Ferdinand Freiligrath
Gedichte
Ferdinand Freiligrath

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eispalast

1.
                    Ihr alle, mein ich, habt gehört von jenem seltnen Eispalast!
Auf der gefrornen Newaflut auf starrte der gefrorne Glast!
Dem Willen einer Kaiserin, der Laune dienend einer Frau,
Scholl' über Scholle stand er da, gediegen Eis der ganze Bau!

Um seine blanken Fensterreihn, um seine Giebel pfiff es kalt:
Doch innen hat ihn Frühlingswehn und hat ihn Blumenhauch durchwallt!
Allüberall, wohin man schritt, Musik und Girandolenglanz,
Und durch der Säle bunte Flucht bewegte wirbelnd sich der Tanz!

Also, bis in den März hinein, war seine Herrlichkeit zu schaun;
Doch – auch in Rußland kommt der Lenz, und auch der Newa Blöcke taun!
Hui, wie beim ersten Sturm aus Süd der ganze schimmernde Koloß
Hohl in sich selbst zusammensank, und häuptlings in die Fluten schoß!

Die Fluten aber jauchzten auf! Ja, die der Frost in Bande schlug,
Die gestern eine Hofburg noch und eines Hofes Unsinn trug,
Die es noch gestern schweigend litt, daß man ihr auflud Pomp und Staat,
Daß eine üpp'ge Kaiserin hoffärtig sie mit Füßen trat: –

Dieselbe Newa jauchzt' empor! Abwärts mit brausendem Erguß,
Abwärts durch Schnee und Schollenwerk schob sich und drängte sich der Fluß!
Die letzten Spuren seiner Schmach malmt' er und knirscht' er kurz und klein –
Und strömte groß und ruhig dann ins ewig freie Meer hinein!

 
2.
Die ihr der Völker heil'ge Flut abdämmtet von der Freiheit Meer: –
Ausmündend bald, der Newa gleich, braust sie und jubelt sie einher!
Den Winterfrost der Tyrannei stolz vom Genicke schüttelt sie,
Und schlingt hinab, den lang sie trug, den Eispalast der Despotie!

Noch schwelgt ihr in dem Blitzenden, und tut in eurem Dünkel, traun!
Als käme nun und nie der Lenz, als würd' es nun und nimmer taun!
Doch mählich steigt die Sonne schon, und weich erhebt sich schon ein Wehn;
Die Decke tropft, der Boden schwimmt – oh, schlüpfrig und gefährlich Gehn!

Ihr aber wollt verschlungen sein! Da steht ihr und kapituliert
Lang erst mit jeder Scholle noch, ob sie – von neuem nicht gefriert!
Umsonst, ihr Herrn! Kein Halten mehr! Ihr sprecht den Lenz zum Winter nicht,
Und hat das Eis einmal gekracht, so glaubt mir, daß es bald auch bricht!

Dann aber heißt es wiederum: – Abwärts mit brausendem Erguß,
Abwärts durch Schnee und Schollenwerk drängt sich und macht sich Bahn der Fluß!
Die letzten Spuren seiner Schmach malmt er und knirscht er kurz und klein –
Und flutet groß und ruhig dann ins ewig freie Meer hinein!

 


 


 << zurück weiter >>