Theodor Fontane
Die Poggenpuhls
Theodor Fontane

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Zehntes Kapitel

Sophie von Poggenpuhl an Frau von Poggenpuhl

Adamsdorf, 6. Januar

Liebe Mama! Gestern, gleich nach elf, sind wir wohlbehalten hier eingetroffen. Ganz zuletzt, auf dem Wege von Hirschberg hierher, entzückte mich die Fahrt im offenen Wagen, trotzdem der Himmel bedeckt und das Gebirge, das zu sehen ich mich so gefreut, in seinen Linien unsichtbar war. Aber in den Dörfern herrschte doch noch Leben, und die Erdmannsdorfer Fabrik, in der auch die Nacht hindurch gearbeitet wird, leuchtete durch den Nebel, der zog. Es sah mittelalterlich-romantisch aus, als ob eine uralte Piastenfamilie darin wohnte. Hier in Adamsdorf – nur ganz in der Ferne schlug noch ein Hund an, und ein andrer antwortete – war schon alles still, und still war es auch auf dem Vorplatz vor dem Schloß. Ich ängstigte mich einen Augenblick; aber wie fiel das alles von mir ab, als ich in den Salon trat und von der Tante aufs liebenswürdigste begrüßt wurde! Eine herrliche Frau. Ich begreife Therese nicht, die sich nie so recht mit ihr stellen konnte. Vielleicht kommen auch für mich noch die Beschwerlichkeiten, aber ich glaube es kaum. Daß Dir, mein altes Mutterchen, die Lebenslose doch auch so glücklich gefallen wären! Ich sprach von: Salon. Ja, es war ein Salon, in den wir eintraten, aber viel mehr noch ist es eine Halle. Der Vorbesitzer von Adamsdorf, das in alten Zeiten eine Benediktinerabtei war, hat viel von den alten Klostergebäuden mit in den Neubau herübergenommen, und diese Halle war vordem ein Refektorium; – durch den Raum hin stehen noch drei gotische Pfeiler, und in dem Kamin glomm ein Feuer, dessen von Zeit zu Zeit aufflackernde Lichter an der gewölbten Decke hin spielten. Außer der Tante war nur noch eine Katze da, ein wunderschönes großes Tier, das spinnend um mich herum ging und mir dann auf den Schoß sprang. Ich erschrak; aber die Tante beruhigte mich und sagte: das sei eine Liebeserklärung, womit Bob (es wird also wohl ein Kater sein) sonst sehr zurückhalte. Er sei mißtrauisch und eifersüchtig. Weil wir ausgefroren waren, bat der Onkel um einen Eierpunsch, den sie hier aus Ungarwein und Gelbei machen. Es schmeckte mir ganz vorzüglich. Und was noch wichtiger, ich habe hinterher herrlich geschlafen, und als ich zu guter Zeit aufstand und die Jalousien in die Höhe zog, da lag das Gebirge, ganz von Schnee überdeckt, in langer Linie vor mir. Wir wollen in den nächsten Tagen eine Partie nach der Heinrichsbaude machen und dann in einem Hörnerschlitten wieder zu Tale fahren. Es soll wunderschön sein, aber ich ängstige mich ein wenig. Ergeh es Dir gut. Gruß und Kuß Euch allen und (wenn Ihr schreibt) auch nach Thorn hin an die Brüder. In herzlicher Liebe

Deine Sophie

 

Schloß Adamsdorf, 16. Januar

Liebe Mama! Ich habe mich nun schon ganz hier eingelebt. Die Tante verbleibt in ihrer Güte dieselbe gegen mich; vom Onkel es zu versichern ist nicht nötig, und auch Bob hält in seinem Attachement aus. Er geht darin ein wenig zu weit, denn seine Zärtlichkeitsbezeigungen haben immer etwas Überfallartiges. Mit einemmal springt er mich an, immer noch die Tigernatur. Die Fahrt zur Heinrichsbaude hinauf ist vertagt worden. Man will noch einen frischen Schneefall abwarten, denn es heißt: je mächtiger die Schneedecke, desto schöner die Fahrt talwärts und desto gefahrloser; der Schlitten fliegt dann über die Felsblöcke weg, als ob es Maulwurfshügel wären. – Unser Leben hier ist ziemlich still, wenig Besuch, und außer unserm Adamsdorfer Prediger, der dann und wann vorspricht, kommen meist nur Prediger aus der Nachbarschaft und ein alter Oberst aus der Stadt; außerdem auch noch ein Amtsgerichtsrat und seine Frau. Diese Besuche freuen mich immer sehr, aber auch ohne sie habe ich Unterhaltung die Hülle und Fülle, weil die Tante gern aus ihrem Leben erzählt, am liebsten aus ihren Kindertagen, die sie noch in Armut verbrachte. Zu dem allem haben wir auch noch eine merkwürdige Bildergalerie hier, deren Grundstock aus verschiedenen Bildnissen aus der Klosterzeit her besteht: Heiligenbilder (nicht viele), zu denen sich die Porträts von Äbten und Prioren und sogar ein Fürstbischof von Breslau gesellen; dazwischen allerlei spezifisch Preußisches: Friedrich der Große (dreimal), Prinz Heinrich, General Tauentzien und zum Schluß ein Dutzend Bildnisse von Personen aus der Familie des ersten Mannes der Tante. Lauter Leysewitze. Von den Poggenpuhls nichts; nicht einmal das Porträt des Onkels. Ich nahm vor ein paar Tagen Gelegenheit, leise darauf hinzuweisen, worauf er lachend erwiderte: »Ja, Fiechen« (so nennt er mich immer), »das Poggenpuhlsche fehlt ganz und gar, was aber recht gut ist; es herrscht hier schon ein ungeheures Durcheinander, und wenn auch noch der ›Hochkircher‹ und der ›Sohrsche‹ hinzukämen, so wäre die Konfusion vollständig.« Der gute Onkel hat solchen bon sens, daß ihm der Hang, auch Mitglieder seiner eigenen Familie hier einziehen und mit den altschlesischen Adligen in Wettstreit treten zu sehen, gänzlich fernliegt. Und damit hängt es auch wohl zusammen, daß die Wappentellerfrage ruht. Onkel Eberhard war wohl von Anfang an dagegen und hat nur schließlich, ich will nicht sagen gern, aber doch ohne lange Kämpfe nachgegeben. All das hat sich aber geändert. Eine ganz andere Aufgabe harrt jetzt meiner, die mich stolz und glücklich macht. Was dies andre nun ist, davon das nächste Mal. – Wenn Briefe von Wendelin oder Leo bei Euch eintreffen, so schickt sie mir, zunächst natürlich meinetwegen, aber doch auch des Onkels halber, der sich für beide ganz aufrichtig interessiert und von jedem was erwartet, von Wendelin gewiß, aber auch von Leo. Leo, sagte er noch heut, ist ein Glückskind, und das Beste, was man haben kann, ist doch immer das Glück. Die Tante wurde dabei ganz ernsthaft und bestritt es, beruhigte sich aber, als er verbindlich und mit einer chevaleresken Handbewegung sagte: »Hab ich dich verdient oder war es Glück?« Sie gab ihm einen Kuß, was mich rührte, denn es war kein Zärtlichkeitskuß, den ich bei alten Leuten nicht sehen mag, sondern nur echte Zuneigung und Dankbarkeit. Und mit Recht. Denn so gewiß diese Verheiratung ihn glücklich gemacht hat, so gewiß auch sie. – Du siehst aus diesem allem, wie glücklich ich hier bin, aber mitunter sehne ich mich doch nach Dir und möchte Dir die Hände streicheln. Ängstige Dich nur nicht zu viel. Es wird noch alles gut. Das läßt Dir der Onkel noch eigens durch mich vermelden. Er sagte mir heut, es gäbe einen Wappenspruch, der laute: »Sorg, aber sorge nicht zu viel, es kommt doch, wie's Gott haben will.« Und gegen diesen Spruch, so schloß er, verstießest Du mehr, als recht sei. Ich hab übrigens nicht, wie Du vielleicht glaubst, mit eingestimmt, hab ihm vielmehr gesagt: »Wie weh etwas tut, weiß nur der, der das Weh gerade hat.« Da hat er mir auch einen Kuß gegeben. Es ist ein herrlicher Mann, und ich kann nicht herauskriegen. wer besser ist, er oder sie. Nun aber lebe wohl.

Deine Sophie

 

Schloß Adamsdorf, 19. Januar

Heut, meine liebe Mama, nur eine Karte. Vorgestern ist Schnee gefallen; er liegt um das Schloß her wie eine Mauer. Seit heute früh aber klarer blauer Himmel, milde Kälte, himmlisches Wetter. Wir wollen nun in den nächsten Tagen zu Fuß und zu Wagen bis auf den Kamm des Gebirges und dann in Hörnerschlitten zu Tal. Der Pastor und ein Assessor aus der Stadt wollen teilnehmen. Ich freue mich unendlich darauf. Ergeh es Euch gut.

Deine Sophie

 

Heinrichsbaude, 22. Januar

Wieder nur eine Karte. Diesmal aber mit einem Bilde drauf (Heinrichsbaude). Wir sind nämlich hier oben und werden wenigstens noch bis morgen bleiben, bleiben müssen. Und daran bin ich schuld. Ich verfehlte, gleich als ich den Schlitten bestiegen und das Niedersausen begonnen hatte, den rechten Weg und wäre, rettungslos verloren, in den Krater gestürzt – den sie, weil er unten Wasser hat, den »kleinen Teich« nennen -, wenn nicht ein in der richtigen Richtung fahrender Schlitten, der dies sah, mit allem Vorbedacht von der Seite her in meinen Hörnerschlitten hineingefahren wäre. Bei diesem, ich muß sagen glücklichen, weil mich rettenden Zusammenstoß wurde ich herausgeschleudert und mußte, weil ich, etwas verletzt, nicht gehen konnte, hierher zurückgetragen werden. Wir erwarten in ein paar Stunden den Arzt aus Krummhübel. Das ist das nächste große Dorf. Ängstigt Euch nicht. Auf Hörnerschlittenfahrten aber laß ich mich nicht wieder ein. Mein Retter war ein junger Assessor (adlig) und schon verlobt. Wie immer

Deine Sophie

 

Schloß Adamsdorf, 25. Januar

Zwei Telegramme des guten Onkels werden Dich über mein Befinden beruhigt haben. Von Gefahr keine Rede mehr; Oberschenkelbruch; in vier Wochen, spätestens in sechs, kann ich wieder tanzen. Der Arzt ist vorzüglich und sehr dezent; Sohn eines Webers hier aus der Nähe (Notiz für Therese). Meine Rettung, wie ich Dir, glaub ich, schon schrieb, verdanke ich allein dem Assessor; er ist natürlich Reserveleutnant und will, wenn es zum Kriege kommt, dabeibleiben. Akten sind ihm zuwider, was der Amtsgerichtsrat, sein Vorgesetzter, lächelnd bestätigt. Daß ich so viele Wochen ruhig liegen muß, würde mir hart ankommen, wenn mir der Doktor nicht freie Bewegung meiner Arme gestattet hätte. Die Tante ließ mir denn auch sofort eine Stellage herrichten, so daß ich ohne Mühe schreiben und zeichnen kann. Ich mache davon den reichlichsten Gebrauch und fertige Skizzen über Skizzen. Und da ist es denn auch wohl an der Zeit, Dir, meine gute Alte, von dem neuen Plan zu erzählen, hinsichtlich dessen ich schon vor ein paar Wochen, bald nach meinem Eintreffen hier, einige kurze Andeutungen machte. Statt mit dem Malen von Wappentellern bin ich nämlich, höre und staune, mit Ausmalung unserer protestantischen Kirche (das Dorf hat, wie fast überall hier, auch eine katholische) betraut worden, und zwar sollen in all die tiefer liegenden Felder, die sich um die Kirchenempore herumziehen, auf Holz gemalte biblische Bilder eingelassen werden, jedes etwa von der Größe eines zusammengeklappten Spieltisches. Eine freilich etwas sonderbare Maß- und Größenangabe, wenn ich bedenke, daß es sich um eine Kirche handelt. Natürlich wird es nichts großartig Kunstmäßiges werden, dafür ist gesorgt, aber doch auch nichts Schlechtes, und, was mich am meisten beglückt, ich werde die Aufgabe ganz neu zu lösen trachten. Also: »Joseph wird nach Ägypten hin verkauft«, »Judith und Holofernes«, »Simson und Delila« – all dergleichen denk ich fallenzulassen und dafür das zu nehmen, worin das Landschaftliche vorherrscht. Meine Bemühungen gehen mithin zunächst dahin, in der Bibel nach Stoffen mit guter Szenerie zu suchen und solche, wenn ich sie gefunden, in wenig Strichen hinzuwerfen, so gut es in meiner gegenwärtigen Lage geht.

Aus der Länge meines Briefes siehst Du, daß es mir trotz alledem und alledem sehr gut ergeht. Manon wird dies vielleicht bestreiten und sich darauf berufen, daß man, weil man Briefe vorläufig noch mit der Hand schreibe, keine Schlußfolgerungen daraus auf das Wohlbefinden des Fußes ziehen dürfe. Das ist aber falsch. Wenn man einen kranken großen Zehen hat, d. h. wirklich krank, so kann man ebensowenig schreiben, wie wenn es ein kranker Daumen wäre.

Laß mich recht ausführlich hören, wie's Euch geht. Auch Friederike soll mir schreiben; Dienstbotenbriefe sind immer so reizend, so ganz anders wie die der Gebildeten. Die Gebildeten schreiben schlechter, weil weniger natürlich; wenigstens oft. Das Herz bleibt doch die Hauptsache. Nicht wahr, meine liebe gute Alte?! Du weißt das am besten. Und Therese soll mir eine Beschreibung von der Soiree bei Bronsarts machen und ob lebende Bilder gestellt wurden und welche. Und Manon soll mir von Bartensteins schreiben und dem Ball und ob sie mitgetanzt hat und mit wem. Und welche Toilette sie hatte. Manon versteht es, aus ein bißchen Tüll und einem Rosaband ein Feenkostüm zu machen. Und nun lebe wohl. Die Tante will noch ein paar Zeilen (vielleicht einen Krankenbericht) mit beilegen. Wie immer Deine Dich herzlich liebende

Sophie


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