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Der König Krantimor war ein so rechtschaffner Mann; daß er sich gradezu auf seinen Thron setzen mußte, um jemand zu überzeugen, er sey daran gewöhnt.
Mit unerschütterlicher Standhaftigkeit beharrte er darauf, zu seinen Verordnungen nichts als den Nahmen herzugeben, und sich dem zufolge alle Morgen einige Bücher weißes Papier reichen zu lassen, worauf er dann seine Minister das Übrige hinzusetzen lies.
Eben so eifrig trieb er seine Generale an, so viel Schlachten als möglich zu gewinnen, um dann als Vater des Volkes, das Tedeum mit der gehörigen Würde absingen, und die gewöhnlichen Glückwünsche deswegen annehmen zu können.
Von der Wichtigkeit seines Lebens überzeugt, stärkte er sich täglich durch eine wohlgeordnete Jagd. Küche und Keller wurden Abends zuvor auf das solideste besorgt, und es verstand sich von selbst: daß man, bey dieser wichtigen Staatsangelegenheit, auf einige verwüstete Saatfelder weiter keine Rücksicht nehmen konnte.
Die Königin war vor einigen dreyßig Jahren sehr schön, das heißt alles gewesen was man vernünftiger Weise von einer Königinn verlangen kann. »Nicht viel verlangt!« – wird man sagen – Aber die arme Königinn mag das Gegentheil beweisen.
»Welch ein Hals! Welch ein Mund! Welch ein himmlisches Auge!« – riefen die grausamen Hofleute alle Abende. »Barmherziger Gott! Welche Flekken! Welche Runzeln! Welche schreckliche Vertiefungen!« – wiederhohlte der noch grausamere Spiegel alle Morgen.
Was sollte man thun? – da die Hofleute auf diese Weise andeuteten; wie wenig sie geneigt waren von ihren Forderungen abzugehen; so nöthigten sie die arme Königinn das Äußerste zu versuchen.
Man verschrieb Schönheitswasser, Faltenzieher, deutsche und spanische Schminken; die Toilette ward bei verschloßnen Thüren besorgt, und die Kammerfrauen hatten kaum Zeit, täglich einen Roman durchzulesen.
Aber wann käme ein Unglück allein? –
Prinzessin Zoraïde fing jetzt in ihrem zwölften Jahre an zu beweisen: wie sie in ihrem siebzehnten alle Schminken und Schönheitswasser der ganzen Welt zu Schanden machen würde. Hies das nun aber nicht ihrer Mutter gradezu nach dem Leben trachten? – Auch nahm es die Königinn ganz von dieser Seite, und da es sogar nach den Grundsätzen der neuesten Philosophie erlaubt ist: sein Leben zu vertheidigen; glaubte sie sich ebenfalls dazu verbunden.
Die Prinzessin ward krank, bekam Anfälle von Wahnsinn und konnte schlechterdings dem öffentlichen Urtheile nicht mehr Preis gegeben werden.
»Ob sich das alles so verhielt?« – Wer hätte danach fragen dürfen! – Genug die Königin versicherte es, und der König so eben mit den Anstalten einer Wildenschweinsjagd beschäftigt, konnte unmöglich, wider seine Gewohnheit den Ungläubigen machen.
Ein benachbarter Park ward auf das schleunigste mit hohen Palisaden eingefaßt, ein kleines Haus darin aufgebaut, und die Prinzessin unter sicherer Bedeckung dahin abgeführt.
Einige Stumme besorgten die Aufwartung, zwey Cavallerieregimenter umgaben die äußern Bezirke des Parks und die schlaflosen Nächte der Königinn schienen sich etwas zu mindern.
Nichts desto weniger verstand es sich von selbst: daß ihre Gesundheit, unter diesen häuslichen Sorgen, merklich gelitten hatte und daß der König, wenn grade böses Jagdwetter einfiel oder kein Tedeum zu singen war, manchmal nach seiner Tochter fragte.
Die Nachrichten lauteten dann immer so niederschlagend, daß man nur durch festliche Zerstreuungen einigermaßen aufgeheitert werden konnte; und so war der Pf . . .sche Hof bald einer der glänzendsten die es jemahls gegeben haben mag.
Jetzt hatte Zoraïde ihr fünfzehntes Jahr erreicht und die Palisaden wurden mit einer Mauer umgeben, als Prinz Selim mitten unter einem großen Feuerwerke in der Residenz anlangte.
Der König empfing ihn mit einem traulichen Handschlage, und die Königinn suchte schnell Eins ihrer siegreichsten Lächeln hervor. Der trauliche Handschlag galt dem Erben eines großen Königreichs, und das Lächeln einer wirklichen apollonischen Gestalt.
Zwar wollten die Hofleute gegen das letzte einige Zweifel erheben, da sie aber von den Damen hörten: welch eine klägliche Bewandniß es mit dem Verstande des Prinzen habe, glaubten sie sich wegen der Schönheit zur Majorität schlagen zu können.
In der That waren die Hofdamen zu diesem Urtheil vollkommen berechtiget. Keiner Einzigen hatte der Prinz Gelegenheit gegeben, die Reinigkeit und Unwandelbarkeit ihrer Grundsätze zu bewähren. – Was um Gotteswillen sollte man aber von der Tugend dieser guten Kinder denken; wenn sich niemand die Mühe gab sie auf die Probe zu stellen. Rache ward daher einmüthiglich beschlossen, und der Prinz schien verloren zu seyn.
Aber unglücklicher Weise bemerkte er nichts von allen diesen Anstalten. Der Kavallerieoffizier, welcher den Park bewachte, war sein Freund, und hatte ihm einige Vermuthungen über den sogenannten Wahnsinn des lieblichen Mädchens verrathen. Da er selbst der Sache nicht weiter nachspüren durfte; so glaubte er in dem Prinzen seinen Mann gefunden zu haben und es zeigte sich bald, daß er richtig combinirt hatte.
Selim dachte wachend und träumend nichts als das unglückliche Mädchen, alle Zerstreuungen wurden ihm zum Eckel und die ganze Urbanität des Pf . . .schen Hofes ging an ihm verlohren.
Zwar hatte grade davon Fee Melinette, seine Beschützerinn, die letzte Politur für ihren Liebling erwartet; aber unter uns gesagt, die gute Frau hätte ihn gar wohl zu Hause lassen können. Er war, dank ihrer Sorgfalt, für einen Prinzen, überflüßig gut erzogen, und hatte mehr Verstand als für ein halb Dutzend Königreiche nöthig gewesen wäre. Rechnet man noch einen Ring dazu, durch welchen er sich unsichtbar machen konnte, wann es ihm beliebte; so wüßte ich doch nicht: was ihm, zu einem vollkommenen Prinzen damaliger Zeit, gefehlt haben sollte. –
Aber ohne diesen Ring wie unglücklich würde er bey allen Vollkommenheiten gewesen seyn! – Nur dieser machte es ihm möglich Wachen, Mauern, und Palisaden zu durchdringen, das theure Mädchen zwischen ihren Blumen wandlen zu sehen, und das süße Gift der Liebe in vollen Zügen einzuathmen.
Abends zuvor hatte Selim das Geheimniß erfahren; Morgens schon, ehe die Sonne aufging, irrte er unsichtbar in den Gebüschen des Parkes umher, und entdeckte, nach langem Schmachten, plötzlich das niedrige Häuschen von hohen Linden beschattet.
Da lag das holdseelige Mädchen, im höchsten Schmucke der Jugend. So schön und so rein, als hätte sie noch keine Stunde auf der verderbten Erde geathmet. Er fühlte es: dieser einzige Blick hatte über sein Leben entschieden, – Sie, oder den Tod! –
Aber ach! Was mußte er thun, damit sie ihn liebte? – Sichtbar, oder unsichtbar, durfte er es hoffen? – Der schöne Busen hob sich so ruhig. – In diesen Engelzügen war keine Spur irgend einer Leidenschaft zu entdecken. – Der ganze Frieden des Himmels schien sie zu umschweben. – Wozu hätte sie seiner Liebe bedurft? –
In diese Gedanken vertieft, stand er unsichtbar an ihrem Lager; als ein wunderschöner Vogel bey Zoraïdens Haupte sich niederlies. Kurz darauf folgte ihm ein Anderer, diesem ein dritter, bis in wenig Minuten das theure Mädchen von einem Vögelchore umgeben war. Unter süßem Gezwitscher, zwickten sie bald hie, bald dort, an ihrem Gewand, flatterten hin und her durch die ofnen Fenster, und schienen das Ende ihres Schlummers kaum erwarten zu können.
Jetzt! jetzt! zuckte der schöne Arm, der Rosenmund bewegte sich zum Lächeln, noch eine Secunde – und das Himmelauge war geöfnet. Dem Prinzen entfuhr ein Laut des freudigen Erstaunens, und Zoraïde sprang schnell von ihrem Lager.
Sie eilte in das Gebüsch, von den Vögeln begleitet, und schien wärend sie ihnen das Futter streute, nach allen Seiten zu forschen: woher der Laut wohl gekommen seyn mögte? – Mehr als ein Mahl war der Prinz im Begriff, ihr sichtbar zu werden, und ihre Knie zu umfassen. Doch Furcht, und Mistrauen in sich selbst hielten ihn bey jeder ihrer Bewegungen zurück.
Aber jetzt da Zoraïde den Stummen Befehl gab das Bad zu bereiten; drohten die gegen einander kämpfenden Empfindungen seine Brust zu zersprengen. Sollte er bleiben? – sollte er folgen? Noch war er zu keinem festen Entschlusse gekommen, als Zoraïde aus seinen Augen verschwunden war. Erschrocken starrte er ihr nach und – nur ein wirklich liebendes Herz wird ihn begreifen – versank in wonnevolle Träumereyen, ohne seine Stelle verlassen zu können.
Ein Geräusch weckte ihn daraus. Es war Fee Melinette, seine Beschützerin. Sie hatte in seiner Seele den Wunsch gelesen: sie zu sehen und sie um ihre mächtige Hülfe zu bitten.
»Liebst du wirklich, Selim, – sagte sie mit ihrem gewöhnlich liebevollen Tone – so bedarfst du ihrer nicht. Thue was dir die Liebe gebietet und du wirst gefallen.« –
»Aber meine gütige Mutter! – antwortete er – Ich mögte so vieles thun; woher nehme ich aber die Macht dazu?« –
»Sey ruhig! Wenn du aus wahrer Liebe es zu thun wünschest; so wird es dir gelingen. Du weißt ich halte was ich verspreche. Leb wohl, und vergiß nicht die Bedingung!« –
»Die Bedingung! – rief Selim – O Gott jetzt bin ich allmächtig!« –
Der gute Selim! Es wird sich ja zeigen! –
»So bald sie kommt – rief er – soll eine Wolke sich niederlassen, damit ihr Fuß die Erde nicht berühre! Ein Chor Genien soll sie umschweben, und die köstlichsten Wohlgerüche sollen zu ihr aufsteigen! Dann werde ich . . .«
Sie kam und nichts von dem Allen geschah.
Was ist das? Ey, ey! Selim! steht es so um deine Liebe? –
Doch nein! Seht! dort war ein Rosenstrauch, von Zoraïden gepflanzt. Noch gestern blühten zwey der schönsten Rosen darauf; aber heute – »Ach heute – sagte Zoraïde – sind sie alle verwelkt!« –
Schmerz, ist Schmerz! mag er durch zwey verwelkte Rosen; oder durch eben so viele verlohrne Königreiche hervorgebracht werden. In Zoraïdens Nähe gab es keine größern Leiden. Selim empfand diese so lebhaft wie sie selbst, und der Rosenstrauch entfaltete plötzlich eine Menge blühender Knospen.
»Nun? – dachte Selim – liebte ich vorhin nicht eben so sehr wie jetzt? – Wo blieb aber die Wolke?« –
»Da wo sie immer bleiben wird; – flüsterte Melinette – wenn deine Eitelkeit sie begehrt.« –
»Eitelkeit! – dachte Selim – Eitelkeit bey meiner unendlichen Liebe!« –
»Erinnere dich der Worte!« – erwiederte Melinette –
Aber der Prinz sah nach Zoraïden und nach dem blühenden Strauche. – Er hatte geschaffen! – Er liebte! – Giebt es noch etwas beseeligenderes für den Menschen? kann man da auf Ermahnungen hören? –
Zwar könnte man glauben, das Schaffen habe dem Prinzen nicht viel Anstrengung gekostet; allein er befand sich wirklich dabey in einem ganz besondern Zustande.
Wünschte Zoraïde etwas, dann flammte sein Auge, sein Herz klopfte schneller, ein verdoppeltes Leben schien seinen ganzen Körper zu durchströmen, dunkle verworrne Bilder umschwebten dann seine Seele. Angstvoll suchte er sie zu erhaschen. Vergebens! sie waren dahin! – Aber nun wieder! – Noch einmal! Abermals! – Jetzt hielt er sie. Schon konnte er vergleichen, trennen, zu einem Ganzen verbinden. Jetzt! jetzt! O des wonnevollen Augenblicks! Der Gedanke war gebohren, noch eine Secunde – und er stand lebendig vor seinen Augen.
»Nun das war aber kein Wunder! – Den Dichtern, und Philosophen, Einem jeden unter uns geht es ja alle Tage so!« –
Richtig! lieben Freunde! Aber ist es denn meine Schuld; wenn das Wunderbare so natürlich, und das Natürliche so wunderbar ist? – Am Ende mußte Fee Melinette mit ihrem Zauberstabe das Beste dabey thun, und wer weiß: ob nicht irgend ein großer Zauberer es eben so mit uns macht. –
Dem sey nun wie ihm wolle, genug diese natürlichen Wunder hatten Zoraïden in einen Zustand versetzt, der ihrer schönen Ruhe sehr gefährlich zu werden drohte. Keine ihrer Lieblingsbeschäftigungen befriedigte sie mehr, ihre Vögel, und ihre Blumen wurden vergessen, und nun schien sie wirklich von einem süßen Wahnsinn ergriffen.
O Himmel! Geisterodem der jetzt an ihrer Wange vorüber streifte und ihren Mund – ach so wunderbar – berührte! – Und des Nachts! – Nein! jetzt täuschte sie sich nicht mehr! – gewiß es waren Seufzer, die sie so oft aus dem Schlafe erweckten! –
Seufzer? kann ein Geist auch seufzen? – Nun verlor sie sich in schmerzhaft süße Träumereyn, und alles Sichtbare verschwand vor ihren Augen.
Aber desto mehr Bilder traten aus ihrem Innern hervor. Ein Geist? – Ach einen Geist kann man nicht denken! – Wenigstens einen äußerst feinen, ätherischen Körper muß man ihm geben. – Aber welch eine Form soll dieser Körper haben? – »Welch Eine?« – rief Zoraïde – nachdem sie mit geschloßnen Augen manches Bild hervorgerufen und verworfen hatte. »Welch Eine?« – rief sie abermals, und der Prinz stand wie von Raphael gezeichnet und von Titian gemahlt, zum Sprechen ähnlich, in Lebensgröße vor ihr.
Ein lauter Ruf des Schreckens wolte ihr entfahren; aber plötzlich schloß sie wieder den lieblichen Mund und sank voll Entzücken die Augen unverwandt auf das Bild geheftet bey einer Rasenbank nieder.
Armer Selim! auch jetzt durftest du ihr nicht sichtbar werden! – In der That Melinette war zu hart! – Alles was du aus wahrer Liebe zu thun wünschtest, solte dir gelingen. Wie oft hattest du gewünscht Zoraïdens Knie umfassen zu dürfen! – Nie ward es dir vergönnt! – Freilich hattest du es um deinetwillen gewünscht, aber solte das mit der Liebe schlechterdings unvereinbar seyn? – Armer Selim! dein Murren hilft nichts! – Die Feen sind keine Mädchen. –
Wie sehr bewieß dies Zoraïde! – Sie dachte nicht daran, ob das was für sie geschah, aus wahrer Liebe geschehe. –
Unbekannt mit der Welt und mit ihrem eignen Herzen, wie hätte die Reinheit irgend einer Empfindung ihr zweifelhaft werden können. Ach wenn man so liebenswürdig ist, dann wird es nicht schwer an Liebe zu glauben! – Das Mistrauen scheint sich nur mit dem Alter und mit der Häslichkeit zu verbinden und vermag leider nicht sie zu verschönern. –
Aber wie ging es dem Bilde? Es stand im Hintergrunde einer großen Jasminlaube. Anfangs hatte Zoraïde es nur von ferne angeblickt; aber ein unwiderstehliches Etwas zog sie immer näher zur Laube. Jetzt trat sie hinein. – Sonderbar! – Sie sah, sie wußte ja daß es ein Bild war, und doch konnte sie dem Verlangen nicht widerstehen, ihre Hand auf die schöne männliche Brust, an die volle blühende Wange zu legen. Dann trat sie wieder zurück, um die ganze herrliche Gestalt mit einem Blicke zu umfassen. Welch ein flammendes Auge! Welch ein lieblich majestätischer Mund! – Zoraïde ist es möglich? treibt die Natur so schnell? – Seht! seht! ihr unentweihter Mund ruht auf dem Munde des Bildes.
Und Selim? – Ach Selim wollte verzweifeln. Ging dann wieder von der Verzweiflung zum Entzücken, vom Entzücken zur Verzweiflung über. Grausame Melinette! wirst du einmal aufhören ihn zu quälen? – Warlich du verlangst, was die menschliche Natur nicht zu leisten vermag! – Ist es denn möglich sich ganz zu vergessen? –
Aber Melinette war unerbittlich. Zwar fingen Selims Empfindungen an sich zu vermischen: daß ihr eigentliches Wesen sogar dem Feenauge zweifelhaft würde. Demohngeachtet bestand Melinette darauf: der Prinz könne nur durch Zoraïdens ausdrückliches Verlangen in ihrer Nähe sichtbar werden. Vergebens berief sich dieser auf ähnliche Wünsche Zoraïdens. – Es blieb darum alles wie es war.
Hätte das liebliche Mädchen auch nur eine Ahnung hiervon gehabt; wie bald würde Selim erlöset worden seyn. Aber der Wunsch den schönen, herrlichen Mann liebeathmend in ihre Arme zu schließen, konnte nur allmählig in dem reinen Herzen sich bilden. Auch machten sie, die unschuldigen an dem Gemälde verschwendeten Liebkosungen schon unbeschreiblich glücklich.
Aber ach! die Sonne kam näher, die Nächte wurden lauer, Zoraïde hatte das sechszehnte Jahr erreicht, und ihr Schlummer ward oft unterbrochen. – Ihr dünkte, es solle sie etwas umfassen, mit Kraft, mit Heftigkeit umfassen. – Sie müsse es dann fest, fest an ihr Herz drücken, als gäbe sie sich auf ewig dahin, als solle nur der Tod sie scheiden. – Ja so mußte sie es in ihre Arme schließen. Aber ach Gott! was solte sie umfassen? – Das Bild? – es ließ sich nicht denken. – Nun irrte sie mit thränenvollem Auge in den Gebüschen umher. Ihr Glück war dahin, und das Bild stand verlassen.
Aber wenn sie nun auf dem einsamen Lager schlummerte, dann trat es wieder lebendig vor ihr hin. Kein Bild mehr! – Nein! nein! voll Liebe, voll Sehnsucht wie sie, mit hoher Kraft und himmlischer Anmuth. Jetzt wolle sie in seine Arme sinken und – erwachte.
»Wo bist du? – rief sie – wirst du dich ewig mir entziehen? – Kann ich nur im Traume glücklich seyn? – O so laß mich nie aufhören zu träumen!« – Nun sank sie zurück und schloß die Augen wieder mit ahndungsvollem Lächeln.
Aber sie bedurfte der Träume nicht mehr. Selim kniete schon, im höchsten Entzücken, an ihrer Seite, und deckte ihre Hände mit brennenden Küssen.
»Zoraïde! – rief er – O, blicke mich an, es ist kein Traum. Ich liebe dich! liebe dich unaussprechlich! – ach Zoraïde! Zoraïde! was habe ich gelitten! – O blicke mich an, damit ich dieses alles vergesse!« –
Jetzt öfnete sie die Augen und . . . Wenn das Leben aus solchen Augenblicken bestände; dann könnten wir den Himmel entbehren.
Aber die Liebe erscheint dem Sterblichen nur, als Bürge für die Wirklichkeit eines höheren Lebens. Dann kehret sie schnell in das Geisterland zurück und nur ein reines Herz vermag sie zu einer augenblicklichen Rückkehr zu bewegen. So klagen selbst ihre glücklichsten Lieblinge. Auch Selim und Zoraïde glaubten sich nur Augenblicke besessen zu haben; als ihre schöne Verbindung auf die peinlichste Art gestört wurde.
Der Genius Grumedan hatte so eben den Sieg über eine wiederspänstige Schöne davon getragen, litt noch dazu an einer Unverdaulichkeit und wolte sich in den niederen Lüften, wo er eigentlich zu Hause gehörte, eine Bewegung machen; als . . .
»Ein Genius der an einer Unverdaulichkeit leidet!« –
Nun ist denn das so was ausserordentliches? Man braucht nur die Perioden des verflossenen Jahrhunderts rückwärts zu zählen: so stößt man unfehlbar auf die Periode der Genies, welche sich gerade zwischen der Siegwartschen und der Pädagogischen befindet, an den Knitteln, den ungekämten Haaren und den Unverdaulichkeiten zu erkennen ist. Warlich! es steht gar nicht fein, die Leute so mitten im Erzählen zu unterbrechen. Noch dazu in einem Mährchen, wo man sich dergleichen von Rechtswegen verbitten kann. – Genug er machte sich eine Bewegung in der untern Atmosphäre; als er Zoraïden bei ihrem Hüttchen entdeckte.
Sie war eben in einen süßen Schlummer gesunken und ein wohlthätiger Traum zauberte den abwesenden Geliebten in ihre Arme. Er mußte leider, wenigstens an den großen Festen bei Hofe erscheinen, um die Königin und ihre Damen zu versöhnen. Aber der Zorn aller Königinnen der Welt, würde ihn nicht zurückgehalten haben, wenn er gewußt hätte, daß Grumedan sich jetzt bei seiner angebeteten Zoraïde befände.
»Erwachen Sie doch! mein schönes Kind! – rief dieser; indem er das zarte Mädchen sehr unsanft schüttelte – das Schlafen steht Ihnen zwar recht hübsch; aber jetzt kann es nicht helfen und macht mir wirklich Langeweile. Ich hoffe es wird sich ein vernünftiges Wort mit Ihnen sprechen lassen – und nichts befördert die Verdauung so sehr, als ein liebliches Mädchengeschwätz. Die Anderen wissen nichts als sich ein bischen wehren, unterliegen, und dann jähnen. Aber Sie sehen mir nach ganz was anderem aus. – Nun so hören Sie doch! und sperren Sie das Mäulchen nicht so auf!«
In der That Zoraïdens Mund, hielt das Mittel, zwischen Jähnen und Erstaunen. Sie maß den Genius in der Breite und in der Länge, ohne das mindeste auf seine zärtliche Anrede erwiedern zu können.
»Nun Mademoiselle! was soll denn das Angaffen bedeuten? haben Sie in ihrem Leben nichts von dem Genius Grumedan gehört? – Ich solte doch meinen, die Schönen müßten ihn kennen! – Aber Sie scheinen mir hier auch verzweifelt klösterlich zu wohnen! – Nun geben Sie sich zufrieden! Ich will Sie mitnehmen, und wenn Sie artig sind; sollen Sie es ganz gut bey mir haben.«
Bey diesen Worten schien er wegen des Mitnehmens Ernst machen zu wollen, als plötzlich Melinette mit ihrem Zauberstabe dazwischen trat.
»Ich bitte – sagte sie, ziemlich trocken – Herr Grumedan wollen sich mäßigen. Sie haben sich der Entführungen, und was dem ähnlich sieht, bey dieser Gelegenheit zu enthalten. Prinzessin Zoraïde möchte auf diese Weise schwerlich zu gewinnen seyn. Gegen alles, was Sie durch Ihre Liebenswürdigkeit erhalten können, habe ich nicht das Geringste einzuwenden. Aber auf dem anderen Wege möchte ich mir die Freiheit nehmen, gewisse Einwendungen zu machen; welche schwerlich Dero Beifall erhalten möchten.«
»Ey! ey! ganz gehorsamer Diener Madam! – antwortete der Genius, etwas betroffen – Wer hätte unter diesem Strohdache eine Prinzessin gesucht, die so glücklich ist, sich Ihres Schutzes zu erfreuen! Nun! nun! Umstände verändern die Sache! – Indessen werde ich mein Möglichstes thun, und hoffe Prinzessin Zoraïde wird Augen haben. – A revoir Madame! und sans rancune wenn ich bitten darf!«
Bey diesen Worten begann er seinen schwerfälligen Flug und streifte so plump an einem Zitronenbäumchen vorüber, daß Blüthen und Früchte in einem Augenblicke zerstört waren.
»Sehen Sie! sehen Sie! – rief Zoraïde – diesen Unhold sollte ich lieben?« –
»Lieben! – wiederhohlte Grumedan; in dessen dicke Ohren nur das letzte Wort gedrungen war – Ah ha! sie spricht schon von lieben! Seht mir doch Einer die Mädchen!« – und so arbeitete er sich unter schallendem Gelächter, stöhnend durch die Lüfte.
»Ach Madam! – rief Zoraïde – ohne Ihren Schutz sind wir verloren! – Meine Mutter wird mich aufopfern, und Selim verzweiflen!« –
»Sey ruhig liebes Kind! – antwortete Melinette – bey der kleinsten Gewalttätigkeit halte ich mich an den Herrn Grumedan. Er weiß: daß ich in solchen Fällen nicht zu spaßen pflege. Erst vor kurzem ist er von einer sehr empfindlichen Strafe befreit worden, und mögte wahrscheinlich keine Lust haben sich einer zweiten auszusetzen. Aber ich eile deinen Geliebten zu benachrichtigen. Es ist schlechterdings nothwendig, daß er einige Zeit unsichtbar bleibe. Hüthe dich das Gegentheil zu verlangen und vertraue meinem Schutze.« –
Mit diesen Worten verschwand sie und ließ Zoraïden gedankenvoll bey ihrem Hüttchen.
»Ach Selims Liebe! – Sein Muth! – Welche Gefahren! Welche schreckliche Aussichten!« –
In der That! kaum hörte er die Unglückspost; als auch schon von Schwerdt und Lanze die Rede war. – Nichts von Mäßigung! von Unsichtbarkeit! – Ein Nebenbuhler! Bey einem Nebenbuhler unsichtbar! – Es war unmöglich! Es ließ sich gar nicht denken! –
Allein dieser Nebenbuhler war ein Genius und mußte grade wegen seiner Plumpheit mit der äußersten Vorsicht behandelt werden. Wollte der Prinz ihren sehr vernünftigen Rathschlägen kein Gehör geben; so mogte er auf Melinettens Hülfe nicht mehr rechnen.
Was war zu thun? – er mußte sich endlich ergeben. Melinette hatte Recht. – Bey Zoraïdens unwandelbarer Liebe konnte man den Genius auch wohl von der komischen Seite nehmen.
In dieser Stimmung befanden sich die Gemüther; als Herr Grumedan in einer mit Stroh angefüllten Staubwolke Zoraïden seine Aufwartung machte.
Sie rieb sich die schönen Augen und Herr Grumedan versicherte: daß es ihm jederzeit einen königlichen Spas mache, die Leute auf solche Weise bekomplimentiren zu können.
»Dort neben Ihrem Park – fuhr er fort – streifte ich an einem Haufen Spaziergänger vorbey. Da hätten Sie nur die Frauenzimmerchen sehen sollen! – Das war ein Gequiqe! ein Gekreische. Sie liefen wie die verlornen Schäfchen hin und her, und wußten nicht wie ihnen geschah; als ich sie auf meine Weise, recht tüchtig, Eine nach der Anderen abschmatzte. Die Herrn Galane standen unterdessen wie versteinert, und ich dachte vor Lachen den Geist aufgeben zu müssen.« –
»Ach da würden sie sehr wenig aufgegeben haben!« – seufzte Zoraïde mit thränenden Augen.
Glücklicher oder unglücklicher Weise hörte Herr Grumedan nichts von dieser Anmerkung. Er hatte sich laut schnaufend auf eine Rasenbank und grade auf Zoraïdens Arbeitskörbchen niedergeworfen, was er mit einigen derben Flüchen über die Erbärmlichkeit des Frauenzimmerapparats ganz zerknirscht unter sich hervorzog.
Er versicherte ein ausgemachter Feind aller dieser Nürnberger Waare zu seyn und schwur augenblicklich sein ganzes Goldservies einschmelzen zu lassen; wenn nicht jeder Senflöffel Solidität genug hätte, jeden nach Belieben damit todt zu schlagen.
»Wenn Sie Schüsseln sehen wollen! – fuhr er laut schreiend, und mit einem entsetzlichen Schlage auf der Brust fort – da müßen Sie zu mir kommen! – Zwey meiner dicksten Genien ächzen, wenn sie sie auf den Tisch bringen, und in meinen Terrinen, kann man ein kleines Kätzchen, wie Sie, über baden.« –
»Nun nun! sehen Sie nur nicht so betrübt aus! – Ich sage ja noch nicht: daß es geschehen soll. Aber ich muß doch wirklich den Papa zum Essen bitten. – Da sollen Sie einmal Augen machen!« –
Aber wo blieb Selim während dieser schönen Unterhaltung? – Ach Selim hatte ihr vom Anfange zugehört und dachte nur auf Mittel Zoraïdens Leiden zu mildern. Er wählte dazu ihre kleinen Lieblinge die Vögel. Bald stimmten sie ein so angenehmes und die wohlklingendsten Instrumente nachahmendes Concert an: daß sie Herrn Grumedan sogar auf einige Augenblicke seine goldene Schüsseln vergessen machten.
»Hm! nicht übel! – rief er, nachdem er einige male sich recht wohlgefällig ausgedehnt hatte. – Wahrscheinlich eine kleine Galanterie Ihrer Beschützerin Signora Melinette. Indessen sehe ich doch nicht ein; daß viel Kunst dazu gehört, die Vögel musikalisch zu machen. – Wollen Sie, schlechterdings dergleichen haben; so müßte es doch närrisch zugehen, wenn man nicht etwas viel kurioseres heraus bringen sollte.« –
»Ach ich bin recht sehr mit diesem zufrieden« – erwiederte Zoraïde.
»Das will ich glauben! – fiel Herr Grumedan ein – Weil Sie nichts besseres kennen. – Aber es soll Ihnen mein Seel ganz anders zu Muthe werden, wenn ich meine Concertanten anfangen lasse!« –
Bei diesen Worten stampfte er mit seinem corpulenten Fuß auf den Boden und plötzlich stimmten einige tausend Frösche ein so fürchterliches Koaaks an: daß Zoraïde händeringend bath sie zu verschonen. Allein Herr Grumedan bezeigte sehr wenig Lust dazu und applaudirte so lange mit Hand und Mund, bis er Zoraïden bey der Rasenbank niedergesunken fand.
»Nun! nun! – rief er – wer wird denn gleich so erschrecken! Es sind ja nur Frösche! – Aber was Kukkuk tanzt denn da oben in den Lüften?« –
Es waren Zoraïdens Vögel. Mit vielen hundert Lämpchen in den Schnäbeln, brachten sie, auf Selims Gebot, die angenehmsten und mannigfaltigsten Bilder hervor.
»Poz hundert tausend – fuhr Herr Grumedan fort – das soll wohl gar ein Feuerwerk seyn? – Fee Melinette greift sich ja recht an! – Nun, morgen kann ich auch damit aufwarten. Für heute ist es besser, Sie legen sich zu Bette und künftig werden Sie sich das Erschrecken wohl abgewöhnen.« Mit diesen Worten empfahl er sich, und Zoraïde sank in ihres Selims Arme.
Aber ach! schon auf den folgenden Tag war das Feuerwerk angekündigt, und sollte nach Herrn Grumedans Versicherung, alles übertreffen, was man jemals in der Art gesehen haben mochte.
Vergebens bat, flehte Zoraïde, sie wenigstens heute nur damit zu verschonen! – Herr Grumedan war unerbittlich.
»Alle meine Leute – rief er – sind schon zur Stelle und warten nur auf das verabredete Zeichen. Ja! ein solches erbärmliches Ding als das gestrige, mag sich aufschieben lassen; aber hier ist wahrhaftig nicht zu spaßen!« –
Zoraïde verstummte, und das Feuerwerk nahm seinen Anfang. Es war nichts mehr und nichts weniger als ein ziemlich ansehnlicher Vulkan, welcher durch einige Erdstöße die Ergötzlichkeit ankündigte. Schon bey dem Ersten war Zoraïde zu Boden gesunken. Aber Herr Grumedan weit entfernt es zu bemerken, hielt sich die Seiten vor Lachen und versicherte hoch und theuer: sich in langer Zeit nicht so königlich amüsiert zu haben. Ganz vorzüglich labte er sich an den Schrecken der Wanderer in der Nähe des Parks und glaubte, besonders bey dem Geschrey der Frauenzimmer, sich ausschütten zu müssen.
Aber Fee Melinette glaubte denn auch seinen Galanterien ein Ziel setzen zu müssen. Sie erschien mitten unter dem Geprassel des Vulkans und bat Herrn Grumedan ziemlich lakonisch die Recreation zu endigen.
»Ey von Herzen gerne, – antwortete dieser mit außerordentlicher Nachgiebigkeit. – Aber gestehen Sie daß es zum krank lachen ist!« –
»Kann seyn! – erwiederte Melinette sehr trocken – Indessen scheint es Prinzessin Zoraïde nicht von dieser Seite zu nehmen.« –
»Ja was Kuckuck soll man aber dabei anfangen! – rief Herr Grumedan ziemlich entrüstet. Ist es meine Schuld, wenn sie so erbärmlich zusammengesetzt ist?« –
»Das nicht. Aber dann wäre es doch besser, sich nach einer handvesteren Schönen umzusehen.« –
»Madame belieben zu spaßen! Sie wissen eben so gut wie ich, daß uns diese zarten Dingerchen am meisten conveniren.« –
»Sie klagen ja aber grade über diese Zartheit.« –
»I nun! c'est selon! Freilich muß sie künftig meinen Geschmack besser studiren. Aber nach der Hochzeit wird sich das alles schon geben! – Denn ich werde doch wohl Ernst machen und mit dem Vater je eher je lieber sprechen müssen.
Leben Sie wohl Madam! Das Prinzeßchen wird sich mit Ihrer Hülfe schon erhohlen.« –
Bei diesen Worten verschwand Herr Grumedan nebst dem feuerspeienden Berge, und Zoraïde holte zum ersten Male wieder Athem. Sie hatte nichts von den Heyratsprojekten vernommen und glaubte wieder in ihres Selims Armen Trost finden zu können.
Aber Melinette warnte sie abermals, und versicherte: Herr Grumedan habe gewiß bei dem Vulkan eine Nebenabsicht gehabt. Es sey höchst wahrscheinlich, daß er Selim entdeckt und seinen Untergang beschlossen habe.
Doch wann hätte die Liebe auf Warnungen gehört! Kaum war Zoraïde allein, als die Sehnsucht nach dem Geliebten von neuem erwachte. Ach! er schwebte in ihrer Nähe, schmachtete, wie sie, nach einer Umarmung, und hörte nicht sobald den Namen Selim aus ihrem Munde, als auch schon alle Feen und Genien der Welt vergessen waren.
Aber Melinette hatte richtig geahnet. Des plumpen Genius Dummheit bewahrte ihn nicht vor der Eifersucht. Er hatte den Nebenbuhler gewittert, und lauschte jetzt im Hinterhalte, seine Rache zu befriedigen. Schon hatte er die mörderische Keule gehoben; als Selim blitzschnell und mit gezogenem Schwerdte ihm entgegenstürzte.
Aber ohne Melinetten war er dennoch verloren. Sie entführte ihn plötzlich durch die Lüfte und schloß ihn, ohne auf seine Ausrufungen zu hören, in einen ihrer prächtigsten aber zugleich festesten Palläste. Dann kehrte sie schnell zu dem plumpen Genius zurück, um seine Schritte auf das genaueste zu beobachten.
Er ließ jetzt an der unglücklichen Zoraïde seine ganze Wuth aus, und schwor daß er morgenden Tages zu ihrem Vater gehen, und gleich nach der Hochzeit den frechen Laffen bis an das Ende der Welt aufsuchen würde.
In der That kaum hatte das frische Milchmädchen sich zum Gange in die Hofküche geschürzt, der König den ersten Wildenschweins- und die Königin den zweiten Verjüngungstraum angefangen: als Herr Grumedan incognito, das heißt: wie ein ordentlicher Mensch in der Residenz anlangte.
Freilich war sein Aufzug eben nicht geschickt dieses Incognito zu begünstigen. Er wurde, auf seine Keule gelehnt, mit einem jungen Wolfe unter dem Arme, von zwanzig polnischen Ochsen auf einem massiv goldenen Karren gezogen, und hatte eine zahlreiche Escorte von früh erwachten Pudergöttern und laut applaudirenden Straßenjunkern hinter sich.
Drei entsetzliche Schläge an die Schloßpforten meldeten seine Ankunft. Die Wachen entflohen mit lautem Geschrei und die Zofen wußten nicht wohin mit ihren glücklichen Liebhabern. Der König fuhr mit ungewöhnlicher Schnelligkeit in die ungesäuberten Jagdstiefel, und die Königin ergriff ein Gefäß mit rother Dinte statt des rouge de cœur.
In der That es war der guten Dame nicht zu verdenken. Man schrie ihr mit einem Mahle von Ochsen und Genien, von Wölfen und goldenen Wägen entgegen. Mit beiden Armen suchte sie nun das entsetzliche Crachende abzuwehren, und war so unglücklich die falsche Achsel der ersten Dame d'honneur und die kastanienbraune Perücke der Zweiten zu treffen; als Genius Grumedan mit ihrem königlichen Gemahl angekündigt wurde.
Vergebens suchte sie nebst den beyden Hofdamen zu entfliehen. Genius Grumedan verstand sich nicht aufs Warten, und noch ehe der Fehler mit der rothen Dinte, mit der Achsel, und der Perücke verbessert war, stand er dicht vor dem lieblichen Kleeblatte.
Zum Unglück waren die beiden Damen in diesem wichtigen Momente seitwärts gebeugt, und hatten die Königin mit schrecklichem Lichte im Vordergrunde zurückgelassen.
»Poz hundert tausend! Ihro Majestät – rief Herr Grumedan; als er die rothe Dinte auf den Wangen der Königin erblickte – was ist denn das für ein scheusliches Ungethüm?« –
»Meine Gemahlinn« – antwortete der König; indem er den Genius freundschaftlich in die Seite stieß. Er hatte nehmlich Herrn Grumedan schon angezeigt: wie in Ansehung der Heyrath alles von seiner Gemahlin abhänge, und der Genius fühlte jetzt, freilich etwas spät: daß er schnell wieder gut machen müsse.
»Hm . . . hm . . . – fuhr er räuspernd fort; indem er sich zum Handkusse näherte – scheußlich; aber doch angenehm.« –
Glücklicher Weise hatte die Königin in der Bestürzung nur das letzte Wort gehört, und bewillkommnete nun den Genius so gut es die Umstände erlauben wollten. Die Hofdamen restaurirten sich auch in der Geschwindigkeit und so kam denn alles noch vor Tafel in die gewöhnliche Ordnung.
Bei ihr nahm der Genius allein zwey Spanferkel und vier kalkutische Hähne, und versicherte: bey dem Gemüse eben so mäßig seyn zu wollen, um der Nachmittagsconferenz, mit ungetrübtem Geiste beiwohnen zu können.
In dieser ward nun die Heyrathsangelegenheit des breiteren verhandelt. Keine Mitgabe, und keine Rückkehr! – Darauf bestand die Königin. Nun ließ sich aber auch der König die Hochzeit in der Residenz, und eine Parforcejagd zum Abschiede nicht nehmen.
Der Genius war mit allem zufrieden; nur drang er auf ein kräftiges Mittel die Prinzessin zum Jawort zu bewegen. Die Königin übernahm dieses mit vieler Bereitwilligkeit und Herr Grumedan pfif nun seinem Wolfe, um die Prinzessin augenblicklich zu hohlen.
In der That, kaum war der vierfüßige Abgesandte verschwunden; als er schon wieder mit Zoraïden auf dem Rücken erschien, und sie zu den Füßen ihrer königlichen Eltern niederlegte. Sie war natürlich durch die sonderbare Reise des Bewußtseins beraubt, und gab dadurch der Königin die beste Gelegenheit sie unverzüglich in Verwahrung zu nehmen.
Es fehlte nicht viel, so hätte diese eben so sehr wie ihre Tochter der Hülfe bedurft. Zoraïdens Schönheit hatte sich bis zum Blendenden vervollkommnet, und machte daher die kräftigsten Gegenanstalten nothwendig. Nur durch diese sehr richtige Bemerkung, vermogte die Königin das Schrecken zu überwinden, und so ward denn alles aufgeboten, die Vermählung zu beschleunigen.
Aber eine Vermählung trotz dem Abscheu der Braut! – Auch dafür war gesorgt. Der Hofkaplan wurde angewiesen bey der entscheidenden Frage die Hand an einen Kelch zu legen, und im Falle eines Neins diesen sogleich der Prinzessin anzubieten.
Man hatte sie von diesem wichtigen Umstande benachrichtiget und ein Lächeln zur Antwort bekommen. Durch Herrn Grumedans glückliche Auslegungskunst wurde dies zu seinem Vortheile gedeutet, und so konnte man denn hoffen, eine jede Parthey zu befriedigen.
Gleichwohl war der König sehr zu beklagen. – Die Regierungsgeschäfte, welche Morgens zwey ganze Stunden anhielten, mußten fortgesetzt werden; ohne daß der gute Landesvater die mindeste Erhohlung dafür gehabt hätte.
Seit des Genius Anwesenheit war an keine ordentliche Jagd mehr zu denken. Er schlug alles mit seiner Keule nieder; was er vergaß, besorgte sein Wolf, und Ihro Majestät standen dabey und jähnten so schrecklich, daß man Ihnen in das königliche Herz hätte sehen können.
Dem mußte abgeholfen werden. Herr Grumedan sogar schien dieses zu begreifen, und beschloß daher dem Könige in der Residenz eine kleine Ergötzlichkeit zu veranstalten.
Er ließ nämlich das Trauerspiel Romeo und Julie durch lauter Thiere und größtentheils durch Bären aufführen. Romeo unter Anderen war ein gar tüchtiger Geselle. Um des Kontrasts willen hatte man ein junges Schaf für die Rolle der Julie ausersehen, alles ging vortreflich und einige Dutzend Zuschauer lagen schon vor Lachen halb unter den Bänken, als der fünfte Akt das wirkliche Trauerspiel zu eröfnen schien.
Romeo mochte in der Eile seine Rolle nicht genug einstudirt haben. Er bekam mit einem male, einen so unüberwindlichen Appetit zu seiner Julie, daß er sie bey der blonden Perücke ergriff und wirklich incorporiren wolte. Julie aber glaubte nun auch nicht mehr an ihre Rolle gebunden zu seyn und flüchtete mit hastigen Sprüngen über das Orchester mitten unter die Zuschauer hinab.
Aber einem solchen Liebhaber war nicht so leicht zu entfliehen. Er schien fest entschlossen seine Rechte geltend zu machen und verfolgte die Geliebte trotz allem, was sich ihm widersetzen konnte.
Welch ein königlicher Spas für den Herrn Grumedan. Eine geraume Zeit labte er sich an der allgemeinen Verwirrung, und würde dieses Vergnügen so bald nicht aufgegeben haben, hätte er sich nicht endlich, bey den wiederhohlten Bitten des Königs dazu entschließen müssen.
Der zärtliche Romeo ward demnach zurückberufen und die sanfte Julie suchte nun auf den königlichen Auen, einen Liebhaber, der auf eine nicht so originelle, aber für sie überzeugendere Weise seine Liebe zu erkennen gäbe.
Endlich war denn nun auch der Hochzeitstag erschienen, und alles aufgeboten, was ihn verherrlichen konnte. Die schöne königliche Braut näherte sich dem Altare mit einer Heiterkeit die Allen, ausgenommen Herrn Grumedan, kraft seiner glücklichen Selbstzufriedenheit, unbegreiflich war. – Aber siehe da! der Herr Genius hatten dennoch geirrt, und das Räthsel wurde ganz anders aufgelößt.
In dem Augenblicke wo Zoraïde das schreckliche Ja aussprechen soll, greift sie nach dem Kelche und würde ihn unfehlbar an den lieblichen Mund gesetzt haben; wäre nicht in demselben Momente Kelch und Priester von einem Blitzstrahle getroffen worden.
Unter rollendem Donner erbebte die Kirche und Melinette mit Selim stand an der Seite des göttlichen Mädchens.
»Bis dahin und nicht weiter! – rief die Fee; indem sie Herrn Grumedan bey dem genialischen Zopfe ergreifend ihn zum Zeichen ihrer Macht schwebend über dem Altare erhielt. – Es ist Zeit dich Unhold in Verwahrung zu bringen! und Sie Madam – indem sie sich zur Königin wandte – werden die Güte haben ihm Gesellschaft zu leisten. Was Ihro Majestät den König betrift; so werden Dieselben hiermit von den Tedeums und von den Unterschriften befreit. Wofür Ihnen wie billig eine gute Pension und ein ansehnliches Jagdrevier angewiesen wird.
Selim wird ein guter König werden; wenn er seine Eitelkeit, und Zoraïde eine gute Frau; wenn sie ihre Liebe überwinden kann.«
Was die Fee damit sagen wollte? – In der That ich weiß es nicht. Es sey denn, daß sie von der menschlichen Liebe gesprochen haben möchte. Bekanntlich können die Männer diese nicht gut an den Weibern ertragen; wogegen ihnen aber die göttliche – besonders wenn sie sich durch Langmuth äußert – über die Maaßen gut zu bekommen pflegt.
1802