Sigmund Freud
Der Mann Moses und die monotheistische Religion
Sigmund Freud

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468 II
Wenn Moses ein Ägypter war ...

In einem früheren Beitrag zu dieser ZeitschriftImago, Bd. 23 (1937), Heft 1: ›Moses, ein Ägypter‹. habe ich die Vermutung, daß der Mann Moses, der Befreier und Gesetzgeber des jüdischen Volkes, kein Jude, sondern ein Ägypter war, durch ein neues Argument zu bekräftigen versucht. Daß sein Name aus dem ägyptischen Sprachschatz stammt, war längst bemerkt, wenn auch nicht entsprechend gewürdigt worden; ich habe hinzugefügt, daß die Deutung des an Moses geknüpften Aussetzungsmythus zum Schluß nötige, er sei ein Ägypter gewesen, den das Bedürfnis eines Volkes zum Juden machen wollte. Am Ende meines Aufsatzes habe ich gesagt, daß sich wichtige und weittragende Folgerungen aus der Annahme ableiten, daß Moses ein Ägypter gewesen sei; ich sei aber nicht bereit, öffentlich für diese einzutreten, denn sie ruhen nur auf psychologischen Wahrscheinlichkeiten und entbehren eines objektiven Beweises. Je bedeutsamer die so gewonnenen Einsichten sind, desto stärker verspüre man die Warnung, sie nicht ohne sichere Begründung dem kritischen Angriff der Umwelt auszusetzen, gleichsam wie ein ehernes Bild auf tönernen Füßen. Keine noch so verführerische Wahrscheinlichkeit schütze vor Irrtum; selbst wenn alle Teile eines Problems sich einzuordnen scheinen wie die Stücke eines Zusammenlegspieles, müßte man daran denken, daß das Wahrscheinliche nicht notwendig das Wahre sei und die Wahrheit nicht immer wahrscheinlich. Und endlich sei es nicht verlockend, den Scholastikern und Talmudisten angereiht zu werden, die es befriedigt, ihren Scharfsinn spielen zu lassen, gleichgültig dagegen, wie fremd der Wirklichkeit ihre Behauptung sein mag.

Ungeachtet dieser Bedenken, die heute so schwer wiegen wie damals, ist aus dem Widerstreit meiner Motive der Entschluß hervorgegangen, auf jene erste Mitteilung diese Fortsetzung folgen zu lassen. Aber es ist wiederum nicht das Ganze und nicht das wichtigste Stück des Ganzen.

(1)

Wenn also Moses ein Ägypter war – so ist der erste Gewinn aus dieser Annahme eine neue, schwer zu beantwortende Rätselfrage. Wenn ein 469 Volk oder ein StammWir haben keine Vorstellung davon, um welche Zahlen es sich beim Auszug aus Ägypten handelt. sich zu einer großen Unternehmung anschickt, so ist nichts anderes zu erwarten, als daß einer von den Volksgenossen sich zum Führer aufwirft oder zu dieser Rolle durch Wahl bestimmt wird. Aber was einen vornehmen Ägypter – vielleicht Prinz, Priester, hoher Beamter – bewegen sollte, sich an die Spitze eines Haufens von eingewanderten, kulturell rückständigen Fremdlingen zu stellen und mit ihnen das Land zu verlassen, das ist nicht leicht zu erraten. Die bekannte Verachtung des Ägypters für ein ihm fremdes Volkstum macht einen solchen Vorgang besonders unwahrscheinlich. Ja, ich möchte glauben, gerade darum haben selbst Historiker, die den Namen als ägyptisch erkannten und dem Mann alle Weisheit Ägyptens zuschrieben, die naheliegende Möglichkeit nicht aufnehmen wollen, daß Moses ein Ägypter war.

Zu dieser ersten Schwierigkeit kommt bald eine zweite hinzu. Wir dürfen nicht vergessen, daß Moses nicht nur der politische Führer der in Ägypten ansässigen Juden war, er war auch ihr Gesetzgeber, Erzieher und zwang sie in den Dienst einer neuen Religion, die noch heute nach ihm die mosaische genannt wird. Aber kommt ein einzelner Mensch so leicht dazu, eine neue Religion zu schaffen? Und wenn jemand die Religion eines anderen beeinflussen will, ist es nicht das natürlichste, daß er ihn zu seiner eigenen Religion bekehrt? Das Judenvolk in Ägypten war sicherlich nicht ohne irgendeine Form von Religion, und wenn Moses, der ihm eine neue gegeben, ein Ägypter war, so ist die Vermutung nicht abzuweisen, daß die andere, neue Religion die ägyptische war.

Dieser Möglichkeit steht etwas im Wege: die Tatsache des schärfsten Gegensatzes zwischen der auf Moses zurückgeführten jüdischen Religion und der ägyptischen. Die erstere ein großartig starrer Monotheismus; es gibt nur einen Gott, er ist einzig, allmächtig, unnahbar; man verträgt seinen Anblick nicht, darf sich kein Bild von ihm machen, nicht einmal seinen Namen aussprechen. In der ägyptischen Religion eine kaum übersehbare Schar von Gottheiten verschiedener Würdigkeit und Herkunft, einige Personifikationen von großen Naturmächten wie Himmel und Erde, Sonne und Mond, auch einmal eine Abstraktion wie die Maat (Wahrheit, Gerechtigkeit) oder eine Fratze wie der zwerghafte Bes, die meisten aber Lokalgötter aus der Zeit, da das Land in zahlreiche Gaue zerfallen war, tiergestaltig, als hätten sie die 470 Entwicklung aus den alten Totemtieren noch nicht überwunden, unscharf voneinander unterschieden, kaum daß einzelnen besondere Funktionen zugewiesen sind. Die Hymnen zu Ehren dieser Götter sagen ungefähr von jedem das nämliche aus, identifizieren sie miteinander ohne Bedenken in einer Weise, die uns hoffnungslos verwirren würde. Götternamen werden miteinander kombiniert, so daß der eine fast zum Beiwort des anderen herabsinkt; so heißt in der Blütezeit des »Neuen Reiches« der Hauptgott der Stadt Theben Amon-Re, in welcher Zusammensetzung der erste Teil den widderköpfigen Stadtgott bedeutet, während Re der Name des sperberköpfigen Sonnengottes von On ist. Magische und Zeremoniellhandlungen, Zaubersprüche und Amulette beherrschten den Dienst dieser Götter wie das tägliche Leben des Ägypters.

Manche dieser Verschiedenheiten mögen sich leicht aus dem prinzipiellen Gegensatz eines strengen Monotheismus zu einem uneingeschränkten Polytheismus ableiten. Andere sind offenbar Folgen des Unterschieds im geistigen Niveau, da die eine Religion primitiven Phasen sehr nahesteht, die andere sich zu den Höhen sublimer Abstraktion aufgeschwungen hat. Auf diese beiden Momente mag es zurückgehen, wenn man gelegentlich den Eindruck empfängt, der Gegensatz zwischen der mosaischen und der ägyptischen Religion sei ein gewollter und absichtlich verschärfter; z. B. wenn die eine jede Art von Magie und Zauberwesen aufs strengste verdammt, die doch in der anderen aufs üppigste wuchern. Oder wenn der unersättlichen Lust der Ägypter, ihre Götter in Ton, Stein und Erz zu verkörpern, der heute unsere Museen so viel verdanken, das rauhe Verbot entgegengestellt wird, irgendein lebendes oder gedachtes Wesen in einem Bildnis darzustellen. Aber es gibt noch einen anderen Gegensatz zwischen beiden Religionen, der durch die von uns versuchten Erklärungen nicht getroffen wird. Kein anderes Volk des Altertums hat soviel getan, um den Tod zu verleugnen, hat so peinlich vorgesorgt, eine Existenz im Jenseits zu ermöglichen, und dementsprechend war der Totengott Osiris, der Beherrscher dieser anderen Welt, der populärste und unbestrittenste aller ägyptischen Götter. Die altjüdische Religion hingegen hat auf die Unsterblichkeit voll verzichtet; der Möglichkeit einer Fortsetzung der Existenz nach dem Tode wird nirgends und niemals Erwähnung getan. Und dies ist um so merkwürdiger, als ja spätere Erfahrungen gezeigt 471 haben, daß der Glaube an ein jenseitiges Dasein mit einer monotheistischen Religion sehr gut vereinbart werden kann.

Wir hatten gehofft, die Annahme, Moses sei ein Ägypter gewesen, werde sich nach verschiedenen Richtungen als fruchtbar und aufklärend erweisen. Aber unsere erste Folgerung aus dieser Annahme, die neue Religion, die er den Juden gegeben, sei seine eigene, die ägyptische gewesen, ist an der Einsicht in die Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit der beiden Religionen gescheitert.

(2)

Eine merkwürdige Tatsache der ägyptischen Religionsgeschichte, die erst spät erkannt und gewürdigt worden ist, eröffnet uns noch eine Aussicht. Es bleibt möglich, daß die Religion, die Moses seinem Judenvolke gab, doch seine eigene war, eine ägyptische Religion, wenn auch nicht die ägyptische.

In der glorreichen 18ten Dynastie, unter der Ägypten zuerst ein Weltreich wurde, kam um das Jahr 1375 v. Chr. ein junger Pharao auf den Thron, der zuerst Amenhotep (IV.) hieß wie sein Vater, später aber seinen Namen änderte, und nicht bloß seinen Namen. Dieser König unternahm es, seinen Ägyptern eine neue Religion aufzudrängen, die ihren jahrtausendealten Traditionen und all ihren vertrauten Lebensgewohnheiten zuwiderlief. Es war ein strenger Monotheismus, der erste Versuch dieser Art in der Weltgeschichte, soweit unsere Kenntnis reicht, und mit dem Glauben an einen einzigen Gott wurde wie unvermeidlich die religiöse Intoleranz geboren, die dem Altertum vorher – und noch lange nachher – fremd geblieben. Aber die Regierung Amenhoteps dauerte nur 17 Jahre; sehr bald nach seinem 1358 erfolgten Tode war die neue Religion hinweggefegt, das Andenken des ketzerischen Königs geächtet worden. Aus dem Trümmerfeld der neuen Residenz, die er erbaut und seinem Gott geweiht hatte, und aus den Inschriften in den zu ihr gehörigen Felsgräbern rührt das wenige her, was wir über ihn wissen. Alles, was wir über diese merkwürdige, ja einzigartige Persönlichkeit erfahren können, ist des höchsten Interesses würdigThe first individual in human history, nennt ihn Breasted..

Alles Neue muß seine Vorbereitungen und Vorbedingungen in Früherem haben. Die Ursprünge des ägyptischen Monotheismus lassen sich mit einiger Sicherheit ein Stück weit zurückverfolgenDas Nachfolgende hauptsächlich nach den Darstellungen von J. H. Breasted in seiner History of Egypt (1906) sowie in The Dawn of Conscience (1934) und den entsprechenden Abschnitten in The Cambridge Ancient History, Bd. 2.. In der 472 Priesterschule des Sonnentempels zu On (Heliopolis) waren seit längerer Zeit Tendenzen tätig, um die Vorstellung eines universellen Gottes zu entwickeln und die ethische Seite seines Wesens zu betonen. Maat, die Göttin der Wahrheit, Ordnung, Gerechtigkeit war eine Tochter des Sonnengottes Re. Schon unter Amenhotep III., dem Vater und Vorgänger des Reformators, nahm die Verehrung des Sonnengottes einen neuen Aufschwung, wahrscheinlich in Gegnerschaft zum übermächtig gewordenen Amon von Theben. Ein uralter Name des Sonnengottes Aton oder Atum wurde neu hervorgeholt, und in dieser Atonreligion fand der junge König eine Bewegung vor, die er nicht erst zu erwecken brauchte, der er sich anschließen konnte.

Die politischen Verhältnisse Ägyptens hatten um diese Zeit begonnen, die ägyptische Religion nachhaltig zu beeinflussen. Durch die Waffentaten des großen Eroberers Thotmes III. war Ägypten eine Weltmacht geworden, im Süden war Nubien, im Norden Palästina, Syrien und ein Stück von Mesopotamien zum Reich hinzugekommen. Dieser Imperialismus spiegelte sich nun in der Religion als Universalismus und Monotheismus. Da die Fürsorge des Pharao jetzt außer Ägypten auch Nubien und Syrien umfaßte, mußte auch die Gottheit ihre nationale Beschränkung aufgeben, und wie der Pharao der einzige und unumschränkte Herrscher der dem Ägypter bekannten Welt war, so mußte wohl auch die neue Gottheit der Ägypter werden. Zudem war es natürlich, daß mit der Erweiterung der Reichsgrenzen Ägypten für ausländische Einflüsse zugänglicher wurde; manche der königlichen FrauenVielleicht selbst Amenhoteps geliebte Gemahlin Nofretete. waren asiatische Prinzessinnen, und möglicherweise waren selbst direkte Anregungen zum Monotheismus aus Syrien eingedrungen.

Amenhotep hat seinen Anschluß an den Sonnenkult von On niemals verleugnet. In den zwei Hymnen an den Aton, die uns durch die Inschriften in den Felsgräbern erhalten geblieben sind und wahrscheinlich von ihm selbst gedichtet wurden, preist er die Sonne als Schöpfer und Erhalter alles Lebenden in und außerhalb Ägyptens mit einer Inbrunst, wie sie erst viele Jahrhunderte später in den Psalmen zu Ehren des jüdischen Gottes Jahve wiederkehrt. Er begnügte sich aber nicht mit dieser erstaunlichen Vorwegnahme der wissenschaftlichen Erkenntnis von der Wirkung der Sonnenstrahlung. Es ist kein Zweifel, daß er einen Schritt weiter ging, daß er die Sonne nicht als materielles Objekt 473 verehrte, sondern als Symbol eines göttlichen Wesens, dessen Energie sich in ihren Strahlen kundgabBreasted (1906, 360): »But however evident the Heliopolitan origin of the new State religion might be, it was not merely sun-worship; the word Aton was employed in the place of the old word for ›god‹ (nuter) and the god is clearly distinguished from the material sun.« »It is evident that what the king was deifying was the force, by which the Sun made itself felt on earth« (Breasted, 1934, 279) – ähnlich das Urteil über eine Formel zu Ehren des Gottes bei A. Erman (1905): »Es sind ... Worte, die möglichst abstrakt ausdrücken sollen, daß man nicht das Gestirn selbst verehrt, sondern das Wesen, das sich in ihm offenbart.«.

Wir werden dem König aber nicht gerecht, wenn wir ihn nur als den Anhänger und Förderer einer schon vor ihm bestehenden Atonreligion betrachten. Seine Tätigkeit war weit eingreifender. Er brachte etwas Neues hinzu, wodurch die Lehre vom universellen Gott erst zum Monotheismus wurde, das Moment der Ausschließlichkeit. In einer seiner Hymnen wird es direkt ausgesagt: »O Du einziger Gott, neben dem kein anderer ist.«Breasted (1906, 374 Anm.). Und wir wollen nicht vergessen, daß für die Würdigung der neuen Lehre die Kenntnis ihres positiven Inhalts allein nicht genügt; beinahe ebenso wichtig ist ihre negative Seite, die Kenntnis dessen, was sie verwirft. Es wäre auch irrtümlich anzunehmen, daß die neue Religion mit einem Schlage fertig und voll gerüstet ins Leben gerufen wurde wie Athene aus dem Haupt des Zeus. Vielmehr spricht alles dafür, daß sie während der Regierung Amenhoteps allmählich erstarkte zu immer größerer Klarheit, Konsequenz, Schroffheit und Unduldsamkeit. Wahrscheinlich vollzog sich diese Entwicklung unter dem Einfluß der heftigen Gegnerschaft, die sich unter den Priestern des Amon gegen die Reform des Königs erhob. Im sechsten Jahre der Regierung Amenhoteps war die Verfeindung so weit gediehen, daß der König seinen Namen änderte, von dem der nun verpönte Gottesname Amon ein Teil war. Er nannte sich anstatt Amenhotep jetzt IkhnatonIch folge bei diesem Namen der englischen Schreibart (sonst Akhenaton). Der neue Name des Königs bedeutet ungefähr dasselbe wie sein früherer: Der Gott ist zufrieden. Vgl. unser Gotthold, Gottfried.. Aber nicht nur aus seinem Namen tilgte er den des verhaßten Gottes aus, sondern auch aus allen Inschriften und selbst dort, wo er sich im Namen seines Vaters Amenhotep III. fand. Bald nach der Namensänderung verließ Ikhnaton das von Amon beherrschte Theben und erbaute sich stromabwärts eine neue Residenz, die er Akhetaton 474 (Horizont des Aton) nannte. Ihre Trümmerstätte heißt heute Tell-el-AmarnaDort wurde 1887 die für die Geschichtskenntnis so wichtige Korrespondenz der ägyptischen Könige mit den Freunden und Vasallen in Asien gefunden..

Die Verfolgung des Königs traf Amon am härtesten, aber nicht ihn allein. Überall im Reiche wurden die Tempel geschlossen, der Gottesdienst untersagt, die Tempelgüter beschlagnahmt. Ja, der Eifer des Königs ging so weit, daß er die alten Denkmäler untersuchen ließ, um das Wort »Gott« in ihnen auszumerzen, wenn es in der Mehrzahl gebraucht warBreasted (1906, 363).. Es ist nicht zu verwundern, daß diese Maßnahmen Ikhnatons eine Stimmung fanatischer Rachsucht bei der unterdrückten Priesterschaft und beim unbefriedigten Volk hervorriefen, die sich nach des Königs Tode frei betätigen konnte. Die Atonreligion war nicht populär geworden, war wahrscheinlich auf einen kleinen Kreis um seine Person beschränkt geblieben. Der Ausgang Ikhnatons bleibt für uns in Dunkel gehüllt. Wir hören von einigen kurzlebigen, schattenhaften Nachfolgern aus seiner Familie. Schon sein Schwiegersohn Tutankhaton wurde genötigt, nach Theben zurückzukehren und in seinem Namen den Gott Aton durch Amon zu ersetzen. Dann folgte eine Zeit der Anarchie, bis es dem Feldherrn Haremhab 1350 gelang, die Ordnung wiederherzustellen. Die glorreiche 18te Dynastie war erloschen, gleichzeitig deren Eroberungen in Nubien und Asien verlorengegangen. In dieser trüben Zwischenzeit waren die alten Religionen Ägyptens wieder eingesetzt worden. Die Atonreligion war abgetan, die Residenz Ikhnatons zerstört und geplündert, sein Andenken als das eines Verbrechers geächtet.

Es dient einer bestimmten Absicht, wenn wir nun einige Punkte aus der negativen Charakteristik der Atonreligion herausheben. Zunächst, daß alles Mythische, Magische und Zauberische von ihr ausgeschlossen istWeigall (1922, 120–21) sagt, Ikhnaton wollte nichts von einer Hölle wissen, gegen deren Schrecken man sich durch ungezählte Zauberformeln schützen sollte. »Akhnaton flung all these formulae into the fire. Djins, bogies, spirits, monsters, demigods, demons and Osiris himself with all his court, were swept into the blaze and reduced to ashes.«. Sodann die Art der Darstellung des Sonnengottes, nicht mehr wie in früher Zeit durch eine kleine Pyramide und einen Falken, sondern, was beinahe nüchtern zu nennen ist, durch eine runde Scheibe, von der Strahlen ausgehen, die in menschlichen Händen endigen. Trotz aller Kunstfreudigkeit der Amarnaperiode ist eine andere Darstellung des 475 Sonnengottes, ein persönliches Bild des Aton, nicht gefunden worden, und man darf es zuversichtlich sagen, es wird nicht gefunden werdenA. Weigall (1922, 103): »Akhnaton did not permit any graven image to be made of the Aton. The True God, said the King, had no form; and he held to this opinion throughout his life.«.

Endlich das völlige Schweigen über den Totengott Osiris und das Totenreich. Weder die Hymnen noch die Grabinschriften wissen etwas von dem, was dem Herzen des Ägypters vielleicht am nächsten lag. Der Gegensatz zur Volksreligion kann nicht deutlicher veranschaulicht werdenErman (1905, 70): »vom Osiris und seinem Reich sollte man nichts mehr hören«. – Breasted (1934, 291): »Osiris is completely ignored. He is never mentioned in any record of Ikhnaton or in any of the tombs at Amarna.«.

(3)

Wir möchten jetzt den Schluß wagen: Wenn Moses ein Ägypter war und wenn er den Juden seine eigene Religion übermittelte, so war es die des Ikhnaton, die Atonreligion.

Wir haben vorhin die jüdische Religion mit der ägyptischen Volksreligion verglichen und die Gegensätzlichkeit zwischen beiden festgestellt. Nun sollen wir einen Vergleich der jüdischen mit der Atonreligion anstellen, in der Erwartung, die ursprüngliche Identität der beiden zu erweisen. Wir wissen, daß uns keine leichte Aufgabe gestellt ist. Von der Atonreligion wissen wir dank der Rachsucht der Amonpriester vielleicht zu wenig. Die mosaische Religion kennen wir nur in einer Endgestaltung, wie sie etwa 800 Jahre später in nachexilischer Zeit von der jüdischen Priesterschaft fixiert wurde. Sollten wir trotz dieser Ungunst des Materials einzelne Anzeichen finden, die unserer Annahme günstig sind, so werden wir sie hoch einschätzen dürfen.

Es gäbe einen kurzen Weg zum Erweis unserer These, daß die mosaische Religion nichts anderes ist als die des Aton, nämlich über ein Geständnis, eine Proklamation. Aber ich fürchte, man wird uns sagen, daß dieser Weg nicht gangbar ist. Das jüdische Glaubensbekenntnis lautet bekanntlich: »Schema Jisroel Adonai Elohenu Adonai Echod.« Wenn der Name des ägyptischen Aton (oder Atum) nicht nur zufällig an das hebräische Wort Adonai und den syrischen Gottesnamen Adonis anklingt, sondern infolge urzeitlicher Sprach- und Sinngemeinschaft, so könnte man jene jüdische Formel übersetzen: »Höre Israel, unser Gott 476 Aton (Adonai) ist ein einziger Gott.« Ich bin leider völlig inkompetent, um diese Frage zu beantworten, konnte auch nur wenig darüber in der Literatur findenNur einige Stellen bei Weigall (1922, 12 und 19): »Der Gott Atum, der Re als die untergehende Sonne bezeichnete, war vielleicht gleichen Ursprungs wie der in Nordsyrien allgemein verehrte Aton, und eine ausländische Königin sowie ihr Gefolge mag sich darum eher zu Heliopolis hingezogen gefühlt haben als zu Theben.«, aber wahrscheinlich darf man es sich nicht so leicht machen. Übrigens werden wir auf die Probleme des Gottesnamens noch einmal zurückkommen müssen.

Die Ähnlichkeiten wie die Verschiedenheiten der beiden Religionen sind leicht ersichtlich, ohne uns viel Aufklärung zu bringen. Beide sind Formen eines strengen Monotheismus, und man wird von vornherein geneigt sein, was an ihnen Übereinstimmung ist, auf diesen Grundcharakter zurückzuführen. Der jüdische Monotheismus benimmt sich in manchen Punkten noch schroffer als der ägyptische, z. B. wenn er bildliche Darstellungen überhaupt verbietet. Der wesentlichste Unterschied zeigt sich – vom Gottesnamen abgesehen – darin, daß die jüdische Religion völlig von der Sonnenverehrung abgeht, an die sich die ägyptische noch angelehnt hatte. Beim Vergleich mit der ägyptischen Volksreligion hatten wir den Eindruck empfangen, daß außer dem prinzipiellen Gegensatz ein Moment von absichtlichem Widerspruch an der Verschiedenheit der beiden Religionen beteiligt wäre. Dieser Eindruck erscheint nun als berechtigt, wenn wir im Vergleich die jüdische durch die Atonreligion ersetzen, die Ikhnaton, wie wir wissen, in absichtlicher Feindseligkeit gegen die Volksreligion entwickelt hat. Wir hatten uns mit Recht darüber verwundert, daß die jüdische Religion vom Jenseits und vom Leben nach dem Tode nichts wissen will, denn eine solche Lehre wäre mit dem strengsten Monotheismus vereinbar. Diese Verwunderung schwindet, wenn wir von der jüdischen auf die Atonreligion zurückgehen und annehmen, daß diese Ablehnung von dort her übernommen worden ist, denn für Ikhnaton war sie eine Notwendigkeit bei der Bekämpfung der Volksreligion, in der der Totengott Osiris eine vielleicht größere Rolle spielte als irgendein Gott der Oberwelt. Die Übereinstimmung der jüdischen mit der Atonreligion in diesem wichtigen Punkte ist das erste starke Argument zugunsten unserer These. Wir werden hören, daß es nicht das einzige ist.

Moses hat den Juden nicht nur eine neue Religion gegeben; man kann auch mit gleicher Bestimmtheit behaupten, daß er die Sitte der 477 Beschneidung bei ihnen eingeführt hat. Diese Tatsache hat eine entscheidende Bedeutung für unser Problem und ist kaum je gewürdigt worden. Der biblische Bericht widerspricht ihr zwar mehrfach, er führt einerseits die Beschneidung in die Urväterzeit zurück als Zeichen des Bundes zwischen Gott und Abraham, anderseits erzählt er an einer ganz besonders dunkeln Stelle, daß Gott Moses zürnte, weil er den geheiligten Gebrauch vernachlässigt hatte, daß er ihn darum töten wollte und daß Moses' Ehefrau, eine Midianiterin, den bedrohten Mann durch rasche Ausführung der Operation vor Gottes Zorn rettete. Aber dies sind Entstellungen, die uns nicht irremachen dürfen; wir werden später Einsicht in ihre Motive gewinnen. Es bleibt bestehen, daß es auf die Frage, woher die Sitte der Beschneidung zu den Juden kam, nur eine Antwort gibt: aus Ägypten. Herodot, der »Vater der Geschichte«, teilt uns mit, daß die Sitte der Beschneidung in Ägypten seit langen Zeiten heimisch war, und seine Angaben sind durch die Befunde an Mumien, ja durch Darstellungen an den Wänden von Gräbern bestätigt worden. Kein anderes Volk des östlichen Mittelmeeres hat, soviel wir wissen, diese Sitte geübt; von den Semiten, Babyloniern, Sumerern ist es sicher anzunehmen, daß sie unbeschnitten waren. Von den Einwohnern Kanaans sagt es die biblische Geschichte selbst; es ist die Voraussetzung für den Ausgang des Abenteuers der Tochter Jakobs mit dem Prinzen von SichemWenn wir mit der biblischen Tradition so selbstherrlich und willkürlich verfahren, sie zur Bestätigung heranziehen, wo sie uns taugt, und sie unbedenklich verwerfen, wo sie uns widerspricht, so wissen wir sehr wohl, daß wir uns dadurch ernster methodischer Kritik aussetzen und die Beweiskraft unserer Ausführungen abschwächen. Aber es ist die einzige Art, wie man ein Material behandeln kann, von dem man mit Bestimmtheit weiß, daß seine Zuverlässigkeit durch den Einfluß entstellender Tendenzen schwer geschädigt worden ist. Eine gewisse Rechtfertigung hofft man später zu erwerben, wenn man jenen geheimen Motiven auf die Spur kommt. Sicherheit ist ja überhaupt nicht zu erreichen, und übrigens dürfen wir sagen, daß alle anderen Autoren ebenso verfahren sind.. Die Möglichkeit, daß die in Ägypten weilenden Juden die Sitte der Beschneidung auf anderem Wege angenommen haben als im Zusammenhange mit der Religionsstiftung Moses', dürfen wir als völlig haltlos abweisen. Nun halten wir fest, daß die Beschneidung als allgemeine Volkssitte in Ägypten geübt wurde, und nehmen für einen Augenblick die gebräuchliche Annahme hinzu, daß Moses ein Jude war, der seine Volksgenossen vom ägyptischen 4783 Frondienst befreien, sie zur Entwicklung einer selbständigen und selbstbewußten nationalen Existenz außer Landes führen wollte – wie es ja wirklich geschah –, welchen Sinn konnte es haben, daß er ihnen zur gleichen Zeit eine beschwerliche Sitte aufdrängte, die sie gewissermaßen selbst zu Ägyptern machte, die ihre Erinnerung an Ägypten immer wachhalten mußte, während sein Streben doch nur aufs Gegenteil gerichtet sein konnte, daß sein Volk sich dem Lande der Knechtschaft entfremden und die Sehnsucht nach den »Fleischtöpfen Ägyptens« überwinden sollte? Nein, die Tatsache, von der wir ausgingen, und die Annahme, die wir an sie anfügten, sind so unvereinbar miteinander, daß man den Mut zu einer Schlußfolge findet: Wenn Moses den Juden nicht nur eine neue Religion, sondern auch das Gebot der Beschneidung gab, so war er kein Jude, sondern ein Ägypter, und dann war die mosaische Religion wahrscheinlich eine ägyptische, und zwar wegen des Gegensatzes zur Volksreligion die Religion des Aton, mit der die spätere jüdische Religion auch in einigen bemerkenswerten Punkten übereinstimmt.

Wir haben bemerkt, daß unsere Annahme, Moses sei kein Jude, sondern ein Ägypter, ein neues Rätsel schafft. Die Handlungsweise, die beim Juden leicht verständlich schien, wird beim Ägypter unbegreiflich. Wenn wir aber Moses in die Zeit des Ikhnaton versetzen und in Beziehung zu diesem Pharao bringen, dann schwindet dieses Rätsel, und es enthüllt sich die Möglichkeit einer Motivierung, die alle unsere Fragen beantwortet. Gehen wir von der Voraussetzung aus, daß Moses ein vornehmer und hochstehender Mann war, vielleicht wirklich ein Mitglied des königlichen Hauses, wie die Sage von ihm behauptet. Er war gewiß seiner großen Fähigkeiten bewußt, ehrgeizig und tatkräftig; vielleicht schwebte ihm selbst das Ziel vor, eines Tages das Volk zu leiten, das Reich zu beherrschen. Dem Pharao nahe, war er ein überzeugter Anhänger der neuen Religion, deren Grundgedanken er sich zu eigen gemacht hatte. Mit dem Tod des Königs und dem Einsetzen der Reaktion sah er all seine Hoffnungen und Aussichten zerstört; wenn er seine ihm teuren Überzeugungen nicht abschwören wollte, hatte ihm Ägypten nichts mehr zu bieten, er hatte sein Vaterland verloren. In dieser Notlage fand er einen ungewöhnlichen Ausweg. Der Träumer Ikhnaton hatte sich seinem Volk entfremdet und hatte sein Weltreich zerbröckeln lassen. Moses' energischer Natur entsprach der Plan, ein neues Reich zu gründen, ein neues Volk zu finden, dem er die von Ägypten verschmähte Religion zur Verehrung schenken wollte. Es war, wie man 479 erkennt, ein heldenhafter Versuch, das Schicksal zu bestreiten, sich nach zwei Richtungen zu entschädigen für die Verluste, die ihm die Katastrophe Ikhnatons gebracht hatte. Vielleicht war er zur Zeit Statthalter jener Grenzprovinz (Gosen), in der sich (noch zur Zeit der Hyksos?) gewisse semitische Stämme niedergelassen hatten. Diese wählte er aus, daß sie sein neues Volk sein sollten. Eine weltgeschichtliche Entscheidung!Wenn Moses ein hoher Beamter war, so erleichtert dies unser Verständnis für die Führerrolle, die er bei den Juden übernahm; wenn ein Priester, dann lag es ihm nahe, als Religionsstifter aufzutreten. In beiden Fällen wäre es die Fortsetzung seines bisherigen Berufs gewesen. Ein Prinz des königlichen Hauses konnte leicht beides sein, Statthalter und Priester. In der Erzählung des Flavius Josephus (Antiquitates judaïcae), der die Aussetzungssage annimmt, aber andere Traditionen als die biblische zu kennen scheint, hat Moses als ägyptischer Feldherr einen siegreichen Feldzug in Äthiopien durchgeführt. Er setzte sich mit ihnen ins Einvernehmen, stellte sich an ihre Spitze, besorgte ihre Abwanderung »mit starker Hand«. In vollem Gegensatz zur biblischen Tradition sollte man annehmen, daß sich dieser Auszug friedlich und ohne Verfolgung vollzog. Die Autorität Moses' ermöglichte ihn, und eine Zentralgewalt, die ihn hätte verhindern wollen, war damals nicht vorhanden.

Zufolge dieser unserer Konstruktion würde der Auszug aus Ägypten in die Zeit zwischen 1358 und 1350 fallen, d. h. nach dem Tode Ikhnatons und vor der Herstellung der staatlichen Autorität durch HaremhabDas wäre etwa ein Jahrhundert früher, als die meisten Historiker annehmen, die ihn in die 19te Dynastie unter Merneptah verlegen. Vielleicht etwas später, denn die offizielle Geschichtsschreibung scheint das Interregnum in die Regierungszeit Haremhabs eingerechnet zu haben.. Das Ziel der Wanderung konnte nur das Land Kanaan sein. Dort waren nach dem Zusammenbruch der ägyptischen Herrschaft Scharen von kriegerischen Aramäern eingebrochen, erobernd und plündernd, und hatten so gezeigt, wo ein tüchtiges Volk sich neuen Landbesitz holen konnte. Wir kennen diese Krieger aus den Briefen, die 1887 im Archiv der Ruinenstadt Amarna gefunden wurden. Sie werden dort Habiru genannt, und der Name ist, man weiß nicht wie, auf die später kommenden jüdischen Eindringlinge – Hebräer – übergegangen, die in den Amarnabriefen nicht gemeint sein können. Südlich von Palästina – in Kanaan – wohnten auch jene Stämme, die die nächsten Verwandten der jetzt aus Ägypten ausziehenden Juden waren. Die Motivierung, die wir für das Ganze des Auszugs erraten haben, 480 deckt auch die Einsetzung der Beschneidung. Man weiß, in welcher Weise sich die Menschen, Völker wie Einzelne, zu diesem uralten, kaum mehr verstandenen Gebrauch verhalten. Denjenigen, die ihn nicht üben, erscheint er sehr befremdlich, und sie grausen sich ein wenig davor – die anderen aber, die die Beschneidung angenommen haben, sind stolz darauf. Sie fühlen sich durch sie erhöht, wie geadelt, und schauen verächtlich auf die anderen herab, die ihnen als unrein gelten. Noch heute beschimpft der Türke den Christen als »unbeschnittenen Hund«. Es ist glaublich, daß Moses, der als Ägypter selbst beschnitten war, diese Einstellung teilte. Die Juden, mit denen er das Vaterland verließ, sollten ihm ein besserer Ersatz für die Ägypter sein, die er im Lande zurückließ. Auf keinen Fall durften sie hinter diesen zurückstehen. Ein »geheiligtes Volk« wollte er aus ihnen machen, wie noch ausdrücklich im biblischen Text gesagt wird, und als Zeichen solcher Weihe führte er auch bei ihnen die Sitte ein, die sie den Ägyptern mindestens gleichstellte. Auch konnte es ihm nur willkommen sein, wenn sie durch ein solches Zeichen isoliert und von der Vermischung mit den Fremdvölkern abgehalten wurden, zu denen ihre Wanderung sie führen sollte, ähnlich wie die Ägypter selbst sich von allen Fremden abgesondert hattenHerodot, der Ägypten um 450 v. Chr. besuchte, gibt in seinem Reisebericht eine Charakteristik des ägyptischen Volkes, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit bekannten Zügen des späteren Judentums aufzeigt: »Sie sind überhaupt in allen Punkten frömmer als die übrigen Menschen, von denen sie sich auch schon durch manche ihrer Sitten trennen. So durch die Beschneidung, die sie zuerst, und zwar aus Reinlichkeitsgründen, eingeführt haben; des weiteren durch ihren Abscheu vor den Schweinen, der gewiß damit zusammenhängt, daß Set als ein schwarzes Schwein den Horus verwundet hatte, und endlich und am meisten durch ihre Ehrfurcht vor den Kühen, die sie nie essen oder opfern würden, weil sie damit die kuhhörnige Isis beleidigen würden. Deshalb würde kein Ägypter und keine Ägypterin je einen Griechen küssen oder sein Messer, seinen Bratspieß oder seinen Kessel gebrauchen oder von dem Fleisch eines (sonst) reinen Ochsen essen, das mit einem griechischen Messer geschnitten wäre ... sie sahen in hochmütiger Beschränktheit auf die anderen Völker herab, die unrein waren und den Göttern nicht so nahe standen wie sie.« (Nach Erman, 1905, 181.)

Wir wollen natürlich Parallelen hiezu aus dem Leben des indischen Volkes nicht vergessen. Wer hat es übrigens dem jüdischen Dichter H. Heine im 19. Jahrhundert n. Chr. eingegeben, seine Religion zu beklagen als »die aus dem Niltal mitgeschleppte Plage, den altägyptisch ungesunden Glauben«?

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Die jüdische Tradition aber benahm sich später, als wäre sie durch die Schlußfolge bedrückt, die wir vorhin entwickelt haben. Wenn man zugestand, daß die Beschneidung eine ägyptische Sitte war, die Moses 481 eingeführt hatte, so war das beinahe so viel wie eine Anerkennung, daß die Religion, die Moses ihnen überliefert, auch eine ägyptische gewesen war. Aber man hatte gute Gründe, diese Tatsache zu verleugnen; folglich mußte man auch dem Sachverhalt in betreff der Beschneidung widersprechen.

(4)

An dieser Stelle erwarte ich den Vorwurf, daß ich meine Konstruktion, die Moses, den Ägypter, in die Zeit von Ikhnaton versetzt, seinen Entschluß, sich des Judenvolkes anzunehmen, aus den derzeitigen politischen Zuständen im Lande ableitet, die Religion, die er seinen Schützlingen schenkt oder auferlegt, als die des Aton erkennt, die eben in Ägypten selbst zusammengebrochen war, daß ich diesen Aufbau von Mutmaßungen also mit allzugroßer, im Material nicht begründeter Bestimmtheit vorgetragen habe. Ich meine, der Vorwurf ist unberechtigt. Ich habe das Moment des Zweifels bereits in der Einleitung betont, es gleichsam vor die Klammer gesetzt, und durfte es mir dann ersparen, es bei jedem Posten innerhalb der Klammer zu wiederholen.

Einige meiner eigenen kritischen Bemerkungen dürfen die Erörterung fortsetzen. Das Kernstück unserer Aufstellung, die Abhängigkeit des jüdischen Monotheismus von der monotheistischen Episode in der Geschichte Ägyptens, ist von verschiedenen Autoren geahnt und angedeutet worden. Ich erspare mir, diese Stimmen hier wiederzugeben, da keine von ihnen anzugeben weiß, auf welchem Weg sich diese Beeinflussung vollzogen haben kann. Bleibt sie für uns an die Person des Moses geknüpft, so sind auch dann andere Möglichkeiten als die von uns bevorzugte zu erwägen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Sturz der offiziellen Atonreligion die monotheistische Strömung in Ägypten völlig zu Ende gebracht hat. Die Priesterschule in On, von der sie ausgegangen war, überstand die Katastrophe und mochte noch Generationen nach Ikhnaton in den Bann ihrer Gedankengänge ziehen. Somit ist die Tat des Moses denkbar, auch wenn er nicht zur Zeit Ikhnatons lebte und nicht dessen persönlichen Einfluß erfahren hatte, wenn er nur Anhänger oder gar Mitglied der Schule von On war. Diese Möglichkeit würde den Zeitpunkt des Auszugs verschieben und näher an das gewöhnlich angenommene Datum (im 13. Jahrhundert) heranrücken; sie hat aber sonst nichts, was sie empfiehlt. Die Einsicht in die Motive Moses' ginge verloren, und die Erleichterung des Auszugs durch die im Lande herrschende Anarchie fiele weg. Die nächsten Könige der 19ten Dynastie 482 haben ein starkes Regiment geführt. Alle für den Auszug günstigen äußeren und inneren Bedingungen treffen nur in der Zeit unmittelbar nach dem Tode des Ketzerkönigs zusammen.

Die Juden besitzen eine reichhaltige außerbiblische Literatur, in der man die Sagen und Mythen findet, die sich im Verlauf der Jahrhunderte um die großartige Figur des ersten Führers und Religionsstifters gebildet, sie verklärt und verdunkelt haben. In diesem Material mögen Stücke guter Tradition versprengt sein, die in den fünf Büchern keinen Raum gefunden haben. Eine solche Sage schildert in ansprechender Weise, wie sich der Ehrgeiz des Mannes Moses schon in seiner Kindheit geäußert. Als ihn der Pharao einmal in die Arme nahm und im Spiele hochhob, riß ihm das dreijährige Knäblein die Krone vom Haupt und setzte sie seinem eigenen auf. Der König erschrak über dies Vorzeichen und versäumte nicht, seine Weisen darüber zu befragenDieselbe Anekdote in leichter Abänderung bei Josephus.. Ein andermal wird von siegreichen Kriegstaten erzählt, die er als ägyptischer Feldherr in Äthiopien vollführt, und daran geknüpft, daß er aus Ägypten floh, weil er den Neid einer Partei am Hofe oder des Pharao selbst zu fürchten hatte. Die biblische Darstellung selbst legt Moses einige Züge bei, denen man Glaubwürdigkeit zusprechen möchte. Sie beschreibt ihn als zornmütig, leicht aufbrausend, wie er in der Entrüstung den brutalen Aufseher erschlägt, der einen jüdischen Arbeiter mißhandelt, wie er in der Erbitterung über den Abfall des Volkes die Gesetzestafeln zerschmettert, die er vom Berge Gottes geholt, ja Gott selbst straft ihn am Ende wegen einer Tat der Ungeduld; es wird nicht gesagt, was sie war. Da eine solche Eigenschaft nicht der Verherrlichung dient, könnte sie historischer Wahrheit entsprechen. Man kann auch die Möglichkeit nicht abweisen, daß manche Charakterzüge, die die Juden in die frühe Vorstellung ihres Gottes eintrugen, indem sie ihn eifervoll, streng und unerbittlich hießen, im Grunde von der Erinnerung an Moses hergenommen waren, denn in Wirklichkeit hatte nicht ein unsichtbarer Gott, hatte der Mann Moses sie aus Ägypten herausgeführt.

Ein anderer ihm zugeschriebener Zug hat besonderen Anspruch auf unser Interesse. Moses soll »schwer von Sprache« gewesen sein, also eine Sprachhemmung oder einen Sprachfehler besessen haben, so daß er bei 483 den angeblichen Verhandlungen mit dem Pharao der Unterstützung des Aaron bedurfte, der sein Bruder genannt wird. Das mag wiederum historische Wahrheit sein und wäre ein erwünschter Beitrag zur Belebung der Physiognomie des großen Mannes. Es kann aber auch eine andere und wichtigere Bedeutung haben. Der Bericht mag in leichter Entstellung der Tatsache gedenken, daß Moses ein Anderssprachiger war, der mit seinen semitischen Neu-Ägyptern nicht ohne Dolmetsch verkehren konnte, wenigstens nicht zu Anfang ihrer Beziehungen. Also eine neue Bestätigung der These: Moses war ein Ägypter.

Nun aber, scheint es, ist unsere Arbeit zu einem vorläufigen Ende gekommen. Aus unserer Annahme, daß Moses ein Ägypter war, sei sie erwiesen oder nicht, können wir zunächst nichts weiter ableiten. Den biblischen Bericht über Moses und den Auszug kann kein Historiker für anderes halten als für fromme Dichtung, die eine entlegene Tradition im Dienste ihrer eigenen Tendenzen umgearbeitet hat. Wie die Tradition ursprünglich gelautet hat, ist uns unbekannt; welches die entstellenden Tendenzen waren, möchten wir gern erraten, werden aber durch die Unkenntnis der historischen Vorgänge im Dunkel erhalten. Daß unsere Rekonstruktion für so manche Prunkstücke der biblischen Erzählung wie die zehn Plagen, den Durchzug durchs Schilfmeer, die feierliche Gesetzgebung am Berge Sinai, keinen Raum hat, dieser Gegensatz kann uns nicht beirren. Aber es kann uns nicht gleichgültig lassen, wenn wir finden, daß wir in Widerspruch zu den Ergebnissen der nüchternen Geschichtsforschung unserer Tage geraten sind.

Diese neueren Historiker, als deren Vertreter wir Ed. Meyer (1906) anerkennen mögen, schließen sich dem biblischen Bericht in einem entscheidenden Punkte an. Auch sie meinen, daß die jüdischen Stämme, aus denen später das Volk Israel hervorging, zu einem gewissen Zeitpunkt eine neue Religion angenommen haben. Aber dies Ereignis vollzog sich nicht in Ägypten, auch nicht am Fuße eines Berges auf der Sinaihalbinsel, sondern in einer Örtlichkeit, die Merîbat-Qadeš genannt wird, einer durch ihren Reichtum an Quellen und Brunnen ausgezeichneten Oase in dem Landstrich südlich von Palästina zwischen dem östlichen Ausgang der Sinaihalbinsel und dem Westrand von Arabien. Sie übernahmen dort die Verehrung eines Gottes Jahve, 484 wahrscheinlich von dem arabischen Stamm der nahebei wohnenden Midianiter. Vermutlich waren auch andere Nachbarstämme Anhänger dieses Gottes.

Jahve war sicherlich ein Vulkangott. Nun ist Ägypten bekanntlich frei von Vulkanen, und auch die Berge der Sinaihalbinsel sind nie vulkanisch gewesen; dagegen finden sich Vulkane, die noch bis in späte Zeit tätig gewesen sein mögen, längs des Westrandes Arabiens. Einer dieser Berge muß also der Sinai-Horeb gewesen sein, den man sich als den Wohnsitz Jahves dachteAn einigen Stellen des biblischen Textes ist noch stehengeblieben, daß Jahve vom Sinai herab nach Merîbat-Qadeš kam.. Trotz aller Umarbeitungen, die der biblische Bericht erlitten hat, läßt sich nach Ed. Meyer das ursprüngliche Charakterbild des Gottes rekonstruieren: Er ist ein unheimlicher, blutgieriger Dämon, der bei Nacht umgeht und das Tageslicht scheutMeyer (1906, 38, 58)..

Der Mittler zwischen Gott und Volk bei dieser Religionsstiftung wird Moses genannt. Er ist Schwiegersohn des midianitischen Priesters Jethro, hütete dessen Herden, als er die göttliche Berufung erfuhr. Er erhält auch in Qadeš den Besuch Jethros, der ihm Unterweisungen gibt.

Ed. Meyer sagt zwar, es sei ihm nie zweifelhaft gewesen, daß die Geschichte vom Aufenthalt in Ägypten und von der Katastrophe der Ägypter irgendeinen historischen Kern enthältMeyer (1906, 49)., aber er weiß offenbar nicht, wie er die von ihm anerkannte Tatsache unterbringen und verwerten soll. Nur die Sitte der Beschneidung ist er bereit, von Ägypten abzuleiten. Er bereichert unsere frühere Argumentation durch zwei wichtige Hinweise. Erstens, daß Josua das Volk zur Beschneidung auffordert, »um das Höhnen der Ägypter von sich abzuwälzen«, sodann durch das Zitat aus Herodot, daß die Phöniker (wohl die Juden) und die Syrer in Palästina selbst zugeben, die Beschneidung von den Ägyptern gelernt zu habenMeyer (1906, 449).. Aber für einen ägyptischen Moses hat er wenig übrig. »Der Moses, den wir kennen, ist der Ahnherr der Priester von Qadeš, also eine mit dem Kultus in Beziehung stehende Gestalt der genealogischen Sage, nicht eine geschichtliche Persönlichkeit. Es hat denn auch (abgesehen von denen, die die Tradition in Bausch und Bogen als geschichtliche Wahrheit hinnehmen) noch niemand von denen, die ihn als eine geschichtliche Gestalt behandeln, ihn mit irgendwelchem 485 Inhalt zu erfüllen, ihn als eine konkrete Individualität darzustellen oder etwas anzugeben gewußt, was er geschaffen hätte und was sein geschichtliches Werk wäre.«Meyer (1906, 451).

Dagegen wird er nicht müde, die Beziehung Moses' zu Qadeš und Midian zu betonen. »Die Gestalt des Moses, die mit Midian und den Kultusstätten in der Wüste eng verwachsen ist.«Meyer (1906, 49). »Diese Gestalt des Mose ist nun mit Qadeš (Massa und Merîba) untrennbar verbunden, die Verschwägerung mit dem midianitischen Priester bildet die Ergänzung dazu. Die Verbindung mit dem Exodus dagegen und vollends die Jugendgeschichte sind durchaus sekundär und lediglich die Folge der Einfügung Moses' in eine zusammenhängend fortlaufende Sagengeschichte.«Meyer (1906, 72). Er verweist auch darauf, daß die in der Jugendgeschichte des Moses enthaltenen Motive später sämtlich fallengelassen werden. »Mose in Midian ist nicht mehr ein Ägypter und Enkel des Pharao, sondern ein Hirt, dem Jahve sich offenbart. In den Erzählungen von den Plagen ist von seinen alten Beziehungen nicht mehr die Rede, so leicht sie sich effektvoll hätten verwerten lassen, und der Befehl, die israelitischen Knaben zu töten, ist vollkommen vergessen. Bei dem Auszug und dem Untergang der Ägypter spielt Mose überhaupt keine Rolle, er wird nicht einmal genannt. Der Heldencharakter, den die Kindheitssage voraussetzt, fehlt dem späteren Mose gänzlich; er ist nur noch der Gottesmann, ein von Jahve mit übernatürlichen Kräften ausgestatteter Wundertäter ...«

Wir können den Eindruck nicht bestreiten, dieser Moses von Qadeš und Midian, dem die Tradition selbst die Aufrichtung einer ehernen Schlange als Heilgott zuschreiben durfte, ist ein ganz anderer als der von uns erschlossene großherrliche Ägypter, der dem Volk eine Religion eröffnete, in der alle Magie und Zauberei aufs strengste verpönt war. Unser ägyptischer Moses ist vom midianitischen Moses vielleicht nicht weniger verschieden als der universelle Gott Aton von dem auf dem Götterberg hausenden Dämon Jahve. Und wenn wir den Ermittlungen der neueren Historiker irgendein Maß von Glauben schenken, müssen wir uns eingestehen, daß der Faden, den wir von der Annahme 486 her spinnen wollten, Moses sei ein Ägypter gewesen, nun zum zweiten Mal abgerissen ist. Diesmal, wie es scheint, ohne Hoffnung auf Wiederanknüpfung.

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Unerwarteterweise findet sich auch hier ein Ausweg. Die Bemühungen, in Moses eine Gestalt zu erkennen, die über den Priester von Qadeš hinausreicht, und die Großartigkeit zu bestätigen, welche die Tradition an ihm rühmt, sind auch nach Ed. Meyer nicht zur Ruhe gekommen (Gressmann u. a.). Im Jahre 1922 hat dann Ed. Sellin eine Entdeckung gemacht, die unser Problem entscheidend beeinflußtEd. Sellin, Mose und seine Bedeutung für die israelitisch-jüdische Religionsgeschichte (1922).. Er fand beim Propheten Hosea (zweite Hälfte des achten Jahrhunderts) die unverkennbaren Anzeichen einer Tradition, die zum Inhalt hat, daß der Religionsstifter Moses in einem Aufstand seines widerspenstigen und halsstarrigen Volkes ein gewaltsames Ende fand. Gleichzeitig wurde die von ihm eingesetzte Religion abgeworfen. Diese Tradition ist aber nicht auf Hosea beschränkt, sie kehrt bei den meisten späteren Propheten wieder, ja, sie ist nach Sellin die Grundlage aller späteren messianischen Erwartungen geworden. Am Ausgang des babylonischen Exils entwickelte sich im jüdischen Volke die Hoffnung, der so schmählich Gemordete werde von den Toten wiederkommen und sein reuiges Volk, vielleicht dieses nicht allein, in das Reich einer dauernden Seligkeit führen. Die naheliegenden Beziehungen zum Schicksal eines späteren Religionsstifters liegen nicht auf unserem Weg.

Ich bin natürlich wiederum nicht in der Lage zu entscheiden, ob Sellin die prophetischen Stellen richtig gedeutet hat. Aber wenn er recht hat, so darf man der von ihm erkannten Tradition historische Glaubwürdigkeit zusprechen, denn solche Dinge erdichtet man nicht leicht. Es fehlt an einem greifbaren Motiv dafür; haben sie sich aber wirklich ereignet, so versteht sich leicht, daß man sie vergessen will. Wir brauchen nicht alle Einzelheiten der Tradition anzunehmen. Sellin meint, daß Schittim im Ostjordanland als der Schauplatz der Gewalttat an Moses bezeichnet wird. Wir werden bald erkennen, daß eine solche Lokalität für unsere Überlegungen unannehmbar ist.

Wir entlehnen von Sellin die Annahme, daß der ägyptische Moses von den Juden erschlagen, die von ihm eingeführte Religion aufgegeben wurde. Sie gestattet uns, unsere Fäden weiterzuspinnen, ohne 487 glaubwürdigen Ergebnissen der historischen Forschung zu widersprechen. Aber wir wagen es, uns sonst unabhängig von den Autoren zu halten, selbständig »einherzutreten auf der eigenen Spur«. Der Auszug aus Ägypten bleibt unser Ausgangspunkt. Es muß eine beträchtliche Anzahl von Personen gewesen sein, die mit Moses das Land verließ; ein kleiner Haufe hätte dem ehrgeizigen, auf Großes abzielenden Mann nicht der Mühe gelohnt. Wahrscheinlich hatten die Einwanderer lange genug im Lande geweilt, um sich zu einer ansehnlichen Volkszahl zu entwickeln. Aber wir werden gewiß nicht irren, wenn wir mit der Mehrzahl der Autoren annehmen, daß nur ein Bruchteil des späteren Judenvolkes die Schicksale in Ägypten erfahren hat. Mit anderen Worten, der aus Ägypten zurückgekehrte Stamm vereinigte sich später im Landstrich zwischen Ägypten und Kanaan mit anderen, verwandten Stämmen, die dort seit längerer Zeit ansässig gewesen waren. Ausdruck dieser Vereinigung, aus der das Volk Israel hervorging, war die Annahme einer neuen, allen Stämmen gemeinsamen Religion, der des Jahve, welches Ereignis sich nach Ed. Meyer unter midianitischem Einfluß in Qadeš vollzog. Darauf fühlte sich das Volk stark genug, seinen Einbruch in das Land Kanaan zu unternehmen. Mit diesem Hergang verträgt es sich nicht, daß die Katastrophe des Moses und seiner Religion im Ostjordanland vorfiel – sie muß lange vor der Vereinigung geschehen sein.

Es ist gewiß, daß recht verschiedene Elemente zum Aufbau des jüdischen Volkes zusammengetreten sind, aber den größten Unterschied unter diesen Stämmen muß es gemacht haben, ob sie den Aufenthalt in Ägypten, und was darauf folgte, miterlebt hatten oder nicht. Mit Rücksicht auf diesen Punkt kann man sagen, die Nation sei aus der Vereinigung von zwei Bestandteilen hervorgegangen, und dieser Tatsache entsprach es, daß sie auch nach einer kurzen Periode politischer Einheit in zwei Stücke, das Reich Israel und das Reich Juda, auseinanderbrach. Die Geschichte liebt solche Wiederherstellungen, in denen spätere Verschmelzungen rückgängig gemacht werden und frühere Trennungen wieder hervortreten. Das eindrucksvollste Beispiel dieser Art schuf bekanntlich die Reformation, als sie die Grenzlinie zwischen dem einst römisch gewesenen und dem unabhängig gebliebenen Germanien nach einem Intervall von mehr als einem Jahrtausend wieder zum Vorschein brachte. Für den Fall des jüdischen Volkes könnten wir eine so getreue Reproduktion des alten Tatbestands nicht erweisen; unsere Kenntnis dieser Zeiten ist zu unsicher, um die Behauptung zu gestatten, im Nordreich hätten sich die von jeher Ansässigen, im Südreich die aus 488 Ägypten Zurückgekehrten wieder zusammengefunden, aber der spätere Zerfall kann auch hier nicht ohne Zusammenhang mit der früheren Verlötung gewesen sein. Die einstigen Ägypter waren wahrscheinlich in ihrer Volkszahl geringer als die anderen, aber sie erwiesen sich als die kulturell Stärkeren; sie übten einen mächtigeren Einfluß auf die weitere Entwicklung des Volkes, weil sie eine Tradition mitbrachten, die den anderen fehlte.

Vielleicht noch etwas anderes, was greifbarer war als eine Tradition. Zu den größten Rätseln der jüdischen Vorzeit gehört die Herkunft der Leviten. Sie werden von einem der zwölf Stämme Israels abgeleitet, vom Stamme Levi, aber keine Tradition hat anzugeben gewagt, wo dieser Stamm ursprünglich saß oder welches Stück des eroberten Landes Kanaan ihm zugewiesen war. Sie besetzen die wichtigsten Priesterposten, aber sie werden doch von den Priestern unterschieden, ein Levit ist nicht notwendig ein Priester; es ist nicht der Name einer Kaste. Unsere Voraussetzung über die Person des Moses legt uns eine Erklärung nahe. Es ist nicht glaubhaft, daß ein großer Herr wie der Ägypter Moses sich unbegleitet zu dem ihm fremden Volk begab. Er brachte gewiß sein Gefolge mit, seine nächsten Anhänger, seine Schreiber, sein Gesinde. Das waren ursprünglich die Leviten. Die Behauptung der Tradition, Moses war ein Levit, scheint eine durchsichtige Entstellung des Sachverhalts: Die Leviten waren die Leute des Moses. Diese Lösung wird durch die bereits in meinem früheren Aufsatz erwähnte Tatsache gestützt, daß einzig unter den Leviten später noch ägyptische Namen auftauchenDiese Annahme verträgt sich gut mit den Angaben Yahudas über den ägyptischen Einfluß auf das frühjüdische Schrifttum. Siehe A. S. Yahuda (1929).. Es ist anzunehmen, daß eine gute Anzahl dieser Mosesleute der Katastrophe entging, die ihn selbst und seine Religionsstiftung traf. Sie vermehrten sich in den nächsten Generationen, verschmolzen mit dem Volke, in dem sie lebten, aber sie blieben ihrem Herrn treu, bewahrten das Andenken an ihn und pflegten die Tradition seiner Lehren. Zur Zeit der Vereinigung mit den Jahvegläubigen bildeten sie eine einflußreiche, den anderen kulturell überlegene Minorität.

Ich stelle es vorläufig als Annahme hin, daß zwischen dem Untergang des Moses und der Religionsstiftung in Qadeš zwei Generationen, vielleicht selbst ein Jahrhundert verlief. Ich sehe keinen Weg, um zu entscheiden, ob die Neo-Ägypter, wie ich sie hier zur Unterscheidung 489 nennen möchte, die Rückkehrer also, mit ihren Stammverwandten zusammentrafen, nachdem diese bereits die Jahvereligion angenommen hatten oder schon vorher. Man mag das letztere für wahrscheinlicher halten. Für das Endergebnis macht es keinen Unterschied. Was in Qadeš vorging, war ein Kompromiß, an dem der Anteil der Mosesstämme unverkennbar ist.

Wir dürfen uns hier wiederum auf das Zeugnis der Beschneidung berufen, die uns wiederholt, als Leitfossil sozusagen, die wichtigsten Dienste geleistet hat. Diese Sitte wurde auch in der Jahvereligion Gebot, und da sie unlösbar mit Ägypten verknüpft ist, kann ihre Annahme nur eine Konzession an die Mosesleute gewesen sein, die – oder die Leviten unter ihnen – auf dies Zeichen ihrer Heiligung nicht verzichten wollten. Soviel wollten sie von ihrer alten Religion retten, und dafür waren sie bereit, die neue Gottheit anzunehmen und was die Midianpriester von ihr erzählten. Es ist möglich, daß sie noch andere Konzessionen durchsetzten. Wir haben bereits erwähnt, daß das jüdische Ritual gewisse Einschränkungen im Gebrauch des Gottesnamens vorschrieb. Anstatt »Jahve« mußte »Adonai« gesprochen werden. Es liegt nahe, diese Vorschrift in unseren Zusammenhang zu bringen, aber es ist eine Vermutung ohne weiteren Anhalt. Das Verbot des Gottesnamens ist bekanntlich ein uraltes Tabu. Warum es gerade in der jüdischen Gesetzgebung aufgefrischt wurde, versteht man nicht; es ist nicht ausgeschlossen, daß dies unter dem Einfluß eines neuen Motivs geschah. Man braucht nicht anzunehmen, daß das Verbot konsequent durchgeführt wurde; für die Bildung theophorer Personennamen, also für Zusammensetzungen, blieb der Name des Gottes Jahve frei (Jochanan, Jehu, Josua). Aber es hatte doch mit diesem Namen eine besondere Bewandtnis. Es ist bekannt, daß die kritische Bibelforschung zwei Quellenschriften des Hexateuchs annimmt. Sie werden als J und als E bezeichnet, weil die eine den Gottesnamen »Jahve«, die andere den »Elohim« gebraucht. »Elohim« zwar, nicht »Adonai«, aber man mag der Bemerkung eines unserer Autoren gedenken: »Die verschiedenen Namen sind das deutliche Kennzeichen ursprünglich verschiedener Götter.«Gressmann (1913, 54).

Wir ließen die Beibehaltung der Beschneidung als Beweis dafür gelten, daß bei der Religionsstiftung in Qadeš ein Kompromiß stattgefunden hat. Den Inhalt desselben ersehen wir aus den übereinstimmenden 490 Berichten von J und E, die also hierin auf eine gemeinsame Quelle (Niederschrift oder mündliche Tradition) zurückgehen. Die leitende Tendenz war, Größe und Macht des neuen Gottes Jahve zu erweisen. Da die Mosesleute so hohen Wert auf ihr Erlebnis des Auszugs aus Ägypten legten, mußte diese Befreiungstat Jahve verdankt werden, und dies Ereignis wurde mit Ausschmückungen versehen, die die schreckhafte Großartigkeit des Vulkangottes bekundeten, wie die Rauchsäule, die sich nachts in eine Feuersäule wandelte, der Sturm, der das Meer für eine Weile trockenlegte, so daß die Verfolger von den rückkehrenden Wassermassen ertränkt wurden. Dabei wurden der Auszug und die Religionsstiftung nahe aneinandergerückt, das lange Intervall zwischen beiden verleugnet; auch die Gesetzgebung vollzog sich nicht in Qadeš, sondern am Fuß des Gottesberges unter den Anzeichen eines vulkanischen Ausbruches. Aber diese Darstellung beging ein schweres Unrecht gegen das Andenken des Mannes Moses; er war es ja, nicht der Vulkangott, der das Volk aus Ägypten befreit hatte. Somit war man ihm eine Entschädigung schuldig und fand sie darin, daß man Moses hinübernahm nach Qadeš oder an den Sinai-Horeb und ihn an die Stelle der midianitischen Priester setzte. Daß man durch diese Lösung eine zweite, unabweisbar dringende Tendenz befriedigte, werden wir später erörtern. Auf solche Weise hatte man gleichsam einen Ausgleich geschaffen; man ließ Jahve nach Ägypten übergreifen, der auf einem Berg in Midian hauste, und Moses' Existenz und Tätigkeit dafür nach Qadeš und bis ins Ostjordanland. Er wurde so mit der Person des späteren Religionsstifters, dem Schwiegersohn des Midianiters Jethro, verschmolzen, dem er seinen Namen Moses lieh. Aber von diesem anderen Moses wissen wir nichts Persönliches auszusagen – er wird durch den anderen, den ägyptischen Moses so völlig verdunkelt. Es sei denn, daß man die Widersprüche in der Charakteristik Moses' aufgreift, die sich im biblischen Bericht finden. Er wird uns oft genug als herrisch, jähzornig, ja gewalttätig geschildert, und doch wird auch von ihm gesagt, er sei der sanftmütigste und geduldigste aller Menschen gewesen. Es ist klar, diese letzteren Eigenschaften hätten dem Ägypter Moses, der mit seinem Volk so Großes und Schweres vorhatte, wenig getaugt; vielleicht gehörten sie dem anderen, dem Midianiter, an. Ich glaube, man ist berechtigt, die beiden Personen wieder voneinander zu scheiden und anzunehmen, daß der ägyptische Moses nie in Qadeš 491 war und den Namen Jahve nie gehört hatte und daß der midianitische Moses Ägypten nie betreten hatte und von Aton nichts wußte. Zum Zwecke der Verlötung der beiden Personen fiel der Tradition oder der Sagenbildung die Aufgabe zu, den ägyptischen Moses nach Midian zu bringen, und wir haben gehört, daß mehr als eine Erklärung hiefür im Umlauf war.

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Wir sind darauf vorbereitet, neuerdings den Tadel zu hören, daß wir unsere Rekonstruktion der Urgeschichte des Volkes Israel mit allzugroßer, mit unberechtigter Sicherheit vorgetragen haben. Diese Kritik wird uns nicht schwer treffen, da sie in unserem eigenen Urteil einen Widerhall findet. Wir wissen selbst, unser Aufbau hat seine schwachen Stellen, aber er hat auch seine starken Seiten. Im ganzen überwiegt der Eindruck, daß es der Mühe lohnt, das Werk in der eingeschlagenen Richtung fortzusetzen. Der uns vorliegende biblische Bericht enthält wertvolle, ja unschätzbare historische Angaben, die aber durch den Einfluß mächtiger Tendenzen entstellt und mit den Produktionen dichterischer Erfindung ausgeschmückt worden sind. Während unserer bisherigen Bemühungen haben wir eine dieser entstellenden Tendenzen erraten können. Dieser Fund zeigt uns den weiteren Weg. Wir sollen andere solcher Tendenzen aufdecken. Haben wir Anhaltspunkte, um die durch sie erzeugten Entstellungen zu erkennen, so werden wir hinter ihnen neue Stücke des wahren Sachverhalts zum Vorschein bringen.

Lassen wir uns zunächst von der kritischen Bibelforschung erzählen, was sie über die Entstehungsgeschichte des Hexateuchs (der fünf Bücher Moses' und des Buches Josua, die uns hier allein interessieren) zu sagen weißEncyclopaedia Britannica, XI. Auflage, 1910. Artikel: ›Bible‹.. Als älteste Quellenschrift gilt J, der Jahvist, den man in neuester Zeit als den Priester Ebjatar, einen Zeitgenossen des Königs David, erkennen willSiehe Auerbach (1932).. Etwas später, man weiß nicht, um wieviel, setzt man den sogenannten Elohisten an, der dem Nordreich angehörtJahvist und Elohist wurden zuerst 1753 von Astruc unterschieden.. Nach dem Untergang des Nordreiches 722 hat ein jüdischer Priester Stücke von J und E miteinander vereinigt und eigene Beiträge 492 dazugetan. Seine Kompilation wird als JE bezeichnet. Im siebenten Jahrhundert kommt das Deuteronomium, das fünfte Buch, hinzu, angeblich als Ganzes im Tempel neu gefunden. In die Zeit nach der Zerstörung des Tempels (586), während des Exils und nach der Rückkehr wird die Umarbeitung versetzt, die man den »Priesterkodex« nennt; im fünften Jahrhundert erfährt das Werk seine endgültige Redaktion und ist seither nicht wesentlich verändert wordenEs ist historisch gesichert, daß die endgültige Fixierung des jüdischen Typus der Erfolg der Reform von Esra und Nehemia im fünften Jahrhundert vor Christi Geburt war, also nachexilisch, unter der den Juden wohlwollenden Perserherrschaft. Nach unserer Rechnung waren damals etwa 900 Jahre seit dem Auftreten Moses' vergangen. In dieser Reform wurde mit den Bestimmungen Ernst gemacht, welche die Heiligung des gesamten Volkes bezweckten, wurde die Absonderung von den Umlebenden durch das Verbot der Mischehen durchgesetzt, der Pentateuch, das eigentliche Gesetzbuch, in seine definitive Form gebracht, jene Umarbeitung abgeschlossen, die als Priesterkodex bekannt ist. Es scheint aber gesichert, daß die Reform keine neuen Tendenzen einführte, sondern frühere Anregungen aufnahm und befestigte..

Die Geschichte des Königs David und seiner Zeit ist höchstwahrscheinlich das Werk eines Zeitgenossen. Es ist richtige Geschichtsschreibung, fünfhundert Jahre vor Herodot, dem »Vater der Geschichte«. Man nähert sich dem Verständnis dieser Leistung, wenn man im Sinne unserer Annahme an ägyptischen Einfluß denktVgl. Yahuda (1929).. Es ist selbst die Vermutung aufgetaucht, daß die Israeliten jener Urzeit, also die Schreiber des Moses, nicht unbeteiligt an der Erfindung des ersten Alphabets gewesen sindWenn sie unter dem Druck des Bilderverbots standen, hatten sie sogar ein Motiv, die hieroglyphischc Bilderschrift zu verlassen, während sie ihre Schriftzeichen für den Ausdruck einer neuen Sprache zurichteten. – Vgl. Auerbach (1932, 142).. Inwieweit die Berichte über frühere Zeiten auf frühe Aufzeichnungen oder auf mündliche Traditionen zurückgehen und welche Zeitintervalle in den einzelnen Fällen zwischen Ereignis und Fixierung liegen, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis. Der Text aber, wie er uns heute vorliegt, erzählt uns genug auch über seine eigenen Schicksale. Zwei einander entgegengesetzte Behandlungen haben ihre Spuren an ihm zurückgelassen. Einerseits haben sich Bearbeitungen seiner bemächtigt, die ihn im Sinne ihrer geheimen Absichten verfälscht, verstümmelt und erweitert, bis in sein Gegenteil verkehrt haben, anderseits hat eine schonungsvolle Pietät über ihm gewaltet, die alles erhalten wollte, wie sie es vorfand, gleichgültig, ob es zusammenstimmte oder sich selbst aufhob. So sind fast in allen Teilen auffällige Lücken, störende Wiederholungen, greifbare Widersprüche zustande gekommen, Anzeichen, die 493 uns Dinge verraten, deren Mitteilung nicht beabsichtigt war. Es ist bei der Entstellung eines Textes ähnlich wie bei einem Mord. Die Schwierigkeit liegt nicht in der Ausführung der Tat, sondern in der Beseitigung ihrer Spuren. Man möchte dem Worte »Entstellung« den Doppelsinn verleihen, auf den es Anspruch hat, obwohl es heute keinen Gebrauch davon macht. Es sollte nicht nur bedeuten: in seiner Erscheinung verändern, sondern auch: an eine andere Stelle bringen, anderswohin verschieben. Somit dürfen wir in vielen Fällen von Textentstellung darauf rechnen, das Unterdrückte und Verleugnete doch irgendwo versteckt zu finden, wenn auch abgeändert und aus dem Zusammenhang gerissen. Es wird nur nicht immer leicht sein, es zu erkennen.

Die entstellenden Tendenzen, deren wir habhaft werden wollen, müssen schon auf die Traditionen vor allen Niederschriften eingewirkt haben. Die eine derselben, vielleicht die stärkste von allen, haben wir bereits entdeckt. Wir sagten, mit der Einsetzung des neuen Gottes Jahve in Qadeš ergab sich die Nötigung, etwas für seine Verherrlichung zu tun. Es ist richtiger zu sagen: man mußte ihn installieren, Raum für ihn schaffen, die Spuren früherer Religionen verwischen. Das scheint für die Religion der ansässigen Stämme restlos gelungen zu sein, wir hören nichts mehr von ihr. Mit den Rückkehrern hatte man es nicht so leicht, sie ließen sich den Auszug aus Ägypten, den Mann Moses und die Beschneidung nicht rauben. Sie waren also in Ägypten gewesen, aber sie hatten es wieder verlassen, und von nun an sollte jede Spur des ägyptischen Einflusses verleugnet werden. Den Mann Moses erledigte man, indem man ihn nach Midian und Qadeš versetzte und ihn mit dem Jahvepriester der Religionsstiftung verschmelzen ließ. Die Beschneidung, das gravierendste Anzeichen der Abhängigkeit von Ägypten, mußte man beibehalten, aber man versäumte die Versuche nicht, diese Sitte aller Evidenz zum Trotz von Ägypten abzulösen. Nur als absichtlichen Widerspruch gegen den verräterischen Sachverhalt kann man die rätselhafte, unverständlich stilisierte Stelle in Exodus auffassen, daß Jahve einst dem Moses gezürnt, weil er die Beschneidung vernachlässigt hatte, und daß sein midianitisches Weib durch schleunige Ausführung der Operation sein Leben gerettet! Wir werden alsbald von einer anderen Erfindung hören, um das unbequeme Beweisstück unschädlich zu machen.

Man kann es kaum als das Auftreten einer neuen Tendenz bezeichnen, es ist vielmehr nur die Fortführung der früheren, wenn sich Bemühungen zeigen, die direkt in Abrede stellen, daß Jahve ein neuer, für die 494 Juden fremder Gott gewesen sei. In dieser Absicht werden die Sagen von den Urvätern des Volkes, Abraham, Isaak und Jakob, herangezogen. Jahve versichert, daß er schon der Gott dieser Väter gewesen sei; freilich, muß er selbst zugestehen, hätten sie ihn nicht unter diesem seinen Namen verehrtDie Einschränkungen im Gebrauch dieses neuen Namens werden dadurch nicht verständlicher, wohl aber suspekter..

Er fügt nicht hinzu, unter welchem anderen. Und hier findet sich der Anlaß zu einem entscheidenden Streich gegen die ägyptische Herkunft der Beschneidungssitte. Jahve hat sie bereits von Abraham verlangt, hat sie als Zeichen des Bundes zwischen sich und Abrahams Nachkommen eingesetzt. Aber das war eine besonders ungeschickte Erfindung. Als Abzeichen, das einen von anderen absondern und vor anderen bevorzugen soll, wählt man etwas, was bei den anderen nicht vorzufinden ist, und nicht etwas, was Millionen anderer in gleicher Weise aufzeigen können. Ein Israelit, nach Ägypten versetzt, hätte ja alle Ägypter als Bundesbrüder, als Brüder in Jahve, anerkennen müssen. Die Tatsache, daß die Beschneidung in Ägypten heimisch war, konnte den Israeliten, die den Text der Bibel schufen, unmöglich unbekannt sein. Die bei Ed. Meyer erwähnte Stelle aus Josua gibt es selbst unbedenklich zu, aber sie sollte eben um jeden Preis verleugnet werden.

An religiöse Mythenbildungen wird man nicht den Anspruch stellen dürfen, daß sie auf logischen Zusammenhalt große Rücksicht nehmen. Sonst hätte das Volksempfinden berechtigten Anstoß an dem Verhalten einer Gottheit finden können, die mit den Ahnherren einen Vertrag mit gegenseitigen Verpflichtungen schließt, sich dann jahrhundertelang um die menschlichen Partner nicht kümmert, bis es ihr plötzlich einfällt, sich den Nachkommen von neuem zu offenbaren. Noch mehr befremdend wirkt die Vorstellung, daß ein Gott sich mit einem Male ein Volk »auswählt«, es zu seinem Volk und sich zu seinem Gott erklärt. Ich glaube, es ist der einzige solche Fall in der Geschichte der menschlichen Religionen. Sonst gehören Gott und Volk untrennbar zusammen, sie sind von allem Anfang an eines; man hört wohl manchmal davon, daß ein Volk einen anderen Gott annimmt, aber nie, daß ein Gott sich ein anderes Volk aussucht. Vielleicht nähern wir uns dem Verständnis dieses einmaligen Vorgangs, wenn wir der Beziehungen zwischen Moses und dem Judenvolke gedenken. Moses hatte sich zu den Juden 495 herabgelassen, sie zu seinem Volk gemacht; sie waren sein »auserwähltes Volk«Jahve war unzweifelhaft ein Vulkangott. Für Einwohner Ägyptens bestand kein Anlaß, ihn zu verehren. Ich bin gewiß nicht der erste, der von dem Gleichklang des Namens Jahve mit der Wurzel des anderen Götternamens Ju-piter (Jovis) betroffen wird. Der mit der Abkürzung des hebräischen Jahve zusammengesetzte Name Jochanan (etwa: Gotthold, punisches Äquivalent: Hannibal) ist in den Formen Johann, John, Jean, Juan der beliebteste Vorname der europäischen Christenheit geworden. Wenn die Italiener ihn als Giovanni wiedergeben und dann einen Tag der Woche Giovedi heißen, so bringen sie eine Ähnlichkeit wieder ans Licht, die möglicherweise nichts, vielleicht sehr viel bedeutet. Es eröffnen sich hier weitreichende, aber auch sehr unsichere Perspektiven. Es scheint, daß die Länder um das östliche Becken des Mittelmeers in jenen dunkeln, der Geschichtsforschung kaum eröffneten Jahrhunderten der Schauplatz häufiger und heftiger vulkanischer Ausbrüche waren, die den Umwohnern den stärksten Eindruck machen mußten. Evans nimmt an, daß auch die endgültige Zerstörung des Minos-Palastes in Knossos die Folge eines Erdbebens war. Auf Kreta wurde damals, wie wahrscheinlich allgemein in der ägäischen Welt, die große Muttergottheit verehrt. Die Wahrnehmung, daß sie nicht imstande war, ihr Haus gegen die Angriffe einer stärkeren Macht zu schützen, mag dazu beigetragen haben, daß sie einer männlichen Gottheit den Platz räumen mußte, und dann hatte der Vulkangott das erste Anrecht darauf, sie zu ersetzen. Zeus ist ja immer noch der »Erderschütterer«. Es ist wenig zweifelhaft, daß sich in jenen dunkeln Zeiten die Ablösung der Muttergottheiten durch männliche Götter (die vielleicht ursprünglich Söhne waren?) vollzog. Besonders eindrucksvoll ist das Schicksal der Pallas Athene, die gewiß die lokale Form der Muttergottheit war, durch den religiösen Umsturz zur Tochter herabgesetzt, ihrer eigenen Mutter beraubt und durch die ihr auferlegte Jungfräulichkeit dauernd von der Mutterschaft ausgeschlossen wurde..

Die Einbeziehung der Urväter diente auch noch einer anderen Absicht. Sie hatten in Kanaan gelebt, ihr Andenken war an bestimmte Örtlichkeiten des Landes geknüpft. Möglicherweise waren sie selbst ursprünglich kanaanäische Heroen oder lokale Göttergestalten, die dann von den eingewanderten Israeliten für ihre Vorgeschichte mit Beschlag belegt wurden. Wenn man sich auf sie berief, behauptete man gleichsam seine Bodenständigkeit und verwahrte sich gegen das Odium, das an dem landfremden Eroberer haftete. Es war eine geschickte Wendung, daß der Gott Jahve ihnen nur wiedergab, was ihre Vorfahren einmal besessen hatten.

In den späteren Beiträgen zum biblischen Text setzte sich die Absicht durch, die Erwähnung von Qadeš zu vermeiden. Die Stätte der Religionsstiftung wurde endgültig der Gottesberg Sinai-Horeb. Das Motiv hiefür ist nicht klar ersichtlich; vielleicht wollte man nicht an den Einfluß von Midian gemahnt werden. Aber alle späteren Entstellungen, insbesondere der Zeit des sogenannten Priesterkodex, dienen einer anderen Absicht. Man brauchte nicht mehr Berichte über Begebenheiten im gewünschten Sinne abzuändern, denn dies war längst geschehen. 496 Sondern man bemühte sich, Gebote und Institutionen der Gegenwart in frühe Zeiten zurückzuversetzen, in der Regel sie auf mosaische Gesetzgebung zu begründen, um daher ihren Anspruch auf Heiligkeit und Verbindlichkeit abzuleiten. Sosehr man auf solche Weise das Bild der Vergangenheit verfälschen mochte, dies Verfahren entbehrt nicht einer bestimmten psychologischen Berechtigung. Es spiegelte die Tatsache wider, daß im Laufe der langen Zeiten – vom Auszug aus Ägypten bis zur Fixierung des Bibeltextes unter Esra und Nehemia verflossen etwa 800 Jahre – die Jahvereligion sich zurückgebildet hatte zur Übereinstimmung, vielleicht bis zur Identität mit der ursprünglichen Religion des Moses.

Und dies ist das wesentliche Ergebnis, der schicksalsschwere Inhalt der jüdischen Religionsgeschichte.

(7)

Unter all den Begebenheiten der Vorzeit, die die späteren Dichter, Priester und Geschichtsschreiber zu bearbeiten unternahmen, hob sich eine heraus, deren Unterdrückung durch die nächstliegenden und besten menschlichen Motive geboten war. Es war die Ermordung des großen Führers und Befreiers Moses, die Sellin aus Andeutungen bei den Propheten erraten hat. Man kann die Aufstellung Sellins nicht phantastisch heißen, sie ist wahrscheinlich genug. Moses, aus der Schule Ikhnatons stammend, bediente sich auch keiner anderen Methoden als der König, er befahl, drängte dem Volke seinen Glauben aufIn jenen Zeiten war eine andere Art der Beeinflussung auch kaum möglich.. Vielleicht war die Lehre des Moses noch schroffer als die seines Meisters, er brauchte die Anlehnung an den Sonnengott nicht festzuhalten, die Schule von On hatte für sein Fremdvolk keine Bedeutung. Moses wie Ikhnaton fanden dasselbe Schicksal, das aller aufgeklärten Despoten wartet. Das Judenvolk des Moses war ebensowenig imstande, eine so hoch vergeistigte Religion zu ertragen, in ihren Darbietungen eine Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu finden, wie die Ägypter der 18ten Dynastie. In beiden Fällen geschah dasselbe, die Bevormundeten und Verkürzten erhoben sich und warfen die Last der ihnen auferlegten Religion ab. Aber während die zahmen Ägypter damit warteten, bis das Schicksal die geheiligte Person des Pharao beseitigt hatte, nahmen 497 die wilden Semiten das Schicksal in ihre Hand und räumten den Tyrannen aus dem WegeEs ist wirklich bemerkenswert, wie wenig man in der jahrtausendelangen ägyptischen Geschichte von gewaltsamer Beseitigung oder Ermordung eines Pharao hört. Ein Vergleich, z. B. mit der assyrischen Geschichte, muß diese Verwunderung steigern. Natürlich kann dies daher kommen, daß die Geschichtsschreibung bei den Ägyptern ausschließlich offiziellen Absichten diente..

Auch kann man nicht behaupten, daß der erhaltene Bibeltext uns nicht auf einen solchen Ausgang Moses' vorbereitet. Der Bericht über die »Wüstenwanderung« – die für die Zeit der Herrschaft Moses' stehen mag – schildert eine Kette von ernsthaften Empörungen gegen seine Autorität, die auch – nach Jahves Gebot – durch blutige Züchtigung unterdrückt werden. Man kann sich leicht vorstellen, daß einmal ein solcher Aufstand ein anderes Ende nahm, als der Text es haben will. Auch der Abfall des Volkes von der neuen Religion wird im Text erzählt, als Episode freilich. Es ist die Geschichte vom goldenen Kalb, in der mit geschickter Wendung das symbolisch zu verstehende Zerbrechen der Gesetzestafeln (»er hat das Gesetz gebrochen«) Moses selbst zugeschoben und durch seine zornige Entrüstung motiviert wird.

Es kam eine Zeit, da man den Mord an Moses bedauerte und zu vergessen suchte. Sicherlich war es so zur Zeit des Zusammentreffens in Qadeš. Aber wenn man den Auszug näher heranrückte an die Religionsstiftung in der Oase und Moses an Stelle des anderen an ihr mitwirken ließ, so hatte man nicht nur den Anspruch der Mosesleute befriedigt, sondern auch die peinliche Tatsache seiner gewaltsamen Beseitigung erfolgreich verleugnet. In Wirklichkeit ist es sehr unwahrscheinlich, daß Moses an den Vorgängen in Qadeš hätte teilnehmen können, auch wenn sein Leben nicht verkürzt worden wäre.

Wir müssen hier den Versuch machen, die zeitlichen Verhältnisse dieser Begebenheiten aufzuklären. Wir haben den Auszug aus Ägypten in die Zeit nach dem Verlöschen der 18ten Dynastie versetzt (1350). Er mag damals oder eine Weile später erfolgt sein, denn die ägyptischen Chronisten haben die darauffolgenden Jahre der Anarchie in die Regierungszeit Haremhabs, der ihr ein Ende machte und bis 1315 herrschte, eingerechnet. Der nächste, aber auch der einzige Anhalt für die Chronologie ist durch die Stele Merneptahs gegeben (1225–15), die sich des Sieges über Isiraal (Israel) und der Verwüstung 498 ihrer Saaten (?) rühmt. Die Verwertung dieser Inschrift ist leider zweifelhaft, man läßt sie als Beweis dafür gelten, daß israelitische Stämme damals schon in Kanaan ansässig warenEd. Meyer (1906, 222 ff.).. Ed. Meyer schließt aus dieser Stele mit Recht, daß Merneptah nicht der Pharao des Auszugs gewesen sein kann, wie vorher gern angenommen wurde. Der Auszug muß einer früheren Zeit angehören. Die Frage nach dem Pharao des Auszugs erscheint uns überhaupt müßig. Es gab keinen Pharao des Auszugs, da dieser in ein Interregnum fiel. Aber auf das mögliche Datum der Vereinigung und Religionsannahme in Qadeš fällt auch durch die Entdeckung der Merneptah-Stele kein Licht. Irgendwann zwischen 1350 und 1215, ist alles, was wir mit Sicherheit sagen können. Innerhalb dieses Jahrhunderts, vermuten wir, kommt der Auszug dem Eingangsdatum sehr nahe, ist der Vorgang in Qadeš vom Enddatum nicht zu weit entfernt. Den größeren Teil des Zeitraumes möchten wir für das Intervall zwischen beiden Ereignissen in Anspruch nehmen. Wir brauchen nämlich eine längere Zeit, bis sich nach der Ermordung Moses' die Leidenschaften bei den Rückkehrern beruhigt haben und der Einfluß der Mosesleute, der Leviten, so groß geworden ist, wie das Kompromiß in Qadeš es voraussetzt. Zwei Generationen, 60 Jahre, würden hiefür etwa ausreichen, aber es geht nur knapp zusammen. Die Folgerung aus der Merneptah-Stele kommt uns zu früh, und da wir erkennen, daß in unserem Aufbau hier eine Annahme nur auf einer anderen begründet ist, gestehen wir zu, daß diese Diskussion eine schwache Seite unserer Konstruktion aufdeckt. Leider ist alles, was mit der Niederlassung des jüdischen Volkes in Kanaan zusammenhängt, so ungeklärt und verworren. Es bleibt uns etwa die Auskunft, daß der Name auf der Israelstele sich nicht auf die Stämme bezieht, deren Schicksale wir zu verfolgen bemüht sind und die zum späteren Volk Israel zusammengetreten sind. Ist doch auch der Name der Habiru = Hebräer aus der Amarnazeit auf dies Volk übergegangen.

Wann immer die Vereinigung der Stämme zur Nation durch die Annahme einer gemeinsamen Religion vor sich ging, es hätte leicht ein für die Weltgeschichte recht gleichgültiger Akt werden können. Die neue Religion wäre vom Strom der Ereignisse weggeschwemmt worden, Jahve hätte seinen Platz einnehmen dürfen in der Prozession gewesener Götter, die der Dichter Flaubert gesehen hat, und von seinem Volk wären alle zwölf Stämme »verloren«gegangen, nicht nur 499 die zehn, die von den Angelsachsen so lange gesucht worden sind. Der Gott Jahve, dem der midianitische Moses damals ein neues Volk zuführte, war wahrscheinlich in keiner Hinsicht ein hervorragendes Wesen. Ein roher, engherziger Lokalgott, gewalttätig und blutdürstig; er hatte seinen Anhängern versprochen, ihnen das Land zu geben, in dem »Milch und Honig fließt«, und forderte sie auf, dessen gegenwärtige Einwohner auszurotten »mit der Schärfe des Schwertes«. Man darf sich verwundern, daß trotz aller Umarbeitungen in den biblischen Berichten so viel stehengelassen wurde, um sein ursprüngliches Wesen zu erkennen. Es ist nicht einmal sicher, daß seine Religion ein wirklicher Monotheismus war, daß sie den Gottheiten anderer Völker die Gottesnatur bestritt. Es reichte wahrscheinlich hin, daß der eigene Gott mächtiger war als alle fremden Götter. Wenn dann in der Folge alles anders verlief, als solche Ansätze erwarten ließen, so können wir die Ursache hiefür nur in einer einzigen Tatsache finden. Einem Teil des Volkes hatte der ägyptische Moses eine andere, höher vergeistigte Gottesvorstellung gegeben, die Idee einer einzigen, die ganze Welt umfassenden Gottheit, die nicht minder alliebend war als allmächtig, die, allem Zeremoniell und Zauber abhold, den Menschen ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit zum höchsten Ziel setzte. Denn so unvollkommen unsere Berichte über die ethische Seite der Atonreligion sein mögen, es kann nicht bedeutungslos sein, daß Ikhnaton sich in seinen Inschriften regelmäßig bezeichnete als »lebend in Maat« (Wahrheit, Gerechtigkeit)Seine Hymnen betonen nicht nur die Universalität und Einzigkeit Gottes, sondern auch dessen liebevolle Fürsorge für alle Geschöpfe, fordern zur Freude an der Natur und zum Genuß ihrer Schönheit auf. Vgl. Breasted (1934).. Auf die Dauer machte es nichts aus, daß das Volk, wahrscheinlich nach kurzer Zeit, die Lehre des Moses verwarf und ihn selbst beseitigte. Es blieb die Tradition davon, und ihr Einfluß erreichte, allerdings erst allmählich im Laufe der Jahrhunderte, was Moses selbst versagt geblieben war. Gott Jahve war zu unverdienten Ehren gekommen, als man von Qadeš an die Befreiungstat des Moses auf seine Rechnung schrieb, aber er hatte für diese Usurpation schwer zu büßen. Der Schatten des Gottes, dessen Stelle er eingenommen, wurde stärker als er; am Ende der Entwicklung war hinter seinem Wesen das des vergessenen mosaischen Gottes zum Vorschein gekommen. Niemand zweifelt daran, daß nur die Idee dieses anderen Gottes das Volk Israel alle 500 Schicksalsschläge überstehen ließ und es bis in unsere Zeiten am Leben erhielt.

Beim Endsieg des mosaischen Gottes über Jahve kann man den Anteil der Leviten nicht mehr feststellen. Diese hatten sich seinerzeit für Moses eingesetzt, als das Kompromiß in Qadeš geschlossen wurde, in noch lebendiger Erinnerung an den Herrn, dessen Gefolge und Landsgenossen sie waren. In den Jahrhunderten seither waren sie mit dem Volk verschmolzen oder mit der Priesterschaft, und es war die Hauptleistung der Priester geworden, das Ritual zu entwickeln und zu überwachen, überdies die heiligen Niederschriften zu behüten und nach ihren Absichten zu bearbeiten. Aber war nicht aller Opferdienst und alles Zeremoniell im Grunde nur Magie und Zauberwesen, wie es die alte Lehre Moses' bedingungslos verworfen hatte? Da erhoben sich aus der Mitte des Volkes in einer nicht mehr abreißenden Reihe Männer, nicht durch ihre Herkunft mit Moses verbunden, aber von der großen und mächtigen Tradition erfaßt, die allmählich im Dunkeln angewachsen war, und diese Männer, die Propheten, waren es, die unermüdlich die alte mosaische Lehre verkündeten, die Gottheit verschmähe Opfer und Zeremoniell, sie fordere nur Glauben und ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit (»Maat«). Die Bemühungen der Propheten hatten dauernden Erfolg; die Lehren, mit denen sie den alten Glauben wiederherstellten, wurden zum bleibenden Inhalt der jüdischen Religion. Es ist Ehre genug für das jüdische Volk, daß es eine solche Tradition erhalten und Männer hervorbringen konnte, die ihr eine Stimme liehen, auch wenn die Anregung dazu von außen, von einem großen fremden Mann gekommen war.

Ich würde mich mit dieser Darstellung nicht sicher fühlen, wenn ich mich nicht auf das Urteil anderer, sachkundiger Forscher berufen könnte, die die Bedeutung Moses' für die jüdische Religionsgeschichte im nämlichen Lichte sehen, auch wenn sie seine ägyptische Herkunft nicht anerkennen. So sagt z. B. Sellin (1922, 52): »Mithin haben wir uns die eigentliche Religion des Mose, den Glauben an den einen sittlichen Gott, den er verkündet, seitdem von vornherein als das Besitztum eines kleinen Kreises im Volke vorzustellen. Von vornherein dürfen wir nicht erwarten, jenen in dem offiziellen Kulte, in der Religion der Priester, in dem Glauben des Volkes anzutreffen. Wir können von vornherein nur damit rechnen, daß bald hie bald da einmal ein Funke wieder auftaucht von dem Geistesbrand, den er einst entzündet hat, daß seine Ideen nicht ausgestorben sind, sondern hie und da in aller 501 Stille auf Glaube und Sitte eingewirkt haben, bis sie etwa früher oder später unter der Einwirkung besonderer Erlebnisse oder von seinem Geist besonders erfaßter Persönlichkeiten einmal wieder stärker hervorbrachen und Einfluß gewannen auf breitere Volksmassen. Unter diesem Gesichtswinkel ist von vornherein die altisraelitische Religionsgeschichte zu betrachten. Wer nach der Religion, wie sie uns nach den Geschichtsurkunden im Volksleben der ersten fünf Jahrhunderte in Kanaan entgegentritt, etwa die mosaische Religion konstruieren wollte, der würde den schwersten methodischen Fehler begehen.« Und deutlicher noch Volz (1907, 64). Er meint, »daß Moses' himmelhohes Werk zunächst nur ganz schwach und spärlich verstanden und durchgeführt wurde, bis es im Lauf der Jahrhunderte mehr und mehr eindrang und endlich in den großen Propheten gleichgeartete Geister fand, die das Werk des Einsamen fortsetzten«.

 

Hiemit wäre ich zum Abschluß meiner Arbeit gelangt, die ja nur der einzigen Absicht dienen sollte, die Gestalt eines ägyptischen Moses in den Zusammenhang der jüdischen Geschichte einzufügen. Um unser Ergebnis in der kürzesten Formel auszudrücken: Zu den bekannten Zweiheiten dieser Geschichte – zwei Volksmassen, die zur Bildung der Nation zusammentreten, zwei Reiche, in die diese Nation zerfällt, zwei Gottesnamen in den Quellenschriften der Bibel – fügen wir zwei neue hinzu: Zwei Religionsstiftungen, die erste durch die andere verdrängt und später doch siegreich hinter ihr zum Vorschein gekommen, zwei Religionsstifter, die beide mit dem gleichen Namen Moses benannt werden und deren Persönlichkeiten wir voneinander zu sondern haben. Und alle diese Zweiheiten sind notwendige Folgen der ersten, der Tatsache, daß der eine Bestandteil des Volkes ein traumatisch zu wertendes Erlebnis gehabt hatte, das dem anderen fern geblieben war. Darüber hinaus gäbe es noch sehr viel zu erörtern, zu erklären und zu behaupten. Erst dann ließe sich eigentlich das Interesse an unserer rein historischen Studie rechtfertigen. Worin die eigentliche Natur einer Tradition besteht und worauf ihre besondere Macht beruht, wie unmöglich es ist, den persönlichen Einfluß einzelner großer Männer auf die Weltgeschichte zu leugnen, welchen Frevel an der großartigen Mannigfaltigkeit des Menschenlebens man begeht, wenn man nur Motive aus materiellen Bedürfnissen anerkennen will, aus welchen Quellen manche, besonders die religiösen Ideen die Kraft schöpfen, mit der sie Menschen wie Völker unterjochen – all dies am Spezialfall der 502 jüdischen Geschichte zu studieren wäre eine verlockende Aufgabe. Eine solche Fortsetzung meiner Arbeit würde den Anschluß finden an Ausführungen, die ich vor 25 Jahren in Totem und Tabu niedergelegt habe. Aber ich traue mir nicht mehr die Kraft zu, dies zu leisten.


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