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Die Liebe ist im Leben des Mannes nur eine Episode,
Sie ist die ganze Existenz der Frau.
Byron (Don Juan).
Die Glocken läuteten und die Menschenmenge, die an dem sonnigen Frühlingsmorgen vor einem altertümlichen Hause mit stattlichem Nebenbau in stummer Erwartung gestanden hatte, fing an, sich zu zerstreuen. Das Ereignis war ja vorüber, der Eigentümer des Hauses, der Chef der alten Firma »Gebrüder Spalding« war heute morgen mit feierlichem Gepränge zur Erde bestattet. Bis vor wenig Wochen hatte das Glück eines heitern Familienlebens in diesen Räumen gewohnt, dann aber hatte ein bösartiges Nervenfieber den jüngsten Sohn des Hauses, einen blühenden, kräftigen Knaben von vierzehn Jahren, hinweggerafft, und heute schon folgte ihm der Vater, der noch im rüstigen Mannesalter stand. Nicht allein das bedeutende Geschäft, dessen Firma einen guten Klang hatte auch in weiten Ländern und jenseits der Meere, wurde in ihm des erfahrenen umsichtigen Führers beraubt, nicht allein seine beiden noch übrigen Kinder verloren in ihm einen zärtlich wachsamen Vater, auch viele Herzen, die er getröstet, denen er geholfen durch Rat und That, waren dem langen Zuge gefolgt und hatten ihn vergrößert, und nur das Häuflein Neugieriger blieb schwatzend und gaffend zurück. Die schweren Thorflügel waren noch nicht wieder geschlossen und gestatteten den spähenden Blicken Einlaß auf den hohen altertümlichen Flur, dessen Wände heute mit Rosmarin bekleidet waren und dem Raum etwas Düsteres, Feierliches gaben, wie es dem Tage angemessen war. Hohe, gelbe Wachskerzen, auf mächtigen, schwarz umhängten Kandelabern standen an den Wänden umher und ihr flackerndes, rötliches Licht stach seltsam ab gegen den hellen, ruhigen Schein des Tages, der sich über das Ganze ergoß. Weißer Sand war rings umher gestreut, aber er war jetzt platt getreten, und zahlreiche Blumenblätter, den duftenden Kränzen entfallen, bewiesen, daß liebende Hände den Sarg mit den schönsten Gaben des Frühlings geschmückt hatten. Hier hatte derselbe während der letzten Stunden gestanden; so war es der Wille des Verstorbenen gewesen.
»Nicht in dem großen Saale da oben sollt Ihr das letzte Gebet an meinem Sarge verrichten,« hatte er gesagt, »das soll unten geschehen auf dem Flur, damit ein jeder meiner Freunde mir seinen Gruß bringen kann. Denn die Armut ist gar schüchtern und wagt sich nicht hinein in die großen Prunkgemächer, ich aber gehöre ihnen allen.« So war es denn auch geschehen, und an dieser Stätte stieg manch stilles Gebet empor an diesem Morgen und manch eine Thräne fiel tief in die Fülle der duftenden Blumen, und der feuchte Schmuck dieser Thränen war schöner selbst, als die Pracht des Frühlings, der den Sarg bedeckte. Jetzt war das Haus wie ausgestorben; der Sohn des Dahingeschiedenen, Buchhalter und Commis, Kutscher, Bedienten und Gärtner, alles war dem Herrn gefolgt, und nur der alte Sebastian, dem die Kniee wankten auf dem traurigen Gange, war an der Schwelle zurückgeblieben und stand jetzt allein auf dem Flur unter den feierlich strahlenden Kerzen. Endlich ermannte er sich, wischte mit zitternder Hand die Thränen aus den alten Augen und fing an die Lichter auszulöschen. Die Neugierigen verzogen sich und der Alte schloß die Thür. Langsamen Schrittes stieg er die Treppe hinauf und ging den langen Korridor entlang, der zu dem Anbau führte, blieb dort vor einer hohen Flügelthür stehen und schien zu zögern. »Nein, nein,« sagte er dann, »ich will es lassen, was könnte ich ihr auch zum Troste sagen, dem armen Kinde, selbst wenn es sich schickte –es ist nur, weil ich sie auf den Armen getragen.« Und er ging wieder hinweg und kehrte in sein stilles Stübchen zurück. Auch oben war es still in dem großen Gemach, und das tiefe Schweigen wurde nur unterbrochen von dem leisen, doch leidenschaftlichen Schluchzen eines schönen jungen Mädchens, das, vor einem Fauteuil niedergesunken, den Kopf tief in die sammetnen Kissen barg. Es war die Tochter des Herrn Spalding und Margarete war sein Liebling gewesen. Neben ihr stand ihre Tante, die Schwester ihres Vaters, eine kinderlose Witwe, die schon seit langen Jahren Mutterstelle an Margarete vertrat. Die Leidenschaft des Schmerzes, dem das junge Mädchen sich so völlig hingab, machte die alte Dame endlich trotz des eigenen Kummers besorgt und sie trat an sie heran mit leiser mahnender Rede.
»Margarete, mein Kind, so fasse Dich doch,« bat sie, »es ist ja nun einmal nicht anders, und wir müssen es doch tragen, was Gott uns auferlegt.« Das junge Mädchen erhob sich, und das reiche blonde Haar zurückstreichend, sagte sie mit noch bebender Stimme, durch die gleichwohl eine mutige Entschlossenheit klang: »Ich will es auch, es war ja nur dieser letzte, dieser schrecklichste Augenblick, der mich überwältigte. Er ist fern, aber seine Liebe, seine treuen und väterlichen Ermahnungen, all das, was er mir sagte und riet, was er bat und wünschte für meines Lebens künftiges Wohl und Wehe, ist tief in mein Herz geschrieben. Ich werde sie doch wandeln, die Bahn, die er mir vorschrieb, und wenn ich schwach würde und wankend und nicht wüßte, wohin mich wenden, da wird die Erinnerung an ihn mir helfen, das Rechte zu thun.«
Die alte Dame zog sie liebkosend an sich heran und war im Begriff, etwas zu erwidern, als die Thür sich öffnete und ein junger Mann von zwei- bis dreiundzwanzig Jahren eintrat. Margarete eilte ihm entgegen und während er ihre Hand freundlich in der seinigen drückte, flossen ihre Thränen aufs neue.
»Laß es gut sein, Margarete,« sagte er nach einigen Augenblicken des Schweigens, in denen er die eigene Bewegung zu bekämpfen suchte, »unser Verlust ist ein harter und unersetzlicher, aber von heute an bin ich Dein Rat, Dein Stab und Deine Stütze.«
Margarete richtete sich auf und sah ihn einen Augenblick mit den glänzenden Augen groß und wie verwundert an; ein unbeschreiblicher Ausdruck flog über ihre Züge, ein Gemisch von Zweifel, Mitleid und Dankbarkeit. Aber die letzte siegte; sie drückte dem Bruder die Hand und sagte weich: »Ich danke Dir, Edmund, ich bedarf der Stütze, Du weißt, wie sicher ich in des Vaters Liebe ruhete, wie sein Rat und sein Wille meine Richtschnur war. Führe mich also denselben Weg.«
Der junge Mann schwieg zu diesem Wunsche, aber er fuhr mit der Hand freundlich liebkosend über das weiche, goldige Haar Margaretens, er bat sie, sich zu sammeln und zu schonen, für ihn, für so viele, die sie liebten, und nachdem er sie aufs neue der tröstenden Zusprache seiner Tante übergeben hatte, überließ er, sich auf das eigene Zimmer zurückziehend, sie für jetzt ihren Gedanken und Erinnerungen.
Herr Thomas Spalding war einer der reichsten Kaufleute in A... gewesen. Der Ruf der Solidität und der Gediegenheit, der seit beinahe einem Jahrhundert den Namen begleitete, hatte die Verbindungen des Hauses zu den wichtigsten und einflußreichsten erhoben, das Vermögen zu einem fürstlichen vergrößert. Schon als junger Mann in den Besitz großer Reichtümer und als Chef des Hauses zu einer vollkommen unabhängigen Stellung gelangt, schätzte er nichts höher als die Freiheit und Selbständigkeit des Mannes, die, wie er glaubte, wesentlich dazu beitrügen, das Selbstbewußtsein zu erhalten, den Charakter zur moralischen Größe zu entwickeln. Der größtenteils glückliche Erfolg seiner Unternehmungen, die Bedeutung, die sein Name an der Börse, in der gesamten kaufmännischen Welt hatte, erfüllte ihn mit freudigem Stolz, der seine Vorliebe für den Kaufmannsstand nahezu in Vorurteil umwandeln ließ. Aber er war daneben ein Beschützer der Künste, ein Freund der Wissenschaften, liebte die heiteren, geselligen Freuden, und sein Haus war ein Mittelpunkt des geistigen Lebens, ein Vereinigungspunkt für die bedeutendsten Männer und liebenswürdigsten Frauen der höheren Gesellschaft in A... Es war guter Ton, die Salons des Herrn Spalding zu besuchen, selbst unter dem hohen Adel der Stadt, der sich wohl an Stolz, nicht an Reichtümern mit dem alten Handlungshause messen konnte. Herr Spalding liebte den Adel nicht, der von dem Ruhme einer langentschwundenen Zeit zehrte, der sich schmückte mit den Lorbeeren seiner Väter. Er war der Ansicht, daß ein Mann sich nur stützen sollte auf die eigenen Thaten und sich eines alten Namens nur rühmen und erfreuen könnte, wenn er selbst den alten Glanz erhöht habe. Aber er wehrte seinen Kindern nicht den Verkehr mit dem Adel der Stadt, ja er nahm selbst teil daran; denn er schied das Familien- und Berufsleben streng von dem geselligen; er war der richtigen Meinung, daß man mit jedem unbescholtenen Menschen in näherem Verkehr leben könne, der mit uns auf gleicher Bildungsstufe steht. Und so freute er sich der fröhlichen sorglosen Jugend seiner Kinder, die trotz seiner vielen Geschäfte doch seines Herzens vornehmste Sorge waren. Bei der Geburt seines jüngsten Sohnes hatte er seine Gattin verloren und das Bild dieser über alles geliebten Frau war nie durch eine zweite Liebe verdunkelt worden. Seine Schwester, Madame Wytt, schon seit Jahren verwitwet und kinderlos, zog zu ihm und machte die Honneurs des Hauses, während sie den Kindern zugleich mit mütterlicher Liebe zugethan war. Mit ihrem Bruder in denselben Ideen auferzogen, hatte sie eine ebenso hohe Meinung von der Stelle der Familie und dem Glanze der alten Firma, wie er selbst, und so war es unvermeidlich, daß sie unwillkürlich die Kinder in der Richtung und selbst in den Vorurteilen bestärkte, die sie vom Vater empfingen. Der kleine Felix, der jüngste der Geschwister, war jedenfalls noch zu sehr Kind, als er vor wenigen Wochen den Seinigen entrissen wurde, um beurteilen zu können, welche Frucht bei ihm die Saat getragen haben würde, die leise und unbemerkt in die jungen Herzen gestreut wurde; bei den älteren ging sie sehr verschieden auf. Eine gewisse Schlaffheit und Unentschlossenheit in Edmunds Wesen ließen den jungen Erben nicht wohl befähigt erscheinen für den Platz, auf den ihn seine Geburt gestellt. Den tiefen Widerwillen, den er gegen den Stand seines Vaters empfand, des Glanzes und der Größe ungeachtet, die ihn umgab, wußte er insoweit zu verbergen, daß sein Vater ihn nicht erkannte, wenigstens in seinem vollen Umfange. Herr Spalding würde seinem Sohne nicht einen Augenblick zuwider gewesen sein, wenn derselbe sich mit Vorliebe für einen andern Stand erklärt hätte; aber dieser Stand mußte ein unabhängiger sein, wie sein eigener, etwa der eines Landwirts, eines Arztes, Künstlers oder Rechtsgelehrten; denn der stolze Sinn des alten Herrn sträubte sich gegen jedwede Dienstbarkeit. Allein sein Sohn hatte zu alledem keine besondere Neigung; er glaubte nicht, daß ein junger, vornehmer Kavalier etwas anderes zu thun habe, als sein Geld auf eine anständige Weise zu verzehren. Hunde und Pferde, Jagd und Theater, Reisen und die Freuden der Geselligkeit konnten nach seiner Meinung das Leben vollkommen ausfüllen, und nur die Abhängigkeit von seinem Vater verhinderte ihn, diese seine Wünsche und Ansichten einzugestehen.
Edmund Spaldings angeborenes Ehrgefühl sträubte sich doch gegen die Idee, sich im Nichtsthun von seinem Vater unterhalten zu lassen, während dieser selbst mit unermüdlicher Thätigkeit arbeitete und schaffte; ganz abgesehen davon, daß ein solcher Wunsch, weit entfernt, erfüllt zu werden, den Vater nur bis ins innerste Herz verletzt haben würde. Er verkehrte ausschließlich mit dem jungen Adel der Stadt, dessen Passionen er bewunderte und teilte, und mit Freuden, selbst mit bedeutenden Opfern würde er ein Wappenschild und einen Stammbaum gegen den soliden Glanz seiner alten Firma eingetauscht haben. Wie die Verhältnisse indessen lagen, blieb er einstweilen in dem Geschäfte, das ihn wenigstens in den Stand setzte, seine kostspieligen Neigungen befriedigen zu können. Der alte Herr Spalding selbst liebte den Glanz, und so streng er dem Müßiggänger, oder gar dem aus der Art geschlagenen Sohne, der einer freien, unabhängigen bürgerlichen Existenz sich schämte, sein Herz und seine Kasse verschlossen haben würde, so sehr war er doch der Ansicht, daß der Erbe der Firma »Gebrüder Spalding« seiner Stellung entsprechend auftreten müsse. Ntchtsdestoweniger sagte sein Herz ihm stündlich, wie sehr seine Neigungen und Grundsätze von denen seines Sohnes abwichen, und wenn er es auch lobenswert fand, daß derselbe seine Gelüste seiner Pflicht unterordnete, so stand ihm dieses Kind, das so wenig seinen Stolz, seine teuersten Interessen begriff, doch ferner als seine anderen Kinder. Sein Liebling war seine Tochter, seine schöne Margarete, die den Namen und die Züge ihrer Mutter trug, während sie den klaren Verstand, den kühnen, stolzen Geist und das warme Herz ihres Vaters geerbt hatte. Tausendmal beklagte er, daß sie nicht an Edmunds Stelle stand, und in der That, ihr glühender Unabhängigkeitssinn, ihr scharfer Überblick über schwierige und verwickelte Verhältnisse und ein unbeugsamer Mut hätten sie wohl fähig gemacht, an der Spitze des großen Geschäftes zu stehen. Das lebendige Interesse, das sie den verzweigten Unternehmungen des Hauses schenkte, hatte den zärtlichen Vater nicht selten verleitet, das schöne Mädchen von seinen Spekulationen, von seinen Sorgen oder Hoffnungen in Kenntnis zu setzen. Das reifte ihren Geist und ihre Erfahrung, es vermehrte ihr Interesse an den Geschäften und ein wenig ihren Stolz, und jedenfalls war ihre Einsicht in die Unternehmungen des Hauses eine weit genauere und ausgedehntere, als die ihres Bruders Edmund. Selbst das Comptoirpersonal, von dem greisen Buchhalter hinunter bis auf den jüngsten Commis, wußte, welchen Anteil das junge Mädchen an ihren Bestrebungen nahm, und zollte ihr dafür eine an Begeisterung grenzende Verehrung. Und wie war sie bei alledem so einfach, so herzlich, so jugendlich froh! Alles, was dem Hause angehörte oder diente, stand ihr nah, für jeden hatte sie ein freundliches Wort, ein gewinnendes Lächeln. Gewährte sie doch sogar dem alten Schiffskapitän, der sie als Kind alljährlich nach langer Reise begrüßte, selbst einen Kuß auf die frischen, roten Lippen, als das herrlich stolze Schiff, das ihren Namen trug und dem alten Seemann zur Führung übergeben wurde, vom Stapel lief. Und als alle Wimpel flatterten wie in freudiger Lust, als die festliche Musik, die Glückwünsche der Gäste, das donnernde Hoch der Matrosen ihren Namen in die Lüfte trug, da klopfte ihr Herz in stolzer Lust, und auf dem Schiffe, das dahinschoß wie im Siegeslauf, hätte sie frei und fröhlich ziehen mögen in die weite, lachende Welt. Sie war das echte Kind ihres Vaters, sie kannte den Wert des Geldes, sie liebte den Reichtum, weil er das Mittel zum Genuß, zum Wohlthun, und zur Vermehrung des Glanzes ihres Namens war. Aber das Bewußtsein ihres Reichtums hatte keinen Anteil an ihrem Stolze, es senkte die Wagschale desselben um keinen Gedanken tiefer, und der letzte Commis ihres Vaters erfreute sich derselben zarten Rücksicht von ihrer Seite, als der Sohn und Erbe eines reichen, alten Geschäfts. Es konnte nicht fehlen, daß Margarete, bei so viel Schönheit und Liebreiz, geschmückt mit so vielen Vorzügen des Geistes und Herzens, und umgeben vom Glanze des Reichtums, der Gegenstand vieler Neigungen und Wünsche war. Allein sie selbst war noch vollkommen unbefangen; da war keiner, auf dem ihr Auge länger oder bedeutungsvoller geruht, keiner, bei dessen Kommen und Gehen ihr Herz unruhiger geschlagen hätte, und die Welt erschien ihr so schön und genügend, daß nicht die Ahnung eines höheren Glückes ihre Brust bewegte. Die erste Unterbrechung in dem Frieden ihres Daseins machte der Tod ihres Bruders Felix, den sie zärtlich geliebt. Sie empfand den Schmerz doppelt, wenn sie sah, wie tief dieser Verlust den Vater beugte, der in dem Knaben nicht allein den Sohn, der in ihm auch die Stütze seines Alters, den Träger seiner Hoffnungen und seines Stolzes beweinte. Herr Spalding hatte vorausgesetzt, daß Felix einst der Chef des Hauses werden und Edmund, wenigstens dem Namen nach, Teilhaber des Geschäftes bleiben würde. Der lebendige Sinn des Knaben ließ erwarten, daß er nur zu gern als unumschränkter Herr walten und seinen Bruder willig aller Mühen und Sorgen entheben werde, wenn derselbe nur das große Vermögen, das ihm nach des Vaters Tode zufallen mußte, im Geschäft ließ. Herr Spalding hatte demgemäß sein Testament abgefaßt. Er hatte Felix nicht als den künftigen Chef des Hauses bezeichnet oder erwählt, um Edmund nicht wehe zu thun und ihm freie Hand zu lassen; er hatte einfach geschrieben: »welcher meiner Kinder das Geschäft fortsetzen will, dem bleibt die Macht, über die Gelder, die ich hinterlasse, insoweit zu disponieren, daß er nicht verpflichtet ist, seinen Geschwistern mehr als ein Drittteil des ihnen zukommenden Anteils auszuzahlen; der Rest wird den Geschwistern verzinset und bleibt nach meinem Wunsche und Willen im Geschäft, damit auf keine Weise eine Stockung oder eine Beschränkung in demselben eintritt. Ich gebe meinen Segen allen meinen Kindern aus der Tiefe meines väterlichen Herzens, ich gebe denselben auch dem neuen jungen Chef des Hauses, und bitte Gott, er möge mit ihm sein.«
Wohl dachte Herr Spalding darüber nach, als Felix so plötzlich schied, welche Anstalten er jetzt treffen sollte, um das Bestehen des Geschäftes zu sichern, dessen Führung Edmund nicht gewachsen war. Mehr als sonst fiel ihm die Gleichgültigkeit seines Sohnes gegen seinen Beruf, seine Pflichten und Mühen auf, und mehr als einmal schlich sich die Sorge in sein Herz, daß die alte Firma erlöschen, der einst so geachtete Name an der Börse der Vergangenheit übergeben werden würde. Dann dachte er wohl daran, einen Kompagnon zu nehmen, schon jetzt, damit Edmund an dieser Stütze sich halten möge, aber er konnte keine rechte Wahl treffen in seinem Sinn. Und während er noch mit diesem Gedanken beschäftigt war, da legte plötzlich der Tod seine gewaltige Hand auf das unruhige Herz mit seinem Wünschen und Bangen, und es stand still. Er kam nach dem Schlagfluß, der ihn morgens in seinem Kabinett getroffen, zwar wieder zu sich, Sprache und Bewußtsein kehrten zurück, allein er fühlte, daß er nur eine kurze Zeit noch zu leben habe, zu kurz, um einen weisen und wohlthätigen Entschluß für seines Sohnes Zukunft zu fassen. Und so nahe dem Tode, da verstummten alle selbstsüchtigen Wünsche und Pläne, da schwand sein Stolz, und seine Sorge löste sich in Liebe und Segen auf. Er wollte, er konnte nicht hineingreifen in die Zukunft seines Kindes, er legte seine eigenen Träume und Hoffnungen als ein williges Opfer nieder auf der Schwelle einer andern Welt. Und nachdem er seine Kinder gesegnet, schlief er ein, sanft und müde, und Margarete war allein.
In Margaretens Zimmer waren die Fenster weit geöffnet, und die milde Luft durchstrich das große, geräumige Gemach. Das alte Haus, in dem das Comptoir sich befand, wurde von der Familie nicht mehr bewohnt. Dort hatte der Buchhalter seine Wohnung und verschiedene Diener des Hauses, während die oberen Räume des Hauses für Speicher eingerichtet waren. Margaretens Vater schon war in dem prachtvollen Nebenhause geboren, das die Familie noch jetzt bewohnte, und das freilich seit jener Zeit noch bedeutend verschönert war. Der hintere Flügel dieses neuen Gebäudes stieß an eine der lebhaftesten Promenaden der Stadt, und war Margaretens Wohnung. Reiche, seidene Gardinen fielen in schweren Falten vor den hohen Fenstern nieder, deren tiefe Nischen mit duftenden, seltenen Blumen geschmückt waren. Kostbare Ölgemälde bedeckten zum Teil die seidenen Tapeten, und weiche Teppiche machten den Schritt unhörbar. Ein herrlicher Flügel stand an der Wand; aber er war geschlossen und die Bücher und Mappen auf den Tischen und Tischchen umher lagen in musterhafter Ordnung, als wären sie lange nicht berührt. Und dem war auch so, und auch jetzt saß die junge, schöne Besitzerin dieses Zimmers in tiefe, ernste Gedanken versunken und ein unverkennbarer Schatten von Sorge oder Kummer lag auf ihrem Gesicht. Ihr Auge sah gleichgültig auf die Menge der Spaziergänger, die anfingen, die Straße zu beleben. Sie bemerkte nicht das freundliche Grüßen ihrer Bekannten zu dem Fenster hinauf, wo sie saß, sie hörte nicht das muntere Lachen der Kinder, die unten ihr Spiel trieben; ihre Blicke schweiften zurück in die Vergangenheit, in eine glückliche Zeit, wo der Vater noch die feste Stütze des Hauses, wo seine Liebe ihr Schirm und Schutz war. Jetzt war das alles vorbei; an diesem Morgen war das Testament des verstorbenen Herrn Spalding geöffnet, und Edmund hatte bei dieser Gelegenheit auf das bestimmteste erklärt, daß er das Geschäft aufgeben wolle. Seit den zwei Monaten, die der Vater jetzt tot war, hatte er das zwar oft angedeutet, und Margarete hätte Zeit genug gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen; allein sie hatte immer gehofft, Edmund zu einem andern Entschlusse zu bewegen. Heute aber, bei dieser ernsten, feierlichen Veranlassung, wo er, den letzten Willen des liebenden Vaters vernehmend, seine Absichten in Gegenwart des Rechtsanwalt und des Buchhalters so fest ausgesprochen, in einem Augenblick, wo die Erinnerung an des Vaters teuerste Wünsche, die denen Margaretens zu Hilfe kamen, dennoch nichts vermochten über seinen Entschluß, heute fühlte sie, daß ihre Hoffnung eine vergebliche gewesen war. Das Vermögen, das der Vater hinterlassen, war noch bedeutender, als man erwartet hatte, und Margarete malte sich ihr zukünftiges Leben aus in seinem stillen, thatenlosen Glanze. Sie seufzte, dieser Reichtum drückte sie, der nicht vermindert, nicht vermehrt werden, der nicht wie früher neben den Genüssen, die er ihr bot, Hunderte beschäftigen und ernähren würde. Denn sie war wohlthätig, aber sie hatte den echten Wohlthätigkeitssinn, der lieber Arbeit giebt als Almosen. Sie gedachte der stolzen Schiffe ihres Vaters, die sie mit Jubel begrüßte sonst nach glücklicher Fahrt. Sie würde keines mehr willkommen heißen, es waren ja die ihren nicht mehr; sie würde keiner Erzählung der Kapitäne mehr lauschen von ihren Abenteuern und Gefahren, wie sie so gern es that in ihres Vaters Zimmer, wo die alten Seeleute am hellen Kamin und bei einem Glase blinkenden Portweins dem Patron Bericht abstatteten von der Fahrt. Dann legten sie ihr, gleich einer kleinen Königin, seltene und kostbare Gaben hin aus fernen, fremden Ländern, wie schuldigen Tribut, und Margarete, als sie daran dachte, ließ voll wehmütiger Erinnerung den Blick über das freundliche Gemach schweifen, das geschmückt war mit den Liebeszeichen jener Zeit. Von dem bunt gefiederten Papagei, der im vergoldeten Messingring sich am Fenster über ihrem Haupte wiegte, und sie in den Kindertagen entzückte, bis zu den goldgewirkten Stoffen von Indiens Gestaden, die jetzt die Thüren in reichen Draperieen schmückten, von den zierlichen Kokosschnitzereien der Indianer bis zu dem goldenen Geschmeide der Mexikanerinnen, von dem prachtvollen chinesischen Fächer bis zu den bunt schillernden, ausgestopften Kolibris, erinnerte sie alles an das bewegte Leben ihrer Jugend. Jetzt wurde das anders, –» Gebrüder Spalding,« das war der Name und die Macht, der man gehuldigt, was war » Margarete Spalding!« Das junge Mädchen bedeckte mit der Hand die Augen, als wolle sie sie verschließen gegen die trübe, einsame Zukunft, und blieb eine Weile regungslos sitzen. Aber plötzlich sprang sie auf, wie von einem wunderbaren Gedanken erfaßt, ein freudiger Schrecken färbte ihre Wangen mit Purpurröte, und die ungeduldig zitternde Hand zog die Schelle mit solcher Hast, daß der Diener erschrocken herbeieilte.
»Gehe schnell hinüber zum Herrn Justizrat Wernold, Johann,« befahl sie dem Eintretenden, »und bitte ihn, wenn er zu Haus ist, schleunig auf einen Augenblick zu mir zu kommen. Willigt er ein, so gehe zugleich auf das Comptoir vor und bitte auch Herrn Hechler, sich zu mir herauf zu bemühen.«
Der Diener ging, dem Befehle Folge zu leisten, und Margarete maß mit unruhigem Schritt das große Gemach. Es war eine plötzliche Umwandlung in dem jungen Mädchen vorgegangen, ihr Herz klopfte ungestüm und ihre Augen leuchteten in so freudigem, stolzem Glanze, daß Madame Wytt, die eben eintrat, betroffen in der Thür stehen blieb.
»Ist etwas passiert, Margarete,« fragte die alte Dame verwundert, »Du siehst ja so aufgeregt aus?«
»Nein,« erwiderte sie, und ihre Stimme bebte ein wenig von der innern Unruhe, »noch nicht, aber es wird etwas passieren, Tante, so Gott will.«
Madame Wytt sah sie fragend an. »Nun, so sprich Dich doch deutlich aus, Kind,« sagte sie, »was ist es denn, was Dich so bewegt? Hast Du einem Deiner Bewerber das Jawort gegeben? Es würde aus dem Trauerhause freilich etwas schnell ein hochzeitliches gemacht, aber Deine Vereinsamung, Edmunds schwacher Charakter, der Dir keinen Halt gewähren kann, und der plötzliche Umsturz der Dinge hier im Hause, das alles kann Dich wohl entschuldigen, obwohl eine vorläufige Geheimhaltung des Schrittes durch den Anstand bedingt wird.«
»Ach, Tante,« sagte das junge Mädchen lächelnd, »wie weit entfernt bin ich in diesem Augenblicke von Liebe oder Heirat. Nein, jetzt bewegt, beseelt mich nur eins: der Glanz unseres Hauses, der Ruhm der alten Firma, die nicht erlöschen soll und darf. Ich, ich selbst übernehme das Geschäft, wenn Edmund nicht will.«
Madame Wytt wich bestürzt einen Schritt zurück. »Aber, Margarete,« sagte sie, »das sind ja ganz unausführbare Ideen, und dieser Schritt, selbst wenn er möglich wäre, würde immer so auffallend bleiben, daß er kaum gerechtfertigt werden könnte. Du weißt, was ich von dem Ansehen unseres Hauses halte, Du weißt, wie ich über Edmunds Entschluß denke, aber trotz alledem sehe ich die Notwendigkeit ein, Dich zu fügen.«
Doch während Madame Wytt noch sprach, öffnete sich die Thür und der Justizrat Wernold trat mit dem alten Buchhalter ein. Beide verbeugten sich ehrerbietig; aber Margarete unterbrach die förmliche Begrüßung mit fieberhafter Ungeduld. »Meine Herren,« sagte sie und lud sie mit einer Handbewegung zum Sitzen ein, »ich habe Ihnen eine Idee mitzuteilen, von der Sie mir sagen sollen, ob sie ausführbar ist; das Glück meiner Zukunft hängt davon ab, die einzige Möglichkeit, die Wünsche und Hoffnungen meines guten Vaters zu verwirklichen.«
»Margarete,« warnte Madame Wytt, »Deine Phantasie reißt Dich wirklich fort.«
Aber Margarete unterbrach sie voll unruhiger Hast: »Ich bitte Dich, Tante, laß mich, ich folge Dir in allem andern willig und gehorsam; aber hierin entscheide ich selbst; ich bin kein Kind mehr.« Sie wandte sich aufs neue zu den beiden Männern, die sie voll Spannung ansahen. »Mein Bruder Edmund,« fuhr sie fort, »hat sich geweigert, das Geschäft fortzuführen –ich will es übernehmen, allein und auf eigene Rechnung. Er hatte, als der Sohn meines Vaters, das erste Anrecht daran; er hat sich dessen begeben. Die nächste Erbin bin ich –wohlan, ich mache von meinem Rechte Gebrauch!«
Der Justizrat rückte betroffen seinen Stuhl einen Schritt zurück; aber der Buchhalter sprang auf, fast mit jugendlichem Feuer, und küßte mit freudeglänzenden Augen Margaretens weiße Hand, die sie ihm lächelnd ließ.
»O mein teures, verehrtes Fräulein,« rief er jubelnd, »für diesen Entschluß segne Sie Gott! In Ihnen steckt der Geist des seligen Herrn, und wenn er wüßte, was Sie im Begriffe sind zu thun, er würde Ihnen danken, wie es jetzt Ihres Hauses alter Diener thut. Nun wird alles gut gehen und Hunderte werden Sie segnen und bewundern für diesen Entschluß.«
Margarete nickte freundlich und gerührt, und dann sich an Wernold wendend, fragte sie: »Aber nun sagen Sie mir, Herr Justizrat, glauben Sie, daß mein Bruder gegen diesen Entschluß keine gültige Einsprache erheben kann? Majorenn bin ich ja, wie Sie wissen, vor acht Tagen erklärt, weil Edmund in den Erbschaftsangelegenheiten nicht gern mit meinem Vormunde, als einer dritten Person, etwas zu thun haben wollte; ich glaube also, ich bin unumschränkte Herrin meines Thuns und Lassens.«
»Das sind Sie, mein Fräulein,« sagte der Justizrat, »eine Einsprache wäre nicht zu befürchten; das einzige, was Sie genieren könnte, wäre die Auszahlung des Vermögens, die Ihr Herr Bruder verlangen wird und kann. Ihr Herr, Vater hat für diesen Fall, den er nicht voraussehen konnte, keine Bestimmungen getroffen, um so mehr, da das Testament vor Jahresfrist abgefaßt wurde, als der junge Herr Felix noch lebte.«
»Das wäre unangenehm,« sagte das junge Mädchen nachdenklich, »wenigstens für den Augenblick sehr hinderlich, meinen Sie nicht, Hechler?«
»Allerdings,« sagte der Buchhalter, »aber es ist doch nicht anzunehmen, daß der junge Herr sein Geld aus dem Geschäft ziehen wird, um es anderwärts gegen geringere Verzinsung zu belegen. Und hätte er Lust, Grundbesitz zu acquirieren, so wäre ja vielleicht ein Tausch möglich, wenn Sie Ihrerseits das Ihnen zugefallene Landgut abträten.«
Madame Wytt schüttelte mißbilligend das Haupt, aber sie schwieg, sie wußte, daß Margaretens Festigkeit in wichtigen Dingen keinen Einfluß gestattete. Diese sann einen Augenblick nach, »nein,« sagte sie dann, »Hechler, das geht nicht, das läßt die Pietät für meinen guten Vater nicht zu. Jede Anordnung, jede Einrichtung hat er selbst getroffen mit liebender Berücksichtigung meiner Wünsche und Neigungen. Dorthin sollte ich flüchten, sagte er, wenn die Welt mich getäuscht, gekränkt, verwundet; denn solche Erfahrungen bleiben für keinen aus, auch nicht für den Glücklichsten. Ich kenne die Welt noch so wenig, ich stelle mich freilich auf einen schwierigen Platz, ich gehe, ich bin mir dessen wohl bewußt, einem ernsten Kampfe entgegen, mit den Verhältnissen, mit der Meinung der Menschen; ich will diesen Zufluchtsort nicht aufgeben. Ich könnte ja doch auch besiegt und geschlagen mich zurückziehen, ich muß eine Stätte haben, wo ich ruhen kann nach dem Kampfe. Aber ich sehe einen andern Ausweg; mein Vater schrieb in seinem Testamente, das Kind, nicht der Sohn, der das Geschäft übernähme, solle die Fonds der übrigen Kinder als Betriebskapital mit arbeiten lassen, und darauf stütze ich meine Ansprüche.«
»Sie sind nicht allein Kaufmann, Sie sind auch der beste Advokat,« rief bewundernd der Justizrat, und bei einer solchen Klarheit und Umsicht kann man dem Geschäft nur Glück wünschen zu dem neuen Chef.«
Margarete erhob sich freudestrahlend; »die Sache wäre also abgemacht,« sagte sie, »mein Comptoirpersonal bleibt, Hechler wird mir als ratender Freund zur Seite stehen und die Prokura erhalten, und die Firma › Gebrüder Spalding‹ wird uns überleben.«
»Wenn Du es für passend hältst, Deinen Entschluß auszuführen, wahrscheinlich,« warf Madame Wytt ein.
»Tante,« rief das junge Mädchen und erhob stolz das Haupt, »Margarete Spalding kann nie etwas Unpassendes thun. Ich kann etwas Ungewöhnliches begehen, denn, ich fühle es, ich stehe über dem Alltäglichen, aber jeder meiner Schritte kann nur in den Grenzen des Anstandes und der Ehre sein.«
Madame Wytt war überwunden; Margarete erschien ihr niemals schöner, als in diesem aufflammenden Stolze, als in dem Bewußtsein ihres innern Wertes, und sie auf die reine, weiße Stirn küssend, sagte sie besänftigt: »Nun wohl, Margarete, folge Deinem Berufe, und Gott lasse ihn gesegnet sein.« Die beiden Männer, die dem schönen kühnen Mädchen ihre Bewunderung nicht versagen konnten, verscheuchten, indem sie Margaretens Entschluß und seine Folgen in das glänzendste Licht zu stellen wußten, das letzte Bedenken der alten Dame und ließen die beiden Frauen dann allein, nicht ohne Margarete wiederholte Versicherungen ihrer Ergebenheit gegeben zu haben.
Nun war noch der Kampf mit Edmund zu bestehen und sie ging ihm mutig entgegen, noch an diesem Abend. Zuerst betrachtete der junge Mann die ganze Sache als einen Scherz, und rief dann, als er sich eines andern überzeugte, seine ganze Energie ins Feld, um Margaretens Vorhaben sich zu widersetzen; allein sie blieb unerschütterlich und erklärte sich nur bereit zurückzutreten, wenn er selbst an ihren Platz sich stellen wolle. Aber die süßen Träume des Junkertums hatten Edmunds Phantasie so ganz und gar gefangen genommen, daß er sich mit Überdruß von diesem Gedanken abwandte und endlich Margarete ihrer Thorheit, wie er es nannte, überließ.
»Aber hast Du auch bedacht,« sagte er, schon im Begriff zu gehen, »in welche Verlegenheit es Dich bringen kann, wenn Du nach dem Testamente des Vaters binnen Jahresfrist mein Vermögen auszahlen mußt? Ein umsichtiger Kaufmann, und auf diesen glänzenden Titel machst Du ja jetzt Anspruch, muß für alle Fälle Sorge tragen.«
Die Röte des Unmuts flog über Margaretens Wangen, daß er, ihres Vaters Sohn, spöttisch oder verächtlich über den Stand zu reden wagte, in dem er geboren und erzogen war; das verwundete ihren Stolz. Doch sie bezwang sich und entgegnete ruhig: »Gewiß habe ich das alles überlegt, und glaube mir, wenn ich nicht fühlte, daß ich diese Umsicht und Überlegung besäße, ich würde mich nicht auf einen Platz drängen, der für die geistigen Fähigkeiten des Weibes im allgemeinen zu hoch und wichtig ist. Die Unbequemlichkeiten, von denen Du sprichst, sind indessen nicht so drückend; ich zahle ein Dritteil aus, während der Hauptteil Deines Vermögens im Geschäfte bleibt.«
Edmund starrte sie einen Augenblick an und brach dann in Lachen aus. »Höre, Margarete, nun wird die Sache spaßhaft; glaubst Du im Ernst, ich sollte Deine Thorheiten mit meinem Gelde bezahlen? Denn eine Thorheit ist es und bezahlt muß sie auch werden. Ich erinnere mich wohl des Passus im Testamente, der aber nur auf den armen Felix Bezug haben konnte; an Dich hat der Vater wahrlich nicht gedacht. Es sollte mir leid thun, wenn Du Deinen Eigensinn so weit triebest, daß ich die Sache zum Eclat bringen müßte, und Du wirst es thun, wenn Du bei Deinem ganz unbegründeten Hochmut auf die vielgepriesene Firma meine Erbschaftsangelegenheiten in Spekulationen verwickelst.«
»Es würde mir wahrscheinlich schmerzlicher sein als Dir,« entgegnete Margarete bitter, »denn ich habe eine größere Achtung vor dem Namen und der Stellung, die unser Vater uns in der Welt hinterlassen hat, als Du; ich strebe sie aufrecht zu erhalten mit meiner schwachen Kraft, Du suchst sie in den Staub zu treten. Deshalb rate ich Dir, ehe Du durch den Eclat die Welt zum Nachdenken bringst über die Gründe, die mich zwingen, die Verpflichtungen zu erfüllen, die eigentlich die Deinigen sind, zuvörderst die Meinung eines Rechtsgelehrten in der Stille einzuholen. Ich weiß, daß ich im Rechte bin und ich gebe zu Deinem eigenen Besten kein Haar breit freiwillig davon auf. Gott weiß, wie ich derartige Familienzwiste scheue, die im Munde der Welt durch giftige Zusätze und böswillige Übertragung oft unheilbar werden. Was ich verlange, ist erforderlich, um den alten Glanz und die Macht unserer Familie zu erhalten, das, Edmund, ist eine Notwendigkeit; aber Deine Liebe ist meines Herzens teures Gut, ich bitte Dich, laß sie mir. Unsere Wege gehen jetzt weit auseinander; ich habe den meinen selbst gewählt, und obwohl ich ein Weib bin und unbeschützt, ich gehe ihn unverzagt. Aber laß mich nicht bei dem ersten Schritt den Schmerz empfinden, den Bruder und Freund meiner Kindheit verloren zu haben; das Gefühl würde mich hemmen, mich zu Boden ziehen, wo ich aufrecht stehen muß und freien Sinnes und klaren Auges um mich blicken.«
Sie schwieg und sah bittend zu ihm auf. Edmund war halb gewonnen, denn er hatte ein weiches Herz trotz seines schwachen Charakters und seines falschen Stolzes.
»Ich werde mich mit dem Justizrat Wernold beraten,« sagte er, »ich muß erst mit einem verständigen Rechtsgelehrten, mit einem Ehrenmann den Schritt, den Du thun willst und Deine vermeintlichen Rechte besprechen, ehe ich mich der meinigen so ohne weiteres begebe. Wie es aber auch kommt, Margarete, mein Herz wird immer mit treuer Freundschaft für Dich sprechen, wenn es auch anders fühlt und wünscht als das Deinige.«
Er reichte ihr die Hand zum Abschied und Margarete blieb allein. Es war Mitternacht geworden und auch das junge Mädchen suchte müde das Lager. Aber erst spät kam der Schlaf, und er brachte glückliche Träume von zukünftiger Größe; um sie her blühten Früchte ihres Wirkens und Schaffens, thätig und unternehmend spendete sie Segen und Wohlstand um sich her und das Lächeln der Befriedigung lag auf den roten frischen Lippen, als der erste Sonnenstrahl sie küssend durch das Zimmer streifte. Sie war schön in dem Gefühle befriedigter Pflicht und guter, großer Vorsätze; wie schön, wie strahlend würde erst das Lächeln sein, das die Liebe auf ihre Lippe lockte! –-
Margaretens stolzer Traum hatte sich erfüllt; Edmund hatte weder ihrem Vorhaben noch ihren Rechten entgegentreten können und seit einem Jahre stand sie an der Spitze des großen Geschäfts, das sie mit dem alten Glanz umgab. Man hatte anfänglich über den Schritt gestaunt, aber die Männer, der reiche und angesehene Kaufmannsstand zumal, hatten ihr Gefühl verstanden und geehrt, und als sie, selbst auf diesem Platze, so ungewöhnlich für eine Frau, weder von ihren weiblichen Schwächen noch von ihren Vorzügen etwas verlor, da jauchzten ihr die Herzen der Männer in neuer Begeisterung entgegen. Jeden Morgen stieg sie hinab in das Kabinett ihres verstorbenen Vaters, das neben dem Comptoir lag, und dorthin kam der alte Hechler, der Disponent, um ihr Bericht abzustatten und sie mit dem Gange der Geschäfte bekannt zu machen. Sie wurde befragt bei jeder größeren wichtigen Spekulation; Hechler mußte sie dann unterrichten von der möglichen Größe des Erfolgs wie des Mißlingens, von den Schwierigkeiten und Wagnissen, wie von den Garantien eines Unternehmens. Die Verbindungen mit befreundeten Häusern bestanden fort, denn der Ruf des Spaldingschen Geschäftes war ein zu solider und der Disponent war schon seit vielen Jahren thätig darin. Aber nicht allein mit den kaufmännischen Unternehmungen war Margarete beschäftigt, das rege Interesse ihres warmen echt weiblichen Herzens wandte sich auch nach einer andern Richtung. Thätig und praktisch, mitleidig und großmütig, wie sie war, konnten ihre reichen Mittel die wohlthätigen Gefühle ihres jungen Herzens immer unterstützen. In dem verflossenen Jahre, dem ersten ihrer Selbständigkeit, war ein großes Haus in der Vorstadt, an dem ihr Vater die letzte Hypothek besaß, plötzlich in ihren Besitz übergegangen, nachdem der Eigentümer wegen betrügerischer Schulden entwichen war. Vergebens riet ihr der Buchhalter, es als ein ihr ganz unnützes Grundstück zu verkaufen; die junge Erbin war anderer Meinung. Schon nach wenigen Tagen teilte sie dem Erstaunten mit, daß sie noch das Rebenhaus hinzugekauft habe, und es jetzt zu zwölf freien Wohnungen für bedürftige Familien einrichten lassen wolle. »Da sind so viele Leute, die treu für uns gearbeitet haben, so manche Witwe, deren Mann nicht wieder kam auf dem Schiff, das ihn fröhlich von dannen trug, so mancher Greis, der alt und müde das Seinige gethan hat, daß ich wenigstens ihnen ein Obdach, ein freundliches, helles Stübchen, ein warmes Kämmerchen geben möchte, wo sie ruhen können,« sagte sie. Man zollte ihr warme Anerkennung, und geistliche und weltliche Behörden brachten Dank, aber sie lehnte mit freundlicher Festigkeit jede Einmischung ab.
»Ich baue das Haus,« sagte sie, »ich statte es aus nach meiner besten Einsicht, nach meines Herzens innerm Drang, ich will auch die Bewohner suchen nach meinem Sinn, und sie alle sollen frei darin leben und glauben und hoffen. Ich will ihnen einen Herd bauen, keinen Käfig. Die Armut ist schon so drückend, nehmt ihr das bißchen freien Willen und Ihr verwandelt Eure Gaben, ob sie auch vergoldet sind, in Ketten, die das Herz wund drücken. Aber bin ich einst tot und meine Erben haben das Bedürfnis nach Rat oder Beistand, so mögen sie einen Geistlichen der Stadt erwählen nach ihrem Sinn, der ihnen zur Seite steht; eine andere Bevormundung soll nach meinem Wunsche nicht stattfinden.« Seit drei Monaten war das Haus bewohnt und das freundlichste Quartier hatte Margaretens Amme, die Frau ihres ehemaligen Kutschers, bezogen, für die das junge Mädchen eine dankbare Anhänglichkeit bewahrt hatte.
So war Margaretens Leben ein angeregtes, beschäftigtes, wie es ihrem Drange nach Thätigkeit genügte. Sie fühlte keine Verlassenheit und Leere, und wenn sie an dem Todestage ihres Vaters sein Grab auch mit heißen, schmerzlichen Thränen benetzte, so trocknete die glückliche Vergessenheit, der leichte Sinn ihrer zwanziger Jahre sie doch bald wieder mit freundlicher Hand.
Und alles um sie her bemühte sich ja, ihr das Leben leicht und süß zu machen; wie sollte sie es nicht lieben mit seinem verheißenden Schimmer. Ihre Hand aber war noch immer frei; »man kann doch nicht heiraten ohne Liebe,« sagte sie, wenn Madame Wytt in sie drang, »und was Du auch sagst, Tante, das ruhige Wohlwollen, das ich für den einen oder andern meiner Bekannten habe, das ist die Liebe nicht. Sie kann es nicht sein, denn wahrlich, sonst nimmt es mich wunder, daß ihr so heldenmütige Opfer gebracht, so begeisterte Lieder gesungen werden.«
Dann war Madame Wytt verstimmt, denn eben jetzt bot sich, nach ihrer Meinung, eine besonders wünschenswerte Partie für Margarete, ihr ebenbürtig an Geist, Jugend, Reichtum und Unabhängigkeit. Der Bewerber des jungen Mädchens gehörte dem Kaufmannsstande an, wie sie, und der junge Gumbly war das einzige Kind seines Vaters. Madame Wytt konnte sich nichts Passenderes denken, Margarete erhielt einen Mann und das Geschäft einen wirklichen Chef, der es schon auf dem alten Fuße erhalten und Margarete jeder Sorge für dasselbe überheben würde. Der junge Kaufmann liebte das Mädchen tief und leidenschaftlich, und dies glühende Gefühl war das edelste seines Herzens und verhüllte in seinem verklärenden Glanze manche unschöne Regung. Margarete war ihm nicht abgeneigt, sie hatte zwar bis jetzt eine offene Erklärung seinerseits vermieden, Madame Wytt ermunterte den Verzagenden zu Hoffen und Warten.
»Sieh Dich vor, Margarete,« pflegte sie oft zu sagen, »Du hast nun so viele Körbe ausgeteilt, daß man scheu werden und niemand mehr anklopfen wird, als das Militär; das weicht allerdings so leicht nicht. Aber Dein vielbewunderter Entschluß, als Edmund seinen Beruf verkannte, selbst das Haus und den Ruhm Deiner Väter aufrecht zu erhalten, unbekümmert um das Gerede der Welt, und die Sorgen und Mühen, die Du auf Dich nahmst; dieser Entschluß, groß um des edlen Stolzes, um der freudigen Opfer willen, die Du ihm gebracht, wird lächerlich, wenn das alles geschehen ist, damit an Edmunds Statt irgend ein adliger Lieutenant, der Dich heimführt, das Comptoir schließt und die Firma löscht. Ich denke, das hätte Edmund auch gekonnt.«
»Tante,« lachte dann Margarete, »Du ereiferst Dich ganz unnötig; ich empfange unter Deinem Schutze die Offiziere wie die Kaufleute und alle übrigen; ich rede und scherze mit dem einem wie mit dem andern. Die Uniform aber ist mir zuwider; es müßte ein ganz besonderer Mensch sein, den ich selbst in dieser Hülle liebte, und das erste Opfer, das ich von ihm verlangte, wäre jedenfalls, daß er sie abstreifte. Sollte er denn durchaus jemand dienstbar sein, nun, so mag es mir sein, der Dienst ist süßer und eben so leicht, als der Paradedienst. Aber ich denke überhaupt noch nicht an eine Ehe; wie gesagt, ich will erst lieben, ehe ich heirate, und hast Du so mütterlichen Drang, Tante, glückliche Paare zu segnen, nun, so hast Du ihm ja erst vor wenig Wochen bei Edmunds Vermählung Genüge geleistet.«
Madame Wytt schwieg dann gewöhnlich; denn Edmunds Heirat war eben nicht nach ihrem Sinn. Der junge Spalding, der großen Verehrung folgend, die er seit seiner frühesten Jugend für den Adel gehegt, hatte seine Braut aus dieser Sphäre der Gesellschaft gewählt. Sie gehörte einer alten, aber armen Familie an, und die geringen Aussichten der Tochter auf eine gute Partie hatten die Eltern bewogen, dem jungen Spalding ihr Jawort zu geben. Sein großer Reichtum ließ den Mangel an Ahnen verschmerzen und er selbst konnte ja möglicherweise der Gründer eines neuen Geschlechts werden. Madame Wytt dagegen betrachtete die Sache als eine Mesalliance und Margarete hatte den ganzen Eifer ihres liebevollen Herzens nötig, um der neuen Schwägerin die Mißstimmung zu verbergen, die im Hause herrschte. Margarete hatte der Braut an ihrem Hochzeitstage den reichen Juwelenschmuck umgelegt, dessen keine Fürstin sich hätte zu schämen brauchen; sie vergaß nie, in keiner Beziehung, daß sie das Oberhaupt der Familie war. Aber dann hatte sie mit mädchenhaftem Entzücken der Braut den schönen Schmuck der Myrten in die Locken gedrückt und sie bat Gott aus der Tiefe ihres Herzens, daß er der jungen Gattin Glück und Frieden und Liebe geben möge.
In Margaretens prächtigem Hause war eine besondere Geschäftigkeit; Diener gingen hin und wieder mit Tellern und Gläsern, mit silbernen Armleuchtern und kostbaren Aufsätzen; Blumen wurden in den Zimmern geordnet und Kaminfeuer angezündet, Bestellungen ausgerichtet und Aufträge erteilt. Margarete gab heute ein glänzendes Diner zu Ehren Edmunds und seiner jungen Frau, die vor einigen Tagen von ihrer Reise zurückgekehrt war; und von dem Koch, der im Bewußtsein seines wichtigen Berufes heute in schweigender Geschäftigkeit mit niemand sprach, bis zu dem Haushofmeister, der gar nicht aufhörte zu arrangieren und kommandieren, war alles Leben und Bewegung. Zuletzt erschien Margarete in dem großen Saal und ließ den musternden Blick flüchtig über die reich geschmückte Tafel und das glänzende Zimmer gleiten, und die Anordnungen mußten ihren Beifall haben; denn ein zufriedenes Lächeln überflog ihr Gesicht. Sie war reich gekleidet und leuchtende Diamanten funkelten an Brust und Armen; aber das goldene Haar schmückte nur eine Rose, frisch und duftend, keusch und stolz wie sie selbst. Sie war unbeschreiblich schön und sie mochte das selbst fühlen, als ihr Auge in den großen Wandspiegel fiel, der ihr gegenüberhing, denn sie wandte sich leise errötend ab. Da begegnete ihr Blick dem eines jungen Mädchens, das geräuschlos eingetreten, die schwarzen Augen voll bewundernden Erstaunens bald auf den glänzenden Saal, bald auf Margarete richtete. Auch sie war hübsch, wenngleich ihre Schönheit eine ganz andere Schönheit war, als die reine Lieblichkeit, die stolze jungfräuliche Würde der Herrin des Hauses. Auch sie war geschmückt zu dem Feste; aber ihr fehlte die geschmackvolle Einfachheit, die jene auszeichnete.
»Wie schön ist es hier!« sagte sie endlich mit tiefem Atemzuge. »O, Margarete, Du bist glücklich wie eine Königin!«
»Glücklicher, Laura,« lächelte diese und zog das junge Mädchen nahe zu sich heran; »denn Königinnen haben nur Dienerinnen –und Margarete hat eine Freundin.«
»Bis in den Tod!« versicherte das junge Mädchen. »Ich fühle mich hier so glücklich; in Deinem Hause ist das Paradies. Aber nun komm, bitte, und laß mich die andern Zimmer sehen, bevor die Gäste kommen; denn mit Kerzen und Blumen, ohne verhüllte Überzüge, da sieht das alles schöner aus, und es ist die erste große Gesellschaft, die Du giebst, seit ich bei Dir bin. Aber nicht wahr, nun werden diese Räume öfter geöffnet, wie es ehedem gewesen ist?«
»Gewiß,« sagte Margarete, »besonders wenn es Dir Freude macht. Vorigen Winter,« und ein trüber Schatten zog über das holde Gesicht, »da war der Verlust, den wir erlitten, mir noch so neu, daß der Schmerz meine Seele vollkommen erfüllte. Aber die Zeit hat ihn milder gemacht, und Edmunds junges Glück wird auch von mir mitempfunden.«
Die jungen Mädchen wandelten langsam durch die Reihen glänzender Zimmer, die sich an den Speisesaal schlossen, und gelangten durch das letzte auf die Galerie, die in dem Innern des Gewächshauses herumlief, das von oben sein Licht empfing. Die Dämmerung brach schon herein und zwischen den grünen Blättern leuchteten und flammten Lampen und Lichter, daß in ihrem Strahl die niederfallenden Tropfen des Springbrunnens glänzten wie funkelnde Diamanten. Üppige Schlingpflanzen umgrünten den Rand des Beckens und bekränzten die Grotten und Nischen, in denen Sitzplätze zur Ruhe winkten. Der phantastische Glanz der maurischen Bauart mit seiner reichen Vergoldung und seinem glänzenden Farbenschmuck, gleich buntem Edelgestein zwischen den grünen Blättern hervorblitzend, die fremdländischen Vögel, die Fülle und Glut der tropischen Blumen waren anzuschauen wie Märchenpracht und Margarete wie die schöne, gütige Fee dieses Zauberreiches.
Das junge Mädchen mit den schwarzen Augen war eine Cousine Margaretens von mütterlicher Seite, deren Eltern, seit einem Jahre tot, sie mittellos in der Welt zurückgelassen hatten. Bei dem Bruder ihrer Mutter, einem schlichten Landpfarrer, hatte es dem lebendigen, genußsüchtigen Mädchen nicht gefallen und sie wußte Margareten ihren Aufenthalt in dem Pfarrhause in so trüben Farben zu schildern, daß diese voll mitleidiger Liebe der armen Verwandten ihr Herz und ihr Haus öffnete. Die beiden Cousinen hatten sich seit ihrer Kindheit nicht gesehen; mit dem Tode von Margaretens Mutter zerriß das lockere Band, das Herrn Spalding an seinen Schwager geknüpft, und die beiden Mädchen wurden einander fremd. Desto tiefer empfand Margarete die Bitte Lauras, ihr eine Zuflucht in ihrem Hause zu gewähren, als einen Beweis eines edlen, vertrauenden Herzens, und sie umgab die neue Gefährtin mit all den Annehmlichkeiten, die sie selbst genoß. Sie war erst seit zwei Monaten bei Margarete, aber schlau und intrigant, wie sie war, hatte diese kurze Zeit hingereicht, um sie mit den Verhältnissen und Beziehungen der Familie, mit den Neigungen und Schwächen ihrer schönen Beschützerin aufs genaueste bekannt zu machen. Sie betrachtete den jungen Gumbly zuversichtlich als den künftigen Herrn des Hauses, denn sie konnte nicht glauben, daß Margarete den leidenschaftlichen Bewerbungen eines so reichen und hübschen Mannes auf die Länge widerstehen würde, und mit berechnender Klugheit suchte sie seine Gunst und sein Vertrauen zu erwerben. Sie hörte geduldig seine Seufzer und Klagen an, sie beschwichtigte seine eifersüchtigen Aufwallungen, denn die spätere Dankbarkeit des künftigen Hausherrn sollte ihr lohnende Früchte tragen. Sie wollte Margaretens schönes Haus nur mit einem eigenen Herde vertauschen und sie mußte daher alles thun, um ihre Stellung dort zu befestigen.
»Aber es wird spät, Laura,« bemerkte Margarete endlich, als der Schlag einer Uhr aus dem angrenzenden Zimmer zu ihnen herüber tönte, »es ist halb fünf und Zeit, daß wir uns in das Empfangszimmer begeben, damit unsere Gäste nicht früher dort sind, als wir selbst.« Die jungen Mädchen begaben sich hinunter zu Madame Wytt, und eine Viertelstunde später versammelte sich die Gesellschaft. Margarete war die Königin des Tages; sie strahlte in Jugend, Schönheit und Freude, und verdunkelte selbst die junge Neuvermählte, zu deren Feier das Fest veranstaltet war. Gumbly saß an ihrer Seite, aber er war nicht befriedigt; Margarete hatte als Wirtin gegen alle ihre Gäste gleiche Pflichten zu erfüllen und konnte ihm nicht ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Man war bis zum Dessert vorgeschritten, als der alte Sebastian beim Servieren Margareten ein Briefchen zuschob. Den Argusaugen des ungeduldigen Liebhabers entging dies so wenig, wie der fragende Blick, den sie auf den alten Diener warf. Die stumme Frage wurde auch beantwortet, aber so sehr Gumbly sich auch anstrengte, er konnte nichts von den paar leisen Worten vernehmen, die der Greis seiner jungen Gebieterin zuflüsterte, doch sah er, wie Margarete das Briefchen verstohlen öffnete und plötzlich errötete. War es Schrecken, war es Freude? Der junge Mann beobachtete sie unruhig und es schien ihm, als ob das Servieren beschleunigt würde. Margarete hob früher als üblich die Tafel auf und hatte nach einigen Augenblicken sich unter der Menge verloren.
Gumbly suchte Laura auf. »Margarete hat eben eine Nachricht, eine wichtige, scheint mir, erhalten,« flüsterte er ihr mit eifersüchtiger Ängstlichkeit zu, »von wem kann das Billet gewesen sein, das der alte Sebastian in ihre Hand gleiten ließ? Ich bitte Sie, Laura, haben Sie Mitleid mit meiner Unruhe, suchen Sie es auszukundschaften.«
»Da müßte ich mich an Margarete selbst wenden,« entgegnete sie, »denn ich darf mir doch vor den Dienern keine Blöße geben. Margarete aber ist nicht gern gefragt, und ich muß eine passende Gelegenheit abwarten, wo ich sie unbemerkt darauf hinleite, daß sie mir von selbst Mitteilung macht.«
»Und so lange soll ich in Ungewißheit bleiben?« fragte Gumbly in bittender Ungeduld.
Sie sann einen Augenblick nach. »Ich will Margarete aufsuchen, ihr wie von ungefähr begegnen, vielleicht macht sie mir eine Mitteilung,« sagte sie und schritt dem Vorzimmer zu.
Gumbly blieb unruhig zurück; seine Eifersucht rief die wunderlichsten Vermutungen herauf, er fühlte sich gekränkt, beeinträchtigt, verstimmt, er glaubte, Rechte wahren zu müssen, die er noch gar nicht besaß. Laura kam bald zurück. »Ich bitte Sie, seien Sie ruhig,« sagte sie und drückte ihm mit teilnehmender Miene die Hand, »Margarete, kurz und ohne Umstände, wie sie ist, bat mich, sobald sie mich erblickte, ich möge rasch ins Gesellschaftszimmer zurückkehren, damit ihre Abwesenheit weniger bemerkt werde. Sie schien allerdings aufgeregt und ich glaube, sie wollte mich nur entfernen. Aber ich nehme zu aufrichtigen Teil an Ihren Leiden, die durch Margaretens unverzeihliche Launen und Sprödigkeit hervorgerufen werden, als daß ich mich ohne alle Nachrichten für Sie hätte entfernen können. Ich lauschte einen Augenblick an der Thür und hörte, wie sie dem alten Sebastian sagte: ›Nein, nicht meinen Wagen, das würde auffallen, besorge einen Fiaker; ich bin in einer Viertelstunde wieder hier und meine Abwesenheit wird gar nicht bemerkt.‹«
Gumbly sah sie erschrocken an. »Mein Gott, es ist ja völlig Nacht,« sagte er, »und zu einer so ungewöhnlichen Stunde will ein junges Mädchen ohne Begleitung und auf geheimnisvolle Art sich entfernen, noch dazu während einer Zeit, wo die Pflichten der Wirtin sie ans Haus fesseln?« Er ließ Laura stehen, entfernte sich rasch und eilte die Treppen hinab, unter das große Hausportal, wo er sich hinter einer Säule barg. Nach kurzer Zeit kam der Fiaker mit dem alten Sebastian und einen Augenblick später erschien Margarete auf der Treppe. Sie war noch in ihrem reichen Putz, der leichte Mantel, den sie übergeworfen, ließ den schimmernden Atlas ihres Kleides sehen und ein dünner Schleier bedeckte die schönen Locken.
»Bleib' da,« befahl sie dem Diener, »Du bist oben notwendig, ich brauche Dich nicht, sage nur dem Kutscher, wohin er zu fahren hat.«
»Kreuzstraße Nr. 5,« rief Sebastian. Margarete stieg ein und im nächsten Augenblick war sie den spähenden Blicken des eifersüchtigen Liebhabers entschwunden.
Der aber beruhigte sich nicht so leicht. Kreuzstraße –das ist ja das Haus, das sie gestiftet, was kann sie bei dem Volke zu dieser Zeit wollen? Ein Rendezvous an diesem Orte, bei solchen Leuten –nein, dazu war Margarete zu hold, zu rein, auch zu stolz. Und doch –was sollte es sein; er mußte ihr folgen, er zog den Mantel fester um sich und schlug denselben Weg ein, wie kurz zuvor der Wagen.
Margarete fuhr rasch dahin. Das Zettelchen war von ihrer Amme gewesen, die vor wenig Stunden durch ein scheu gewordenes Pferd übergeritten und zum Tode verwundet hineingetragen war. Das hatte Sebastian ihr zugeflüstert, aber auf den Zettel hatte eine bebende Hand die wenigen Worte geschrieben: »Ich bitte Sie, daß Sie noch einen Augenblick kommen, ehe ich sterbe. Ich habe Sie so lieb, wie mein eigen Kind, ach, schlagen Sie mir doch die Bitte nicht ab und eilen Sie, denn ich glaube, ich erlebe den Abend nicht mehr. Ihre alte Lisbeth.« Das war hinreichend für Margarete; sie war der Alten so gut, sie wußte, es war ihr ein Trost, wenn sie kam und die eigne Sorge auch trieb sie dazu. Während man sich erhoben hatte und plaudernd in kleinen Gruppen den Kaffee in den anstoßenden Zimmern nahm, war eine kurze Entfernung kaum merklich. Jetzt hielt der Wagen vor dem großen Hause und Margarete eilte über den schwach erleuchteten Flur die Treppe hinauf, ohne an die Bewohnerin des Parterregeschosses, die an der Hausthür stand, weitere Fragen zu richten. Demütig grüßend wich die Frau aus und sah ihr voll Bewunderung nach, »Herr Gott, ist sie nicht schön wie ein Engel,« murmelte sie, und dieselbe Frage schien eine Sekunde später ein junger Offizier sich vorzulegen, der Margarete auf dem Absatze der Treppe begegnete. Er sah ihre Juwelen blitzen in dem schwachen Lampenscheine und heller, so schien es ihm, leuchteten ihre Augen, die ihn mit flüchtigem Blick streiften. Der seinige folgte ihr nach wie einer Erscheinung; was konnte die reich geschmückte Dame hier wollen, wer konnte sie sein und wer war er, daß er das nicht wußte?
Margarete trat atemlos ein und ging geräuschlos mit zurückgehaltenem Atem dem Bette zu, auf dem Lisbeth ächzend lag.
»Lisbeth,« fragte sie leise und legte ihre weiche Hand auf die dürre, knochige der Alten, »wie steht es denn mit Dir?«
»Ach, da sind Sie ja, mein gütiges Fräulein,« rief diese matt, aber doch erfreut, »ich wußte es wohl, Sie würden die Lisbeth nicht sterben lassen, ohne noch mal zu kommen. Ach die Schmerzen, die Schmerzen, das ist mein Tod, und ich hätte gar gern noch ein Weilchen gelebt.«
Margarete beugte sich über sie. »Meine arme Alte,« sagte sie liebreich, »wo bist Du verletzt, wo schmerzt es denn so heftig, daß Du gar ans Sterben denken magst?«
»Das Bein ist gebrochen,« stöhnte die alte Frau, »und die Bandagen machen mir große Pein, ach, und die Wunde am Kopf, ich glaube, daran muß ich zu Grunde gehen.«
Margarete blickte forschend den Arzt an, der lächelnd das Haupt schüttelte. »Es ist keine erhebliche Gefahr da,« sagte er leise zu dem jungen Mädchen, »aber der Schrecken hat die Nerven der Frau so sehr aufgeregt, daß mich dieser Zustand besorgter macht, als der Beinbruch und die kleine Kopfverletzung. Ihre Aufregung hat sie auch dazu vermocht, sich noch so spät Ihren Besuch zu erbitten, den ich als unnötig verhindert haben würde, wenn ich zugegen gewesen wäre, als sie zu Ihnen schickte.«
»Es ist mir nicht leid, daß ich gekommen bin,« entgegnete Margarete dem Arzt, »ich gebe und nehme dadurch Beruhigung. Aber ich will mich, nun ich so gute Nachrichten habe, nicht zu lange aufhalten und statt dessen morgen wiederkommen. Doch erst sollst Du mir Deinen Unglücksfall erzählen, Lisbeth, wenn Du kannst und darfst, ich weiß, das erleichtert Dein Herz.«
Und so war es auch. Die Alte erzählte mit geläufiger Zunge, wie sie nach alter lieber Gewohnheit nach dem Spaldingschen Hause habe gehen wollen, um aus dem Fenster der Bedientenstube die zu dem Feste vorfahrenden Herrschaften und die Pracht der Toiletten zu bewundern. Auf dem Wege dahin, aber noch nahe bei ihrer Wohnung, sei sie von einem Kürassier-Offizier, dessen Pferd in scheuem Laufe dahergesprengt sei, übergeritten und von den Hufen am Kopfe verwundet. Der Schrecken habe sie besinnungslos gemacht und sie sei auf ihrem Bette erwacht.
»Kannte man Dich denn,« fragte Margarete die alte Frau, »daß man Dich hierher trug?«
»Wie sollte man nicht,« erwiderte sie stolz, » Ihre Amme, die Lisbeth, kennt jedermann. Der Offizier freilich, der kannte mich nicht; aber der Herr ist erst seit acht Tagen mit dem Regimente hierher gekommen und da konnte er's noch nicht wissen. Eben geht er fort; er ist schon zum zweiten Male hier gewesen seit heute nachmittag. Er wollte mir durchaus Geld geben; aber ich hab's nicht genommen, schlechterdings nicht. Ich sagte ihm gleich: Sie wissen wohl nicht, bei wem ich gedient habe, nun, und wer bei meiner Herrschaft brav gewesen ist, der hat kein Almosen nötig, und ich bin Fräulein Margarete ihre Amme gewesen. Da war er ordentlich betrübt, daß ich das Geld nicht nehmen wollte. Es war ein gar schöner und lieber Herr, das muß man sagen, so leutselig und freundlich und so schön und vornehm, just als wenn er zu Ihnen gehörte.«
»Nun, Lisbeth, ich sehe schon, es geht besser,« scherzte Margarete, »deshalb will ich für heute gehen, morgen komme ich wieder. Schlaf wohl, ich werde Sorge tragen, daß es an nichts fehlt –und nicht wahr,« wandte sie sich an den Arzt, »Sie sehen morgen in aller Frühe nach, wie es steht?«
Der Arzt verbeugte sich. »Es wird an meiner Hilfe nicht fehlen,« sagte er, das junge Mädchen zur Thür geleitend, »und wenn der Beinbruch die gute Frau auch längere Zeit an das Lager fesselt, so ist doch nichts eben Bedenkliches dabei.«
Margarete schied beruhigt. Als sie die Treppe herunter kam, stand der junge Offizier noch auf dem Flur und sie bemerkte erst jetzt seine schöne kräftige Gestalt. Als sie unter die Hausthür trat, sah sie zu ihrem Schrecken, daß der Wagen, dem sie vergessen, den Befehl zum Warten zu geben, sich entfernt hatte. Verlegen zog das junge Mädchen sich wieder zurück, in ihrer Balltoilette und bei so später Stunde konnte sie nicht allein gehen, ob es gleich heller Mondschein war. Sie trat in die Parterrewohnung, wo eine Matrosenfrau wohnte und befahl ihr, einen Wagen zu holen, und während diese davoneilte, blieb Margarete in dem Stübchen allein. Ihr Blick fiel in den kleinen Spiegel, der über der altfränkischen Kommode hing, und sie bemerkte jetzt, daß die Rose in ihrem Haar fehlte. Suchend sah sie auf dem Fußboden umher, doch sie fand sie nicht, sie mußte sie früher verloren haben, obwohl sie sich erinnerte, daß sie dieselbe noch in den Locken gefühlt, als sie eben in Lisbeths Zimmer den Schleier darüber geworfen. Die Sache war indes zu unbedeutend, zudem hörte sie den Wagen vorfahren und trat hinaus, denn es war die höchste Zeit zurückzukehren. Der Offizier stand noch immer auf dem Flur, und als Margarete der Pforte zuschritt, eilte er voran und der dienstfertigen Matrosenfrau zuvorkommend, öffnete er ehrerbietig die Thür des Wagens. Margarete neigte dankend das Haupt, doch indem der Offizier die Thür schließen wollte, trat rasch von der andern Seite der junge Gumbly herbei, legte die Hand vertraulich auf den Wagenschlag und nötigte den Kutscher noch zu halten.
»Fräulein Margarete!« rief er mit erkünstelter Überraschung, »wie kommen Sie hierher in so später Stunde und so allein oder vielmehr in so unerwarteter Gesellschaft?« flüsterte er mit Beziehung auf den jungen Offizier, der sich wieder zurückgezogen hatte. »Der Herr wird doch nicht die Absicht haben, Sie allein fahren zu lassen, sonst gestatten Sie mir, Sie zu begleiten. Ein junges Mädchen allein und bei nächtlicher Weile setzt sich gar leicht Gefahren und Mißdeutungen aus«
Die Röte des Unwillens war auf Margaretens Wangen getreten, aber sie ließ ihn ruhig ausreden. Sie wußte, sobald sie ihn sah, daß er ihr gefolgt war, und sein unwürdiger Verdacht, seine Anmaßung entrüstete sie. »Ich danke Ihnen,« sagte sie ruhig, »das eine fürchte ich nicht, das andere verachte ich; Mißdeutungen setzt man sich nur bei unedlen Menschen aus. Da ich jedoch vermute, daß Sie irgend ein dringender Grund meinem Hause entführt und Sie gerade in diese Straße gebracht hat, so bitte ich, daß Sie ungestört Ihrem Geschäfte oder was Sie sonst hergeführt, nachgehen wollen. Ihre Begleitung an diesem Abend würde mir das unangenehme Gefühl verursachen, Sie durch mein unerwartetes Begegnen hier zu einer Pflicht der Etikette gezwungen zu haben, an deren Erfüllung mir nichts liegt.« Sie grüßte ihn kalt, und bei dieser Bewegung bemerkte er, daß sie die Rose nicht mehr im Haar trug. Sein eifersüchtiges Auge entdeckte das gleich und er wollte ihr zeigen, daß er es bemerkt habe.
»Wissen Sie auch, daß Sie Ihren Haarschmuck verloren haben, Margarete?« flüsterte er in spöttisch bedauerndem Ton. Das war zu viel für ihren Stolz; mit welchem Recht durfte er von ihrem Thun und Lassen Rechenschaft fordern, wie es die Art und Weise that, mit der er sie heute beaufsichtigte.
»Nicht verloren,« sagte sie hochmütig, um ihn zu strafen, »er ist gut aufgehoben, aber ich ersuche Sie, nun endlich den Befehl zur Abfahrt zu geben, man wird mich vermissen und zudem ist es wirklich zu kühl für eine längere Unterhaltung.«
Gumbly preßte zornig die Lippen zusammen, doch er gehorchte und trat dann in den Schatten des Hauses zurück, um dem Wagen nachzusehen. Da stand noch eine Person, deren Blicke nach derselben Richtung starrten; Gumbly sah genauer hin, es war der Offizier, und in der Hand hielt er eine duftende Rose.
Ein herbstlicher Wind wehte durch die Lindenbäume, die vor dem stattlichen Hause standen, das Edmund Spalding bewohnte, und jagte die letzten Blätter derselben im Wirbeltanze gegen die Spiegelscheiben der hohen Fenster. Da drinnen war es behaglicher und in dem kleinen hübschen Salon, den die Herrin des Hauses bewohnte, brannte an dem trüben, windigen Tage ein helles, lustiges Kaminfeuer. In seinen wärmenden Schein hatte die junge Frau den Lehnsessel gezogen, in dem sie saß, und dann und wann mischte sie ein Wort in die Unterhaltung, die ihre Mutter, die Präsidentin von Gladebeck, mit einem Kürassier-Offizier pflog, der ihr gegenübersaß. Der junge Graf war ein weitläufiger Verwandter von ihr und erfreute sich ihrer besonderen Gunst. Sein Äußeres war allerdings wohl geeignet für ihn einzunehmen, und seine männliche Schönheit war eine nicht gewöhnliche. Weiches, dunkles Haar und ein glänzender Bart umrahmten ein jugendlich blühendes Gesicht, und zwischen den roten Lippen schimmerten, wenn er sprach, eine Reihe tadelloser Zähne hervor. Man konnte diese hohe Gestalt und diese edlen Züge nicht ohne Wohlgefallen ansehen, aber mehr als das alles nahmen die guten blauen Augen für ihn ein, die keck und freundlich unter der weißen Stirn hervorschauten.
»Abenteuer haben Sie gehabt?« rief die Präsidentin und erhob in ihrer Verwunderung ihre korpulente Gestalt zu halber Höhe aus dem weichen Fauteuil, der unter seiner Last ächzte. »Ach, da erzählen Sie doch, liebster Graf. Ein junger Mann wie Sie, der Held aller Salons, kann nun freilich kaum ein anderes als ein galantes Abenteuer erleben; mais n'importe, Klärchen ist jetzt eine Frau, erzählen Sie also immerhin.«
»Im Gegenteil, meine Gnädige, mein erstes Abenteuer war sogar ein sehr ungalantes,« versetzte der junge Mann lachend, »ich bestand es mit einer Frau aus den untern Klassen der Gesellschaft, und wenn ich Ihnen dabei leichtfertig erscheinen sollte, so schreiben Sie meine Heiterkeit nur dem Umstande zu, daß ich über den unerwartet guten Ausgang froh bin. Denn wenngleich die Folgen noch immer schlimm genug sind, um mich verstimmt und sorgenvoll zu machen, so hatte ich mich doch auf weit Schlimmeres gefaßt gemacht«
»Nun,« fragte die Präsidentin, neugierig gemacht, »fahren Sie fort,« und auch Klärchen wandte ein wenig ihren Stuhl dem Erzähler zu.
»Gestern nachmittag,« berichtete er weiter, »als ich von einem Spazierritt heimkomme, reite ich über den großen Platz, nahe der Kathedrale. Der Prachtbau fesselte meine Aufmerksamkeit und ich lasse den Gaul im langsamsten Schritt gehen. Da plötzlich schießt vor dem Tier ein Papierdrache nieder, ihm Augen und Schnauze streifend, und als ob der Blitz dreingefahren wäre, steigt der Gaul in die Höhe und rast davon. Ich kenne mein Tier ja seit zwei Jahren und ich habe es gewiß in der Gewalt; allein so unvorbereitet, brachte mich der gewaltige Satz doch aus der Fassung, um so mehr, da bei dem ersten Aufbäumen des Pferdes der gellende Schrei einer weiblichen Stimme ertönte. Der Gaul ging wie ein Ungewitter von dannen und erst am Ende der Brüderstraße brachte ich ihn zum Stehen. Ich hatte eine Frau niederstürzen sehen, soviel ich in der Schnelligkeit sehen konnte, als er mit mir durchging; aber ich konnte nicht wissen, ob der Schrecken oder das Pferd sie niedergeworfen. Nachdem es mir gelungen, endlich das zitternde Tier zu beruhigen, kehrte ich wieder um und leider bestätigten sich meine Befürchtungen. Eine Frau aus den niedern Volksklassen ward gerade von zwei Männern emporgehoben und, anscheinend besinnungslos und aus einer Stirnwunde blutend, fortgetragen. Wie mir dabei zu Mute war, kann ich Ihnen nicht sagen, obgleich ich ja durchaus vorwurfsfrei bei dieser traurigen Angelegenheit bin. Dennoch wurde ich von den Verwünschungen des Pöbels verfolgt und erst, als ich die Leute versicherte, daß alles für die Herstellung und Pflege der Frau geschehen würde, gelang es mir, ihre Wohnung zu erfahren. Ich brachte den Gaul nach Hause und begab mich dann zu der Alten, deren Stirnwunde, wie mir der alsbald herbeigerufene Arzt versicherte, nicht bedenklich war. Leider aber wird die Arme noch lange genug an das Bett gefesselt sein, da sie bei dem unglücklichen Falle das Bein, und noch dazu in der Hüfte gebrochen hat. Gestehen Sie mir zu, daß mein erster Ausritt ein höchst unglücklicher gewesen ist; ich war wenigstens ernstlich mißgestimmt gestern abend. Vergebens bot ich ihr Geld an; sie schlug es aus, sagte, sie sei Dienerin bei irgend einer reichen Familie gewesen, die sie nicht darben lasse, und so hatte ich nicht einmal die Genugthuung, etwas zur Linderung ihrer Schmerzen beitragen zu können. Die Frau wimmerte und redete indes so konfus, daß ich trotz der Versicherung des Arztes, ihr Leben sei nicht in Gefahr, mich einer Besorgnis nicht erwehren konnte, und nach zwei Stunden sah ich nochmal nach, ob sie mittlerweile zu sich selbst gekommen sei. –Und nun, meine Damen, geben Sie acht, nun kommt das zweite Abenteuer,« sagte der junge Mann, und seine Augen leuchteten freudig. »Als ich mich überzeugt hatte, daß das Unglück, das ich angerichtet, wenigstens kein unheilbares war, und einigermaßen zufrieden die Treppe hin abstieg, begegnete mir ein Mädchen –ein Mädchen, so schön und glanzumflossen, daß ich versucht wurde, es zu glauben, die Feen lebten noch und eine von ihnen sei, wie es früher geschehen sein soll, herniedergestiegen, am Bette der Armen Trost und Heilung zu bringen. Sie war nicht allein schön, sie war auch geschmückt wie eine Prinzessin aus ›Tausend und eine Nacht‹ und ein Märchentraum mußte es sein, der mich umfing; denn ich war auf der Stelle in den Kreis ihrer Bezauberung gezogen und konnte mich nicht rühren, nicht vom Fleck, bis sie endlich wieder erschien. Sie trat in das niedere Stübchen einer armen Frau, das sich unten im Hause befand, und schickte, wie ich nachher sah, nach einem Wagen. Vergebens war meine Frage, wer sie sei; die Frau rannte, dem Befehle Folge zu leisten und hörte mich nicht. Aber als der Wagen kam, und die Fee heraustrat, da faßte ich mir ein Herz und öffnete ihr den Wagenschlag, denn sie hatte keinen Diener. Und sie war gütig und dankte mir mit einer Kopfneigung. Als ich mich nach der Frau umsah die den Wagen geholt, hatte sich diese inzwischen zurückgezogen, und ich hätte die ganze Geschichte für einen Traum, für eine Erscheinung gehalten, wenn die Schöne mir nicht ein Zeichen hinterlassen hätte, daß es Wirklichkeit war, was ich sah.«
»Ein Zeichen hinterlassen?« fragte die Präsidentin gedehnt und neigte bedenklich das Haupt.
»Bezaubert sind Sie von der Märchenprinzessin!« lachte Klärchen dazwischen, »aber nun, lieber Vetter Paul, heraus damit, wie heißt sie, und wo ist der Talisman?«
»Den Talisman habe ich,« sagte der Graf, »und er ist zugleich der Name, der Ausdruck für ihre liebreizende Schönheit. Als sie in das Zimmer nahe dem Flur trat, um ihren Wagen zu erwarten, entfiel ihrem Haar eine schöne glühende Rose, und ich hob sie auf. Sie weiß es nicht, aber dieser Raub macht mir keine Gewissensbisse; dagegen weiß ich nicht ihren Namen. Ich wollte, als sie fort war und auch der häßliche, dienende Geist, der mich freilich nur zu sehr an die Mängel der Staubgeborenen erinnerte, verschwunden war, nicht in das Haus zurückkehren, um ihren Namen zu erfragen; eine junge und schöne Dame wird durch nichts leichter kompromittiert, als durch rücksichtslose, zur Schau getragene Huldigungen der Männer. Auch die Bewunderung muß eine diskrete sein. Von heute morgen hatte ich Dienst in der Kaserne bis jetzt, und ich konnte nur meinen Burschen schicken, um Erkundigungen über die Alte einzuziehen. Eben wollte ich zu ihr und, ich gestehe es, den Namen meiner Unbekannten gesprächsweise erforschen, als der freundliche Wink meiner verehrten Tante mir die erwünschte Gelegenheit gab, die Damen zu sehen. Denn das eine Mal, vor drei Tagen, als ich bei Ihrer Mama mit Ihnen zusammentraf, Klärchen, da habe ich wahrlich nichts von Ihnen gehabt, und von Ihren neuen Verhältnissen, Ihrer neuen Familie, dem Glück Ihrer Flitterwochen weiß ich so viel wie nichts.«
»Das sollen Sie alles zur Genüge erfahren,« scherzte Klärchen, »vielleicht zum Überdruß, wenn Sie mich auf das Kapitel von Liebe und Ehe bringen. Aber bleiben Sie doch noch, Paul, der Alten geht es ja wohl, und die Mama und ich wollen Ihnen raten helfen, wie die Fee heißen kann. Sagen Sie mir erst, wie heißt und wo wohnt die Sterbliche, die unter den Hufschlag Ihres Pferdes geworfen ist, dann kommen wir vielleicht weiter.«
»Die Frau heißt Ebermann und wohnt in einem großen Hause Kreuzstraße Nr. 5.«
Die junge Frau schlug die Hände zusammen. »Ich kenne die Fee und –Glücklicher, ich kann Sie selbst in die nächste Berührung mit ihr bringen, denn es kann niemand anders gewesen sein, als meine Schwägerin Margarete. In der Kreuzstraße ist das große Haus, das sie gestiftet. Frau Ebermann war ihre Amme und Margarete hält große Stücke auf sie. Auch eine Rose trug sie im Haar und –doch wozu noch weitere Beweisgründe, wer auch wollte so schnell, so voll Liebe und Bereitwilligkeit bei der Alten gewesen sein, als Margarete.«
»Und wer anders auch konnte eine solche Taktlosigkeit oder Anmaßung, man kann das bei ihr nicht gut unterscheiden, besitzen, eine große Gesellschaft in Stich zu lassen, um der Amme einen Besuch zu machen, als wiederum nur Margarete,« warf die Präsidentin spöttisch ein.
Die junge Frau wagte eine schüchterne Entgegnung: »Liebe Mama, Margaretens Entfernung ist ja von niemand bemerkt, bei Tische hat sie nicht gefehlt; es muß ein kurzer Augenblick gewesen sein, den sie für sich nahm, während sich alles nach der Tafel zerstreute. Sie ist so gut, sie folgt so leicht ihrem Herzen.«
»Klärchen,« sagte die Präsidentin und erhob ihre breite Gestalt zu möglicher Höhe, und ihr Ton klang besonders würdevoll, »ich habe nichts dagegen, wenn Du die Schwächen der Familie, der Du jetzt mit angehörst, so viel als thunlich bemäntelst; es ist klug, wohlerzogen, wie es eine Dame der Gesellschaft sein soll; allein mir gegenüber, da sind solche Anstrengungen unnötig, ich sehe leider hinter die Gardine. Ich habe die wenigen Tage, die Du erst hier bist, Dir nicht verleiden mögen, indem ich es beklagte, daß es einigen Mitgliedern Deiner neuen Familie, oder kurz gesagt, Margareten so oft an der notwendigen Bescheidenheit fehlt, die wenigstens wir beanspruchen können. Welcher Familie Du entstammst, scheint sie stündlich zu vergessen, wenn sie überhaupt erkannt hat, welche Opfer wir ihrem Bruder gebracht haben. Ich werde Dir erzählen, wie sie sich bei einem Diner auf ihrem Landhause benahm, welches sie gleich nach Deiner Abreise gab. Ich will nicht gerade sagen, daß der Aufwand ein größerer war, als gestern: was das anbetrifft, so hatte sie bei dem Feste, das sie Dir gab, das Mögliche gethan. Das Diner da draußen in Solbringen war zu Ehren zweier Bankiers, Großhändler oder was weiß ich, arrangiert, von denen der eine aus Amsterdam, der andere aus London war. Margarete, als ob sie eine Königin sei, präsidierte oben an der Tafel, rechts den Engländer, links den Holländer neben sich. Die Unterhaltung, wenigstens oben an der Tafel, wurde englisch geführt, um es dem Fremden ja bequem zu machen. Personen wie Dein Vater, wie General Oltorf, saßen unten am Tische, kaum, daß Margarete ab und zu einen huldvollen Blick hinabsandte; und nun kommt die Impertinenz, ich bitte Sie, lieber Graf, achten Sie auf. Als die Tafel aufgehoben ist, und mein Mann ihr seine Indignation über das Arrangement derselben merken läßt, drückt sie ihm freundlich die Hand, als ob sie nichts verstanden hätte und sagt: ›Ach, lieber Herr Präsident, Sie haben wohl recht, mich zu bedauern, die Etikette drückt wirklich, und doch konnte ich sie bei Personen von solcher Bedeutung, wie die heute waren, die mein Haus beehrten, nicht außer acht lassen. Ich hoffe, Sie haben sich einigermaßen unterhalten, und wenn der Edmund erst heimkommt, dann werfen wir mitunter das Lästige der Größe ab und haben kleine, trauliche Familiendiners, wo ich Ihre fröhliche, sorglose Margarete sein darf und allen angehören.‹ Haben Sie je eine solche Anmaßung gehört?!«
Der Graf lachte. » Viel Selbstgefühl ist es für ein junges Mädchen, aber wenn sie meint, daß an dem Tage die beiden Kaufherren, die sie zur Tafel hatte, obenan gehörten, so ist das von ihrem Standpunkte aus doch ganz in der Ordnung. Wenn Ihr Herr Gemahl einen Minister zu Tische hat, so wird er ihm gewiß den Ehrenplatz geben, und keine Skrupel wegen der etwa gegenwärtigen Kaufleute empfinden, die unten sitzen.«
Die Präsidentin zuckte verächtlich die Achseln. »Der Vergleich, lieber Graf, ist wohl nicht ganz gut gewählt. Aber wollte man auch annehmen, daß sie diesmal mir freilich doch unerklärliche Rücksichten zu nehmen gehabt hätte, so hat sie den klaren Hochmut ohne versüßende Zuthat doch auch bei andern Gelegenheiten blicken lassen. Er würde nur lächerlich sein, wenn er mitunter nicht unbequem würde.«
Die junge Frau warf einen bittenden Blick auf ihre Mutter; aber die Präsidentin hatte kein Auge dafür. Sie mußte ihrem Unwillen über die bürgerliche Anmaßung à tout prix Luft machen.
»Bei Gelegenheit von Klärchens Vermählung,« fuhr sie fort, »hielt es mein Mann für angemessen, Edmunds Vermögensverhältnisse mit ihr zu besprechen. Es ist schon etwas Anstößiges, daß ein junges, zartes Mädchen sich mit so trivialen Angelegenheiten befaßt; ein junges Mädchen sollte leben wie die Lilien auf dem Felde, sie sollte es nicht ahnen, welche Rolle das Geld, dieses schmutzigste aller Motive, die nachteiligste aller Versuchungen, bei so vielen Menschen spielt.«
Der Graf preßte die roten Lippen fest zusammen und es flog wie ein leiser Spott darüber hin; aber die Präsidentin merkte es nicht und fuhr fort:
»Margarete kennt das alles recht gut, sie setzt ihren Stolz darin, den Chef trotz des Weiberrocks weiter zu spielen und ließ es sich nicht nehmen, meinem Manne über alles selbst Rede zu stehen. Wir hatten uns im öffentlichen Leben viel gesehen und kannten uns; aber Gott allein weiß, welches Opfer wir brachten, indem wir unser teures Kind einem Manne zur Frau gaben –ja Klärchen, Du mußt das selbst empfinden –den seine Geburt doch auf eine andere Stufe gestellt hatte.«
Die junge Frau schüttelte verneinend das Haupt, aber sie wagte keine entschiedene Einrede.
»Edmunds Aufnahme in die Gladebecksche Familie mußte selbst Margarete freudig überraschen, und um einer Befangenheit von ihrer Seite, wie das ja bei einem so jungen Mädchen, das plötzlich zu einer der ersten Familien des Landes in verwandtschaftliche Beziehungen tritt, nur natürlich gewesen wäre, vorzubeugen, geht mein Mann zu ihr und begrüßt sie auf die wohlwollendste Weise, die ihm eigen ist. Was denken Sie –von Befangenheit keine Spur! Mein Mann leitet die Unterhaltung nun auf Edmunds Vermögen, auf die bedeutenden Kapitalien, die er noch im Geschäfte stecken hat und die sie freiwillig allerdings nicht auszuzahlen braucht. Er teilt ihr mit, wie wir gesonnen sind, das alte Stammgut der Familie für Klärchen wieder zu erwerben; er macht ihr klar, wie Edmund als Besitzer dieses Gutes und mit einer Gladebeck vermählt, selbst dadurch steigen würde, und wie es an der Zeit sei, den Gladebecks durch Klärchen jetzt wieder zu dem alten Glanze zu verhelfen. Was meinen Sie, bester Graf, was sie antwortet? Sie lächelt verbindlich und versichert meinem Mann, daß Edmunds Ansehen durchaus keiner Vermehrung bedürfe; der Name Spalding glänze in allen fünf Weltteilen, und minder deutlich, aber noch immer verständlich genug, drückt sie meinem Manne ihre Meinung aus, daß eine Verbindung mit einem Spalding hinreichend sei, um unserer Familie Glanz zu verleihen. –Haben Sie von einer ähnlichen Insolenz gehört? Und das Ende der Geschichte ist, daß Edmunds Kapitalien noch heute in ihrem Geschäfte stecken und daß die Zeit, wo unser Stammgut von dem letzten Besitzer zum Verkaufe ausgeboten wurde, vorüber ist, daß es bereits einen Käufer gefunden hat.« –– Die Präsidentin warf sich erschöpft in einen Lehnsessel und sah den Grafen fragend an.
»Sie hat allerdings für ein junges Mädchen viel Festigkeit, aber, liebe Tante, ich liebe den Stolz und das determinierte Wesen. Daß sie auf den lange bestandenen Ruhm ihrer Väter mit derselben Befriedigung blickt, wie wir auf Thaten unserer Ahnen, wer mag ihr das verdenken? Es ist doch im Grunde eine edle Gesinnung, und wenn es mir auch leid thut, daß Ihre Wünsche unerfüllt geblieben, so kann ich doch Fräulein Spaldings Beweggründe nicht mißbilligen.«
Die Präsidentin erhob sich. »Sie sind ein Mann, lieber Graf, und die hübschen Augen eines Mädchens verdrehen Ihnen den Kopf, wie allen übrigen voilà tout. Aber ich muß gehen, Klärchen, ich habe noch Besuche zu machen, wirst Du heute abend zu Hause sein?«
»Ja, liebe Mama, Margarete ließ mir sagen, sie würde heute abend den Thee bei mir einnehmen,« entgegnete die junge Frau ein wenig ängstlich.
»Nun, dann erwarte mich nicht, Kind,« sagte die Präsidentin. »Sie bleiben noch, lieber Graf, auf baldiges Wiedersehen denn, adieu, Kinder, adieu!«
Klärchen atmete erleichtert auf, als die Thür sich hinter der Dame schloß und das letzte Rauschen ihres seidenen Kleides verstummt war. »Sie glauben nicht,« sagte sie betrübt, »in welche unangenehme Konflikte mich das Vorurteil meiner Eltern gegen Margarete bringt.«
»Und Sie,« fragte der Graf, »was denken Sie von Ihrer Schwägerin?«
»Sie ist gut und lieb,« antwortete sie innig, »und ich bin ihr von Herzen zugethan. Sie hat mich wie eine wahre Schwester aufgenommen, sie zeigt mir nie weder Anmaßung und Kälte, noch Hochmut. Sie sorgt mit Umsicht und in der großmütigsten Weise für Edmunds Vermögen, und ist sie meinem Vater schroff gegenübergetreten, so hat sie dagegen mir auf das liebevollste auseinandergesetzt, daß ihr Beschluß selbst für Edmund das Beste und Weiseste sei. Sie ist stolz, aber mir erscheint ihr Stolz in einem ganz andern Lichte wie den Eltern, und es thut mir weh, daß ich gerade Personen, die mir so nahe stehen, nicht gegenseitig von ihrem Werte überzeugen kann.«
»Sie sind noch sanft und liebreich, Klärchen, wie in der Kinderzeit, als wir in B... zusammen spielten,« sagte der junge Offizier und küßte ihre Hand. »Ich danke Ihnen dafür, es hätte mir wehe gethan, wenn auch Sie Hand angelegt hätten, um das schöne Bild von ihr zu zerstören, das ich mir seit dem flüchtigen Begegnen geschaffen. Aber nun thun Sie auch mehr für mich, lassen Sie mich heute abend ein Plätzchen an Ihrem Theetische finden und lassen Sie mich dieses wunderbare Wesen in der Nähe schauen.«
»Gern,« erwiderte Klärchen, »aber eins versprechen Sie mir, Paul, bewundern Sie, aber hüten Sie sich vor der Liebe –sie wäre eine unbelohnte.«
Des Grafen Wangen färbten sich ein wenig dunkler, aber er lächelte. »Ist ihr Herz schon einem Glücklichen gegeben?« fragte er.
»Ich weiß es nicht,« antwortete Klärchen, »aber ich denke oft, die stärksten Gefühle ihres Herzens gehören dem Geschäfte, nun Edmund sich zurückgezogen hat, und ich glaube, sie würde demselben andere Neigungen opfern. Man hält es allgemein für unwahrscheinlich, daß sie einem anderen, als einem Kaufmann ihre Hand reicht; für unmöglich, daß der Glückliche dem Militärstande angehört, denn sie hat ihre Abneigung gegen denselben zu oft ausgesprochen. Und ein größeres Hindernis als ihre Abneigung würde der Umstand sein, daß sie als Gattin eines Soldaten oder königlichen Beamten schwerlich der Chef ihres Handlungshauses bleiben könnte. Und nehmen Sie ihr das, dann nehmen Sie ihr die Luft, in der sie lebt, den eigentlichen Boden, auf dem sie gedeiht.«
Der Graf lachte. »Die Frauen sind doch alle gleich, kaum sprechen wir unsere Anerkennung über irgend ein schönes Mädchen aus, so sind sie gleich bereit mit Priester und Altar. Und übrigens, ich fürchte mich nicht, mich zu verlieben; die Liebe ist ein mächtig Ding, noch mächtiger als der Glaube, der Berge versetzen kann. Man lehrt uns ja, daß die Liebe eine Welt erlöst hat, wie sollte sie nicht ein Menschenherz von Vorurteilen befreien? Machen Sie sich keine Sorgen meinethalben und lassen Sie mich getrost kommen. Ihre Schwägerin ist ein schönes Mädchen, aber ich habe noch nicht den Kopf verloren.«
»Nun denn, auf heute abend,« sagte Klärchen und legte freundlich ihre Hand in die seinige, die er ihr zum Abschied reichte, »auf heute zum Thee, Paul, und auf morgen zur Beichte.«
Der Winter war vorüber, schon schritt der Frühling durch den Wald und die alte Lisbeth lag noch immer in ihrem Stübchen. Sonst völlig hergestellt, war doch eine Lähmung in ihrem Beine zurückgeblieben, die sie am Gehen, oft am Sitzen hinderte und die schmerzlichen, ungeduldigen Thränen der früher so rührigen Frau fielen fast wie ein Vorwurf in des Grafen Herz. Er besuchte sie fleißig und wußte ihr die einsamen Stunden durch manche kleine Freude oder Überraschung zu kürzen. Auch Margarete blieb nicht aus, sie trieb die dankbare Anhänglichkeit, die sie aus der Kinderzeit bewahrt hatte, zu der treuen Pflegerin, und auch sie ließ es nicht fehlen an Gaben und Zeichen der Teilnahme. Ihre Wohnung, mit einem freundlichen Gärtchen umgeben, war wohl lustig und nett, aber der Arzt hatte doch gemeint, wenn sie den Sommer ganz entfernt von der Stadt auf dem Lande zubringen könne, so würde ihr das zuträglich sein und sie stärken. Margarete war derselben Meinung; »sie soll hinaus nach Solbringen,« sagte sie, »aber es soll ihr niemand den Beschluß mitteilen, bis ich selbst Zeit finde, hinzugehen. Ich kenne die alte Person; früher hat sie mich verzogen, jetzt habe ich sie verwöhnt, und wenn ich ihr nicht dabei sage, daß ich wenigstens zweimal wöchentlich hinausfahren werde, daß ich später auf einige Wochen ganz hinkomme, so weint und jammert sie, statt sich zu freuen. Und heute kann ich nicht zu ihr gehen, es ist schon spät und ich habe noch nicht an meine Toilette gedacht.«
»Wieso?« fragte Madame Wytt verwundert, »hast Du etwas vor?«
»O, Tante!« lachte Margarete, »Du vergißt es doch regelmäßig, wenn Edmund eine Gesellschaft giebt, ich glaube, Du zwingst Dich ordentlich dazu. Und heute noch dazu ist es ein Ball, und Laura und ich haben mehrmals davon geredet.«
»So?« fragte Madame Wytt gähnend. »In der That, ich habe es gehört; aber ich gestehe, daß ich etwas vergeßlich war. Edmunds Gesellschaften hinterlassen so wenig Eindruck bei mir, erwecken so wenig Wünsche nach Wiederholungen, daß man eben nicht eher daran denkt, als bis es die höchste Zeit dazu ist. Ich habe nichts dagegen, daß seine Säle gefüllt sind mit goldgestickten Uniformen und hohen Beamten; ich mag das sogar leiden, es nimmt sich gut aus bei dem schimmernden Kerzenlicht. Aber der Kern der Gesellschaft, das Hauptelement, die Kaufmannschaft, ist denn doch zu wenig vertreten, als daß man sich ganz behaglich fühlen könnte; nur Staffage –das ist nicht mein Geschmack. Bei uns ist das besser arrangiert, da ist jeder an seinem Platze und weiß, weshalb er eingeladen ist.«
Margarete errötete. »Alle meine Freunde sind bei mir eingeladen zu demselben Zweck,« erwiderte sie unmutig, »um sich zu amüsieren und mich durch ihre Gegenwart zu erfreuen. Ich lade niemand ein, um als Staffage zu dienen, gewiß nicht, denn ich weiß den Stand von der Person zu trennen, und deshalb ist mir auch Klärchen teuer. Du aber, Tante, sei nicht böse, aber ich muß es sagen, Du bist nicht gerecht in diesem Punkte, und Du verdammst den Menschen, weil Dir das Kleid nicht gefällt.«
Madame Wytt sah sich in dem Zimmer um, ob niemand zugegen war und drohte dann lächelnd mit dem Finger. »Da lief das Herz mit Dir davon, Margarete! Hab acht, nicht alle sind so vergeßlich wie die alte Tante.«
Margarete erglühte und fiel schmeichelnd der mütterlichen Freundin um den Hals. Madame Wytt schwieg, sie hielt es für besser, dies unangenehme Kapitel gar nicht zu besprechen; denn es war ja eine Thorheit. Sie richtete ihren Kopf in die Höhe. »Nun komm,« sagte sie, »und laß Anstalten treffen, wenn Du wirklich noch nichts auf heute abend bestimmt hast: es ist noch Zeit, alles aufs beste zu bedenken, und ich will, daß mein Kind schön sei heute abend.«
Margarete ging in ihre Gemächer und auch Madame Wytt zog sich zurück; die alte Dame sah sorgenvoll aus. »Wann wird Margarete vernünftig werden? Wann wird sie einen Gatten, das Geschäft einen Prinzipal haben?« seufzte sie.
Es war wenige Stunden später, als Laura in das dämmernde Zimmer trat, in dem die Familie sich zu versammeln pflegte. Sie war fertig angekleidet zum Balle, und der geschmackvolle Putz, den sie Margaretens freigebiger sorgender Hand verdankte, stand so gut. Die glühenden Kamelien in dem nächtlichen Haar paßten vortrefflich zu ihrem brünetten, sammetartigen Teint, und das luftige, weiße Ballkleid ließ schöne, volle Arme und einen herrlichen Nacken sehen. Sie war an eines der hohen Fenster getreten und ihr Blick mühte sich ab, die Gegenstände da draußen noch zu erkennen, die allgemach in der Dunkelheit verschwommen, als eine leichte Hand sich auf ihren Arm legte.
Das junge Mädchen sah sich um. »Gumbly!« rief sie überrascht und leise, ohne jedoch ihren Arm seiner vertraulichen Berührung zu entziehen, »wie kommen Sie hierher, so ohne alle Anmeldung, so unhörbar?«
»Gemeldet bin ich Madame Wytt,« sagte er, »ich hatte mir vorgestern die Ehre erbeten, falls sie zu Edmund hingehen würde, der Führer der Damen zu sein. Ich bin um ein halb Stündchen zu früh gekommen und der glückliche Zufall führt auch Sie hierher. Madame Wytt ließ mir sagen, ich möge in dem Salon sie erwarten und Sie dürfen mir daher keinenfalls die Thür mehr weisen.«
»Das will ich auch nicht,« sagte sie und klingelte nach Licht. »Bald wird auch Margarete erscheinen.«
»Wissen Sie schon, daß das Manöver gelungen ist?« fragte Gumbly in gedämpftem Tone; »General Dalvenau ist vorgestern angekommen und wird seinen Neffen schon in die Kur genommen haben.«
»Wirklich?« rief Laura und eine wenig verhehlte Freude blitzte aus den schwarzen Augen. »Ich wußte es nicht bis jetzt, denn Dalvenau war gestern und heute nicht bei uns.«
»Sollte denn das Mittel so schnell gewirkt haben?« fragte er.
Sie zuckte die Achseln. »Das bezweifle ich; vor wenig Stunden noch brachte er Schneeglöckchen aus der Lisbeth ihrem Garten, die sie dem Fräulein zum Balle schickte. Margarete und ich waren ausgefahren, aber sobald sie die Bestellung vernahm, hatte sie nichts Eiligeres zu thun, als den längst gewählten Schmuck beiseite zu legen, die Schneeglöckchen statt aller andern Coiffure zu nehmen und ihr Kleid mit ähnlichen Blumen zu schmücken. Es heißt natürlich, es geschehe der alten Lisbeth zu Gefallen und zu Ehren –es mag sein, ich glaube, es geschieht Dalvenau zu Liebe.«
Gumbly biß sich auf die Lippen. »Nun, dem alten Dalvenau ist gehörig eingeheizt; man hat mich versichert, er würde den Neffen unbedenklich enterben, wenn er es wagte, eine Bürgerliche heimzuführen. Und sollte er dennoch schwach werden können, wie die Komödienväter, so hat Ihr kluger Rat mich in den Stand gesetzt, auch dieses Hindernis zu bewältigen, wenn sich mein Stolz auch dagegen sträubt, einen Makel, selbst in den Augen dieses alten Narren, auf meiner Zukünftigen haften zu sehen.«
Laura sah ihn groß an. »Mein Rat? Bitte, Gumbly, sagen Sie das nicht, Sie wissen, wie ich dagegen war, wie ich Ihnen die Sache vortrug als einen kindischen Einfall, der mir kam, als ich an Ihr und noch mehr an Margaretens Glück dachte. Gott weiß, wie ich erschrak, als Sie den Gedanken aufgriffen und verfolgten. Ich bin so jung, wie kann ich wissen, was gut und dienlich ist? Deshalb auch tragen Sie die Folgen, wenn etwas Nachteiliges daraus entstehen könnte. Ich habe allerdings gesagt, als die gegenseitige Neigung Dalvenaus und Margaretens so augenscheinlich wuchs, daß mir bange sei, einer von beiden möge seine Vorurteile aufgeben, deshalb sei kein anderes Mittel, als den alten Onkel aufmerksam zu machen. Ich habe ferner gesagt, man müßte ihm zum Schein, aber nur zum Schein Margaretens Ruf ein wenig verdächtigen, damit seine Einwilligung unerreichbar würde, und Dankbarkeit und verletzter Stolz Margarete dann in Ihre Arme und zu raschem Ziele führe. Aber ich habe es Ihrer Überzeugung, Ihrem freien Willen anheim gegeben, ob es gut und recht, und ausführbar sei. Ein so erfahrener Mann mit einem Herzen voll Liebe wird in solchem Falle für sein und der Geliebten Glück am richtigsten entscheiden.«
»Nun, ich habe ja entschieden,« unterbrach Gumbly ihren Redefluß, »und ich danke Ihnen ja nur, daß Sie mir den gescheiten Einfall mitteilten.«
Laura schien verdrießlich, es war, als wolle sie durchaus von einer Mitwissenschaft an dem gefährlichen Spiele sich frei gesprochen sehen. »Was haben Sie denn eigentlich geschrieben?« fragte sie.
»O, sehr vorsichtig, nur andeutungsweise,« antwortete Gumbly, »ich werde Ihnen morgen das Konzept bringen. Ich habe ihre kleinen Notizen benutzt, und indem ich dem alten General gehörig auseinandergesetzt habe, welche Thorheit sein Neffe im Begriff steht zu begehen, wie unpassend die Verbindung eines Grafen Dalvenau mit dem hübschen Bürgerkinde sei, habe ich hinzugefügt, was Sie selbst mir ja zu benutzen rieten, daß es nun überdies dem bürgerlichen Namen der zukünftigen Gräfin Nichte an der Makellosigkeit und Ehrbarkeit fehle, die sonst diesem Stande eigen zu sein pflegt. Ich habe einfließen lassen, daß Margarete den Zwang haßt und daß sie sich der Fesseln der Konvenienz ab und an zu entledigen sucht, wenn sie in dem Hause, das sie der Armut gebaut, ihre Anbeter und darunter namentlich Dalvenau empfängt.«
Ein Blitz triumphierender Freude flog über Lauras Züge; aber sie wußte sich zu beherrschen. »Ach, Gumbly, was haben Sie gewagt? Gott gebe seinen Segen dazu! Ich bin wirklich bekümmert und besorgt und mein einziger Trost ist, daß Sie Margaretens guten Namen als ihr zukünftiger Gatte werden zu schützen wissen.«
Er richtete sich entschlossen auf. »Kein Hauch soll ihn trüben, die Verleumdung selbst soll erbleichen vor ihrer Reinheit. Und was will Ihnen außerdem Sorge machen? Der Beweis, daß Margaretens und Dalvenaus Zusammentreffen bei der Frau Ebermann ein zufälliges war, wird ihnen sehr schwer zu führen werden, und so fest wir beide auch davon überzeugt sind, wir werden nicht zu ihrer Verteidigung auftreten.«
»Doch,« sagte sie, »Gumbly, ich müßte das, wenn man mich aufforderte; denn ich weiß besser wie jeder andere, wie streng Margarete die Grenzen des Anstandes, der äußersten weiblichen Zurückhaltung aufrecht zu erhalten bemüht ist. Sie meidet auch den bösen Schein; sie sieht das besonders, seit sie eine so eigentümliche Stellung in der Welt einnimmt, nicht allein als eine Pflicht für sich selbst an, sondern auch für den Namen, den sie gelobte würdig zu vertreten.«
»Ja, sie ist ein herrliches Geschöpf!« rief der junge Mann begeistert.
Laura warf die Lippen auf wie im Unmut. »Lassen Sie mich doch ausreden, Gumbly. Ich also dürfte bei einer Anklage nicht stillschweigen, um so mehr, da Margarete, ganz unbefangen, sowohl der Tante als Klärchen erzählt hat, daß sie Dalvenau dort zweimal getroffen. Ich muß durchaus aus dem Spiele bleiben; denn wenn Sie zum Lohn für meine Hilfe mich in unangenehme Situationen bringen, so werde ich mich zurückziehen.«
»Teuerste,« rief Gumbly bestürzt, »das werden Sie nicht, was sollte aus mir werden?! Mein Dank wird immer ein stummer bleiben, nur sagen Sie mir, was muß denn geschehen, wenn Sie sich berufen glauben, Margaretens Ruf zu verteidigen, nachdem Sie mir erst rieten, ihn ein wenig anzugreifen?«
Sie sah ihn forschend an. »Meine Verteidigung muß nutzlos werden, indem die Sache zum Eclat gebracht wird, Margarete muß überrascht werden bei einer neuen Zusammenkunft, oder sie muß sonst etwas begehen, was der General nicht entschuldigt. Das muß noch während seiner Anwesenheit geschehen, also bald. Aber es will überlegt sein.«
Da steckte Margarete den Kopf zur Thür hinein. »Gumbly? Ei, guten Abend, wie pünktlich Sie sind! Und Laura, wie reizend Du heute abend bist! Ein wenig anders möchte ich Dir die Blumen arrangieren, soll ich?«
»Ich habe keine Nadel hier,« sagte Laura, »und ich glaube, die Tante kommt schon die Treppe herab, da möchte es zu spät werden.«
Margarete zog eine funkelnde Demantnadel aus ihren Locken und befestigte sie zwischen den Blumen in Lauras dunklem Haar.
»O, nicht doch!« rief diese, »was thust Du, Margarete, die kostbare Nadel?«
»Laß mich doch,« entgegnete das schöne Mädchen, »mir fehlt sie nicht, ich trage den Schmuck des Frühlings an mir, zu Deinen prächtigen Blumen paßt sie besser.«
Laura sah sie mit einem eigentümlichen Blick an, ihre Seele malte sich darin, glühende Eifersucht, bittere Qual. Wie beneidete sie Margareten den Frühlingsschmuck, den sie am Haar und vor der Brust trug, wie viel leuchtende Demanten hätte sie um ein einziges dieser Blümlein gegeben, wenn sie ihr, wie Margareten, Grüße und Worte der Liebe zugeflüstert hätten. Aber die Blüten wurden welk über Nacht, –eine Nacht konnte auch den Frühling in Margaretens Herzen zernichten und die Nacht sollte kommen, mußte kommen, Laura haßte den Sonnenschein, Dalvenau war artig gegen sie, aber er liebte Margarete. O, sie hatte alles, diese beneidete Nebenbuhlerin, Glanz und Reichtum, Jugend und Schönheit, die Liebe so vieler Herzen; warum ließ sie ihr nicht dies eine. Laura betrachtete es als ein Unrecht, als einen Raub an ihrem eigenen Glück, sie vergaß die vielen Wohlthaten, die sie täglich durch Margaretens großmütige Freundschaft genoß, ihre Dankbarkeit verwandelte sich in bitteren Haß, und konnte sie denn niemals Dalvenaus Liebe erringen, so durfte auch Margarete sie nicht besitzen. Der Gedanke, die Liebenden jemals vereinigt zu sehen, vielleicht Zeugin ihres Glückes sein zu müssen, verursachte ihr eine Pein, die sie dem Wahnsinn nahe brachte. Und darum hatte sie Gumbly benutzt und ihn vermocht, den alten General Dalvenau auf anonyme Weise von der Liebe seines Neffen zu unterrichten.
»Ich danke Dir,« sagte sie endlich, sich bezwingend und bot Margareten einen Kuß, »Du beschämst, Du überschüttest mich mit Liebesgaben; ich glaube, Du kannst nur beglücken.«
Gumbly seufzte. »Sie können auch wehe thun,« sagte er leise.
»Aber ich will es nie,« beteuerte Margarete, »ich bitte Sie, Gumbly, halten Sie mir nur heute abend mein Sündenregister nicht vor, ich bin so froh, so froh.«
Da trat Madame Wytt ein. »Guten Abend, Gumbly, nun, Kinder, seid Ihr fertig?« fragte sie und ihr Blick blieb wohlgefällig auf Margareten haften, die anzuschauen war wie der Lenz, so frisch, so schön, so hoffnungsreich. Die jungen Mädchen folgten der alten Dame, die an Gumblys Arm vorausschritt, und nach wenigen Minuten traten sie in Edmunds glänzenden Ballsaal. Der Tanz hatte schon begonnen, aber Graf Dalvenau war unter den Zuschauern. Seine glückstrahlenden Blicke ruhten auf der Geliebten, die ihm schöner erschien als je, und er war so ganz in Anspruch genommen von ihrer Erscheinung, daß er die Frage überhörte, die ein alter grauköpfiger General, der neben ihm stand, an ihn richtete. Margarete jedoch bemerkte es, wie des Fremden Augen prüfend auf ihr ruhten, sie fühlte, daß die Frage sie betraf, und der Blick des alten Offiziers, sie wußte nicht warum, berührte sie unangenehm. Einige Augenblicke später aber trat sie mit Dalvenau unter die Tanzenden und der flüchtige unbehagliche Eindruck erlosch vor der Gegenwart des geliebten Mannes.
»Wie schön schmücken Sie Lisbeths bescheidene Frühlingsblumen,« flüsterte er und drückte leise ihre Hand. »Sie geben der Alten so viel Liebe! –Ich habe die Blümchen alle gepflückt in ihrem Garten; sagen Sie mir, Margarete, daß Sie auch mich erfreuen wollten, als Sie die Blumen in das Haar steckten.«
Sie errötete. »Ich that es, weil ich die Schneeglöckchen liebe als Boten des Frühlings, sie dünken mich schöner als all mein Schmuck, aber ich weiß gewiß nicht, ob ich zugleich daran dachte, Ihnen eine Freude zu machen, ich glaube, ich war selbstsüchtig genug, nur an mich zu denken.«
»Sie sind nicht selbstsüchtig,« sagte er, »Sie beschäftigen sich ja fortwährend mit dem Glück anderer. Mein Glück freilich –ja, das ruht noch immer in Ihren Händen, Margarete –wann soll ich es empfangen?«
»Glück?« erwiderte sie leise. »Haben Sie denn erkannt, was das Ihrige ist?«
»Ihre Liebe,« antwortete er rasch in tiefem, innigem Tone, »Ihre Liebe, o Margarete, Sie wissen es. Ich habe Ihnen mein ganzes Herz voll Glück und Qual gezeigt und Sie haben geschwiegen; aber wenn ich auch nicht Ihrer wert bin, und wer wäre es ganz, so machen Sie mich wenigstens nicht mutlos, sagen Sie mir, daß ich einst diese Liebe erringen kann. Zeigen Sie mir das Morgenrot, und ich will in dankbarer Geduld die Sonne erwarten. O, und wenn ich es je hörte, dieses Wort, diese Zauberformel, die das Paradies verschließt, wenn Sie es mir sagten.«
»Ich liebe Sie,« flüsterte das schöne Mädchen, und sie schlug die leuchtenden Augen zu ihm auf.
Der junge Mann erbleichte in plötzlicher Freude und er preßte Margaretens Hand mit so krampfhaftem Druck, daß sie gewaltsam einen Schrei unterdrückte. »Ist es wahr?« flüsterte er hastig, »ist es wirklich wahr? Nur jetzt Wahrheit, nur jetzt, sonst bin ich verloren, denn wer das Wort hörte, vergißt es nicht mehr.«
»Ich liebe Dich,« flüsterte sie noch einmal und jetzt zog die glückliche Gewißheit mit überzeugender Gewalt in sein Herz.
Er wollte etwas erwidern, aber der Tanz war zu Ende und es traten mehrere Personen an sie heran, Margarete zu begrüßen. Während sie mühsam ihre Gedanken sammelte, um auf die Fragen und Bemerkungen zu antworten, die man an sie richtete, und Graf Dalvenau einige Schritte von ihr entfernt stand, kam zu diesem der alte General, der vorhin Margarete so scharf fixiert hatte.
»Wer war die Dame, mit der Du tanztest?« fragte er, obgleich er sich längst unterrichtet hatte.
»Das war sie,« entgegnete Dalvenau aufgeregt.
»Wer –sie?« fragte der General, »bedenke, daß ich hier unbekannt bin.«
»O, Margarete, das heißt Fräulein Spalding,« antwortete Graf Dalvenau mit einiger Verlegenheit.
»Und Du denkst, das müßte ich wissen?« sagte der alte Herr ironisch. »Ich versichere Dich, ich habe, seit ich Dir gestern in betreff ihrer meine freundliche Warnung und Meinung sagte, nicht wieder an sie gedacht, denn Du weißt, so etwas sage ich einmal ernstlich und dann ist's genug. Ich hatte es rein vergessen, daß sie die Schwester des Hausherrn ist, sie ist hübsch, die junge Person, sie fiel mir auf, ihr Haar ist wie lauteres Gold.«
»Ihr Herz auch,« rief Graf Dalvenau feurig.
»Und ihr Ruf nicht,« entgegnete der Alte trocken und wandte sich um.
Dalvenau sah dem Alten betroffen nach; aber das war ja unmöglich, ja dieser Zornausbruch seines Oheims war fast lächerlich. Wie weit war er indessen, was den alten Herrn anbetraf, noch von seinem Ziele; diese neue Äußerung häufte neue Schwierigkeiten. Er war wohl einen Augenblick nachdenkend, aber nicht verstimmt; was konnte ihn noch kümmern, da sie ihn liebte. Er suchte Margarete wieder auf, ihre Blicke begegneten sich und sein Herz wiederholte ihm wieder die Worte, die Zauberformel, wie er sie nannte, die sein Paradies erschlossen. Aber so sehnsüchtig er einen ungestörten Augenblick herbeiwünschte, so gelang ihm erst nach Verlauf mehrerer Stunden, mit Margareten ein unbelauschtes Gespräch zu haben. Es war so süß, seinen Liebesbeteuerungen zu lauschen, sie wurde nicht müde, ihm zuzuhören und ihn anzusehen. Aber plötzlich errötete sie bis an die Schläfen, und diesmal war es nicht die Schüchternheit der Liebe, die ihr das Blut in die Wangen trieb. Dalvenau folgte ihrem Blicke und bemerkte seinen Oheim, der seine Augen mit spöttischem Ausdruck auf sie richtete. »Was ist Ihnen?« fragte er so besorgt, »Sie sind so bestürzt.«
»Nicht gerade das,« entgegnete sie, »aber der Herr da drüben an dem Pfeiler setzt mich durch seine forschenden Blicke in Verlegenheit. Er kann unser Gespräch unmöglich belauscht haben, doch ich glaube, er hat es erraten, wer mag er sein?«
»Es ist mein Onkel,« erwiderte Dalvenau mit einem Anflug Don Verwirrung, »alte Leute sind oft ein wenig neugierig, entschuldigen Sie ihn.«
»Ihr Onkel!« rief sie freudig überrascht, »ei, da stellen Sie mir den alten Herrn vor; ich wußte gar nicht, daß er hier sei. Aber nun muß ich ihn doch kennen lernen, er soll mir ja gut werden, wie Ihnen. Ich weiß, welche Sensation meine Verlobung erregen wird, ich weiß, wie man in meiner eigentümlichen Stellung diesen Schritt beurteilen, vielleicht bekritteln wird, aber die Liebe wirft alle Vorurteile zu Boden, sie macht stolz, mutig und frei, und ehe die Welt sie kritisiert, soll Ihr Onkel sie segnen.«
»Wie stolz sind Sie und doch wie liebreich; wie mutig und doch wie mädchenhaft fromm! Haben Sie Dank für so viel Schätze Ihres Herzens, die nun mein sein sollen, aber noch brauchen wir nicht den Mut, oder wir brauchen ihn, aber in anderem Sinne. Unser Verständnis, unsere Verlobung muß noch geheim bleiben, Margarete, vielleicht noch lange,« sagte er betrübt, »und besonders vor dem Onkel.«
»Aber warum?« fragte sie verwundert.
»In meinem Regimente dienen nur Adlige und man giebt nicht leicht einen Heiratskonsens mit einer Bürgerlichen. Ich weiß, daß Ihr Vater vor Jahren die Erhebung in den Adelstand abgelehnt; damals hat der König selbst ihn dadurch auszeichnen wollen und es ist also anzunehmen, daß man seiner Tochter die Verbindung mit einem Adligen nicht weigern wird. Aber mein Onkel wird dagegen intrigieren; er ist hier, um mir das offen zu gestehen, und die bewunderte Stellung, die Sie unter den Kaufleuten eingenommen haben, dürfte leicht ein Stein des Anstoßes zur Verbindung mit einem Offizier aus einer altadeligen Familie sein, zumal wenn eine so hochstehende Persönlichkeit, wie mein Onkel, diesen Schritt, der Sie an die Spitze Ihres Geschäftes stellte, geeigneten Orts als einen Emancipationsversuch darstellte. Sollte nun aber dennoch ein Konsens mir zu teil werden, so droht mir in der Enterbung von seiten meines Onkels ein letzter, nicht minder empfindlicher Schlag. Wir müssen also warten, seine Vorurteile zu besiegen und seine Nichtachtung in Zuneigung zu verwandeln suchen. Haben wir nur seine Einwilligung, so erlangen wir auch den Konsens, und dann werden wir an das schöne, glückverheißende Ziel gelangen.«
Sie hatte ihn unverwandt angesehen; aber nach und nach war der Ausdruck ihres Gesichts ein anderer geworden und die hingebende Liebe hatte sich fast in Trotz umgewandelt. »Auch ich glaube das, Herr Graf,« sagte sie, »aber wir haben geirrt, wir beide, und noch ist es Zeit, wieder gut zu machen. Ich sage es Ihnen noch einmal, das Wort, das Sie beglückte: ich liebe Sie –Gott allein weiß wie!« fügte sie hinzu, und ihre Stimme bebte; »aber angehören kann ich Ihnen nicht. Ich kann nur das Weib eines freien, innerlich freien Mannes sein, ich kann das Unglück tragen, aber keine Kette schleppen. Das Joch, das Sie geduldig tragen, das Ihnen bis ans Herz hinanreicht und selbst Ihren teuersten Gefühlen Zwang auflegt, das würde mich zu Boden drücken, mein Herz erkalten, meinen Geist erlahmen. In Liebe kann ich dienen mein Leben lang; aber ich kann meine Gefühle, mein Glück, mein ganzes zukünftiges Leben nicht abhängig machen von den Vorurteilen der Welt oder eines einzelnen, der keine Rechte an mich hat. Ich bin ein Weib; aber ich hatte den Mut, den Stolz, die Freiheit, Hunderten entgegenzutreten mit ihren Vorurteilen, und mein Schild war die Liebe. Oder glauben Sie, ich hätte nicht zu kämpfen gehabt mit den Vorurteilen meiner Standesgenossen, mit meiner Tante –mit mir selbst?«
»Margarete!« rief er leise, aber in bestürztem Tone, »was wollen Sie thun? Sie können, Sie wollen mich nicht so elend machen, Sie haben mir nicht das Glück gezeigt, um es mir wieder zu entreißen!«
Sie stand auf. »Es war das Glück nicht,« sagte sie wehmütig lächelnd und reichte ihm die Hand, »ich sorge für uns beide; seien Sie zufrieden und glauben Sie mir, Sie hätten Margaretens Herz nie verstanden.«
Er sah sie angstvoll an. »Mein Gott, was wollen Sie? Was soll ich thun?«
»Geduld haben, vergessen –nein, nicht vergessen,« sagte sie zitternd und leise, »ertragen, ich muß es auch. Machen Sie mir den Kampf nicht schwer,« bat sie, »sehen Sie mich nicht mehr, es muß ja so sein. Ich kann nicht demütig mich neigen vor Ihrem Adel, ich will es als keine Gnade ansehen, die Gattin des Kürassier-Offiziers zu werden, ich mag nicht betteln um die Gunst Ihres Oheims, nicht geduldet werden. Ich kann mich nur beugen vor Ihnen und ich thue es durch dies Bekenntnis. Leben Sie wohl, Gott behüte Sie, bei ihm kann Margarete bitten für Ihr Glück.«
Sie ging rasch von dannen und verschwand im nächsten Zimmer; er machte keinen Versuch, sie zurückzuhalten, denn er war wie gelähmt von ihrem Wort. War es denn ein Traum gewesen, hatte er das Glück, das flüchtige, glänzende, nicht einen Augenblick in seiner Hand gehalten, fest und in seliger Lust? Liebte er denn Margarete nicht, liebte er sie nicht noch tausendmal mehr für den einen Augenblick der Seligkeit, den sie ihm gewährt? Der Augenblick, er kannte die Geliebte, kam nicht wieder. Er hätte ja freudig Opfer gebracht, aber durfte er seinem Berufe, seinem Vermögen entsagen, um ohne Thätigkeit in ihren Reichtümern zu schwelgen, während sie männliche Berufspflichten erfüllte? Wäre es nicht ein umgekehrtes Verhältnis der gesellschaftlichen, der menschlichen Zustände. Diesmal hatte Margarete seine Gesinnung verkannt, sein Ehrgefühl mißverstanden, und zum ersten Male rief sie seinen Stolz gegen seine Liebe ins Feld. Und dennoch wühlte ein so heißer Schmerz in seinem Herzen, wie er ihn nie gefühlt; er hätte hier nicht bleiben können unter diesen lachenden, schwatzenden Menschen, er mußte Luft haben, Einsamkeit, Dunkelheit. Er eilte hinaus, im Vorzimmer traf er Edmund.
»Gute Nacht, Edmund,« sagte er hastig, »ich muß hinaus ins Freie, schnell, schnell. Mir schwindelt der Kopf, die Hitze, die Menschen, die Lichter und die Musik verwirren und betäuben mich, draußen wird es besser gehen.«
»O, nicht doch,« rief der besorgte Hausherr,« Du kommst nicht fort. Du legst Dich in meinem Zimmer ein wenig nieder, da ist's dunkel und kühl. Bei Deiner Vollblütigkeit ist Schwindel etwas sehr Gewöhnliches und leicht gehoben.«
Aber Dalvenau schüttelte den Kopf. »Nein, laß mich, ich muß hinaus, ich kenne mich; thue mir die Liebe und laß mir den Willen, benachrichtige den Onkel, daß mir plötzlich unwohl geworden ist.«
Er bat so dringend, er war so sonderbar aufgeregt, daß Edmund ihn endlich gewähren ließ, so ungern er auch seine Entfernung sah.
Margarete war nicht minder bewegt, aber ihre stolze, mutige Seele trotzte, wenigstens äußerlich, besser dem Sturme, als die ihres Geliebten. Sie war bleich geworden wie die Schneeglöckchen an ihrer Brust, aber sie ließ das Haupt nicht sinken wie er. –Hier nicht, die Nacht kam ja, die dunkle schweigende Nacht, die so viel Thränen sammelt, so viel Schmerzen und Wünsche und Klagen, da wollte auch Margarete ihr Opfer bringen.
Laura hatte Margarete während des ganzen Abends nicht aus den Augen gelassen, und wenn sie auch nicht wußte, was zwischen den Liebenden vorgefallen war, so sah sie doch an Margaretens ganzem Wesen, daß etwas Wichtiges geschehen sei. Der wechselnde Ausdruck in ihrem Antlitz von Glück zur Enttäuschung war der scharfen Beobachterin ebensowenig entgangen, wie Dalvenaus plötzliche Entfernung. Sie teilte Gumbly, der neben ihr stand, leise ihre Bemerkung mit und das Paar gesellte sich der Gruppe zu, an welche eben Margarete herangetreten war.
»Du bist so bleich,« flüsterte sie ihr besorgt zu, »ich ängstige mich, daß Dir etwas zugestoßen sei.«
Margarete verneinte das. »Ich bin nur ermüdet, sehr ermüdet, ich werde mich während des Tanzes in ein kühlendes Zimmer zurückziehen. Ich habe ihn zwar Gumbly zugesagt, aber nicht wahr,« wandte sie sich an ihn, »Sie erlassen mir den Tanz?«
Er verneigte sich. »Ich darf Sie doch aber zu einem Ruheplätzchen geleiten,« fragte er, »ich darf Ihnen Gesellschaft leisten, damit mein Verlust nicht ein zu harter ist?«
»Ja,« sagte sie, »wir wollen uns in das Greenhouse begeben, Laura und ich gehen voraus, und Sie sagen wohl, daß mir ein Glas Limonade dorthin gebracht wird.«
Gumbly eilte der Weisung zu folgen, und die beiden jungen Mädchen traten in den kleinen blühenden Garten, der hier geschaffen war. Zierliche Bosketts waren durch hohe Topfgewächse gebildet, geschmackvolle Anordnungen hatten künstliche Lauben geschaffen und versteckte Sitze, und an einem der grünen einladenden Plätze ließen die beiden Freundinnen sich nieder. Hier war eine durchaus veränderte Temperatur, und die hohen Glaswände, die den schwach geheizten Raum umgaben, ließen so viel Kühle einströmen, daß hier die wahre Erholung der Müden und Erhitzten war. Auf Margarete wirkte jedoch die plötzliche Frische, die auf sie einströmte, entgegengesetzt; die ungeheure Bewegung, die sie unterdrückt, machte ihr Recht geltend, das junge Mädchen schüttelte plötzlich wie im Fieberfrost.
»Dich friert,« sagte Laura, dienstfertig wie immer, »ich werde Dir eine Mantille holen, bleib, bleib, ich bin gleich wieder da.«
Margarete blieb regungslos sitzen, sie war wirklich müde, es war ja aus, die Hoffnung, die Liebe und auch der Kampf. Sie hatte schon entschieden und sie glaubte, sie hatte das Rechte, das einzig Mögliche gethan.
Laura eilte unterdessen, Margarete den kleinen Dienst leisten zu können. Am Eingänge des Greenhouses begegnete ihr Gumbly.
»Es muß etwas besonders Wichtiges passiert sein,« flüsterte sie, »ich kenne Margarete zu genau, wenn auch sonst niemand es bemerkt. Ich habe einen Plan; ich sehe dort Edmunds Schwiegervater mit dem alten General stehen. Mischen Sie sich in die Unterhaltung, bringen Sie das Gespräch auf Margarete und mitten in der Konversation empfehlen Sie den Herren die schöne, kühle Luft des Greenhouses, die Epheunische, die so hübsch beleuchtet ist. Sie ist nur durch ein kleines Boskett von unserm Sitze getrennt. Es wäre doch möglich, daß die Unterhaltung hier fortgesetzt würde und Margarete auf diese Weise die Ansichten der Familie Dalvenau über sie erführe.«
»Vortrefflich,« erwiderte Gumbly, »Sie sind die Schlauheit im lieblichsten Gewande. Ich werde die Herren in guten Zug bringen, sie bis vor die Thür geleiten und wenn ich sicher bin, daß sie Platz genommen haben, geselle ich mich unbemerkt wieder zu Ihnen. Ich möchte natürlich sehen, wie mein Brief gewirkt hat und zugleich, welchen Eindruck die Äußerungen des Generals auf Margareten machen werden.«
Laura nickte. »Gut, dort sehe ich Margaretens Mantille; ich warte Ihrer in der kleinen Laube.« Nach wenigen Minuten war sie wieder bei der Freundin und die Sorge und Dienstfertigkeit, mit der sie um ihre schöne junge Beschützerin bemüht war, hätten ein argwöhnischeres Herz täuschen können, als das Margaretens.
»Ich danke Dir,« sagte sie, »Du bist so lieb und gut, so voll Sorge! Ich freue mich auf mein Zimmer, auf die Ruhe und den Schlaf.«
»Wünschest Du auch hier allein zu sein?« fragte Laura.
»O nein,« antwortete sie innig, »bleib, ein wenig Liebe und Sorge thut mir so wohl!«
Laura antwortete nur durch einen Händedruck. Margarete schien nicht geneigt zu einer Unterhaltung und Laura wünschte sie nicht –sie wollte ja hören. Es währte auch nicht lange, so zeigten feste männliche Schritte und Sporengeklirr in den blumigen Gängen, daß Gumblys Manöver gelungen sei. Man konnte die Ankommenden von dem Sitze der beiden Mädchen aus nicht sehen; aber die Herren ließen sich dicht an ihrer Seite nieder, nur geschieden von ihnen durch eine Wand blühender Topfgewächse, und man konnte jeden Laut ihrer Unterhaltung vernehmen.
»Ich versichere Sie, Dalvenau, ich habe es geglaubt,« näselte die Stimme des Präsidenten Gladebeck. »Er war ja täglich dort im Hause.«
»Das thut mir leid,« erwiderte der General, »ein Mann wie Sie sollte mich besser kennen und nach der Erziehung, die ich dem Paul gegeben, auch den Jungen vernünftiger beurteilen. Es ist überhaupt ein schlimmes Zeichen der Zeit, daß solche Mesalliancen auch von unsersgleichen, von Ihnen zum Beispiel, für möglich gehalten werden können.«
Der Präsident mußte durch eine gekränkte oder beleidigte Miene geantwortet haben; denn Dalvenau fuhr fort: »Ich wollte Ihnen nichts Unangenehmes sagen, auf mein Wort nicht. Mit einem Mädchen, das ist etwas anderes; ich glaube, ich hätte in dem Falle selbst so gehandelt wie Sie. Eine Tochter scheidet doch aus der Familie, sie führt weder den Namen noch das Geschlecht fort. Macht sie keine Partie, so ist es eigentlich einerlei, ob der Name in irgend einem Fräuleinstift oder in einem Kaffeesacke erlischt.«
Ein bitteres Lächeln spielte um Margaretens Lippen; das betraf sie und Edmund. Sie sah Laura an und legte den Finger auf den Mund, und das junge Mädchen verstand sie und schwieg.
»Ja,« sagte der Präsident, »so dachten wir auch, meine Frau und ich, und das Merkwürdige ist, das Kind scheint glücklich zu sein und ihren Mann zu lieben.«
»Desto besser,« erwiderte Dalvenau, »und er scheint nach allem, was ich hier sehe, wenigstens insoweit seine Schuldigkeit zu thun, daß er sich fortwährend daran erinnert, zu welchen Ansprüchen seine Gemahlin ihm gegenüber durch die Geburt berechtigt ist.«
»Das thut er,« sagte der Präsident anerkennend. »Übrigens muß ich Ihnen bemerken, daß Spalding von Kindheit auf an den Luxus gewöhnt ist und namentlich im Hause seiner Schwester das Leben auf dem großartigsten Fuße geführt wird. Paul wird Ihnen das bestätigen.«
»Ich glaub's gern,« entgegnete der General, »und deshalb habe ich dem Jungen auch nicht verwehrt, hinzugehen. Warum soll er sich dort nicht amüsieren? Das ist ihm ein Vergnügen und der Familie Spalding eine Ehre.«
»Gewiß,« meinte der Präsident, »obgleich das Fräulein in ihrem Hochmute das verkennt. Aber den Umgang würde ich doch einschränken, Dalvenau, wenn Ihnen die Zukunft Ihres Neffen wirklich am Herzen liegt. Hübsch ist sie, reich auch, sie scheint ihn gern zu sehen, und dann –das weiß man wohl, wie das geht.«
»Ach, Gladebeck, zum Henker! Gehen Sie mit dem dummen Zeuge!« rief ärgerlich der General. »Hält er heute Verlobung, wird er morgen enterbt; er hat nicht so viel, seine Uniform zu bezahlen; soll er von vornherein das Gnadenbrot seiner Frau essen? Sie kennen ihn nicht; ehe er seinen Stolz so weit beugt, eher gäbe er die Liebe auf, wenn Sie überhaupt glauben, daß Paul sich mit diesem Gefühle bis in die Bourgoisie verirren könnte. Er sieht sie gern, das ist gewiß, und das Mädchen ist auch immer einer Sünde wert.«
»Wieso?« fragte der Präsident.
»Nun,« lachte der General, »sollten Sie hier nicht wissen, was mir in B. bekannt geworden? Ich habe gottlob noch so viel wirkliche Freunde, daß mich einer von ihnen vor dieser Person, die sich in meine Familie drängen will, gewarnt und mich mit ihren kleinen Nebenwegen bekannt gemacht hat. Sie hat, um dem Dinge einen anständigen Namen zu geben, hier ein Witwen- oder Waisenhaus, oder sonst dergleichen errichtet, und benutzt diese wohlthätige Anstalt zugleich, um ab und an, zurückgezogen von der Welt, dort ihre Anbeter zu empfangen. Hier hat sie auch den Paul gesprochen, und von daher schreibt sich denn auch das Gerücht einer Verlobung.«
»Nicht möglich!« rief der Präsident fast erschrocken, »aber davon habe ich nie etwas gehört, und glauben Sie mir, trotz Ihrer guten Freunde, das sieht der stolzen Schönen gar nicht ähnlich. Ich liebe die Dame auch nicht, ich weiß eine Menge anderer unangenehmer Seiten an ihr hervorzuheben, aber dies -«
»Glauben Sie nicht?« fiel der General ruhig ein. »Nun, es würde überhaupt nicht darauf ankommen, was ein Mädchen aus der Bourgoisie thut oder läßt, allein da man ihr doch einmal die Ehre angethan hat, ihren Namen mit dem meines Neffen in Verbindung zu bringen, so bin ich genötigt, darauf einzugehen und die Sache näher zu beleuchten. Übrigens hat der Paul sie in dem Hause gesehen, damit ist's richtig, er mußte mir das selbst zugeben. Er beteuert freilich, der reine Zufall habe es so gefügt, indessen wir kennen diesen Zufall, der uns in unserer Jugend auch hold war.«
Der Präsident kicherte leise. »Und was wollen Sie nun thun?«
»Ich bin kein Tyrann, deshalb lasse ich auch den Zufall, den eben besprochenen, gewähren, der ihm wohl ferner gütig gesinnt sein wird. Ich gönne dem Jungen seine verliebten Thorheiten von Herzen; ein braver Reiteroffizier muß dergleichen haben. Hernach ist er gehörig abgekühlt, fein ruhig und besonnen, und dann komme ich mit der Braut. Hören Sie etwas?« unterbrach er sich plötzlich und stutzte.
»Nein,« sagte der Präsident, »es müßte denn der Wind gewesen sein, in diesem Glaskasten ist's verflucht kühl, ich schlage Ihnen vor, ins Spielzimmer zurückzugehen.«
Der General erhob sich; Margarete hörte beide Herren sich entfernen. Stolz und Zorn lagen auf ihrem schönen Gesichte, sie war bleich geworden wie die Statuen, die zwischen dem dunkeln Laubwerk hier und da gruppiert waren, und ihre Augen blitzten seltsam in dem weißen Gesicht. Kein Zug darin erzählte, daß sie gedemütigt sei, daß sie sich verurteilt fühle, und der Stolz, der diesmal auf Stirn und Lippen lag, war das besiegende Gefühl ihrer Unschuld. Gumbly, der während der Unterredung der alten Herren leise zu ihr herangetreten war und die Beschuldigungen vernommen hatte, machte ein paarmal Miene, als wollte er den General unterbrechen und zum Widerruf oder Abbitte nötigen, aber eine gebieterische Bewegung Margaretens hielt ihn zurück.
»Ich kann das nicht hören, Margarete, meine männliche Ehre gebietet mir, mich dagegen aufzulehnen und den hochmütigen Narren zur Rede zu stellen, der es wagt, Ihren Ruf zu beflecken,« rief er, als die Schritte der beiden Herren verklungen waren.
»Und ich verbiete es Ihnen,« sagte sie kurz. »Die Lüge ist so abgeschmackt, daß ich nichts Dümmeres weiß, es wäre denn, sie zu widerlegen. Ich stehe über der Verleumdung. Sie wissen, ich ehre selbst den Schein, aber auch er spricht nicht gegen mich, denn ich sah Graf Dalvenau nur zweimal dort, aber nicht geheim, ich selbst habe es erzählt.«
»Meine teure Freundin,« sagte Gumbly, und eine gewisse Traurigkeit lag in seiner Stimme, »Sie sind, ob Sie gleich männlichen Mut haben, doch ein Weib, ein zartes Mädchen und nicht immer imstande, sich selbst zu schützen. Warum weisen Sie meine Hilfe zurück, meine Dienste, mein Herz,« sagte er leiser, während Laura sich anscheinend mit einer schönen Blume beschäftigte, »das voll stolzer Freudigkeit für Sie kämpfen und sterben wollte, wenn es sein müßte?«
Margarete war in einer furchtbaren Aufregung: den gewaltigen Eindrücken, die diesen Abend auf sie einstürmten, erlag selbst ihr kräftiger Geist. »Ich danke Ihnen,« sagte sie ergriffen, »für so viel Liebe und Glauben an mich, aber diese Gefühle sind einer besseren und vollständigeren Erwiderung wert, als ich sie Ihnen, wenigstens für jetzt, zu geben vermag. Würde meine Einwilligung in Ihre Wünsche, wenn ich sie gewähren könnte, Ihrer Freude nicht einen bitteren Beigeschmack verleihen, wenn Sie jemals auf den Gedanken kämen, sie könnte eine Frucht meines verletzten Stolzes gewesen sein? Und diesen Glauben könnte ich Ihnen nicht einmal nehmen.« Gumbly sah zur Seite, Laura hatte sich einige Schritte weiter entfernt, noch immer im Anschauen der Blumen verloren. Er trat Margarete näher und faßte ihre Hand mit leidenschaftlichem Druck. »Nein,« sagte er, »der Gedanke wird mich nicht betrüben, seien Sie nur mein, und ich forsche nicht nach dem Motiv.«
Sie entzog ihm ihre Hand und sah ihn groß und stolz au. »Das beklage ich, Gumbly, ein Mann von Ehre sollte anders denken, und Sie mögen es mir danken, daß ich es für Sie thue. Wollen Sie mich zu meiner Tante führen? Mich dünkt, es wird spät und kalt, und ich glaube, ich bin nicht wohl. Laura, willst Du mit mir gehen?«
Die Gerufene erschien alsbald, und die beiden jungen Mädchen schritten mit ihrem Begleiter, der auf Margaretens Einwand wenigstens für den Augenblick nichts zu erwidern wagte, in die vorderen Zimmer. Man suchte Madame Wytt auf, die gerade mit Klärchen im Gespräch begriffen war. Die Säle hatten sich schon gelichtet, der Kreis der Tanzenden war kleiner geworden, denn es war zwei Uhr und viele der Gäste hatten sich bereits entfernt. Deshalb brauchte auch Margarete ihrem Herzen nicht länger Zwang anzuthun, es wurde nicht auffallend, wenn sie ging.
»Ist es Dir recht, liebe Tante, wenn wir aufbrechen?« fragte sie.
»Gewiß, mein Kind,« erwiderte diese, »Du weißt, alte Leute lieben die Ruhe. Aber wie bleich und ermüdet Du aussiehst, mein Liebling! Ich sage es immer, die heutige Welt versteht nicht mehr zu tanzen. Das ist ein Rasen, ein Durcheinanderjagen; von dem Anstand, der Grazie, der Ruhe meiner Zeit keine Spur. In meiner Jugend, da war man des Morgens sechs Uhr noch so frisch und kräftig, als abends zuvor, wo der Ball begonnen; jetzt giebt's um zwei Uhr bleiche Gesichter und müde Augen.«
»Bist Du denn schon müde?« fragte Klärchen ihre Schwägerin vorwurfsvoll. »Wenn Du gehst, ist's mit dem Ball aus, da sehen die andern mit einem Male, daß es Nacht geworden ist.«
»Laß mich,« bat Margarete, »Du weißt, Laune kenne ich nicht; ich bin wirklich erschöpft.«
»Nun denn, so geh,« sagte die kleine Frau. »Gute Nacht, Tante, gute Nacht, Laura!«
Im Wagen sprach niemand als Madame Wytt, die abwechselnd tadelte und lobte und im ganzen besser mit Klärchen zufrieden war, als es sonst der Fall zu sein pflegte. Margarete entschlüpfte so schnell als möglich, als sie zu Hause angekommen waren, und eilte auf ihr Zimmer. Rasch entledigte sie sich der glänzenden Hülle und schickte dann ihr Mädchen fort. Sie sehnte sich nach Ruhe und ihr Herz rang nach Frieden. Frieden, o du heiliger, begehrt und erfleht von tausend Menschenherzen, du wirst nicht errungen mit leidenschaftlichen Seufzern und heißen Thränen! Dich bringt ein demütiges Ergeben, ein stilles Entsagen nach ernstem Kampf –und ach, wie war Margareten das so fern! Einen kurzen Augenblick hatte sie das Glück, von dem sie geträumt, besessen, und nun sie es gekostet, nun zwang sie die Schwäche des Geliebten und ihr eigener Trotz, ihm zu entsagen. Warum war er kein Mann, daß sie ihm zu Füßen liegen durfte und ihm dienen und gehorchen? Ein Lichtstrahl, ein einziger, schwacher, fiel in ihr trauriges Herz. Wenn sein Gefühl sich dagegen auflehnte, ohne Thätigkeit, ohne Beruf zu sein, wenn er zu gleicher Zeit sein Vermögen nicht verlieren wollte, weil er die Unmöglichkeit fühlte, auf eine andere Weise eine Existenz zu gewinnen, die ihn unabhängig von Margareten machte, so war das ja im Grunde der männliche, nach Selbständigkeit strebende Sinn, den sie so heiß für ihn begehrte. Und der General hatte das selbst gesagt; er kannte ihn von Jugend auf. Wenn man ihm die Heirat, so lange er im Dienste war, unmöglich machte, wenn man ihm sein Vermögen entzog, sobald er abging, wie wollte er vor Margarete hintreten?
Margarete dachte nach, und ihre Züge klärten sich auf, und endlich jauchzte ihre Seele bei dem Gedanken, daß sie Paul unrecht gethan haben könnte. Dann aber erinnerte sie sich wieder der Beschuldigung des Generals und ein dunkler Schatten flog aufs neue über das liebliche Gesicht. Der ganze Abend hatte sie mächtig aufgeregt, ihr Stolz empörte sich gegen die Anmaßung des alten Herrn, und ihr Herz schlug unwillkürlich kälter und langsamer, wenn sie dachte, daß durch die Erziehung etwas davon auf Paul Dalvenau übergegangen sein könnte. Während sie so, das Haupt in die Hand gestützt, von den widerstreitendsten Gefühlen bewegt wurde, öffnete sich leise die Thür und Laura, im Nachtgewande, schlich herein. Sie setzte den Leuchter geräuschlos auf ein kleines Tischchen und Margarete näherkommend, kniete sie leise an ihrer Seite nieder und küßte ihre Hand. Das schöne Mädchen fuhr erschrocken aus ihrem Sinnen empor, sie hatte die Freundin nicht kommen hören.
»Ach, Laura,« sagte sie gütig, »Du liebes Herz, bist Du noch wach und kommst noch so spät zu mir? Was läßt Dich noch nicht schlafen?«
»Die Sorge, Margarete, die Sorge, Du könntest traurig, unwillig, unzufrieden sein. Du weißt, ich habe nichts mehr auf der Welt zu lieben als Dich, ist es da nicht natürlich, da Dein Leid das meine, Deine Freude die meine ist? Ich will nicht wissen, was Dir fehlt, sage mir nur, ob Du Kummer hast, damit Du nicht allein in Deinem Schmerze bist.«
»O, Du Gute!« rief Margarete gerührt, »wie erquickst Du mich durch Deine selbstlose Liebe. Ich habe weniger Kummer als Zweifel, weniger Schmerz als Sorgen. Ich möchte meines Lebens Rätsel lösen, und kann es nicht. Laß mir meine Sorgen, bis sie gestillt sind, die Freude, den Sieg sollst Du teilen.«
Laura erschrak. »Du hoffst also, daß Du in dem Kampfe, den Du kämpfst, die Siegerin bleibst?«
»Gewiß,« sagte das schöne Mädchen, und ihre Augen strahlten voll gläubiger Zuversicht, »Gott wird mir helfen, und er wird mein Herz stärken oder meinen Verstand, um das Rechte zu wählen.«
Ein leises Lächeln lief über Lauras Gesicht; also Gumbly war noch nicht ganz verworfen, für wen sonst sollte Margaretens Verstand kämpfen! –»Weißt Du.« sagte sie, »daß der arme Gumbly ernstlich betrübt war, daß er des Generals boshafte Beschuldigung nicht widerlegen, ihn nicht zur Verantwortung ziehen soll?« -
»Das ist unnötig,« sagte Margarete, »niemand kann daran glauben. Ich muß allerdings, nachdem ich gehört, wie auch nur ein einzelner auf dieses unschuldige Zusammentreffen hin mich hat beschuldigen können, ein solches Begegnen von nun an aufs strengste vermeiden. Nicht sowohl, weil man jetzt der Welt den Weg gezeigt, mich zu verdächtigen, als besonders Gumblys wegen. Graf Paul, der durch seinen Onkel von diesem Gerüchte unterrichtet sein wird, weiß natürlich, daß es eine Lüge ist. Gumbly weiß es auch, er kennt mich, hat es mir überdies auf die ehrendste Weise gezeigt, daß er mich für makellos in dieser Beziehung hält. Aber es hieße den schönen Glauben eines Freundes schlecht lohnen, wenn ich ihn durch absichtliche Verhöhnung des guten Scheines auf neue Proben setzen wollte. Er müßte mit Recht mindestens an meinem Zartgefühle zweifeln, wenn ich nach dem Gehörten nicht auf jede Weise ein Zusammentreffen mit dem Grafen vermiede, das jetzt der Zufall nicht mehr rechtfertigt. Darum soll Lisbeth sobald als möglich nach Solbringen hinaus; morgen um zehn Uhr, wenn ich Hechler gehört habe, werde ich es ihr sagen, und um Mittag soll sie abfahren. Im Herbst ist sie wahrscheinlich gesund, dann kann sie mich in meinem Hause sehen und Dalvenau hat gar keine Verpflichtung mehr, sie zu besuchen.«
»Wie vernünftig, wie rasch entschlossen Du in allen Dingen bist!« sagte Laura bewundernd. »Du hast recht in dem, was Du mir sagst, und es ist, als ob der Entschluß Dich ordentlich erleichtert hätte; Du siehst viel freudiger aus als vorhin, wo ich eintrat. Deshalb gehe ich jetzt zu Bett, Margarete, mit dem guten Gedanken. Für wen soll ich heute abend bitten um den Sieg, für das Herz oder für den Verstand?«
Margarete errötete und dieser Frühlingsschmuck der Liebe machte sie entzückend schön. »Ich bin ein Weib,« sagte sie, »ich möchte lieber meinem Herzen folgen; bitte, daß Gott es zu meinem Glücke lenkt.«
Laura küßte sie. »Gute Nacht, Margarete, schlaf wohl, es wird alles gut gehen. –Und sie ging sacht, wie sie gekommen; aber sie suchte die Ruhe nicht, sie schritt unruhig in dem Zimmer auf und nieder, wo sie beten wollte für Margaretens Glück, und bitterer Haß und böse Gedanken ließen ihr Herz so ungestüm klopfen, daß sie beide Hände darauf preßte, als wolle sie mit Gewalt die wilden Gefühle sänftigen und es zwingen zu gewohntem Gang. Dann setzte sie sich zum Schreiben nieder und ihre zitternde Hand flog eilig über das fein glänzende Papier. Sie schrieb an Gumbly: »Morgen 10 Uhr geht Margarete zu der alten Lisbeth. Sie wissen, daß Margarete ohne Schuld ist; aber jetzt kann auch nicht der Schein mehr gegen sie sein, und Sie werden keine neue Gelegenheit finden, ihren guten Namen zu verteidigen; denn sie geht zum letzten Male dorthin. Ich schreibe Ihnen hauptsächlich, weil ich fürchte, Sie könnten morgen noch Rechenschaft von General Dalvenau fordern wollen. Margarete würde aufgebracht darüber sein, glaube ich, und ich möchte der Teuren so gern Unannehmlichkeiten und Unwillen ersparen. Sie sehen, sie hilft sich selbst wie immer. Gott gebe nur, daß kein böser Zufall Graf Dalvenau morgen in die Kreuzstraße führe, und thut er es, so möge der Himmel wenigstens es fügen, daß spähende Blicke und verleumderische Zungen der Guten fern find. Gute Nacht, mein Freund, ich bitte Sie, achten Sie auf Margaretens Wünsche, und Sie haben an mir eine dankbare Freundin.«
Sie sah zufrieden aus, als sie den Brief überlas; er war so vorsichtig abgefaßt, daß niemand eine böse Absicht ihr zur Last legen konnte, selbst Gumbly nicht, und dennoch hoffte sie ihren Zweck zu erreichen. Sie siegelte das Blättchen und schrieb die Adresse darauf, und erst jetzt fiel es ihr ein, daß es mitten in der Nacht und nicht möglich sei, es zu befördern. Den Brief morgen durch einen Diener hinzuschicken, wäre ein gefährliches Spiel gewesen, auffallend würde es erschienen sein, wenn sie selbst morgen am Tage das Billet in den Briefkasten gesteckt hätte, der sich vor dem alten Handlungshause befand, und das war der einzige Weg, es noch vor zehn Uhr des folgenden Morgens in Gumblys Hände gelangen zu lassen. Aber der Preis war zu hoch; wenn Margarete aufs neue bei einer Zusammenkunft mit Dalvenau gesehen, ja vielleicht überrascht wurde, so war ihr guter Name auf eine gefährliche Weise bloßgestellt. Der alte General würde nicht zu bewegen sein, den seinigen zum Schilde für sie zu leihen; nur Gumbly würde ihre Ehre retten, treu, aufopfernd wie immer. Sie war rasch entschlossen; sie warf einen leichten Mantel um und schlich im Dunkeln vorsichtig die Treppe hinab, der mächtigen Hausthüre zu, an deren innerem Pfeiler der Hausschlüssel hing. Wohl zitterte sie ein wenig, als sie die Pforte öffnete, denn es war dunkle Nacht und ein schneidender Wind wehte ihr entgegen. Aber auf der Straße war es leer, ganz ferne nur hörte sie den verhallenden Tritt des Wächters, sonst nichts als die mahnende Stimme ihres Herzens. Doch sie bekämpfte Nacht und Dunkelheit, das Andenken an die Güte Margaretens und die Beschämung vor sich selbst, alles, nur nicht die glühende Eifersucht, die in der Tiefe ihrer Brust wühlte. Sie trat schnell an den Kasten und eine Minute später war sie wieder im Hause, in ihrem stillen Zimmer. Sie entkleidete sich mit Hast, legte sich nieder und versuchte zu schlafen. Aber sie konnte die Augen nicht schließen, sie hatte ein Gefühl, als müsse sie ersticken, und sie zählte mit Ungeduld die Stunden, bis es Tag wurde.
Und Margarete? –Sie schlief. Wohl schimmerten Thränen auf ihrer Wange, aber auf ihren Lippen lag ein Lächeln. Freude und Liebe und Hoffen zogen durch ihren Traum und webten liebliche Verheißungen hinein von kommendem Glück.
Margarete war pünktlich; auch darin zeigte das junge Mädchen ihre Liebe und Befähigung für den selbsterwählten Beruf, daß sie ihre Zeit aufs beste eingeteilt hatte und nie warten ließ. Es hatte eben zehn Uhr geschlagen, als ihr Wagen vor dem Hause der alten Lisbeth hielt, und sie herausstieg. Sie sah ernst aus, ein wenig bleich, und sie hatte gegen ihre Gewohnheit den Kopf gesenkt, wie im Nachdenken oder Überlegen, und deshalb bemerkte sie auch Gumbly nicht, der von fern stand mit erwartungsvollen Blicken. Kaum war sie in das Haus getreten, so drückte er einem kleinen Gassenbuben ein Papier in die Hände, mit dem der Knabe wie der Blitz von dannen lief und, nachdem Gumbly sich überzeugt hatte, daß der Bote den richtigen Weg eingeschlagen, entfernte er sich langsam nach der andern Seite.
Es war nur kurze Zeit später, als Graf Dalvenau ein Brief übergeben wurde, den eben ein kleiner Knabe gebracht hatte. Nur wenige Zeilen waren darin enthalten von einer unbekannten noch dazu verstellten Hand, aber diese Worte versetzten den jungen Offizier in eine nicht zu beschreibende Aufregung.
»General Dalvenau,« so hieß es darin, »hat seine Spione, Sie haben Freunde. Diese wachen treuer noch, als jene. General Dalvenau hat sich auf dem gestrigen Balle so vielfach, so entschieden und laut über Fräulein Spalding geäußert, daß zu befürchten steht, sie selbst habe seine beleidigenden Anschuldigungen vernommen. Ein Zufall ließ mich hören, wie ein junger, schon lange von ihr bevorzugter Kaufmann ihr gestern abend gegen Ende des Balles seine Liebe gestand, –sie hat ihn nicht ohne Hoffnung gelassen, sie wird ihm heute ihre Entscheidung mitteilen. Eilen Sie, sich ihrer Hand zu versichern, wenn Sie sie nicht verlieren wollen. Soeben geht Fräulein Spalding zu ihrer alten Pflegerin, Sie werden schwerlich Gelegenheit finden, sie noch heute in ihrem Hause zu sehen, denn Madame Wytt ist gegen Sie, Margarete aber liebt Sie, und alle Bedenken werden schwinden vor Ihrer Gegenwart. Sie will geliebt, ihr Herz will ohne Zaudern im Sturm genommen sein; seien Sie mutig, dem Mutigen gehört die Welt.«
So groß die Bewegung auch war, in die ihn die Nachricht versetzte, sie nahm ihm nicht die Zeit oder die Überlegung zum Handeln. Er fuhr rasch und ohne Besinnen in die Uniform und eilte dem verhängnisvollen Hause zu, an dessen Schwelle vor wenig Monaten der Stern seiner Liebe aufgegangen war. So unruhig und sorgenvoll er die Nacht verbracht, so tiefes Leid er am Morgen empfunden hatte, jetzt fühlte er erst, daß er die Geliebte noch einmal, daß er sie ganz und auf ewig verlieren könne.
Gumbly seinerseits hatte nicht die mindeste Besorgnis, daß seine Intrigue einen andern Weg nehmen könne, als er beabsichtigte. Margarete hatte seinen Antrag nur für jetzt abgelehnt, nur weil sie sein Gefühl nicht voll erwidern konnte. Sie war also noch frei; und nachdem er Zeuge gewesen war, wie wegwerfend General Dalvenau über sie geredet, würde sie nimmer den alten Herrn um die Einwilligung zu ihrer Heirat bitten, die er als Edelmann verwarf und als Offizier hintertrieb. Er kannte Margaretens eigensinnigen Trotz, ihren Stolz auf ihre Unabhängigkeit zu genau, als daß er nicht wußte, sie würde sich nimmer beugen und sollte das Herz ihr darüber brechen. Und für des Grafen Stolz, der nicht das Gnadenbrot seiner Frau essen wollte, hatte der General ja eingestanden. Gumbly war also seiner Sache ziemlich gewiß; blinde Angst würde den jungen Offizier leicht in die Falle gehen lassen, Margarete würde von Gumbly überrascht und ihre Beschämung sie vielleicht milder und seinen Bewerbungen geneigter machen.
Ihr Wagen stand noch vor der Thür, als Dalvenau vor das große, freundliche Haus trat, und er stieg leise die Treppe hinan. Horchend blieb er einen Augenblick an dem kleinen Stübchen stehen, das Lisbeth bewohnte; aber er hörte nur den murmelnden Ton der Alten und die klare, frische Stimme Margaretens. Er legte die Hand auf den Drücker, öffnete mit einer raschen Bewegung, und Margarete wandte sich um. Purpurröte flog über ihr Gesicht; aber der freudige Schrecken wich schon im nächsten Augenblicke einer stolzen Verwunderung. Dalvenau sah den Ausdruck, der ihm wehe that, doch er wich nicht davor zurück; er blieb vor dem Eingange stehen, als wolle er verhindern, daß sie ihm entschlüpfte, und erwiderte dann mit kurzen Worten die geschwätzige Begrüßung der Alten.
»Ach, so vornehmen Besuch!« rief Lisbeth erfreut und humpelte vergnüglich nach dem Fenster, um einen Stuhl für den Grafen herbeizuholen; »und es ist noch früh am Tage! Die ganze Nachbarschaft wird wieder staunen, und ich bin es wirklich nicht wert. Bitte, Herr Graf, setzen Sie sich, es ist für lange zum letzten Male, daß Sie mir die Ehre schenken; ich soll gleich aufs Land. –Margarete, Herzenskind, gnädiges Fräulein, wollte ich sagen, Sie wollen doch nicht fort? Sie haben ja noch kein Wort mit dem Herrn Grafen gesprochen?«
»Ich muß ihn begrüßen und Abschied nehmen zugleich,« sagte diese mit verlegener Freundlichkeit. »Ich muß gehen, Lisbeth, der Wagen wartet; um zwölf Uhr halte Dich zur Abreise bereit.«
Sie wollte an ihm vorbei; aber er vertrat ihr den Weg. »Bleiben Sie um Gottes willen,« flüsterte er, »und hören Sie mich, meine Zukunft hängt daran!«
Sie blieb überrascht und unschlüssig stehen; er sah, daß sie zögerte. »O bitte, Frau Ebermann, besorgen Sie mir ein Glas Wasser,« wandte er sich an die Alte, und diese ging an ihrer Krücke so schnell sie vermochte in die nah gelegene Küche, um den Befehl zu erfüllen. Er näherte sich dem jungen Mädchen. »Margarete!« sagte er rasch, »noch sind Sie mir nicht verloren, ich weiß es; noch will ich kämpfen um Ihre Liebe. Ich wußte, daß Sie hier waren, ich weiß, daß Sie im Begriff stehen, mich unglücklich zu machen, mich und sich selbst.«
Frau Ebermann trat wieder ein, ein Glas mit klarem, frischem Wasser in der Hand, das sie dem vornehmen Gaste auf einem Tellerchen präsentierte.
»Ich danke Ihnen, meine beste Frau, aber ich bin so sehr erhitzt, das kalte Wasser könnte schaden. Ich weiß, Fräulein Spalding läßt es Ihnen an nichts fehlen, Sie haben von allem im Hause, wollen Sie mir ein Glas Limonade zubereiten?«
Die alte Frau sah ihn verwundert an. Jetzt fiel ihr Margaretens erregtes Wesen auf und augenblicklich war sie mit ihren Vermutungen auf dem richtigen Wege, aus demselben, auf dem oft ihre Wünsche für die beiden hingeflogen waren. Sie ging, um die Limonade zu bereiten, und diesmal nahm sie sich die gehörige Zeit dabei.
»Margarete,« begann er wieder, »Sie lieben mich und wollen doch eines andern Weib sein? Sie lieben mich und wollen mich elend machen und sich von mir wenden in stolzer Härte?«
Sie zitterte vor dem Klange dieser geliebten Stimme, die diesmal die Bewegung unsicher machte, leiser als sonst. Aber sie senkte die Augen zu Boden, sie vermied seinen Blick und die Zauberkraft, die darin wohnte.
»Sehen Sie nicht fort,« bat er, »sehen Sie mich an mit den guten, freundlichen Augen, die mir Liebe verhießen, damit ich Mut fasse, aufs neue zu hoffen. O, Margarete, wie haben Sie mich mißverstanden, wie haben Sie in schnellem Unwillen mein Glück zertrümmert! Was ich mir erhalten wollte durch eine vorläufige Geheimhaltung unserer Liebe, war der letzte Schimmer von Selbständigkeit, die mir in meiner Stellung zugeteilt ist; ein unabhängiges Vermögen, ein unbeeinträchtigtes Dienen in der Armee. Auf mein ehrliches Wort versichere ich Sie, ich hatte keinen andern Grund. Nicht Sie sollten sich beugen vor dem alten Manne, ich wollte es thun. Das Gut, nach dem ich strebe, ist Ihre Liebe, das andere wird wertlos ohne Sie. Nun entscheiden Sie, aber entscheiden Sie schnell, denn Sterben muß süß sein gegen diese Qual der Erwartung. Sie kennen jetzt mein Herz und alles, was es bewegt, wollen Sie es annehmen – wollen Sie sich genügen lassen an seiner reichen, unendlichen Liebe und geduldig warten, bis ich mein Glück verkünden darf?«
Er faßte ihre Hände und zog die Geliebte näher, und seine Augen suchten voll Bangigkeit die ihrigen. Er konnte ihren Blick nicht sehen, so war er von Thränen verschleiert; aber als sie ihr Haupt still an sein Herz legte, da jauchzte es auf in so seliger Lust, daß der starke Mann erzitterte unter diesem Sturme. Keines sprach, keines fragte, keines versicherte; sie hielten sich still umfangen, sie fühlten, das Glück war gekommen, das himmlische, das Gotteskind, und sie öffneten ihm ihre Herzen weit, weit.
Da tönte ein leises, schnelles Klopfen an der Thür und im nächsten Augenblicke, noch ehe die Liebenden Zeit gehabt hatten, sich zu sammeln oder zu besinnen, zeigte sich Gumbly in der Thür und hinter ihm einer seiner Freunde, der wie er dem Handelsstande angehörte. Margarete fuhr empor und unwillkürlich stellte Dalvenau sich vor sie, als gälte es, sie zu schützen.
Einen Augenblick blieb Gumbly wie erstarrt in der Thür stehen, dann wollte er sich unter tausend Entschuldigungen zurückziehen. Aber gerade diese Entschuldigungen beleidigten Margaretens jungfräuliches Gefühl aufs tiefste. Sie hatte alsbald ihre Selbstbeherrschung wieder, denn sie fühlte, daß ihre Ehre, ihr guter Name und mit ihm alles auf dem Spiele stand, worauf sie ihr und des Geliebten Glück baute. Instinktartig fühlte sie, daß hier um ihre Zukunft gewürfelt wurde, daß dies kein Zufall sei, der Gumbly herführte und schnell war sie entschieden, was sie thun müsse, um ihren Namen selbst vor dem Scheine eines Fleckens zu bewahren.
»Nein, bitte!« rief sie, »gehen Sie nicht fort, meine Herren. Sie werden nicht ohne Grund hierhergekommen, und ich möchte Ihrem Vorhaben nicht hinderlich sein. Ich vermute natürlich, Sie wollen meine alte Wärterin sprechen, sie wird gleich erscheinen.«
»Im Gegenteil,« sagte Gumbly, während sein Gefährte, dem dies Zusammentreffen wirklich unerwartet und unangenehm schien, sich in verlegenen Verbeugungen erschöpfte, »unser Besuch galt Ihnen. Hätte ich ahnen können, daß wir im geringsten stören könnten, so würde ich den Besuch zu einer passendern Zeit abgestattet haben.«
»Sie wollten sagen an einem passendern Orte,« bemerkte sie ruhig, »Sie haben mein Empfangzimmer auf eine merkwürdige Weise mit der Wohnung der Frau Ebermann verwechselt. Aber nun wir hier versammelt sind, reden Sie, meine Herren, was führt Sie zu mir?«
»Ach, es ist eigentlich eine Bagatelle,« sagte Gumbly. »Schlomann will gern seinen alten Schiffszimmermann, dem bei der letzten Fahrt durch einen gekappten Mast der Arm zerschmettert ist, hier untergebracht haben, und als ich eben Ihren Wagen unten halten sah, glaubte ich, es sei das beste, ihm gleich hier eine Audienz zu verschaffen, und ihm dabei die musterhafte Einrichtung des Hauses zu zeigen.«
Sie antwortete nicht; was er auch sagte, sie war der Meinung, daß Gumbly diese Scene vorbereitet hatte.
»Ich bitte Sie wegen dieses ganzen unpassenden Besuches hier aufrichtig um Verzeihung, mein Fräulein,« sagte Herr Schlomann ernsthaft, »Gumblys dringende Aufforderung ließ mich glauben, Sie seien auf meine Bitte vorbereitet und geneigt, meinen Besuch hier zu empfangen. Meines Freundes große Gefälligkeit gegen mich und meine eigene Unbesonnenheit hat mich in eine mißliche Lage gebracht, aus der nur eine gütige Vergebung Ihrerseits mich befreien kann.«
Sie sah wohl, Schlomann hatte ohne sein Wissen und Willen eine Rolle in dieser Scene übernehmen müssen, und sie wollte gerade ihm freundlich zusprechen, als sich ihr Gumbly näherte und sie noch um ein Wort allein bat. Unwillig und befremdet trat sie mit ihm in die Fensternische, indessen Dalvenau nur mit Mühe sich bezwungen und ein höfliches Schweigen beobachtet hatte.
»Meine teure Freundin,« sagte Gumbly, »ein unglücklicher Zufall wendet den Schein gegen Sie, und nach den Gerüchten, die der General Dalvenau ausgesprengt hat, kann dieser Schein höchst verderblich für Sie werden. Wenn Schlomann auch nicht gesehen hat, wie ich, denn er stand hinter mir, wie sehr Sie Graf Dalvenau bevorzugen, so ist Ihre Ehre doch schon wegen dieses Zusammenseins mit demselben in Schlomanns Hand. Graf Dalvenau, selbst wenn er, wie der General sagt, sich mit seiner Liebe bis zu Ihnen verirrt haben sollte, kann Sie nicht schützen. Abhängig, wie er ist, erlangt er die Erlaubnis zu einer Heirat vielleicht erst dann, wenn Ihr Ruf schon gelitten hat, und Sie müssen es nach dem, was Sie selbst gehört haben, für eine Gnade ansehen, wenn der General Sie duldet. Ich trage Ihnen noch heute, noch jetzt meine Hand an; geben Sie mir das Recht, Sie zu schützen gegen die Verleumdung und die Insolenz des alten Herrn und gegen den falschen Schein, der heute auf Ihnen lastet. Soll ich hier eine Erklärung dieses Vorfalls geben, noch ehe Schlomann das Haus verläßt? Meine Braut hat mich hier erwartet, zu ihr kann der Zufall Graf Dalvenau geführt haben.«
Margarete sah ihn mit einem Blick voll unbeschreiblicher Verachtung an. »Herr Gumbly, der mich immer seiner Freundschaft versichert hat, hält es für wünschenswert, daß Herr Schlomann eine Erklärung dieses ganzen Auftrittes empfange, ehe er mich verläßt. Ich sehe ein, er hat recht; vor einem Ehrenmanne, wie Herr Schlomann, darf ich auch nicht einen Augenblick ungerechtfertigt stehen. So wenig hier Ort und Zeit dazu ist, so nehme ich doch hier Ihre Glückwünsche an, meine Herren, falls Sie mir dieselben spenden wollen, und stelle Ihnen in Graf Dalvenau meinen Verlobten vor.« Ihre Stimme war fester und deutlicher als je, während sie sprach; da war kein Zittern und Schwanken, und ihre Augen ruhten in heller Klarheit auf dem Geliebten.
Es war in die Männer plötzlich wie ein Zauberschlag gefahren; Gumbly sah, es war alles verloren, und vor dieser Gewißheit verschwammen seine Gedanken in ein buntes Chaos. Dalvenau fühlte, wie Margaretens rasches Geständnis seinen Verhältnissen, seiner Zukunft mit einem Male eine ganz fremde Wendung gab; aber bei ihm trat alles in den Hintergrund vor der Gewißheit ihrer Liebe. Herr Schlomann allein empfand nur eine einfache Verwunderung; er hatte nicht geglaubt, daß die stolze Erbin der Firma »Gebrüder Spalding« sich einem Lieutenant vermählen würde. Es kam eine Minute des Schweigens über alle; Dalvenau brach es zuerst; sein Glück machte sich gewaltsam Luft.
»Nicht wahr,« sagte er freudig, Margaretens Hand ergreifend, »Ihre Glückwünsche gelten mir, daß ich sie errang, die Braut. O und ich nehme sie an,« fuhr er fort, Schlomann, der ihm zunächst stand, mit Herzlichkeit die Hand schüttelnd, »ich bin ein glücklicher Mensch.«
»Gewiß,« erwiderte der junge Kaufmann, »nehmen Sie die Versicherung meiner aufrichtigen Teilnahme, Herr Graf, und wenn meine Freude dennoch etwas lau erscheinen sollte, so schreiben Sie das meinen geteilten Gefühlen zu; ich wünsche der künftigen Gräfin Dalvenau von Herzen Glück, doch ich traure um die ›Gebrüder Spalding‹.«
Margarete wurde bleich; sie drückte die Hand des Geliebten fester und schwieg. Gumbly sah ihren Kampf; er hatte sich etwas wieder gefaßt und er fühlte, er mußte etwas sagen, wenn er keine lächerliche Rolle spielen wollte. Seine Neigung für Margarete, sowie seine Hoffnung, war niemand ein Geheimnis geblieben, und Schlomann sollte wenigstens nicht die ganze Größe seiner Niederlage kennen.
»Ich bringe Ihnen einfach meinen Glückwunsch,« sagte er, sich an beide Liebenden wendend. »Meine Teilnahme für das Spaldingsche Haus, dessen Glanz und Name nun natürlich in der kaufmännischen Welt unwiderruflich erlischt, ist nicht geringer, als die meines Freundes, allein der Fall kam mir nicht unerwartet. Edmund, Madame Wytt, selbst verschiedene Freunde des seligen Herrn Spalding haben es prophezeit, daß die Firma einem Wappenschilde geopfert werden würde. Ich weiß, Ihre Liebe und Ihr Interesse wird den glänzenden Erinnerungen verbleiben, die mit dem Hause verknüpft sind. Sie hoben einst mit kräftigem Geiste und fester Hand den guten, alten Namen empor über alles, was sich seinem Besten entgegenstellte, aber Sie werden ihn nicht schützen können gegen das Verdammungsurteil, das ein Reiterregiment darüber ausspricht. Wenn Sie aber dem nie gekannten Zwange sich beugen, so ist das zugleich eine neue, bewundernswerte Eigenschaft, die die Liebe entfaltet hat und die das beste Zeugnis für Ihr Glück giebt.«
Margarete hatte ihm zugehört und mit eiserner Gewalt ihre Züge beherrscht, daß kein Zucken, kein Beben ihm verriet, wie weh er ihr gethan, und wie ihr zertretener Stolz sich wand unter seiner höhnenden Rede. Aber beugen konnte sie sich nicht, diesem Spotte dieses Menschen nicht. Und dann – was konnte sie anders, als rasch handeln? Wurde Dalvenau nicht doch vielleicht der Konsens zur Heirat mit einer Bürgerlichen verweigert, wenn der Onkel seinen Einfluß geltend machte? Soll sie sich unnützen Demütigungen aussetzen? Nein, frei mußte sie sein, frei auch wollte sie den Geliebten machen; Knechtschaft war Tod, und sie wollte lange leben und glücklich. Alle diese Gedanken flogen mit Blitzesschnelle durch ihren Kopf, und als Gumbly geendet hatte, schwankte sie nicht mehr.
»Sie irren,« sagte sie, »Sie und alle meine Freunde. Margarete Spalding fragt bei keinem Regiment, bei keinem König, ob ihre Schiffe wie früher die Meere durchkreuzen, ob ihr Name an der Börse vertreten sein, ob er sein Ansehen in der Handelswelt bewahren soll. Ich hatte nur einen zu fragen und dieser eine, mein Verlobter, gab seine Einwilligung. Nicht der Lieutenant Dalvenau war es, der meine Bitte gewährte, seit einer Stunde ist sein Abschiedsgesuch geschrieben; es war Graf Dalvenau, der Gutsherr von Solbringen, der meinen ersten Wunsch erfüllte.«
Dalvenau sah sie an wie versteinert, vergeblich suchte er nach Worten, um sich gegen diesen Beschluß aufzulehnen. Margaretens Blick voll Angst und demütiger Bitte, den sie auf ihn heftete, fesselte seine Zunge. Sie hatte ohne Rücksicht auf seine Neigung und seinen Willen alles ihrem Trotze geopfert, seinem Leben eine ganz veränderte Gestalt gegeben. Aber sie liebte ihn, sie war sein Glück und sein Ziel, er mußte sie aufgeben oder seinen Beruf, da war kein anderer Weg – und er wählte nicht mehr. »Sie sehen, Herr Gumbly, Sie dürfen allen gratulieren, meiner Braut, mir, dem Geschäfte und auch der Madame Wytt, daß dieselbe sich irrte. Da die Mitteilung unserer Verlobung indes nur eine zufällige, durch die Umstände gebotene ist, so bitte ich Sie, meine Herren, so lange darüber zu schweigen, bis ich meine Dienstentlassung in Händen habe.«
»Aber Ihr Gesuch, Herr Schlomann, ist gewährt,« sagte Margarete. »Ihr alter Zimmermann wird Unterkommen hier finden; eine glückliche Braut soll keine Bitte abschlagen, die sie erfüllen kann.«
Er verneigte sich tief.
»Also tiefes Geheimnis,« sagte Gumbly versichernd, indem er Abschied nahm und Schlomann mit sich zog, »von uns soll es bewahrt werden; doch hüten Sie Ihre Augen, Fräulein Margarete, ich fürchte, sie plaudern von dem, was sie im Herzen sehen.«
Die Thür schloß sich und die beiden, waren allein. Margarete schaute ihn an, aber nur einen Moment – im nächsten Augenblick lag sie an seinem Herzen. »Vergieb, ich weiß, was ich gethan! Ich nahm Dir Deine Familie, Dein Vermögen, Deinen Beruf; aber sei gütig und verzeihe um meiner Liebe willen. O, sie ist unerschöpflich, sie soll Dir die Deine ersetzen, und ich will in Demut Dir dienen, solange ich lebe. Mit fürstlichem Reichtum will ich Dich umgeben und Dich frei machen von jedem Zwang, ich will Dir eine neue Thätigkeit schaffen und Du sollst der Herr sein über mich, über alles, was mir angehört.«
Er schloß sie fest an sich. »Margarete, meine Geliebte, mein süßes, liebes Mädchen, wie macht die Liebe Dich so schön, so gut! O laß sie mir immer so in diesem reichen Maße, und Du hast meinem Leben nichts genommen, nur gegeben.«
Sie weinte leise an seinem Herzen. »Du hast meinen guten Namen teuer bezahlt, doch er war verloren, wenn ich schwieg. Dieses Zusammensein mit Dir war eine Anklage, die nach den Beschuldigungen Deines Onkels doppelt gewichtig war. Und dann trieb Gumbly mich weiter, ich fürchtete, wir könnten lange vergebens um die Erlaubnis zu einer Verbindung bitten; ich fürchtete die Intriguen Deines Onkels, die Spöttereien meiner Bekannten, und da, Paul, brach ich mit fester Hand die Kette und machte Dich frei.«
»Es war ja gut so, Margarete,« tröstete er die Aufgeregte, »und hast Du mich nicht schon in neue Fesseln gelegt, die niemand zerreißen kann?«
Sie lächelte mitten in ihren Thränen. Da öffnete Frau Ebermann vorsichtig die Thür. »Darf ich die Limonade jetzt bringen?« fragte sie.
»Gute, alte Seele,« lachte Dalvenau, »kein anderer hätte so genau gewußt, wie viel Zeit solch ein Getränk haben muß.«
Sie verstand ihn nicht, ihre forschenden Blicke flogen von einem zum andern. »Sie haben ja geweint, Fräulein,« sagte sie erschrocken, »was giebt es denn?«
Margarete sah sie fröhlich an. »Glück,« sagte sie, »Lisbeth, freue Dich, ich bin eine Braut, eine glückliche Braut.« Der alten Frau fiel die Krücke aus der Hand und sie sank vor Erstaunen auf den Stuhl, der neben ihr stand.
»Eine Braut!« rief sie, die Hände zusammenschlagend, »das ist ja wohl nicht möglich, seit wann, mit wem?«
»Hier ist er,« lächelte das schöne Mädchen und ergriff Dalvenaus Hand.
»Mein Herr und mein Gott!« rief die alte Frau, »welch ein Glück! Hab' ich es nicht immer gesagt, das ist der Rechte.«
»Ja, ja,« sagte Margarete, »wir dachten dasselbe, Lisbeth; aber nun höre, Du mußt noch ganz stillschweigen über die Sache, sonst werde ich bös. Die Tante weiß es noch nicht mal.«
»Seien Sie unbesorgt,« rief die Alte, »eher wollte ich mir ja die Zunge ausreißen. Aber dies Glück –«
»Dies Glück!« wiederholte Dalvenau leise und drückte Margaretens Hand. Die aber drängte zum Aufbruch; »komm,« bat sie, »fahre mit mir nach Haus, die Tante muß es wissen und Laura.«
Als Margarete vor die Hausthür trat, brach heller Sonnenglanz durch die Wolken, als wolle er die junge Braut begrüßen in ihrem Glück. Und sie lächelte dankbar und froh; wie war die Welt so schön, war es denn mit einem Male Frühling geworden, waren es lauter glückliche Menschengesichter, die sie anschauten?
Beinahe zwei Jahre waren an Margarete vorübergegangen, seit sie Graf Dalvenaus Gattin war, und das Glück war ihr treu geblieben, es lächelte sie noch an, wie an jenem Tage, wo es zuerst ihr erschienen war. Madame Wytt hatte keine abmahnende Vorstellungen gegen diese Heirat erhoben, als sie erfuhr, Margaretens Gatte werde seinen Abschied als Offizier nehmen; ihr Liebling war ja glücklich, sie hatte der Würde der Familie nichts vergeben, und wenngleich sie gewünscht, daß das Geschäft einen Prinzipal bekommen hätte, so hatte Margaretens taktvolle Festigkeit, ihre Umsicht und Ruhe doch hinlänglich bewiesen, daß sie der Leitung des Hauses sehr wohl mit Hilfe eines tüchtigen Disponenten vorstehen könne. Im übrigen erfreute sich Dalvenau der Gunst der alten Dame; die vergötternde Liebe, mit der seine Gattin an ihm hing, war ihr eine Garantie für seinen Wert. Nach Jahresfrist wiegte Margarete einen blühenden Knaben auf den Knieen und nachdem Madame Wytt diese letzte Freude ihres Alters erlebt, als sie die junge Frau geschaut hatte, verklärt vom Heiligenschein der Mutterliebe, schloß sie die Augen und folgte mit Freudigkeit ihren vorangegangenen Lieben.
Laura war noch im Hause; sie war nach wie vor Margaretens diensteifrige, ergebene Freundin, die von der jungen Frau lieb und wert gehalten wurde. Und doch war sie es, die Margarete zu Dank verpflichtet war, denn diese sorgte für die Schutzlose wie eine gütige Mutter. Sie erfüllte mit zarter Aufmerksamkeit ihre Wünsche, und als Laura während Margaretens kurzer seliger Brautzeit am Nervenfieber mit dem Tode rang, entzog doch selbst dies Glück dieselbe keinen Augenblick ihrer Pflicht oder Sorge um die Kranke.
Der alte General Dalvenau hatte sein Wort gehalten, er hatte seinen Neffen enterbt, und Margarete wäre um keinen Preis zu bewegen gewesen, einen Schritt zur Ausgleichung oder Versöhnung zu thun. Als Paul Dalvenau seiner Braut die schriftliche Gewährung seines Entlassungsgesuches überreichte, dankte sie ihm mit glühenden Küssen und gab ihm dann eine Schenkungsakte ihres Gutes Solbringen. »Laß mich,« bat sie, »gewähre mir diese Bitte, ich nahm Dir eine Thätigkeit, ich muß Dir doch eine andere bereiten. Dies ist das einzige, was mich mit meinem raschen Handeln ganz aussöhnt, denn Güter hätte Dein Onkel Dir ja hinterlassen, und früher oder später, ich weiß es, Paul, hättest Du Dich doch gegen das Joch aufgelehnt und es abgeschüttelt, und Du würdest späterhin Deine Güter gewiß selbst verwaltet haben.«
Er schloß sie an sein Herz. »Du denkst an alles,« antwortete er, ohne jedoch ihrer Vermutung beizustimmen, »Du schaffst, Du wirkst so unendlich viel mehr als ich, daß, wenn mir in meiner Liebe etwas fehlen könnte, so wäre es die Sorge um Dich.«
»Eben deshalb bot ich Dir ja mein Geschenk,« sagte sie eifrig, »bei dem mehr Sorge und Arbeit, als Bequemlichkeit und träger Genuß ist. Da kannst Du verbessern, schaffen, verschönern, nach Deinem Bedürfnis und Geschmack.«
Aber Margarete hatte ihn nicht gefragt, ob er überhaupt Neigung für den Beruf eines Landwirts empfinde. Sie hatte das vorausgesetzt; es war eine freie, ungebundene Thätigkeit, die selbständig wirkte, und es war ihrer Meinung nach das einzige, was er ergreifen konnte in seinen jetzigen Verhältnissen, ohne besonders dafür erzogen zu sein. Die Flitterwochen hatte das junge Paar auf einer langen Reise verlebt und bei ihrer Rückkehr war der Winter schon da. Die langen und traulichen Abende, die vielen Besuche, die sich glückwünschend bei den jungen Neuvermählten einfanden, die Vergnügungen des Winters, der Reiz der neuen und ungewohnten Verhältnisse füllten die Zeit Dalvenaus aus, die ihm die Liebe übrig ließ und er fühlte noch nichts von der eigentlichen Leere seines unbeschäftigten Lebens. Zudem hatte man beschlossen, im Frühlinge nach Solbringen hinauszuziehen, von wo man in einer Stunde in der Stadt sein konnte. Margarete wollte dann jeden Morgen früh hineinfahren und in der Stadt bleiben, bis die Börse vorüber war, um etwaige Nachrichten von Hechler zu erfahren, ehe sie die Stadt verließ, und den Nachmittag und Abend wollte sie mit dem Gatten in freudiger Ruhe genießen. Diese Pläne hatten in 1 der Ferne etwas Lockendes und Liebliches; ein Tag voll Thätigkeit, ein Abend voll Genuß und Stille und Liebe, dann und wann Freunde und Bekannte um sich zu sehen; es war etwas in diesem Vorhaben, was Dalvenaus Stimmung schon jetzt eine gewisse Befriedigung verlieh.
Aber in der Wirklichkeit, als nun der Frühling kam und man hinauszog, da wurde es anders. Der Tag, den Margarete fern von ihm verlebte, die Stunden, auf die ihre geliebte Gegenwart nicht ihren vergoldenden Schein warf, wurden ihm einsam und lang. Die neue, ungewohnte Beschäftigung fesselte ihn nicht, er konnte ihr keinen Geschmack abgewinnen, und wenn er in der Hitze des Tages seine Felder durchstreift und hier und da den Arbeiten seiner Leute zugeschaut hatte, kehrte er mißmutig und ermüdet heim und erwartete mit Sehnsucht Margarete und mit ihr Freude, Leben und Anregung. Anfangs begleitete er sie selten, dann öfter in die Stadt und zuletzt blieb er nur daheim, wenn er Gesellschaft draußen hatte, wenn Edmund oder seine früheren Kameraden bei ihm waren. Dieses Leben bekam zwar einen neuen Aufschwung, eine erhöhete Sorge und liebevolle zärtliche Stimmung, als Margarete ihm einen Sohn schenkte; aber das war nicht von Dauer. Während sie an das Haus gefesselt war und Dalvenau sich in Mühe und Aufmerksamkeiten erschöpfte, machte ihn die Erfüllung dieser Pflicht, die die Liebe ihm leichter werden ließ, glücklich. Er freute sich seines Kindes, er begrüßte mit Jubel das erste wiederkehrende Not auf Margaretens Wangen; er las ihr vor, erheiterte und unterhielt sie, er war zufrieden selbst in dieser für einen Mann so ungewohnten Sorge des Krankenwärters, denn endlich wurde das verkehrte Verhältnis ein ordnungsmäßiges, gleichviel auf welche Weise. Margarete ruhte; er war voller Thätigkeit. Aber sie hatte eine kräftige Gesundheit, stark und unverzärtelt wie ihr Geist, und es waren nur wenige Wochen, die sie der Wiederherstellung ihrer Kräfte widmete. Sie begann voll Freudigkeit ihr gewohntes Leben, und voll inneren Mißmuts kehrte er zu dem seinigen, um sich auch sogleich wieder davon abzuwenden. Das stille, geduldige Warten und Hoffen des Landmanns paßte so wenig zu seinem raschen, kühnen, ungeduldigen Denken und Handeln, und dann –selbst hier war er nicht Herr, nicht selbständig. Auch mußte er seine Meinungen und Pläne der besseren Einsicht eines Verwalters unterordnen, der ihm in der Landwirtschaft überlegen war. Er war zu klug, um eigensinnig auf die Vollziehung eines Befehls zu bestehen, von dem ihm jener bewies, daß er nicht weise und dem Besten des Gutes nicht förderlich sei, und doch war er zu schwach, sich dem aufgedrungenen Berufe, dem er täglich abgeneigter wurde, so vertraut zu machen, daß seine Meinungen wirklich maßgebend hätten werden können.
Margarete selbst fühlte es nicht, in welche falsche Stellung sie den geliebten Mann gebracht hatte; sie bemerkte es nicht, wie er allmählich zur Null herabsank; denn sie, sie erhob ihn ja in ihrem liebenden Herzen, sie schaute auf zu ihm, wie zu einer Gottheit, sie glaubte, es müsse so sein überall und mit jedem. Seinen Mißmut sah sie nicht, denn wenn sie kam, »seine Sonne, sein Licht«, wie er sie nannte, dann flohen die trüben Wolken und auf seiner Stirn lag die Heiterkeit und das Glück der Liebe. Aber Madame. Wytt sah schärfer; die würdige alte Dame, die aus der Villa zurückblieb, wenn Margarete hineinfuhr, that ab und an einen liefern Blick in das Gemüt und das Leben ihres neuen Neffen. Und doch mochte sie Margarete nicht ängstigen, ihr Liebling sollte keine traurige Stunde haben. Sie dachte selbst aus Abhilfe, aber sie sann und sann, und dann kam der Tod und that ihrer Sorge Einhalt, und sie fand kaum Zeit und Mut, Margarete in einigen andeutenden Worten G aufmerksam zu machen.
Aber es waren eben nur andeutende Worte, deren Sinn Margarete nicht einmal verstand. Aufmerksam freilich war sie geworden, und die Aufmerksamkeit verscheucht die Unbefangenheit, und mit ihr flieht der keusche Schimmer des wahren Glücks. Die junge Frau war unruhig und wußte nicht warum; sie erinnerte sich jetzt daran, wie oft Dalvenau unnötigerweise tagelang seine Anwesenheit dem Gute entzogen hatte, selbst in wichtiger Zeit, um den Vormittag mit seinen früheren Kameraden oder in einem Kaffeehause hinzubringen, bis sie wieder hinausfuhr. Und doch, jetzt zu derselben Zeit, wo ihr das Erinnern daran ein unangenehmes Gefühl verursachte, mußte sie sich auch sagen, daß es schon beseitigt sei, denn Dalvenau war entschieden häuslicher geworden seit den wenigen Wochen, wo Margaretens Nachdenken sie endlich auf diesen Punkt hingeleitet hatte und Madame Wytt tot war. Zudem war der Winter vor der Thür und die verminderte Thätigkeit auf dem Lande, die langen Abende ließen es angemessen erscheinen, daß man wieder während der Wintermonate in die Stadt zog und Dalvenau von hier aus dirigierte und möglichst oft hinausfuhr, um nachzusehen.
Laura schwieg zu dem allen, ob sie gleich fortwährend beobachtete, und die heiße Liebe, die sie einst für Dalvenau gefühlt, war nicht schwächer geworden. Aber sie verstand dieses Gefühl auf eine meisterhafte Weise zu verbergen, solange, als sie Dalvenau in allen Stücken befriedigt glaubte. Doch als ihr scharfes Auge die Leere erspähte, die ihm trotz aller Liebe und alles Glückes geblieben war, da verstand sie ihn und sie kam ihm auf eine tröstende und liebreiche Weise entgegen, die wenigstens seine Dankbarkeit wach rief. Und ihre Annäherung wurde eine noch innigere, als Madame Wytt nicht mehr hindernd und wachsam zwischen ihnen stand. Margarete fürchtete sie nicht: die unbegrenzte Sicherheit und Sorglosigkeit der jungen Frau sah in jeder Annäherung Lauras an ihren Gatten nur einen neuen Beweis ihrer Dankbarkeit und Ergebenheit und sie freute sich jeder zarten Rücksicht, die derselbe auf die Verlassene nahm. Anders dachte Klärchen; allein wie alle unentschlossenen Naturen hätte sie lieber jedes andere gethan, als Margaretens Herz mit einem Mißtrauen zu vergiften, das sie nicht einmal rechtfertigen konnte. Überdies liebte Paul Dalvenau seine schöne Gattin mit einer wahren innigen Liebe, das wußte sie, und sein Herz konnte sich nie von Margarete abwenden. So schritt der Winter vorwärts, für Margarete in dem gewohnten Glück, für ihren Gatten brachte er durch Lauras sich immer mehr kundgebende Neigung wenigstens eine Abwechselung.
Es war an einem kalten Februar-Nachmittage, als Margarete zu ihrer Schwägerin gegangen war. Klärchen war leidend, und Margaretens Besuch konnte vielleicht ein ausgedehnter werden. Dennoch hatte Laura ihr Zimmer verlassen und sich in den Salon begeben, in dem die Familie sich abends zu versammeln pflegte, und nachdem Licht gebracht und die Vorhänge zugezogen waren, setzte sie sich lesend an den Kamin. Aber ihre Aufmerksamkeit schien nicht bei dem Buche zu sein, über das die dunklen Augen so oft hinaus und nach der Thür zu flogen, sie lauschte und ordnete dann und wann mit der Hand das schwarze Haar und warf einen Blick in den Spiegel, der über dem Kamine hing. Sie hatte lange geharrt, aber endlich wurde ihr Warten belohnt; denn die Thür öffnete sich und Graf Dalvenau trat ein.
»Ah, schon Licht und Feuer, alles gemütlich und traulich und warm!« sagte er freundlich. »Margarete ist wohl schon zurück?«
»Noch nicht,« entgegnete Laura und legte das Buch zur Seite; »sie sagte, sie könne nichts über ihre Rückkehr bestimmen. Sie wissen, wo es etwas zu nützen oder zu helfen gießt, da ist Margarete bei der Hand: sie macht sich überall unentbehrlich.«
»Sie ist es,« sagte Dalvenau, »sie würde es sein, selbst wenn sie es nicht wollte! aber sie schafft und wirkt überall Gutes.«
»Sie ist Martha,« sagte das junge Mädchen in einem Tone, der die Mitte hielt zwischen Lob und Spott.
Dalvenau fühlte nur den letzteren heraus und fast gereizt erwiderte er: »Gewiß, den Segen, den sie verbreitet, empfinden wir alle. Aber was sind Sie?«
»Maria!« rief sie und blickte zu ihm auf, und ihre Augen hatten einen so seltsamen Ausdruck, daß er die seinigen einen Augenblick abwandte. Dann aber sah er wieder hin; sie schaute ihn noch immer an –und zum ersten Male sah er, daß sie hübsch war.
»Und Maria hat das beste Teil erwählt,« fuhr sie langsam und betonend fort. »Sie machte nicht Lärm und Geräusch, sie drängte sich mit ihrer Thätigkeit nicht auf den ersten Platz, wo sie bemerkt und bewundert ward, sie saß zu Füßen ihres Herrn und horchte seinen Worten. Und dadurch, daß sie horchte und ihn lehren ließ, störte sie ihn nicht in seinem Berufe, nicht die Ordnung der Dinge, die da will, daß der Mann den bedeutendsten Platz einnimmt und das Weib den untergeordneten.«
Er sah sie nachdenklich an. »Es giebt wenig Marien,« sagte er.
»Weil die Liebe so selten wird,« erwiderte sie.
»Liebe?« sagte er wie verwundert, »kennen Sie denn die Liebe? Was wissen Sie davon?«
»Kennen Sie sie?« fragte sie heftig und leise und faßte ungestüm seinen Arm, der auf der Lehne ihres Sessels ruhte. »Kennen Sie die heißen Thränen langer durchwachter Nächte? Kennen Sie die Angst des Hoffens und Verlierens, den Gram der Täuschung, die Bitterkeit des Verschmähtseins, die finstere Qual der Eifersucht? Wissen Sie, was es heißt, den Geliebten in den Armen einer andern sehen, sich mit jedem neuen Tage das Herz aufs neue brechen lassen und dazu schweigen und dennoch anbeten? –Kennen Sie das? –dann kennen Sie die Liebe!«
Er sah sie fast bestürzt an. »Laura,« rief er, »wer lehrte Sie lieben?«
»Sie!« sagte das junge Mädchen und blickte ihn fest an; »aber Sie wissen es, warum fragen Sie mich?«
Er war erschüttert. Er liebte sie nicht; aber ein tiefes Mitleid, eine heftige Bewegung zog durch seine Brust bei diesem Bekenntnis. Er zog sie leise an sein Herz, er, der Mann, konnte dem hilfe- und schutzbedürftigen Weibe, das durch dies Geständnis wenigstens an seine Teilnahme appellierte, den Trost nicht versagen.
Aber sie nahm seine Bewegung nicht für einen Beweis seines Mitleids oder der Achtung, die er ihr trotz ihres ungewöhnlichen Schrittes zeigen wollte; sie sah darin die erste erwidernde Liebe, und mit einem leisen, aufjubelnden Schrei erwiderte sie heiß und stürmisch seinen Kuß. Paul Dalvenau war jung und leidenschaftlich, und auch einen ruhigeren Mann würde der Moment hingerissen haben. Sein Herz wußte nichts davon; aber seine Sinne rissen ihn fort, und jetzt nicht mehr zaghaft oder beruhigend, sondern selbst erregt, preßte er sie ungestüm an seine Brust.
Da wurden Stimmen und rasche Tritte im Vorzimmer hörbar, und kaum hatte Laura sich aus seinen Armen losgerissen, so öffnete ein Bedienter die Thür und Margarete trat ein.
Margarete schien erhitzt und eilig und war noch im Hut und Mantel. »Guten Abend, guten Abend!« rieft sie fröhlich, »ach Ihr habt gewiß voll Ungeduld und Sorge auf mich gewartet und auf die Nachricht, die ich bringe. Aber es ist alles gut, Klärchen hat einen schönen prächtigen Knaben und ist ganz wohl, ganz beglückt, und Edmund über alle Maßen froh.«
»Wirklich?« rief Dalvenau, dessen Erregung vor Margaretens Anblick sich wunderbar schnell gelegt hatte und eher einer gewissen Verlegenheit gewichen war, »das freut mich von Herzen; Kinder verdoppeln das Glück. Und Du, mein süßes, liebes Weib,« sagte er zärtlich, »Du hast Hilfe und Trost gespendet wie immer; wo Du bist, da geht alles gut; Du führst das Glück mit Dir!« –Seine Stimme klang so weich und innig, Laura fühlte, daß die Reue daraus sprach: Margarete hörte nur die Liebe.
Sie lächelte. »O Liebster, ich habe wenig nützen können, nur Geduld predigen, und nachher –nun, da war genug Freude für mich.«
Sie schellte dem Kammermädchen. »Ich will nur gleich hier mich des Pelzes entledigen,« sagte sie, »es ist so behaglich hier, man mag nicht mehr fort. Ist es Dir recht, Paul, so nehmen wir etwaige Besuche für heute abend nicht an; ich bin ein wenig erschöpft und ich will mich von Euch beiden pflegen lassen, wenn Ihr wollt.«
»Wie gern!« rief er und setzte sich neben sie auf das Sofa, »und Du weißt, Margarete, diese stillen Familienabende sind für mich schöner als alles!«
»Du kannst Dir keine Vorstellung von Edmunds Glück machen,« begann Margarete aufs neue, »er ist ein ganz anderer heute, so weich, so gerührt, so besorgt, und,« setzte sie lachend hinzu, »der Knabe war kaum eine Stunde alt, als er schon Pläne für seine Zukunft machte. Das nenne ich doch eine Umwandlung: denn an sich selbst hat er in dieser Beziehung nie gedacht. Aber freilich, Glück und Liebe, was machen sie nicht aus dem Menschen! Und was das Freudige, das Schöne ist, sie wandeln immer zum Guten. Das Glück macht dankbar und weich, und Liebe, wahre Liebe, glaube ich, schützt vor jeder unreinen, selbstsüchtigen Regung des Herzens.«
Aus Dalvenaus Blicken sprach das tiefe Gefühl, das ihn in diesem Augenblicke bewegte. »Gewiß,« sagte er, »wahre Liebe ist ein Schutzengel, der behütet und warnt im rechten Augenblick. Und dann, Margarete, wo sie nicht behütet hat, da kann die Liebe auch vergeben.«
Die schöne Frau nickte. »Ich glaube aber, gottlob, Paul, daß wir dieses Vorrecht noch nie in Anspruch genommen haben. –Ich bin gar nicht mehr in die Kinderstube hinaufgegangen,« sagte sie, plötzlich das Thema wechselnd, »weil Hänschen natürlich schon lange schläft; aber, Laura, Du hast ihn gewiß vor dem Schlafengehen gesehen, war er munter und zufrieden?«
»Vollkommen,« erwiderte sie, »ich habe ihn nicht ein einzig Mal weinen gehört.« Als sie den Kopf erhob, sah Margarete, wie bleich sie war, und jetzt fiel es ihr auf, wie still sie gewesen war, daß sie nicht einmal bei der frohen Familiennachricht ein Zeichen der Teilnahme und Überraschung hatte laut werden lassen.
»Laura,« sagte sie, »Du bist so still und siehst auch müde und angegriffen aus; fehlt Dir etwas?«
»Ich habe Kopfschmerzen,« antwortete sie; »ich möchte mich zurückziehen, Margarete, wenn Du nichts dagegen hast.«
»Laura!« rief diese, leise tadelnd, »etwas dagegen haben, wie kannst Du doch nur so sprechen, liebes Herz? Geh schlafen und erwache morgen mit freiem Kopfe und leichtem, fröhlichem Herzen,« fügte sie gütig hinzu.
Laura antwortete nicht, aber sie sah Dalvenau an mit einem eigentümlichen Ausdruck. Margarete folgte diesem Blicke und er fiel wie Feuer in ihr Herz. Es war ein seltsamer Blick und –Dalvenau hatte ihn verstanden, denn er wandte sich verlegen ab. Zum ersten Male zuckte es in ihrem Herzen wie ein brennender Schmerz, aber sie konnte das Gefühl nicht nennen, ihre schöne große Seele kannte das Gift noch nicht, das das Menschenherz verdunkelt und verkleinert, das Glauben und Vertrauen erstickt. Es war nur wie etwas Fremdes oder Beängstigendes zwischen die Gatten getreten, und obgleich Laura kein Wort zur Unterhaltung beigetragen hatte, so stockte doch plötzlich das Gespräch, als sie hinaus war. Eine leise und unbestimmte Ahnung des Vorgefallenen dämmerte in Margareten auf. Sie konnte dies Gefühl durch nichts rechtfertigen oder erklären, denn sie konnte sich an nichts halten, auf nichts stützen, als auf diesen einen Blick, der ihren Mann anzuklagen schien; aber sie konnte die trüben Gedanken nicht bannen. Ihre offene, edle Natur jedoch konnte auch nichts verbergen, nichts Fremdes dulden zwischen sich und dem Gatten, und nachdem sie eine halbe Stunde vergeblich gegen ihr Mißbehagen angekämpft, wandte sie sich auf dem kürzesten und sichersten Wege an den Geliebten selbst.
»Paul,« sagte sie und legte leise die Hand auf seinen Arm, »wir sprachen eben davon, daß die Liebe ein Schutzengel sei und behütet und warnt und vergiebt. Soll meine Liebe auch Dich behüten, darf ich Dich warnen? Und willst Du mir vergeben, wenn ich mich irrte?«
Eine dunkle Röte überflog sein gebräuntes Gesicht, er hätte nicht lügen können, jetzt nimmer, da sie Abbitte thun wollte, wenn sie sich geirrt.
»Warne mich,« sprach er mit weichem Tone, »behüte mich, Du mein Engel, Du, auf daß ich Deiner Liebe wert bleibe.«
»So denke daran,« sagte sie, »daß Laura allein ist, daß sie auf der weiten Welt keine Zuflucht hat als bei uns. Sie kam Schutz und Obdach suchend, und wir, die wir der Verlassenen freudig die Thür öffneten, müssen wachen über ihre Ehre und ihren Frieden, nicht sie darin kränken. Für Dich wäre das Vergehen größer, als für jeden andern Mann, der ihr ferner steht, denn sie vertraut Deinem Schutz. Und dann, Paul, ich liebe Dich –o so sehr, ich habe Laura nach Kräften Gutes gethan. Ihr wollt nicht im Scherz, nicht um einer Spielerei willen das Herz mir brechen?«
»Margarete,« rief er überwältigt von der Größe ihrer Liebe, die ohne kleinliche Eifersucht, ohne Zorn und Bitterkeit nur warnte mit sanftem Wort, »mein süßes, mein herrliches Weib, wie soll ich Dir danken und wie Dich verdienen. Du mahntest zur rechten Zeit und Du hast mir gezeigt, was ich zu thun im Begriff war. Ich will nicht der Verlassenen den Zufluchtsort rauben, nicht ihren Frieden trüben und ihr Gewissen mit dem Vorwurfe des Undankes belasten gegen Dich. Sie darf mir diese Opfer nicht bringen, ich liebe sie ja nicht, ich habe kein zärtliches Gefühl meines Herzens, auch nicht das leiseste, was für sie spricht, als Teilnahme. O, meine Seele gehört Dir, das weißt Du, meine Liebe ist Dein, und wenn sie hätte mächtiger werden können, so ist sie es geworden durch Deine milden Worte, die mich plötzlich in Deines Herzens Tiefe schauen ließen. Ich wußte, es war ein großes, gutes, liebes Herz, das ich besaß, aber ich kannte doch nicht den Reichtum, der darin ruht.«
Sie neigte den Kopf an seine Brust; »es ist gut, Paul,« sagte sie, und die Thränen, die in den leuchtenden Augen geschimmert hatten, tropften langsam jetzt nieder auf seine Hand; »ich habe Dich noch, ich fühle es. Es war Spiel, aber ein gefährliches Spiel, und ich weine, denn ich bin eben ein Weib. Wir zittern noch vor der Gefahr, selbst wenn sie vorüber ist.«
»Du sollst nicht weinen, sollst nicht zittern,« rief er bittend; »was könnte Margarete fürchten. Bin ich nicht Dein, hier und überall, hast Du mich nicht gefesselt wie mit Zaubermacht, macht Deine Nähe mich nicht glücklich und gut?«
Sie lächelte, sie glaubte ihm und durfte ihm glauben. Er liebte sie mit aller Kraft seiner Seele, und bis an sein Herz war die Versuchung nicht herangetreten.
Dalvenau hätte so leicht seine Thorheiten beschönigen können, wenn er Margarete gestanden hätte, wie Lauras Entgegenkommen ihn hingerissen hatte. Aber er verschmähte es, sich auf Kosten eines jungen Mädchens zu verteidigen, eines schwachen, liebenden Weibes, das durch seine Hingebung und sein Vertrauen Ansprüche auf seine Verschwiegenheit hatte. Doch er fühlte deutlich, daß Laura ihm nie hätte so nahe treten können, wenn nicht ihre Teilnahme, ihr Verständnis seines Gemütszustandes sie einander genähert hätten. Hätte er sich innerlich befriedigt und an seinem Platze gefühlt, er würde ihres Trostes nicht bedurft haben, und die Leere so vieler Stunden wäre nicht als Versucherin an ihn herangetreten. Er nahm sich vor, sich anhaltend zu beschäftigen, er wollte den Platz ausfüllen, auf den Margarete ihn unbedachtsam gedrängt. Dadurch trat Laura ihm wieder ferner, er hatte weniger Zeit und vielleicht mehr Zufriedenheit mit seiner Lage. So waren die Gatten beide beruhigt, sie durch seine einfache Liebesversicherung, und er durch seine Vorsätze, die ihm wenigstens heute abend leicht auszuführen schienen.
Am nächsten Morgen versuchte er mit Ernst, Laura auszuweichen, und als Margarete sich in ihr Kabinett begab, um Hechler zu sprechen, ließ er den Wagen bestellen, um nach Solbringen hinauszufahren. Doch Lauras Wünsche stimmten nicht mit den seinen überein, was kümmerten sie ihre Ehre und Margaretens Frieden, die sie haßte. Als er auf den Korridor trat, kam sie ihm entgegen; es schien fast, als habe sie sich hier zu thun gemacht, um ihm zu begegnen. Sie hielt ihm schweigend die Hand hin, und obgleich es ihn Wie ein Zeichen des Einverständnisses unangenehm berührte, konnte er doch nicht an ihr vorübergehen; die natürliche und anerzogene Galanterie des Mannes lehnte sich dagegen auf.
»Guten Morgen, Laura,« sagte er, »ich habe Ihnen ein Unrecht von gestern abend abzubitten, ich hoffe, Sie werden mir vergeben um meiner Versicherung willen, daß ich nie in ähnlicher Weise vergessen werde, was ich Ihnen schuldig bin.«
Sie ließ seine Hand los. »Ein Unrecht?« fragte sie langsam, »Sie nennen es ein Unrecht, das kurze Glück, womit Sie mein verschmachtendes Herz labten, und nachdem Sie mir großmütig das Licht gezeigt, soll es wieder Nacht werden, ewige Nacht?«
Ihre Frage betrübte ihn –so schwere Folge sollte dieser eine Kuß für ihr Herz haben? »Ich darf, ich will nicht lügen,« sprach er mit festem Ton, »Wahrheit ist das mindeste, was Sie von mir fordern können. Ich that unrecht, weil ich Sie nicht liebe, Sie wissen es, mein Herz gehört Margarete. Aber Ihr Geständnis, das mich mehr ehrte, als ich es verdiene, Ihre Jugend und Schönheit rissen mich hin, und ich sündigte nicht allein an Ihnen, sondern auch an Margareten.«
»Ich auch,« sagte sie düster, »die Menschen wenigstens würden so sprechen. Mit Margareten verbindet Sie die Liebe, mit mir –das Unrecht. Aber gleichviel welches Band uns verknüpft, wenn es nur eins ist. O, Dalvenau, ich segne die Sünde jenes Augenblicks, die wir gemeinschaftlich tragen.«
Er war erschüttert, er wollte sie beruhigen und doch war das Gespräch auf dem Korridor, wo jeden Augenblick ein Bedienter kommen konnte, ihm unangenehm. Früher würde es ihm gleichgültig gewesen sein; seit gestern war es ihm, als müsse ein Begegnen mit Laura jedem auffallen. »Fassen Sie sich,« bat er, »seien Sie stark und uns wird nicht das Unrecht, uns wird die Freundschaft vereinen.« Er reichte ihr die Hand, und sie drückte, ehe er es hindern konnte, einen glühenden Kuß darauf.
In demselben Augenblicke trat der Justizrat Wernold, Margaretes Rechtsanwalt und väterlicher Freund, um die Biegung des Korridors, und Dalvenau zog seine Hand bestürzt zurück. Eine mißbilligende Verwunderung spiegelte sich in den Zügen des alten Herrn, und seine rauhe Stimme klang noch härter als gewöhnlich.
»Ich bitte um Entschuldigung,« sagte er, »ich wünschte bei der Frau Gräfin gemeldet zu sein; aber ich sehe, daß ich mich verspätet habe und daß sie bereits unten in ihrem Kabinett sein wird.«
Dalvenau fühlte den Vorwurf, der in der Voraussetzung lag, daß Margarete abwesend war; aber er konnte dem alten Manne nicht zürnen.
»Meine Frau ist bereits unten, Sie haben recht,« antwortete er, »aber wollen Sie nicht bei mir eintreten?«
»Ich danke Ihnen,« sagte der Justizrat trocken, »ich habe mit der Gräfin geschäftliche Angelegenheiten zu besprechen und um halb elf Uhr ist noch keine Visitenzeit. Guten Morgen, Herr Graf! guten Morgen, mein Fräulein!« -
Dalvenau blickte ihm verstimmt und gedemütigt nach. Auf einem Unrecht ertappt, das er nicht verschuldet, abgefertigt zu sein wie ein Schulbube, weil es sich um ernste Dinge, um Geschäfte handelte, das ließ ihn seine unglückselige Stellung tiefer fühlen, als seit lange. Er zürnte Laura, die heute trotz seiner Vorsätze und Bemühungen durch ihre rücksichtslose Leidenschaft ihn in eine so unangenehme Lage versetzt hatte und er wollte sich erkaltet und mißmutig abwenden. Aber da stand sie noch und erhob bittend die Hände zu ihm.
»Zürnen Sie nicht,« bat sie, »ich will ja schweigen, wie früher, wenn Sie es wollen. Sie sind unglücklich, weil Sie nicht den Platz finden, der dem Manne gebührt, Sie fühlen sich abhängig und nutzlos, und das einzige Wesen, das Ihnen hilfesuchend naht, dem allein Sie und nur Sie Licht und Stütze sind, das stoßen Sie hinweg. Das einzige Werk, zu dem Sie berufen, ein Werk der Liebe, das erfüllen Sie nicht. Und ist es denn eines Mannes so unwürdig, ein menschliches Wesen zu Erlösen aus Nacht und Bitterkeit, aus Hoffnungslosigkeit und finsterm Haß? Netten Sie mich, lieben Sie mich, oder lehren Sie mich vergessen –aber verlassen Sie mich nicht!«
»Sie sollen nicht verlassen sein,« sagte er, »ich werde den Weg finden, der zum Guten und zum Frieden führt.« Er drückte ihr die Hand und ging rasch davon.
Sie sah ihm einen Augenblick nach. »Zum Frieden?« murmelte sie, »zum Frieden führt nur seine Liebe –und ich werde sie besitzen, denn ich will es!«
Dem Justizrat Wernold waren plötzlich die Augen geöffnet, und einmal aufmerksam geworden und unparteiisch und unbefangen, sah er bald schärfer als Margarete, die alles verabscheute, was dem Lauern und Beobachten ähnlich sah. Sie fand das unwürdig, und wie demütig sie war in ihrer Liebe, sie war zu stolz, um zu spionieren. Wernold dagegen bemerkte gar wohl den harten und redlichen Kampf, den Graf Dalvenau führte. Sein Rechtlichkeitsgefühl und seine innige Liebe für Margarete waren zwar wackere Streiter; allein Lauras Hingebung und Bitten, ihr Schmerz und seine Teilnahme errangen manchen Sieg, und er mochte es sich nicht eingestehen, daß auch ihre Jugend und Schönheit wenigstens einen Anteil daran hatten.
Margarete hatte ihn nicht wieder gefragt und er wich einer Erwähnung dieses Gegenstandes aus; ein offenes Geständnis hätte ihn in ihren Augen nicht so rein hingestellt, wie er es wünschte und sie es fordern konnte. Zwischen den Frauen war eine gewisse Kälte eingetreten, die jedoch mehr in Lauras bald übermütiger, bald gereizter Stimmung ihren Grund fand, als in einem Nachfragen oder einer Eifersucht Margaretens, die die Freundin nie hatte fühlen lassen, daß sie ihre Schwäche ahne. Und diese Schwäche hatte sich nicht vermindert, sondern Laura gab sich ihr rückhaltslos hin und es lag eine gewisse Konsequenz in ihrer verbrecherischen Thorheit, die sowohl den ernsten Vorstellungen wie der manchmal geäußerten Mißachtung des Grafen trotzte, um sich der flüchtigen Augenblicke zu freuen, wo die Unwandelbarkeit ihrer Leidenschaft über seine guten Vorsätze und die reineren Gefühle seines Herzens siegte. Dalvenau hatte selbst die Bitte gegen Margarete geäußert, Laura zu entfernen; er hatte ihr gesagt, daß er meine, zwischen Gatten dürfe kein dritter stehen, daß die fast beständige Gegenwart eines solchen das innige, vertrauliche Zusammenleben beeinträchtige, das die Bedingung einer wahrhaften Ehe sei; aber Margarete hatte sich dem widersetzt. Lauras Onkel, der Landpfarrer, war inzwischen gestorben, sie hätte zu Fremden gehen müssen; und hatte Margarete ein Recht, die Heimatlose wegen einer augenblicklichen Schwäche von ihrer Schwelle hinwegzutreiben? Und wenn sie es gehabt hätte, ihr Stolz würde es tausendmal verworfen haben, davon Gebrauch zu machen. Würde nicht Laura denken, daß Margarete sie fürchte? Würde nicht die Welt ihre Vermutungen anstellen und auf den Gedanken kommen, daß in dem jungen Mädchen eine gefährliche Nebenbuhlerin entfernt sei? Und Margaretens stolzes Herz zitterte bei dem Gedanken, daß man je mitleidig die Achsel zucken könnte über ihr früh verblühtes Glück, daß man je ahnen könne, daß Dalvenau, wenn auch noch nicht der Vergebung, doch der Warnung bedurft hätte. Sie hatte, als sie diese Verbindung schloß, ihre Wünsche und ihre Interessen, ihren Stolz und ihre Überzeugung ihrem liebenden Herzen zum Opfer gebracht; die Welt hatte mißbilligend das Haupt dazu geschüttelt und an der Dauer eines Glückes gezweifelt, das von beiden Seiten so teuer erkauft war. Sollte sie recht gehabt haben? Sollte sie die Sonne sinken sehen, noch ehe der Abend kam? – Laura blieb und Margaretens Stolz trieb ihren Gatten abermals einem Kampfe zu, dessen Ernst sie nicht ahnte. Ihr Herz, so groß und rein, konnte es nicht denken, daß ein junges Mädchen seine jungfräuliche Würde und Hoheit von sich werfen und als Versucherin vor den Gatten einer anderen treten könne, vor den Gatten einer Frau, die ihr, der Verlassenen, schwesterliche Liebe und Heimat und Vaterhaus gegeben hatte.
Dalvenau war übrigens in neuester Zeit mehr denn je ernstlich bemüht, dies Verhältnis abzubrechen, das anfing, drückend für ihn zu werden. Seine Liebe zu Margarete, dies mächtigste Gefühl seiner Seele, war nicht schwächer geworden, und sein schönes, reines Weib erschien ihm in dem Kontraste zu Laura lieblicher und besser, als selbst in den Frühlingstagen des erwachenden Herzens. Aber es war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen, seit Margarete ihn mit dem Reichtum ihrer Liebe überschüttet und ihm gleichzeitig den Halt und die Stütze entwunden hatte, die eine unumgängliche Bedingung für des Mannes Glück sind. Seit er nichts mehr zu wünschen und zu hoffen, nichts zu erstreben und zu thun hatte, als Margarete zu lieben und in ihrem Lächeln zu leben, hatte das Herz, das so oft in schmerzlicher Sehnsucht geklopft, zwar Ruhe gefunden, doch diese war die des Trübsinns, die mit ihrem bleiernen Fittich sich auch auf den kräftigen, frischen Geist senkte, daß er welkte und siechte. Und raffte er sich gewaltsam empor, so war dieses plötzliche Auflodern meistens nur ein Ausbruch des Unmuts und der Gereiztheit, der sich gegen Laura kehrte. Er suchte sich zu überreden, daß es mehr dieses Verhältnis zu dem jungen Mädchen, das diese gewaltsam festhielt, als seine falsche Stellung sei, die ihn drückte. Er erinnerte sich, daß der erste Winter seiner Ehe ein glücklicher gewesen sei, wo Lauras ungezügelte Leidenschaft noch nicht ihren vergiftenden Hauch über den Frieden seiner reinen Liebe gebreitet, aber er machte es sich nicht klar, daß diese Leidenschaft nimmer hätte zu Tage treten können, wenn er glücklich und befriedigt geblieben wäre. Er wollte wenigstens versuchen, die Tage der Freude zurückzurufen, er hatte ein Recht dazu, denn sein Herz hatte nie gewankt, das hing an Margarete mit tausend Banden, und der Mund, der Laura oft geküßt im Taumel der Sinne, hatte ihr doch niemals Liebe gelogen. Er hatte mit männlicher Selbstbeherrschung über sich gewacht und auf Lauras Ehre ruhte kein Flecken, aber er war dieses Wächteramtes müde. Er schämte sich, wenn er in Margaretens helles, vertrauendes Auge blickte, er zürnte Laura und verachtete sie, daß sie Sitte und Weiblichkeit ihm täglich opfern mochte, ohne den Preis seiner Liebe erlangen zu können. Wie war Margarete so schön in ihrer Hoheit, wie liebte er es, dies reine stolze Weib, das gläubig zu ihm aufschaute und das er dennoch betrogen hatte.
Es sollte, es mußte anders werden, und um sich Lauras leidenschaftlichen Bitten und Thränen zu entziehen, hatte Dalvenau ihr schriftlich auseinandergesetzt, wie sein Frieden eine Aufhebung dieses Verhältnisses bedinge. Er wiederholte ihr, wie seine anbetende Liebe einzig und allein nur Margarete gehöre, zu der er bewundernd aufblicke, wie in den ersten Tagen seines Glückes. Er bat sie um Verzeihung, daß er, der feurige und heißblütige Mann, sich [hat] hinreißen lassen, Äußerungen der Liebe anzunehmen, die, wie sie wisse, nur seine Sinne, nicht sein Herz erwidern konnten. Er sagte ihr, daß Margaretens Edelmut ihr verbieten würde, einen anderen Aufenthaltsort für Laura zu suchen, aber er appellierte an das Ehrgefühl des jungen Mädchens selbst und sagte ihr, daß er fest entschlossen sei, seiner Gattin ein Bekenntnis seiner Schuld abzulegen, wenn nicht Laura durch einen freiwilligen Entschluß, zu gehen, ihm diese bittere Notwendigkeit erspare.
Es war am Morgen nachher, als er diesen Brief abgesandt, wo wir Dalvenau in seinem Zimmer finden. Es war etwas wie Befriedigung über ihn gekommen, nachdem er seinen Entschluß ausgeführt, er fühlte sich freier, als seit lange, mutiger, selbständiger, denn der Druck dieses Verhältnisses, das die Liebe weder entschuldigte noch versüßte, hatte schwer auf ihm gelastet. O, hätte er so mit kühner Hand in sein äußeres Leben greifen können und es umgestalten! Margarete war unten in ihrem Kabinett; er hatte es flüchtig gehört, daß Hechler ihr wichtige Mitteilungen zu machen hätte. Die glänzenden Resultate eines Bergwerksunternehmens in Mexiko wurden Margarete vorgelegt, kaufmännische Abrechnungen und daneben interessante Berichte warteten auf sie, und ehe sie hinabging, hatte sie ihn scherzend gefragt, was sie ihm mitbringen sollte, wenn sie glückliche Nachrichten erhielte. Er kam sich vor, wie ein geliebtes, verzogenes Kind, und er stampfte ungeduldig mit dem Fuße auf den weichen Teppich, als er dachte, wie er ewig in dieser Bedeutungslosigkeit weiter leben müsse. Leise zog die Vorstellung durch seinen Sinn, wie es sein würde, wenn es umgekehrt wäre, wenn er dort unten säße in dem kleinen Kabinett und herrschte und lenkte, wo Margarete doch immer nur zustimmend oder verweigernd auftreten konnte. Hunderte würde sein Wille leiten und mit klarem, überlegendem Geist würde er das Rechte erwählen, den Moment benutzen, Hindernisse überwinden und keck und frisch in kühnem Wagen den Kampf mit dem Glücke eingehen. Es lag etwas männlich Mutiges in diesem Berufe, was reizte, und seine Gedanken malten dies Bild weiter aus.
Da legte eine leichte Hand sich auf seine Achsel und als er sich umwandte, erblickte er Laura, die geräuschlos eingetreten war.
»Laura,« rief er betroffen, »mein Gott, was wagen Sie! Wenn jemand Sie in diesem Zimmer träfe! Diese unselige Verblendung reißt Sie hin über alle Grenzen des Stolzes, der Würde und der Dankbarkeit für Margarete, ganz abgesehen davon, daß diese traurige Leidenschaft verheerend auch auf meine Ruhe wirkt. Es muß, es soll ein Ende kommen, und ich bin strafbar, daß ich bis hierher schwach war, daß ich mich scheute, Ihnen einen kleinen Schmerz zu bereiten und Ihnen dafür eine tiefe Wunde schlug.«
Sie umfaßte ihn. »Verwunde mich tiefer, bis zum Tode, daß ich sterben mag daran und Ruhe finden!« rief sie. »Ist denn wirklich Margarete allein dieser Liebe wert, nach der ich ringe unablässig? Hat sie gleich mir Dein Leid erkannt und es gemildert? Hat sie nicht vielmehr alles ihrem selbstsüchtigen Trotze geopfert, Dein Ansehen und Deine Selbständigkeit?«
»Kein Wort gegen Margarete!« sagte er rasch nur unmutig, »sie ist mein guter Engel wie der Ihrige. Sie haben mich in Stunden gesehen, die leer waren und unbefriedigt, es ist wahr; aber die Thorheit darf sie deshalb doch nicht mehr ausfüllen.«
Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und blieb stumm vor ihm stehen.
»Laura,« sagte er sanft und zog ihre Hand herab, »o lassen Sie uns scheiden, wenn nicht Bitterkeit zwischen uns treten soll. Liegt Ihnen denn so wenig an meiner Freundschaft, an meiner Achtung, die Ihnen folgen wird überall, wenn Sie stark und mutig jetzt den Sieg erringen und sich und mir Reue ersparen? Und die Reue würde nicht ausbleiben, für uns beide nicht; oder glauben Sie, daß es ein Leichtes ist für einen Mann, fortwährend, unbekümmert um das eigene heiße Blut, über die Ehre eines jungen, schönen Mädchens zu wachen, das sich ihm völlig und rückhaltlos hingiebt? Glauben Sie nicht, daß der Kampf ein gefährlicher ist, daß eine Stunde kommen könnte, wo ich schwach würde und meine Sinne über den ehrlichen Willen triumphierten?«
»Ich kann, kann nicht lassen von Dir!« rief sie in leidenschaftliches Schluchzen ausbrechend und sank an sein Herz, als wolle sie dort Kraft suchen für den schweren Entschluß, zu dem er sie drängte.
Er hielt sie stumm einen Augenblick umfaßt, er wollte ihr Zeit gönnen, sich zu sammeln, aber plötzlich fuhr er empor, es war ihm, als habe er ein leichtes Geräusch vernommen, und als sein Blick auf die gegenüber liegende Thür fiel, sah er Margarete still und bleich auf der Schwelle stehen. Ein gewaltsamer Ausruf entrang sich seinen Lippen, daß Laura aufschrak und seinem Auge folgte. Da stand sie, die tödlich gehaßte Nebenbuhlerin, schön und lieblich, selbst in der Blässe, die der schmerzliche Schrecken über das holde Gesicht gelegt, und nicht gedemütigt, nicht zusammenbrechend unter dem Schlage, der ihr Herz getroffen.
Einen kurzen Augenblick herrschte eine Totenstille in dem Gemach; keine Lippe regte sich, aber Margaretens leuchtende Augen sprachen, und Dalvenau glaubte sein Todesurteil darin zu lesen. Laura faßte sich zuerst; Leidenschaft, Beschämung und Haß rangen um die Herrschaft in diesem aufgeregten Gemüte; aber das letzte Gefühl war in diesem Augenblicke das stärkste, und sie wollte Margarete alle die Qualen empfinden lassen, die sie selbst gefühlt.
»Leb wohl,« rief sie, zu Dalvenau gewandt, »sei nicht bekümmert, wo ich auch bleibe, ich nehme das Andenken mit an die Stunden, wo ich an Deinem Herzen geruht. Ich zögerte, weil Du zurückbleibst, unglücklich, ohne Trost; aber ich gehe, da Dein Frieden es erheischt. Ich will stark sein für uns beide.« Und ohne einen Blick, ohne ein Wort an Margarete zu richten, verschwand sie durch die Thür, die auf den Korridor führte.
Indem sie diese doppelsinnigen Worte sprach, that sie Dalvenau ein ungeheures Unrecht, denn seine Gattin konnte es anders auslegen und sie that es. Er hatte nichts gehört mehr von dem, was sie sprach, er sah nur Margarete, die noch immer regungslos in der Thür stand. Sie wurde nicht ohnmächtig, keine Klage, kein Vorwurf entschlüpfte ihren Lippen, keine Thräne fiel aus ihren Augen. Aber als Dalvenau an sie herantrat, zuckte sie zusammen und ihre Glieder wurden wie von Fieberfrost geschüttelt.
»Margarete,« bat er leise.
Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu, so fremd, so eisig, daß sich sein Herz zusammenzog, wandte sich um und ging. Er wagte nicht, ihr zu folgen in diesem Augenblicke; aber er war vernichtet bis ins Innerste. So lange hatte er gekämpft für sie, für sich, und nun er endlich zum Siege gekommen, nun alles gelöst und beseitigt gewesen wäre, was ihn drückte und verwirrte, nun kam Margarete und verwandelte den Sieg in eine Niederlage. Würde sie an die Wahrheit seiner Beteuerungen glauben, nachdem dieser Austritt sie überzeugt, daß er ihr schweigendes Vertrauen getäuscht? Er war rat- und mutlos, voll Reue und Liebe, und er fühlte schmerzlich die Demütigung dieser bittern Stunde.
Auch Laura brachte eine Zeit der Aufregung in ihrem Zimmer zu; dann legte sich der Sturm und das Nachdenken kam. Wie alle selbstsüchtigen und intriganten Naturen wohl einer aufflammenden Leidenschaft, aber niemals einer tiefen Liebe fähig, die das Herz erleuchtet und erwärmt in ewig milder Glut, die entsagt, vergiebt und Opfer bringt, hatte sie Dalvenaus feste Erklärung zwar mit Kummer erfüllt, dem aber die Tiefe und die Wahrheit fehlte, wie ihrer Liebe. Hätte der Graf jemals ihr Gefühl genauer geprüft, so würde er bald erkannt haben, daß ihr Schmerz getilgt sein würde, sobald der erste Ungestüm sich gelegt hatte. Dies Gemüt hatte keine Tiefe, keine Nachklänge großer, gewaltiger Gefühle. Sie sah ein, daß jetzt hier ihres Bleibens nicht mehr sei; daß die schwer beleidigte Gattin nicht verzeihen würde. Mit ihrer Entfernung war auch der Einfluß gebrochen, den ihre Bitten und Thränen bislang auf Dalvenau geübt, und sie sah ein, daß jetzt, erst jetzt eine wirkliche und unwiderrufliche Trennung stattgefunden. Diese Stunden der Einsamkeit hatten allerdings nicht ausgereicht, um sie mit dem Gedanken zu versöhnen, daß sie den Geliebten nun nicht mehr sehen, nie wieder so sehen sollte, wie ihre strafbare Leidenschaft es wünschte; aber daneben drängte sich ihr zum ersten Male die Vorstellung auf, wie ihr Ruf durch eine so plötzliche und unerklärliche Entfernung leiden müsse. Und wohin sich wenden? Sie hatte keine Verwandten weiter. Da fiel ihr Gumbly ein; sie hielt die Ehre des jungen Mannes an geheimen, unsichtbaren Fäden und schnell war ihr Entschluß gefaßt. Sie setzte sich zum Schreiben an ihn und sandte den Brief durch einen Diener ab. Es mußte etwas Wichtiges sein, was sie ihm gemeldet hatte; denn nach einer Stunde kam Gumbly, ließ sich bei ihr melden und wurde zum ersten Male von ihr in ihrem Zimmer empfangen.
Er schien ängstlich erregt. »Was ist passiert?« rief er ohne weitere Begrüßungen dem jungen Mädchen zu, die ihm entgegentrat.
»Das Schlimmste,« sagte sie, »die unglückliche Geschichte mit dem Briefe an General Dalvenau, worin Margaretens Ruf verdächtigt wurde, ist so ziemlich entdeckt, und man ist dem Urheber auf der Spur.«
»Den Teufel auch!« rief der junge Mann und fuhr entsetzt zurück, »wie ist das möglich, wer könnte es beweisen?«
»Ich,« sagte sie langsam, »und leider werden die Umstände mich zwingen, den Beweis zu geben.«
Er lächelte beruhigt. »Ah, aber das werden Sie nicht thun, und wozu auch, Sie können höchstens meine Mitschuldige abgeben.«
»Da irren Sie denn doch,« sagte sie ruhig, obgleich ein unbefangener Beobachter den Hohn gelesen haben würde, der einen Augenblick in ihren dunklen Augen aufblitzte, »Sie haben, falls Sie es der Mühe wert gehalten, diese Zettelchen aufzubewahren, nichts von mir aufzuweisen, als herzliche, dringende, Abmahnungen, irgend etwas zu thun, was Margarete betrüben oder sie in ein zweifelhaftes Licht stellen könnte, oder Bitten, sich ihren Wünschen zu fügen. Haben Sie beiläufige Notizen zu unedlen Zwecken benutzt, so kann unmöglich das mir zur Last gelegt werden. Ich dagegen habe Briefe von Ihnen, die sich unumwunden über Ihre Absichten und die Mittel, dieselben zu erreichen, aussprechen.«
»Schlange,« murmelte er und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Und was könnte Sie veranlassen, gegen mich zu zeugen?« fragte er, sich gewaltsam fassend.
»Die Notwendigkeit,« antwortete sie. »Nichts anderes würde mich dazu bewegen können, denn Sie wissen, ich schätze Sie. Ich muß den Verdacht tilgen, der auf mir selbst ruht, denn man hat unter meinen Papieren das Konzept jenes Briefes, freilich ohne Namensunterschrift, gefunden, das Sie mir damals gaben, um es durchzulesen. Man vermutet natürlich die Verfasserin in mir, und ich bin gezwungen, dies schützende Dach zu verlassen, wenn ich mich nicht rechtfertigen kann. Dieser Zufall, ich sehe das ein, ist ein höchst unglücklicher für Sie, aber wenn ich Ihre Schuld auf mich nehmen wollte, so würden die Folgen doch am Ende zu hart für mich sein, und Sie würden das nicht annehmen. Margarete wie Dalvenau sind erbittert und entrüstet, und die Verachtung der ersteren ist so groß, daß sie bis jetzt verweigert hat, mich zu sehen, und mir auf diese Weise zum Glück die Vorwürfe erspart sind, die ich mir über eine allzurasche Rechtfertigung gemacht haben würde, welche Ihnen nicht Zeit gelassen hätte, einen Ausweg suchen, um Ihre Ehre zu retten. Ich habe vergeblich gesonnen, ich sehe kein Entrinnen vor der Schande, die das Wort ›Verleumdung‹ einem bis dahin geachteten Manne zufügt. So wissentlich an der Ehre und dem makellosen Namen eines unschuldigen, unbeschützten Weibes sich vergreifen, das ist eine Feigheit, die die Welt nicht verzeihen kann und darf, und diese Verleumdung ist um so erwiesener, als Sie Margarete noch nach dem Datum jenes Briefes zur Gattin begehrten.«
Er war aufgesprungen und sah sie verwirrt an. Der Gedanke, sich aus einer glänzenden und geachteten Stellung in der Welt schimpflich zurückziehen zu müssen, gemieden und verachtet von allen Bessern, stand in schrecklicher Klarheit vor seiner Seele. Ein Leben, bedeckt mit Schande, das ertrug er nicht, und doch liebte er das Leben und seine Freuden.
Laura sah ihn bekümmert an. »Armer Freund, wie gerne hülfe ich Ihnen, wie freudig gäbe ich meine Ehre preis, um die Ihrige zu retten! Aber wohin mich retten, wo mein Haupt niederlegen, ohne die Einlaßkarte eines guten Namens? Wer würde der undankbaren Lügnerin selbst nur Arbeit gewähren für ihr täglich Brot?«
Er durchschritt das Zimmer in peinlicher Unruhe. »Das ist eine verdammte Geschichte! Meine Ehre unwiederbringlich verloren, mit ihr Ansehen, Einfluß, Stellung. Und als ein Verleumder bloßgestellt und aus der guten Gesellschaft gestoßen zu sein –nein, nein, das ertrage ich nicht!« Er griff nach seinem Hute, um zu gehen, aber Laura hielt ihn zurück.
»Wohin wollen Sie, was haben Sie vor?« rief sie mit ängstlichem Tone, »bleiben Sie, ich glaube, ich sehe einen Rettungsweg. Ich will sprechen, frei und offen, und Sie werden nicht die Absicht verkennen, die mich reden und mich alles Herkommen vergessen läßt, da ich Ihre Ehre und mit ihr alles, was das Leben einem Manne Schönes bieten kann, gefährdet sehe.«
»Reden Sie,« sagte er ungeduldig und sah sie erwartungsvoll an.
»Ich würde Ihre Schuld auf mich genommen haben,« sprach sie, »ohne weiteres, ohne vielleicht es Ihnen zu sagen, wenn ich damit nicht zugleich schutz- und obdachlos würde. Geben Sie mir Ihren Namen, geben Sie mir damit eine Stelle, wo ich mein Haupt hinlegen kann und Ihre künftige Gattin erkauft Ihre Ehre mit der eigenen. Das ist meine Morgengabe; Sie selbst mögen entscheiden, ob sie groß genug ist, um deshalb eine Frau zu nehmen. Ich werde nur Ihre Gattin heißen; ich mache weder Ansprüche auf Ihr Herz, noch auf Ihre Neigungen und Ihre Zeit. Aber Sie müssen rasch entschlossen sein, ob Sie das Opfer von mir annehmen wollen, denn ich darf mit einer Erklärung nicht zögern, sie mag nun ausfallen, wie sie will. Wünschen Sie, daß ich mit meinem Namen Ihre Ehre decke, so werde ich natürlich dieses Haus auf der Stelle verlassen, und Sie müssen noch diesen Abend mich Ihrer Mutter als Ihre Braut zuführen. Ich werde dann sogleich einige Worte an Margarete schreiben und ihr sagen, daß ich seit acht Tagen im geheimen Ihre Verlobte war. Ich werde an ihre Großmut appellieren, und sie ist zu eitel, um ein solches Vertrauen nicht zu rechtfertigen. Sie wird mir nie wieder freundschaftlich nahe stehen, aber sie wird sich auch nicht rächen durch eine Verhinderung meines vermeintlichen Glückes, indem sie Ihnen oder Ihrer Mutter Aufklärungen giebt. Ihnen bleibt also auch die Beschämung erspart, über Ihre Braut vor Margarete erröten zu müssen.«
Gumbly hatte gespannt zugehört, dieser Vorschlag kam ihm unerwartet, und der Preis für seine Ehre dünkte ihm hoch. Doch die Gefahr war groß und dringend –es war ein trauriger Ausweg, aber es war einer.
»Es sei,« sagte Gumbly nach kurzem Überlegen, »und ich danke Ihnen. Es ist nicht Liebe, die uns zusammenführt, aber meine Dankbarkeit wird mich stets daran erinnern, was ich Ihnen schuldig bin. Wann soll ich Sie zu meiner Mutter führen?«
»Heute gegen Abend,« antwortete Laura; »ich halte es für notwendig, daß Sie dieselbe vorbereiten und auch erwähnen, daß Margarete und ich uns überworfen haben; ich überlasse es Ihnen, einen Grund dafür zu erfinden.«
»Gut,« sagte er, »ich werde pünktlich wieder hier sein, und noch ehe die Nacht hereinbricht, wird meine Mutter Sie als ihre Tochter begrüßt haben. Sie wird erstaunt sein, aber keine Einsprache erheben; sie kennt keinen andern Willen, als den meinigen. Sie werden niemals durch die alte Frau beeinträchtigt werden, denn ich wünsche Ihnen eine freie und unabhängige Stellung zu verleihen, als geringen und einzigen Ersatz für das Opfer, das Sie mir bringen, indem Sie mit meiner Schuld beladen dies Haus verlassen.«
»Ich bin der Opfer gewohnt,« sagte sie resigniert, »so früh eltern- und heimatlos, sind eben nicht allzuviele Rücksichten auf meine Gefühle genommen worden. Der Schein der Undankbarkeit und Niedrigkeit, der auf mir ruht, wird für Margarete weniger schmerzlich sein, als es für Sie der Verlust der Ehre wäre. Wählen wir also das kleinste Übel, denn Sie beide, Margarete wie Sie, sind mir teuer.«
Es war eine eigentümliche Verbindung, die hier unter so seltsamen Umständen geschlossen wurde, und sie hatten beide das Gefühl davon, denn sie blieben ruhig und überlegt. Es war ein Vertrag, den sie eingegangen, kein Ineinanderfließen der Herzen. Er schied; er reichte ihr die Hand zum Abschied, und sie schauderte vor der Kälte dieser Hand. Hatte der eisige Winterhauch auch vernichtend über sein Herz gestreift? Es schien fast so, denn nicht einmal die Dankbarkeit für das Mädchen, das ihren guten Namen ihm opferte, erwärmte seine Brust, oder söhnte ihn mit der bittern Notwendigkeit aus, sie zu seiner Gattin zu machen. Ein dunkles und unklares Gefühl ließ ihn ahnen, daß Laura seine Mitschuldige war, da sie selbst ihn zu dem unverzeihlichen Schritte verleitet hatte, indem sie ihm die Mittel und die Wahrscheinlichkeit, zum Ziele zu gelangen, gezeigt hatte, wenn auch ihre Worte abmahnend klangen. Aber was konnte er thun? Hatte sie ihn in die Schlinge gelockt, oder war er durch eigne Schuld hineingeraten, jedenfalls war ein Entrinnen unmöglich ohne ihre Hilfe, und deshalb nahm er sein Joch auf sich und ging, ihren Andeutungen Folge zu leisten. Sie sah ihm mit einem gemischten Gefühle nach, in dem die Freude das hervorragendste Element war. Sie forderte und gab weder Liebe noch Treue; er mußte sich an ihrem Opfer genügen lassen, sie an seiner Dankbarkeit. In ihren Empfindungen für Dalvenau wurde nichts verändert durch dies neue Verhältnis, aber es gab ihr Unabhängigkeit, Ansehen und Reichtum, eine gesicherte Stellung im bürgerlichen Leben für alle Zeit. Sie gedachte wenig an Margarete und alle die herzliche Liebe, die diese mit verschwenderischer Fülle über sie ergossen; keine Thräne der Reue löschte die dunklen Schatten, die ihr Verrat auf den Frieden der jungen Gattin warf, kein guter Vorsatz diente ihr als Stütze oder Entschuldigung für die Lüge, die über Gumblys künftiges Glück entscheiden sollte, und kein einziges der reinen und zärtlichen Gefühle, die das Herz einer Braut durchzittern wie Strahlen des Morgenrots, ließ das ihre wärmer oder schneller schlagen.
Die Dienerschaft steckte flüsternd und verwundernd die Köpfe zusammen, das Mittagsmahl war wieder abgetragen, ohne daß jemand von der Herrschaft es berührt hätte. Dalvenau hatte gesagt, die Gräfin sei unwohl und doch war weder ihre Kammerjungfer zu ihrer Bedienung beschieden, noch leistete der Graf ihr selbst Gesellschaft, sondern man hörte ihn in seinem Zimmer unruhig auf und ab gehen. Fräulein Laura ließ sich entschuldigen und empfing unterdessen Herrn Gumbly in ihrem Zimmer.
Man war dergleichen nicht gewohnt in diesem Hause des ruhigen Glückes und der Pünktlichkeit, und das Erstaunen wuchs als Laura gegen Abend in Begleitung Gumblys fortfuhr. Man hatte schon Andeutungen in der Bedientenstube über die Aufmerksamkeiten der Dame für den gnädigen Herrn, die dem wachsamen Auge der Dienerschaft nicht entgangen waren, und über das Unwohlsein der Gräfin und die allseitige Verstimmung, die wahrscheinlich damit zusammenhing, gemacht, als diese Vermutungen plötzlich durch den Bericht des Kammermädchens über den Haufen geworfen wurden. Sie erzählte, Fräulein Laura habe gesagt, man solle sie nicht zurückerwarten, da sie bei ihrer Schwiegermutter, Madame Gumbly, bleiben werde. Das warf ein ganz neues Licht auf die Sache; aber dieses Licht war blendend und verwirrend und die guten Leute konnten darin so wenig unterscheiden als in gänzlicher Dunkelheit.
Margarete kämpfte unterdessen in ihrem stillen Zimmer einen furchtbaren Kampf. Es war das Ringen um das entfliehende Glück, um den zerknickten Glauben, um all die Seligkeit ihres jungen Lebens, die der gedemütigte Stolz hinaustrieb aus diesem Herzen und die die Liebe zurückhielt mit verzweifelter Anstrengung. Wie hatte sie vertraut und geliebt! Wie hatte sie in großmütiger Freundschaft gastlich ihr Haus und barmherzig ihr Herz der Vereinsamten geöffnet und wie war sie verraten von dem Gatten und der Freundin! Ein bitteres, bitteres Gefühl zog durch ihre Brust und vergiftete selbst die freudigen Erinnerungen früherer sonnenheller Tage. War sie denn Wahrheit gewesen, diese Liebe, die mit ihrem wunderbaren Glanze die Erde überstrahlt? War es nicht Lüge gewesen und Täuschung? War die Welt nicht dunkel wie ihr einsames, verratenes Herz? Zweimal hatte Dalvenau an ihre Thüre geklopft und leise um Einlaß gebeten; aber Margarete hatte nicht geöffnet. Es war nicht Trotz und Unversöhnlichkeit allein, was sie abhielt; es war ein eigenes Gefühl von Scham, was sie daran verhinderte. Aber sie wußte nicht, war es die tiefe Demütigung, die Verletzung ihrer heiligsten Rechte, was ihre Wangen mit Blut übergoß, oder war es der Schmerz, den Geliebten, zu dem sie gläubig aufgeschaut, jetzt schuldbeladen um Vergebung bittend vor sich zu sehen. Als es dunkelte kam Dalvenau zum dritten Male. Die Stille rings umher, das milde Zwielicht mit seinem Sternenschein, der heimlich und tröstend durch das Fenster blinkte, hatte auch den Sturm in Margaretens Herzen in etwas besänftigt und Thräne auf Thräne rollte rasch über die bleichen Wangen in ihren Schoß. Als Dalvenau klopfte, erhob sie sich und öffnete, und sie standen einen Augenblick stumm sich gegenüber. Sie konnte in der Dämmerung, die das Zimmer einhüllte, seine Gesichtszüge nicht unterscheiden, sie sah nur seine hohe Gestalt.
»Margarete,« sagte er und nichts weiter.
Aber der Ton mußte ihr Herz getroffen haben, denn ein Zittern ging durch die schlanke Gestalt und sie brach in leises Weinen aus. Er wollte sie umfassen, aber sie machte sich mit einer sanften Bewegung los.
»Das ist nun vorbei, Paul,« sagte sie und schüttelte das Haupt, »Du weißt es selbst, es ist aus –laß uns keine Erinnerungen wecken.«
»Margarete,« rief er bestürzt, denn dieser traurige, feste Ton klang ihm fremd, »nein, Du kannst nicht richten, nicht verdammen wollen.«
Sie seufzte bekümmert. »Was soll ich thun, Paul? Das Glück ist nicht mein, das giebt ein gütiger Gott, und er hat es genommen, da er mir den Glauben nahm. Ich kann verzeihen, denn was kannst Du für Dein überwallendes Gefühl und wer gebietet der Liebe, wer hält sie, wenn sie die goldenen Schwingen hebt, um ein Herz zu verlassen, in dem sie bislang gewohnt und in dem sie heilig gehalten wurde? Verzeihen kann ich, aber nicht wieder glauben, denn wie könnte ich die Liebe unterscheiden von der Lüge, wenn Du sprichst: Ich bin Dir treu.«
»O mein Gott,« bat er in unsäglicher Angst, »Margarete, habe Erbarmen und höre mich und glaube mir, mein Herz war Dir treu, immer und überall. Ich habe nur Dich geliebt, nur Dich allein, und diese Liebe hat Lauras Ehre geschützt und alle Gelübde, die ich Dir geleistet.«
Ein bitterer Zug flog um ihren schönen Mund. »Gedenkst Du des Abends, wo ich Dich warnte? Weißt Du, wie ich die Versicherung Deiner Liebe aufnahm, wie ein Evangelium der Gnade und der Erlösung, wie ich Dir Abbitte that in meinem Herzen, wenn es je wieder zweifeln sollte, nachdem Du mir beteuert, Du seiest doppelt jetzt an mich gebunden durch meine Milde und Versöhnlichkeit? Und Du lasest meine gläubige Liebe in jedem Blicke, in jedem Kusse, Du konntest sie annehmen und sprachst nicht: Weine nicht, nicht Du thust unrecht an mir, ich allein bin schuldig!«
Er schlug verzweifelnd die Hände vor sein Gesicht und schwieg, und unter dem stummen Schmerz, den er fühlte, zog ihr Herz sich zusammen.
»Paul,« bat sie und ihre Stimme war verhüllt von Thränen, »fasse Mut, die Sonne scheint überall, wo die Liebe ist, und Lauras Liebe folgt Dir, wo Du auch sein mögest.«
»Aber ich liebe sie nicht,« rief er heftig, »und sie weiß das und umgarnte mich doch.«
Es war das erste Mal, daß ein anklagendes Wort seinen Lippen entschlüpfte, und es berührte Margarete kalt und unangenehm. »Das ist eine harte Anklage,« sagte sie vorwurfsvoll, »und eines Weibes Schultern sind so schwach; lade ihr nicht die Last der doppelten Sünde auf. Und dann –sie sprach anders: sie sagte, sie sei Dein Trost und sie scheide, um Dir Kraft und Frieden zu geben, sie wollte stark sein für Dich, da Du es nicht konntest, und sie riß sich los von Deinem Herzen.«
»That sie das?« fragte er düster, »ich hörte es nicht, ich sah nur Dich. Aber es ist Lüge, Margarete, beim ewigen Gott, nicht sie wollte Trennung, ich, ich wollte frei sein von Trug und Unrecht, was mein Herz bedrückte.«
Da klopfte es an der äußeren Thür, und Dalvenau ging selbst, um nachzusehen. Ein Bedienter brachte einen Brief von Fräulein Laura an die Gräfin und fragte, ob Licht befohlen würde. Dalvenau bejahte und während Margarete sich abwandte, um ihr verweintes Gesicht zu verbergen, wurde die Lampe auf den Tisch gestellt und die Vorhänge zugezogen. Als sie allein waren, überreichte er Margareten den Brief.
»Lies Du ihn,« sagte sie, »sie hat sich unter Deinen Schutz und an Dein Herz geflüchtet; das meine ist voll Schmerz und Bitterkeit, ich fühle, ich würde nicht gerecht für sie sein.«
Dalvenau erbrach den Brief, ohne etwas zu erwidern und las die Verlobungsanzeige vor, die darin enthalten war. Das Blatt entsank seiner Hand und er starrte Margarete in sprachlosem Erstaunen an.
»Also auch sie konnte an einem treuen Herzen sich vergehen,« sagte die junge Frau schmerzlich. »Armer Gumbly, er soll nie wissen, was sie an ihm verbrach, nie wissen, so lange ich es verhindern kann, wie der Verrat von denen schmerzt, die wir lieben!«
Dalvenau sah sie verwirrt an. »Aber das ist nicht möglich,« rief er, »ich wenigstens, ich habe es nicht gewußt.«
»Will sie Dir vielleicht ein Opfer bringen durch diese Heirat?« fragte Margarete langsam. »Nimm es nicht an, Paul, Du kannst den Knoten besser lösen. Wir scheiden und Gumbly braucht das Opfer nicht mit seinem Lebensglück zu bezahlen.«
»Nein, nein,« rief er hastig, »sie ist keines Opfers fähig, keines, und wenn es den Frieden und die Seligkeit eines andern gälte. Aber sei barmherzig, Margarete, mein Heil ruht in Dir, in Deiner Liebe und Vergebung, und auf meinen Knieen bitte ich Dich, sei milde und gütig, geh' nicht von mir.«
»Du sollst nicht bitten,« sagte sie, »ich kann weinen um mein verlorenes Ideal, aber ich kann es nicht so tief im Staube sehen. Es wäre ein elend Leben, so ohne Wahrheit und Vertrauen, und deshalb laß uns scheiden, Paul, daß nicht Täuschung und Erinnerung ihr Netz um uns spinnen und uns glauben machen, die Liebe lebte noch, die doch begraben ist.«
»Nein, nein!« rief er wild, »nicht trennen, nicht scheiden, ich ertrage es nicht! Das Grab nur kann uns scheiden für eine kurze Zeit, das Leben nicht. Die Liebe lebt noch in meinem Herzen und auch in dem Deinen, Margarete, ob sie auch erstarrt ist in Zorn und Schmerz. O, ich will sie lebendig machen, ich will ihr Atem einhauchen aus meiner glühenden, reuigen Seele, und ob der Glaube auch verdorrt ist in Deiner Brust, ein gnädiger Gott wird wieder Blüten erwecken an dem dürren Stamm.«
Sie schüttelte leise den Kopf und er hing voll stummer Angst an ihren Lippen. Da schien ein Gedanke voll Hoffnung ihn zu überraschen, denn er eilte hinaus und nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück mit seinem Knaben auf den Armen. Das Kind war schon schlaftrunken und konnte sich nicht recht besinnen. Aber als er es auf den Teppich zu ihren Füßen legte, sagte es mit klarer Stimme: »Hänschen bittet für Papa.«
Da brach Margarete in lautes Schluchzen aus; aller Trotz, alle Bitterkeit schwand hinweg vor dieser süßen, weichen Kinderstimme, und sie hob den Knaben empor und bedeckte ihn mit schmerzlichen Küssen, daß er erschrocken vor ihrer Heftigkeit zu weinen begann und verlangend die Händchen nach dem Vater ausstreckte. »Ich vergebe,« sagte sie mit erstickter Stimme, »ich will dem Kinde den Vater nicht nehmen. Ich will neben Dir leben, Paul, aber nicht mit Dir, denn es ist nicht mehr die Margarete, der Du Treue gelobt und die in stolzer Zuversicht sich Dir zu eigen gab, es ist ein müdes, gebrochenes Weib, ohne Halt, ohne Freudigkeit, an das Du Dein Leben ketten willst.«
Er stürzte auf seine Kniee, er neigte sein Haupt in ihren Schoß, und zum ersten Male weinte der starke Mann Thränen voll bitterem Weh und doch unendlicher Freude. »Dank, Dank!« sagte er, »für mich, für den Knaben, auch für Dich, Margarete, wenn Gott uns gnädig ist und es noch einmal Tag werden läßt in Deinem Herzen.«
Sie war gerührt; Bitterkeit und Stolz waren verschwunden aus ihrem Angesichte. Sie hielt den Knaben noch immer in den Armen, der still wieder eingeschlummert war, und sie sah aus wie ein schönes, reines Madonnenbild, wehmütig und mild auf den Reuigen zu ihren Füßen blickend, der Vergebung fleht und erhält. »Steh auf,« bat sie, »Gott wird uns geben, was gut ist.« Sie reichte ihm die Hand, die er an seine Lippen zog, und dann das Kind fester an sich drückend, ging sie hinauf.
Wochen waren vergangen, der Frühling war vorübergezogen in all seiner Pracht und hatte keine Blüten erneuter Lust und Liebe in Margaretens Herz gestreut. Nach den weichen Regungen jenes Abends, wo sie mit überwallender Mutterzärtlichkeit und vergebender Liebe für den Gatten das Scheidungswort zurückgenommen, hüllte sie sich in einen Stolz und eine Kälte, die dem Reuigen jede Annäherung erschwerten. Sie hatte ihre Wohnung in den Flügel verlegt, den ihr Kind bewohnte, wie sie sagte, weil es dort sonniger sei, und die Gatten sahen sich nur bei Tische und des Abends in Gesellschaft. Margarete vermied fast mit Ängstlichkeit jedes Alleinsein, und Dalvenau, so sehnsüchtig er ein liebevolles, persönliches Entgegenkommen herbeisehnte, wünschte doch, es möchte freiwillig sein. Aber er litt unsäglich unter dieser Qual; sie sein zu nennen vor der Welt und doch ihr Herz verloren zu haben, drückte ihn viel härter, als die hoffnungslose Liebe früherer Tage, wo nur die Verhältnisse sich hindernd ihm entgegenstellten. Allmählich schwand die Hoffnung in ihm, ihre Zuneigung wieder zu gewinnen, und er wurde still und in sich gekehrt. In der Welt wurden flüsternde Stimmen laut, die von Kälte und Zerwürfnissen des jungen Paares redeten, und diese Meinungen wurden durch hie und da gemachte Aussagen der Dienerschaft bestätigt, die zugestanden, daß die Herrschaft jetzt anders miteinander lebe als sonst. Diese Gerüchte gewannen Glauben, als Dalvenau im Frühling, wie gewöhnlich, nach Solbringen hinauszog und Margarete in der Stadt blieb. Sie sagte, der Geschäfte halber; aber die Sachverständigen konnten dazu nur lächeln. Im Anfange kam Dalvenau täglich in die Stadt; Sehnsucht und Hoffnung trieben ihn her. Aber bald wurde der Schmerz der sich immer erneuenden Täuschungen größer noch als sein Verlangen, er kam seltener, düsterer, schweigsamer, und blieb endlich fort. Sein ländlicher Aufenthalt gewährte ihm keinerlei Trost; seine Beschäftigungen ekelten ihn an und wieder und wieder dachte er daran, wie glücklich Margarete war. Er hatte den Kaufmannsstand lieben gelernt und achten durch sie; aber es fehlte ihm dazu alles Notwendige: Kenntnisse und Kapital. Und durfte er jetzt, gerade jetzt, wo dieses berufsthätige Sorgen und Denken Margaretens einziger Trost und alleinige Zerstreuung war, vor sie hintreten und den letzten Schimmer ihrer Freuden aus ihrer Hand begehren? Was sollte sie beginnen, da sie sich abwandte von allen Sorgen und Mühen und Pflichten der Gattin? –Und dann hätte er doch auch nicht verlangen können und mögen, daß sie die Unabhängigkeit, den Ruf und den Reichtum des Hauses seiner Unerfahrenheit anvertraute, und es hätte etwas Peinliches für ihn gehabt, in Margaretens Comptoir, beobachtet von allen Bekannten, das zu erlernen, was ihm fehlte. Das hätte nimmer gut gethan, den Leuten gegenüber, die er später zu leiten wünschte. Er seufzte, wenn er an alles das dachte, und er beklagte es, daß diese Wünsche nicht früher zur Klarheit in ihm gekommen waren, wo er noch wünschen und bitten durfte Margareten gegenüber, wo dieser Wunsch sie gewiß beseligt hätte. Aber er wollte deswegen doch nicht der Sklave der Verhältnisse bleiben, dazu war er fest entschlossen. Er hatte gefehlt, aber bereut, und wie glühend er Margarete liebte, so konnte er doch nicht täglich sich demütigen vor ihr. Sie kannte seinen Gram; er wollte nicht Mitleid, er wollte die Liebe, die heiße hingebende Liebe dieses schönen, stolzen Weibes, oder das Schweigen des Todes, wie es seit vielen Wochen sein Herz umgab. Und sollte er nun zu all dem Leid noch die Qual gesellen, einen verhaßten Beruf zu erfüllen? –Nimmer –er wollte fort, jetzt wollte er scheiden, er wollte warten auf die wiedererwachende Liebe in Margaretens Brust, aber in der Ferne, und die bangen, endlosen Stunden sollte eine Thätigkeit kürzen, die ihm zusagte und ihn zerstreute. Fern von ihr, da wollte er lernen und arbeiten, er wollte sich frei machen von allem, was ihn drückte, und in dem freien Stande wollte er, ein freier Mann, unabhängig leben von Margaretens Reichtum, der eine Bürde für ihn war ohne ihre Liebe. Und kam sie nicht zurück, die Liebe, die er von Gott auf seinen Knieen erbat, dann sollte seine Gattin wenigstens ihm ihre Achtung nicht versagen, und dies Gefühl konnte ein Band werden zwischen den Herzen, die sich einander entfremdet hatten in stolzer Kälte. Er hatte längst zu dem alten Justizrat Wernold Vertrauen gefaßt und diesem würdigen alten Herrn, der gar wohl wußte, daß Dalvenau bei weitem nicht so schuldig war, wie Margarete es glaubte, hatte er seinen Plan mitgeteilt. Wernold war überrascht; so viel Energie hatte er nicht erwartet von dem gebeugten Manne, dessen Trübsinn ihm nicht entgangen war. Er verhehlte ihm nicht seine Freude und Bewunderung, versprach, ihm samt Hechler mit Rat und That an die Hand zu gehen und riet ihm, Margareten seinen Entschluß erst mitzuteilen, wenn alles in Ordnung sei, wenn er sich für den Ort entschieden habe, wo er seinen Aufenthalt nehmen wolle. »Ich kenne sie,« sagte der alte Mann und nickte schlau mit dem weißen Kopfe, »sie liebt solche rasche energische Entschlüsse, einen so klar und bestimmt ausgesprochenen Willen, sie beugt sich davor und schaut doch vertrauend zu dem empor, der sie fühlen läßt, daß es einen Willen giebt außer dem ihrigen. Sie ist ein echtes Weib, sie dient und liebt denjenigen in freudiger Lust, der ihr den Fuß auf den stolzen Nacken setzt, aber sie quält den Sklaven, der ihr in liebender Demut zu Füßen liegt. Das Weib, auch das beste, versteht nicht zu herrschen; sie ist gemacht zu dienen in selbstverleugnender Liebe, und darin ist sie schön, fromm und glücklich. Gebt einer Frau die Herrschaft über einen noch so geliebten Mann, und die Liebe zieht hinaus aus ihrem Herzen, und Stolz und Härte, Bitterkeit und Launen ziehen ein.«
Dalvenau war zufrieden, daß der Justizrat seinen Entschluß billigte, er selbst hoffte vieles davon, und er folgte dem Rat des alten Freundes und schwieg vorderhand darüber. Laura war inzwischen verheiratet, und zwei Billets von ihr hatte er unerbrochen zurückgesandt. Das Zerwürfnis zwischen ihr und Margarete gab Stoff zu mancherlei Vermutungen, und wenn einige meinten, ein stattgehabtes zärtliches Verhältnis zwischen Madame Gumbly und Dalvenau werde durch das gestörte Zusammenleben des letzteren mit Margareten wahrscheinlich gemacht, so widersprach doch dem der Umstand, daß Laura zu derselben Zeit als Braut auftrat, und während andere meinten, die plötzlich erwachte Eifersucht der Gräfin, die einst dem stattlichen Kaufherrn selbst geneigt gewesen, habe die Freundschaft zwischen den beiden Frauen erkalten lassen, gab es wieder dritte, die ganz gewiß wußten, daß Gumbly vergeblich um Margarete geworben. Der Adel deutete die Kälte zwischen Dalvenau und seiner Gattin noch anders. Wie wäre es auch möglich gewesen, daß der Edelmann sich in Dalvenau auf die Länge so sehr verleugnet hätte, daß er sich inmitten der Kaffeesäcke hätte wohl fühlen können. Wie mußte es seine aristokratische Seele unangenehm berühren, wenn seine Gattin rohe Seeleute empfing, wenn sie voll Unbefangenheit mit ihren Untergebenen Gewinn und Verlust besprach, wenn sie, unempfindlich gegen seine Ansprüche und seine Standesvorrechte, in einfältigem Stolze ihre Firma so hoch stellte wie sein Wappen. Der junge Mann war beklagenswert, um so mehr, da er einer alten, ausgezeichneten Familie angehörte, da er das Bewußtsein seiner Erniedrigung und, wie zu hoffen stand, Reue empfand. Man wünschte ernstlich ihm zu helfen, aber das war nicht so leicht. Unterdessen fühlte Margarete allgemach gar wohl die Schwere des einsamen, liebeleeren Lebens, zu dem ihr unversöhnlicher Trotz sie gezwungen hatte. Öfter und öfter gedachte sie der Reue ihres Gatten, seiner Bitten, seines tiefen Schmerzes, und zuweilen trübten Vorwürfe ihr ohnehin gebeugtes Herz und klagten sie der Härte an. Härte macht verstockt und bitter –wenn er sich abwandte von ihr! –Alles Blut schoß ihr zum Herzen bei dem Gedanken und ließ sie fühlen, wie er noch darin lebte, er und die alte Liebe. Er war so lange nicht bei ihr gewesen, er hatte noch länger nicht mehr gebeten um Vergeben und Vergessen; wenn er nie mehr danach verlangte! –Aber sollte sie sich beugen, sie, das gekränkte Weib, die schwer beleidigte Gattin? Sollte sie es jetzt thun, wo er sich zurückzog? Der Gedanke an diese Demütigung überzog ihre Wangen mit tiefer Glut; aber sie war schön in diesem rosigen Purpur, der wie das Morgenrot der Liebe seine Strahlen über den Stolz warf, der ihr Herz in Dunkelheit und Schweigen gehüllt hatte. Margarete kämpfte viele Tage, doch sie kämpfte einen guten Kampf und das liebevolle Weib ging daraus siegreich hervor. Es war an ihrem Hochzeitstage, als alle guten Entschlüsse ihren Einzug in ihr Herz hielten, und ohne abzuwarten, ob dieser Tag ihren Gatten zu ihr führen würde, fuhr sie in der Frühe des lachenden Morgens zu ihm hinaus. Es war ein klarer, köstlicher Tag, Tauperlen blitzten noch im Grase auf dem schmalen Rain, der neben der Chaussee hinlief, und in dem erquickenden Morgenwinde schwankten die Ähren des Feldes grüßend und winkend. Der Himmel schien so rein und blau, als hätte auch er ein hochzeitlich Gewand angelegt, und Lerchengesang schmetterte hoch oben in der klaren Luft wie ein Triumphlied. Margarete war weich und froh gestimmt, sie dachte voll Rührung jenes Morgens, wo sie vor drei Jahren, eine festlich geschmückte Braut, lächelnd und errötend an sein Herz sank, wo sie gelobte zu lieben in Treue, Geduld und Versöhnlichkeit. Sie dachte, wie er freudig alles hingegeben hatte für ihren Besitz: Unabhängigkeit und Vermögen, Beruf und Familie, sie gedachte des Glückes dieser ganzen Jahre –heute, heute glaubte sie ihm, daß sein Herz nichts gewußt hatte von dem, was ihre Augen gesehen. Sein Vergehen erschien ihr jetzt geringer, und sie konnte nicht mehr zürnen und verdammen, wo er so tief bereut.
Es war acht Uhr, als Margarete ankam, und als man ihre Frage, ob der Graf schon aufgestanden, bejahend beantwortete, eilte sie hinauf in sein Zimmer. Sie öffnete, ohne zu klopfen; sie wollte ihn überraschen und an seinem Erstaunen sehen, ob er diesen Augenblick noch immer so heiß ersehnt; aber Dalvenau war nicht da. Es war Margarete nicht willkommen, daß sie ihn nicht fand; sie blickte umher, er mußte aufgestanden sein; sie sah, daß er gefrühstückt, und auf dem Schreibtische lag ein angefangener Brief. Vielleicht hatte er an sie geschrieben, vielleicht –nein gewiß, an wen sonst hätte er heute schreiben können! Sie konnte sich nicht enthalten, dies Zeugnis seines liebenden, verlangenden Herzens zu lesen und sie näherte sich dem Tische, um einen Blick auf den Brief zu werfen. Doch plötzlich erbleichten ihre rosigen Wangen zu Schnee, die leuchtenden Augen verloren ihren Glanz und sie knickte zusammen, als sei der Sturmwind über sie hinweggefahren. Aber es war nur ein Augenblick; dann nahm sie sich gewaltsam zusammen: sie richtete sich hoch auf, als wollte sie dem Unglück trotzen, und sie las den Brief noch einmal langsam und ruhig. Er war von Dalvenau an seinen Onkel geschrieben und, wie man sah, eine Antwort auf ein Schreiben, das der erstere kürzlich empfangen haben mußte.
»Lieber Onkel!« schrieb der Graf, »Ihre väterliche Güte und Sorgfalt hat mich tief gerührt und mich aufs neue all die Liebe empfinden lassen, die Sie mir seit meinen Kinderjahren zu teil werden ließen. Einem gebeugten Herzen, einem gesunkenen Mute thut ein tröstend Manneswort gut, und wenn Sie mir auch nicht helfen können, so erquickt mich doch der väterliche Sinn, der Hilfe zu geben wünscht. Sie haben mir nie wieder gestattet, wie sonst Ihnen Rechenschaft und Bericht über mein Leben zu geben, seit jenem Tage, wo meine Vermählung mich zum glücklichsten und zugleich unglücklichsten Menschen machte. So lange Sie mich glücklich wähnten, wandten Sie sich von mir; glauben Sie, ich erkenne das Vaterherz, das den Unglücklichen aufrichten will. Und ich bin unglücklich –ja, ich gestehe es Ihnen, Ihre Voraussetzungen haben sich erfüllt, ich habe ein trauriges, verfehltes Leben gehabt diese Jahre. Und meine Frau sah es nicht, und da sie es war, die gewaltsam in mein Schicksal griff, hatte ich nicht den traurigen Mut, ihr zu sagen, daß ich unglücklich war durch sie. Doch dieses öde, verfehlte Leben trieb mich Thorheiten und Schwächen in die Arme, denen ich früher nicht unterlegen wäre. Dieser innere Zwiespalt machte mich unzufrieden, schwankend und niedergeschlagen, dennoch habe ich nicht die Energie verloren zu meiner Rettung. Nicht Sie können mir helfen, mein teurer Onkel; diese Art der Hilfe würde mich ohne Zweifel noch elender machen, als mein bisheriges Leben. Der Schritt, den ich zu thun im Begriff bin, wird viel Erstaunen erregen, viel Mißbilligung, aber ich bin ein Mann, ein Edelmann; ich weiß, was ich will –ich muß frei sein, frei um jeden Preis und -«
» Du bist frei!« schrieb Margarete darunter mit fester Hand, und man sah es diesen Schriftzügen nicht an, wie das Herz gebebt hatte, das diese Worte diktiert.
Sie wankte hinaus. Wie ein verheerender Blitzschlag die junge Saat, so hatte dieser Brief ihr Innerstes getroffen. Sie war wie betäubt, und in der dumpfen Verwirrung ihrer Gedanken wurde ihr nur das klar, daß sie den Geliebten jetzt wirklich verloren, daß sie ihn eigentlich nie besessen und daß sie ihm die Freiheit geben müsse, ehe er sie von ihr verlange. Also er war nie glücklich gewesen, hatte sie nie geliebt und, es war nicht mißzuverstehen, hatte sich ihren Eingriffen gefügt, um ihre Ehre zu retten bei der Zusammenkunft in dem Stübchen der alten Lisbeth. Sie hatte ihn ja den beiden Hinzugekommenen als ihren Verlobten vorgestellt und sie mußte jetzt zweifeln, daß eine Vermählung ihm jemals Ernst gewesen war. Aber ein tiefer Haß erfüllte sie, wenn sie daran dachte, daß er ihr jahrelang Liebe geheuchelt; denn Margarete haßte die Lüge. Wie hatte er stürmisch und begeistert ihr gedankt, als sie vor Wochen an dem traurigen Tage, wo sie ihn mit Laura überraschte, sich vergebend zu ihm neigte und bei ihm blieb. Und nun wollte er scheiden heimlich, mit herzloser Überlegung, und er klagte seinem Onkel, diesem Manne, der sie mißachtet und beleidigt hatte, daß er unglücklich sei, unglücklich seit jenem Tage, wo sie sein Weib wurde, unglücklich durch sie. Es war ein trauriger Augenblick, wo sie ihren Gatten in den Armen einer andern sah, aber diese Stunde war ungleich bitterer.
Dalvenau war unmittelbar darauf in sein Zimmer zurückgekehrt, als Margarete es verlassen. Ein Bedienter hatte ihm gesagt, daß die Gräfin soeben angekommen sei, und er eilte mit stürmischer Hoffnung und zitternden Herzens in sein Gemach. Ein prachtvoller Blumenstrauß, den Margarete in der Aufregung vergessen, zog seine Aufmerksamkeit auf sich und er trat an den Schreibtisch, um ihn in die Hand zu nehmen. Sie war zu ihm gekommen an diesem frohen, glücklichen Tage, so früh und ohne abzuwarten, ob er nicht aufs neue einen Schritt thun würde. Sie hatte also den Trotz gebeugt, die Liebe hatte gesiegt in ihrem guten Herzen –Dalvenau drückte freudig seine Lippen auf die duftenden Blumen, auf die Boten des Glücks. Aber zu gleicher Zeit hafteten seine Augen auf dem Briefbogen und der junge Mann wich erschrocken zurück.
»Du bist frei« stand da deutlich in großer Schrift; die Hand hatte nicht gezittert, die es schrieb, und er kannte diese Hand. War es denn möglich, konnte sie zu einem solchen tötenden Worte den Tag des Glückes und der Freude ausersehen? War es nicht bittrer Hohn an dem Tage, wo sie ihm Treue gelobt vor wenig Jahren? Nach und nach wurde er indessen klarer über die Sache, und kaum war er zur Überlegung gekommen, daß Margarete die Worte in seinem Briefe auf unheilvolle Weise mißverstanden, als er hinauseilte, um sie aufzusuchen. Er war fest entschlossen, sie einen freien Blick in sein Herz thun zu lassen, und er machte sich bittere Vorwürfe, nicht schon lange offen mit ihr geredet zu haben. Er wollte sich nicht einschüchtern, nicht abweisen lassen durch ihren tief gekränkten Stolz, sie sollte ihn hören und eine innere Stimme sagte ihm, daß sie ihn nicht weniger lieben und achten würde, wenn sie erfuhr, warum das Leben an ihrer Seite ihm nicht genügt. Er fand Margarete erst nach langem Suchen an einem ziemlich verborgenen Platze des Parks, und als er sich näherte, erhob sie sich und wandte sich zum Gehen. Doch er vertrat ihr den Weg und rasch ihre beiden Hände fassend, rief er mit innigem Ton:
»Mein liebes, teures Weib, Du wolltest Frieden und Versöhnung bringen, Gott segne Dich dafür.«
Allein sie unterbrach ihn durch einen stolzen und verächtlichen Blick und sagte kalt, ihre Hand zurückziehend: »ich bitte Dich, laß das, es ist wahrlich der Verstellung genug. Ich aber, ich kann nicht lügen und, ich gestehe es, ich wollte die verschmähete, die verachtete Liebe abermals Dir bringen.«
»Nicht so,« bat er, »laß Deinen lieben holden Mund nicht so bittre Worte sprechen. Ich habe gelesen, was Du unter den Brief an meinen Onkel schriebest, aber ich bin nicht frei, wen Du einmal geliebt, der bleibt Dein sein Leben lang.«
Sie sah ihn finster an. »Hattest Du nicht nach Freiheit gerufen in jenem Briefe?«
»Ja,« entgegnete er, »aber Du kennst die Freiheit nicht, die ich begehre, und Du hast das mißverstanden, was ich dem Onkel sagen wollte -«
»Genug der Ausflüchte,« sagte sie unwillig, »ich bin sie gewohnt, aber sie ermüden mich dennoch. Du bist frei, ich wiederhole es, Du und ich. Du hattest nicht den Mut, unsere Verbindung zu schließen, weil Gewohnheit und Verhältnisse stärker waren als Du; aber ich, das Weib, hatte die Kühnheit und baute darauf, Du würdest an mir den Halt finden, der Dir in dem Kampfe gegen Versuchung und Schwierigkeiten des geselligen Lebens not war. Auch das nicht –Deine Liebe war schwach wie Dein Mut,« fuhr sie fort und ein verächtliches Lächeln spielte um ihre rosigen Lippen, »und da Du zagst wie gewöhnlich, wenn es gilt, einen entscheidenden Schritt zu thun, so komme ich Dir noch einmal zu Hilfe und löse ein Band, das anfängt, drückend zu werden.«
Alles Blut drängte bei diesen Worten zu Dalvenaus stolzem, schwer gekränktem Herzen und stieg dann an den Schläfen hinauf bis unter das schwarze Haar. Seine Augen blitzten, aber welchen Sturm sie auch verrieten, der Mund blieb fest geschlossen, als wollten die Lippen gewaltsam einen Damm bilden gegen die Flut leidenschaftlicher Gefühle, die sich so leicht in Worten kund geben.
Margarete hatte ihn nie so gesehen, so zürnend, so gebietend, und sie schlug einen Augenblick verwirrt die Augen zu Boden vor diesem fremden Blick.
Er blieb ein paar Minuten mit verschränkten Armen vor ihr stehen, wie um sich zu sammeln, und dann sagte er in einem Tone, dem man das Beben des Zornes noch anmerkte: »Thörichtes Weib, daß Du glaubst, einen Mann beherrscht zu haben, wo Du selbst Dich nicht beherrschest. Ich will nicht frei werden, Du sollst es nicht sein; denn in diesem Augenblicke sehe ich klarer als je, daß Du eines Leiters und Führers bedarfst, ja, eines Herrn!«
Sie war überrascht aufgesprungen und starrte ihn sprachlos an. Eine dunkle Glut hatte sie übergossen; aber aus ihren blauen Augen leuchtete mehr Schrecken und Bewunderung, als verletztes Gefühl. So konnte ein Schuldiger nicht sprechen, und dieser flammende Blick, dieser entschiedene Ton, in dem er redete, fanden in ihrem stolzen Herzen einen Widerhall, wie es nur je ein süßes Liebesgeflüster gefunden hatte.
»Ich soll nicht frei sein?« stammelte sie verwirrt.
»Nein, Du darfst es nicht, Margarete,« sagte er ruhiger. »Du sollst es nicht, weil ich Dich noch immer liebe, wie Du mich auch kränken wolltest. Ich habe Dir unrecht gethan, ich weiß es; aber ich that Dir nicht absichtlich weh mit bitterem Wort, ich trat nicht Dein Selbstgefühl schonungslos in den Staub und machte Dir kein Verbrechen aus Deiner übergroßen Liebe. Auch ich empfinde es, daß ich zu nachgiebig war, zu selbstverleugnend in meinen Mannesrechten; daher beschränke ich von jetzt an Deine Freiheit und dehne die meinige aus, und der erste Gehorsam, den Du mir zu leisten hast als ein gutes, sanftes Weib, ist, daß Du mich anhörst.«
Sie schlug die Augen nicht auf; aber ihr Herz bebte von einem ungekannten Gefühle und sie neigte einwilligend das Haupt.
Er setzte sich neben sie und begann: »Als Du meine Braut wurdest, Margarete, und mich durch das öffentliche Bekenntnis Deiner Liebe namenlos glücklich machtest, da raubtest Du mir durch den raschen Schritt, den Du für notwendig hieltest, Deiner Ehre zu genügen, Unabhängigkeit, Familie und Beruf. Wenn wir mit dieser raschen Erklärung nur wenige Stunden gewartet hätten, so würden Ruhe und Nachdenken uns Mittel und Wege an die Hand gegeben haben, diese Verlobung noch gar nicht zu veröffentlichen, sondern nur den beiden Herren eine Erklärung zu geben. Ich bin überzeugt, mit Ruhe und Ausdauer hätten wir die Ungunst der Verhältnisse, wenn nicht ganz besiegt, doch gemildert. Du wolltest es anders, Dein Stolz wollte, konnte sich nicht beugen; der meine that es, denn ich liebte Dich grenzenlos! Ich habe Dich nie fühlen lassen, was Du mir genommen; denn Du batest mich mit Thränen, nicht zu zürnen, und Du weißt es, Margarete, dieser ungewohnte Schmuck in Deinen Augen blendet mich und macht mich schwach. Es wäre besser gewesen, ich hätte gleich gerade und ehrlich gesprochen. Deine Liebe« –und eine tiefe Rührung zitterte bei diesen Worten in seiner Stimme –»Deine Liebe, sie ist ein Paradies, sie hat mich unsäglich glücklich gemacht! Und doch, Margarete, doch war es nicht genug; denn ein Mann will mehr sein als der Geliebte seiner Frau. Ihm gab Gott die Welt mit ihren Täuschungen und Verheißungen, mit ihren Siegen und Gefahren, daß er darin sich bewege und wirke und schaffe, daß er den eigenen Herd baue und mit treuem Sinn sorge für Weib und Kind. Derselbe Gott gab Euch das schönere Ziel, er gab Euch den Himmel von Liebe, daß wir darin ausruhen sollen nach den Lasten des Tages, und diese Ruhe, die ich nicht kenne, sie muß göttlich sein. –Bei uns war es umgekehrt.«
Margarete war sehr bleich geworden; er sah sie an und schwieg; aber sie hob die leuchtenden Augen, in denen Thränen glänzten, zu ihm auf und sagte ernst und leise: »Dein Weib hört Dir zu, fahre fort, denn Du bist noch nicht am Ende.«
»Wohl gabst Du mir einen anderen Beruf, Margarete; aber Du drängtest mir ihn gebieterisch auf, ohne mich zu fragen, ob ich ihn liebte. Ich aber, ich empfand Abneigung dagegen, ich fühlte täglich meine Unkenntnis und ebenso oft meine Unlust zu lernen. Abhängig, überflüssig allüberall, hatte ich nichts zu thun, als auf Dein Lächeln zu harren, in dem Überflusse zu leben, mit dem Deine Liebe mich umgab –ich war eben nichts, als der Mann meiner Frau. O Margarete, Du weißt nicht, wie das Bewußtsein drückt, Männern gegenüber zumal. Du sahest diese Unzufriedenheit nicht, die sich über mein Leben ausbreitete; denn mit Dir kam die Liebe und warf ihren goldenen Schein über alles, was uns umgab. Aber wenn Du gingst, dann kehrten die Schatten zurück und Laura sah sie, denn sie konnte sie nicht verjagen. Sie kam zuerst als Trösterin, dann als Versucherin, und meine eigentümliche Lage, die vielen langen, unbeschäftigten Stunden rissen mich zu Thorheiten hin, deren ich mich schäme und die ich bereue.«
»Sie tröstete Dich und ich wußte es nicht, daß Du littest!« seufzte Margarete schmerzlich. »Warum sprachst Du nicht zu mir?«
»Gab es denn ein Auskunftsmittel?« fragte er. »Ich wollte Dich nicht betrüben, und dann wußte ich selbst nicht klar, wie zu helfen sei. Und als ich es wußte, da zögerte ich dennoch. Du hättest meinem Glücke Opfer bringen müssen und -«
»Und ich hätte es gethan,« rief sie feurig, »mit allem, was ich bin, was ich habe, mit meinem Leben, mit meiner Seligkeit!«
»Margarete,« lächelte er schmerzlich, »wie wenig kennst Du Dich! Du genügtest nicht einmal der kleinen Bitte, Laura zu entfernen, da es noch Zeit war. Dein Stolz lehnte sich gegen die Möglichkeit auf, daß man glauben könne, dieses Mädchen wäre Dir gefährlich gewesen, und sie mußte bleiben. Ich war der Versuchung täglich aufs neue ausgesetzt, und als ich fiel –da wolltest Du Dich abwenden von mir.«
Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und langsam rannen Thränen unter den weißen Fingern hervor.
»Weine nicht,« sagte er milde, »Du warst im Rechte; ein Mann soll nicht fallen und darum, und weil ich Dich so unnennbar liebe, war meine Reue so aufrichtig, mein Jubel so stürmisch, als Du vergabst. Aber als ich sah, daß diese Verzeihung nur ein flüchtiger Lichtschimmer war, als ich geduldig wartete und bat und hoffte, und Du wurdest kälter und kälter und entferntest Dich immer weiter in eigensinnigem Trotz, da fühlte ich mich grenzenlos einsam und elend, und meine glänzende Existenz, die Deine Hand nur gab, ekelte mich an, nun die Liebe fehlte, die den Druck erleichtert hatte. Nachdem ich mich in Bitte und Hoffen erschöpft, Dein Herz wiederzugewinnen, richteten sich alle meine Gedanken darauf, in dem Stande einen ehrenvollen Wirkungskreis zu erlangen, dem längst meine Neigung gehört und der mich frei macht, wenn auch nie von der Liebe zu Dir, doch in der äußeren Stellung. Hierauf bezog sich mein Brief an den Onkel. Du kannst denken, daß unser Zerwürfnis den Augen der Welt nicht entgangen ist, und wohlmeinende Personen haben dem väterlichen Freunde ihre Ansicht mitgeteilt, daß ich mich unglücklich fühle und daß mich meine Heirat reue. Daraufhin hat mir der Alte sein Herz eröffnet und mir Hilfe angeboten mit Rat und That, um mich frei zu machen von Dir und dieser Ehe. Unseren Knaben will er als standesberechtigt anerkennen und das Testament vernichten, das mich als Erben ausschloß. Allein ich habe mir meinen Weg gewählt, er geht weit ab von dem, den mein väterlicher Freund mir ausersehen. Ich kann nicht anders, ich habe bereits die nötigen Schritte gethan und ich muß die Ausführung dieses Entschlusses selbst mit einer zeitweiligen Trennung von Dir erkaufen.«
Alle Farbe war allmählich aus Margaretens Wangen gewichen; sie sah ihn unverwandt an und fragte langsam: »Und was willst Du werden?«
»Ein Kaufmann,« sagte er fest, »in acht Tagen gehe ich nach Hamburg.«
Margarete stieß einen leisen Schrei aus und im nächsten Augenblick lag sie zu seinen Füßen.
Er wollte sie emporheben, aber sie umschlang seine Knie. »Nein, nein, laß mich!« rief sie unter strömenden Thränen, »hier gelobte ich Dir vor Jahren, Dir ein sanftes, gehorsames, versöhnliches Weib zu sein, Deine Wünsche in Deinem Herzen zu lesen und Dir Glück und Frieden zu geben. Ich habe es nicht gehalten, ich war blind in eitlem Stolze, o Paul, Du mein Geliebter, vergieb und nimm mich aufs neue auf. Und wenn Du mir vergeben, wenn Du mich noch lieben willst, dann erst nimm mich an Dein Herz.«
Er hob sie empor und bedeckte ihren Mund mit Küssen und die schönen Augen, die jetzt nur Liebe und Demut und Reue ausstrahlten. »Mein Weib, mein süßes, schönes, teures Weib,« rief er, »jetzt, erst jetzt bist Du wirklich und ganz mein eigen.«
Dalvenau war ein Jahr lang in ein Hamburger Handlungshaus als Volontär eingetreten, und fand sich schnell in seine neue Thätigkeit. Margarete hatte ihn begleitet, es war, als habe sie erst jetzt das Wesen, die volle Bedeutung der Liebe erkannt.
Der alte Hechler ist noch immer eine treue Stütze des Hauses, aber Dalvenau steht an der Spitze des Geschäfts, denn wenn er anfänglich auch nur die Absicht hatte, sich darin eine thätige und unabhängige Stellung zu gewinnen, so gab das Margaretens Liebe nicht zu. Er ist der alleinige Chef des Hauses und leitet die Geschäfte mit Umsicht und Sicherheit. In der Gesellschaft ist er Graf Dalvenau, aber er unterschreibt: Gebrüder Spalding. Er hat seinen Standesgenossen in der Gesellschaft gegenüber keines der Privilegien und Rechte seiner Geburt und seiner Familie aufgegeben, doch auf dem Comptoir läßt er sich »Herr Dalvenau« nennen. Als ihm einst von einem Verwandten Vorwürfe darüber gemacht wurden, sagte er lachend: »Graf Dalvenau, das klingt nicht, dahinter wittert die Börse den Neuling, und wahrlich, Gebrüder Spalding und Graf Dalvenau, keiner der beiden Namen hat den anderen nötig, um ihm ein Relief zu geben.«
Margarete interessiert sich noch warm für alle Unternehmungen, aber das kleine Kabinett hat sie ihrem Gatten abgetreten. Sie mischt sich in nichts, doch Dalvenau teilt ihr zuweilen mit, was sie begreift und interessiert, und er findet eine teilnehmende, liebevolle Freundin an ihr in den Stunden der Sorge. Sie selbst waltet mit unbeschreiblicher Anmut oben im Hause, sie ist noch immer die schöne, bewunderte Frau der Gesellschaft, die zärtlich geliebte Mutter ihrer Kleinen, das angebetete, vergötterte Weib ihres Mannes, Zu dem sie bewundernd emporschaut. Sie glättet die Falten auf seiner Stirn, die der Tag und seine Lasten hervorrufen, und er bewahrt einen frischen, fröhlichen Sinn in ihrer Liebe. Sie aber, sie hat erkannt, daß das Weib keinen schöneren Wirkungskreis hat, als in ihrer eigenen stillen Häuslichkeit, keine andere Welt, als das Herz ihres Gatten.
Berliner Buchdruckerei-Aktien-Gesellschaft,
Setzerinnen-Schule des Lette-Vereins.