwesenheit über ihre Tugend zu wachen. Er kommt nach Monaten zurück und findet sie geschwängert. Natürlich macht er dem Freund Vorwürfe. Der kann sich den Unglücksfall angeblich nicht erklären. »Wo hat sie denn geschlafen?« fragt endlich der Vater. – »Im Zimmer mit meinem Sohn.« – »Aber wie kannst du sie im selben Zimmer mit deinem Sohn schlafen lassen, nachdem ich dich so gebeten habe, sie zu behüten?« – »Es war doch eine spanische Wand zwischen ihnen. Da war das Bett von deiner Tochter, da das Bett von meinem Sohn und dazwischen die spanische Wand.« – »Und wenn er um die spanische Wand herumgegangen ist?« – »Außer das«, meint der andere nachdenklich. »So wäre es möglich.«
Von diesem, seinen sonstigen Qualitäten nach recht geringen Witz gelangen wir am leichtesten zur Reduktion. Sie würde offenbar lauten: Du hast kein Recht, mir Vorwürfe zu machen. Wie kannst du denn so dumm sein, deine Tochter in ein Haus zu geben, in dem sie in der beständigen Gesellschaft eines jungen Mannes leben muß? Als ob es einem Fremden möglich wäre, unter solchen Umständen für die Tugend eines Mädchens einzustehen! Die scheinbare Dummheit des Freundes ist also auch hier nur die Spiegelung der Dummheit des Vaters. Durch die Reduktion haben wir die Dummheit im Witze und mit ihr den Witz selbst beseitigt. Das Element »Dummheit« selbst sind wir nicht losgeworden; es findet im Zusammenhange des auf seinen Sinn reduzierten Satzes eine andere Stelle.
Nun können wir auch die Reduktion des Witzes von der Kanone versuchen. Der Offizier hätte zu sagen: »Itzig, ich weiß, du bist ein 58 intelligenter Geschäftsmann. Aber ich sage dir, es ist eine große Dummheit, wenn du nicht einsiehst, daß es beim Militär unmöglich so zugehen kann wie im Geschäftsleben, wo jeder auf eigene Faust und gegen den anderen arbeitet. Beim Militär heißt es sich unterordnen und zusammenwirken.«
Die Technik der bisherigen Unsinnswitze besteht also wirklich in der Anbringung von etwas Dummem, Unsinnigem, dessen Sinn die Veranschaulichung, Darstellung von etwas anderem Dummen und Unsinnigen ist.
Hat die Verwendung des Widersinnes in der Witztechnik jedesmal diese Bedeutung? Hier ist noch ein Beispiel, welches im bejahenden Sinne antwortet:
Als dem Phokion einmal nach einer Rede Beifall geklatscht wurde, fragte er zu seinen Freunden gewendet: »Was habe ich denn Dummes gesagt?«
Diese Frage klingt widersinnig. Aber wir verstehen alsbald ihren Sinn. »Was habe ich denn gesagt, was diesem dummen Volk so gefallen konnte? Ich müßte mich ja eigentlich des Beifalls schämen; wenn es den Dummen gefallen hat, kann es selbst nicht sehr gescheit gewesen sein.«
Andere Beispiele können uns aber darüber belehren, daß der Widersinn sehr häufig in der Witztechnik gebraucht wird, ohne dem Zwecke der Darstellung eines anderen Unsinns zu dienen.
Einem bekannten Universitätslehrer, der sein wenig anmutendes Spezialfach reichlich mit Witzen zu würzen pflegt, wird zur Geburt seines jüngsten Kindes gratuliert, das ihm in bereits vorgerücktem Alter beschieden wurde. »Ja«, erwiderte er den Glückwünschenden, »es ist merkwürdig, was Menschenhände zustande bringen können.« – Diese Antwort erscheint ganz besonders sinnlos und nicht am Platze. Kinder heißen doch ein Segen Gottes recht im Gegensatz zum Werk der Menschenhand. Aber bald fällt uns ein, daß diese Antwort doch einen Sinn hat, und zwar einen obszönen. Es ist keine Rede davon, daß der glückliche Vater sich dumm stellen will, um etwas anderes oder andere Personen als dumm zu bezeichnen. Die anscheinend sinnlose Antwort wirkt auf uns überraschend, verblüffend, wie wir mit den Autoren sagen wollen. Wir haben gehört, daß die Autoren die ganze Wirkung solcher Witze aus dem Wechsel von »Verblüffung; und Erleuchtung« ableiten. Darüber wollen wir uns später ein Urteil zu bilden versuchen; 59 wir begnügen uns hervorzuheben, daß die Technik dieses Witzes in der Anbringung von solchem Verblüffenden, Unsinnigen besteht.
Eine ganz besondere Stellung unter diesen Dummheitswitzen nimmt ein Witz von Lichtenberg ein.
Er wundere sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten. Sich über etwas Selbstverständliches zu wundern, etwas, was eigentlich nur die Auseinandersetzung einer Identität ist, ist doch gewiß eine Dummheit. Es mahnt an einen ernsthaft gemeinten Ausruf bei Michelet (Das Weib), der nach meiner Erinnerung etwa so lautet: Wie schön ist es doch von der Natur eingerichtet, daß das Kind, sobald es zur Welt kommt, eine Mutter vorfindet, die bereit ist, sich seiner anzunehmen! Der Satz von Michelet ist eine wirkliche Dummheit, aber der Lichtenbergsche ist ein Witz, der sich der Dummheit zu irgendeinem Zwecke bedient, hinter dem etwas steckt. Was? Das können wir freilich in diesem Moment nicht angeben.
Wir haben nun bereits an zwei Gruppen von Beispielen erfahren, daß die Witzarbeit sich der Abweichungen vom normalen Denken, der Verschiebung und des Widersinnes, als technischer Mittel zur Herstellung des witzigen Ausdrucks bedient. Es ist gewiß eine berechtigte Erwartung, daß auch andere Denkfehler eine gleiche Verwendung finden können. Wirklich lassen sich einige Beispiele von dieser Art angeben:
Ein Herr kommt in eine Konditorei und läßt sich eine Torte geben; bringt dieselbe aber bald wieder und verlangt an ihrer Statt ein Gläschen Likör. Dieses trinkt er aus und will sich entfernen, ohne gezahlt zu haben. Der Ladenbesitzer hält ihn zurück. »Was wollen Sie von mir?« – »Sie sollen den Likör bezahlen.« – »Für den habe ich Ihnen ja die Torte gegeben.« – »Die haben Sie ja auch nicht bezahlt.« – »Die habe ich ja auch nicht gegessen.«
Auch dieses Geschichtchen trägt den Schein von Logik zur Schau, den wir als geeignete Fassade für einen Denkfehler bereits kennen. Der Fehler liegt offenbar darin, daß der schlaue Kunde zwischen dem Zurückgeben der Torte und dem Dafürnehmen des Likörs eine Beziehung herstellt, die nicht besteht. Der Sachverhalt zerfällt vielmehr in zwei Vorgänge, die für den Verkäufer voneinander unabhängig sind, nur in 60 seiner eigenen Absicht im Verhältnisse des Ersatzes stehen. Er hat zuerst die Torte genommen und zurückgegeben, für die er also nichts schuldig ist, dann nimmt er den Likör, und den ist er schuldig zu bezahlen. Man kann sagen, der Kunde wende die Relation »dafür« doppelsinnig an; richtiger, er stelle vermittels eines Doppelsinnes eine Verbindung her, die sachlich nicht stichhaltig istEine ähnliche Unsinnstechnik ergibt sich, wenn der Witz einen Zusammenhang aufrechterhalten will, der durch die besonderen Bedingungen seines Inhalts aufgehoben erscheint. Dazu gehört Lichtenbergs Messer ohne Klinge, wo der Stiel fehlt. Ähnlich der von J. Falke erzählte Witz: »Ist das die Stelle, wo der Duke of Wellington diese Worte gesprochen hat?« – »Ja, das ist die Stelle, aber die Worte hat er nie gesprochen.«.
Es ist nun die Gelegenheit da, ein nicht unwichtiges Bekenntnis abzulegen. Wir beschäftigen uns hier mit der Erforschung der Technik des Witzes an Beispielen und sollten also sicher sein, daß die von uns gewählten Beispiele wirklich richtige Witze sind. Es steht aber so, daß wir in einer Reihe von Fällen ins Schwanken geraten, ob das betreffende Beispiel ein Witz genannt werden darf oder nicht. Ein Kriterium steht uns ja nicht zu Gebote, ehe die Untersuchung ein solches ergeben hat; der Sprachgebrauch ist unzuverlässig und bedarf selbst der Prüfung auf seine Berechtigung; wir können uns bei der Entscheidung auf nichts anderes stützen als auf eine gewisse »Empfindung«, welche wir dahin interpretieren dürfen, daß sich in unserem Urteilen die Entscheidung nach bestimmten Kriterien vollziehe, die unserer Erkenntnis noch nicht zugänglich sind. Für eine zureichende Begründung werden wir die Berufung auf diese »Empfindung« nicht ausgeben dürfen. Bei dem letzterwähnten Beispiel werden wir nun zweifeln müssen, ob wir es als Witz darstellen dürfen, als einen sophistischen Witz etwa, oder als ein Sophisma schlechtweg. Wir wissen eben noch nicht, worin der Charakter des Witzes liegt.
Hingegen ist das nächstfolgende Beispiel, welches den sozusagen komplementären Denkfehler aufweist, ein unzweifelhafter Witz. Es ist wiederum eine Heiratsvermittlergeschichte:
Der Schadchen verteidigt das von ihm vorgeschlagene Mädchen gegen die Ausstellungen des jungen Mannes. »Die Schwiegermutter gefällt mir nicht«, sagt dieser, »sie ist eine boshafte, dumme Person.« – »Sie heiraten doch nicht die Schwiegermutter, Sie wollen die Tochter.« – »Ja, aber jung ist sie nicht mehr und schön von Gesicht gerade auch nicht.« – »Das macht nichts; ist sie nicht jung und schön, wird sie Ihnen um so eher treu bleiben.« – »Geld ist auch nicht viel da.« – »Wer spricht vom Geld? 61 Heiraten Sie denn das Geld? Sie wollen doch eine Frau!« – »Aber sie hat ja auch einen Buckel!« – »Nun, was wollen Sie? Gar keinen Fehler soll sie haben.«
Es handelt sich also in Wirklichkeit um ein nicht mehr junges, unschönes Mädchen mit geringer Mitgift, das eine abstoßende Mutter hat und außerdem mit einer argen Verunstaltung versehen ist. Gewiß keine zur Eheschließung einladenden Verhältnisse. Der Heiratsvermittler weiß bei jedem einzelnen dieser Fehler anzugeben, von welchem Gesichtspunkte man sich mit ihm versöhnen könnte; den nicht zu entschuldigenden Buckel nimmt er dann als den einen Fehler in Anspruch, den man jedem Menschen hingehen lassen müsse. Es liegt wiederum der Schein von Logik vor, welcher für das Sophisma charakteristisch ist und der den Denkfehler verdecken soll. Das Mädchen hat offenbar lauter Fehler, mehrere, über die man hinwegsehen könnte, und einen, über den man nicht hinwegkommt; es ist nicht zu heiraten. Der Vermittler tut, als ob jeder einzelne Fehler durch seine Ausflucht beseitigt wäre, während doch von jedem ein Stück Entwertung erübrigt, das sich zum nächsten summiert. Er besteht darauf, jeden Faktor vereinzelt zu behandeln, und weigert sich, sie zur Summe zusammenzusetzen.
Die nämliche Unterlassung ist der Kern eines anderen Sophismas, das viel belacht worden ist, dessen Berechtigung, ein Witz zu heißen, man aber anzweifeln könnte.
A hat von B einen kupfernen Kessel entlehnt und wird nach der Rückgabe von B verklagt, weil der Kessel nun ein großes Loch zeigt, das ihn unverwendbar macht. Seine Verteidigung lautet: »Erstens habe ich von B überhaupt keinen Kessel entlehnt; zweitens hatte der Kessel bereits ein Loch, als ich ihn von B übernahm; drittens habe ich den Kessel ganz zurückgegeben.« Jede einzelne Einrede ist für sich gut, zusammengenommen aber schließen sie einander aus. A behandelt isoliert, was im Zusammenhange betrachtet werden muß, ganz wie der Heiratsvermittler mit den Mängeln der Braut verfährt. Man kann auch sagen: A setzt das »und« an die Stelle, an der nur ein »entweder – oder« möglich ist.
Ein anderes Sophisma begegnet uns in der folgenden Heiratsvermittlergeschichte.
Der Bewerber hat auszusetzen, daß die Braut ein kürzeres Bein hat und hinkt. Der Schadchen widerspricht ihm. »Sie haben unrecht. Nehmen Sie an, Sie heiraten eine Frau mit gesunden, geraden Gliedern. Was 62 haben Sie davon? Sie sind keinen Tag sicher, daß sie nicht hinfällt, ein Bein bricht und dann lahm ist fürs ganze Leben. Und dann die Schmerzen, die Aufregung, die Doktorrechnung! Wenn Sie aber die nehmen, so kann Ihnen das nicht passieren; da haben Sie eine fertige Sach'.«
Der Schein von Logik ist hier recht dünn, und niemand wird dem bereits »fertigen Unglück« gar noch einen Vorzug vor dem bloß möglichen zugestehen wollen. Der in dem Gedankengang enthaltene Fehler wird sich leichter an einem zweiten Beispiel aufzeigen lassen, einer Geschichte, die ich des Jargons nicht völlig entkleiden mag.
Im Tempel zu Krakau sitzt der große Rabbi N. und betet mit seinen Schülern. Er stößt plötzlich einen Schrei aus und äußert, von den besorgten Schülern befragt: »Eben jetzt ist der große Rabbi L. in Lemberg gestorben.« Die Gemeinde legt Trauer um den Verstorbenen an. Im Laufe der nächsten Tage werden nun die aus Lemberg Ankommenden befragt, wie der Rabbi gestorben, was ihm gefehlt, aber sie wissen nichts davon, sie haben ihn im besten Wohlbefinden verlassen. Es stellt sich endlich als ganz gesichert heraus, daß Rabbi L. in Lemberg nicht zu jener Stunde gestorben ist, in der Rabbi N. seinen Tod telepathisch verspürte, da er immer noch weiter lebt. Ein Fremder ergreift die Gelegenheit, einen Schüler des Krakauer Rabbi mit dieser Begebenheit aufzuziehen. »Es war doch eine große Blamage von eurem Rabbi, daß er damals den Rabbi L. in Lemberg sterben gesehen hat. Der Mann lebt noch heute.« »Macht nichts«, erwidert der Schüler, »der Kück»Kück« von »gucken«, also Blick, Fernblick. von Krakau bis nach Lemberg war doch großartig.«
Hier wird der beiden letzten Beispielen gemeinsame Denkfehler unverhüllt eingestanden. Der Wert der Phantasievorstellung wird gegen die Realität ungebührlich erhoben, die Möglichkeit fast der Wirklichkeit gleichgestellt. Der Fernblick über die Krakau von Lemberg trennende Länderstrecke wäre eine imposante telepathische Leistung, wenn er etwas Wahres ergeben hätte, aber darauf kommt es dem Schüler nicht an. Es wäre doch möglich gewesen, daß der Rabbi in Lemberg in jenem Moment gestorben wäre, in dem der Krakauer Rabbi seinen Tod verkündete, und dem Schüler verschiebt sich der Akzent von der Bedingung, unter der die Leistung des Lehrers bewundernswert ist, zur unbedingten Bewunderung dieser Leistung. »In magnis rebus voluisse sat est« bezeugt einen ähnlichen Standpunkt. Ebenso wie in diesem Beispiel von 63 der Realität abgesehen wird zugunsten der Möglichkeit, so mutet im vorigen der Heiratsvermittler dem Bewerber zu, die Möglichkeit, daß eine Frau durch einen Unfall lahm werden kann, als das bei weitem Bedeutsamere ins Auge zu fassen, wogegen die Frage, ob sie wirklich lahm ist oder nicht, ganz zurücktreten soll.
Dieser Gruppe der sophistischen Denkfehler reiht sich eine interessante andere an, in welcher man den Denkfehler als einen automatischen bezeichnen kann. Es ist vielleicht nur eine Laune des Zufalls, daß alle Beispiele, die ich aus dieser neuen Gruppe anführen werde, wiederum den Schadchengeschichten angehören:
»Ein Schadchen hat zur Besprechung über die Braut einen Gehilfen mitgebracht, der seine Mitteilungen bekräftigen soll. Sie ist gewachsen wie ein Tannenbaum, meint der Schadchen. – Wie ein Tannenbaum, wiederholt das Echo. – Und Augen hat sie, die muß man gesehen haben. – Heißt Augen, die sie hat! bekräftigt das Echo. – Und gebildet ist sie wie keine andere. – Und wie gebildet! – Aber das eine ist wahr, gesteht der Vermittler zu, sie hat einen kleinen Höcker. – Aber ein Höcker! bekräftigt wieder das Echo.« Die anderen Geschichten sind ganz analog, obwohl sinnreicher.
»Der Bräutigam ist bei der Vorstellung der Braut sehr unangenehm überrascht und zieht den Vermittler beiseite, um ihm flüsternd seine Ausstellungen mitzuteilen. ›Wozu haben Sie mich hiehergebracht?‹ fragt er ihn vorwurfsvoll. ›Sie ist häßlich und alt, schielt und hat schlechte Zähne und triefende Augen ...‹ – ›Sie können laut sprechen‹, wirft der Vermittler ein, ›taub ist sie auch.‹«
»Der Bräutigam macht mit dem Vermittler den ersten Besuch im Hause der Braut, und während sie im Salon auf das Erscheinen der Familie warten, macht der Vermittler auf einen Glasschrank aufmerksam, in welchem die schönsten Silbergeräte zur Schau gestellt sind. ›Da schauen Sie hin, an diesen Sachen können Sie sehen, wie reich diese Leute sind.‹ – ›Aber‹, fragt der mißtrauische junge Mann, ›wäre es denn nicht möglich, daß diese schönen Sachen nur für die Gelegenheit zusammengeborgt sind, um den Eindruck des Reichtums zu machen?‹ – ›Was fällt Ihnen ein?‹ antwortet der Vermittler abweisend. Wer wird denn den Leuten was borgen!‹«
In allen drei Fällen ereignet sich das nämliche. Eine Person, die mehrmals nacheinander in gleicher Weise reagiert hat, setzt diese Weise der Äußerung auch bei dem nächsten Anlasse fort, wo sie unpassend wird und den Absichten der Person zuwiderläuft. Sie versäumt es, sich den 64 Anforderungen der Situation anzupassen, indem sie dem Automatismus der Gewöhnung nachgibt. So vergißt der Helfer in der ersten Geschichte, daß er mitgenommen wurde, um den Bewerber zugunsten der vorgeschlagenen Braut zu stimmen, und da er bisher seiner Aufgabe gerecht wurde, indem er die vorgebrachten Vorzüge der Braut durch seine Wiederholung unterstrich, unterstreicht er jetzt auch ihren schüchtern zugestandenen Höcker, den er hätte verkleinern sollen. Der Vermittler der zweiten Geschichte wird von der Aufzählung der Mängel und Gebrechen der Braut so fasziniert, daß er die Liste derselben aus seiner eigenen Kenntnis vervollständigt, wiewohl das gewiß nicht sein Amt und seine Absicht ist. In der dritten Geschichte endlich läßt er sich von seinem Eifer, den jungen Mann von dem Reichtum der Familie zu überzeugen, so weit hinreißen, daß er, um nur in dem einen Beweispunkte recht zu behalten, etwas vorbringt, was seine ganze Bemühung umstoßen muß. Überall siegt der Automatismus über die zweckmäßige Abänderung des Denkens und Äußerns.
Das ist nun leicht einzusehen, aber verwirrend muß es wirken, wenn wir aufmerksam werden, daß diese drei Geschichten mit dem gleichen Recht als »komisch« bezeichnet werden können, wie wir sie als witzig angeführt haben. Die Aufdeckung des psychischen Automatismus gehört zur Technik des Komischen wie jede Entlarvung, jeder Selbstverrat. Wir sehen uns hier plötzlich vor das Problem der Beziehung des Witzes zur Komik gestellt, das wir zu umgehen trachteten. (Siehe Einleitung.) Sind diese Geschichten etwa nur »komisch« und nicht auch »witzig«? Arbeitet hier die Komik mit denselben Mitteln wie der Witz? Und wiederum, worin besteht der besondere Charakter des Witzigen?
Wir müssen daran festhalten, daß die Technik der letztuntersuchten Gruppe von Witzen in nichts anderem als in der Anbringung von »Denkfehlern« besteht, sind aber genötigt zuzugestehen, daß deren Untersuchung uns bisher mehr ins Dunkel als zur Erkenntnis geführt hat. Wir geben jedoch die Erwartung nicht auf, durch eine vollständigere Kenntnis der Techniken des Witzes zu einem Ergebnis zu gelangen, welches der Ausgangspunkt für weitere Einsichten werden kann.
Die nächsten Beispiele von Witz, an denen wir unsere Untersuchung fortsetzen wollen, geben leichtere Arbeit. Ihre Technik erinnert uns vor allem an Bekanntes.
65 Etwa ein Witz von Lichtenberg:
»Der Januarius ist der Monat, da man seinen guten Freunden Wünsche darbringt, und die übrigen die, worin sie nicht erfüllt werden.«
Da diese Witze eher fein als stark zu nennen sind und mit wenig aufdringlichen Mitteln arbeiten, wollen wir uns den Eindruck von ihnen erst durch Häufung verstärken.
»Das menschliche Leben zerfällt in zwei Hälften, in der ersten wünscht man die zweite herbei, und in der zweiten wünscht man die erste zurück.«
»Die Erfahrung besteht darin, daß man erfährt, was man nicht zu erfahren wünscht« (beide bei K. Fischer).
Es ist unvermeidlich, daß wir durch diese Beispiele an eine früher behandelte Gruppe gemahnt werden, welche sich durch die »mehrfache Verwendung desselben Materials« auszeichnet. Das letzte Beispiel besonders wird uns veranlassen, die Frage aufzuwerfen, warum wir es nicht dort angereiht haben, anstatt es hier in neuem Zusammenhange aufzuführen. Die Erfahrung wird wieder durch ihren eigenen Wortlaut beschrieben, wie an jener Stelle die Eifersucht (vgl. S. 36). Auch würde ich mich gegen diese Zuweisung nicht viel sträuben. An den beiden anderen Beispielen, meine ich aber, die ja ähnlichen Charakters sind, ist ein anderes Moment auffälliger und bedeutsamer als die mehrfache Verwendung derselben Worte, der hier alles an Doppelsinn Streifende abgeht. Und zwar möchte ich hervorheben, daß hier neue und unerwartete Einheiten hergestellt sind, Beziehungen von Vorstellungen zueinander, und Definitionen durcheinander oder durch die Beziehung auf ein gemeinsames Drittes. Ich möchte diesen Vorgang Unifizierung heißen; er ist offenbar der Verdichtung durch Zusammendrängung in die nämlichen Worte analog. So werden die zwei Hälften des menschlichen Lebens durch eine zwischen ihnen entdeckte gegenseitige Beziehung beschrieben; in der ersten wünscht man die zweite herbei, in der zweiten die erste zurück. Es sind, genauer gesagt, zwei sehr ähnliche Beziehungen zueinander, die zur Darstellung gewählt wurden. Der Ähnlichkeit der Beziehungen entspricht dann die Ähnlichkeit der Worte, welche uns eben an die mehrfache Verwendung des nämlichen Materials mahnen konnte (herbeiwünschen – zurückwünschen). In dem Witz von Lichtenberg sind der Januar und die ihm gegenübergestellten Monate durch eine wiederum modifizierte Beziehung zu etwas Drittem charakterisiert; dies sind die Glückwünsche, die man in dem einen Monat empfängt und die sich in den anderen nicht erfüllen. Der Unterschied 66 von der mehrfachen Verwendung des gleichen Materials, die sich ja dem Doppelsinn annähert, ist hier recht deutlichIch will mich der früher erwähnten eigentümlichen Negativrelation des Witzes zum Rätsel, daß der eine verbirgt, was das andere zur Schau stellt, bedienen, um die »Unifizierung« besser, als obige Beispiele es gestatten, zu beschreiben. Viele der Rätsel, mit deren Produktion sich der Philosoph G. Th. Fechner die Zeit seiner Erblindung vertrieb, zeichnen sich durch einen hohen Grad von Unifizierung aus, der ihnen einen besonderen Reiz verleiht. Man nehme z. B. das schöne Rätsel Nr. 203 (Rätselbüchlein von Dr. Mises. Vierte vermehrte Auflage, Jahreszahl nicht angegeben):
»Die beiden ersten finden ihre Ruhestätte Von den beiden Silbenpaaren, die zu erraten sind, ist nichts angegeben als eine Beziehung zueinander, und vom Ganzen nur eine solche zum ersten Paar. (Die Auflösung lautet: Totengräber.) Oder folgende zwei Beispiele von Beschreibung durch Relation zu dem nämlichen oder wenig modifizierten dritten: Nr. 170. »Die erste Silb' hat Zahn' und Haare, Nr. 168. »Die erste Silbe frißt, Die vollendetste Unifizierung findet sich in einem Rätsel von Schleiermacher, das man nicht anders als witzig heißen kann: »Von der letzten umschlungen Die größte Mehrzahl aller Silbenrätsel ist der Unifizierung bar, d. h. das Merkmal, aus dem die eine Silbe erraten werden soll, ist ganz unabhängig von dem für die zweite, dritte Silbe und wiederum von dem Anhaltspunkt fürs selbständige Erraten des Ganzen.
Im Paar der andern, und das Ganze macht ihr Bette.«
Die zweite Zähne in den Haaren.
Wer auf den Zähnen nicht hat Haare,
Vom Ganzen kaufe keine Ware.« (Roßkamm.)
Die andere Silbe ißt,
Die dritte wird gefressen,
Das Ganze wird gegessen.« (Sauerkraut.)
Schwebt das vollendete Ganze
Zu den zwei ersten empor.« (Galgenstrick.)
Ein schönes Beispiel von Unifizierungswitz, das der Erläuterung nicht bedarf, ist folgendes:
Der französische Odendichter J. B. Rousseau schrieb eine Ode an die Nachwelt (à la posterité); Voltaire fand, daß der Wert des Gedichtes dasselbe keineswegs berechtige, auf die Nachwelt zu kommen, und sagte witzig: »Dieses Gedicht wird nicht an seine Adresse gelangen.« (Nach K. Fischer).
Das letzte Beispiel kann uns darauf aufmerksam machen, daß es wesentlich die Unifizierung ist, welche den sogenannt schlagfertigen Witzen zugrunde liegt. Die Schlagfertigkeit besteht ja im Eingehen der Abwehr auf die Aggression, im »Umkehren des Spießes«, im 67 »Bezahlen mit gleicher Münze«, also in Herstellung einer unerwarteten Einheit zwischen Angriff und Gegenangriff.
Z. B.: Bäcker zum Wirt, der einen schwärenden Finger hat: »Der ist dir wohl in dein Bier hineingekommen?« Wirt: »Das nicht, aber es ist mir eine von deinen Semmeln unter den Nagel geraten.« (Nach Überhorst, Das Komische, Bd. 2, 1900.)
Serenissimus macht eine Reise durch seine Staaten und bemerkt in der Menge einen Mann, der seiner eigenen hohen Person auffällig ähnlich sieht. Er winkt ihn heran, um ihn zu fragen: »Hat Seine Mutter wohl einmal in der Residenz gedient?« – »Nein, Durchlaucht«, lautet die Antwort, »aber mein Vater.«
Herzog Karl von Württemberg trifft auf einem seiner Spazierritte von ungefähr einen Färber, der mit seiner Hantierung beschäftigt ist. »Kann Er meinen Schimmel blau färben?« ruft ihm der Herzog zu und erhält die Antwort zurück: »Jawohl, Durchlaucht, wenn er das Sieden vertragen kann!«
Bei dieser ausgezeichneten »Retourkutsche« – die eine unsinnige Anfrage mit einer ebenso unmöglichen Bedingung beantwortet – wirkt noch ein anderes technisches Moment mit, das ausgeblieben wäre, wenn die Antwort des Färbers gelautet hätte: »Nein, Durchlaucht; ich fürchte, der Schimmel wird das Sieden nicht vertragen.«
Der Unifizierung steht noch ein anderes, ganz besonders interessantes technisches Mittel zu Gebote, die Anreihung durch das Bindewort und. Solche Anreihung bedeutet Zusammenhang; wir verstehen sie nicht anders. Wenn z. B. Heine in der Harzreise von der Stadt Göttingen erzählt: »Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh«, so verstehen wir diese Zusammenstellung genau in dem Sinne, der durch den Zusatz Heines noch unterstrichen wird: »welche vier Stände doch nichts weniger als scharf geschieden sind.« Oder, wenn er von der Schule spricht, wo er »soviel Latein, Prügel und Geographie« ausstehen mußte, so will diese Anreihung, die durch die Mittelstellung der Prügel zwischen den beiden Lehrgegenständen überdeutlich wird, uns sagen, daß wir die durch die Prügel unverkennbar bezeichnete Auffassung des Schulknaben gewiß auch auf Latein und Geographie ausdehnen sollen.
Bei Lipps finden wir unter den Beispielen von »witziger Aufzählung« (»Koordination«) als nächst verwandt dem Heineschen »Studenten, Professoren, Philister und Vieh« den Vers:
»Mit einer Gabel und mit Müh'
zog ihn die Mutter aus der Brüh'«;
als 68 ob die Mühe ein Instrument wäre wie die Gabel, setzt Lipps erläuternd hinzu. Wir empfangen aber den Eindruck, als sei dieser Vers gar nicht witzig, allerdings sehr komisch, während die Heinesche Anreihung ein unzweifelhafter Witz ist. Vielleicht werden wir uns später an diese Beispiele erinnern, wenn wir dem Problem des Verhältnisses von Komik und Witz nicht mehr auszuweichen brauchen.
Am Beispiel vom Herzog und vom Färber haben wir bemerkt, daß es ein Witz durch Unifizierung bliebe, wenn der Färber antworten würde: Nein, ich fürchte, der Schimmel wird das Sieden nicht vertragen. Seine Antwort lautete aber: Ja, Durchlaucht, wenn er das Sieden vertragen kann. In der Ersetzung des eigentlich hingehörigen »Nein« durch ein »Ja« liegt ein neues technisches Mittel des Witzes, dessen Verwendung wir an anderen Beispielen verfolgen wollen.
Ein dem eben erwähnten bei K. Fischer benachbarter Witz ist einfacher: Friedrich der Große hört von einem Prediger in Schlesien, der im Rufe steht, mit Geistern zu verkehren; er läßt den Mann kommen und empfängt ihn mit der Frage: »Er kann Geister beschwören?« Die Antwort war: »Zu Befehl, Majestät, aber sie kommen nicht.« Hier ist es nun ganz augenfällig, daß das Mittel des Witzes in nichts anderem bestand als in der Ersetzung des einzig möglichen »Nein« durch sein Gegenteil. Um diese Ersetzung durchzuführen, mußte an das »Ja« ein »aber« geknüpft werden, so daß »ja« und »aber« dem Sinne von »nein« gleichkommen.
Diese Darstellung durchs Gegenteil, wie wir sie nennen wollen, dient der Witzarbeit in verschiedenen Ausführungen. In folgenden zwei Beispielen tritt sie fast rein hervor: Heine: »Diese Frau glich in vielen Punkten der Venus von Melos: sie ist auch außerordentlich alt, hat ebenfalls keine Zähne und auf der gelblichen Oberfläche ihres Körpers einige weiße Flecken.«
Eine Darstellung der Häßlichkeit vermittels ihrer Übereinstimmungen mit dem Schönsten; diese Übereinstimmungen können freilich nur in doppelsinnig ausgedrückten Eigenschaften oder in Nebensachen bestehen. Letzteres trifft für das zweite Beispiel zu:
Lichtenberg: ›Der große Geist‹.
»Er hatte die Eigenschaften der größten Männer in sich vereinigt, er trug den Kopf schief wie Alexander, hatte immer etwas in den Haaren 69 zu nesteln wie Cäsar, konnte Kaffee trinken wie Leibniz, und wenn er einmal recht in seinem Lehnstuhl saß, so vergaß er Essen und Trinken darüber wie Newton, und man mußte ihn wie diesen wecken; seine Perücke trug er wie Dr. Johnson, und ein Hosenknopf stand ihm immer offen wie dem Cervantes.«
Ein besonders schönes Beispiel von Darstellung durch das Gegenteil, in welchem auf die Verwendung doppelsinniger Worte gänzlich verzichtet ist, hat J. v. Falke von einer Reise nach Irland heimgebracht. Schauplatz ein Wachsfigurenkabinett, sagen wir Madame Tussaud. Auch hier ein Führer, der eine Gesellschaft von alt und jung von Figur zu Figur mit seinen Erläuterungen begleitet. »This is the Duke of Wellington and his horse«, worauf ein junges Fräulein die Frage stellt: »Which is the Duke of Wellington and which is his horse?« »Just, as you like, my pretty child«, lautet die Antwort, »you pay the money and you have the choice.« (Welches ist der Herzog von W. und welches ist sein Pferd? – Wie es Ihnen beliebt, mein schönes Kind, Sie zahlen Ihr Geld und Sie haben die Wahl.) (1897, S. 271.)
Die Reduktion dieses irischen Witzes würde lauten: Unverschämt, was diese Wachsfigurenleute dem Publikum zu bieten wagen! Pferd und Reiter sind nicht auseinanderzukennen. (Scherzhafte Übertreibung.) Und dafür zahlt man sein gutes Geld! Diese entrüstete Äußerung wird nun dramatisiert, in einem kleinen Vorfall begründet, an Stelle des Publikums im allgemeinen tritt eine einzelne Dame, die Reiterfigur wird individuell, bestimmt, es muß der in Irland so überaus populäre Herzog von Wellington sein. Die Unverschämtheit des Besitzers oder Führers aber, der den Leuten das Geld aus der Tasche zieht und ihnen nichts dafür bietet, wird durch das Gegenteil dargestellt, durch eine Rede, in welcher er sich als gewissenhaften Geschäftsmann herausstreicht, dem nichts mehr am Herzen liegt als die Achtung der Rechte, die das Publikum durch die Zahlung erworben hat. Nun merkt man auch, daß die Technik dieses Witzes keine ganz einfache ist. Indem ein Weg gefunden wurde, den Schwindler seine Gewissenhaftigkeit beteuern zu lassen, ist der Witz ein Fall von Darstellung durchs Gegenteil; indem er dies aber bei einem Anlaß tut, wo man ganz anderes von ihm verlangt, so daß er mit geschäftlicher Solidität antwortet, wo man Ähnlichkeit der Figuren von ihm erwartet, ist es ein Beispiel von Verschiebung. Die Technik des Witzes liegt in der Kombination der beiden Mittel.
Von diesem Beispiel ist es nicht weit zu einer kleinen Gruppe, die man 70 als Überbietungswitze benennen könnte. In ihnen wird das »Ja«, welches in der Reduktion am Platze wäre, durch ein »Nein« ersetzt, das aber mit einem noch verstärkten »Ja« infolge seines Inhalts gleichwertig ist, und ebenso im umgekehrten Falle. Der Widerspruch steht an Stelle einer Bestätigung mit Überbietung; so z. B. das Epigramm von Lessing:
»Die gute Galathee! Man sagt, sie schwärz' ihr Haar;
Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war.«
Oder die boshafte Scheinverteidigung der Schulweisheit durch Lichtenberg:
»Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumen läßt«, hatte Prinz Hamlet verächtlich gesagt. Lichtenberg weiß, daß diese Verurteilung lange nicht scharf genug ist, indem sie nicht alles verwertet, was man gegen die Schulweisheit einwenden kann. Er fügt also das noch Fehlende hinzu: »Aber es gibt auch vieles in der Schulweisheit, das sich weder im Himmel noch auf Erden findet.« Seine Darstellung hebt zwar hervor, wodurch uns die Schulweisheit für den von Hamlet gerügten Mangel entschädigt, aber in dieser Entschädigung liegt ein zweiter und noch größerer Vorwurf.
Durchsichtiger noch, weil frei von jeder Spur von Verschiebung, sind zwei Judenwitze, allerdings von grobem Kaliber.
Zwei Juden sprechen über das Baden. »Ich nehme jedes Jahr ein Bad«, sagt der eine, »ob ich es nötig habe oder nicht.«
Es ist klar, daß er sich durch solche prahlerische Versicherung seiner Reinlichkeit erst recht der Unreinlichkeit überführt.
Ein Jude bemerkt Speisereste am Bart des anderen. »Ich kann dir sagen, was du gestern gegessen hast.« – »Nun, sag'.« – »Also Linsen.« – »Gefehlt, vorgestern!«
Ein prächtiger Überbietungswitz, der leicht auf Darstellung durchs Gegenteil zurückzuführen ist, ist auch folgender:
Der König besucht in seiner Herablassung die chirurgische Klinik und trifft den Professor bei der Vornahme der Amputation eines Beines, deren einzelne Stadien er nun mit lauten Äußerungen seines königlichen Wohlgefallens begleitet. »Bravo, bravo, mein lieber Geheimrat.« Nach vollendeter Operation tritt der Professor an ihn heran und fragt, sich tief verneigend: »Befehlen Majestät auch das andere Bein?«
71 Was der Professor sich während des königlichen Beifalls gedacht haben mag, das ließ sich gewiß nicht unverändert aussprechen: »Das muß ja den Eindruck machen, als nehme ich dem armen Teufel das kranke Bein ab im königlichen Auftrag und nur wegen des königlichen Wohlgefallens. Ich habe doch wirklich andere Gründe für diese Operation.« Aber dann geht er vor den König hin und sagt: »Ich habe keine anderen Gründe für eine Operation als Ew. Majestät Auftrag. Der mir gespendete Beifall hat mich so beseligt, daß ich nur Ew. Majestät Befehl erwarte, um auch das gesunde Bein zu amputieren.« Es gelingt ihm so, sich verständlich zu machen, indem er das Gegenteil von dem aussagt, was er sich denkt und bei sich behalten muß. Dieses Gegenteil ist eine unglaubwürdige Überbietung.
Die Darstellung durchs Gegenteil ist, wie wir an diesen Beispielen sehen, ein häufig gebrauchtes und kräftig wirkendes Mittel der Witztechnik. Aber wir dürfen auch etwas anderes nicht übersehen, daß diese Technik keineswegs dem Witz allein eigen ist. Wenn Marcus Antonius, nachdem er in langer Rede auf dem Forum die Stimmung der Zuhörer um Cäsars Leichnam umgemodelt, endlich wieder einmal die Worte hinwirft:
»Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann ...«,
so weiß er, daß das Volk ihm nun den wahren Sinn seiner Worte entgegenschreien wird:
»Sie sind Verräter: ehrenwerte Männer!«
Oder wenn der Simplizissimus eine Sammlung unerhörter Brutalitäten und Zynismen als Äußerungen von »Gemütsmenschen« überschreibt, so ist das auch eine Darstellung durchs Gegenteil. Diese heißt man aber »Ironie«, nicht mehr Witz. Der Ironie ist gar keine andere Technik als die der Darstellung durchs Gegenteil eigentümlich. Überdies liest und hört man vom ironischen Witz. Es ist also nicht mehr zu bezweifeln, daß die Technik allein nicht hinreicht, den Witz zu charakterisieren. Es muß noch etwas anderes hinzukommen, das wir bis jetzt nicht aufgefunden haben. Anderseits steht aber noch immer unwidersprochen da, daß mit der Rückbildung der Technik der Witz beseitigt ist. Vorläufig mag es uns schwerfallen, die beiden festen Punkte, die wir für die Aufklärung des Witzes gewonnen haben, miteinander vereint zu denken.
72 Wenn die Darstellung durchs Gegenteil zu den technischen Mitteln des Witzes gehört, so wird in uns die Erwartung rege, daß der Witz auch von deren Gegenteil, der Darstellung durch Ähnliches und Verwandtes, Gebrauch machen könne. Die Fortsetzung unserer Untersuchung kann uns in der Tat belehren, daß dies die Technik einer neuen, ganz besonders umfangreichen Gruppe von Gedankenwitzen ist. Wir beschreiben die Eigenart dieser Technik weit treffender, wenn wir anstatt Darstellung durch »Verwandtes« setzen: durch Zusammengehöriges oder Zusammenhängendes. Wir wollen sogar mit letzterem Charakter den Anfang machen und ihn sofort durch ein Beispiel erläutern.
Eine amerikanische Anekdote erzählt: Zwei wenig skrupulösen Geschäftsleuten war es gelungen, sich durch eine Reihe recht gewagter Unternehmungen ein großes Vermögen zu erwerben, und nun ging ihr Bemühen dahin, sich der guten Gesellschaft aufzudrängen. Unter anderen erschien es ihnen als ein zweckmäßiges Mittel, sich von dem vornehmsten und teuersten Maler der Stadt, dessen Bilder als Ereignisse betrachtet wurden, malen zu lassen. Auf einer großen Soiree wurden die kostbaren Bilder zuerst gezeigt, und die beiden Hausherren führten selbst den einflußreichsten Kunstkenner und Kritiker zur Wand des Salons, auf welcher die beiden Porträts nebeneinander aufgehängt waren, um ihm sein bewunderndes Urteil zu entlocken. Der sah die Bilder lange Zeit an, schüttelte dann den Kopf, als ob er etwas vermissen würde, und fragte bloß, auf den freien Raum zwischen beiden Bildern deutend: »And where is the Saviour?« (Und wo bleibt der Heiland? Oder: Ich vermisse da das Bild des Heilands.)
Der Sinn dieser Rede ist klar. Es handelt sich wieder um die Darstellung von etwas, was direkt nicht ausgedrückt werden kann. Auf welchem Wege kommt diese »indirekte Darstellung« zustande? Durch eine Reihe leicht sich einstellender Assoziationen und Schlüsse verfolgen wir den Weg von der Darstellung des Witzes an nach rückwärts.
Die Frage: Wo ist der Heiland, das Bild des Heilands? läßt uns erraten, daß der Redner durch den Anblick der beiden Bilder an einen ähnlichen, ihm wie uns vertrauten Anblick gemahnt worden ist, welcher aber als hier fehlendes Element das Bild des Erlösers in der Mitte zwischen zwei anderen Bildern zeigte. Es gibt nur einen solchen Fall: Christus 73 hängend zwischen den beiden Schächern. Das Fehlende wird vom Witz hervorgehoben, die Ähnlichkeit haftet an den im Witz übergangenen Bildern rechts und links vom Heiland. Sie kann nur darin bestehen, daß auch die im Salon aufgehängten die Bilder von Schächern sind. Was der Kritiker sagen wollte und nicht sagen konnte, war also: Ihr seid ein paar Halunken; ausführlicher: Was kümmern mich eure Bilder? Ihr seid ein paar Halunken, das weiß ich. Und er hat es schließlich über einige Assoziationen und Schlußfolgerungen auf einem Wege gesagt, den wir als den der Anspielung bezeichnen.
Wir erinnern uns sofort, daß wir der Anspielung bereits begegnet sind. Beim Doppelsinn nämlich; wenn von den zwei Bedeutungen, die in demselben Wort ihren Ausdruck finden, die eine als die häufigere und gebräuchlichere so sehr im Vordergrunde steht, daß sie uns an erster Stelle einfallen muß, während die andere als die entlegenere zurücksteht, so wollten wir diesen Fall als Doppelsinn mit Anspielung bezeichnen. Bei einer ganzen Reihe der bisher untersuchten Beispiele hatten wir angemerkt, daß deren Technik keine einfache sei, und erkennen nun die Anspielung als deren komplizierendes Moment. (Z. B. vgl. etwa den Umordnungswitz von der Frau, die sich etwas zurückgelegt und dabei viel verdient hat, oder den Widersinnswitz bei der Gratulation zum jüngsten Kind, es sei merkwürdig, was Menschenhände alles vermögen, S. 58.)
In der amerikanischen Anekdote haben wir nun die Anspielung frei vom Doppelsinn vor uns und finden als ihren Charakter die Ersetzung durch etwas im Denkzusammenhange Verbundenes. Es ist leicht zu erraten, daß der verwertbare Zusammenhang von mehr als einer Art sein kann. Um uns nicht in der Fülle zu verlieren, werden wir nur die ausgeprägtesten Variationen und diese nur an wenigen Beispielen erörtern.
Der zur Ersetzung verwendete Zusammenhang kann ein bloßer Anklang sein, so daß diese Unterart dem Kalauer beim Wortwitz analog wird. Es ist aber nicht der Anklang zweier Worte aneinander, sondern ganzer Sätze, charakteristischer Wortverbindungen u. dgl.
Z. B. Lichtenberg hat den Spruch geprägt: »Neue Bäder heilen gut«, der uns sofort an das Sprichwort erinnert: Neue Besen kehren gut, mit dem er die ersten anderthalb Worte, das letzte und die ganze Struktur des Satzes gemeinsam hat. Er ist auch sicherlich im Kopfe des witzigen Denkers als Nachbildung des bekannten Sprichwortes entstanden. Der Spruch Lichtenbergs wird so zur Anspielung auf das Sprichwort. Mittels 74 dieser Anspielung wird uns etwas angedeutet, was nicht geradeheraus gesagt wird, daß an der Wirkung von Bädern auch noch anderes beteiligt ist als das in seinen Eigenschaften sich gleichbleibende Thermalwasser.
Ähnlich ist ein anderer Scherz oder Witz von Lichtenberg technisch aufzulösen: Ein Mädchen, kaum zwölf Moden alt. Das klingt an die Zeitbestimmung »zwölf Monden« (i. e. Monate) an und war vielleicht ursprünglich ein Schreibfehler für letzteren, in der Poesie zulässigen Ausdruck. Aber es hat einen guten Sinn, die wechselnde Mode anstatt des wechselnden Mondes zur Altersbestimmung für ein weibliches Wesen zu verwenden.
Der Zusammenhang kann in der Gleichheit bis auf eine einzige leichte Modifikation bestehen. Diese Technik läuft also wiederum einer Worttechnik parallel. Beide Arten von Witzen rufen fast den gleichen Eindruck hervor, doch sind sie nach den Vorgängen bei der Witzarbeit besser voneinander zu trennen.
Als Beispiel eines solchen Wortwitzes oder Kalauers: Die große, aber nicht nur durch den Umfang ihrer Stimme berühmte Sängerin Marie Wilt erfuhr die Kränkung, daß man den Titel eines aus dem bekannten Roman von J. Verne gezogenen Theaterstückes zu einer Anspielung auf ihre Mißgestalt verwendete: »Die Reise um die Wilt in 80 Tagen.«
Oder: »Jede Klafter eine Königin«, eine Modifikation des bekannten Shakespeareschen »Jeder Zoll ein König« und eine Anspielung auf dieses Zitat, auf eine Vornehme und überlebensgroße Dame bezogen. Es wäre wirklich nicht viel Ernsthaftes dagegen zu sagen, wenn jemand diesen Witz vielmehr zu den Verdichtungen mit Modifikationen als Ersatzbildung (S. 28) stellen würde. (Vgl. tête-à-bête.)
Von einer hochstrebenden, aber in der Verfolgung ihrer Ziele eigensinnigen Person sagte ein Freund: »Er hat ein Ideal vor dem Kopf.« »Ein Brett vor dem Kopf haben« ist die geläufige Redensart, auf welche diese Modifikation anspielt und deren Sinn sie für sich selbst in Anspruch nimmt. Auch hier kann man die Technik als Verdichtung mit Modifikation beschreiben.
Fast ununterscheidbar werden Anspielung durch Modifikation und Verdichtung mit Ersatzbildung, wenn sich die Modifikation auf die Veränderung von Buchstaben einschränkt, z. B. Dichteritis. Die Anspielung auf die böse Seuche der Diphtheritis stellt auch das Dichten Unberufener als gemeingefährlich hin.
75 Die Negationspartikeln ermöglichen sehr schöne Anspielungen mit geringen Abänderungskosten:
»Mein Unglaubensgenosse Spinoza«, sagt Heine. »Wir von Gottes Ungnaden Taglöhner, Leibeigene, Neger, Fronknechte« usw. ... beginnt bei Lichtenberg ein nicht weiter ausgeführtes Manifest dieser Unglücklichen, die jedenfalls auf solche Titulatur mehr Anrecht haben als Könige und Fürstlichkeiten auf die unmodifizierte.
Eine Form der Anspielung ist schließlich auch die Auslassung, der Verdichtung ohne Ersatzbildung vergleichbar. Eigentlich wird bei jeder Anspielung etwas ausgelassen, nämlich die zur Anspielung hinführenden Gedankenwege. Es kommt nur darauf an, ob die Lücke das Augenfälligere ist oder der die Lücke teilweise ausfüllende Ersatz in dem Wortlaut der Anspielung. So kämen wir über eine Reihe von Beispielen von der krassen Auslassung zur eigentlichen Anspielung zurück.
Auslassung ohne Ersatz findet sich in folgendem Beispiel: In Wien lebt ein geistreicher und kampflustiger Schriftsteller, der sich durch die Schärfe seiner Invektive wiederholt körperliche Mißhandlungen von seiten der Angegriffenen zugezogen hat. Als einmal eine neue Missetat eines seiner habituellen Gegner beredet wurde, äußerte ein dritter: Wenn der X das hört, bekommt er wieder eine Ohrfeige. Zur Technik dieses Witzes gehört zunächst die Verblüffung über den scheinbaren Widersinn, denn eine Ohrfeige bekommen, leuchtet uns als unmittelbare Folge davon, daß man etwas gehört hat, keineswegs ein. Der Widersinn vergeht, wenn man in die Lücke einsetzt: dann schreibt er einen so bissigen Artikel gegen den Betreffenden, daß usw. Anspielung durch Auslassung und Widersinn sind also die technischen Mittel dieses Witzes.
Heine: »Er lobt sich so stark, daß die Räucherkerzchen im Preise steigen.« Diese Lücke ist leicht auszufüllen. Das Ausgelassene ist durch eine Folgerung ersetzt, die nun als Anspielung auf dasselbe zurückleitet. Eigenlob stinkt.
Nun wieder einmal die beiden Juden vor dem Badehause!
»Schon wieder ein Jahr vergangen!« seufzt der eine.
Diese Beispiele lassen wohl keinen Zweifel bestehen, daß die Auslassung zur Anspielung gehört.
Eine immer noch auffällige Lücke findet sich in nachstehendem Beispiel, 76 das doch ein echter und richtiger Anspielungswitz ist. Nach einem Künstlerfest in Wien wurde ein Scherzbuch herausgegeben, in welchem unter anderen folgender, höchst merkwürdiger Sinnspruch verzeichnet stand:
»Eine Frau ist wie ein Regenschirm. Man nimmt sich dann doch einen Komfortabel.«
Ein Regenschirm schützt nicht genug vor dem Regen. Das »dann doch« kann nur heißen: wenn es tüchtig regnet, und ein Komfortabel ist ein öffentliches Fuhrwerk. Da wir es aber hier mit der Form des Gleichnisses zu tun haben, wollen wir die eingehendere Untersuchung dieses Witzes auf einen späteren Moment verschieben.
Ein wahres Wespennest der stachligsten Anspielungen enthalten Heines ›Bäder von Lucca‹, die von dieser Form des Witzes die kunstvollste Verwendung zu polemischen Zwecken (gegen den Grafen Platen) machen. Lange zuvor, ehe der Leser diese Verwendung ahnen kann, wird einem gewissen Thema, das sich zur direkten Darstellung besonders schlecht eignet, durch Anspielungen aus dem mannigfaltigsten Material präludiert, z. B. in den Wortverdrehungen des Hirsch-Hyacinth: »Sie sind zu korpulent und ich bin zu mager, Sie haben viel Einbildung und ich habe desto mehr Geschäftssinn, ich bin ein Praktikus und Sie sind ein Diarrhetikus, kurz und gut, Sie sind ganz mein Antipodex.« – »Venus Urinia« – die dicke Gudel vom Dreckwall in Hamburg – u. dgl., dann nehmen die Begebenheiten, von denen der Dichter erzählt, eine Wendung, die zunächst nur von dem unartigen Mutwillen des Dichters zu zeugen scheint, bald aber ihre symbolische Beziehung zur polemischen Absicht enthüllt und sich somit gleichfalls als Anspielung kundgibt. Endlich bricht der Angriff auf Platen los, und nun sprudeln und quellen die Anspielungen auf das bereits bekanntgewordene Thema der Männerliebe des Grafen aus jedem der Sätze, die Heine gegen das Talent und den Charakter seines Gegners richtet, z. B.:
»Wenn auch die Musen ihm nicht hold sind, so hat er doch den Genius 77 der Sprache in seiner Gewalt, oder vielmehr er weiß ihm Gewalt anzutun; denn die freie Liebe dieses Genius fehlt ihm, er muß auch diesem Jungen beharrlich nachlaufen, und er weiß nur die äußeren Formen zu erfassen, die trotz ihrer schönen Rundung sich nie edel aussprechen.«
»Es geht ihm dann wie dem Vogel Strauß, der sich hinlänglich verborgen glaubt, wenn er den Kopf in den Sand gesteckt, so daß nur der Steiß sichtbar wird. Unser erlauchter Vogel hätte besser getan, wenn er den Steiß in den Sand versteckt und uns den Kopf gezeigt hätte.«
Die Anspielung ist vielleicht das gebräuchlichste und am leichtesten zu handhabende Mittel des Witzes und liegt den meisten der kurzlebigen Witzproduktionen zugrunde, die wir in unsere Unterhaltung einzuflechten gewöhnt sind und welche eine Ablösung von diesem Mutterboden und selbständige Konservierung nicht vertragen. Gerade bei ihr werden wir aber von neuem an jenes Verhältnis gemahnt, das begonnen hat, uns an der Schätzung der Witztechnik irrezumachen. Auch die Anspielung ist nicht etwa an sich witzig, es gibt korrekt gebildete Anspielungen, die auf diesen Charakter keinen Anspruch haben. Witzig ist nur die »witzige« Anspielung, so daß das Kennzeichen des Witzes, das wir bis in die Technik verfolgt haben, uns dort wieder entschwindet.
Ich habe die Anspielung gelegentlich als »indirekte Darstellung« bezeichnet und werde nun darauf aufmerksam, daß man sehr wohl die verschiedenen Arten der Anspielung mit der Darstellung durch das Gegenteil und mit den noch zu erwähnenden Techniken zu einer einzigen großen Gruppe vereinigen kann, für welche »indirekte Darstellung« der umfassendste Name wäre. Denkfehler – Unifizierung – indirekte Darstellung heißen also die Gesichtspunkte, unter welche sich die uns bekanntgewordenen Techniken des Gedankenwitzes bringen ließen.
Bei fortgesetzter Untersuchung unseres Materials glauben wir nun eine neue Unterart der indirekten Darstellung zu erkennen, die sich scharf charakterisieren, aber nur durch wenige Beispiele belegen läßt. Es ist dies die Darstellung durch ein Kleines oder Kleinstes, welche die Aufgabe löst, einen ganzen Charakter durch ein winziges Detail zum vollen Ausdruck zu bringen. Die Anreihung dieser Gruppe an die Anspielung wird durch die Erwägung ermöglicht, daß ja diese Winzigkeit mit 78 dem Darzustellenden in Zusammenhang steht, sich als Folgerung aus ihm ableiten läßt, z. B.:
Ein galizischer Jude fährt in der Eisenbahn und hat es sich recht bequem gemacht, den Rock aufgeknöpft, die Füße auf die Bank gelegt. Da steigt ein modern gekleideter Herr ein. Sofort nimmt sich der Jude zusammen, setzt sich in bescheidene Positur. Der Fremde blättert in einem Buch, rechnet, besinnt sich und richtet plötzlich an den Juden die Frage: »Ich bitte Sie, wann haben wir Jomkipur?« (Versöhnungstag.) »Aesoi«, sagt der Jude und legt die Füße wieder auf die Bank, ehe er die Antwort gibt.
Es wird nicht abzuweisen sein, daß diese Darstellung durch ein Kleines an die Tendenz zur Ersparnis anknüpft, welche wir nach der Erforschung der Wortwitztechnik als das letzte Gemeinsame übrigbehalten haben.
Ein ganz ähnliches Beispiel ist folgendes:
Der Arzt, der gebeten worden ist, der Frau Baronin bei ihrer Entbindung beizustehen, erklärt den Moment für noch nicht gekommen und schlägt dem Baron unterdes eine Kartenpartie im Nebenzimmer vor. Nach einer Weile dringt der Wehruf der Frau Baronin an das Ohr der beiden Männer. »Ah mon Dieu, que je souffre!« Der Gemahl springt auf, aber der Arzt wehrt ab: »Es ist nichts, spielen wir weiter.« Eine Weile später hört man die Kreißende wieder: »Mein Gott, mein Gott, was für Schmerzen!« – »Wollen Sie nicht hineingehen, Herr Professor?« fragt der Baron. – »Nein, nein, es ist noch nicht Zeit.« – Endlich hört man aus dem Nebenzimmer ein unverkennbares: »Ai, waih, waih« geschrien; da wirft der Arzt die Karten weg und sagt: »Es ist Zeit.«
Wie der Schmerz durch alle Schichtungen der Erziehung die ursprüngliche Natur durchbrechen läßt, und wie eine wichtige Entscheidung mit Recht von einer scheinbar belanglosen Äußerung abhängig gemacht wird, das zeigt beides dieser gute Witz an dem Beispiel der schrittweisen Veränderung der Klagerufe bei der gebärenden vornehmen Frau.
Eine andere Art der indirekten Darstellung, deren sich der Witz bedient, das Gleichnis, haben wir uns so lange aufgespart, weil dessen Beurteilung auf neue Schwierigkeiten stößt, oder Schwierigkeiten, die sich schon bei anderen Gelegenheiten ergeben haben, besonders deutlich erkennen läßt. Wir haben schon vorhin eingestanden, daß wir bei 79 manchen zur Untersuchung vorliegenden Beispielen ein Schwanken, ob sie überhaupt den Witzen zuzurechnen seien, nicht zu bannen vermögen, und haben in dieser Unsicherheit eine bedenkliche Erschütterung der Grundlagen unserer Untersuchung erkannt. Bei keinem anderen Material empfinde ich aber diese Unsicherheit stärker und häufiger als bei den Gleichniswitzen. Die Empfindung, welche mir – und wahrscheinlich einer großen Anzahl anderer unter den nämlichen Bedingungen wie mir – zu sagen pflegt: Dies ist ein Witz, dies darf man für einen Witz ausgeben, noch ehe der verborgene wesentliche Charakter des Witzes entdeckt ist; diese Empfindung läßt mich bei den witzigen Vergleichen am ehesten im Stiche. Wenn ich den Vergleich zuerst ohne Bedenken für einen Witz erklärt habe, so glaube ich einen Augenblick später zu bemerken, daß das Vergnügen, das er mir bereitet, von anderer Qualität ist, als welches ich einem Witz zu verdanken pflege, und der Umstand, daß die witzigen Vergleiche nur sehr selten das explosionsartige Lachen hervorzurufen vermögen, durch welches sich ein guter Witz bezeugt, macht es mir unmöglich, mich dem Zweifel wie sonst zu entziehen, indem ich mich auf die besten und effektvollsten Beispiele der Gattung einschränke.
Daß es ausgezeichnet schöne und wirksame Beispiele von Gleichnissen gibt, die uns den Eindruck des Witzes keineswegs machen, ist leicht zu zeigen. Der schöne Vergleich der durchgehenden Zärtlichkeit in Ottiliens Tagebuch mit dem roten Faden der englischen Marine (s. S. 26 Anm. 7) ist ein solcher; auch ein anderes, das zu bewundern ich noch nicht müde geworden bin und dessen Eindruck ich nicht überwunden habe, kann ich mir nicht versagen, im gleichen Sinne anzuführen. Es ist das Gleichnis, mit welchem Ferd. Lassalle eine seiner berühmten Verteidigungsreden (›Die Wissenschaft und die Arbeiter‹) geschlossen hat: »Ein Mann, welcher, wie ich Ihnen dies erklärt habe, sein Leben dem Wahlspruch gewidmet hat ›Die Wissenschaft und die Arbeiter‹, dem würde auch eine Verurteilung, die er auf seinem Wege findet, keinen anderen Eindruck machen können, als etwa das Springen einer Retorte dem in seine wissenschaftlichen Experimente vertieften Chemiker. Mit einem leisen Stirnrunzeln über den Widerstand der Materie setzt er, sowie die Störung beseitigt ist, ruhig seine Forschungen und Arbeiten fort.«
Eine reiche Auswahl von treffenden und witzigen Gleichnissen findet man in den Schriften Lichtenbergs (2. Bd. der Göttinger Ausgabe, 1853); von dort will ich auch das Material für unsere Untersuchung entnehmen.
80 »Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen.«
Das erscheint wohl witzig, aber bei näherem Zusehen merkt man, daß die witzige Wirkung nicht vom Vergleich selbst, sondern von einer Nebeneigenschaft desselben ausgeht. Die »Fackel der Wahrheit« ist eigentlich kein neuer Vergleich, sondern ein längst gebräuchlicher und zur fixierten Phrase herabgesunken, wie es immer zutrifft, wenn ein Vergleich Glück hat und vom Sprachgebrauch akzeptiert wird. Während wir in der Redensart »die Fackel der Wahrheit« den Vergleich kaum mehr bemerken, wird ihm bei Lichtenberg die ursprüngliche Vollkraft wiedergegeben, da nun auf dem Vergleich weitergebaut, eine Folgerung aus ihm gezogen wird. Solches Vollnehmen abgeblaßter Redensarten ist uns aber als Technik des Witzes bereits bekannt, es findet eine Stelle bei der mehrfachen Verwendung des nämlichen Materials (s. S. 36 f.). Es könnte sehr wohl sein, daß der witzige Eindruck des Lichtenbergschen Satzes nur von der Anlehnung an diese Witztechnik herrührt.
Dieselbe Beurteilung wird gewiß auch für einen anderen witzigen Vergleich desselben Autors gelten können:
»Ein großes Licht war der Mann eben nicht, aber ein großer Leuchter ... Er war Professor der Philosophie.«
Einen Gelehrten ein großes Licht, ein lumen mundi zu heißen, ist längst kein wirksamer Vergleich mehr, mag er ursprünglich als Witz gewirkt haben oder nicht. Aber man frischt den Vergleich auf, man gibt ihm seine Vollkraft wieder, indem man eine Modifikation aus ihm ableitet und solcherart einen zweiten, neuen Vergleich aus ihm gewinnt. Die Art, wie der zweite Vergleich entstanden ist, scheint die Bedingung des Witzes zu enthalten, nicht die beiden Vergleiche selbst. Es wäre dies ein Fall der nämlichen Witztechnik wie im Beispiele von der Fackel.
Aus einem anderen, aber ähnlich zu beurteilenden Grunde erscheint folgender Vergleich als witzig:
»Ich sehe die Rezensionen als eine Art von Kinderkrankheit an, die die neugeborenen Bücher mehr oder weniger befällt. Man hat Exempel, daß die gesündesten daran sterben und die schwächlichen oft durchkommen. Manche bekommen sie gar nicht. Man hat oft versucht, ihnen durch Amulette von Vorrede und Dedikation vorzubeugen oder sie gar durch eigene Urteile zu makulieren; es hilft aber nicht immer.«
Der Vergleich der Rezensionen mit den Kinderkrankheiten ist zuerst nur auf das Befallenwerden, kurz nachdem sie das Licht der Welt erblickt haben, gegründet. Ob er soweit witzig ist, getraue ich mich nicht 81 zu entscheiden. Aber dann wird er fortgeführt: es ergibt sich, daß die weiteren Schicksale der neuen Bücher innerhalb des Rahmens des nämlichen Gleichnisses oder durch angelehnte Gleichnisse dargestellt werden können. Solche Fortsetzung einer Vergleichung ist unzweifelhaft witzig, aber wir wissen bereits, dank welcher Technik sie so erscheint; es ist ein Fall von Unifizierung, Herstellung eines ungeahnten Zusammenhanges. Der Charakter der Unifizierung wird aber dadurch nicht geändert, daß dieselbe hier in der Anreihung an ein erstes Gleichnis besteht.
Bei einer Reihe anderer Vergleichungen ist man versucht, den unleugbar vorliegenden witzigen Eindruck auf ein anderes Moment zu schieben, welches wiederum mit der Natur des Gleichnisses an sich nichts zu tun hat. Es sind dies Vergleichungen, die eine auffällige Zusammenstellung, oft eine absurd klingende Vereinigung enthalten oder sich durch eine solche als Ergebnis des Vergleiches ersetzen. Die Mehrzahl der Lichtenbergschen Beispiele gehören dieser Gruppe an.
»Es ist schade, daß man bei Schriftstellern die gelehrten Eingeweide nicht sehen kann, um zu erforschen, was sie gegessen haben.« »Die gelehrten Eingeweide«, das ist eine verblüffende, eigentlich absurde Attribuierung, die sich erst durch die Vergleichung aufklärt. Wie wäre es, wenn der witzige Eindruck dieses Vergleiches ganz und voll auf den verblüffenden Charakter dieser Zusammenstellung zurückginge? Dies entspräche einem der uns gut bekannten Mittel des Witzes, der Darstellung durch Widersinn.
Lichtenberg hat dieselbe Vergleichung der Aufnahme von Lese- und Lernstoff mit der Aufnahme von physischer Nahrung auch zu einem anderen Witz verwendet:
»Er hielt sehr viel vom Lernen auf der Stube und war also gänzlich für gelehrte Stallfütterung.«
Die nämliche absurde oder mindestens auffällige Attribuierung, welche, wie wir zu merken beginnen, der eigentliche Träger des Witzes ist, zeigen andere Gleichnisse desselben Autors:
»Das ist die Wetterseite meiner moralischen Konstitution, da kann ich etwas aushalten.«
»Jeder Mensch hat auch seine moralische Backside, die er nicht ohne Not zeigt und die er so lange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes zudeckt.«
Die »moralische Backside«, das ist die auffällige Attribuierung, die als Resultat einer Vergleichung dasteht. Dazu kommt aber eine 82 Fortführung des Vergleiches mit einem regelrechten Wortspiel (»Not«) und einer zweiten noch ungewöhnlicheren Zusammenstellung (»Die Hosen des guten Anstandes«), die vielleicht selbst an sich witzig ist, denn die Hosen werden dadurch, daß sie die Hosen des guten Anstandes sind, selbst gleichsam witzig. Es darf uns dann nicht wundernehmen, wenn wir vom Ganzen den Eindruck eines sehr witzigen Vergleiches empfangen; wir beginnen zu merken, daß wir ganz allgemein dazu neigen, einen Charakter, welcher nur an einem Teil des Ganzen haftet, in unserer Schätzung auf dieses Ganze auszudehnen. Die »Hosen des guten Anstandes« erinnern übrigens an einen ähnlichen verblüffenden Vers von Heine:
»... Bis mir endlich,
endlich alle Knöpfe rissen,
an der Hose der Geduld.«
Es ist unverkennbar, daß diese beiden letzten Vergleichungen einen Charakter an sich tragen, den man nicht an allen guten, d. h. zutreffenden Gleichnissen wiederfinden kann. Sie sind in hohem Grade »herabziehend«, könnte man sagen, sie stellen ein Ding hoher Kategorie, ein Abstraktum (hier: den guten Anstand, die Geduld) mit einem Ding sehr konkreter Natur und selbst niedriger Art (der Hose) zusammen. Ob diese Eigentümlichkeit etwas mit dem Witz zu schaffen hat, werden wir noch in einem anderen Zusammenhange in Erwägung ziehen müssen. Versuchen wir hier ein anderes Beispiel, in dem dieser herabziehende Charakter ganz besonders deutlich ist, zu analysieren. Der Kommis Weinberl in Nestroys Posse Einen Jux will er sich machen, der sich ausmalt, wie er einmal als solider alter Handelsherr seiner Jugendtage gedenken wird, sagt: »Wenn so im traulichen Gespräch das Eis aufg'hackt wird vor dem Magazin der Erinnerung, wann die G'wölbtür der Vorzeit wieder aufg'sperrt und die Pudel der Phantasie voll ang'raumt wird mit Waren von ehemals ...« Das sind sicherlich Vergleichungen von abstrakten mit sehr gewöhnlichen konkreten Dingen, aber der Witz hängt – ausschließlich oder nur zum Teile – an dem Umstand, daß ein Kommis sich dieser Vergleichungen bedient, die aus dem Bereiche seiner alltäglichen Tätigkeit genommen sind. Das Abstrakte aber in Beziehung zu diesem Gewöhnlichen, des sein Leben sonst voll ist, zu bringen, ist ein Akt von Unifizierung.
Kehren wir zu den Lichtenbergschen Vergleichen zurück.
83 »Die BewegungsgründeWir würden heute: Beweggründe, Motive sagen., woraus man etwas tut, könnten so wie die 32 Winde geordnet und ihre Namen auf eine ähnliche Art formiert werden, z. B. Brot-Brot-Ruhm oder Ruhm-Ruhm-Brot.«
Wie so häufig bei den Lichtenbergschen Witzen, ist auch hier der Eindruck des Treffenden, Geistreichen, Scharfsinnigen so vorherrschend, daß unser Urteil über den Charakter des Witzigen hiedurch irregeführt wird. Wenn in einem solchen Ausspruch etwas Witz sich dem ausgezeichneten Sinn beimengt, werden wir wahrscheinlich verleitet, das Ganze für einen vortrefflichen Witz zu erklären. Ich möchte vielmehr die Behauptung wagen, daß alles, was hieran wirklich witzig ist, aus dem Befremden über die sonderbare Kombination »Brot-Brot-Ruhm« hervorgeht. Also als Witz eine Darstellung durch Widersinn.
Die sonderbare Zusammenstellung oder absurde Attribuierung kann als Ergebnis eines Vergleiches für sich allein hingestellt werden:
Lichtenberg: Eine zweischläfrige Frau – Ein einschläfriger Kirchenstuhl. Hinter beiden steckt der Vergleich mit einem Bett, bei beiden wirkt außer der Verblüffung noch das technische Moment der Anspielung mit, das eine Mal an die einschläfernde Wirkung von Predigten, das andere Mal an das nie zu erschöpfende Thema der geschlechtlichen Beziehungen.
Haben wir bisher gefunden, daß eine Vergleichung, so oft sie uns witzig erschien, diesen Eindruck der Beimengung einer der uns bekannten Witztechniken verdankte, so scheinen einige andere Beispiele endlich dafür zu zeugen, daß ein Vergleich auch an und für sich witzig sein kann. Lichtenbergs Charakteristik gewisser Oden:
»Sie sind das in der Poesie, was Jakob Böhmes unsterbliche Werke in Prosa sind, eine Art von Pickenick, wobei der Verfasser die Worte und der Leser den Sinn stellen.«
»Wenn er philosophiert, so wirft er gewöhnlich ein angenehmes Mondlicht über die Gegenstände, das im ganzen gefällt, aber nicht einen einzigen Gegenstand deutlich zeigt.«
Oder Heine: »Ihr Gesicht glich einem Codex palimpsestus, wo unter der neuschwarzen Mönchsschrift eines Kirchenvatertextes die halb erloschenen Verse eines altgriechischen Liebesdichters hervorlauschen.«
84 Oder die fortgesetzte Vergleichung mit stark herabsetzender Tendenz in den ›Bädern von Lucca‹:
»Der katholische Pfaffe treibt es mehr wie ein Kommis, der in einer großen Handlung angestellt ist; die Kirche, das große Haus, dessen Chef der Papst ist, gibt ihm bestimmte Beschäftigung und dafür ein bestimmtes Salär; er arbeitet lässig, wie jeder, der nicht für eigene Rechnung arbeitet und viele Kollegen hat und im großen Geschäftstreiben leicht unbemerkt bleibt – nur der Kredit des Hauses liegt ihm am Herzen, und noch mehr dessen Erhaltung, da er bei einem etwaigen Bankerott seinen Lebensunterhalt verlöre. Der protestantische Pfaffe hingegen ist überall selbst Prinzipal und treibt die Religionsgeschäfte für eigene Rechnung. Er treibt keinen Großhandel wie sein katholischer Gewerbegenosse, sondern nur einen Kleinhandel; und da er demselben allein vorstehen muß, darf er nicht lässig sein, er muß seine Glaubensartikel den Leuten anrühmen, die Artikel seiner Konkurrenten herabsetzen, und als echter Kleinhändler steht er in seiner Ausschnittbude, voll von Gewerbsneid gegen alle großen Häuser, absonderlich gegen das große Haus in Rom, das viele tausend Buchhalter und Packknechte besoldet und seine Faktoreien hat in allen vier Weltteilen.«
Angesichts dieser wie vieler anderer Beispiele können wir doch nicht mehr in Abrede stellen, daß ein Vergleich auch an sich witzig sein mag, ohne daß dieser Eindruck auf eine Komplikation mit einer der bekannten Witztechniken zu beziehen wäre. Es entgeht uns aber dann völlig, wodurch der witzige Charakter des Gleichnisses bestimmt ist, da er gewiß nicht am Gleichnis als Ausdrucksform des Gedankens oder an der Operation des Vergleichens haftet. Wir können nicht anders als das Gleichnis unter die Arten der »indirekten Darstellung« aufnehmen, deren sich die Witztechnik bedient, und müssen das Problem unerledigt lassen, das uns beim Gleichnis weit deutlicher als bei den früher behandelten Mitteln des Witzes entgegengetreten ist. Es muß wohl auch seinen besonderen Grund haben, wenn uns die Entscheidung, ob etwas ein Witz ist oder nicht, beim Gleichnis mehr Schwierigkeiten bereitet als bei anderen Ausdrucksformen.
Einen Grund aber, uns zu beklagen, daß diese erste Untersuchung ergebnislos verlaufen sei, bietet uns auch diese Lücke in unserem Verständnis nicht. Bei dem intimen Zusammenhang, den wir den verschiedenen 85 Eigenschaften des Witzes zuzuschreiben bereit sein mußten, wäre es unvorsichtig gewesen zu erwarten, wir könnten eine Seite des Problems voll aufklären, ehe wir noch einen Blick auf die anderen geworfen haben. Wir werden das Problem nun wohl an anderer Stelle angreifen müssen.
Sind wir sicher, daß keine der möglichen Techniken des Witzes unserer Untersuchung entgangen ist? Das wohl nicht, aber wir können uns bei fortgesetzter Prüfung an neuem Material überzeugen, daß wir die häufigsten und wichtigsten technischen Mittel der Witzarbeit kennengelernt haben, zum mindesten so viel, als zur Schöpfung eines Urteils über die Natur dieses psychischen Vorganges erfordert wird. Ein solches Urteil steht gegenwärtig noch aus; hingegen sind wir in den Besitz einer wichtigen Anzeige gelangt, von welcher Richtung wir eine weitere Aufklärung des Problems zu erwarten haben. Die interessanten Vorgänge der Verdichtung mit Ersatzbildung, die wir als den Kern der Technik des Wortwitzes erkannt haben, wiesen uns auf die Traumbildung hin, in deren Mechanismus die nämlichen psychischen Vorgänge aufgedeckt worden sind. Eben dahin weisen aber auch die Techniken des Gedankenwitzes, die Verschiebung, die Denkfehler, der Widersinn, die indirekte Darstellung, die Darstellung durchs Gegenteil, die samt und sonders in der Technik der Traumarbeit wiederkehren. Der Verschiebung verdankt der Traum das befremdende Ansehen, das uns abhält, in ihm die Fortsetzung unserer Wachgedanken zu erkennen; die Verwendung von Widersinn und Absurdität im Traum hat ihn die Würde eines psychischen Produkts gekostet und hat die Autoren verleitet, Zerfall der geistigen Tätigkeiten, Sistierung von Kritik, Moral und Logik als Bedingungen der Traumbildung anzunehmen. Die Darstellung durchs Gegenteil ist im Traum so gebräuchlich, daß selbst die populären, gänzlich irregehenden Traumdeutungsbücher mit ihr zu rechnen pflegen; die indirekte Darstellung, der Ersatz des Traumgedankens durch eine Anspielung, ein Kleines, eine dem Gleichnis analoge Symbolik, ist gerade das, was die Ausdrucksweise des Traumes von der unseres wachen Denkens unterscheidetVgl. meine Traumdeutung, Abschnitt VI, ›Die Traumarbeit‹.. Eine so weitgehende Übereinstimmung wie die zwischen den Mitteln der Witzarbeit und denen der Traumarbeit wird kaum eine zufällige sein können. Diese Übereinstimmung ausführlich nachzuweisen und ihrer Begründung nachzuspüren wird eine unserer späteren Aufgaben werden.