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Es war eine jener erwartungsschweren Nächte, deren Stille quälend bis zur Unerträglichkeit ist, eine jener Nächte, in denen die ganze Welt den Atem anzuhalten scheint, um sich auf etwas Ungeheures vorzubereiten, eine kühle blaue Septembernacht ohne Leben und voller Bangigkeit. Kalt und bewegungslos hing der Mond in dem gleichsam erstarrten Reigen der mattschimmernden Sterne.
Die Welt verlor in der toten, unendlichen Stille alle Grenzen und dehnte sich zu einer ungeheuern, erdrückenden Größe aus. In dieser uferlosen Unendlichkeit war das gewaltige friedländische Lager nur wie der Pferch einer Herde, den die Wölfe umkreist haben, waren all die bewaffneten Massen nichts als ein Häuflein armer Menschen. Die Stille zog über den Köpfen der Tausende ihre Kreise wie ein Raubvogel, von dessen Nähe alle bis auf Fiber und Faser erregt waren, ohne ihn zu sehen.
Das Häuflein Menschen lag auf der Lauer gegen den unsichtbaren Feind. Alle Nerven und Sinne waren angespannt, die Nacht zu durchspähen, in deren Helligkeit sich gleichwohl kaum etwas verbergen konnte. Aber die Welt in ihrer unveränderlich toten Ruhe schien mit den Menschen zu bangen, zu lauschen, zu spähen und auf eine Entscheidung zu lauern. Kein Lufthauch, kein Blätterfall, kein verirrter Vogelschrei löste auch nur für Augenblicke die qualvolle Anspannung der Sinne. Auch die Luft schien dünner und wesenloser als sonst, und der Mond lastete wie Blei auf den Menschen.
Auf dem Föhrenstumpf einer Waldblöße am Hang des Altenbergs hockte ein schmächtiges Bürschchen. Regungslos, die Arme um die hochgezogenen spitzen Kniee geschlungen, saß er da und blickte wie gebannt auf das schlafende Schwedenlager und auf die mondhellen Dächer von Nürnberg.
Ohne daß er's wußte, wurde er vom Rücken her belauert. Dort lehnte ein zwölfjähriger Troßbube an einem Fichtenstamm und blickte halb neugierig, halb furchtsam zu dem Kauernden hinüber. Er hatte ein sommersprossiges Gesicht, dessen lauernde Frechheit nur eben durch Unbehagen und Grauen im Zaum gehalten wurde. Er hatte den schmächtigen Knaben am Hang beschlichen wie ein seltsames Wild, dessen Treiben Neugier und Furcht in ihm erregte.
Endlich hielt er das Schweigen nicht länger. »Warum schläfst du nicht?« raunte er dem anderen zu, aber er duckte sich dabei und hob ein Knie wie zur Flucht, als erwarte er, der da vor ihm werde auffahren und ihm an die Kehle springen.
Der Angeredete hatte blitzschnell den Kopf herumgeworfen und einen raschen, durchdringenden Blick auf den furchtsamen Störenfried geworfen. Im nächsten Augenblick saß er wieder regungslos wie vorher, ohne zu antworten.
Der Sommersprossige kam vorsichtig einen Schritt näher und zischelte noch einmal: »Warum schläfst du nicht, he –?«
Jetzt gab der andere Antwort, aber gleichgültig und ohne sich umzusehen,
»Ich warte.«
»Auf was –?«
»Ich glaube, es kommt heute nacht.«
»Was kommt –?«
Er erhielt keine Antwort mehr. Der andere zog seine Kniee noch höher an die Brust und hob eine Trommel, die neben ihm am Boden lag, auf seinen Schoß, als wollte er sich und was sein war zusammenziehen und absperren. Er sah wieder starr geradeaus.
Der Abgewiesene zog sein Gesicht in hämische Falten. Er öffnete die Lippen zu einem Schimpfwort und fand nicht den Mut, es auszusprechen. Mit halboffenem Munde blickte er auf den schmächtigen Burschen, und in seinem Gesicht war eine Mischung von Verachtung und Grauen. Es war halb, als ob er seinen Gegner mäße, und halb, als ob er ein Gespenst sähe.
Aber der Anblick seines einsilbigen Kameraden war auch seltsam genug.
Die hagere, kleine Gestalt war völlig in einen zerschlissenen, grauen Kittel gehüllt, der vom Hals bis fast auf die Knöchel reichte. Nur der Kopf stand daraus hervor, ein sonderbar alter Kinderkopf mit einem blassen, schwindsüchtigen Gesichtchen, in dem wechselnd rote Flecke standen. Um die tiefeingehöhlten Schläfen zog sich spärliches Blondhaar, das immer feucht zu sein und an dem eckigen Schädel zu kleben schien. Die Blässe seines Gesichtes wurde noch durch ein grellrotes Wolltuch gesteigert, das er fest um den Hals gewickelt trug.
Das Alter des sonderbaren Bürschleins war schwer zu bestimmen. Der Kopf verriet nur, daß der ausgezehrte Kinderkörper hinter dem Alter zurückgeblieben war. Er konnte wohl vierzehn Jahre zählen.
Der Troßjunge war ein derber Bengel, der der phantastischen Erscheinung wie einem Abenteuer nachlief. Aber die Nacht war seiner Keckheit nicht günstig. In seinem Gesicht nahm die Furcht mehr und mehr überhand, während er auf seinen unheimlichen Kameraden schaute, der auf dem Stumpf im Mondlicht kauerte, das ihn völlig umhüllte. Grauen und instinktive Gehässigkeit stritten in ihm. Er hätte sich am liebsten in sein Lagerstroh verkrochen, aber es ließ ihn nicht vom Platz, ehe er seinen Trumpf gegen den Gegner ausgespielt hatte, an den er sich heute zum ersten Male wagte.
»Weißt du, was sie von dir sagen –?« Er stand sprungbereit mit verhaltenem Atem, als wollte er einen Stein werfen. Er erhielt keine Antwort. Noch einen Moment zögerte er, dann stieß er hastig hervor: »Den Trommelbuben des Todes nennen sie dich –!« Fluchtartig sprang er drei Schritte zurück, daß die Zweige knackten. Als er sah, daß der andere sich nicht rührte, hielt er inne.
Der kleine Trommler saß noch immer, ohne sich zu rühren. Nur sein Kopf sank tiefer, und er zerknirschte ein paar Worte zwischen den Zähnen, die der andre nicht verstand. »Sie sollen's noch spüren, sie sollen's noch spüren ...!«
Der Angreifer pirschte sich vorsichtig heran. »Was sagst du?«
Der kleine Trommler sah starr vor sich hin, aber sein Blick war von einer zornigen Träne verschleiert. Da wuchs dem andern der Mut.
»Du bist immer voran, wenn sie fechten, he? und hast nie Wunde und Schramme, he...?«
Der Gefragte bewegte mechanisch den Kopf hin und her.
»Da sieh her,« prahlte der Troßbube und schob den einen Rockärmel auf. Ein brandroter Streifen wurde sichtbar, den eine verirrte Kugel gerissen hatte. Er blickte triumphierend nach dem Graukittel, der das Wundmal ohne Interesse mit halbem Blicke streifte.
»Aber dich – dich erwischt's leicht einmal ganz –.«
Jetzt wandte ihm der schmächtige Junge das Gesicht zu. Ein müdes Lächeln stand dann. »Mich–? mich holt er nicht. Mich braucht er nicht.«
»Wer?« Atemlos mit halber Stimme war es vorgestoßen.
»Der Tod.« Ruhig wie etwas Selbstverständliches kam es zurück. »Mich hat er schon.« Wie zur Erklärung hob er beide Hände zur Brust, aus der sich ein stickiger Husten rang. Auf dem blassen, schwindsüchtigen Gesichtchen mehrten sich die roten Flecken.
Dem andern schnürte das Grauen die Gurgel zusammen. Er verstand nur halb was er sah, aber die Kniee wurden ihm laß vor Furcht. Wie gebannt schaute er auf den unheimlichen Kameraden. Der war wieder in sich versunken, aber eine tiefe Erregung rang in ihm, von der der andere nichts wußte. Er hatte zum erstenmal von dem gesprochen, was in ihm fraß, und alles andere, was noch unausgesprochen war, drängte nach wie Blut aus offener Wunde. Aber er preßte die Lippen zusammen.
Die rätselhafte blaue Nacht sah auf die Jungen hernieder, und ihre Stille schnürte beiden die Brust zusammen.
Mit eins sprang der kleine Trommler auf. Er stand dicht neben dem Troßbuben, den der Schreck an den Boden genagelt hatte, und seine Augen glänzten heiß und fiebrig. »Ich treib's nicht mehr lange. Der Feldscher hat mir's gesagt. Ein paar Jahre vielleicht. Und ich spür's selbst. Und drum bin ich gezeichnet, und drum geht Hieb und Stoß an mir vorbei – das weiß ich vom Hauptmann –.« Sprudelnd brachte er das unsinnige, abergläubische Geschwätz vor, mit dem ihn berechnende Schlauheit »fest« gemacht hatte; der Hauptmann wußte wohl, daß seine Soldateska hinter dem furchtlosen kleinen Trommler, der sich wie ein Schwimmer in die Feinde warf, blindwütiger herlief als hinter Fahne und Standarte.
Der tieferregte Junge war noch nicht am Ende. Nun er einmal angefangen hatte, von dem zu reden, wovon Herz und Kopf voll waren, riß es ihn ohne seinen Willen weiter und weiter fort.
Er knüpfte hastigen Griffs das rotwollene Tuch los und entblößte vor dem erschrockenen Troßbuben ein dünnes Kinderhälschen, um das ein blauroter Streifen rundum lief wie das Mal eines Gehenkten.
Der Bub fuhr jäh zurück. Mit weitaufgerissenen Augen starrte er auf das unheimliche Zeichen.
Der kleine Trommler fuhr fort. Fast schreiend fing er an und dämpfte im Reden seine Stimme bis zu fast unverständlichem Raunen.
»Einer von denen ist's gewesen!« Fieberhaft flog sein Arm nach dem Lager, zu dem er gehörte, hinüber zu dem kroatischen Kriegsvolk, und in seinen Augen loderte der Haß. »Unser Dorf haben sie verbrannt... drunten im Maintal... mit Fackeln sind sie eingebrochen zu Roß und haben die glühenden Späne in First und Scheuer gestoßen! Ein Schreien ist gewesen und ein Stöhnen und ein Sterben, und ich ... ich wußte kaum, was war... Die Glocken haben gestürmt talauf, talab ... Mit eins sind die Bauern aus den Dörfern zusammengelaufen mit Sensen und Äxten und Hunden. Da haben sie sich auf die Gäule geworfen und sind schneller fort als sie gekommen. Aber ich... ich mußte mit! Aus einem Winkel hat mich eine Hand vorgezerrt ... eine Schlinge ist mir um den Hals geflogen, der ich nachlaufen mußte! Und der Kerl ist aufgesessen auf seinen Gaul, hat die Schlinge um seinen Stiefel geschlungen, ist auf und davon in scharfem Ritt! Ich habe laufen müssen ... immer und immer laufen, daß mir's in den Seiten gestochen hat wie Feuer und Lanzen. Der Kerl hat einen Roßbuben gebraucht, drum mußt' ich mitlaufen!
Laufen mußt' ich, laufen, daß mir die Zunge zum Hals heraus hing ... daß mir Feuer aus den Augen sprang – weiter, immer weiter neben dem Gaul her, wenn mich die Schlinge nicht erwürgen sollte!... Endlich war's aus ... es hat sich alles um mich gedreht, Blut ist mir aus dem Halse gebrochen, ich bin zu Boden gestürzt. Dann ist's Nacht gewesen vor meinen Augen, ich bin gelegen wie ein Toter. Als ich aufwachte, bin ich auf einem zerstampften Kornacker gelegen, eine zerschnittene Schlinge um den Hals, und hab nicht gewußt, was gewesen war.«
Er brach schnaufend ab, als hielte er mitten in atemlosem Lauf inne. Seine Brust hob und senkte sich. Dann fuhr er fort mit kraftloser, blecherner Stimme.
»Es ist Nacht gewesen als ich hinstürzte, und es ist Mittag gewesen als ich erwachte, und bis zum Abend hat's gebraucht, bis ich mich besonnen hab auf das, was geschehen war. Alles ist leer um mich gewesen, aber mit eins war ein Gesicht vor meinen Augen – das Gesicht des Kerls ... Danach schlug ich mit der Faust und schlug in die leere Luft. Da merkt' ich, daß ich allein lag, aber mit einmal wußt' ich wieder alles. ...
Am Abend hat mich ein Bauer gefunden und aufgelesen. Und ich hab' lang in seinem Haus gelegen, viele Tage, Wochen vielleicht. Als ich wieder auf den Beinen stehen konnt', bin ich dem Bauern entlaufen. Mein Vater war tot und meine Mutter und meine Schwester. Da bin ich entlaufen. Den Kroatischen bin ich nachgelaufen wie ein Hund und hab nichts eingesteckt als den Strick und ein Brotmesser. Damit bin ich ins Land gelaufen, die Kroatischen zu suchen und den Kerl zu finden. Und das Gesicht ist vor mir hergelaufen, daß ich's nicht vergaß. ...«
Er hielt ein und warf sich langhin zu Boden und barg das Gesicht im Moos.
Der andere rüttelte ihn an der Schulter. »Und dann –?«
Der Bub fuhr auf. »Dann – ich hab sie gefunden! Ein Jahr ist's her. Aber der Kerl war nicht mehr bei ihnen. Der war entlaufen. Zu den Lutherischen, sagen sie. Da bin ich Trommelbub geworden. Und jetzt, weißt du, jetzt« – er dämpfte sein heiseres Raunen zu einem zischelnden Flüstern und brachte die heißen Lippen an das Ohr des andern – »jetzt müssen sie mir nachlaufen ... wie ich damals ... wohin ich will ... und ich weiß wohin ... und sie bleiben hinter mir liegen wie ich hinter dem Kerl ... bleiben liegen, müssen liegen bleiben! Und ich find' ihn auch noch ... vielleicht ist er da unten ... und dann, dann ...«
Hellauf loderte der Haß in dem hektischen Gesicht. Er schloß die Lippen, daß die Zähne hörbar aufeinander schlugen. Den derben Buben, der schlotternd vor ihm stand, hielt er mit fieberhaftem Griff am Rock. Nach einer Weile fing er höhnisch wieder an: »Wie nennen sie mich, sagst du –?«
Der andere blickte ihn schaudernd an und konnte keine Silbe stottern.
Da ließ der Trommler mit einem bösen Lachen von ihm. »Sie haben recht, und sie sollen's noch merken, sie sollen's noch merken ... alle ...«
Der Troßbube lehnte mit versetztem Atem an einem Fichtenstamm, und der Frost saß ihm in den Gliedern. Der kleine Trommler blickte den zusammengesunkenen Feigling verächtlich an, während er mit fliegenden Fingern das rote Wolltuch um seinen Hals zusammenknüpfte. Dann kauerte er wieder auf seinem Stumpf. Da fiel sein Blick auf die Trommel.
»Komm her!« herrschte er den Buben an, der ihn furchtsam beobachtete. Schritt für Schritt kam der andere näher.
»Hier, das sieh! Das hab' ich aufgehoben – für ihn!« Er hob die Trommel. Sie hing an einem derben Strick der schwarz war vom Alter. »Der ist aufgespart für ihn – und das!« Er riß hastig ein Brotmesser aus seinem Kittel, das er sofort wieder verbarg.
Dann wandte er sich ab und hockte in der selben Stellung, aus der ihn der Troßbub gestört hatte. Niemand konnte wissen, was jetzt in ihm vorging.
Der andre stand eine Weile hochatmend hinter ihm. Dann ließ er sich ins Gras nieder und stierte vor sich hin. Er brauchte eine lange Zeit, bis er alles gefaßt hatte.
So verrann Minute auf Minute.
Es dauerte wohl eine Stunde, bis der verschüchterte Bub Mut fand, das Gespräch fortzusetzen.
»Und ... wenn er tot ist –?«
»Er ist nicht tot.«
»Woher weißt du das?«
»Er ist nicht tot!« Das klang gereizt und tückisch wie das drohende Knurren eines Hundes, dem man seinen Knochen nehmen will. Das Gespräch verstummte.
Nach aber einer Weile fing der Troßbube wieder an: »Und die dort« – seine Hand beschrieb den Bogen nach dem Lager der Kroatischen – »die dort wissen nichts?«
Ein tückisches Lächeln war die ganze Antwort. Da packte den Buben das Grauen. Ein paar Schritte schlich er sich zurück, dann schrie er: »Ich sag's ihnen! Ich sag's ihnen!« Mit wilden Sprüngen jagte er dem Lager zu, als sei ihm der Tod auf den Fersen.
Der Schrei durchfuhr den Trommler wie ein Speer, der ihn an den Boden heftete. Er stand wie erstarrt. Nur einen Augenblick. Dann krümmte sich seine Gestalt wie ein Bogen, und er flog hinter dem Flüchtigen her wie ein Pfeil.
Eine halbe Minute, dann hatte er ihn in jähem Anprall erreicht. Wie ein toller Hund kam er über ihn. Mit wuchtigem Stoß traf er den Buben und warf ihn mit Fieberkräften gegen einen Stamm, daß er taumelnd mit blutendem Kopfe zu Fall kam.
Wie ein Sinnverrückter kniete er ihm auf der Brust, eine Hand an seiner Kehle und die andre mit geschwungenem Messer erhoben: »Sag', daß du schweigst!«
»Ich schweige,« stammelte der Halbbetäubte, der kaum zu stottern vermochte.
»Schwör' mir's auf Leben und Seligkeit!«
»Ich schwör's.«
Da ließ der Sinnlose von dem ächzenden Buben, der sich mühsam erhob und hinkend zum Lager zurückschlich.
Der kleine Trommler stand mit keuchender Brust, bis er verschwunden war. Dann ging er schwankenden Schritts an seinen Platz zurück. Er empfand, wie ein seltsam schwindelndes Gefühl seiner Herr wurde.
Lange saß er und starrte mit leeren Augen vor sich hin. Er besann sich auf das, was er getan hatte. Und es wollte ihm nichts einfallen. Die Gedanken liefen ihm davon. Er hatte nur das Gefühl einer grenzenlosen Leere und eines großen Verlustes. Und in Brust und Schläfen war ein schmerzhaftes Stechen.
Er fühlte, wie er die Herrschaft über sich verlor und haltlos vornüber sank.
Das Fieber packte ihn und trug ihn zu Tal. Auf den Wiesen der Regnitz tobte der Kampf. Er lief vor seinen Kroaten her und schlug wie ein Sinnloser die Trommel. In die dichtesten Geschwader der Feinde brach er ein und fühlte mit körperlicher Lust, wie in den Reihen der Kroaten hinter ihm klaffende Lücken aufrissen. Das kannte er. Immer leichter wurde sein Leib, als sei jeder Fallende ein Teil der Last, die er trug. Er lief leichtfüßig, wie er nie zuvor gelaufen. Seine Füße berührten kaum den Boden. Seine Trommel lärmte toller und toller, die Schlägel wirbelten durcheinander wie von selbst. ...
Mit einmal hing etwas an seiner Trommel und zog ihn schwer vornüber. Zwei Hände griffen in die wirbelnden Schlägel, und in das Holz der Trommel biß eine grinsende, sommersprossige Fratze. Das war der Troßbube. Er suchte ihn abzuschütteln, aber es ging nicht. Schwerer und schwerer wurde die Last. Die Trommel schwieg, und Freund und Feind schwand um ihn, als würden sie in leere Luft aufgelöst. Er rang allein mit der Fratze, die ihn vornüber zog. Er fühlte, wie er erschlaffte und taumelnd mit der Stirn auf den Boden schlug. ...
Der Fiebernde erwachte. Er lag mit dem Gesicht auf der Erde und hatte sich den Kopf an einem Feldstein blutig geschlagen.
Er sprang auf, und der Traum wich von ihm. Es war, als sei er mit beiden Füßen in die Wirklichkeit gesprungen wie in ein erfrischendes Wasser.
Und nun wußte er auch, ohne zu denken, was er zu tun hatte. Er warf die Trommel um die Schulter und schritt mechanisch wie ein Schlafwandler dem Lager zu. Niemand hielt ihn an. Er ging auf den Wagenpark zu, wo der Troßjunge schlief. Er lag zusammengerollt wie ein tückisches Tier im Stroh und schlief mit offenem Munde. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt, als hielte er krampfhaft ein gestohlenes Gut.
Dem Schleicher schlug das Herz, als spukten die wirbelnden Schlägel seiner Trommel darin. Er rang nach Ruhe, aber das klopfende Herz lärmte stürmischer und stürmischer. Alle mußten es hören. Das Lager mußte davon erwachen.
Da gab er es auf, sich auf sich selbst zu besinnen. Er nestelte mit fiebernden Fingern das Brotmesser aus seinem Kittel und zog es dem Schläfer mit einem Schnitt durch die Gurgel.
Augenblicks ließ er es fahren und preßte beide Hände auf Mund und Gesicht des Überfallenen, um jeden Laut zu ersticken. Er hatte ein Gefühl, als tauche er in einen Strom von Blut, der schäumend über ihm zusammenschlug. Er fühlte nur noch, daß er auf etwas kniee, und wußte, er durfte nicht loslassen. Seine Hände waren übereinander gekreuzt und schmerzten heftig, aber er durfte nicht loslassen ...
Mit einmal fühlte er sich selbst wieder, als ob er erwache. Der Troßbube lag ohne Leben in seinem Blute. Das weite Lager war still und tot. Die ganze Welt war leer und tot. Und diese unerträgliche Stille benahm Luft und Atem. Er fühlte, daß er ersticken müsse.
Da raffte er sich auf und entsprang aus dem Lager. Die Waldhänge lief er hinab, vom Grauen gejagt, ohne zu wissen wohin. Er fühlte, daß ihn etwas verfolge, und er wußte nicht, was es war. Es war auch keine Zeit sich zu besinnen.
In taumelndem Lauf erreichte er die Wiesen des Tals. Er hielt schweratmend. Es gab kein Entrinnen mehr! Die Welt drang von allen Seiten auf ihn ein. Lautlos, spukhaft, erdrückend walzte es sich lastend auf ihn, Hände, Gesichter, Gestalten, Feuerbrände, Blut. ...
Er stand keuchend und sah sich rettungslos den drohenden Gespenstern preisgegeben. Mit einmal warf er mit verzweifelter Eingebung die Trommel vom Rücken vor den Leib und fing mit wahnsinniger Kraft an zu trommeln. Es half nichts. Er wollte Hilfe rufen und konnte nicht. Immer sinnloser schlug er die Trommel. Es waren keine Takte mehr, es war nur noch ein wahnwitziges Hämmern. Mit einmal schoß ihm ein Blutstrahl aus dem Mund, und er schlug taumelnd vornüber mit dem Gesicht zu Boden. – –
Die Waldhänge hinab eilte aufgestörtes Kriegsvolk. Mit schreckhaft aufgerissenen Augen starrten sie auf die kleine gespenstische Gestalt im grauweißen Kittel, die, hell vom Mondlicht beschienen, da drunten sinnlos die Trommel schlug und plötzlich mit hochgeworfenen Armen zu Boden stürzte. Ein paar Beherztere stiegen vorsichtig zu Tal. Der kleine Trommler war tot.
Andern Morgens fand sich auch die Leiche des Troßbuben im Stroh. Über Mund und Gesicht war der blutige Abdruck zweier krampfhaft gekreuzten Kinderhände.