Theodor Fontane
Unterm Birnbaum
Theodor Fontane

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Achtzehntes Kapitel

Hradscheck, sonst mäßig, hatte mit den andern um die Wette getrunken, bloß um eine ruhige Nacht zu haben. Das war ihm auch geglückt, und er schlief nicht nur fest, sondern auch weit über seine gewöhnliche Stunde hinaus. Erst um acht Uhr war er auf. Male brachte den Kaffee, die Sonne schien ins Zimmer, und die Sperlinge, die das aus den Häckselsäcken gefallene Futterkorn aufpickten, flogen, als sie damit fertig waren, aufs Fensterbrett und meldeten sich. Ihre Zwitschertöne hatten etwas Heitres und Zutrauliches, das dem Hausherrn, der ihnen reichlich Semmelkrume zuwarf, unendlich wohltat, ja, fast war's ihm, als ob er ihren Morgengruß verstände: »Schöner Tag heute, Herr Hradscheck; frische Luft; alles leichtnehmen!«

Er beendete sein Frühstück und ging in den Garten. Zwischen den Buchsbaumrabatten stand viel Rittersporn, halb noch in Blüte, halb schon in Samenkapseln, und er brach eine der Kapseln ab und streute die schwarzen Körnchen in seine Handfläche. Dabei fiel ihm, wie von ungefähr, ein, was ihm Mutter Jeschke vor Jahr und Tag einmal über Farnkrautsamen und Sich-unsichtbar-Machen gesagt hatte. »Farnkrautsamen in die Schuh gestreut...« Aber er mocht es nicht ausdenken und sagte, während er sich auf eine neuerdings um den Birnbaum herum angebrachte Bank setzte: »Farnkrautsamen! Nun fehlt bloß noch das Licht vom ungebornen Lamm. Alles Altweiberschwatz. Und wahrhaftig, ich werde noch selber ein altes Weib... Aber da kommt sie...«

Wirklich, als er so vor sich hin redete, kam die Jeschke zwischen den Spargelbeeten auf ihn zu.

»Dag, Hradscheck. Wie geiht et? Se kümmen joa goar nich mihr.«

»Ja, Mutter Jeschke, wo soll die Zeit herkommen? Man hat eben zu tun. Und der Ede wird immer dummer. Aber setzen Sie sich. Hierher. Hier ist Sonne.«

»Nei, loaten S' man, Hradscheck, loaten S' man. Ick sitt schon so veel. Awers Se möten sitten bliewen.« Und dabei malte sie mit ihrem Stock allerlei Figuren in den Sand.

Hradscheck sah ihr zu, ohne seinerseits das Wort zu nehmen, und so fuhr sie nach einer Pause fort: »Joa, veel to dohn is woll. Wihr joa gistern wedder Klock een. Kunicke kunn woll wedder nich loskoamen? Den kenn ick. Na, sien Vader, de oll Kunicke, wihr ook so. Man blot noch en beten mihr.«

»Ja«, lachte Hradscheck, »spät war es. Und denken Sie sich, Mutter Jeschke, Klock zwölf oder so herum sind wir noch fünf Mann hoch in den Keller gestiegen. Und warum? Weil der Ede nicht mehr wollte.«

»Nu, süh eens. Un worümm wull he nich?«

»Weil's unten spuke. Der Junge war wie verdreht mit seinem ewigen ›et spökt‹ und ›et grapscht‹. Und weil er dabei blieb und wir unsre Bowle doch haben wollten, so sind wir am Ende selber gegangen.«

»Nu, süh eens«, wiederholte die Alte. »Hätten em salln 'ne Muulschell gewen.«

»Wollt ich auch. Aber als er so dastand und zitterte, da konnt ich nicht. Und dann dacht ich auch...«

»Ach wat, Hradscheck, is joa all dumm Tüg... Un wenn et wat is, na, denn möt et de Franzos sinn.«

»Der Franzose?«

»Joa, de Franzos. Kucken S' moal; de Ihrd geiht hier so n beten dahl. He moak woll en beten rutscht sinn.«

»Rutscht sinn«, wiederholte Hradscheck und lachte mit der Alten um die Wette. »Ja, der Franzos ist gerutscht. Alles gut. Aber wenn ich nur den Jungen erst wieder in Ordnung hätte. Der macht mir das ganze Dorf rebellisch. Und wie die Leute sind, wenn sie von Spuk hören, da wird ihnen ungemütlich. Und dann kommt zuletzt auch die dumme Geschichte wieder zur Sprache. Sie wissen ja...«

»Woll, woll, ick weet.«

»Und dann, Mutter Jeschke, Spuk ist Unsinn. Natürlich. Aber es gibt doch welche...«

»Joa, joa.«

»Es gibt doch welche, die sagen: Spuk ist nicht Unsinn. Wer hat nu recht? Nu mal heraus mit der Sprache.«

Der Alten entging nicht, in welcher Pein und Beklemmung Hradscheck war, weshalb sie, wie sie stets zu tun pflegte, mit einem »Ja« antwortete, das ebensogut ein »Nein«, und mit einem Nein«, das ebensogut ein »Ja« sein konnte.

»Mien leew Hradscheck«, begann sie. »Se wullen wat weten von mi. Joa, wat weet ick? Spök! Gewen moak et joa woll so wat. Un am Enn' ook wedder nich. Un ick segg ümmer: wihr sich jrult, för den is et wat, und wihr sich nich jrult, för den is et nix.«

Hradscheck, der mit gespanntester Aufmerksamkeit gefolgt war, nickte zustimmend, während die sich plötzlich neben ihn setzende Alte mit wachsender Vertraulichkeit fortfuhr: »Ick will Se wat seggen, Hradscheck. Man möt man blot Kurasch hebben. Un Se hebben joa. Wat is Spök? Spök, dat's grad so, as wenn de Müüs knabbern. Wihr ümmer hinhürt, na, de slöppt nich; wihr awers so bi sich seggen deiht: ›Na, worümm salln se nich knabbern‹, de slöppt.

Und bei diesen Worten erhob sie sich rasch wieder und ging, zwischen den Beeten hin, auf ihre Wohnung zu. Mit einem Mal aber blieb sie stehn und wandte sich wieder, wie wenn sie was vergessen habe. »Hüren S', Hradscheck, wat ick Se noch seggen wull, uns' Line kümmt ook wedder. Se hett gestern schrewen. Wat mienen S'? De wihr so wat för Se.«

»Geht nicht, Mutter Jeschke. Was würden die Leute sagen? Un is auch eben erst ein Jahr.«

»Woll. Awers se kümmt ook ihrst um Martini rümm... Und denn, Hradscheck, Se bruken se joa nich glieks to frijen.«


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