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Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hatte ich einen wundervollen Wohnsitz, der wie geschaffen war als Arbeitsplatz für einen Naturforscher. Denn er lag an einem der günstigsten Plätze der Welt und suchte namentlich in bezug auf das Vogelleben seinesgleichen. Befand sich das Haus doch in einem großen, verwilderten Garten auf der Spitze eines die ganze Gegend beherrschenden Berges, und von hier aus konnte man mit Hilfe eines Feldstechers weithin die Lande überschauen. Zu meinen Füßen die volkreiche Hafenstadt Tanger, jenseits die Meerenge von Gibraltar mit dem ragenden Festungsklotz rechts und der spanischen Ebene in der Mitte, links das üppige Andalusien, von wo die Fenster der alten Araberstadt Tarifa bei Sonnenuntergang so deutlich herüberleuchteten, daß man sie fast zählen konnte. Um mich herum die Pracht vornehmer Gärten und dazwischen gestreuter Landhäuser, während in meinem Rücken der weiße Leuchtturm vom Kap Spartel herübergrüßte. Ein wonniges, ein unvergeßliches Bild! Dazu die ganze Luft erfüllt von zartestem Blütenduft, geschwängert mit einem Durcheinander der feinsten Gerüche, der Garten belebt von den hurtigsten und schimmerndsten Eidechsen, durchhallt von den süßesten Strophen mittelmeerländischer kleiner Grasmücken oder von den jauchzenden Jubelliedern der Feigenfresser. Wahrlich, es war ein Hochgenuß, dort oben zu sitzen und die ungewohnte Unmittelbarkeit einer eigenartigen Natur auf sich wirken zu lassen.

Oh, über diese Stunden stillen Hochgenusses an der berühmten Straße von Gibraltar! Aber auch an belebten und für den Forscher erfreulichen Stunden fehlte es nicht. Es war die Zeit des Vogelzuges, und im Gebüsch wimmelte es von allerlei Vogelgestalten, die hier nach dem Übersetzen der schmalen Meerenge willkommene und gemütliche Rast hielten. So manchen Vogel begrüßte ich da als Durchzügler, der mir auf der windumbrausten Kurischen Nehrung zur Zugzeit eine alltägliche Erscheinung gewesen war. Manche sah ich auch von Europa unmittelbar auf dem Schwarzen Erdteil ankommen. An gewissen Tagen lösten sich beständig ganze Storchenheere von Tarifa ab, flogen über die Meerenge herüber nach Afrika, erst nur wie Staub aussehend, aber von Minute zu Minute deutlicher und greifbarer werdend. Jetzt hatten sie die fremde Welt erreicht und bedurften nun für ihren Weitermarsch in unbekannte Weiten offenbar einer gründlichen Orientierung. Einen Augenblick schienen sie verwirrt durcheinander zu geraten. Aber dann schraubten sie sich höher empor, gewannen den Blick auf den weißschimmernden Leuchtturm des Kap Spartel und strebten nach kurzer Überlegung diesem zu. Welchen Weg sie dann einschlagen, um das weit entfernte Mittel- oder gar Südafrika zu erreichen, wissen wir nicht, aber wir sind überzeugt, daß es der richtige ist, um schließlich zum ersehnten Ziele zu kommen. Oft habe ich mich in Gedanken in die Mitte eines solchen Storchengeschwaders hineinversetzt, und es waren meine schönsten und ungetrübtesten Stunden.

Aber nicht immer durfte ich solchen Träumereien nachhängen, denn ich hatte ja auch noch die Sorge für meinen schönen, aber völlig verwilderten Garten. Fruchtbar war er ganz gewiß, aber zugleich offene Tafel für große und kleine Schädlinge der verschiedensten Art. Was habe ich mir doch damals Mühe gegeben! Die berühmtesten Sämereien wurden für teures Geld aus Erfurt bestellt, im Schweiße meines Angesichts wurde alles sorgfältig gepflanzt und verpflanzt, nach allen Weisen gepflegt und verhätschelt, gedüngt, behütet und bewacht, aber das Ergebnis war regelmäßig mehr als dürftig. Schuld daran waren vor allem die zahllosen Waldkaninchen ( Lepus cuniculus), von denen der ganze Berg wimmelte und die bei Sonnenuntergang ihre verheerenden Plünderungszüge begannen. In solchen Lagen lernt man das Kaninchen als wüsten Schädling erst richtig einschätzen, und der etwas trockene Braten (besser ist die Suppe) bietet doch nur eine sehr ungenügende Entschädigung für das viele entgangene Gemüse. Man kann vom gärtnerischen Standpunkte aus einen wahren Haß bekommen auf die sonst so allerliebsten Tierchen, denn sie wissen vortrefflich Bescheid darüber, was besonders gut schmeckt. Ihre Beobachtung freilich macht immer wieder Freude. Nicht einzeln wie die Hasen rücken sie zu ihren Äsungsplätzen, sondern immer gleich trupp- und familienweise. Und sie vergessen ihre Sicherheit nie, sondern sehen sich, nur die Nasenspitze zum Dickicht herausgestreckt, immer erst gründlich in der Gegend um, bis sie sich frei zu zeigen wagen, auch dann immer noch jeden Augenblick zum Ausreißen bereit, selbst vor jedem im Winde schaukelnden Zweig erschreckt zusammenfahrend. Aber einen wunderhübschen Anblick bietet die getreulich zusammenhaltende Familie, denn der Kaninchenvater ist nicht, wie sein Vetter Hase, ein großer Lüderjahn und Herumtreiber, sondern ein braver, ehrlicher Kerl, der schon weiß, daß die Familiensorge zu den unerläßlichen Pflichten eines Kaninchens gehört. Aber seine netten Kinderchen mag er wirklich gern und knutscht sie manchmal aus reiner Liebe zu Tode. Das ist wirklich keine böse Absicht. Die Kaninchen sind im höchsten Grade liebebedürftig und auch entsprechend fruchtbar, in dieser Beziehung ja geradezu sprichwörtlich geworden. Wurf folgt auf Wurf, und alle diese Kinderscharen werden tadellos aufgezogen. Neun Tage lang sind die Kleinen blind, bleiben dann noch 14 Tage lang in der Kinderstube, werden nun zum ersten Male ausgeführt, mit allen Schlichen dieser bösen Welt vertraut gemacht und vermehren überraschend schnell ihr Wissen, ihre Kenntnis von allem, was mundet und nahrhaft ist, aber auch von allem, was eine Gefahr bedeuten könnte. Bei uns ist der alte Schlaumeier Reineke Fuchs ihr Hauptfeind und erlauert sich manches Karnickel seelenruhig über dem Höhleneingang. In Marokko und Südspanien fand ich ihn überreichlich ersetzt durch die Raubvögel, von denen ganze Stämme sich wochenlang in kaninchengesegneten Revieren herumtreiben und auch nicht eher weichen, als bis sie bis auf einige Stammtiere die ganze Siedlung ausgerottet haben.

Zweifellos stammt das Karnickel ursprünglich aus Spanien, das als seine eigentliche Heimat anzusehen ist und wo es seine alten Stammburgen hat. Von hier aus hat es sich zunächst in die benachbarten Mittelmeerländer weiterverbreitet, teils mit, teils ohne Zutun des Menschen. Die dortige Landschaft muß ja das Entzücken eines Kaninchengemüts erregen. Sie ist kahl und doch an Deckungen überreich, einsam und menschenleer, voll prächtiger Gelegenheiten zur Anlage der Baue, zu Deckungen und Tummelplätzen, in überreicher Anzahl mit üppigen Futterplätzen versehen. Namentlich in Portugal ist es überaus häufig. Im Altertum waren die Einwohner von Mallorka und Minorka einmal von den Kaninchen derart in Verzweiflung gebracht, daß sie eine feierliche Gesandtschaft nach Rom zum Kaiser Augustus sandten, er möge sie doch irgendwie von diesen unheimlichen Nagern befreien, die sie keine Feldfrüchte mehr einbringen ließen und schon nahezu alles vernichtet hätten, wovon sie sonst ihr Leben fristeten. Der durch die Karnickel angerichtete Schaden fällt nämlich deshalb besonders ins Gewicht, weil er sich nicht so verteilt wie beim Hasen, der, ohnehin nicht in solcher Überzahl auftretend, bald hier ein Hälmchen nascht oder eine Rübe benagt, bald dort sich an Gartenfrüchten oder an Waldkräutern ergötzt, niemals aber so hartnäckig an einer Fruchtsorte schmaust wie das nur ungern weit austretende Karnickel. Die Wirtshausrechnung stimmt nicht, denn mit dem kleinen Kaninchenbraten, dem überdies der Wohlgeschmack des Hasen fehlt, ist sie doch gar zu mager bezahlt, und es entsteht ein Defizit, das bei Massenvermehrung der Schädlinge recht empfindlich zu werden vermag. Trotzdem ist das Tier dem iberischen Volksstamm, dessen hauptsächlichstes Jagdwild es nun einmal bildet, nicht unsympathisch, sondern er hat es überall mitgenommen, wohin das Völkerschicksal ihn selbst verschlug. Künstliche Einbürgerungsversuche in nordischen Ländern sind viel weniger geglückt, denn das Karnickel ist und bleibt nun mal ein Südländer, der sich in rauhen Breiten wenig wohl fühlt. Aber England mit seinem gleichmäßig feuchtwarmen Inselklima ist für die Kaninchen wie geschaffen, und auch auf den Orkney-Inseln soll es sehr häufig sein. Ja, auf Borkum, wo man sie ausgerottet hatte, mußte man sie 1831 sogar zurückrufen, weil sich Ratten und Wühlmäuse seitdem so ungeheuerlich vermehrten, daß das noch viel unangenehmer wurde. Der ungeheuerlichste Fehlgriff aber war die Verpflanzung des Karnickels nach Australien. Die gewaltigen Grasflächen dieses Erdteils schienen den Nagern ja reiche Weidegebiete zu versprechen, aber sie hielten diese schönen Aussichten nur zu ergiebig. Und die unersättlichen Nager vermehrten sich daraufhin so unermüdlich, daß sie bald den ganzen Erdteil überschwemmten und die weiten Ebenen als tributpflichtiges Land betrachteten. Herzlich gerne wäre man die unheimlichen Geister, die man nur zu sportlichen Zwecken eingeführt hatte, wieder losgeworden, aber sie saßen schon zu fest und hatten zu günstiges Gelände als Verteidigungsstellung. So sind dort während des Kaninchenkrieges Unmassen von gutem Geld zum Fenster hinausgeworfen worden, das man wahrlich besser hätte verwenden können. Der Fall ist aber lehrreich genug, denn er zeigt wieder einmal so recht, wie vorsichtig man bei der Einbürgerung fremder Tierarten in wenig bekannten Ländern sein muß.

Aber als Einzelwesen zeigt das Kaninchen, diese begabteste und klügste unserer Hasenarten, entschieden angenehmere Seiten als der Feldhase. In ganz stillen Gegenden verläßt es bei gutem Wetter und Sonnenschein die Baue auch am hellen Tage familienweise, und das muntere Tun und Treiben der sorglich geführten und behüteten Jungen gewährt dann wahrhaft entzückende Bilder, bei denen man sein Gemüt immer wieder mit der Überzeugung panzern muß, daß diese reizenden Geschöpfe in Wahrheit furchtbare Schädlinge sind. Es ist gut, daß dem Menschen, als er ihnen gegenüber schon der Verzweiflung nahe war, in dem die Baue befahrenden Frettchen ein wirklich leistungsfähiger Bundesgenosse erwuchs. Im großen und ganzen läßt sich ja der Kaninchenbestand bei uns ertragen und wächst nicht leicht ins Ungemessene hinaus, trägt vielfach auch zur Belebung der Fluren bei. Nur hüte man sich vor naseweisen Ansiedlungsversuchen, sonst könnten sie übel ausfallen. Für den ungeübten Beobachter sei gesagt, daß das Karnickel wesentlich kürzere Ohrlöffel hat als der Hase, ebenso kürzeren Kopf und Hinterläufe, und daß der Körper wesentlich geringer ist. Geht die Alte, die noch säugende Junge hat, aus, so verstopft sie die Eingangsröhre sorgfältig mit lockerer Erde. Das Vorhandensein solcher Erde ist überhaupt Voraussetzung, wenn sich die Kaninchen in einer Gegend wohlfühlen sollen. Sandiger Boden ist ihnen am liebsten, weshalb z. B. Inseln in Kaninchenkreisen sich besonderer Beliebtheit erfreuen. Das Familienleben ist weit inniger als bei dem flatterhaften Hasen, denn die Mutter ist eine wahrhafte Mustergattin. Dadurch erklärt sich ja die geradezu unverwüstliche Fruchtbarkeit der Tiere. Selbst in unseren rauhen Breiten hat die Kaninchenmutter fünfmal im Jahre Junge, und im sonnigen Süden oder im milden England bringt sie es sogar auf sieben Würfe. Da heißt es, Obacht geben, wenn man nicht im Laufe des Jahres plötzlich vor einer Kaninchenplage stehen will. In weiten Gegenden Deutschlands fehlen die huschenden Dinger übrigens völlig, und das ist gut so.

Zur Herstellung eines weichen Lagers für die Nachkommenschaft rupft sich die besorgte Kaninchenmutter selbst die Bauchhaare aus, aber sie unterzieht auch die Jungen früherer Würfe rücksichtslos dem gleichen Verfahren. Wo es recht viele Kaninchen gibt, laufen die Röhren der einzelnen Paare oft wirr durcheinander; indes weiß jedes die eigenen jederzeit zu finden. Die Spanier suchen die Bauten schon deshalb sorgfältig ab, weil bei ihnen die noch ungeborenen Jungen als ein besonderer Leckerbissen gelten und mitsamt den Eingeweiden gebraten werden. Man findet die Kaninchenheime nicht nur in unterirdischen Höhlen, sondern (namentlich in Deutschland) auch in ganz dicht und undurchdringlich verwachsenen Schonungen, ebenso in großen Steinhaufen, in selten benutzten Holzmagazinen, ja, die Reitbahn der altberühmten Erziehungsanstalt in Schnepfental war sogar berühmt durch die Wildkaninchen, die sich dort in den Zwischenwänden eingenistet hatten. Mit dem Hasen verträgt sich das Karnickel schlecht, wie das ja zwischen nahen Verwandten so häufig der Fall ist. Sie meiden einander nach Möglichkeit. In seinen Bewegungen ist aber das Kaninchen der Fixere, wenigstens auf kurze Entfernungen. Blitzschnell saust es über den Waldweg, und es gehört ein geübter Schütze dazu, es in solchen Augenblicken zu treffen. Nirgends wird mehr »gepudelt« als auf der Kaninchenjagd. In der höchsten Not stößt das Tier einen hellen Schrei aus. Hakensprünge macht es so gut wie ein Hase und bemüht sich redlich, seinen kleinen Körper dabei so lang wie möglich zu strecken. Schließlich ermattet es aber dabei schnell.

Soll ich nun, nachdem wir das ulkige Kaninchen näher kennengelernt haben, auch noch seinen Vetter, den allbekannten Hasen ( Lepus timidus) näher schildern? Sind in seinem gleichförmigen und meist sehr kurzen Leben wirklich noch einzelne Höhepunkte und Streitfragen zu entdecken? Gemach! Es ist ja noch gar nicht lang her, da glaubte man, der Hase schliefe mit offenen Augen, und selbst ein so gewichtiger Tierforscher wie Marshall hat diese Ansicht verfochten. Oder ist es bekannt, daß Lampe ein vorzüglicher Schwimmer ist und diese Kunst gern auch freiwillig ausübt? Ich selbst wußte es jedenfalls viele Jahre hindurch nicht, obgleich ich früher in einer wasserreichen Gegend lebte, der rings von Meer und Haff umschlossenen Kurischen Nehrung. Aber im Frühjahr 1897 verschlug mich das Schicksal nach dem vogelreichen Alföld, der ungarischen Tiefebene zwischen Donau und Theiß. Hasen gab's dort genug, und durch ausgedehnte Überschwemmungen entstanden schmale Halbinseln oder kleine Eilande mit üppigem Graswuchs. Wenn ich dort einen Hasen aufscheuchte, hätte er mir des Wassers wegen gerade entgegenlaufen müssen, aber in Wirklichkeit flüchtete er von mir weg gerade in die Teichwirrnis, und zwar mit so viel Behäbigkeit, Sicherheit und Selbstverständlichkeit, daß man sich sagen mußte, hier liegt eine altererbte Gewohnheit vor. Oft habe ich mir so den Spaß gemacht, die Langlöffel viertelstundenweit vor mir herzujagen. Sie hoppelten ausnahmslos ins Wasser und warfen sich ohne jedes Zögern in die Flut, schwammen frischfröhlich beträchtliche Strecken und stiegen dann am andern Ufer wieder ans Festland.

Der Schlaf des langohrigen Gesellen ist so leicht und so empfänglich für jedes störende Geräusch, daß es ungemein schwer fällt, einen wirklich schlafenden Lampe zu überraschen. Er hat uns längst gehört, die Augen geöffnet, die Löffel emporgerichtet und mit der Nase die Luft abgeschnüffelt. So konnte die alte Förstersage entstehen, der Hase schlafe mit offenen Augen. Diese sind übrigens an und für sich nicht viel wert und sehr kurzsichtig, wie der aufmerksame Jäger auf dem Anstande leicht bemerken kann. Es scheint aber, als ob Mümmelmann in der Dämmerung besser sieht als am Tage. Der Geruch ist wesentlich besser, das Gehör aber ein kleines Wunderwerk und zweifelsohne sein schärfster Sinn.

Der Hase muß aber auch gut aufpassen und darf nicht vor sich hindösen, wenn er all den ihn unablässig drohenden Gefahren gewachsen sein will. Jedes Raubtier und jeder Raubvogel bedräut ihn von früh bis spät, sucht ihn zu erlisten und zu erraffen, wo immer die Gelegenheit dazu sich bietet.

Menschen, Hunde, Wölfe, Lüchse,
Katzen, Marder, Wiesel, Füchse,
Adler, Uhu, Raben, Krähen,
Jeder Habicht, den wir sehen,
Elstern auch nicht zu vergessen,
Alles, alles will ihn – fressen!

Das Hasenfleisch, das im Gegensatz zu dem weißen Kaninchenfleisch dunkel aussieht, ist in Mitteleuropa das bekannteste und beliebteste Wildpret. Es wird einem auch in sehr hasengesegneten Gegenden und in sehr hasenreichen Jahren niemals so leicht überdrüssig wie andere Wildarten. Aber im warmen Süden hat man vielfach ein Vorurteil gegen das Hasenfleisch. Zwar der alte Spötter Martial weiß es gebührend zu schätzen: »Intra quadrupedes gloria prima lepus« Unter den Vierfüßlern gebührt dem Hasen der höchste Ruhm., aber die weisen Gesetzgeber des Orients eiferten mächtig gegen das Verspeisen von Hasen, nicht aus Mitleid mit dem armen Lampe, sondern weil sie sein Fleisch in hohem Maße für ungesund hielten. Sowohl Moses wie Mohammed werden also schon gewußt haben, warum sie den Hasenbraten verboten, der im heißen Klima anscheinend Unannehmlichkeiten herbeiführt. Weniger bekannt ist es wohl, daß selbst Karl der Große darauf hielt, daß an seinem Hofe kein Hasenfleisch verzehrt werden durfte. Spätere Deutsche schätzten es um so höher und waren eifrige Hasenliebhaber, die einen entsprechend starken Bestand hegten. Von Herzog Karl Eugen von Württemberg ist allgemein bekannt, daß auf seinen großen Treibjagden bis zu 6000 Hasen erlegt wurden. Das kann natürlich nur als schädliche Überhege bezeichnet werden, und dasselbe gilt auch von den riesigen Hasenbeständen z. B. in der Magdeburger Zuckerrübengegend. In solchen Fallen wird man bald merken, daß die Hasen doch zu den ausgesprochen schädlichen Tieren gehören. Im großen und ganzen decken sich aber die heutigen Hasenbestände mit den naturgemäßen Anforderungen, und die Treibjagd eines großen Gutes kann schon ein paar hundert Hasen liefern, ohne daß sich die Bauern deshalb die Haare auszuraufen brauchen.

Der vom Hasen unzweifelhaft angerichtete Schaden ist namentlich deshalb leichter zu ertragen, weil er sich über das ganze Revier verteilt, da Lampe die Gewohnheit hat, bald hier, bald dort zu äsen und nirgends lange zu verweilen. Er nascht mehr, als er äst, und liebt größtmögliche Abwechslung. Bei Sonnenuntergang rückt er bedächtig ins Feld, um zu fressen, zu spielen und zu lieben und verbringt so die ganze Nacht in angenehmster Weise draußen, um erst bei Sonnenaufgang wieder ins Holz zu ziehen, wo er den Tag verträumt, öfters aber auch bei Tag rege ist, namentlich wenn die Sturmzeit der Liebe von ihm Besitz ergriffen hat. Alte Rammler sind äußerst wählerisch im Aussuchen ihres Lagerplatzes, und im Winter lassen sie sich auf ihm buchstäblich bis zur Nasenspitze einschneien, wobei sie sich nur eine kurze Atemröhre offenhalten. Sie halten mit größter Zähigkeit an solchen Plätzen fest, sind überhaupt rührend reviertreu und deshalb nur sehr schwer zur Auswanderung zu bringen. Manche liegen so fest, daß man sie sogar ausschaufeln und ihnen dann erst im Davonrennen eins aufbrennen kann.

Meist liegt der Hase mit dem Kopf zu Tal, und bei scharfem Winde kehrt er diesem das Gesicht zu. Hauptsache ist ihm, daß sein Lager einen trockenen, warmen und ruhigen Stand hat, und daß das ganze Gelände möglichst buntscheckig und vielseitig zusammengesetzt ist, doch pflegen gerade reine Rübengegenden eine sehr zahlreiche Hasenbevölkerung zu ernähren. Daß auch seine Vermehrung recht ausgiebig ist und der des Kaninchens nicht allzuviel nachsteht, ist gut so, denn im andern Falle hätten wir wohl schon längst keine Hasen mehr. Sobald der Vorfrühling sich regt, ziehen die Hasen auf Liebesabenteuer aus. Die eifersüchtigen Rammler behandeln sich gegenseitig mit kräftigen Ohrfeigen, und auch die Häsinnen müssen oft gehörig Wolle lassen, so daß der ganze Hochzeitsplatz mit ihr bedeckt ist. Vier Würfe sind die Regel. Der erste Wurf ist aber gewöhnlich ausnehmend schwach, geht auch sehr häufig im Nachwinter zugrunde, ebenso der vierte an rauhen Herbsttagen. Die Häsin zeigt wenig Anhänglichkeit an ihre Nachkommenschaft, und von Mutterliebe ist nicht viel zu finden. Sie kümmert sich herzlich wenig um ihre Brut und besucht diese eigentlich nur, um sich die juckende Milch absaugen zu lassen. Der Vater zeigt sich vollends ausnehmend lieblos. So brutal er gegen schwächere Artgenossen werden kann, so jämmerlich feige zeigt er sich gegen anderes Getier. Nur die Mutter rafft sich manchmal dazu auf, mit den Vorderpfoten wie mit Trommelschlegeln in der Luft herumzuwirbeln und auf eine hungrige Krähe loszuhauen, die ihr die noch wehrlosen Jungen entführen will. Der Rammler zeigt sich zwar in Liebessachen als ein rechter Hitzkopf, aber zugleich als ein vollendeter Egoist, und es fällt ihm nicht ein, auch nur das geringste für die Rettung der Häsin zu tun, sobald dem Pärchen eine ernste Gefahr auf den Leib rückt. Rücksichtslos stößt er auf der Flucht andere Hasen mit kühnem Sprung von ihrem Lager und nimmt selbst ihren Platz in sehr geschickter Weise ein. Mögen sie nur sehen, wie sie sich selbst vor Hund und Jäger in Sicherheit bringen! Derweil sitzt sich's ja gut und mollig in dem von ihnen vorgewärmten Lager. Also auch eine gewisse Hinterlist fehlt dem Meister Lampe nicht. Zur Aufnahme eines Kampfes – und sei der Gegner noch so bescheidener Art – ist der feige Gesell kaum zu bringen, und auch sonst fehlt es ihm an allen ritterlichen Eigenschaften. Wirksame Waffen hat er ja nicht, und so ist sein Leben ein ewiges Gehetz, eine beständige Flucht vor Gefahren.

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Die Hasenmutter rafft sich auf, mit den Vorderpfoten auf eine hungrige Krähe loszuhauen

Trotz dieser beständig drohenden Gefahren verfließt sein Dasein eigentlich recht gleichmäßig. Abends ins Feld ausrücken, lustiges Leben in lauer Sommernacht, mit dem ersten Morgenstrahl Rückkehr in den Wald. Nur die Fruchtbarkeit des einzelnen rettet den Bestand. Der Jäger sagt: »Die Häsin, die im Frühjahr einzeln zu Felde zieht, kommt um Bartholomäi mit 16 bis 17 Jungen wieder zu Holz.« – Diese Junghasen haben es bei der geringen Fürsorge der Mutter in der Tat recht schwer. Aber sie wissen das Leben von der angenehmsten Seite zu nehmen und ihm manche heitere und sorglose Stunde abzugewinnen. Dazu verhilft ihnen namentlich ihre ausgesprochene Spiellust. Sie sehen herzlich schlecht, wittern aber gut und hören mit ihren langen Löffeln ausgezeichnet, schärfen auch alle diese Sinne sehr rasch, da sie schon nach einer Woche sich selbst überlassen bleiben. Ihre Spiele sind reizend, und da zeigt sich der Hase von seiner angenehmsten Seite. Ihre kindlich quäkende Stimme hört man eigentlich nur bei starkem Zorn und Ärger, fast regelmäßig bei Todesgefahr. Dann machen auch namentlich die Halbwüchsigen wahrhaft tollkühne Sprünge.

Unsere Jäger, die von jeher große »Subspeziesfabrikanten« waren, haben natürlich auch beim Hasen, der ein echtes Kind Europas ist, eine Menge örtlicher Formen herausgefunden. Ich gönne ihnen dieses Vergnügen von Herzen, solange man nicht von mir verlangt, so ungewisse Formen auch anzuerkennen und etwa nach dem Aufenthalt zwischen Feld-, Wald-, Berg- und Sumpfhasen zu unterscheiden. Daß natürlich ein Hasenstamm da, wo er seit langem reichliches Futter hat und wenig verfolgt wird, größere und stärkere Angehörige hervorbringt als ein anderer, seit langer Zeit kümmerlich ernährter und beständig drangsalierter, das liegt auf der Hand. Bei menschlichen Familien ist es doch auch nicht anders! Das erinnert mich an so manchen alten Förster, der den Neulingen Hasenköpfe mit eingesetztem Rehgehörn als etwas ganz Seltenes und Merkwürdiges vorwies. Überhaupt spielen Hasen und Kaninchen in weit verbreiteten Bastardlegenden eine großartige Rolle. Wenn wir im äußersten Ostpreußen Treibjagden hielten, bestanden etwa fünf Prozent der Gesamtstrecke damals aus Schneehasen, die aber heute noch weiter zurückgegangen sein sollen. Das ist tatsächlich eine gute Art, die sich dann wieder aufsplittert in Alpenhasen und die Bewohner der großen Ebene im Nordosten. Sie hat eine Vorliebe für möglichst unbebaute Gegenden, deutlich kleinere Löffel und im Winter ein weißes Fell. Auch den kleinen, lebhaften und überraschend pfiffigen Lepus Lehmanni vom Kaspischen Meer konnte man schon in freier Natur gut unterscheiden.

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Meine große Vorliebe für das Landleben, das so viel Gelegenheit für tierkundliche Beobachtungen bietet, hatte mich einmal verleitet, das schon seit vielen Jahren unbenutzte Herrenhaus eines märkischen Rittergutes zu mieten, zu dem auch ein großer, aber arg vernachlässigter Park gehörte. Bäume und Sträucher, Gemüse und Blumen wuchsen dort frei und lustig durcheinander, und von Vögeln, auch nicht alltäglicher Arten, wimmelte es geradezu. Krähen, Eichelhäher und Wacholderdrosseln brüteten zahlreich im Garten, Grasmücken und Schwarzplättchen, Gelbspötter und Fitis nisteten allenthalben, und die Sängerkönigin füllte das Ohr mit ihren wundersam schluchzenden Strophen. Fasanen führten ihre Jungen im Garten herum und lehrten sie, die besten Bissen finden, Stieglitze zwitscherten in den Obstbäumen und trieben ihre lustigen Possen, selbst der menschenscheue Pirol plünderte dreist die fruchtbeladenen Kirschbäume unmittelbar neben den Wohnzimmern, und zänkische Elstern rauften auf dem breit ausgeladenen Balkon unter sich oder mit aller Welt. Zutrauliche Ringeltauben hatten ihre Nester auf den uralten Linden errichtet, die das Haus umstanden und ihre Zweige durch zwei Fenster hereinstreckten. Einigen dieser Tauben konnte ich den Rücken streicheln, ohne daß sie sich stören ließen. Kurz, es war ein kleines Paradies, eine Welt für sich, mit ihren eigenen Gesetzen. Aus dem nahen Walde kamen unschuldige Rehe mit ihren Kitzen und schnupperten neugierig durch die offenstehenden Fenster des Erdgeschosses. Kein geeigneterer Punkt zum Sinnen und Träumen und Beobachten ringsumher, zumal der Park auch noch von einem munteren, bachstelzenbelebten Bächlein durchflossen wurde. Bald machte ich die Bemerkung, daß auch eine Unzahl übermütiger Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) den Park bevölkerte und zu allen Tagesstunden ihre Kurzweil trieben. Ich wußte zwar, daß diese unterhaltsamen Geschöpfe als Nestplünderer einen üblen Ruf haben, sah ihnen aber auch gar zu gerne zu, wenn sie auf dem Balkon ihre Turnkunststücke zeigten, und hatte sie bisher eigentlich noch nicht auf irgendwelcher Schandtat ertappt. Da lenkte das Angstgeschrei eines Finkenpärchens meine Aufmerksamkeit auf einen alten Birnbaum, der neben einer der Riesenlinden stand. Gleich darauf kam auch aus dem Blättergewirr ein Eichkater zum Vorschein, der – fast wollte ich meinen Augen nicht trauen – ein ganzes Finkennest nebst Inhalt in seinem Maule trug und offenbar gerade im Begriff stand, die leckere Speise seinen in der Nähe versteckten Jungen zu überbringen. Da konnte ich mich in der Entrüstung nicht enthalten, den Eichkater abzuschießen, und ich habe später noch mehrmals zum Gewehr greifen müssen, denn in beliebiger Zahl kann man die Eichhörnchen tatsächlich nicht dort dulden, wo man einen guten Singvogelbestand haben möchte. Damit möchte ich aber keineswegs der Ausrottung der Eichhörnchen das Wort reden. Nur überhandnehmen lassen darf man sie nicht, denn sie fressen gelegentlich nicht nur Eier, sondern auch junge Vögel.

Das Eichhörnchen ist überhaupt eine rechte Naschkatze und hat als Feinschmecker seine Eigenheiten. Steinpilze und Gelböhrchen z. B. weiß es sehr wohl zu schätzen, spießt sie an abstehende Baumäste und läßt sie hier schön luftig trocknen, um sie dann mit sichtlichem Wohlbehagen zu verzehren. Oft vergißt es in seinem Leichtsinn solche Speisekammern aber auch ganz, und der menschliche Waldbesucher wundert sich dann nicht wenig darüber, auf welch geheimnisvolle Weise die schönen Waldpilze in die Baumwipfel kommen. In Sibirien sollen die Eichhörnchen besonders auf die Fliegenschwämme versessen sein, aus denen sie Stückchen herausbeißen. Diese Pilze sind bekanntlich schwach giftig und sollen bei Mensch wie Tier einen leichten Rausch hervorrufen; vielleicht gefällt ihnen gerade das. Am Obst, das sich in der Nähe der Waldungen befindet, können die Eichkater leicht Schaden anrichten, zumal sie sich aus dem saftigen Fruchtfleisch gar nichts machen und es unbeachtet zur Erde fallen lassen, da sie nur die harten Kerne verzehren, besonders von Äpfeln und Birnen.

In guten Nußjahren weiß sich die übermütige Gesellschaft vor Freude kaum zu fassen. Reizend sieht es aus, wie sie in hockender Stellung dasitzen, eine gar zierlich in den erhobenen Vorderpfoten halten, sie mühsam und zielbewußt benagen, bis die Schale auseinanderplatzt, und sie nun zum leckeren Kern gelangen können. Sonst sucht das Eichhörnchen seine Nahrung gern in den Tannenwäldern. Dort durchbeißt es mit den Schneidezähnen einen Jahrestrieb an seiner Wurzel, trägt ihn im Maule auf einen festen Ast, dreht ihn in den Vorderpfoten, frißt die Knospen leer und läßt dann den Zapfen achtlos fallen. Bald ist der ganze Boden unter solchen Bäumen mit leergefressenen Früchten bedeckt, und man kann daraus mit Sicherheit auf die Anwesenheit von Eichhörnchen schließen.

Jedes Eichhörnchen besitzt mehrere Nester, die es je nach den Sicherheits- und Wetterverhältnissen wechselt. Bald hat es sein Heim in einer Baumhöhlung, bald in einem alten Krähenhorst aufgeschlagen, bald hat es sich ein eigenes, freistehendes Nest von Kugelform gebaut, dessen Errichtung eine bemerkenswerte Kunstfertigkeit aufweist. Nie fehlt oben eine Plattform, durch die das Eindringen von Regen und Schnee verhindert wird, und auch die seitlichen Einschlupföffnungen werden durch Querwände bei schlechtem Wetter geschützt. Die besten Nester werden hauptsächlich vom Männchen gefertigt und austapeziert. In ihnen liegen dann die niedlichen Jungen, während liederlicher errichtete Nester nur als Spielbauten und gelegentliche Nachtquartiere dienen, manche auch als Stapelplätze für die winterlichen Nahrungsvorräte. Im Herbst pflegen nämlich auch die Eichhörnchen in ihre Scheuern zu sammeln, um für die Tage der Wintersnot etwas zum Beißen zu haben und nicht dem Hunger erliegen zu müssen. Eicheln und Bucheckern vergraben sie oft in die Erde, und wenn es im Winter nicht zu schlimm wird, dann vergessen die leichtfertigen Dinger oft auch die gewählten Notplätze, so daß die Sämereien Zeit haben, auszutreiben, und wir im Walde manchen kleinen Baumbestand finden, der den Eichhörnchen sein Dasein verdankt. Derartige Vorratsnester bestehen oft nur aus oberflächlich zusammengeschichtetem Moos und Heu und unterscheiden sich so auf den ersten Blick von den geräumigeren und solideren Schlafnestern. In einem derartigen Neste wurden z. B. gefunden: 367 Haselnüsse, 59 Eicheln und ein Häufchen Apfelkerne und sonstige Baumsämereien. Niemals aber findet man bei solchen Vorräten etwa taube Nüsse, denn das listige Eichhörnchen kann diese von den gefüllten sehr wohl unterscheiden. Auch von der Verwendung feuchter und schmutziger Erdmoose beim Bauen ist es durchaus kein Freund, denn es will immer sauber und trocken arbeiten und wohnen. Es entwickelt dabei eine solch ununterbrochene und hingebungsvolle Tätigkeit, zeigt in seinem ganzen Wesen so viel Verschmitztheit und Schläue, so viel Gewandtheit, Turnerkunst, Geistesgegenwart und merkwürdige Stellungen, daß es in der Tat stark an den Affen, den fernen Bewohner des Urwaldes erinnert. Deshalb hat man es mit Recht als das Äffchen des deutschen Waldes bezeichnet. Dem ausgezeichneten Springer kommt der lange Schwanz als Balancierstange sehr zustatten, zumal seine Behaarung ganz nach den beiden Seiten gerichtet ist, wodurch eine beträchtliche Verbreiterung der ganzen Fläche erzielt wird, die jeden Fall sehr mildert und abschwächt. Das Eichhörnchen besinnt sich denn auch keinen Augenblick, vom Baumwipfel aus mehr als fünfzehn Meter zum Erdboden herabzuspringen, ohne sich dabei zu beschädigen, und läuft dann sofort zum nächsten Baum weiter. Zu solchen tollkühnen Stückchen entschließt es sich besonders dann, wenn sein grimmigster Todfeind, der Edelmarder, hinter ihm her ist. Dann entwickelt sich vor den Augen des Zuschauers ein tierisches Drama von so ungeheurer Wucht und Schnelligkeit, von so viel Geistesgegenwart und Tragik, daß man ihm nur mit verhaltenem Atem zu folgen vermag. Schließlich muß der arme Rotrock fast immer erliegen, aber den Raubvögeln entgeht er doch sehr häufig durch blitzschnelles Laufen rings um den Stamm, wobei der gefiederte Räuber wegen seiner langen Flügel bedeutend größere Umwege machen muß, um ihm im Nacken zu bleiben, und deshalb in der Regel wieder von der Sache absteht.

Nur der vielgewandte Sperber erwischt öfters mal auf diese Weise ein Eichhörnchen.

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Das Eichhörnchen und sein Todfeind, der Sperber

Wo dieses sich nicht verfolgt weiß, wird es nicht nur sehr zutraulich, sondern geradezu frech. Mit Vorliebe stiehlt es dann den Waldarbeitern ihr Frühstück aus der aufgehängten Joppe oder plündert den fertig gedeckten Kaffeetisch im Herrschaftsgarten und bekundet durch freundliches Gebaren, Lecken und Schnalzen, wie gut es ihm schmeckt. Solche Genüsse sind es wohl auch gewesen, die die Eichkater veranlaßt haben, in die Anlagen der menschlichen Großstädte einzuwandern und sich hier gehörig breitzumachen, sich gewissermaßen zu liebenswürdigen Tyrannen der gesamten übrigen Welt aufzuwerfen und selbst den Menschen in der dreistesten Weise anzubetteln. Besonders bekannt geworden ist in dieser Beziehung die schöne steirische Hauptstadt Graz. Sobald ich in früherer Zeit dorthin kam, war immer mein erster Weg nach den Anlagen, um dort das verblüffende Wesen der zahlreichen Eichhörnchen zu beobachten. Kaum hatte sich ein alter Pensionär dort auf einer Ruhebank niedergelassen, flugs waren auch schon einige Eichhörnchen zur Hand, setzten sich großartig neben ihn auf die Bank und beschnupperten ihn zunächst einmal gründlich, um zu sehen, was er ihnen Schönes mitgebracht habe. Dann nahmen sie das dargebotene Futter ohne jede Scheu aus der Hand und sahen sich lüstern nach mehr um. Wirklich reizende Bilder konnte man da als etwas Alltägliches beobachten. Auch in Stuttgart scheint sich Ähnliches vorzubereiten, denn mehr und mehr dringen die Eichhörnchen, die schon immer auf dem Waldfriedhof ein recht ungebundenes Leben führten, auch in die Anlagen ein und werden von da aus oft genug auch in die belebtesten und unruhvollsten Straßen der Großstadt verschlagen. Da gibt es dann manchmal unter allgemeiner Beteiligung lustige Eichhornjagden, aber nicht mit dem Ziele, die armen Dinger zu erschlagen, sondern mit dem, sie einzufangen und an besser geeigneter Stelle wieder auszusetzen.

Die Eichhörnchen wandern auch, in unseren Breiten nur mäßige Strecken, in Rußland und noch mehr in Asien aber auch über weite Gebiete. Dort ist die Zirbelnuß ihre Lieblingsfrucht, aber da diese nicht alle Jahre gleichmäßig gedeiht, oft auch schon zu sehr von anderen Liebhabern gebrandschatzt ist, senden die Eichhörnchen kleine Spähtrupps aus, die aufmerksam Umschau halten müssen. Haben sie einen lohnenden Bestand entdeckt, so eilt ein Teil der Kumpane in die verlassenen Gebiete zurück und holt die andern herbei, so daß es plötzlich in der Gegend von Eichhörnchen wimmelt. Im kleinen machen sie solche Wanderungen auch in unseren Obstgegenden und ziehen, wenn das Obst in ihren engeren Revieren mißrät, suchend in andere, obwohl sie sonst sehr seßhafter Natur sind. Daß wir aber in manchem Winter Zuzug aus Rußland bekommen, merkt man schon daran, daß dann die schwarzen Eichhörnchen ungewöhnlich verbreitet sind und sich durch ihr dreistes Wesen jedermann verraten. Auf meiner früheren Jagd in Württemberg hatte ich nur ganz selten einmal ein schwarzes Stück, aber dann erschienen sie plötzlich in einem Winter massenhaft.

Als im Jahre 1736 der berühmte Naturforscher Joh. Gg. Gmelin durch Sibirien reiste, fand er am Lena-Flusse viele Bauern, die am Ende des Winters ganz dem Eichhörnchenfang lebten; manche hatten über 1000 Fallen stehen, die ihnen schöne Erträge lieferten. Diese grauen Sibirier sind nun allerdings nicht gleichbedeutend mit unseren roten Europäern, sondern bilden eine eigene, größere und kräftigere Form, die sich vor allem in Anpassung an ihre rauhe Heimat durch stärkeres, dichteres und schöneres Pelzwerk auszeichnet und deshalb im Handel ungleich bessere Verwendung findet. Man fängt sie nicht nur in Fallen, sondern schießt sie auch mit kleinen Kugelgewehren, und zwar möglichst durch den Kopf, damit das wertvolle Fell nicht durchlöchert wird. Aber auch in Deutschland haben wir außer unserem gewöhnlichen Eichhörnchen auch mehr oder minder schwarze, ja, oft findet man rote und schwarze in einem Wurf. Trotzdem möchte ich solche Hörnchen nicht als bloße »Farben-Varietäten« abtun, glaube vielmehr, daß sie ursprünglich eine echte, nordöstlich wohnende Örtlichkeitsrasse waren, die aber bei der innigen Berührung mit der roten Form sich mit diesen derartig verschmolzen hat, daß sie heute nicht mehr auseinanderzuhalten sind.

Erwachen Hase und Kaninchen erst mit der Abenddämmerung zu regerem Leben, so haben wir in dem Eichhörnchen ein ausgesprochenes Tagtier vor uns, das bei freundlichem Sonnenschein am lustigsten ist und bei Nacht schläft, wobei es mit seinen Zufluchtsstätten je nach den Witterungsverhältnissen und nach der größtmöglichen Sicherheit abwechselt. In einen eigentlichen Winterschlaf verfällt es auch nicht, kuschelt sich aber an häßlichen Tagen so innig wie möglich ein, und verträumt sie so lange, bis der Hunger sich allzu mahnend Geltung verschafft.

Es sind schöne Tiere, deren große, hervorstehende Augen etwas Sprechendes haben, deren aufmerksame Ohren mit hübschen Pinselbüschen versehen sind und die in ihrem ganzen Ausdruck viel Unternehmungslust zur Schau tragen. Ausgezeichnet ist ihre Reinlichkeitsliebe. Wenn sie nichts Besseres zu tun haben, dann haben sie doch fortwährend an sich selbst zu putzen, zu glätten und zu streicheln. Sie können keinen Augenblick still sitzen, sondern haben immer wieder etwas Neues vor. Sie erinnern auch in dieser Beziehung entschieden an die Affen, deren spielerische Geschäftigkeit und meisterhafte Klettergeschicklichkeit auch ihnen in hohem Maße eigen ist. Das Familienleben ist sehr innig, aber die Zahl ihrer Würfe beschränkt sich auf zwei, und auch die Stiefgeschwister halten noch eine Zeitlang treulich zusammen, bis sie in alle Schliche und Kniffe des Eichhörnchenlebens gründlich eingeweiht sind. Der Anblick einer solchen spielenden Doppelfamilie ist übrigens reizend. Sehr weich und trocken sitzt man in dem lauschigen Neste, aber die Jungen werden sofort weggetragen, wenn sich Anzeichen bedrohlicher Art geltend machen. Sie bleiben acht Tage lang blind und müssen dann vier Wochen saugen, wenn sie sich gut entwickeln sollen. Ihre Possierlichkeit hat sie zu Lieblingen unserer Jugend gemacht, und man sieht sie deshalb oft in entsprechend hergerichteten Käfigen. Sie werden aber hier leicht ungezogen und übermütig, und eine gewisse Vorsicht im Umgange mit ihnen ist deshalb, namentlich zur Paarungszeit, wohl geboten. Lenz führt drei Fälle an, wo unvorsichtige Personen so tüchtig gebissen worden waren, daß ihnen die verletzten Finger abgenommen werden mußten. Bald werden die kleinen Dinger Meister im Springen und Klettern und stellen nun auch nicht zu bescheidene Ansprüche an das Leben. Dessen Widerwärtigkeiten besiegen sie mit ihrer Lustigkeit und ausgelassen guter Laune. Im Sommer versuchen allerdings zahllose Flöhe, ihnen das Leben sauer zu machen, so daß ihr Pelz oft förmlich wimmelt von diesen Blutsaugern. Möglich, daß sich ihre oft ans Komische streifende Unruhe zum Teil auch dadurch erklärt. Den Boden berühren sie auf der Suche nach Baumfrüchten zwar sehr oft und bewegen sich auf ihm in kurzen Bogensprüngen, schauen aber doch, baldmöglichst wieder in die Höhe zu kommen, weil sie sich im Reich der Wipfel offenbar sicherer fühlen. Die Stimme hört man oft genug, bald murksende, zur Paarungszeit auch pfeifende Töne, bald ein ärgerliches Geknurre. Das Eichhörnchen ist ein recht guter Wettervorhersager und zeigt ein Unwetter einen halben Tag vorher an, indem es wie verrückt auf seinem Lieblingsbaume hin und her springt, allerlei ungewohnte Töne ausstößt und die der Witterung ausgesetzten Seiteneingänge zu seinen Schlaflöchern dicht verstopft. Auch auf die Kunst des Schwimmens versteht sich der kleine Bursch, obgleich man ihn nur sehr selten Gebrauch davon machen steht, denn im allgemeinen ist er eben doch ein ausgesprochener Freund der Trockenheit.

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Als ich 1907 meinen Wohnsitz nach der schönen schwäbischen Hauptstadt verlegte, war ich entzückt über deren wundervolle landschaftliche Lage und sonstigen Vorzüge, aber eines vermißte ich nur allzubald recht schmerzlich, nämlich einen nach großzügigen Gesichtspunkten angelegten Tiergarten, der mir die nötigen Quellen für meine naturgeschichtlichen Untersuchungen und Bücher geboten hätte. Rasch entschloß ich mich, diesem empfindlichen Mangel dadurch abzuhelfen, daß ich mir selbst einen kleinen Privattiergarten schuf, für den ich alsbald in der bewährten Opferwilligkeit der über ganz Europa zerstreuten Kosmos-Mitglieder eifrige Unterstützung fand. Meine schlichte Gelehrtenbude mag damals einen seltsamen Eindruck auf fremde Besucher gemacht haben. Elefanten und Nilpferde, Löwen oder Tiger konnte ich mir natürlich in meinem schlichten Heim nicht halten, aber dafür warf ich mich mit um so größerem Eifer auf die kleinen Vertreter unserer Säugetierwelt und hatte dabei bald die Genugtuung, manche Arten zu beherbergen, die ich auch in großen Tiergärten vergeblich gesucht hätte. Mein Heim war angefüllt mit allem möglichen Getier, an dem ich ungestört meine Beobachtungen machen, es in seinem geheimnisvollen Tun und Treiben so recht nach Herzenslust belauschen konnte. Fledermäuse der verschiedensten Art schwirrten durch das Zimmer oder hockten angeklammert an den Gardinen oder kamen hübsch pünktlich auf den Tisch zum Abendessen und schnitten aus Dankbarkeit ihre entsetzlichen Grimassen; Schlafmäuse in allen drei Arten wurden gegen Abend munter und entfalteten ihre anmutigen Spiele, allerliebste Zwergmäuse zeigten die ganze Lieblichkeit ihres Gebarens, plumpe Brand- und Feldmäuse huschten in ihren Käfigen hin und her, Spitzmäuse gingen ihrem grausamen Handwerk nach – kurz, ich fühlte mich unendlich glücklich inmitten einer kunterbunt zusammengewürfelten Gesellschaft. Da waren die stattlichen Hamster ( Cricetus frumentarius) gewissermaßen schon Großwild. Ein Freund aus Thüringen hatte mir einen Wurf schon selbständiger junger Hamster zugeschickt, und ich hatte die recht unternehmend in die Welt blickenden Tiere aus Raummangel notgedrungen im gleichen Käfig unterbringen müssen und war nun neugierig, wie sie sich hier vertragen würden, denn ihre Unverträglichkeit hat sie ja in einen recht üblen Ruf gebracht. Während der ersten Wochen schien alles ganz gut zu gehen, wenn auch z. B. der Übergang vom schlanken, kletterlustigen Eichhörnchen zum vierschrötigen, schwerfälligen Hamster ein wenig unvermittelt war. Aber die Tierchen saßen zunächst, die Vorderpfoten gehoben, ganz friedlich beieinander und fraßen gemeinsam aus dem gleichen Napf von ihrem Futter, ohne dabei jemals in Zank oder Streit zu geraten. Nichts deutete auf ausbrechende Uneinigkeiten hin, da – ich saß gerade arbeitend nebenan am Schreibtische – erscholl plötzlich ein Todesschrei aus dem Hamsterkäfig, und als ich hinzusprang, wälzte sich auch schon eins der Tierchen sterbend im Sande. Sein Bruder hatte ihm plötzlich ohne jede Veranlassung die scharfen Nagezähne in die Brust gegraben. Am nächsten Vormittage wiederholte sich das tückische Schauspiel zum zweiten-, und am übernächsten Tage zum drittenmal, ohne daß irgendein Zank oder Streit vorausgegangen wäre. Solche Heimtücke unter Geschwistern war mir denn doch widerlich, und ich schenkte deshalb die beiden noch lebenden Hamsterchen dem kleinen Ersatztiergarten auf der Doggenburg. Ein Wärter des Tiergartens kam, um das Danaergeschenk abzuholen. Beim Herausfangen aus dem ungeschickt eingerichteten Käfig wurde der Mann von dem einen Hamster gehörig in den Finger gebissen, während sein Schicksalsgenosse schleunigst verschwand. Vergeblich schauten wir uns nach ihm um. Ausgefressene Sonnenblumenkerne verrieten wohl, daß er noch lebte, aber wo steckte er? Die Spuren führten unter einen mächtigen Eckschrank, der nicht so leicht zu entfernen war und wo man ihn öfters auch fleißig nagen hörte. Zum Glück war unser Hauswirt selbst ein großer Tierfreund, und ich konnte den Hamster durch regelmäßiges Hinstellen eines Futterschüsselchens auch von gröberen Beschädigungen der Möbel abhalten, aber alle Versuche, ihn wieder zu fangen, erwiesen sich als vergeblich, denn er kam nur nachts zum Vorschein, wenn alles im Schlafe lag. Zuletzt hatte ich diesen langweiligen und aussichtslosen Hamsterkrieg wirklich satt und legte Giftweizen, was denn auch endlich zum Ziele führte.

Der sinnlich gut begabte Hamster ist mit seinen bunten Flecken ein schönes Tier, obwohl sein kurzes Schwänzchen und der allzu gedrungene Körperbau eigentlich abstoßen und ihm die stolze Fuchsstandarte des Eichhörnchens völlig fehlt. Aufs Klettern versteht er sich überhaupt nicht, und das Laufen ist oft so ungeschickt, daß ihm der Bauch dabei auf der Erde schleift. Das eigentlich Unsympathische an ihm ist aber sein Charakter, denn er ist, mit einem Wort gesagt – wahrhaft niederträchtig. Wut und blinder Jähzorn sind die ihn jederzeit beherrschenden Leidenschaften, Zank und Streit sein Lebenselement, Mißgunst und Neid seine tiefgewurzelten Eigenschaften. Er ist ein Geizhals sondergleichen, und nicht umsonst hat man ihn zum Urbild des Hamsterns genommen. Er ist seitdem viel volkstümlicher geworden, zumal die zweibeinigen und vierbeinigen Hamster offenbar viel füreinander übrig haben. Seine ganze Ausrüstung und alle seine Lebensgewohnheiten weisen darauf hin, daß wir es hier mit einem ausgesprochenen Kind der Steppe zu tun haben, das im allgemeinen schon an der französischen Grenze und auf der Westseite des Rheins seine Schranken findet, aber doch im langsamen Vordringen nach Westen begriffen ist. Er ist so ein richtiges Charaktertier für die Kultursteppe und bewohnt insbesondere ausgesprochene Getreidegegenden von ebener oder schwach hügeliger Beschaffenheit. Auch unter diesen trifft er eine sorgfältige Auswahl je nach ihrer geologischen Zusammensetzung. Er will vor allem solches Erdreich haben, das sich gut zur Anlage seiner Erdbauten eignet, also locker genug ist, um ein bequemes Graben zu ermöglichen, und doch andererseits fest genug, um die angelegten Baue vor dem Einstürzen zu sichern. Also fühlt er sich in sandigem Tonboden am wohlsten, wie z. B. im südlichen Rußland. Dagegen ist ihm Ostpreußen anscheinend schon zu kalt und unfreundlich, aber in Sachsen und Thüringen tritt er oft in unheimlicher Häufigkeit auf, so daß man dort manchmal geradezu von Hamsterjahren spricht wie anderwärts von Mäuse- oder Maikäferjahren. Im allgemeinen darf man aber seine Verbreitung als eine ausgesprochen lückige bezeichnen. Felsige oder sumpfige, bewaldete oder feuchte Gegenden sind ihm jederzeit ein Greuel. Wo aber alles nach seinem Geschmack ist, da denkt er bald daran, sich einen Bau anzulegen und ihn so bequem und behaglich wie möglich einzurichten. Bei der Grabarbeit zeigt sich Freund Hamster als ein unermüdlicher und unverdrossener Meister, der rasch vorwärtskommt und das ausgescharrte Erdreich mit den Hinterbeinen hinter sich wirft. Er läßt dabei die größte Sauberkeit obwalten, hat auch an sich selbst fortwährend zu putzen und zu glätten und verunreinigt seine Umgebung niemals. Der Bau wird je nach den Witterungsverhältnissen tiefer oder höher gelegt und hat stets zwei Ausgänge, nämlich eine senkrecht nicht unmittelbar zum Wohnzimmer, aber doch in seine Nähe führende Einschlupfröhre, in die sich der Hamster in dringenden Fällen einfach hineinplumpsen läßt, und eine schräge Ausgangsröhre, die er aber, wenn alles sicher erscheint, auch zum Einfahren benutzt. Auf ihr steigt er wie auf einer Treppe auf und ab, obwohl sie natürlich auch glattwandig ist. Am schönsten wird aber die Wohnkammer hergerichtet, und in ihr eine Unterlage von ganz fein zerbissenem Stroh geschaffen. Dann gibt es noch eine, später mehrere Vorratskammern, in denen die eingetragenen Wintervorräte aufgespeichert werden. Jeder Hamster hat auch seinen eigenen Abort, um nur ja die Wohnräume vor jeder Beschmutzung zu behüten. Überhaupt verfügt jeder Hamster über seinen eigenen Bau, aber wenn die milden Frühlingslüfte wehen, dann wird es auch diesem eingefleischten Junggesellen einsam und langweilig zumute. Er macht also Besuch im Hause einer Hamsterin und wird von der Braut ausnehmend höflich und artig empfangen. Nun ruht das zänkische Pärchen in süßer Eintracht in gemeinsamer Kammer. Lange freilich währt der Frieden nicht. Das Männchen wird wieder an die frische Luft gesetzt. Von jetzt an kennen sich die Gatten nicht mehr und fallen sofort tüchtig übereinander her, wenn sie sich zufällig begegnen. Dann werden sie nicht selten zu Gattenmördern. Das Weibchen aber denkt nun an die Herrichtung seiner Wochenstube. Es bringt zwar in der Regel jährlich nur zwei Würfe, aber dafür sind diese je nach den Verhältnissen ungewöhnlich groß, denn die Zahl der Jungen schwankt zwischen 4 und 18, ja selbst 20 Geschwister hat man schon in einem Nest gefunden. Während der Saugzeit ist die knurrige Alte noch ziemlich manierlich, wirft aber dann die Jungen so früh als möglich hinaus, so daß sie sich schon zeitig daran gewöhnen müssen, sich selbständig durchs Leben zu schlagen. Und sie können es auch, denn ihr Tisch ist ja jetzt im Sommer überreichlich gedeckt und bietet ihnen große Fülle in verlockender Auswahl. Im Hochsommer gibt es einen zweiten Wurf, wobei aber der Vater fast regelmäßig ein anderer ist. In der Verteidigung ihrer Jungen gegen fremde Gefahren zeigt sich die sonst so mutige Hamsterin merkwürdig lässig, fast feige. Naht ein Gegner, so sucht sie sich sofort durch Weitergraben zu verklüften, und es bleibt Sache der unbeholfenen Jungen, daß sie die Rabenmutter dabei nicht verlieren.

Wenn die Kinder an die freie Luft gesetzt sind, hat die Hamsterin viel zu tun mit der Ernte, denn die Zeit für das Eintragen der Wintervorräte ist jetzt doch schon recht kurz geworden. In weisem Bedacht wählt sie immer vom Guten das Beste und kann nicht leicht genug bekommen. In dieser Zeit wird sie den Feldern am schädlichsten, namentlich am Getreide, an Erbsen und Bohnen. Ich halte es allerdings für übertrieben, wenn in den Lehrbüchern angegeben wird, daß der Durchschnittsinhalt eines Baues einen vollen Zentner betrage, aber 60 Pfund für jedes darf man schon rechnen, und das ist immerhin reichlich genug und erklärt zur Genüge den Haß, den die Bauern gegen den Hamster haben, der ja in manchen Gegenden sehr häufig ist und so den Ernteertrag ganz wesentlich zu schmälern vermag. Für eine Fabel oder doch für eine wesentliche Übertreibung halte ich es aber, wenn angegeben wird, daß in derselben Vorratskammer immer auch die gleiche Sorte Frucht geschichtet sei. Das kann vorkommen, ist aber eine Sache des Zufalls. Gewöhnlich liegen verschiedene Samenarten durcheinander und müssen von dem Fänger erst sorgfältig sortiert werden, ehe er sie verwenden kann.

Wir haben schon viele Schattenseiten vom Hamster erwähnt, aber eine wirklich glänzende Eigenschaft von ihm ist seine ganz hervorragende Tapferkeit. Es sieht hübsch aus, wenn er sich die Körner aufrecht sitzend in seine geräumigen Hamstertaschen hineinstaucht, so daß diese vollständig gefüllt sind und dem dicken Kopf ein fast abenteuerliches Aussehen verleihen, wenn er sich nun schwer beladen und tapperig auf den Heimweg macht und dabei einem seiner vielen Gegner begegnet. Verblüffen läßt er sich nicht, sondern streicht im durch Vorwärtsbewegungen mit den Vorderpfoten die Backentaschen leer, wird dadurch wieder kampffähig und braucht vor keinem mehr zurückzuscheuen. Freilich, bis zu 150 Gramm Sämereien muß er erst entfernen, und das will gelernt sein! Dann aber fängt er bedenklich an zu fauchen und mit den Zähnen zu knirschen und stürzt sich wütend auf seinen Gegner, mag dieser scheinbar auch noch so sehr überlegen sein. Furcht kennt er nicht und zeigt beim Verteidigen seiner Schätze entschieden mehr Mut als bei dem seiner Kinder. Pferden, Kühen und Hunden springt er bissig an die Beine und weicht auch dem Menschen kaum aus. Mancher Dorfbub zeigt die unverkennbaren Spuren der scharfen Hamsterzähne. Vor den gefiederten Feinden empfindet der Hamster im allgemeinen höhere Achtung als vor den vierfüßigen, denn sie sind im allgemeinen doch gar zu schnell heran und sind ihm in ihrer Art auch zu sehr überlegen. Übrigens geht auch der Hamster selbst vielfach auf die Jagd, um dadurch eine größere Abwechslung in seinen Speisezettel zu bringen. Nur von Mäusejagden ist er kein großer Freund. Das geht dem behäbigen Kerl doch etwas zu fix, und solch pfeilgeschwindes Herumhuschen ist nichts für ihn.

Jedenfalls muß er sich so viel Vorräte eintragen, daß er damit in den Pausen auskommt, die er zwischen seinen Winterschlaf einschiebt. Dieser ist nämlich nicht allzu fest, und so mancher ist schon erschrocken zurückgefahren, der einen scheinbar fest winterschlafenden Hamster ergreifen wollte und dabei unversehens einen tüchtigen Biß in die Hand erhielt, der überaus schwer wieder heilt. Schon etwa einen Monat vor ihrem Wiedererscheinen sind die Hamster munter und fressen in tiefster Ruhe stillvergnügt von ihren Vorräten, ja, sie kommen bisweilen schon zum Vorschein, wenn noch ringsum Schnee die Saaten bedeckt. Sie verrammeln auch ihren Eingang tüchtig, ja, der fast völlige Luftabschluß scheint zur Erzielung eines tiefen und dauerhaften Winterschlafes fast notwendig zu sein. Hierüber sind noch weitere und genauere Forschungen anzustellen. Das vollständige Erwachen des Hamsters im Frühjahr geht umständlich genug vor sich. Langsam entwickelt sich die zusammengepreßte Lage seiner Glieder. Er dehnt und streckt sie, und man spürt deutlich sein krampfhaftes Atemholen. Er öffnet den Mund und gähnt herzhaft und gibt verdrießlich knurrende Töne von sich, als ärgere er sich im tiefsten Gemüt, nun aufstehen zu müssen. Endlich öffnet er blinzelnd die Augen und versucht sich zu setzen, was ihm – hin und her taumelnd – aber erst nach mehreren Versuchen gelingt, wobei er erst auf die rechte, dann auf die linke Seite fällt. Endlich wagt er es, sich zu setzen, und es gelingt ihm auf allen Vieren. Nun fängt er gar sauer und mühsam an zu wandern, nachdem er vorher noch tief Atem geholt hat. Kleine Schritte folgen einander. Schon beginnt er sich zu putzen und zu streicheln, und bald ist er wieder der alte, böse Hamster, der er vor dem Einschlafen war, ehe er für den Winter Abschied genommen hatte von der Oberwelt. Er bleibt aber etwa noch vier Wochen unten, ehe er sich zum ersten Male wieder über der Erdoberfläche blicken läßt, und so lange muß sein Nahrungsmittelvorrat vorhalten. Dann spielt sich seine geizige Lebenshaltung in derselben selbstsüchtigen Weise wieder ab wie im Vorjahre. Wenigen dürfte es bekannt sein, daß sich der feiste Hamster auch für die Küche verwerten läßt, doch muß ich eingestehen, daß ich selbst ihn in dieser Beziehung noch nicht versucht habe. Was aber entschieden unterschätzt wird, das ist das bunte, dauerhafte und warme Hamsterfell, aus dem sich z. B. prächtige und dauerhafte Schlittendecken anfertigen lassen, die einer größeren Verbreitung wahrlich wert wären. Die besten Geschäfte aber macht der Hamsterfänger, denn er erbeutet beim Ausgraben der Baue nicht nur die gefräßigen Schädlinge selbst, sondern auch ihre sauber aufgespeicherten Wintervorräte, die nach Reinigung und Sortierung noch gut zu verwenden sind.

Nach dem vierschrötigen und gewalttätigen Hamster wollen wir einen Blick werfen auf die anmutigste und zierlichste, auf die bestechendste und kunstsinnigste Mäuseform, die der Nagetierstamm hervorgebracht hat. Ich meine die in ihrer Art geradezu vollendete Zwergmaus ( Mus minutus), die im ganzen Säugetierreiche nur von der Zwergspitzmaus an Kleinheit übertroffen wird. Aber wo sollen wir dieses winzige Geschöpf innerhalb der großen, freien Natur suchen? Wir haben einen Ausflug gemacht nach dem vogelberühmten Oderstrom mit der Absicht, nach den kunstvollen Nestern der Rohrsänger Umschau zu halten und zu sehen, ob wir nicht in einem davon vielleicht einen jungen Kuckuck finden können, denn der Gauch schmarotzt ja an der Oder mit Vorliebe in den Rohrsängernestern. Es war ein schöner Lenzestag in der zweiten Hälfte des Mai, und wir kamen gut auf unsere Rechnung. Dazu die Herrlichkeit der Natur im Wonnemonat! Allenthalben lärmten die kecken Rohrdrosseln ihre taktvolle Strophe, sangen die Sumpfrohrsänger ihr kauderwelsches Lied, ließen die Flußrohrsänger ihr schnurrendes Einerlei hören, warteten die Schilfrohrsänger balzend mit neuen Tönen auf, brachte das reizende Blaukehlchen in seinem bunten Singsang immer neue Takte, die es wer weiß woher gestohlen hatte. Da rief mir mein Gefährte, der etwas weiter vorgedrungen war, zu, daß er ein besonders schönes Rohrsängernest entdeckt habe, das er doch noch etwas näher untersuchen wolle. Bald darauf sah auch ich dieses »Rohrsängernest«, und nun konnte ich mich eines schmunzelnden Lächelns in Gedanken an die dem Freunde bevorstehende Überraschung nicht erwehren. Und sie kam! Als er in das Nest hineinlangte, sprang ein ganzes Geheck allerliebster, zwerghaft kleiner Mäuse heraus, ihm auf Schulter, Leib und Füße und war sofort wieder im undurchdringlichen Pflanzenwirrwarr verschwunden. Es war nur ein blitzschnelles Vorbei- und Durcheinanderhuschen, kaum genügend, das bunte Durcheinander als Mäuse zu erkennen. Sie hatten wirklich in einer Art Vogelnest hier ihr Geheck gehabt und waren nun vor dem plumpen homo sapiens geflüchtet.

Wer ist nun diese Maus, die solche niedlichen Vogelnester anzufertigen versteht, worin sie sich zu einer im Säugetierreiche unerhört dastehenden Meisterschaft entwickelt hat? Es ist die Zwergmaus, die so elegante weiße Handschuhe über den Pfoten trägt und die gerade durch ihre Kleinheit in ihrem ganzen Tun und Treiben so unendlich lieblich wirkt. Bei ihr scheint alles ins Zierlich-Liliputhafte übertragen, und sie wirkt in ihren Gebärden so unschuldig, so mimosenhaft, daß man ihr eigentlich gar nicht böse sein kann, obwohl auch sie mancherlei Schaden anrichtet, namentlich wenn sie sich im Herbste in größerer Zahl unter den Strohdiemen ansammelt. Es muß besonders betont werden, daß gerade die Zwergmaus in höherem Maße als ihre Gattungsverwandten auch Kerbtiere verzehrt und sich dadurch manches schätzenswerte Verdienst erwirbt. Ich halte sie für die zweifellos unschädlichste aller Mäusearten, zumal sie durchaus kein besonderer Freund des Menschen ist, dessen Nähe nach Möglichkeit meidet und sich mit Vorliebe auf feuchtem Gelände zwischen dem Seggengras ansiedelt. Sie ist dementsprechend eine kühne und gewandte Schwimmerin und Taucherin, läuft mit unheimlicher Schnelligkeit und klettert großartig, wobei sie oft gerade die dünnsten Halme benutzt, die sich selbst unter ihrem leichten Gewicht tief zur Erde beugen. Dabei kommt ihr der Umstand sehr zustatten, daß sie nach Art der neuweltlichen Affen als einzige Vertreterin des Mäusegeschlechts einen richtigen Wickelschwanz benutzt. Es ist unbeschreiblich anmutig, wenn sie das dunkelgelbe Schwänzchen um die Zweige wickelt und wie ein schaukelndes Kind in der Luft schwebt, bis sie einen andern Zweig erfassen kann. Wo Seggengras und Rohr wächst, also in der Nachbarschaft der Rohrsänger, ist sie besonders häufig, wandert dann aber, wenn es im Herbste ungemütlich wird, auf trockenere Flächen aus, verkriecht sich gern unter Strohdiemen und sucht manchmal sogar die Scheunen und Häuser auf, wobei sie in günstigen Jahren massenhaft erschlagen wird. Auch sie tut uns ja manchen Schaden, und dann muß sie eben auch mit daran glauben, und alle ihre anmutigen und bestechenden Kletterkünste helfen darüber nicht hinweg, daß sie eben doch nur eine Maus ist. In den Augen der Frauen teilen selbst diese wunderlieblichen Tierchen den allgemeinen Abscheu gegen die Mäusesippschaft, und all ihre Turnerkünste, bei denen sie die Schwanzwirbel um die feinsten Hälmchen schlingt, vermögen darüber nicht hinwegzuhelfen. In ihrer sommerlichen Einsamkeit aber stört sie in der Regel niemand, und sie vermögen hier ihr lustiges Tun und Treiben so recht nach Herzenslust zu entfalten. Als besonderen Feind der Zwergmäuse lernen wir hier die verschiedenen Schlangenarten kennen, denen diese kleinen Tierchen ja geradezu mundgerecht zugeschnitten zu sein scheinen.

Die Ähnlichkeit des Namens führt leider mancherlei Verwechslungen mit der Zwergspitzmaus ( Sorex minutus) herbei, die das kleinste Säugetier Mitteleuropas ist. Aber schon ein prüfender Blick ins Maul hinein zeigt uns, daß die beiden winzigen Dinger zwei ganz verschiedenen Lebenskreisen angehören. Die Zwergmaus ist ein ausgesprochenes Nagetier, die Zwergspitzmaus mit ihrem spitzigen und höckerigen Gebiß gehört zur Ordnung der Insektenfresser oder Kerfjäger, besitzt also keine Nagezähne, die nur die Zwergmaus hat. Bei dieser sind je ein Paar kräftige Schneidezähne zu Nagezähnen umgewandelt, während die Eckzähne vollständig fehlen. Alle Nagezähne sind bogenförmig, größer als alle andern und von spitz meißelartiger Gestalt. Ihre Vorderseiten sind mit stahlhartem Schmelz bedeckt. Sie haben den großen Vorzug ununterbrochenen Wachstums, ergänzen sich also immer wieder aufs neue.

Wie schon angedeutet, sind sie die künstlerischsten und hervorragendsten Nestbauer im Säugetierreiche und hängen ihre zierliche Behausung von der Größe und der Form eines Gänseeies mit seitlichem Eingangsloch am liebsten kaum halbmeterhoch ins Gezweig oder Schilf, ins Getreide oder Gras, wo sie ihre ganze Gewandtheit und Behendigkeit entfalten können. In trockenen Jahren ist die Vermehrung besonders stark, und dann ist es gut, daß wir auch im Sumpfe allerlei Raubvögel haben, die den allzu großen Segen wieder einschränken. Zwei- bis dreimal wirft das Weibchen 4–6 Junge. Das schöne Heim ist es wert, daß sein Besitzer es lieb hat, und die Jungen ruhen auf einem Polster, so weich und zart, daß ein König sie darum beneiden könnte! Wie sorgsam bereitet aber auch das Wundermäuslein seine Kinderwiege zu! Es zieht die dünnen und zarten Blätter durchs Gehege seiner messerscharfen Zähne und zerschleißt sie so der Länge nach in vier bis sechs, sogar acht Teile, und aus diesen flicht sie dann richtige Zöpfe, die schirmend den Inhalt des Nestes umgeben. Die Wandungen müssen besonders stark ausfallen, denn sie haben gelegentlich manchen harten Stoß auszuhalten. Oft ist der ganze Bau luftig aufgehängt, oft sind aber auch die umstehenden Halme fest in seine Wandung verflochten, so daß man das Nest nicht loslösen kann, ohne diese Halme und Zweige zu durchschneiden. Nach außen zu wird das Baumaterial etwas gröber, während die verschlungenen Zöpfe das eigentliche Nest wie mit einem Geflecht umgeben. Die Tür zu diesem Liebesnest liegt auf der einen Seite, und wenn das Weibchen seine Kinderschar auf längere Zeit verlassen will, deckt es sie noch vorher mit altem Genist reichlich zu, setzt auch noch eine Art Vorsatztür vor den Eingang, ebenso, wenn es sich längere Zeit der Ruhe ergeben will. Dann ist es manchmal vor einem neuen Ausgang zu bequem, die Vorsatztüre wieder zu entfernen, sondern bricht sich lieber ein Loch durch die Wand. Man kann das ganze Nestchen samt Elternpaar und Jungen in einen engmaschigen Käfig hängen und wird dann an dem Tun und Treiben der munteren Tiere seine belle Freude haben, denn kaum gibt es etwas so Allerliebstes wie gefangene Zwergmäuse, obwohl ihre große Zahmheit allerdings mehr scheinbar als wirklich ist und obwohl sie bei vorrückendem Alter einen Teil davon wieder verlieren.

In manchen Jahren und Gegenden sind die Zwergmäuse ungewöhnlich häufig, in anderen dagegen entwickeln sie sich nie über einen bescheidenen Bestand hinaus, da sie zuviel natürliche Feinde haben. Der bekannte Braunschweiger Forscher Blasius fand auf einer einzigen Wiese zwischen Feld und Teich 20 bis 30 Nester. Einmal, als die Wiese plötzlich überschwemmt wurde, sah er eine solche Menge der niedlichen Tierchen in den Halmen herumklettern und -hängen, daß er sie nur nach Tausenden schätzen konnte, aber am nächsten Morgen war der ganze Spuk wieder verschwunden. Blasius hatte innerhalb weniger Stunden über 100 Stück erwischt, die meisten davon mit den Händen gefangen. Dabei waren sie doch so flink in ihren Bewegungen, daß man ihren wundervollen Turnübungen kaum mit den Augen folgen konnte. Abends sind sie am allerlebhaftesten, und der Städter wundert sich dann nicht genug über dieses eigenartige Koboldleben, während Schnitter und Fischer schon eher darüber Bescheid wissen. Reizende Bilder gewährt ein Ausflug der gesamten Kinderschar unter Leitung der urgemütlichen Alten, an der die Kleinen sehr hängen. »Sieben kleine Heinzelmännchen, um ihre Königin versammelt, zirpen, piepsen, putzen, waschen und balgen sich! Ein Zwergenlustspiel, schöner und lustiger als Schneewittchen und die sieben Zwerge!«

Was gibt es da nicht alles zu sehen und zu lernen! Alle Augenblicke eine neue Entdeckung, beständig neue Erfahrungen. Da heißt es hübsch Obacht geben, um über den vielen Zerstreuungen nicht die allgemeine Sicherheit aus dem Auge zu verlieren! Um diese Zeit welken die ins Nest verwebten Blätter und machen es, obwohl es bisher kaum zu sehen war, recht auffällig. Dann ist es Zeit für die Jungen, sich nach einem neuen Schlupfwinkel umzusehen, zumal sich auch die Zärtlichkeit der Alten bald in kühle Gleichgültigkeit verwandelt. Sind die Jungen in allen Schlichen und Kniffen des Zwergmauslebens genügend ausgebildet, so zerstreuen sie sich allmählich. Gerne hält sich dann die schmucke Zwergmaus in unmittelbarer Nähe der gleichfalls sehr hübschen Brandmaus auf. Wäre diese nicht so schädlich, man fände das Zwiegespann entzückend. Werden dann die Winde rauher, tragen die Pfützen morgens eine Eisdecke, dann sucht auch die Zwergmaus Zuflucht in der Erde, geht aber nicht allzu tief und hält auch keinen ununterbrochenen Winterschlaf. In der Gefangenschaft fressen sich die Zwergmäuse öfters gegenseitig auf, falls man nicht für genügend abwechslungsreiches Futter sorgt.

Die putzige Zwergmaus gehört gleich Brand-, Wald- und Hausmaus zu der scharf umrissenen Gruppe der echten, langschwänzigen Mäuse oder Edelmäuse, während die nahe verwandte Gruppe der Ackermäuse sich durch ihren stark verkürzten Schwanz, den plumpen Leibesbau und das Ineinanderfließen der Körperfarben auszeichnet. Eine besondere Schönheit ist die Feldmaus ( Arvicola arvalis) also nicht, aber ihren Namen hat sie weltbekannt gemacht durch den mitunter wahrhaft furchtbaren Schaden, den sie den menschlichen Kulturen zufügt. Von einem richtigen Mäusejahr kann nur der sich eine zutreffende Vorstellung machen, der es einmal selbst erlebte. Der Fuß versinkt dann in den seichten Grabgängen der Tiere, man sieht sie allenthalben umherhuschen, verschwinden und wieder zum Vorschein kommen, sieht Dutzende in ungeduldiger Hast an den Eingängen sich drängen, hört ringsum Piepsen, Quieken und Rascheln und merkt schon an dem zahlreichen Auftreten von Bussarden und Turmfalken, daß irgend etwas im geregelten Haushalte der Natur in Unordnung geraten ist, und die besorgten Gesichter der Landleute zeigen uns, daß auch hochwichtige menschliche Interessen auf dem Spiele stehen: eine Mäuseplage ist im Entstehen begriffen. Die Tiere treiben auch am hellen Tage ihr unangenehmes Wesen, man sieht Schadstellen am Korn, sieht so manchen Getreidehalm durch Unterwühlen niedergeworfen und der fruchttragenden Ähre beraubt, so manches Obststämmchen in trauriger Weise entrindet, wenigstens in seinem unteren Teile.

Woher kommt nun diese plötzliche Vermehrung der gefürchteten Schädlinge, und was kann man dagegen tun? Das Feldmäusegeschlecht ist ja nicht nur sehr schädlich, sondern auch geradezu unheimlich fruchtbar. Vom Frühling bis zum Herbst wird schier ununterbrochen geheckt, und die alte Maus ist schon wieder Mutter, wenn sie noch die letzten Jungen spazierenführt und ihnen Anleitung gibt, wie sie sich am besten durchs Leben schlagen können. In der Regel belegt diese gesellige Maus einen halben Meter unter der Erde das mit Moos und fein zerbissenem Gras ausgepolsterte Nest erstmalig mit vier bis acht Jungen, setzt aber nun den ganzen Sommer hindurch diese Tätigkeit so eifrig fort, daß sie noch weitere vier bis sechs Würfe aufziehen muß. In feuchten Jahren gehen viele von ihnen zugrunde, aber in warmen und trockenen Sommern wird die Mehrzahl groß, und dann ist bald ein unangenehmes, schädliches, schließlich erdrückendes Übergewicht geschaffen, das in seinem weiteren Verlauf zur sogenannten Mauseplage führt, die oft genug eine landwirtschaftliche Katastrophe bedeutet. Mögen Katzen und Füchse, Iltisse und Wiesel, Bussarde, Eulen und Störche, Elstern und Krähen noch so sehr unter dem Ungeziefer aufräumen – es wird immer schwerer, sich seiner zu erwehren. Die leidige Schießwut unserer Jäger, die dem harmlosesten Raubzeug gegenüber gleich zur Schrotspritze greifen, rächt sich dann aufs bitterste. Und doch ist die sorgsamste Hege des mäusevertilgenden Raubzeuges das einzige zuverlässige Gegenmittel, das wir kennen. Kein Raubvogel darf in einem solchen Revier geschossen werden, dagegen wird der vernünftige Landwirt alles aufbieten, ihnen den Aufenthalt auf seiner Flur so angenehm als möglich zu machen. Ganz besonders empfehle ich ihm für diesen Zweck das Aufstellen von Stangen, die oben ein Querholz tragen als erwünschten Ruhe- und Spähplatz für die gefiederten Verbündeten, die von hier aus so recht bequem lohnende Beute erspähen und drohende Gefahr eräugen können. Solche Maßnahmen sind schon beim bloßen Drohen der Mäusegefahr doppelt und dreifach notwendig. Das bloße Zusammenziehen der Bussarde und Eulen macht uns bereits darauf aufmerksam, und wenn das nützliche Raubzeug ungestört bleibt, so bewältigt es in den meisten Fällen seine Aufgabe ruhig und ohne viel Aufsehen. Jetzt ist die Zeit der vorbeugenden Verhütung, während es der einmal ausgebrochenen Plage gegenüber ebenso ohnmächtig dasteht wie der Mensch mit all seinen Giften und Fallen. Also vorbeugen und nochmals vorbeugen! Es wird in den allermeisten Fällen gelingen. Hat aber doch die unerschöpfliche Fruchtbarkeit der Mäuse die Oberhand gewonnen über den Blutdurst ihrer natürlichen Feinde, dann ist die Mäuseplage kaum noch hintanzuhalten und nimmt oft ungeahnten Umfang an. Überall beißen die Nager die Halme ab und tragen die Ähren in ihre Höhlen, überall folgen sie den Schnittern auf dem Fuße und ernten die verlorene Saat, alles benagen und zerstören sie, besonders aber die Wintersaat. Eine starke Mißernte ist die unausbleibliche Folge. Menschliche Hilfsmittel versagen, selbst die vielgerühmten Gifte bewähren sich nur unzulänglich und bereiten so manchem unserer wertvollen Verbündeten aus dem Tierreiche einen qualvollen und unverdienten Tod. Nur die Natur selbst kann da wieder helfen, indem sie ansteckende Seuchen ausbrechen läßt, die dem Treiben der gefräßigen Nager fast urplötzlich ein Ende machen. Einige Beispiele mögen die Schäden erläutern, die durch ausgesprochene Mäuseplagen bisweilen angerichtet werden. In den betroffenen Gegenden wird oft die Hälfte der Getreideernte vernichtet und der angrenzende Wald geschändet, denn die Mäuse nehmen ihn mehr mit als selbst der Biber. Ein 1200 Morgen großer Buchenwald von sechs- bis zwölfjährigen Pflanzen wurde vollständig zerstört. In der fruchtbaren Getreideebene zwischen Gotha und Erfurt mußten 10–12 000 Morgen vollständig umgepflügt werden – nur der Mäuse wegen. Im Kreis Zabern mußten die Behörden innerhalb 14 Tagen den Fängern 1 570 000 Mäuse auslösen, wobei es viele auf 12–1500 Stück täglich brachten. Die Kadaver wanderten in eine Düngerfabrik, die einen Pfennig für das Dutzend Mäuse bezahlt. Auch in der Wetterau wurden Hunderttausende in wenigen Wochen eingeliefert.

Haben die Feldmäuse sich in Überzahl vermehrt, so werden schließlich die Wohnungen knapp, und auch an Nahrung beginnt es zu mangeln. Dann entschließen sie sich bisweilen in ganzen Heeren zur Auswanderung. Man hat sie schon in wahren Unmassen geschlossen über den Rhein schwimmen sehen. Tausende ertranken, aber Zehntausende erreichten glücklich das andere Ufer und zerstreuten sich nach allen Richtungen der Windrose. Viele haben Ausschläge auf der Haut, ein sicheres Zeichen, daß ihre Tage gezählt sind. Es erscheint fast zweifellos, daß nun mit dem kalten Bade ansteckende Seuchen unter ihnen ausbrechen und in kürzester Zeit geradezu unglaublich aufräumen. Wenigstens ist der ganze Spuk fast urplötzlich wieder verschwunden und kaum noch eine Spur davon zu merken. Über die Einzelheiten dieses merkwürdigen Naturvorganges sind wir noch sehr wenig unterrichtet, und es bedarf dringend weiterer Nachforschungen, um darüber richtig ins klare zu kommen. Der Menschen und der Tiere hatten die unheimlichen Nager gespottet, aber dem ansteckenden Bazillus, dieser schärfsten Waffe der Natur, mußten sie unterliegen.

Die Feldmaus ist der richtige Proletarier unter den Nagern. Das Geruchsvermögen ist gut, das Gehör ziemlich ausgebildet, weniger vielleicht das Gesicht, während Geschmack und Gefühl wenigstens nicht verkümmert sind. Doch bleibt es fraglich, welcher Sinn eigentlich am besten ausgebildet ist. Die geistige Begabung ist jedenfalls sehr gering, und die Feldmaus dürfte in dieser Beziehung auf der untersten Stufe der Mäuseleiter stehen. Kein Vergleich zwischen der hochentwickelten Zwergmaus und der einfältigen Feldmaus! Sie ist unklug, neugierig, unvorsichtig und vergeßlich. Selbst die bitterste Erfahrung macht nur die wenigsten klüger. Ihre größte Gewandtheit bekundet die Feldmaus im Laufen, gräbt auch flink und geschickt, klettert aber ziemlich schlecht. Wenn sie im Winter in menschliche Wohnungen einzieht, hält sie sich fast ausschließlich an die Keller und siedelt sich nicht auf den Böden an, wie das die Hausmaus so gerne tut. Bei Sonnenschein spaziert sie gerne auf den tief ausgetretenen Verbindungspfaden zwischen den einzelnen Wohnhöhlen herum und besucht Muhmen, Vettern und Basen. Die Gänge verlaufen dicht unter der Erde, während die eigentlichen Nester einen halben Meter tiefer liegen und auch spärliche Vorräte an Getreide und dergleichen beherbergen. Auch diese Maus hat ihre besonderen Aborte. Jede Wohnung besitzt mehrere Eingänge, an denen man die Insassen häufig hin und her laufen sieht, denn sie sind am Tage ebenso rege wie in der Nacht. Eigentlich geregelt ist die ganze Baueinrichtung nicht, sie mutet vielmehr an, als sei sie aus rascher Laune und aus dem Stegreif gemacht, denn es fehlt entschieden ein bestimmter Grundplan. Das eigentliche Nest stellt sich als ein kunstlos zusammengeschleppter Ballen aus Heu und Gras dar, der in der Mitte eine kugelförmige Kammer birgt.

Das Weibchen trägt nur drei Wochen und gebiert alle fünf bis sechs Wochen, hat ihre Jungen anfangs sehr lieb und sorgt treulich für sie, verschleppt sie auch öfters in andere Wohnungen, falls die Sicherheitsverhältnisse zu wünschen übrig lassen. Die Jungen des ersten Wurfes werden noch im gleichen Jahr auch ihrerseits fruchtbar, und gerade darin liegt das unheimlich Rasche ihrer Fortpflanzung begründet. Noch im September kommen die letzten Jungen, und zwar finden wir sie nicht nur unten in der Ebene, sondern auch oben im Gebirge, obschon seltener. In den Feldern verändern sie ihren Wohnplatz je nach der Jahreszeit und richten sich dabei je nach der Fruchtfolge, lassen auch die Krautgärten nicht unbesucht. Sie fressen gelegentlich auch Kerbtiere und dergleichen, was aber ihrem ungeheuren Schaden gegenüber gar nichts zu besagen hat. Gärten, die viel Zwiebelpflanzungen aufzuweisen haben, sollen von ihnen gemieden werden, was mir aber einigermaßen zweifelhaft erscheint. In den Kellern gehen sie gern an die größten und schönsten Gurken, so daß man in diesen statt des Fruchtinhaltes schließlich nur noch einen großen Haufen Mäusedreck vorfindet.

Die Neuzeit hat die alten Wehrgräben, die ringsum in weitem Bogen die alte Festungsstadt Breslau umhegen, in geschmackvoll und abwechslungsreich angelegte Promenaden verwandelt, die ich schon in meiner Sekundanerzeit eifrig besuchte, zumal mich der Weg zum altberühmten Magdalenen-Gymnasium viermal täglich quer durch die Anlagen führte. Oft bin ich im Galopp von daheim bis zu den Anlagen gelaufen, um der Zeit ein paar Minuten abzustehlen und einen Blick auf die reiche Vogelwelt zu werfen, deren Lieder allenthalben an das entzückte Ohr schlugen. Ich weiß nicht, wie es heute damit bestellt ist, aber schon damals, also in den achtziger Jahren, zählten z. B. Ringeltauben und Turteltauben zu den regelmäßigen Brutvögeln des Gebiets, ehe sie noch in andere Großstädte eingewandert waren. Die alten Festungsgräben selbst, die im Winter eine prächtige Schlittschuhbahn rings um die ganze Stadt bildeten, boten auch immer irgend etwas besonders Interessantes. Da tummelte sich buntes Wassergeflügel mit seiner Nachkommenschaft, beherrscht von stolz und siegesbewußt einhersegelnden Schwänen, da kamen mächtige alte Karpfen vorbeigeschwommen und ließen sich zutraulich von den jederzeit vorhandenen zahlreichen Spaziergängern füttern. Aber außer Fischen und Vögeln zeigten sich auf den Weihern auch noch andere, weniger beliebte Gäste. Freche Wasserratten ( Arvicola amphibius) waren zahlreich vorhanden! Manches traurige Bild lebt da in meiner Erinnerung fort. Eine alte Mutterente führt zum ersten Male die buntscheckige, putzige Schar ihrer Nachkommen spazieren. Fröhlich schwimmen die Kleinen dahin, von einer Überraschung zur anderen eilend, spielend und tändelnd, überall einen überreich besetzten Tisch vorfindend, das schöne, sorglose Leben in vollen Zügen genießend. Ein besonders niedliches Ding, das etwas hinter Mutter und Geschwistern zurückgeblieben ist, habe ich näher ins Auge gefaßt. Da – auf einmal macht es einige krampfhafte Bewegungen, ist im Nu unter dem Wasserspiegel verschwunden und – kommt nicht wieder zum Vorschein, während die Mutterente die andern ruhig weiterführt und von dem Verlust anscheinend noch gar nichts bemerkt hat. Gleich darauf erlebe ich einen ähnlichen Fall und kann diesmal wenigstens so viel erkennen, daß ein unter Wasser schwimmendes Säugetier der heimtückische Täter sein muß. Natürlich denke ich zuerst an Wanderratten, deren wilde Mordlust ja allgemein bekannt ist. Aber einmal kam ich gerade dazu, wie der Wärter eben den Übeltäter auf frischer Tat erwischt und mit seinem Stock erschlagen hatte. Ja, es war eine Ratte, aber sicherlich keine Wanderratte! Die mußte ich haben und an der Hand meines Brehm, der damals eine Art Bibel für mich war, näher untersuchen. Geld zur Entschädigung des Mannes für seinen kostbaren Besitz hatte ich allerdings nicht, aber ich drückte ihm mein diesmal besonders gut ausgefallenes Frühstücksbrot in die Hand, bemächtigte mich dafür seiner Jagdbeute und zog triumphierend von dannen. Schmunzelnd blickte er mir nach; wir waren beide mit dem Tausche höchlichst zufrieden. Zu Hause machte man freilich erstaunte Gesichter, die triefende Leiche einer häßlichen und abscheulichen Wasserratte gegen ein delikates Frühstücksbrot – ja, so etwas bekommt schließlich auch nur ein unpraktischer Naturforscher fertig! Später habe ich viele Wasserratten in der Hand gehabt und sie immer nachdenklich betrachtet, ohne jemals völlig klug aus ihnen zu werden.

Was sind sie eigentlich? Jedenfalls ganz nahe Verwandte der Schermaus! Aber in welchem Verwandtschaftsgrade stehen sie zu ihnen? Sind sie eine eigene Art oder eine Unterart, oder spielen hier nur blinde Zufälligkeiten eine Rolle? Forscher, die viel im Freien beobachtet haben, neigen dazu, ihnen Artenrang zu verleihen, Forscher, die ihre Studien lediglich in der Naturaliensammlung und nach Bälgen machten, sind der Ansicht, daß es sich immer um dieselben Tiere handle. Die äußeren Unterschiede sind allerdings nur geringfügig und gehen vielfach ineinander über, aber im Aufenthalt und in der Lebensweise machen sich doch vielfach weitgehende Unterschiede geltend.

Während sich die Schermaus ein ganzes System untereinander in Verbindung stehender Gänge anlegt, die oft 100 Meter lang sind, aber Einheitlichkeit und Planmäßigkeit meist vermissen lassen, hat die Wasserratte nur kurze Verbindungswege vom Nest bis zur Oberfläche des Wassers mit wenigen Verzweigungen und Verästelungen. Alle Röhren der Wühlratten haben das gemeinsam, daß sie mit einer Wölbung nach oben ganz dicht unter der Erdoberfläche verlaufen und um so mehr an Maulwurfsgänge erinnern, als auch die Wasserratten von Zeit zu Zeit Erdhügel aufwerfen, die aber in ihrer Reihenfolge nicht eine so genaue Regelmäßigkeit erkennen lassen wie die der Maulwürfe, auch viel größere Erdklöße enthalten. In diesen Gängen betreiben die Wasserratten ihre Nahrungssuche, und dadurch kann namentlich die Landform sehr erheblichen Schaden anrichten, zumal sie hauptsächlich Pflanzen frißt und tierische Kost nur als eine willkommene Zuspeise annimmt. Auf den Gartenbeeten haust sie oft ganz greulich. Dabei ist sie von einer merkwürdigen Empfindlichkeit gegen den Zutritt von Licht und Luft in ihre Jagdgründe. Wenn man jenen durch das Einstoßen der Röhre mit dem Stock Zutritt verschafft, so wird man gewöhnlich nicht allzulange zu warten brauchen, um die unterirdische Bewohnerin erscheinen zu sehen, denn sie will den Schaden so rasch wie möglich beseitigen. So versessen ist sie darauf, daß sie darüber ihre sonstige Vorsicht ganz vergißt und nur für die beschädigte Stelle Sinn und Interesse hat. In solchen Augenblicken kann man sie leicht mit einem Flobert-Gewehr abschießen, obschon mancher sich vor einem weidmännischen Betrieb der Rattenjagd grausen wird. Aber sie ist eine famose Vorbereitung für den Hasenanstand des künftigen Jägers und allen Vertilgungsarten durch Gifte und Fallen entschieden vorzuziehen, zumal sich auch manche hübsche Beobachtung dabei machen läßt. Der ganze Körperbau des für Mäuseverhältnisse etwas plumpen Tieres tritt dabei voll in Erscheinung und hat mich immer lebhaft an die schon im Aussterben begriffene Hausratte erinnert, aber man merkt sofort, daß man eine schlechte Läuferin, jedoch eine vorzügliche Schwimmerin vor sich hat und daß dieses Tier fast den ganzen Tag über in ewiger Beweglichkeit ist und sich nur selten einen Augenblick wirklicher Ruhe gönnt. Am regsten ist sie jedenfalls in der Abenddämmerung, wobei sie durch ein feines Gehör und durch ein scharfes Gesicht unterstützt wird. Emsige Geschäftigkeit und rastlose Arbeitsleistung sind die Grundzüge dieses fleißigen Geschöpfes, das mit seinem plumpen Leibe und dicken Kopfe, seinen kaum erkennbaren Ohren und seinem seidenweichen Pelz eigentlich auf ganz andere Eigenschaften schließen ließe. Ein günstig gelegener Hauptweg der Wasserratte wurde z. B. von ihr vier Jahre lang mit rührender Aufopferung erhalten, obwohl er unter dem Fahrweg hinlief und alle Tage verschiedene Male zerstört wurde. Trotzdem wurde der Weg bis zum Tode des Inhabers mit der größten Zähigkeit immer wieder ausgebessert.

Ihre Geschicklichkeit im Graben ist überhaupt bewundernswert. An solchen unterirdischen Hauptwegen stehen auch die sogenannten Eßtische der Wasserratten. Es sind dies abgebissene und aufeinandergeschichtete, durch zwischengestopftes Seggengras einander verbundene, in mäßige Stücke zerschnittene Rohr- und Schilfhalme, auf denen die Wasserratten ihre zusammengeschleppte Beute verzehren, unter der sich auch zarte Rohrstücke selbst befinden sowie alles, was ihnen auf ihren Beutezügen zu ergattern möglich war. Oft leisten sich dabei mehrere Tiere Gesellschaft. Haben sie sich sattgefressen und ein ergiebiges Mittagsschläfchen gehalten, so beginnt das Spielen und Tändeln, was sie oft stundenlang in verliebten Launen zusammenhält und schließlich in eine allgemeine Katzbalgerei ausartet. Es entsteht oft ein Höllenspektakel, wenn die eifersüchtigen Männchen gründlich aneinandergeraten und sich gegenseitig gehörig beißen, kratzen und ohrfeigen. Diese Kämpfe gelten natürlich dem Besitz eines Weibchens.

Schade, daß der Rattenfänger von Hameln im Zauberberge verschwunden ist, denn diese unverschämten Tiere werden uns wirklich manchmal ekelhaft. Doch sind ihre geistigen Fähigkeiten nicht gering; denn sie wissen sich mit Leichtigkeit in die ungewohntesten Lagen zu schicken und sind bei ihrem ewigen Hin- und Herhuschen gar nicht so leicht zu berücken, wie man glauben möchte. Das eigentliche Nest steht ziemlich tief, gewöhnlich noch unter der Lage der Maulwurfsgänge, und ist ein kunstlos zusammengeschleppter Ballen von Heu und Gras, der in seiner Mitte die einfach hergerichtete Wohnstube enthält. Immerhin ist der geräumige und halbkugelförmige Kessel mit Binsen, Moos und Grashalmen leidlich ausgepolstert. Auch die Wasserratte, die sich den nackten Jungen gegenüber als eine sehr zärtliche und liebevolle Mutter erweist, hat etwas von der unheimlichen Fruchtbarkeit der Nagetiere, denn sie vermehrt sich in manchen Jahren auffallend stark. Das Eheleben ist inniger, die Zärtlichkeit größer als bei der Schermaus. Die Jungen werden 25 bis 30 Tage nach der Begattung geworfen, sehen ganz niedlich aus und lassen den Teufel nicht ahnen, der in ihnen steckt. Das auffallendste aber ist die außerordentlich schwankende Zahl der Jungen. Blättere ich die Literatur durch, so finde ich die Jungenzahl mindestens auf 4, im Höchstfalle aber auf 21 oder gar 23 angegeben. Wenn man auch weiß, daß besonders üppige Äsungsverhältnisse und das geeignetste Alter der Elterntiere stark erhöhend auf die Zahl der Nachkommen einwirken, so sind doch gerade im Wasser die Verhältnisse mehr gleichmäßig, und den gewaltigen Unterschied 4 : 23 vermögen sie kaum aufzuklären. Man kommt daher fast gezwungen zu der Folgerung, daß die milchstrotzenden Mütter so auf den Besitz von Kindern versessen sind, daß sie sich solche gegenseitig stehlen. Anders wenigstens kann ich mir's nicht erklären.

Merkwürdig ist weiter die Tatsache, daß die verliebten Wasserrattenmännchen vor ihren Auserkorenen einen regelrechten Balztanz aufführen. In der Abenddämmerung umkreist das hochaufgerichtete Männchen tanzend sein Weibchen und sucht durch allerlei possierliches Gebaren dessen Wohlgefallen möglichst nachdrücklich zu erwecken. Es folgt ihr in fast rührender Weise und wendet und dreht sich dabei nach allen Richtungen in der lächerlichsten Art, wobei es ganz seine sonst stets große Sorge um die Sicherheit vergißt. Im übrigen durch ihre Nahrung und durch ihre gräßlichen Wühlarbeiten durchaus schädlich, erweist die Wasserratte den Menschen doch insofern einen Gefallen, als sie viele Früchte des Paternosterkrautes verzehrt, das unsere Teiche völlig zu verunkrauten droht. Auch Wasserleichen werden leicht von ihnen angegangen. Krebse packt die Ratte mit großer Geschicklichkeit so, daß sie ihr mit der Schere nichts anzuhaben vermögen, während ihr Krieg gegen Fische und junge Wasservögel zwar manchen empfindlichen Schaden anrichtet, aber in den meisten Fällen sich doch noch ertragen läßt; nur die Zerstörungen im Wasserbetrieb der Teichwirtschaft wirken schon unangenehmer. Dagegen haust die Landform, also die Mollmaus, in den Gärten oft in der abscheulichsten Weise und muß auf den Beeten als eins der schädlichsten Tiere, als einer der übelsten Gäste angesehen werden. Eine besondere Vorliebe hat sie für die Petersilienwurzel, gibt überhaupt den Wurzeln vor den eigentlichen Kräutern den Vorzug. Selbst armdicke Stämme bringen sie durch ihr abscheuliches Genage an den Wurzeln zum Absterben. Fremden Tieren gegenüber zeigen sich die Wasserratten nicht nur mutig, sondern geradezu boshaft, springen Katzen und Hunden tollkühn ins Gesicht und verletzen sie mit ihrem scharfen Gebiß. Auf den Wiesen, wo sie den Graswurzeln nachgraben, werden sie schädlicher als der Maulwurf, im Garten spielen sie dieselbe verheerende Rolle wie der Hamster auf dem Felde, und den Gerbern fressen sie große Stücke aus ihren zum Einweichen ins Wasser gelegten Fellen heraus. Von den Weidenbüschen am Ufer schneiden sie Zweige ab und berauben diese vor dem Fressen der Rinde. Daß sie auch allerhand verpestende Kadaver gemeinsam mit den Krähen vertilgen, müssen wir wohl auf die sonst wenig belastete Haben-Seite ihres Kontos schreiben, alles in allem aber ist die Wasserratte zu unseren schädlichsten Tieren zu zählen, zumal sie bei ihren Plünderungszügen im Wasser auch viel vergeudet. Im Käfig zeigen sie sich bissig und unliebenswürdig.

Unser ausgesprochenes Hochgebirgstier unter den Nagern, das Murmeltier ( Arctomys marmota), habe ich in seinem Freileben an der Grenze des ewigen Schnees leider nie kennengelernt, um so gründlicher aber seinen Vetter und Stellvertreter im asiatischen Rußland, den ungemein putzig und possierlich ausschauenden Bobak ( Arctomys bobac), den ich in erheblicher Menge namentlich bei der bucharischen Stadt Kermineh antraf. Um das Tier hier aufzufinden, braucht man die Stadt gar nicht einmal zu verlassen, denn auch innerhalb derselben finden sich Bobaks genug, so in den zahlreichen verwilderten Gärten des Emirs und seiner Angestellten, namentlich auch auf den Friedhöfen, ohne daß sich jemand deshalb aufregen würde. An solchen Stellen herrscht besonders im Sommer mit Ausnahme der heißesten Mittagsstunden ein lustiges und sorgloses Treiben. Bald hier, bald da kam aus einem der Erdlöcher ein behäbiger Kopf zum Vorschein, blickte aus scharfen, klaren Augen über die nähere Umgebung und fuhr dann mit einem plötzlichen Ruck heraus, um saftige und zarte Kräuter abzuweiden und nach dem Imbiß mit seinen Altersgenossen anmutige Spiele zu treiben. Sie waren hier immer bestrebt, sich vor den zahlreichen Raubvögeln in Deckung zu bringen, die entschieden ihre Hauptfeinde sind, während der Mensch, wenigstens in der Bucharei, ihnen nichts zuleide tut, so daß sie bis zu einem gewissen Grade zutraulich zu dem Herrn der Schöpfung werden. Nirgends sah ich in der Bucharei, daß Bobaks erlegt, nirgends, daß sie auf dem Fleischmarkt angeboten wurden. Im eigentlichen Sibirien ist das freilich anders, denn hier leidet die Bevölkerung bei Winterausgang regelmäßig an starkem Fleischmangel und stürzt sich deshalb mit wahrer Begeisterung auf die Bobakbauten, um sich diese sehr bescheidenen Fleischbissen zu holen. Frauen und Kinder strahlen vor Begeisterung, wenn der Mann am Ausgang des Winters die ersten Murmeltiere von seinen Streifzügen mitbringt, die schleunigst in die Küche wandern, dort aber nach Stillung des ersten Fleischhungers erst eine umständliche Behandlung durchmachen müssen, ehe sie als Festessen gelten dürfen. Denn das zähe, harte Bobakfleisch an sich ist durchaus kein Leckerbissen, vermag es höchstens für einen abgehärteten sibirischen Magen zu werden. Dasselbe gilt eigentlich auch für einen schweizerischen Murmeltierbraten, dessen größter Reiz wohl in seiner Seltenheit und Merkwürdigkeit liegt. Seine Rolle in der Volksheilkunde ist sicherlich größer als seine Beliebtheit in der Küche.

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Bald hier, bald da kommt aus einem der Erdlöcher ein behäbiger Bobak zum Vorschein

In Mittelasien siedelt auch der Bobak in erheblichen Höhen und unterscheidet sich dann kaum noch irgendwie vom Murmeltier, ist aber viel häufiger als dieses irgendwo und vermag deshalb den einsamen Reisenden auf den öden Halden ganz anders zu fesseln, denn er unterhält ihn aufs angenehmste durch seine lustigen Spiele und Tändeleien. Beständig regsames Leben herrscht in den streckenweise höchst betriebsamen Siedlungen, die im August schon wieder mit dem Eintragen der Wintervorräte beschäftigt sind. Abgesehen von der Verschiedenheit der Wohnorte und dem dadurch bedingten Unterschied der Lebensweise stimmen Bobak und Alpenmurmeltier, das etwa Kaninchengröße erreicht, in ihren Lebensgewohnheiten eigentlich völlig überein.

In meiner Jugend habe ich noch öfters die armen Savoyardenknaben gesehen, die mit ihren abgerichteten Murmeltieren kreuz und quer, oft vom Hunger geplagt, durch ganz Deutschland zogen und durch die ulkigen Darbietungen ihrer vierbeinigen Leidensgenossen ein paar Pfennige für sich zu erwerben suchten. Da gingen die Murmeltiere an einem Stock und versuchten auch sonst mancherlei, aber ihre Kunststücke riefen in der Regel mehr Mitleid hervor als Unterhaltung, denn ihnen sowohl als ihrem Herrn war die »Kunst« lediglich ein Mittel zur Abhaltung des Hungers. Man brauchte nur ihre verschlossene Einsilbigkeit und ihre verdrießlichen Gesichter zu sehen, um zu wissen, wie es mit ihnen stand. Die Murmeltiere gaben ihrer schlechten Laune öfters auch mal durch einen nachdrücklichen Biß Ausdruck. Und dabei froren und hungerten beide redlich zusammen, musizierten und tanzten mit knurrendem Magen. Dieser Unfug hat glücklicherweise schon seit geraumer Zeit aufgehört. Die zerlumpten Savoyardenknaben und ihre schwerfälligen vierbeinigen Tänzer sind verschwunden. Auch das bescheidenste Publikum sieht heute lieber possierliche, lustige Affen als griesgrämige, verdrießliche Murmeltiere. Aber noch steht mir die tiefe Enttäuschung im Gedächtnis, die ich beim ersten Anblick der berühmten Murmeltiere empfand. Ich wußte ja, daß sie ausgesprochene Hochgebirgstiere sind, und erwartete deshalb schnittige Rassetiere, kühne Turner, verwegene Bergstürmer. Aber ihr Äußeres zeigt nur allzu deutlich, daß von diesen oder ähnlichen Eigenschaften nichts bei ihnen vorhanden sein konnte. Von ihrer wilden Gebirgsheimat hatten sie nichts, aber auch gar nichts. Plump, fürs Hochgebirge so ungeeignet wie möglich, kamen sie mir vor. Der Hals gedrungen, der Kopf dick, die Schnauze abgestumpft, die kurzen Ohren im Pelze versteckt, so erschienen sie mir fast wie Zerrbilder von Hochgebirgstieren. Und der Gang, dieses ungeschickte Watscheln mit tief herabhängendem Bauch, als käme eine überfette Ente dahergewackelt! Und doch sind es liebe Geschöpfe, bei denen man aber nicht vergessen darf, daß es keine uransässigen Kinder der Alpen sind, sondern daß ursprünglich ihr Verbreitungsbezirk offenbar weit über Deutschland reichte (aus der Nordschweiz sind fossile Reste bekannt), daß sie dann aber unter dem gewalttätigen Einfluß des Menschen aus weiten Gegenden verdrängt und ausgerottet und schließlich ganz auf die Alpen zurückgeworfen wurden, deren eigenartigen Verhältnissen näher sich anzupassen und in alpinem Sinne sich zu entwickeln ihnen bisher keine Zeit blieb. Heute bewohnt das immerhin schon eigenartige Tier nur noch die Alpen, während sein Vorkommen in den Pyrenäen und Karpathen schon zweifelhaft geworden ist. Aus den Vogesen, wo es früher jedenfalls vorkam, ist es schon längst verschwunden. Auch in den Alpen muß seine Verbreitung als recht lückenhaft gelten, und man hätte sein baldiges Aussterben als sicher annehmen können, wenn nicht in neuerer Zeit eine Wendung zum Besseren und eine Erholung der Bestände zweifellos eingetreten wäre. Das ist einerseits dem Verbot des Ausgrabens zu verdanken und andererseits dem Umstand, daß unsere Zeit den Geschmack an der unlohnenden und mühsamen Murmeljagd mehr und mehr verloren hat und man heute eher bemüht ist, die interessanten Tiere da wieder einzubürgern, wo sie bereits verschwunden waren. Solche Bestrebungen sind keinesfalls aussichtslos, wie ja die schönen Erfolge beweisen, die der »Verein Naturschutzpark« auf seinem herrlichen Gelände in den »Hohen Tauern« in den Salzburger Alpen schon nach kurzer Zeit erzielt hat. Auch von anderwärts sind schon Erfolge gemeldet worden. Die Jagd auf einen so unansehnlichen Nager kann ja dem echten Weidmann kaum besondere Freude machen und ist zudem recht unlohnend, während die unweidmännischen Fangarten zwar lohnend sind, ihn aber keineswegs befriedigen können. Da die Murmeltiere sich ausschließlich aus dem Pflanzenreiche ernähren und sich hier an wertlose Alpenkräuter halten, tut der vernünftige Jäger am besten, die armen Murmeln in Ruhe zu lassen. Sie schaden ja niemand, werden aber vielen berg- und wanderfrohen Menschen Freude und Genuß bereiten.

Sie sind aus Zwang Hochgebirgskinder und sind aus demselben Zwang arge Faulpelze. Im Oktober fallen sie in ihren festen und tiefen Winterschlaf, und erst im April kommen sie wieder zum Vorschein, bleiben also ein gutes halbes Jahr im Winterschlaf und genießen ihr fröhliches Wachsein nur 5–6 Monate, unter ungünstigen Umständen noch weniger. In der Schweiz z. B. kennt man eine seit langer Zeit von Murmeltieren bevölkerte Alm, die nur 6–7 Wochen im Jahr schneefrei ist.

Jedes Murmeltier gönnt sich den Luxus zweier Wohnungen, nämlich einer Sommerwohnung hoch oben auf den Bergen und einer Winterwohnung, die weiter talabwärts liegt. In dieser verbringen sie wohlgeschützt den in ihrer Heimat so furchtbaren Winter. Es tun sich dann gewöhnlich mehrere Familien zusammen und verträumen im tiefen, ununterbrochenen Winterschlaf diese unangenehmen Tage, wobei sie in gekrümmter Stellung sich dicht aneinander drängen. Sie verharren dabei in totenähnlicher Erstarrung, das Herz arbeitet sehr langsam. Körperwärme und Atmung sind ganz wesentlich heruntergesetzt, und es bedarf eines bedeutenden Rucks, um sie im Frühjahr diesem Scheintotzustand wieder zu entreißen. Unter der Luftpumpe verzehrten schlafende Murmeltiere nur etwa den 30. Teil des Sauerstoffes, dessen sie im Wachen bedurften Ausführliche Mitteilungen über den rätselhaften Winterschlaf enthält mein Kosmosbändchen: Säugetiere des deutschen Waldes.. Der Abschluß der schlafenden Tiere von der Außenwelt ist recht dicht, denn unmittelbar vor sich verkitten sie noch bindige Erde durch ihren Speichel mit Sand und Steinen zum Verschluß der Mündung zu einem sog. »Zapfen« und verstopfen die ganze Ausgangsöffnung bis auf ein erstaunlich kleines Loch sorgfältig mit Heu und Erde. Es herrscht also im Schlafzimmer ein erheblicher Luftmangel, aber die tief schlummernden Tiere verspüren ihn gar nicht, sondern schlummern ruhig in der umgebenden Stickluft. Erst beim Erwachen, das sehr langsam, gewissermaßen zögernd vor sich geht, werden die Atemzüge wieder sichtbar, und es vergeht geraume Zeit, bis sie ihrer Sinne wieder vollkommen mächtig sind. Im Herbst hatten sie ein tüchtiges Ränzlein Fett mit eingetragen, aber klapperdürr sind sie jetzt geworden, fressen daher die junge Grasnarbe mit wahrer Gier ab, um bald wieder an Gewicht zuzunehmen. Sobald wie möglich geht's dann in die viel kleinere Sommerwohnung hinauf, wo es zwar nur beängstigend kleine Kammern und Schlafräume, aber dafür große, luftige Spielplätze gibt, auf denen man die muffige Luft des Winterquartiers bald vergessen kann.

Nun entfaltet sich ihr bewegtes und fröhliches Sommerleben. Flinke Kobolde steht man allerdings nicht umherhuschen, sondern nur plumpe Philister mit schwappenden Hängebäuchlein, die es neben zartem Grün auch auf würzige Wurzeln abgesehen haben, so z. B. namentlich auf die Nelkenwurz, auf Schafgarbe und Löwenzahn, die sogar manches für giftig geltende Kraut verzehren sollen, jedenfalls immer sehr hastig weiden und dabei von einer aufgestellten Schildwache behütet werden. Jetzt haben sie Gelegenheit, die bewundernswerte Schärfe ihrer Sinne zu beweisen. Ein durchdringender scharfer Pfiff durchgellt plötzlich die Stille des Hochgebirges, und im Nu ist die ganze Gesellschaft in ihren Schlupfwinkeln verschwunden. Es dauert dann lange, bis irgendwo wieder ein Näslein zum Spionieren hervorlugt, und wer es darauf abgesehen hat, Murmeltiere zu beobachten oder gar zu erlegen, der mag sich nur mit Geduld wappnen. Auch ein hundeartiges Kläffen soll man bisweilen, aber selten, von den Murmeltieren hören. Im Frühjahr erwacht die Paarungslust, und 4-6 Wochen später wirft das Weibchen 3-4 Junge, was den einzigen Wurf darstellt. Wir sehen also, daß die unheimliche Mäusefruchtbarkeit sich unter dem verzögernden Einfluß des Hochgebirgsklimas stark verringert hat. Es bleibt ja dort oben gar keine Zeit, mehrere Würfe hintereinander aufzuziehen. Dann macht sich schon bald wieder die Sorge um die Herrichtung der Winterwohnung geltend, und der ganze Wohnsitz wird ein Stück bergabwärts verlegt. Jetzt haben die Murmeln viel zu tun mit ihrer Heuernte. Ich muß dabei immer an das hübsche Märchen denken, das uns der alte Plinius auftischt, wonach die Murmeln ihren Transport dadurch bewerkstelligen, daß sich ein alter Knabe auf den Rücken legt, die gesammelten Heuvorräte mit den Vorderpranken innig umarmt und sich so wie ein Schlitten von den Kameraden zu Tal fahren läßt. Es gibt aber »Naturforscher«, die glauben's heute noch! Aber die abgeriebenen Stellen auf dem Rücken kommen von der furchtbaren Enge der Gänge her, die das Fell mehrmals täglich abscheuern, und die Beförderung des Heus erfolgt in Wirklichkeit mit dem Maule, was freilich auch manchmal seine Schwierigkeiten hat.

Überall bewohnt das Murmeltier nur baumloses, kurzgrasiges Gelände, also hauptsächlich den Gürtel zwischen der Holzgrenze und den Gletschern, bald an manchen Stellen verschwindend, bald in anderen Gegenden neu auftauchend, überall stets von seinen grimmigsten Feinden, den Raubvögeln, bedroht. Ihre Ruheplätzchen müssen vor allem der Sonne möglichst ausgesetzt sein. Wenn Schmalhans Küchenmeister ist, schlottert der Pelz oft geradezu um das Tier herum und gibt ihm ein ganz erbärmliches Aussehen. Die kurzen, plumpen Füße tragen kräftige, aber wenig gekrümmte Nägel, die zum Klettern ganz ungeeignet sind (daher auch die kaum entwickelte Kletterfähigkeit); sie können nur als Schaufeln beim Graben benutzt werden. Dem erstaunlich scharfen Auge entgeht gewiß keine Bewegung, aber das Ohr scheint etwas weniger zuverlässig zu sein, zumal seine Muschel stark verkümmert ist, weil sie das Tier sonst bei seinen Grabarbeiten zu sehr behindern würde.

Zur Haltung von gefangenen Murmeltieren im bürgerlichen Haushalte kann man trotz ihrer Liebenswürdigkeit und Bescheidenheit kaum raten, denn sie haben einen unbändigen Drang, die Kraft ihrer Nagezähne sehr zum Entsetzen der Hausfrau an allem möglichen zu erproben, und was nicht aus Eisen oder Stein ist, ist diesem Gebiß gegenüber verloren.

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Auch in der Neuen Welt ist die Murmeltier-Gruppe würdig vertreten, und zwar durch den im Südwesten der Vereinigten Staaten und in Mexiko massenhaft vorhandenen Präriehund ( Cynomys ludovicianus), der etwa die Größe eines starken Eichhörnchens erreicht und ein ausgesprochenes Charaktertier der weiten Grassteppe ist. In seinem Äußeren zeigt er mancherlei Anklänge nicht nur an die Murmeltiere, sondern auch an die Ziesel, und in der Siedlungsweise erinnert er lebhaft an den Bobak, indem er das weite Wellenland zwischen Felsengebirge und Mississippi mit zahlreichen Siedlungen (Kolonien) bedeckt. Nicht mit Unrecht nennt der Amerikaner diese Dörfer oder Städte, denn sie machen in der Tat den Eindruck weitläufiger niedersächsischer Siedlungen, die Wochenstube, Spiel- und Nährräume für unzählige Mitglieder bieten. So sehr die Präriehunde sich durch ihre bellende Stimme, die dem Gekläff eines kleinen Köters gleicht, auszeichnen, so haben sie doch andererseits gar nichts Hundeartiges an sich, sind vielmehr echte Nagetiere mit allen Charaktereigenschaften von solchen. Der walzenförmige Kopf, die niedrigen Beine, die starken Krallen, die kleinen Ohren und der kurze Schwanz sind wie geschaffen für ein Grabtier, und als ein solches von höchster Eigenart haben wir den Präriehund auch aufzufassen. Ein eigenartiger Geselligkeitstrieb tritt bei ihm in vollendetem Maße in Erscheinung. Zwar bewohnt jedes Pärchen seine eigene Wohnung und lebt in dieser ganz für sich dem eigenen Familienglück, aber trotzdem stehen die Bewohner der einzelnen Baue, die in der Regel 5-6 Meter voneinander entfernt sind, miteinander im engsten freundnachbarlichen Verkehr, besuchen sich gegenseitig, lassen ihre Kleinen aufs artigste zusammen spielen, achten sorgsam auf die Warnrufe der ganzen Siedlung, kurz, sie führen ein gemeinsames und doch wieder nach Familien streng geordnetes Leben. Das Merkwürdige ist, daß man in den Präriehunddörfern sehr häufig auch andere tierische Mitbewohner antrifft, die hier angenehme und sichere Wohnplätze und oft auch hinreichende Nahrung vorgefunden haben. Es sind die gemütlichen Graseulen und die unheimlichen Klapperschlangen, also eine höchst merkwürdige Gesellschaft! Man hat sich früher viel den Kopf darüber zerbrochen, in welchem Verhältnis eigentlich diese so grundverschiedenen Tiere zueinander stehen, wie sie unter so eigenartigen Verhältnissen miteinander auskommen mögen. Bei Ausstopfern kann man oft eine bekannte Gruppe sehen unter dem Kennwort »Glückliche Familie«, zu der alle drei in schönster Eintracht gehören: eine kleine Eule, eine Klapperschlange und der Präriehund. Entkleidet man die Erscheinung alles abergläubischen Beiwerks, so wird man bald finden, daß zwischen Präriehund und Eule ein näheres und freundlicheres Verhältnis besteht. Beide wohnen tatsächlich zusammen, beide kommen dabei auf ihre Rechnung. Die kluge Eule leistet Wächterdienste und erhält dafür einen verlassenen Präriehundbau als bequeme Freiwohnung. Von gelegentlichen Übergriffen abgesehen, vertragen sich beide ausgezeichnet, zumal sie ja nicht auf die gleiche Nahrung angewiesen sind, und es ist ein Märchen, daß die lustigen Präriehunde die Hauptnahrung der finsteren Eule bilden. Zwischen beiden herrscht vielmehr derselbe Friede wie zwischen unseren Steinkäuzchen und den Tauben des Taubenschlages, den sie bewohnen. Wenn die Präriehunde beim ersten Anzeichen von Gefahr unter die Erde geflüchtet sind, setzen sich die Käuze vor den Höhleneingang und geben durch ihr Benehmen deutlich zu verstehen, ob die Gefahr vorübergegangen oder im Steigen begriffen ist. Anders liegt die Sache freilich bei den Klapperschlangen, die in der Tat die vorhandenen Präriehunde als willkommene Beute betrachten. Hier ist also von einem friedlichen Beisammenwohnen keine Rede mehr, sondern so mancher lebensfrohe Präriehund verschwindet im Rachen der Schlange. Von einer Vernichtung ganzer Siedlungsgesellschaften durch das unheimliche Kriechtier kann trotzdem keine Rede sein, zumal jene ihre Fruchtbarkeit als beste Verteidigungswaffe ins Feld zu führen haben. Wohl hält die tückische Schlange unheimlich umfangreiche Mahlzeiten ab, aber dann hat sie auch für einige Zeit genug und beschäftigt sich lediglich mit ihrer Verdauung, mit der die Fruchtbarkeit des Nagetieres getrost wetteifern kann. Verringert können die Präriehunde durch die Schlangen also werden, keineswegs aber vernichtet. Immerhin muß man zugeben, daß der Leidtragende in diesem Dreibund hier das Säugetier ist, während das possierliche Eulchen hauptsächlich von Kleingetier und Kerfen lebt, also niemand dabei ins Gehege kommt.

Die kunstlosen, aber praktischen Höhlen gehen 5–6 Meter tief abwärts, wenden sich dann plötzlich um und steigen wieder aufwärts. Die Tiere sind sehr fleißig bei ihren Grabarbeiten, was man am besten daran sehen kann, daß die ausgescharrte und aufgeworfene Erde an jedem Haupteingang oft eine kleine Wagenladung ausmacht. Dieses Durcheinander von Hügeln gibt der ganzen Landschaft ein sehr eigentümliches Gepräge, und auf der Spitze der ausgeworfenen, bis fast meterhohen Haufen sitzen die lustigen Siedler und betrachten sich wohlgefällig ihr Werk. Sorgen haben sie nicht, denn die Nahrung wächst ihnen ja sozusagen ins Maul, und ihre Zufluchtslöcher werden im Laufe der Zeit so zahlreich, daß sie in ununterbrochener Folge meilenweit den Weg begleiten. Bei den furchtbaren Präriebränden, wie sie in jenen Gegenden oft wüten, verstopfen sie die Ausgänge dick mit Sand und bleiben so vom Feuer unberührt; aber es ist gefährlich, über solche Siedlungen zu fahren oder zu reiten, denn das unterhöhlte Erdreich bricht nur zu leicht zusammen und schleudert den Reiter im Sturze aus dem Sattel, was schon der vielen giftigen Klapperschlangen wegen recht ungemütlich ist. Wurzeln und Halme des Präriegrases bilden die Hauptnahrung der Präriehunde, oft die einzige, denn ob sie sich auch an Kerbtieren vergreifen, scheint noch ziemlich zweifelhaft. Sie sind eben in recht starker Weise dem eintönigen Prärieleben angepaßt. Alle Augenblicke richten sie sich auf den Hinterbeinen hoch, um verdächtige Gegenstände schärfer ins Auge zu fassen oder genauer nach ungewissen Geräuschen hinzuhören. Eine besonders schöne Figur machen sie ja dabei gerade nicht, denn dick und gedrungen erscheint der Leib, plump und plattgedrückt der Kopf, kurz und buschig der Schwanz. Auch ihr Pelzmantel sieht ziemlich schäbig und mitgenommen aus, weil er durch das Schliefen in den engen Röhren mehr oder minder abgenützt wird. Will ein erfahrener Wachtposten eine Gefahr melden, so schlägt er die Vorderpfoten aneinander wie Kinder, die Haschen spielen wollen, und beginnt dann erst mit seinem warnenden Bellen, das sich mit zauberhafter Schnelligkeit durch die ganze Siedlung fortpflanzt, so daß der stille Frieden häuslichen Glückes urplötzlich gestört und von lebhafter Spannung abgelöst ist. Schrecken ergreift das harmlose Volk der Dorfgemeinde, und alles ist im Nu unter der Erdoberfläche verschwunden. Namentlich vor dem Menschen flüchten sie sofort, während sie den weidenden Riesengestalten der Büffel kaum aus dem Wege gehen, sondern sich ruhig und vertraulich unter sie mischen.

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Zwischen die weidenden Riesengestalten der Büffel mischen sich sorglos die Präriehunde

Wasser scheinen die Präriehunde in hohem Maße entbehren zu können, denn an ihren öden Wohnplätzen finden sie oft monatelang nichts als etwas Morgentau. Machen sich die Herbstfröste geltend und wird schließlich sogar die Wurzelnahrung unzugänglich, dann verstopfen die Hunde alle Ausgänge gründlich und verfallen dem Winterschlaf, um erst im Frühjahr wieder aus ihrem Grab heraufzusteigen. Der Pflanzenschaden, den sie anrichten, ist im Umkreis der Kolonie sehr stark, so daß man kein anderes Vieh dort weiden lassen kann. Aber sonst sind es liebe, nette, freundliche und unschädliche Tierchen, deren Verträglichkeit und deren munteres Tun und Treiben jedermann helle Freude machen muß, der noch Sinn für Naturleben hat. Überall spielen die niedlichen Tierchen in der Siedlung herum, machen sich gegenseitig unterhaltsame Besuche und ergattern gern geschätzte Leckerbissen, wie etwa Hahnenfuß-Pflanzen mit ihren schönen, zinnoberroten Blüten. Bei Wohlbehagen wedeln sie fleißig mit ihrem spaßigen Stupsschwänzchen. Gejagt werden sie nur wenig, denn die Sache ist anstrengend und kaum lohnend, so daß sich die Siedlung meist eines ungetrübten Friedens erfreuen kann, bis es schließlich einmal einem Adler einfällt, mörderisch unter die wehrlosen Nager zu fahren.

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Erhaben ist die Wüste bei Tage, grausig und furchtbar bei Sandsturm, berückend schön in der Nacht, im höchsten Grade eigenartig immer. Welch entzückende Erinnerungen verbinden sich mit ihr! Wundervoll die Sonnenuntergänge, die ich vor Jahren in der Transkaspischen Wüste genoß. Der Sonnenball ist gerade im Verlöschen und taucht vorher noch das wirre Gewoge der gelben Sandfluten in tiefstes Purpur, übergießt sie mit zartesten Rosatinten. Totenstille lastet auf der unsagbaren Einsamkeit, bis plötzlich das Geheul des Wüstenfuchses beutegierig die hehre Stille unterbricht und die vor ihrem Todfeinde in weiten Sätzen flüchtenden Springmäuse an uns vorüberhuschen, wie spukhafte Geister einhertanzend im Mondeslicht. Untrennbar sind solche Bilder mit meinen Erinnerungen verwachsen, denn Schöneres habe ich im Leben nie geschaut. Oh, über diese trotz allen Entbehrungen unsagbar köstlichen Minuten naturforscherischen Hochgefühls! Es ist nur eine kleine Mäuseart, die dieses Entzücken hervorruft, und doch ist es so groß und so rein! Es ist der Triumph der Schöpfung über die Bitternisse des Lebens.

Freilich gehören die Springmäuse ( Dipus aegyptius), um die es sich hier handelt, zu den eigenartigsten und merkwürdigsten Geschöpfen, zu den anziehendsten Vertretern des Nagetierstammes. An Mäuse erinnern sie den flüchtigen Blick eigentlich gar nicht, wohl aber in hohem Maße an zwerghafte Känguruhs. Wie bei solchen sind die kräftigen Hinterbeine stark verlängert, die winzigen Vorderbeine ebenso stark verkürzt und werden hochgezogen an der Brust getragen; beide stehen zueinander im Längenverhältnis von 1:6! Weitgehend ist der Bau der Springmäuse dem Leben in der trockenen und nahrungsarmen Wüste angepaßt, und ihr Leib trägt ganz und gar die Merkmale echter Wüstenkinder. Dazu gehört die Sandfarbe des niedlichen Pelzchens, dazu der lange, als Steuerruder dienende Schwanz mit der schönen, buschigen Endquaste, dazu die Entwicklung der kräftigen Hinterbeine zu großartigen Springbeinen, dazu die aufrechte Stellung der oft zerknitterten Ohren zu wundervollen Schallempfängern. Der Blick der großen Augen ist von vollendeter Gutmütigkeit, der Kopf von hasenartigem Gepräge, die winzigen Vorderfüße sind geschickt zum Ergreifen und Festhalten. Schon bei gewöhnlichem Gang sind die Springmäuse rasche und bewegliche Geschöpfe, aber sie werden zu Königen der Bewegung, wenn sie in weiten Sätzen dahineilen, kaum den Boden berührend, Satz auf Satz so schnell, daß man die einzelnen Sprünge kaum noch unterscheiden kann, man ein so blitzgeschwindes Dahinstürmen kaum noch für möglich hält, sondern unwillkürlich ans Fliegen denkt. Ja, es ist ein rasendes Fliegen mit den ausdauerndsten Füßen der Welt, das die zarten Geschöpfchen im Nu aus dem Bereich ihrer zahlreichen Feinde entfernt. Ein Mensch kann gar nicht daran denken, die munteren Springer einzuholen, und auch der schneidigste Jagdhund kann nur ausnahmsweise im beengten Zimmer diese Känguruhmaus schließlich ergreifen, aber auch nur nach längerer Hetzjagd. Wie ein Traum aus Wüstensand erscheint die Springmaus in ihrer unwahrscheinlichen Bewegung. Diese körperliche Gewandtheit hat sie freilich arg vertrauensselig gemacht, und so fallen doch viele ihren zahlreichen Feinden zum Opfer.

Wer jemals Springmäuse in freier Natur unter günstigen Bedingungen beobachtet hat, der wird stets mit innigem Vergnügen an diese merkwürdigen Nager zurückdenken. Namentlich die Beschaffenheit der kräftigen, aber dürren Hinterbeine ist sehr auffallend und merkwürdig. Während andere Nager ebenso viele Knochen im Mittelfuß haben wie Zehen, ist hier nur ein langer Mittelfußknochen vorhanden, an dessen vorderem Ende bei der bekanntesten Art drei dicht nebeneinander liegende kurze Zehen eingelenkt sind. Die zweiteilig behaarte Endquaste des Schwanzes wirkt zur Erhaltung des Gleichgewichts beim Vorwärtsstürmen erheblich mit, und die Haarbürsten auf den Seiten verhindern das Einsinken in den losen Wüstensand und bewahren den flüchtigen Fuß vor dem Ausgleiten auf glattem Gestein. Beim Springen streckt sie den Schwanz gerade nach hinten aus, so daß er als treffliche Balancierstange und als ausgezeichnetes Ruder zugleich dient. Die Behendigkeit ihres Wesens und die liebenswürdige Geschwindigkeit ihrer Natur in Verbindung mit der Schärfe aller Sinne und dem bewundernswerten Springvermögen sind wahrlich ihre stärksten Waffen im Kampfe ums Dasein, denn eigentliche Kampfwaffen besitzen diese harmlosen Geschöpfe ja nicht, sondern verlassen sich ganz auf Schnelligkeit und Sinnesschärfe. Mit den mausartigen Vorderpfoten verstehen sie recht geschickt zu graben, wobei sie stärkere Hindernisse auch mit den scharfen Zähnchen zernagen, aber ihre Röhren sind meist recht seicht, also leicht auszugraben; sie ruhen in ihnen oft in so tiefem Schlafe, daß sie in den Fängen des Raubvogels oder in den Krallen des Raubtieres bluten, ehe sie noch recht zum Bewußtsein gekommen sind.

Die Känguruh-Hüpferei scheint doch eine recht anstrengende Sache für sie zu sein, denn sie liegen danach gewöhnlich volle 12 Stunden im Schlafe und schieben auch in die nächtlichen Rennstunden noch manches Schlummerstündchen ein. Machen sie auch am Tage mal einen Ausflug über Sand- und Kiesboden, so schützt sie dabei besser als alles andere die großartige Farbenanpassung ihres Pelzes. Eine Zeichnung oder ein ausgestopftes Stück kann uns niemals eine richtige Vorstellung des merkwürdigen Wesens geben, dessen Anmut und Zierlichkeit alle Erwartungen übertrifft. Eine ruhende Springmaus gibt ebensowenig eine richtige Vorstellung von ihrer eigentlichen Natur wie das arabische Pferd, das erst außerhalb des Stalles seine Vorzüge im stolzen Laufe zu erkennen gibt. Den mutigen Renner muß man rennen sehen, die Springmaus will in ihrem pfeilschnellen Bogenfliegen beobachtet werden, um eine richtige Vorstellung zu erwecken. Wenn sie am Tage in festen Schlaf versunken ist, kann man sie leicht aus ihren flachen Röhren ausgraben lassen, und wenn ich den arabischen Hirtenbuben sagte, daß mir an Springmäusen gelegen sei, hatte ich am Abend in der Regel 15-20 Stück ohne die geringsten Schwierigkeiten. Die Eingeborenen haben schon von Hause aus eine gewisse Übung in der Übertölpelung dieser harmlosen Tierchen, deren geschmackloses und fades Fleisch sie sehr gern verzehren, obgleich es doch ein winziger Bissen ist, und die Mohammedaner sonst so wählerisch in bezug auf Fleischspeisen zu sein pflegen.

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Springmäuse huschen vorüber, wie spukhafte Geister einhertanzend im Mondeslicht

Neben der fabelhaften Renngeschwindigkeit ist eine geradezu leidenschaftliche Reinlichkeitsliebe der Hauptzug im Wesen der Springmaus. Kaum hat sie sich den Schlaf aus den Augen gerieben, da geht auch schon die Putzerei los, die wetteifernd durch Vorderfüße, Zähne und Zunge betrieben wird, emsig und ununterbrochen, bis jedes Härchen an seinem Platz liegt. So verwenden sie sehr viel Zeit auf das umständliche Putzgeschäft, bei dem sie die vertracktesten Stellungen annehmen können.

Die Wand ihrer Wohnröhren ist keineswegs besonders dicht und daher schon mit einem kräftigen Spazierstocke, noch besser mit einem Araberknüppel aufzubrechen. Die kleinen Jungen sind mit Bauchhaaren der Mutter fein säuberlich zugedeckt. Später können sie hinausgehen zur Nahrungssuche, aber nur dann, wenn das Wetter hübsch still und freundlich ist, denn Sturm und Regen sind ihnen im höchsten Grade zuwider, und sie bleiben dann lieber zu Hause, zumal ja ihr Nahrungsbedürfnis sehr gering ist. Aber eine anständige Abwechslung in der Nahrung wollen sie haben. Früchte und Sämereien aller Art werden sorgsam beschnüffelt und dann aufgenommen, frisches Grün wird verzehrt, auch manches erspähte Kerbtier ergriffen und mit den Vorderpfoten zum Munde geführt. An gefangenen Stücken hat man eine große Vorliebe für Obst beobachtet, das sie mit einer genießerischen Langsamkeit verzehren. Zur Bewältigung einer Weinbeere brauchen sie 7 Minuten, bis sie alles Gute aus ihr herausgequetscht haben! Sie machen durch ihre Reinlichkeit und Sauberkeit förmlich Freude, strömen niemals den geringsten üblen Duft aus, ja selbst ihre körperlichen Ausscheidungen riechen kaum und sind äußerst bescheidener Art. Wahrlich man muß diese Tierchen liebgewinnen, obgleich sie ihren Hauptreiz, das wundervolle Springvermögen, in der Gefangenschaft ja gar nicht entfalten können. Aber der Liebreiz ihres Wesens ist so groß, ihre Zutraulichkeit gegen den Menschen so hinreißend, daß man trotzdem mit ihrem reizenden Gebaren zufrieden ist. Auffallend ist das lächerlich geringe Trinkbedürfnis dieser Tiere auch in der Gefangenschaft. Ein paar Tröpfchen Milch genügen ihnen für die ganze Woche. Wer Freude an kleinen Säugetieren hat, der wähle sich Springmäuse als Stubengenossen, denn sie werden ihm viel Vergnügen bereiten, da sie dem Menschen gegenüber von der ersten Stunde an unendliche Zutraulichkeit bezeigen. Niemals denken sie daran, den Pfleger zu beißen oder sich stürmisch und aufsässig zu erweisen. Sie sind die vollendete Sanftmut! Aber durchaus keine besonderen Geisteshelden! Lieblichkeit bergen sie viel, aber Geistesgaben nur im allergeringsten Maße.

Die starke Verlängerung der Hinterbeine und in Verbindung damit die stummelhafte Verkürzung der Vorderbeine sowie der lange kräftige Peitschenschwanz mit der bezeichnenden Endquaste und den Hasenohren können wir überhaupt bei den Nagern noch häufig beobachten. Da ist z. B. der stattliche Pferdespringer ( Sliotetes jaculus), der Eichhörnchengröße erreicht, und dem Brehm einen »wahrhaft schönen Kopf« nachrühmt, worin ich allerdings eine etwas abweichende Ansicht habe. Die Hinterbeine sind gut viermal so lang wie die Vorderbeine, der Pelz aber rötlichgelb, unten weiß, die eine Hälfte der schönen Schwanzquaste schwarz, die andere hauptsächlich weiß. Auch dieser flinke Huscher hat seine Hauptheimat im asiatischen Rußland, kommt aber auch in den Steppen am Don und in der Krim vor. Durch sein nächtliches Herumstürmen soll er die weidenden Schafe oft arg in Verwirrung setzen. Bei Tage ruht er in seinen Höhlen verborgen, um erst nach Eintritt der Dämmerung zum Vorschein zu kommen. Aber dann ist er als Bewohner der kahlen Lehmsteppen so recht an seinem Platze. Wenn er nach Springmausart dahinjagt, vermag ihn das schnellste Roß kaum einzuholen, zumal er oft schlau genug ist, beständig im Zickzack zu laufen.

Auch beim ruhigen Weiden ist er beständig auf seine Sicherheit bedacht und richtet sich alle Augenblicke spähend auf, um die Umgegend nach Verdächtigem abzumustern, wobei sich aber bald herausstellt, daß das Gesicht nicht gerade sein schärfster Sinn ist. Sobald der Pferdespringer seine unterirdische Wohnung betreten hat, verstopft er sofort alle Zugänge, macht aber gerade dadurch kundige Feinde auf seine Anwesenheit aufmerksam. Wenn er schläft, läßt er sich richtig ausgraben, und gewöhnlich findet man 2–3 Pärchen in engster Nachbarschaft zusammen, obwohl der Pferdespringer sonst keineswegs zu den besonders häufigen Tieren gezählt werden kann. Pflanzenteile aller Art bilden die Hauptnahrung, Zwiebelgewächse werden besonders gerne genommen, auch Eier oder Jungvögel von Steppenlerchen und dergleichen keineswegs verschmäht. Der Wurf der Jungen erfolgt im Sommer in dem gut mit Steppenpflanzen ausgefütterten Nest, und beim Eintritt strenger Kälte verfällt die ganze Familie in Winterschlaf. Gegen Witterungsumschläge scheint das Tierchen besonders empfindlich zu sein und ahnt jeden Wetterwechsel mit Sicherheit voraus. Der Winterschlaf dauert recht lange, etwa von Anfang September bis Ende April. Trotz der Kleinheit seines Wildbrets wird der Pferdespringer doch eifrig verfolgt, denn namentlich die mongolischen Knaben wissen sein Fleisch zu schätzen. Meist zwingen sie die gewandten Tiere durch Eingießen von Wasser zum ungedeckten Verlassen ihrer Baue. Man benutzt sie auch gerne als Arznei, was gewöhnlich auf eine arge Tierquälerei hinausläuft; man steht überhaupt nicht gerade auf gutem Fuße mit den reizenden Geschöpfen. Als Stubentiere werden sie sehr zahm und verblüffend zutraulich, zeigen sich sehr gutmütig, lassen sich aber keineswegs alles gefallen.

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Husch, husch, ein hüpfender graubunter Schatten. Er schlüpft unter den gekrümmten Wurzeln durch, tanzt über das grüne Moos, springt – wie ein kleiner Ball fort – durchs Kraut der Waldbeeren und unter den Büschen durch. Und dann bleibt's am großen Zirbelzapfen hocken, hochaufgerichtet.

Das ist der vom Freiherrn von Kapherr meisterhaft geschilderte Burunduk, das kleine, springende Eichhörnchen, das da am Zapfen zerrt und beißt, um die Nüsse zu erlangen. Emsig arbeiten die kleinen Vorderpfoten, das Köpfchen nickt und wackelt. Nuß nach Nuß wird in die Backentasche geschoben. Und dann hüpft der kleine Kerl mit vollen Backen davon, seinem unterirdischen Baue zu. Die Augen blitzen vor Vergnügen: Ein reiches Jahr ist heuer; es gibt feine Kost! Husch, hinein ins große Loch der Zirbel! Hier ist der Vorratsraum, links vom Eingang, rechts davon der Schlafraum. Hier wird er im Winter liegen und schlafen, bis das Tauwasser murmelt. Ab und zu will es aber seine erworbenen Schätze sehen und sich am Anblick der Zirbelnüsse freuen, denn es ist nicht so asketisch wie der Bär. Gibt es aber Zirbelnüsse, dann braucht man nicht in die Felder der Bauern zu wandern und wie eine elende Ratte in die Scheuern zu kriechen: man ist wohlhabend geworden! Woche für Woche wird gesammelt, endlich sind die Vorratskammern voll, und Freund Burunduk wird bald schläfrig, satt und zufrieden in seinen Bau kriechen können. Er ist ja so reich, er braucht ja mit niemand zu teilen. Seine Angehörigen verschwinden schon im Sommer, einer nach dem andern, den Bruder nahm der Habicht, ehe er noch die Sterbeklage quietschen konnte; die Schwester nahm der Zobel. Vater, Mutter und die übrigen Geschwister verschwanden, aber das kümmert sie weiter nicht. Für die Art ist gesorgt. Zweimal im Jahre gibt's Junge, im Mai und im August, 3-4 auf einmal. Wenn sie auch nicht flattern können, wie die Flughörnchen, wenn sie auch schlechter klettern als rote und graue Eichhörnchen, so macht das alles nichts; sie leben vergnüglich, und heuer sind sie reich, die Vorratskammern sind voll. Ein langer, gewundener Gang führt hinaus; unten gabelt sich das Rohr zu verschiedenen Gängen, zu der Nußkammer, zum Schlafzimmer usw. Ein paar Klafter hoch am Stamme, dann umgedreht, den Kopf nach unten, das Buschelschwänzchen nach oben. Und dann mit dem Schwänzchen gewackelt, und mit den lustigen schwarzen Knopfäuglein geblitzt und einen frohen Ruf ausgestoßen. Aber er klingt klagend, nach Eulenart, wie auch bei manchen andern: Je fröhlicher sie sind, um so trauriger das Lied.

Im Winter gilt's, den Gang hübsch sauber halten von Unrat und Nässe. Erst wird gereinigt; aller Schmutz hinausgeschafft. Dann wird der Vorrat besehen, und zum Schluß wird getafelt, geknuspert und genagt. Und immer so fort, bis der Frühling kommt und bis auch im Eichhörnchen der große Trieb erwacht, der Trieb, dem alles gehorcht. Dann geht's, heidi! Stamm auf und ab, unter Büschen und Sträuchern hindurch. Dann gibt's Kampf und ritterliches Turnier, Beißen und Quietschen. Dann kann auch der niedlichste Burunduk sehr böse werden.

Der Frühling kam, aber Freund Burunduk war nicht böse und nicht verliebt. Da kam nämlich Meister Petz des Weges und schnüffelte nach Zirbelnüssen, grub und scharrte und kratzte und fraß den armen Burunduk samt seinem Reichtum. Ein geringer Bissen; nur halb so groß wie ein Eichkater. Das war der ganze Reichtum.

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Im Mai 1896 verbrachte ich einige ziemlich abenteuerliche Tage in dem wildromantischen, nur selten von Europäern betretenen Grenzgebirge zwischen der Statthalterschaft Merw und Afghanistan. Unsere Unterkunft dort in einem großen Grenzdorfe ließ freilich manches vermissen, und gestaltete sich recht urwüchsig, aber alles wurde mit so natürlicher und herzlicher Gastfreundschaft geboten, daß man sich trotzdem wohl fühlte, zumal wir dort naturgeschichtlich allerlei interessante Genüsse antrafen und im Sammeln von seltenen Tieren schwelgen durften. Mich zog es schon bei Sonnenaufgang gleich am ersten Tage unwiderstehlich hinaus, denn ich hatte einige Wildschafe erspäht, die in dieser menschenleeren Gegend gar nicht besonders scheu zu sein schienen. Während der Präparator zu Hause blieb, um die Beute des gestrigen Tages aufzuarbeiten, machte ich mich frühzeitig auf den Weg, ohne etwas für des Leibes Nahrung und Notdurft zu mir zu stecken, da ich bis Mittag zurück zu sein glaubte. Aber ich hatte ausgesuchtes Pech an diesem an allerlei Zwischenfällen und Abenteuern besonders reichen Tage, und am Abend enthielt meine Jagdtasche nur ein paar seltene Kleinvögel. Die Argalis hatten mich glücklich den ganzen Tag lang gründlich an der Nase herumgeführt, niemals völlig aus meinem Gesichtskreise verschwindend, aber auch niemals eine Annäherung auf Schußweite gestattend. Unverdrossen folgte ich diesen scheuen und sinnesscharfen Tieren bergauf und bergab, oft spitzes Gestein durchkriechend, Hitze, Ermüdung, Durst und Hunger vergessend. Endlich mußte ich notgedrungen abbrechen, denn die Dunkelheit brach herein, und ich wußte ja kaum noch, wo ich mich befand. Mühsam ertastete ich mir durch eine enge Schlucht den Heimweg. Hoch atmete ich auf, als ich endlich eine Straße erreichte, die in weitem Bogen wieder auf mein Dorf zuführen mußte. Neben ihr in dem Felsgewürfel war noch Leben wach. Angestrengt lauschte ich und konnte mir doch keinen Begriff davon machen, welches Getier hier wohl noch so spät sein Wesen trieb. Aber da drang ein deutliches Rasseln und Rauschen an mein Ohr, und da wußte ich, daß es sich jedenfalls um Stachelschweine ( Hystrix cristata) handelte. Na, so ein behäbiges Stachelschwein zum Braten für unsere sehr kärglich bestellte Küche mit heimzubringen, das wäre auch gar nicht so übel gewesen. Ich nahm also hinter einem Felsen Deckung und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Die Beleuchtung war herzlich schlecht, und da fiel mir ein, daß die Eingeborenen den Stachelschweinanstand nicht mit der Flinte ausüben, sondern einfach mit einem tüchtigen Knüppel, den sie im geeigneten Augenblick auf die empfindliche Nase des Tieres niedersausen lassen. So wollte ich's auch machen, das hatte zugleich den Reiz des Originellen. Ich lehnte also die Flinte an den Felsen, bewaffnete mich mit einem derben Feld-, Wald- und Wiesenknüppel und wartete weiter. Das Tier schien nun auch Sehnsucht nach den verführerischen Dorfgärten und ihren Genüssen zu empfinden, denn es kam jetzt arglos näher. Eben tappte es langsam und schwerfällig den Hohlweg unter mir aufwärts, eben schob es seinen kurzen Kopf heraus, da saust mein Stock hernieder, und zugleich ich selbst ziemlich unsanft ins Steingeröll und Dornendickicht, während das Untier überraschend schnell kehrtmachte und mit zornigem Geschimpfe im Dickicht verschwand. Offenbar hatte ich bei der ungewissen Beleuchtung doch nicht genau gezielt (das ruhig einhertrottende Stachelschwein trägt den Kopf weit tiefer, als man mutmaßen sollte), oder der Schlag war nicht kräftig genug gewesen, denn an Körperkraft kann man es mit den Eingeborenen nur selten aufnehmen. Kurz und gut, ich mußte ohne Beute wieder aufkraxeln und sah von dem braven Stachelschwein überhaupt nichts mehr. Zunächst auch nichts von meinem Nachtquartier. Als ich in den finsteren Gassen des Ortes herumirrte, fand ich nur noch ein Fenster erleuchtet, klopfte im Vertrauen auf die oft bewährte russische Gastfreundschaft an und wurde von einer Französin, der Hausfrau des russischen Beamten, herzlich begrüßt. Die beiden braven Leutchen waren offenbar sehr erstaunt über meinen Besuch, ich mußte tüchtig zu Abend essen, und dann gab es ein endloses Geplauder, denn es gehört ja nicht zu den alltäglichen Ereignissen dieser Gegenden, daß ein Fremder zu später Abendstunde so unerwartet ins Haus schneit und die neuesten Nachrichten aus Europa mitbringt!

Später habe ich namentlich in Marokko oft Stachelschweinbraten verzehrt und kann dem wegwerfenden Urteil, das die meisten Europäer über ihn fällen, unmöglich beistimmen, habe ihn vielmehr recht schmackhaft gefunden. Freilich, ich war damals noch jung, abgehärtet und unverwöhnt, und – über den Geschmack läßt sich nicht streiten. Auf den Märkten der nordafrikanischen Städte kamen Stachelschweine vielfach zum Verkauf und fanden immer Liebhaber. Sie wurden ausgeboten in der verschnürten Reusenfalle aus Dornreisig, in der sie sich gefangen hatten und in der sie sich nicht umzudrehen vermochten. Der Name Stachel schwein bezieht sich nicht auf sein Aussehen oder Benehmen, sondern auf seine seltsam grunzende Stimme, die lebhaft an die älterer Ferkel erinnert. Außerdem ist das Tier an seiner für Nagetierverhältnisse bedeutenden Größe leicht kenntlich, denn es ist so lang wie ein Dachs, aber viel höher gestellt, und erreicht ein Gewicht von 15-20 Kilogramm, so daß sich der Braten schon lohnt.

Hang zur Einsamkeit und zur ungestörten Ruhe ist ein Hauptzug im Wesen des Stachelschweines, denn selbst die Gatten trennen sich nach wenigen Tagen schon wieder. Die unterirdischen Gänge der Wohnhöhlen sind weit verzweigt und oft durch die davor aufgeworfenen Erdmassen kenntlich. Die Röhren haben etwa den Durchmesser von Dachshöhlen, und bei Gefahr gräbt sich das Tier immer tiefer in die Erde ein, was mit überraschendem Nachdruck und erheblicher Schnelligkeit vor sich geht. Es sind stets mehrere Eingänge da, die aber alle nach dem Hauptkessel führen. Gern nehmen sie verlassene Schakalhöhlen in Besitz und graben von hier aus weiter. Überrascht man arbeitende Stachelschweine, so stoßen sie in der Angst einen eigentümlich trommelnden Ton aus, klappern dazu schrecklich mit ihrem Stachelkleide, beißen wütend nach dem Gegner und hauen mit den Pfoten grimmig in die Luft. Es ist aber eine alberne Sage, daß sie ihre Stacheln auf den Feind abzuschießen wüßten und ihn zu diesem Zwecke förmlich aufs Ziel nähmen. Zurückzuführen ist diese sonderbare Mär darauf, daß bei ihrem Schütteln und Rasseln wohl hier und da einmal ein Stachel ausfällt und dann unbeachtet liegenbleibt. Der ganze Stachelapparat ist ja keine Angriffswaffe und selbst als Verteidigungswaffe recht minderwertig. Erst dann wird sie wirksamer, wenn es dem Stachelschwein gelingt, sich rechtzeitig wie ein Igel zusammenzukugeln und dem Gegner nun von allen Seiten die dräuenden Stacheln zu weisen. Dann ist ein solcher Stachelklumpen allerdings schwer anzufassen und zu behandeln.

Die biegsamen, dünnen Stacheln erreichen eine Länge von 40 cm, die kurzen und starken dagegen werden nur 15–20 cm lang, aber ½ cm dick. Sie sind in ihrem Innern hohl und können durch kräftige Muskeln aufgerichtet und zurückgelegt werden. Die Unterseite des Leibes ist mit dunkelbraunen, rötlich zugespitzten Haaren bedeckt, die dicke Oberlippe trägt Schnurrhaare, und längs des Halses zieht sich eine schöne Mähne hin. Ihre Nahrung besteht aus allerlei Sämereien, Wurzeln, Knospen, Baumrinde, Gemüse (namentlich Tomaten) und angeblich auch aus Mäusen. Die Getreidehalme beißt es unten, den Mais beim ersten Knoten ab und beraubt sie dann der Körner. Ich habe selbst wiederholt gesehen, daß sie doch recht empfindlichen Schaden anrichten können, obwohl in den meisten Lehrbüchern das Gegenteil angegeben wird, und daß sie schon durch ihre Tolpatschigkeit und Ungeschicklichkeit weit mehr vernichten und zerstören als wirklich fressen, zumal sie auch immer nur das Beste für sich heraussuchen, obwohl sie im Notfall auch mit dem elendesten Zeug zufrieden sind. Eine besondere Vorliebe haben sie für Weintrauben; als Nager verstehen sie sich sogar darauf, Nüsse zu knacken. Zum Verlassen der Höhle und zum Aufsuchen der Nahrungsgründe dienen besondere, im Laufe der Zeit ausgetretene Pfade, auf denen alle hemmenden Hindernisse sorgfältig abgebissen werden. Eben auf diesen Pfaden kann man die Tiere am leichtesten erlauern.

Trotz ihres kriegerisch aufgeputzten Aussehens sind die Stachelschweine eigentlich recht unkriegerische, ich möchte fast sagen, erbärmlich feige Gesellen, deren Stachelgeprassel nur ganz schwache Tiere zu erschrecken vermag, im übrigen sozusagen nichts als leeres Geflunker ist. Alle ihre Bewegungen sind langsam und unbeholfen, der Gang träge, auch der Lauf nicht rasch. Den Tag verträumt das Tier in seinen langen, niedrigen Gängen, um erst bei Sonnenuntergang zum Vorschein zu kommen und seiner Nahrung nachzugehen. Überrascht man es, so richtet es sich scheinbar drohend auf, streckt alle Stacheln steil in die Höhe und klappert durch Schüttelbewegungen in ganz eigentümlicher Weise mit ihnen. Gesicht und Gehör sind ziemlich stumpf, der Geruch zwar etwas besser, der Mut aber gering, und die geistigen Eigenschaften sind anscheinend recht minderwertig. Die Tiere zeigen auch viel Trägheit, Plumpheit, Stumpfsinn und Furchtsamkeit. An ein fröhliches Gejaid etwa wie beim Rehbock oder selbst beim Meister Lampe ist beim Stachelschwein nicht zu denken. Am besten sind sie noch im Scharren bewandert, denn der Lauf ist alles andere denn behende, und zu klettern verstehen sie überhaupt nicht. Trotzdem hat die Stachelschweinjagd in ihrer Heimat viele Liebhaber, die sie mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit ausüben. Man wird eben im Orient jagdlich bescheiden.

Seinem ängstlichen Wesen entsprechend legt das Stachelschwein seine Wohnungen immer weit ab von denen des Menschen an, um in stiller Einsamkeit den Tag zu verträumen, denn von geselligen Unterhaltungen ist es durchaus kein Freund. Im Winter schläft es erheblich mehr, ohne aber einem eigentlichen Winterschlaf zu verfallen. Wenn das Stachelschwein zwei bis drei Junge geworfen hat, zeigt es sich etwas beweglicher und vor allem auch mutiger. Schickt man dann Hunde in den Bau, so stürzt es sich ergrimmt hinaus und sucht sie mit ungeschickten Bewegungen zu vertreiben, während der Vater sich überhaupt nicht um die Kleinen kümmert. Die Jungen kommen sehenden Auges und mit ganz kurzen Stacheln zur Welt, wachsen aber dann sehr rasch, saugen allerdings auch auffallend lange. An jeder Seite der langstachligen Alten hängt eins oder zwei der kurzstachligen Jungen, und so geht es ganz munter vorwärts, wobei etwa sich nähernde Hunde zurückgetrieben werden, indem die zärtliche Mutter in allen Tönen rasselt und prasselt, grunzt und knurrt und sich durch die nach allen Seiten abstehenden Stacheln zu schützen sucht. In der Gefangenschaft zeigen sich die sonst so griesgrämigen Stachelträger unter dem wohltätigen Einfluß liebevoller und geduldiger Behandlung weitaus angenehmer, als man es vermuten sollte. Sie kommen auf Anruf ihres Namens eilfertig herbeigetrippelt und nehmen gern ein gespendetes Zuckerstückchen entgegen, das sie zwischen den Vorderpfoten recht artig verzehren. Aber man kann die Tiere nirgends recht unterbringen, da sie alle Möbel in der scheußlichsten Weise benagen. Früher zogen zerlumpte Italienerjungen mit diesen Wundertieren in ganz Italien herum, um sie einem »hochverehrten Publikum« zu zeigen, womit sie bei dem abenteuerlichen Aussehen der Tiere wohl mehr Erfolg haben mochten als die armen Savoyarden mit ihren Murmeltieren! Es ist wenig bekannt, daß in Süd- und Mittelitalien Stachelschweine verhältnismäßig zahlreich vorkommen, daß sie also zur europäischen Fauna gehören. Eine vom Stachelschwein stammende Bezoarkugel Eigentlich eine Ausscheidung in den Eingeweiden einer persischen Ziegenart. In der mittelalterlichen Heilkunde wurde Bezoar als Arznei verwendet. spielte früher in der Heilwissenschaft eine große Rolle.

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Überrascht man das Stachelschwein, so richtet es, scheinbar drohend, die Stacheln steil in die Höhe

Wie die Springmaus ihre verlängerten Hinterbeine in den Dienst einer ungewöhnlich raschen und stürmischen Fortbewegungsart gestellt hat, so hat das reizende Flughörnchen ( Pteromys volans) zu gleichem Zwecke eine behaarte Haut in Anspruch genommen, die sich zwischen Vorder- und Hinterbeinen ausdehnt und eine Art Fallschirm bildet, während die beschwerenden Backentaschen völlig fehlen. Es vermag mit Hilfe dieses Fallschirms sehr weite und zielsichere Sprünge zu vollführen, muß aber den Nachteil mit in Kauf nehmen, daß es mit ihnen nicht eigentlich fliegen, sondern nur bis zu einem gewissen Grade bergabwärts schweben kann. Immerhin gewährt diese Möglichkeit, die auf ein Leben in den Baumwipfeln verweist, einen starken Schutz, der um so mehr am Platze ist, als sie nur recht ungeschickt klettern können und sich am Erdboden herzlich unbeholfen benehmen. Als ich vor 35 Jahren in Ostpreußen wohnte, hörte ich öfters alte und erfahrene Forstleute erzählen, daß das Tier noch vereinzelt in stillen Winkeln ihres Reviers vorkäme, aber alles nähere Nachforschen blieb erfolglos; ich halte ein spärliches früheres Vorkommen zwar keineswegs für ausgeschlossen, aber heute sind auch die letzten Restbestände wohl schon längst aus der Provinz verschwunden. Ich war dann sehr bemüht, das allerliebste Geschöpf wenigstens auf russischem Boden aufzufinden, aber auch dort waren alle meine Anstrengungen vergeblich. Überall nur unbestimmte Hinweise auf das »Früher«, aber ein Belegexemplar von dort habe ich zeitlebens nicht in die Hände bekommen. Die hübschen Beobachtungen, die Herr v. Loewis gemacht hat, sind eigentlich die letzten sicheren Feststellungen des Flughörnchens am Baltikum. Das Tier, das den Menschen mit seinem lärmenden Tun und Treiben verabscheut, hat sich offenbar ins tiefe Innere des Landes zurückgezogen und geht hier stillgeschäftig seiner gewohnten Lebensweise nach, wobei es sich vom Menschen möglichst fernhält, obgleich es auch manchmal in dessen Parkanlagen kommt. Seine Beobachtung wird übrigens noch dadurch sehr erschwert, daß es einer streng nächtlichen Lebensweise huldigt und nie vor Eintritt der Dämmerung zum Vorschein kommt. Wer sollte denn ein so winziges Tierlein hoch oben in den Baumwipfeln der endlosen Wälder erkennen, selbst wenn es seine Schwebsprünge macht oder ausnahmsweise einmal zum Boden herabkommt? Erst in Sibirien wird es so häufig, daß man es öfters einmal zu Gesicht bekommt. Es bewohnt am liebsten stille Birken- und Arvenwälder, hat es aber gern, wenn diese stellenweise von Fichten und Tannen durchsetzt sind. In solchen Gebieten findet es alles, was es zu des Leibes Notdurft gebraucht: schmackhafte Beeren und würzige Knospen, nahrhafte Nüsse und zarte Birkenkätzchen, und ab und zu kann es sein Leckermäulchen auch an Kerbtieren oder wohl gar an Vogeljungen und Eiern versuchen. Beim Fressen hält es den Bissen in den Vorderpfoten und sitzt auf den Hinterschenkeln wie ein Eichkätzchen, mit dem es in seiner Lebensart überhaupt die größte Ähnlichkeit aufweist, abgesehen von den durch die Flughaut bedingten Verschiedenheiten.

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Das Flughörnchen, das den Menschen verabscheut, vermag sehr weite, zielsichere Sprünge zu vollführen.
Wie ein Fallschirm spannt sich die Flughaut zwischen Vorder- und Hinterbeinen, und schwebend läßt sich das Tier herab.

Wie die meisten Nagetiere ein ausgesprochener Reinlichkeitsfanatiker, verbringt es nach dem Erwachen zunächst geraume Zeit mit Putzen und Kämmen des Haarkleides, steigt dann langsam bis zur Wipfelspitze empor und läßt sich von hier aus mit Hilfe des ausgebreiteten Fallschirmes in schräger Richtung herabfallen, wobei es jedesmal 20 bis 30 Meter zurücklegt. Bisweilen steht man die putzigen Dinger auch am Tage herumlaufen und kann sich dann nach Herzenslust an ihrem reizenden Gebaren ergötzen, aber gewöhnlich schlafen sie dann sanft in ihren Nestern, die sie sich in einer Baumhöhlung oder in einem alten Raubvogelhorst zurechtgemacht haben. Schon ihre großen, schönen Augen sind ja deutliche Hinweise auf eine überwiegend nächtliche Lebensweise. Im Winter wird Winterschlaf gehalten, dieser aber bei schönem, mildem Wetter öfters unterbrochen. In einer mit zartem Mulm gefüllten und mit Moos verstopften Baumhöhle kommen zwei bis drei Junge zur Welt, die lange Zeit nackt und blind bleiben und sich auch später nur sehr langsam entwickeln. Bei dem frühen Winter ihrer Heimat bekommen sie höchstens zwei Würfe hoch, und diese schwache Vermehrung dürfte in Verbindung mit den zahlreichen Feinden und der lebhaften Verfolgung durch die Menschen schuld daran sein, daß die Flatterhörnchenbestände nicht zu-, sondern beständig abnehmen. Die Sibirier verfolgen den niedlichen Nager hauptsächlich aus Sportgründen, denn eine andere Ursache ist kaum einzusehen, da weder das weichhäutige Fell noch der winzige Fleischbissen etwas wert sind. Während des Tages hüllt die sorgsame Mutter die Jungen in ihre Flatterhaut ein, um sie besser wärmen und leichter säugen zu können. In der Gefangenschaft machen sie sich sehr gut, bekunden mit ihren schwarzen Augen eine rührende Anhänglichkeit und haben nur den großen Nachteil, daß sie leider fast niemals im Tierhandel zu haben sind, heute weniger als je.

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Die Springmäuse haben zur raschen Überwindung großer Strecken ihre ausdauernden Känguruhbeine, erscheinen uns in mehr als einer Hinsicht wie halbe Vögel; die Flughörnchen haben eine behaarte Flughaut, mit der sie bergabwärts richtig schweben können, aber es gibt auch kleine Nagetiere, die, wie die Vögel, richtige Fernwanderungen vollführen, ohne dazu in irgendwelcher Weise besonders ausgerüstet zu sein. Höchstens mit einer ganz erstaunlichen Willenskraft und mit einem Zielbewußtsein sondergleichen. Sie sind vielleicht die allerwunderbarsten von diesen wunderbaren Geschöpfen. Es sind die buntscheckigen Lemminge ( Myodes lemmus) des Nordens, über deren rätselhafte Wanderungen man sich schon so viel den Kopf zerbrochen hat. Sie müssen gewissermaßen immer auf Schusters Rappen reisen und zeigen dabei eine unermüdliche Ausdauer. Machen wir uns zunächst einmal mit dem Aussehen und der Lebensweise der nur 15 Zentimeter großen Lemminge etwas näher bekannt. Die putzigen Tierchen mit dem winzigen Stummelschwänzchen, dem gedrungenen Leib, den niedrigen Beinchen, dem kurzen Schnäuzchen und der buntscheckigen Färbung erinnert stark an Hamster, mit denen sie auch im Charakter viel Ähnlichkeit haben, und stellen gewissermaßen die Hamster unter den Wühlmäusen dar. Wer nun aber in einem beliebigen Jahre nach dem Norden reisen wollte, um dort nach Herzenslust Lemminge zu beobachten, der wird in den allermeisten Fällen eine arge Enttäuschung erleben. Er wird gar keine oder nur ganz wenige Lemminge zu sehen bekommen und wird froh sein können, wenn er einen einzigen, den ihm irgendein Hirtenbube zugetragen hat, mit nach Hause nehmen kann. Von den weltberühmten Massenwanderungen keine Spur! Wir dürfen nicht vergessen, daß die Lemminge zu gewöhnlichen Zeiten ausgesprochene Nachttiere sind, und daß sie in ihrer Heimat nur ganz bestimmte Höhengürtel bewohnen, von denen sie sich nicht leicht entfernen. Es sind die kahlen Flächen zwischen der Nadelwaldregion und dem Flechtengürtel, die vielleicht nur noch mit einigen Birken und Grauweiden bestanden sind. Je mehr wir nach Norden vordringen, um so mehr werden solche Nahrungsgürtel, in denen ja von irgendwelchem Schaden der Lemminge keine Rede sein kann und die ihnen alles Nötige im Überfluß liefern, in ihrer Höhenlage herabsteigen, umgekehrt im Hochgebirge um so mehr emporsteigen, je weiter wir uns nach Süden begeben. Mit ihren lustigen, kleinen, im schwarzen Kopffell versteckten Augen finden die Lemminge auch in der ödesten und trostlosesten Gegend immer Nahrung im Überfluß, denn Kostverächter sind sie wahrlich nicht und nehmen mit allem vorlieb, was ihnen vor die Schnauze kommt.

Die Tiere, von deren braungelber Grundfärbung sich dunkle Flecke wohltuend abheben, während die Unterseite gelblich-weiß gefärbt ist, graben sich kleine Höhlungen unter Steinen oder im Moos, größere im Schnee und zeigen sich fast nur in den Nachtstunden. Im Schnee errichten sie sich große, dickwandige Nester aus zerbissenem Gras und haben mehrmals im Jahre 5–6 Junge, die mit großer Sorgfalt betreut werden, denn die Zahl ihrer Feinde ist ungeheuer, und der Lemmingbestand kommt deshalb viele Jahre lang nicht über ein sehr bescheidenes Maß hinaus. Ihr tollkühner Mut ist eine sehr bezeichnende Eigenschaft und macht sich namentlich bei den Wanderungen geltend. In die Enge getrieben, scheuen sie selbst vor dem Menschen nicht zurück, und dem berühmten Naturforscher Brehm haben sie sich derartig in die Beinkleider verbissen, daß er diese erbosten Nager kaum wieder loswerden konnte. Zum Dank dafür hat er eine überaus reizvolle Schilderung ihres Tuns und Treibens veröffentlicht und ihr oft rätselvolles Leben darin mit den buntesten Farben gemalt. Es fanden gerade damals die Anfänge einer großen Wanderung statt, und so gab es für den reisenden Gelehrten Stoff in Hülle und Fülle. Schon vor zwei Jahrhunderten hat uns Linné mit einer so köstlichen und ausführlichen Schilderung der Lemmingzüge erfreut, daß eigentlich wenig mehr beizufügen blieb. Aber später wurden genau beobachtete Lemmingzüge so selten, daß mancher kritische Forscher schon sehr geneigt war, sie auf das Gebiet des Jägerlateins zu verweisen. Glücklicherweise brachte dann die Neuzeit wieder genaue Nachrichten über große Lemmingwanderungen, und die eingehenden Schilderungen, die namentlich der Russe Pleske und der Schwede Collett davon entworfen haben, konnten unsere Kenntnis vom Wesen dieses Wanderns um manche neue Züge bereichern. Trotzdem bleibt der Kern der Frage auch heute noch in undurchdringliches Dunkel gehüllt, und alle Erklärungsversuche sind immer nur auf Einzelheiten anwendbar. Halten wir uns an die vorläufig festgestellten Tatsachen, und räumen wir ruhig ein, daß diese zu einer völlig ausreichenden Erklärung nicht genügen, sondern daß hier noch ein weites Feld völliger Aufklärung harrt. Vergleiche der Lemmingwanderungen mit dem ja auch erst zum allergeringsten Teile erforschten Vogelzug liegen nahe, denn beide Tierklassen haben dabei manches Ähnliche, aber auch sehr viel Unähnliches, was vor allem darin begründet ist, daß die Säugetiere ja keine Flügel haben, also auch nicht so große Strecken bewältigen können, und daß ihrem Ausbreitungsdrang durch die Meere immer enge Grenzen gezogen bleiben.

Jahrelang hat die kleine Lemmingskolonie in den unwirtlichsten Gegenden Lapplands ein kaum beachtetes Dasein geführt. Plötzlich zeigen sich ihre Vertreter in nie gesehener Häufigkeit. Sie bringen in solchen »Lemmingsjahren«, von denen man dort spricht wie anderswo von Mäuse- oder Heuschreckenjahren, größere und häufigere Würfe als sonst, so daß ihre Zahl erstaunlich und mit rasch steigenden Massen zunimmt; die Zahl der Jungen in jedem Wurf wird größer. Worauf das eigentlich zurückzuführen ist, worin die dann einsetzende Wanderung begründet liegt, das wissen wir nicht. Nahrungsmangel ist es sicher nicht, denn die bescheidenen Gräser und Alpenpflanzen, von denen sich die Lemminge nähren, gibt es dort in solchem Überfluß, daß auch die zehnfache Anzahl satt werden könnte. Haben sie vielleicht Abscheu vor der eigenen Unmasse? Aber dann brauchten sie ja nur in kleinen Trupps zu ziehen und könnten sich in höherem Maße zerstreuen. Kurz und gut, eines schönen Tages bricht die Wanderung los, und alles, was von Lemmingen im Umkreis vorhanden ist, schließt sich ihr an. Alle kennen von diesem Augenblick an nur noch das eine blindwütende Gebot, in der gewählten Richtung so rasch wie möglich vorwärts zu kommen, mag auch auf der auserkorenen Marschlinie der weitaus größte Teil der Wanderer schnurstracks ins Verderben rennen. Bilden sie auch nicht oder nur an besonderen Punkten so dicht geschlossene Massen, wie man sie gewöhnlich abgebildet sieht, so wandern sie doch in aufgelockerten Scharen, so daß man immer etwa 10–25 Stück gleichzeitig zu überblicken vermag. Wohin geht die Reise? Sie wollen offenbar in mildere Gegenden gelangen, in die Nähe des Meeres, müssen also bergabwärts ziehen. Nun verlaufen aber die skandinavischen Alpen fast durchgängig in nordsüdlicher Richtung, also stellen sich die Wanderlinien der Lemminge fast senkrecht dazu in östlicher oder westlicher Richtung ein und erreichen so auf dem kürzesten Wege das Gestade, das ihnen keine Verheißung, sondern die Vernichtung bedeutet. Etwas anders gestalten sich diese Verhältnisse in Asien, denn hier verlaufen die meisten Gebirge ost-westlich und demgemäß die Zugstraßen der Lemminge nach Norden oder Süden. Diese Grundlinien liegen fest. Auf ihrer Abwärtswanderung kommen die Lemminge auch bald in bebaute Gegenden, und hier richten sie empfindlichen Schaden an. Üppige Fluren betreten sie, und ausgeplünderte Wüsten lassen sie hinter sich. Zugleich müssen sie aber allem Raubgesindel ein großes Fest liefern, denn in Lemmingsjahren sind diese bunten Hamsterchen die Haupt-, ja oft die einzige Speise alles gefiederten und vierbeinigen Raubzeugs. Schwebend und stoßend begleiten Unmengen von Raubvögeln und Eulen den Zug, der sich jetzt auch am Tage abspielt, Füchse und Vielfraße, Raben und Krähen folgen unermüdlich seiner Spur. Die Hunde fressen sich voll bis zum Platzen, und die Katzen sind schließlich derart übersättigt mit der leicht erlegbaren Beute, daß sie eine Art Widerwillen dagegen bekommen.

Was nützt bei einem solchen Zug die heldenhafte und mutige Gegenwehr vereinzelter Lemminge! Sie halten schnurgerade ihre Richtung ein und lassen sich durch nichts, aber auch durch gar nichts davon abbringen. Hindernisse werden umgangen oder überstiegen, breite und reißende Ströme durchschwommen, mag auch die Hälfte dabei ertrinken. Nur Sümpfe und Wälder werden auch jetzt gemieden, denn sie sind der ganzen Natur der Lemminge zu sehr zuwider. Kleiner und kleiner wird unter solcher ständigen Bedrängnis doch die Wanderschar, und es ist schließlich nur noch ein kümmerlicher Rest, der die Meeresküste erreicht. Mich erinnert dieses blindwütige Drauflosstürmen lebhaft an den Zug der dummen Tannenhäher oder an den der Steppenhühner, von denen keins die Heimat wiedersieht. Woher dieses Drängen, wohin das Ziel, welches der Zweck? Rätselhafte Selbstmordmanie muß schließlich zur Vernichtung führen. Und doch bleibt immer noch ein winziges Restchen übrig, das endlich wieder umkehrt vor den unfreundlichen Wogen und mit letzter Kraft das geliebte Gebirge wieder zu gewinnen sucht. Grausame Seuchen zehren bis zu fast völliger Vernichtung auch diese Restbestände auf, und wenn überhaupt, so kommen sicher nur vereinzelte Trümmer des großen Heeres in die Heimat zurück. Dann können oft Jahrzehnte vergehen, bis sich dieser Lemmingsstamm von neuem kräftig genug fühlt zu einer solchen selbstmörderischen Auswanderung. Viele Rätsel sind hier noch zu lösen, und ich glaube, daß eine restlose Aufklärung auch zur Erforschung mancher Vogelzugsfragen wesentlich beitragen könnte. Ich will nicht verhehlen, daß mir das Benehmen wandernder Lemminge überhaupt einen sehr krankhaften Eindruck macht. Die Möglichkeit scheint mir naheliegend, daß diese Tiere schon vor Antritt ihrer großen Reise ernstlich erkrankt sind und die ganze Reise unter dem Eindruck dieser Erkrankung machen. Hier könnte nur ein geschulter Bakteriologe als Mitarbeiter des Tierforschers die nötigen Feststellungen machen. Sie haben meiner festen Überzeugung nach die besten Aussichten!

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Geheimnisvoller Lemmingszug! Schnurgerade hält er die einmal eingeschlagene Richtung ein, Hindernisse werden überstiegen, Ströme durchschwommen

Man hat immer seine besondere Freude, wenn man irgendwo in der weiten Welt ein paar Deutsche trifft und mit ihnen über ihre Pläne und Aussichten, über die schon erzielten Erfolge oder erlittenen Mißerfolge offen plaudern kann. Wieviel schöne Hoffnungen, noch verbrämt von frischer, jugendlicher Begeisterung, kann man dabei kennenlernen! So war ich im Frühjahr 1894 entzückt, unweit Aleppo in Syrien ganz unvermutet einige junge Deutsche zu treffen, die dort mit anscheinender Aussicht auf Erfolg nach Petroleum gruben. Sie stammten alle aus der Lüneburger Heide, wo sie gleichfalls schon nach Erdöl gegraben hatten, und wollten die Sache nun einmal auf türkischem Gebiet versuchen. Prächtige Burschen, echte Germanentypen, schlank und hoch gewachsen, blondhaarig und blauäugig. Wir haben schöne Stunden in der kleinen Siedlung verbracht und machten natürlich auch fleißig Ausflüge zusammen zur Erforschung der Tierwelt. Da gab es mancherlei zu beobachten und zu schauen. Einmal gerieten wir in ein sehr zerschnittenes, wild zerklüftetes Gelände, in dem wir uns nur mühsam vorwärtszubewegen vermochten. Plötzlich rief mir einer der Herren zu: »Doktor, ein Säugetier! Kommen Sie schnell her!« Auf diese lockende Aufforderung eilte ich natürlich hinüber und stand in einem tief eingeschnittenen Hohlwege, dessen Wand zahlreiche Nischen aufwies. In einer dieser Nischen lag wirklich das hamstergroße »Säugetier« und schlief im warmen Sonnenschein den Schlaf des Gerechten, hatte sich aber soeben ermuntert und wies drohend seine fabelhaft langen Nagezähne. Vergebens suchte ich nach den doch jedenfalls sehr grimmig blitzenden Augen, und da fiel mir rechtzeitig ein, daß es ja auch eine sog. Blindmaus ( Spalax typhlus) gibt, die mit ihren winzigen, unter der Haut liegenden Augen überhaupt nicht zu sehen vermag, also tatsächlich blind ist. Im Gegensatz zu Flatterhörnchen und Springmaus haben wir also hier ein Tier vor uns, das nicht nur keine besonders angepaßten Sinnesorgane hat, sondern das sogar eines der wichtigsten, das Gesicht, völlig entbehrt. Und trotzdem kommt es gut durch sein unterirdisches Dasein und weiß seinen Platz im Kampf aller gegen alle sehr wohl zu behaupten. Es muß übrigens, wahrscheinlich in dem hellen Backenstreif auf dem sonst gleichmäßig dunklen Fell, sehr empfindliche Nerven haben, denn als ich es mit der Hand tastend umkreiste, um einen günstigen Augenblick zum Zugreifen zu erspähen, da folgte es haarscharf mit seinem Dickkopf, dessen grimmig gefletschte Nagezähne einen reichlich abschreckenden Eindruck machten, jeder meiner Bewegungen, und es dauerte lange, bis ich einen raschen Zugriff wagte und spornstreichs mit meiner wütend fauchenden und abschreckend häßlichen Beute nach Hause eilte.

Damals habe ich die Blindmaus zum ersten Male in freier Natur gesehen, aber spätere Beobachtungen belehrten mich hinlänglich, daß ich dazu gar nicht so weit hätte zu reisen brauchen, denn man findet das Tier auch auf europäischem Boden, so namentlich in gewissen Teilen Ungarns und Galiziens, aber nur in fruchtbaren Gegenden, die ihm reichliche Nahrung versprechen. Die Blindmaus wirft ähnlich wie der Maulwurf, mit dem sie überhaupt viel wesensverwandte Züge gemeinsam hat, von ihren dicht unter der Erdoberfläche hinführenden Beutegängen aus flache Erdhaufen auf, die aber einen größeren Umfang haben als die Haufen des schwarz bepelzten Einsiedlers. Bei ihren Grabarbeiten, die sie am liebsten bei gutem Wetter und Sonnenschein vollführt, benutzt sie fleißig auch die Zähne, um hinderndes Wurzelwerk zu beseitigen. Bei drohender Gefahr verschwindet sie in der Regel schleunigst und zeigt dabei trotz ihrer sonstigen Täppischkeit viel Geschick und Geistesgegenwart, hört und wittert übrigens recht gut und vermag dadurch das mangelnde Gesicht einigermaßen zu ersetzen. Wahrscheinlich ist auch ihr Gefühlssinn recht gut entwickelt. Hat sie keine Zufluchtsstätte in der Nähe, so erwartet sie mutig den Angriff und setzt sich mit ihren riesenhaften Nagezähnen so nachdrücklich zur Wehr, daß man die schmerzhafte Erinnerung daran noch lange behält. Wurzelwerk, im Notfälle auch Baumrinde, bildet die Hauptnahrung, aber der Schaden ist gering, da die Blindmaus Stille und Einsamkeit liebt, also sich von besiedelten Gegenden möglichst fernhält. Die Nester sind aus feinstem Wurzelwerk zusammengefügt und enthalten im Sommer 2–4 Junge, die in aller Stille sorgsam betreut werden. Ein Winterschlaf wird anscheinend nicht gehalten, auch werden keine Nahrungsmittelvorräte eingesammelt. Die Russen schreiben dem unheimlichen Tier allerlei Heilkräfte zu.

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Ein alter, lieber Freund und Spielgefährte unserer Kinderjahre ist das Meerschweinchen ( Cavia porcellus), das zwar in vielen Kinderstuben wohlgelitten war, über dessen Herkunft und Abstammung aber man lange im Dunkeln tappte, weil man seine richtigen Stammeltern nicht wiederfand. Heute wissen wir, daß diese in Peru heimisch sind, und schon bald nach der Entdeckung Amerikas von dort zu uns gebracht wurden. Ihrer auffallenden Buntheit mit der dreifarbigen Scheckung verdanken sie wohl vor allem ihre Beliebtheit bei den Kindern, nicht minder aber auch ihrer geradezu rührenden Gutmütigkeit und Harmlosigkeit. Einen trockenen und sauberen Stall wollen sie haben, aber sonst ist ihre Anspruchslosigkeit geradezu rührend. So sind sie die geborenen Spieltiere, wie sie es auch schon bei den Indianerkindern waren. Sie schicken sich in jede pflanzliche Nahrung und können das Wasser im Notfälle lange entbehren, trinken aber leidenschaftlich gern Milch, falls ihr Futterherr ihnen solche verabfolgt. Im Spiel läßt sich das Meerschweinchen viel gefallen und erträgt selbst Mißhandlungen mit Gleichmut. Seine Stimmlaute klingen bald behaglich murmelnd, bald erregt quiekend. Dann erinnern sie an die der Schweine – daher der Name. Einer ihrer Hauptvorzüge ist, wie bei vielen Nagern, die große Reinlichkeit und die hingebende Zärtlichkeit. Fortwährend haben sie ihr hübsches Fellchen zu striegeln und zu putzen und können sich darin nicht genug tun. In der ganzen Gesellschaft herrscht viel Liebe und Anhänglichkeit, und solange nicht der Besitz irgendeines besonderen Leckerbissens in Frage kommt, wird der tiefe Friede, der zwischen ihnen herrscht, nur ganz ausnahmsweise gestört. Nur dem Zorn, den Beißereien und Leidenschaften der Paarungszeit ist auch das sanfte Meerschweinchen unterworfen. Die Fortpflanzungsfähigkeit ist sehr groß. Die Jungen kommen gleich mit offenen Augen zur Welt und sind schon wenige Stunden später imstande, die Mutter auf ihren Streifzügen zu begleiten. Schon vom zweiten Tage an greift alles bei den Mahlzeiten gehörig zu, wobei anfangs natürlich weichere Stoffe bevorzugt werden. Trotzdem spendet die liebevolle Mutter während der ersten 14 Tage auch reichlich Milch. Mit 8–9 Monaten sind die Jungen vollständig ausgewachsen. Als geistig besonders begabte Tiere kann man die Meerschweinchen trotz ihrer ausgesprochenen Neigung zur Zahmheit eigentlich nicht bezeichnen: sie sind mehr ängstlich als zahm, und unterscheiden gewöhnlich nicht einmal ihren Futterherrn von anderen Menschen. Von ihren Zähnen oder Krallen machen sie auch dem kleinsten Kinde gegenüber nie Gebrauch, sondern sind aller Welt bester Freund, legen auch vielen Gegenständen gegenüber die vollkommenste Gleichgültigkeit an den Tag. Als wirklich schädlich kann man die netten Tierchen auch nicht bezeichnen. Viele Menschen aber werden sich dankbar ihrer ersten Meerschweinchen erinnern, denn sie sind es, die unsere Liebe zu den Tieren erweckt haben.

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Einschläge in die auf russischem und sibirischem Boden weit stärker und eigenartiger entwickelte Nagetierfauna des Ostens haben wir auch in Deutschland, und ich möchte da namentlich das Ziesel ( Spermophilus citillus) anführen, das uns in vieler Hinsicht an Bobak und Präriehund erinnert. Ich habe es namentlich in den östlichsten Teilen der Provinz Schlesien kennengelernt, wo aber der Bestand stark wechselte. Weit hübschere Genüsse boten sie bei Wien, wo sie offenbar seit Jahrzehnten fest ansässig waren, eine große Siedlung am Praterende dicht beim sogenannten Lusthaus hatten und sich hier ihres Lebens freuten. Allenthalben sah man die niedlichen Dinger herumhuschen, die fast alle Scheu abgelegt hatten und sich hier zutraulich vor den Augen der Menschen tummelten. Auch weit westlich davon kommen die netten Tierchen noch vor, sind aber um so häufiger, je mehr die Landschaft poetischen Charakter trägt. Der gutmütige und tierfreundliche Wiener mag sie gern leiden und tut ihnen nichts zuleide, bringt ihnen im Gegenteil öfters einige Leckerbissen mit. Ihre ausgesprochene Vorliebe für sandigen Lehmboden tritt in der Wahl der Wohnplätze deutlich zutage, und nur das muß vielleicht hervorgehoben werden, daß die Praterziesel sich nichts daraus machen, wenn auch höhere Bäume in unmittelbarer Nähe stehen, denn im allgemeinen meidet das Ziesel Baumwuchs durchaus. Dagegen liebt es Grasflächen und die Nähe von Ackerfeldern, will im Boden gut graben können und vor dem Einbruch von Wassermassen geschützt sein. Der länglichrunde Wohnkessel liegt über 1 Meter tief unter der Erdoberfläche, wird aber nur im gleichen Jahrgang benutzt und dann für den Winterschlaf dicht verstopft. Die Jungen nehmen oft wieder alte Baue in Beschlag, wenn sie sich selbständig machen wollen. Es läßt sich nicht leugnen, daß auch das Ziesel manchmal argen Schaden anrichtet, aber der Wiener gönnt ihm seine immerhin bescheidenen Bissen, und so steht es sozusagen unter dem Naturschutz der ganzen Bevölkerung der schönen Donaustadt, wodurch es jedenfalls besser behütet wird als durch einen ganzen Wall von Naturschutzparagraphen. Vor seinem Baue läßt das Tierchen in der Regel Harn, dessen stark stechender Geruch bald zum Verräter des unterirdischen Bewohners wird. Gern schleppt es allerlei glänzende Gegenstände, namentlich kleine Stückchen Porzellan, in seine Behausung und hat seine Freude daran. Auch gefangene Ziesel machen sich damit einen erwünschten Zeitvertreib. Seine Grabfähigkeit ist erstaunlich und fordert manchmal geradezu die Bewunderung heraus. Es ist äußerst unterhaltsam, sie dabei eingehend zu beobachten, denn überall schnuppern ihre niedlichen Köpfchen zu den Wohnbauten heraus, überall laufen sie wie kleine Murmeltiere hin und her, überall machen sie ihre netten Männchen, naschen und spielen oder warnen mit gellendem Pfiff vor dem kreisenden Raubvogel. Im Notfall stürzen sie sich kopfüber in ihre Fluchtröhren. Die Stimme klingt lebhaft an die des Kirschkernbeißers an. Eingesammelte Vorräte schleppt das Ziesel in seinen weiten Backentaschen nach Hause, ist aber auch Mäusen und Singvögeln gegenüber keineswegs harmlos. N«ach Beendigung jeder Mahlzeit geht ein unendlich sorgfältiges Putzen vor sich, denn das ganze Fellchen wird gründlich gebürstet und gekämmt.

Im Frühjahr gibt es nach 25–30tägiger Tragzeit zweimal Junge, die von den Eltern zärtlich geliebt und verhätschelt werden, aber auch unendlich viele Feinde haben. Schlimmer als diese spielen ihnen jedoch naßkalte Winter mit. Man muß sie möglichst trocken füttern, um sie bei gutem Wohlbefinden zu erhalten.

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Wir sind am Schlusse unserer anspruchslosen Plauderei angelangt, und wer sie einigermaßen aufmerksam gelesen hat, wird sich darüber wundern, daß wir gerade über die bekanntesten und volkswirtschaftlich wichtigsten Nager eigentlich kein Wort gebracht haben, also z. B. über die eigenartige Gruppe der Bilche ebensowenig etwas erzählten wie über den Baukünstler Biber, über die unverschämte Wanderratte ebensowenig etwas wie über die schönbepelzte Chinchilla. Der Grund dafür ist lediglich darin zu suchen, daß ich alle diese Nagetiere schon in früheren Kosmosbändchen Vergleiche die Kosmosbändchen: Säugetiere des deutschen Waldes. Zwischen Keller und Dach. Aussterbende Tiere. Säugetiere fremder Länder. ausführlich behandelt habe und nicht in Wiederholungen verfallen möchte. Das vorliegende Bändchen behandelt deshalb hauptsächlich solche Nagetiere, die durch irgendwelche Eigenschaften besonders merkwürdig sind, aber noch nicht eingehend von mir behandelt wurden.

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