Wilhelm Fischer
Frauendienst
Wilhelm Fischer

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I.

In das Hans des Meisters Matthie aus Göttweih war ein fremder Ritter eingekehrt. Meister Matthie übte die löbliche Heilkunst aus und führte mit Ehren den Namen eines Magisters. Als solcher war er nicht nur in Graz, wo er hauste, sondern auch in den andern Städten der alten steirischen Mark rühmlich bekannt. Dieser gute Ruf hatte auch den fremden Ritter bewogen, sich ihm als Arzte anzuvertrauen. Er war nur mit Geleite eines Knechtes gekommen und hatte diesen alsbald wieder verabschiedet. Beider Gewandung erschien einfach, aber die Rosse, die sie ritten, waren edel, und Sattelzeug und Decke so beschaffen, wie sie mit Fug ein vornehmes 4 Geschlecht führte. Das Übel, dessen Heilung er Meister Matthies Kunst anvertraute, war seltsamer Art. Von fester wohlgebauter Gestalt, wie er sich sonst zeigte, trug sein Leib nur einen Fehl: er hatte einen ungefügen Mund. Statt zweier Lippen, wie andere gute Männer, hatte er deren drei, nämlich die Oberlippe war doppelt. Dieses Versehen, welches die Natur an ihm verübte, wollte er durch Meister Matthie wieder gut machen lassen; und der hatte ihm den Monat Mai als einzig heilsam für die ärztliche That bezeichnet. So war er im Lenzmonde in die alte Stadt an der Mur gekommen.

Draußen lachte der Sonnenschein auf den Gassen und beglänzte die schmalen hochgegiebelten Häuser, und er mußte wie ein Gefangener in enger Haft sitzen. Aber es war ein kühner wohlgemuter Mann; denn als Meister Matthie ihm den Mund durchschnitt, litt er es sänftlich, ohne sich binden zu lassen, wie jener wollte, der seinem duldenden Gaste großen Schaden weissagte, wenn er sich nur um ein Haar rühre. Aber er blieb unbeweglich, und der Schnitt gelang meisterlich. 5 Freilich schwoll der Mund übermäßig an, allein dies war der Weg zur Heilung, es gab keinen andern.

So saß nun der jugendliche Mann, der sein Roß auf grüner Aue überaus ritterlich tummeln konnte, mit trauriger Gestalt in Meister Matthies Stube. Ein anderer hätte es an seiner Stelle schwerlich gethan, das wußte er, denn die überschüssige Lippe war kein Ding, um sich solcher Gefahr unter dem Messer des kunstfreudigen Arztes auszusetzen, wie er es that; aber es mußte sein: eine hohe Frau hatte es ihm geboten, und in ihrem Dienste ließe er sich auch die rechte Hand abhauen, das wußte er, wenn sie ihr mißfallen hätte.

Nun sann er, wie ihm die Minne Not schaffe; aber dieses Leid war ihm kostbar, und er hätte es nicht missen mögen um alles Gut in der Welt. Bei seiner Geburt hatte ihm ein gelehrter Astrolog die Sterntafel zur Deutung seines Lebensschicksals gestellt und darin gefunden, daß dem Neugeborenen von der Minne viel Ungemach drohe. Das war dem Knaben, als er verständig wurde, zu Ohren 6 gekommen, und er dachte sich, daß die Minne, die er nicht kannte, etwas Ungeheures sei, vor dem er sich wahren müsse. Als er aber zum Jüngling erwuchs, las er eines Tages in einem schönen Buche den Spruch eines Minnesängers, der sagte: Junger Mann! erst wenn der Abglanz der Weibeswürde aus deiner Seele und deinen Augen strahlt, dann hast du Freude und giebst Freude: das ist die Minne.

Nun war sein ganzes Sinnen verändert, und er dachte, er müsse nur die Minne in der Welt suchen und nichts anderes, die solche Freude gebe. So hatte er sich dem Dienste einer hohen Frau gebunden, deren Gebot ihn in das Haus Meister Matthies brachte, wo er nun mit arg geschwollenem Antlitze saß und sein rätselhaftes Schicksal bedachte. Das mochte noch eine geraume Zeit dauern, obgleich ihm Meister Matthie seine ärztliche Kunst nach bestem Wissen und Können angedeihen ließ.

Dieser lebte mit seiner Ehefrau, die Jiute hieß, in behaglicher Wirtschaft. Es fehlte nur der Kindersegen, denn die Leibeserben, die 7 gekommen waren, starben alsbald. Deshalb nährte Meister Matthie gegen sein Eheweib etwas wie geheimen Groll, der sich hier und da in nicht allzufeiner Rede Luft machte; denn er hielt dafür, daß ein kräftiges Weib ihre Kinder mit Lebensfähigkeit ausstatte, und Frau Jiute war ziemlich schwächlicher Art, ohne gerade kränklich zu sein. Vielleicht that er ihr hierin unrecht; aber er war einer von den Männern, die im Hause immer recht behalten wollen.

Sein Gast hatte dessen wenig acht, was um ihn her geschah; er war mit dem beschäftigt, was ihn selbst unfriedlich anging: das war vor allem die schwärende Wunde an seiner Lippe; und wie er das Antlitz wohl geborgen in einem Tuche trug, so war auch sein Sinnen mit einer Hülle umgeben, die ihm den Blick in die Umgebung wehrte. Aber innerhalb dieser Hülle stand das Bild seiner hohen Gebieterin verheißungsvoll vor ihm und tröstete ihn über das Ungemach, dem er nur diente um ihretwillen.

Da der Maienmorgen leuchtend über den Dächern der Häuser lag, gedachte er mit 8 heimlicher Sehnsucht des grünen Waldes und der blumengeschmückten Aue, die sich nun taufunkelnd prächtig dahin erstreckte. Er gedachte seiner hohen Burg daheim im steirischen Oberlande, von der es herrliche Umschau gab auf die blauen duftverklärten Berge und auf mächtig ragende Felszinnen, die noch der Winterschnee bedeckte. Er aber befand sich in der bis zur Schulterhöhe braun getäfelten Stube des Meisters Matthie, die ihm als allzu enge Welt erschien. Es lockte ihn hinaus in das Gärtchen, das, nicht minder eng, hinter dem Hause notdürftigen Raum gewann, worüber aber der Maienhimmel glänzte. Frau Jiute hatte es mit Küchenkräutern wohl bestellt, und ein einziger blühender Apfelbaum zierte es nun. Als er hinaus trat, sah er eine weibliche Gestalt darin wirtschaften, die sich emsig zu den Beeten hinab bückte. Sie war jugendlich, in einfacher Kleidung, und es dünkte ihm die Magd des Hauses zu sein, da er wußte, daß Frau Jiute keine Tochter besaß. Als sie sich gegen ihn wandte, sah er verwundert ihr Antlitz, das ihn wie ein junger Maienmorgen anlachte. Das Tuch, das 9 er um Wange und Mund trug, nahm ihm viel von der Würde, die ihm sonst eigen sein mochte, und er fühlte es, daß eine etwas klägliche Gestalt unter dem blühenden Apfelbaum stand, die er selbst war. Doch bot er der Magd seinen Gruß, und als sie ihn mit Neigen des blonden Hauptes erwiderte, bemerkte er, daß dies mit edler Art geschah, obgleich sie das Fürtuch voll Küchenkräuter trug. Dann seufzte er ein wenig, indem er in die sonnige Luft hinaus blickte, und dies bewog sie, näher an ihn heran zu treten und ihn zu fragen, ob er sich schon besser befinde.

Sie machte dazu ein Gesicht, so ernst, als sie es vermochte; nur ihre Augen lachten noch, das konnte sie nicht verhindern. Über sein Befinden gab er notdürftigen Bescheid und sprach dann, wenn sie die Magd des Hauses sei, wie er vermute, so möge sie ihm ihren Namen nennen. Sie erstaunte ein wenig, doch ohne sich lange zu besinnen, antwortete sie, daß hier im Gärtlein freilich nur die Magd des Hauses schalten dürfe; somit stünde ihr diese Eigenschaft wohl an. Wenn er ihren Namen wissen wolle, so heiße sie Brechtel.

10 Inzwischen war Frau Jiute herausgekommen und machte, als sie dies vernahm, ein erschrockenes Gesicht. Die junge Magd zwinkerte ihr aber lustig zu, und so hörte sie es unschlüssig und verlegen mit an, als der Gast freundlich sagte:

»Nun finde ich, daß du eine gute Magd bist, Brechtel, weil du mir vermummtem Manne Erbarmen entgegen bringst. Und Ihr seid auch zufrieden mit ihr, Frau Jiute? Das müßt Ihr mir bejahen.«

Also wandte er sich an die Hauswirtin, die näher getreten war.

»Ob ich mit ihr zufrieden bin! das weiß Gott;« sagte sie befangen.

»Dann sind wir guten Menschen bei einander,« sprach der Gast. »Denn trotz meines erbärmlichen Gesichts bin ich ein guter Mann, Brechtel, des getröste ich mich zu deinem freundlichen Herzen. Warum habe ich aber zu meiner Pflege immer nur Frau Jiute gefunden, die mir sonst ehrenreich ist, und nicht auch ein wenig deine mildthätige Hand?«

»Einem Herrn wie Euch muß die Frau mit 11 Pflege nahen und nicht die Magd,« antwortete sie bescheiden, aber mit lachendem Lichtschein im Antlitze. »Ich bin zu wenig würdig, Euch mit Handreichung zu dienen.«

»Das sollst du ungesagt lassen, Brechtel, denn guter Wille giebt überall Würde, und Mildthätigkeit schmückt das Weib, sei sie Frau oder Magd.«

»Das mag sein; aber ich darf mich nur an Festtagen schmücken, und heute ist noch keiner, obgleich ich Euch vor mir sehe, edler Herr.«

Er blickte sie erstaunt an:

»Ei, da sprach nicht die Magd aus dir. Wer bist du denn?«

»Wer seid Ihr, edler Herr?«

»Das muß verschwiegen bleiben, Brechtel. Denn auch ich stehe im Dienste, und um meines Dienstes willen, darf ich meinen Namen nicht nennen.«

Er sprach dies mit einer Stimme, die von dem seinen Mund bergenden Tuche sehr gedämpft klang.

Unter dem Apfelbaume war ein Tischchen mit 12 einer kleinen Bank. Frau Jiute saß nieder und begann die Küchenkräuter, die Brechtel gesammelt hatte, mit einem Messerchen zu putzen; diese half ihr dabei. Der Gast stand vor ihnen. Ein leiser Maienwind zog ihnen zu Häupten in dem Wipfel des Baumes, dessen Zweige sich rührten, und die rötlich weißen Apfelblüten fielen reichlich herab auf die Daruntersitzenden und auf den Tisch. Brechtel nahm eine Handvoll und ordnete sie spielend zu zierlichen Ranken, dann verwirrte sie diese wieder und fügte sie aufs neue zusammen. Der Gast folgte ihren weißen Händen, die ihm nicht die einer Magd schienen, und sah erstaunt, wie sich unter ihnen zierliche Buchstaben entwirkten – und endlich stand es deutlich vor ihm in rötlich weißen Apfelblüten lesbar: Ulr. v. Liechtenstein.

Er wäre schier wie über ein Wunder erschrocken, wenn ein kühner Mann, wie er, hätte erschrecken können. Aber er blickte sprachlos auf die seltsame Magd, die mit geneigtem Haupte vor ihm saß. Da geschah es, daß sich ein Mailüftchen wieder stärker erhob und die duftigen Buchstaben 13 aus einander wehte, so daß sie eine Zeitlang wirr in der Luft schwebten, ehe sie herab fielen. Brechtel sprang auf und rief: »O meine Apfelblüten!« und als wollte sie die zarten Flüchtlinge haschen, griff sie mit den Händen danach, folgte den Schwebenden und verschwand durch die Thüre ins Haus.



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