Caroline Auguste Fischer
Mährchen
Caroline Auguste Fischer

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Krauskopf und Goldlöckchen.

Die Fee Soline hatte seit mehreren Jahren über verschiedne Königreiche regiert. Ihr heller Kopf und ihr großes Herz erregten die allgemeine Bewunderung. Aber ach! sie selbst war nicht glücklich! – Größer, denn alles, was sie umgab; wie hätte sie es seyn können.

Rastlose Thätigkeit des Geistes war ihr bisjetzt der höchste Genuß; aber diese Thätigkeit schien zwecklos zu werden. Was sie auch thun mochte, die Menschen zu sich zu erheben, sie fand sie immer wieder gesunken.

»Nein! – rief sie eines Morgens – ich reiße mich los! Diesem wahnsinnigen Haufen kann es einerley seyn, von wem er regiert wird!«

Unerschütterlich gegen die Bitten ihrer Räthe, legte sie wenige Tage nachher die Krone nieder, und zog sich auf eine Insel zurück, die man seitdem die Glückliche nannte.

Sie schien diesen Nahmen nur zu verdienen, weil sie von Kindern bewohnt wurde. Sobald diese das sechszehnte, höchstens das siebzehnte Jahr erreicht hatten; wurden sie, durch irgend einen unglücklichen Zufall, von der Insel entfernt, und kehrten nie wieder dahin zurück.

Auf diese Weise hätte nun das kleine Land sehr bald entvölkert werden müssen; wäre es nicht durch die Fee immer wieder mit neuen Bewohnern versehen worden. Da ihr schönes Gemüth weit umher bekannt war; so konnte es ihr nicht an Gelegenheiten dazu fehlen.

Aber nie kehrte sie froher in ihr kleines Reich zurück; als da Krauskopf und Goldlöckchen von ihr entdeckt wurden. Die armen Kleinen stacken in einer dumpfigen Schulstube, und schwitzten große Angsttropfen. Goldlöckchen kniete auf einem mit spitzigen Steinen angefüllten Beutel, und hatte das Bild eines fürchterlich gepinselten Esels am Halse. Krauskopf saß in einem Winkel, und wurde grade jetzt der Schulmeisterin denuncirt.

Er hatte Goldlöckchens baumwollene Kinder vor den Krallen der alten Jungfer verborgen, und zeigte sie jetzt der kleinen Geliebten von ferne, um sie in ihrem Jammer aufzurichten.

Aber diese baumwollene Nachkommenschaft, hatte ja eben den Zorn der Schulmonarchin gereitzt. Statt den Gesang und das Evangelium zu lernen; war Goldlöckchen den ganzen Morgen auf die Verfertigung der kleinen Geschöpfe bedacht gewesen. Hatte jedes, wie es vollendet war, gehätschelt, in den Schlaf gebracht, und es Krausköpfchen, mit tausend Küssen, in Verwahrung gegeben.

Des Alles war dieser nun eingedenk, sprang schnell auf eine Bank, und schrie der grimmigen Atropos, da er sie mit der mörderischen Scheere gerüstet sah, entgegen:

»Komm nur wenn du Herz hast! Rühre nur eins von Goldlöckchens Kindern an! Dann magst du sehen!« –

Armer Krauskopf, wohin würde dein Muth dich geführt haben! hätte Soline nicht in dem Augenblicke dich, sammt Goldlöckchen, von allen Haselstöcken, und Kernbeuteln, gemahlten Eseln und ungemahlten Ruthen erlöset. Schnell über Thürme und Berge, flog sie mit den lieblichen Kindern, und senkte sich mitten in dem glücklichen Eilande nieder.

Welch ein Schauplatz für die armen unterdrückten Kleinen! Duftende Sträuche, und rieselnde Bäche. Die köstlichsten Früchte, über paradiesischen Lauben. Frohes Getümmel, Spiel und Gesang auf allen Seiten.

Sie glaubten, es sey ein Traum – sie betasteten die Sträuche und die Blumen, liefen allenthalben umher, riefen sich zu, stürzten dann einander in die Arme, weinten und lachten, fragten und hörten keine einzige Antwort. Ach sie waren glücklich! und Soline vergaß über den köstlichen Anblick alle Wunden ihres eigenen Herzens.

Aber dieses Herz vermochte dennoch nicht sich zur Gerechtigkeit, die keine Lieblinge duldet, zu erheben. In der That dies wurden Krauskopf und Goldlöckchen; als sie kaum ein paar Tage auf der Insel gelebt hatten.

Es war aber auch nicht möglich sich etwas anziehenderes als diese beiden idealischen kleinen Geschöpfe zu denken. Er lauter Kraft und Lebendigkeit, sie lauter Zartheit und Gefühl. Beyde mit der höchsten Empfänglichkeit für jeden äußern Eindruck! dennoch diese stille sich selbst genügende Liebe zu einander.

Spielte Goldlöckchen; dann entfernte sich der wunderbare Knabe schnell von den kleinen Gesellen, blos: um sie spielen zu sehen. Wie berauscht stand er dann hinter ihr, und schien zu seiner Freude nichts als der ihrigen zu bedürfen.

Spielte Er, dann wurde plötzlich der ganzen baumwollenen Nachkommenschaft das Schlaflied gesungen, und Goldlöckchen stand mit zärtlichem Lächeln, den muthvollen kleinen Geliebten anzuschauen.

»Ja! – rief Saline, man schwatze von gegenseitiger Aufopferung was man wolle? Die höchste Liebe äußert sich doch nur durch das höchste Wohlgefallen! –

Bis zur Aufopferung kann es die Freundschaft auch bringen. Aber ihr glücklichen Kinder! wie lange kann das dauren! – Auch ihr werdet euch von mir entfernen, und werdet elend seyn wie die Anderen.

Ach die gute Soline! ihre Ahndung war nur gar zu richtig. Krauskopf hatte jetzt das siebzehnte, und Goldlöckchen das vierzehnte Jahr erreicht, ihre Liebe war bis zu dem höchsten Grade von Zartheit und Innigkeit gestiegen, und die kleine Insel, ihre Welt, war ihnen ein Paradies. Oft schmeichelte sich Soline, trotz aller Ahnung, sie würden in ihrer glücklichen Unwissenheit, sanft über den entscheidenden Zeitpunkt hinweggleiten. Vielleicht wäre es möglich gewesen; hätte sie nicht grade jetzt die boshafte Fee Arganto bei ihren Spielen entdeckt.

Sie war ein sogenannter Espritfort. Alle Güte hies ihr Schwäche, und nur Aufruhr und Zwietracht war ihre Freude. Nach ihrer Meinung, gelangten die Menschen nicht sowohl durch Kampf gegen die Leidenschaften; als vielmehr durch Krieg mit ihres Gleichen, zu dem ganzen Gefühl ihrer Kraft.

Es sey Raserey, wenn sie sich einbildeten: von einem wohlthätigen Geiste zur Glückseligkeit erschaffen zu seyn. Alles widerspreche dieser tollen Schimäre; so wie der: eines verbesserten Zustandes nach dem Erdenleben.

»Irgend ein höheres Wesen, gebrauche sie wahrscheinlich wie eine Art von Affen und habe ihnen die Leidenschaften nur gegeben: um sie zu desto wunderlichern Sprüngen dadurch zu reitzen.

Auf ihre sogenannte Vernunft, hätten sie übrigens eben so wenig Ursache stolz zu seyn; wie der Affe auf die bunte Jacke. Diese bilde mit dem Affengesichte einen ergötzenden Kontrast, und nur deswegen habe sie das närrische Thier von dem Herrn bekommen.

Mit diesem Systeme ausgerüstet, hatte sie sich seit mehreren Jahren an verschiedenen Höfen umhergetrieben und die Angelegenheiten der Kabinette geleitet. Der Erfolg schien ihre Grundsätze zu rechtfertigen, und des Blutvergießens ward kein Ende. Grade jetzt suchte sie einen neuen Schauplatz für ihre Thätigkeit; als sie unglücklicher Weise Solinens Eiland entdeckte.

Plötzlich schossen die Greife, ihr Lieblingsgespan, vor den betäubten Kindern daher, und Arganto nahm gleichsam Besitz von der Insel. In der That, dies verrieth ihr Anstand, und die Art wie sie die gütige Fee begrüßte.

»Nun wie gehts Madam? – rief sie dieser in einem kreischenden Nasentone entgegen – hat die Landluft sie geheilt?« –

»Wovon?»

»Nun von der bösen Krankheit, an der Sie noch vor zwey Jahren so gefährlich darnieder lagen!« –

»Daß ich nicht wüßte.«

»Himmel! welch ein kurzes Gedächtniß! – Glaubten Sie nicht damals an die Perfectibilität der Erdwürmer? und wäre dies bey einem gesunden Blutumlaufe möglich gewesen?«

»Sie sind ja recht guter Laune!« –

»Natürlich! ich amüsire mich mit Allem was mir vorkommt. – Aber was sind denn das für ein Paar Sympathienvögel? –

»Sie meinen Krauskopf und Goldlöckchen. Kommt her, lieben Kinder, die Fee will euch sprechen.«

»Krauskopf und Goldlöckchen? – wahrhaftig den Nahmen mit der That! – Der Bursche tritt einher als ob er die ganze Welt auffordern wolte, und das Dulcinechen glänzt ja wie die helle Sonne! Nun daraus kann etwas werden!« –

»Ich hoffe.«

»Wahrhaftig? – Sind Sie mit ihnen zufrieden? – Das wäre nun freylich eine schlimme Vorbedeutung! – Aber es ist wahr! ich erinnere mich! die Hoffnung ist ja immer Ihre Favoritgöttin gewesen!« –

»Und ist es noch.«

»Nun! nun! der Himmel gebe seinen Seegen dazu? Daß wir auch darüber stritten!« – –

»Wäre in der That ganz überflüssig.«

»Freilich! freilich! aber was wolte ich doch sagen? – ja! hören Sie! ich nehme den Burschen, während meines hiesigen Aufenthalts, zu meinem Pagen an, und die kleine Donselle kann meine Toilette besorgen.«

Bey diesen Worten ergriff sie die erstaunten Kinder bey der Hand und zog sie mit sich ins Gebüsch.

»Ach die unglücklichen Kleinen! – Welch ein erbärmliches Leben! – Ohne allen Genuss! hier in dieser Wildniß!« –

So ging es in Einem fort; bis endlich Krauskopf, mit flammendem Gesichte, vor sie hintrat, und in einem ungeduldigwehmüthigen Tone ihr zurief:

»O höre auf zu ächzen? – Wo sind die unglücklichen Menschen? – Wir wollen hin! wir wollen ihnen helfen! jetzt gleich? jetzt augenblicklich wollen wir ihnen helfen! – Nun! was starrst du mich an? – Wo sind sie?«

»Über den Tollkopf! – Wo sie sind? – Hier sind sie!

»Hier! – Das ist nicht möglich! – Die Mutter müßte es wissen.»

»Sie weiß es auch; aber sie will es nicht wissen. –

Jetzt verstummte der Knabe und seine brennenden Augen sanken wehmüthig zur Erde.

»Nun begreift der kleine Dummkopf endlich: was ich meine?« –

»O ja! ich begreife: daß Du aus dem Lande bist, wo man krank wird, und wo die Gedanken sich verwirren. Komm! laß uns zur Mutter gehen! Sie wird dir helfen.«

»Das ist ja ein unverschämter Bube!« – schrie die Fee mit hochrothem Gesichte, und so war die erste Unterhaltung zu Ende.

Krauskopf hies nun ein naseweiser Grobian, und Goldlöckchen eine langweilige Dorfschöne. Der Plan war geändert, von Pagen und Toiletten gar nicht mehr die Rede.

Statt dessen aber fand Goldlöckchen, am andern Morgen einen großen Kasten in ihrer Laube. Sie glaubte Krauskopf habe ihn dahin gesetzt; aber dieser versicherte: daß er ihm eben so neu sey, wie ihr. Doch mit einem Male rief er:

»Sieh! sieh welch ein Glas da oben! Ach ich erinnere mich! – es wird ein Guckkasten seyn! Komm! komm! du sollst zuerst hinein sehen!«

Goldlöckchen lies sich das nicht zweimal sagen. Schnell ruhte ihr Näschen an dem Glase, und eine Ausrufung folgte der Anderen. Aber jetzt da sie die ganze Insel im Kleinen, und sich am Ufer derselben erblickte, verstummte sie vor Erstaunen.

Bald darauf fand sie sich in einer mit Rosen bekränzten Gondel, dann in einem fremden Lande, von jungen schönen Männern umgeben, die ihre Gewänder küßten, und sie wie eine Gottheit zu verehren schienen. In einer Art von Verzuckung schloß sie nun die Augen, und sank mit den Worten:« Aber wo bist du? wo bist du?« in des Geliebten Arme zurück.

»Wo ich bin? – ich bin bey dir! und werde immer bey dir seyn! –

»Ja ich weiß es wohl; aber sieh nur hinein! sieh nur hinein! Ach das hätte ich nimmermehr gedacht!

»Was denn?« – und ehe die Frage beantwortet war, stand Krauskopf auch schon vor dem Glase.

Keine Gondeln und keine Rosen, keine schöne Herrn und keine Göttinnen mehr. Dafür aber köstliche Pferde, und schön gewapnete Ritter. Ein großes Turnier, und Krauskopf als Sieger. Kränze und Beifallszeichen die Menge. Liebe und Anbetung von allen Seiten.

Stumm und verwirrt wandte er sich jetzt von dem Glase, umarmte Goldlöckchen und sank, in sich selbst vertieft auf eine Rasenbank nieder.

So fand ihn Arganto, und kannte ihren Vortheil zu gut, um diese Stimmung ungenutzt zu lassen. Sie spielte die Unwissende, und lies sich alles auf das genaueste erzählen.

»Ja das wären freylich ganz sonderbare Erscheinungen! – Gewiß habe irgend ein höheres Wesen ihr künftiges Schicksal dadurch andeuten wollen. – Es sey auch nicht wahrscheinlich: daß ein Paar so glücklich organisirte Menschen, bestimmt seyn sollten, ein Pflanzenleben auf dieser Insel zu beschließen. Soline sey eine ganz gute Frau; aber freylich so übersättiget, finde man das genußreiche Weltleben anders als in der empfänglichen, und für den Genuß bestimmten Jugend. – Nur durch eine lange Reihe, der verschiedensten Erfahrungen könne man zu dem möglichsten Grade von Bildung gelangen, u. s. w.« –

Das wirkte, und sogar schneller als die Fee es geglaubt hatte.

Krauskopf und Goldlöckchen suchten sich nicht mehr, sie fanden sich nur. Zum ersten Male in ihrem Leben, dachten sie darüber nach: wie sie sich unterhalten sollten. Jeder glaubte, es fehle dem Andern etwas, maß sich die Schuld davon bey, und ängstigte sich es zu finden.

Umsonst! die Verstimmung nahm überhand. Jene sorgsame Zärtlichkeit, welche nichts so sehr fürchtet: als Fehler an dem geliebten Gegenstande zu entdecken, war verschwunden. Man fühlte ein lebhaftes Bedürfniß, die drückende Last auf den Andern zu wälzen, und freute sich: da es endlich gelungen war. Der erste Vorwurf kostete nun keine Überwindung mehr, und es war da, wohin Arganto es haben wolte.

Nur wenige Tage noch, und sie konnte schon dreist ihre Vorschläge anbringen. Von der kleinen Insel, von Solinen sich entfernen, schien nun gar nicht mehr so außerordentlich. Aber woher die Erlaubniß dazu nehmen? – Arganto hatte an alles gedacht, und versprach: für alles zu sorgen.

Aber ohngeachtet aller angewandten Verschmiztheit, erschrack Soline dennoch auf das heftigste: als man mit dem eigentlichen Antrage sich hervorwagte. Das Einzige was sie liebte sollte ihr entrissen werden! – Wenigstens, beschloß sie, noch alle gute Mittel dagegen anzuwenden, und ohne weitere Rücksicht auf Arganto's Zorn schilderte sie nun den jungen Leuten was ihrer wartete. Aber leider war man auf alles gefaßt, ein wenig Verschämtheit, ein Paar Thränen die ganze Antwort.

Jetzt erstaunte Soline, und ein tiefer entsetzlicher Schmerz mahlte sich auf ihrem edlen Gesichte. Sie deutete mit der Hand nach dem Ufer und eilte, ohne sich umzusehen, in den benachbarten Wald.

»Fort! fort! – rief Arganto – sie mögte wiederkommen und bereuen. Wir haben die Erlaubniß! was bedürfen wir mehr!« –

So wurden die betäubten Kinder mit fortgerissen und befanden sich schon, ehe sie noch zum Bewußtsein kamen, in dem Lande der wahnsinnigen Träumereyen.

Hier regierte Arganto mit eisernem Scepter und das sklavische Volk gehorchte willig der Tiranney. Der uneingenommene Beobachter müßte es für einen Haufen Verrückter angesehen haben. Ohngeachtet die Natur Jedem eine Quelle der Freuden in seinem eignen Herzen eröfnet und einen unbestechlichen Richter damit verbunden hatte, der ihn warnte wenn er sie trüben wolle; suchten die Rasenden immer die Freude wo sie niemals zu finden war.

Das Götterkind! die Liebe, hatten sie ihren viehischen Lüsten aufopfern wollen. Darum war es nun auf ewig von ihnen gewichen und hatte sie der zerstörenden Selbstsucht überlassen. Ein allgemeines Wohl gab es nicht mehr, jeder suchte nur das Seinige zu befördern. List wurde daher schlechterdings nothwendig, und man hatte nun keine wichtigere Angelegenheit als sich in der Verstellung zu üben.

So betrogen sich die Unglücklichen um das schöne Erdenleben, und beschuldigten die Natur: sie habe sie zum Elende geschaffen. Gleichwohl bedienten sie sich einer Menge künstlicher Mittel dieses Elend zu verbergen.

Daher glaubten nun Krauskopf und Goldlöckchen, in das Land der Freude gekommen zu seyn. Jede Stunde führte einen unbekannten Genuß herbey, und ein betäubendes Wohlbehagen durchschauerte die jugendlichen Sinne. Ohne es zu wissen, trugen sie aus ihrer Geistesfülle immer etwas auf die umgebenden Gegenstände über, und genossen, was die Andern nicht einmal ahneten.

Aber wie lange konnte die Täuschung dauren? – Ihre Verschiedenheit von den Einwohnern war zu groß; als daß sie ihnen selbst, bey aller Verschönerungsgabe, nicht hätte sichtbar werden sollen.

Krauskopf, mit seinem lebhaften Abscheu gegen alles Unedle, fand am ersten Gelegenheit seinen Irthum einzusehen. Nun wollte er zu Goldlöckchen, die er, ohne es zu wissen verlassen hatte, zurückkehren; aber er fand sie unter einem Schwarme von Anbetern, so zerstreut, so beschäftiget: daß er trostlos wieder davon eilte.

Womit nun die schreckliche Leere in seinem Herzen ausfüllen? – Er hatte von den Weisen des Landes gehört, und hofte sie würden es ihm sagen.

Man nahm ihn mit vieler Bereitwilligkeit auf, und versicherte: schon lange zu besitzen was er suchte. Erstaunt seinen Wunsch so bald erfüllt zu sehen, bat er nun um Belehrung, und bekam zur Antwort eine große Kiste mit Büchern.

Wie ein Heißhungriger warf er sich darüber her, und hoffte nach jedem durchlesenen Bande das Versprochne zu finden. Aber sonderbar! – in diesem war es nicht, in dem Folgenden auch nicht – endlich hatte er die ganze Kiste durchlesen, und sank trostlos auf sein Lager.

»Ihr Grausamen! – rief er, und Thränen stürzten aus seinen Augen – »Ihr habt mir nicht gegeben was ihr verspracht! – aber geraubt habt ihr mir, was ich noch hatte. Eure Ruhe ist Heucheley, oder Betäubung. Ach Ihr Elenden! hätte ich Euch und Eure Weisheit niemals gekannt!« –

»Ihr habt mir bewiesen, daß ich nichts weiß, und nie etwas wissen kann. Was bleibt mir nun übrig für das öde Leben? – Soll ich es, so wie ihr, mit lauter Mitteln, ohne Zweck, vertändeln? – Ich Unglücklicher! hätte ich nur die Ruhe wieder! auf Glückseeligkeit wollte ich gern Verzicht thun! – «

So klagte der betrogne junge Mann, und dem armen Goldlöckchen ging es nicht besser. Von Schmeicheley betäubt, hatte sie Anfangs ihr Herz und alles was ihm theuer war, vergessen. Doch endlich machte dieses seine Rechte doppelt wieder geltend; aber unglücklicher Weise, grade in der Zeit, wo Krauskopf sich auf die Bücher geworfen hatte.

Tief mit sich selbst beschäftigt, schien er sie kaum zu bemerken, und wenn dies ja der Fall war, sogar zu vermeiden.

Dies glaubte wenigstens einer von Goldlöckchens eifrigsten Anbetern gewahr zu werden, und ermangelte nicht, sich um so mehr zu nähern, je weiter Krauskopf sich entfernte.

»Ach er konnte, bey aller Innigkeit, doch nicht seine Liebe auf diese hinreissende Art mir äussern! – Er kam wohl meinen Wünschen zuvor; aber so fein ahnete er sie nicht – Und würde er die Anlagen in mir entdeckt haben? welche durch Lamor, zu so angenehmen Fertigkeiten entwickelt werden?« –

So dachte Goldlöckchen, und fand es alle Tage bequemer, so zu denken. Bald fing sie an, die Verbindung mit Krauskopf, für ein bloßes Kinderspiel zu halten, und überließ sich ganz der schrecklichen Leidenschaft, die Herz, Verstand und Sinnlichkeit, mit den gefährlichsten Banden umstricket.

Natürlich bekam auch hier jene Leidenschaft die Farbe des Charakters. Sie wurde durch die hohe Unschuld des tief empfindenden Mädchens so sehr veredelt; daß sie den feinen Wüstling Lamor, in wenig Monden, völlig umgeschaffen zu haben schien.

Er selbst fühlte sich geneigt es zu glauben. So vollkommen und wohlthätig war die Täuschung. Aber um so mehr bemühten sich nun seine Freunde, ihn eines bessern zu belehren.

Sie erinnerten ihn: es sey eines Mannes unwürdig, einem so durchdachten, und bewährten Systeme wie dem seinigen, untreu zu werden. Goldlöckchen sey nichts mehr und nichts weniger als eine Sterbliche, und würde es ohne Zweifel sehr langweilig finden, immer fort wie eine Göttin behandelt zu werden.

»Und welche Schande! – riefen sie einstimmig – der erfahrenste aller Ritter! so gänzlich überwunden!!« –

»Überwunden! – antwortete Lamor – Oho da mögtet Ihr Euch irren! – Meint Ihr, die schnellsten Siege wären die angenehmsten? – Wie? wenn ich um meines eignen Vergnügens willen so lange gewartet hätte? – Nicht wahr? das konnte Eure Weisheit nicht ahnen? –

Mit diesen Worten eilte er in Argante's Zimmer und hoffte Goldlöckchen dort zu finden. Aber die Fee hatte sie den ganzen Tag nicht gesehen, und war selbst wegen ihres Aussenbleibens besorgt. Nun eilte Lamor noch schneller wieder davon, um sie aufzusuchen.

Aber indem er durch das Vorzimmer fliegt, wird sein Auge durch einen weißen Schimmer aus der Ecke desselben angezogen. Es ist Goldlöckchen! Ausgestreckt liegt sie da auf dem Boden! ohne Bewußtseyn, bleich wie eine Leiche.

Auf Lamor's durchdringendes Geschrey stürzt alles hervor. Was mag ihr begegnet seyn? – Niemand kann Auskunft geben. Seit einer Stunde, da man sie ankommen sah, ist kein Mensch in dem Zimmer gewesen.

»Schon vor einer Stunde?« – wiederhohlte Lamor betroffen – Grade zu dieser Zeit, war das ziemlich laute Gespräch über Goldlöckchen, ganz in der Nähe vorgefallen, und er vermuthete sehr richtig: sie möge einen Theil davon gehört haben.

Gleichwohl war diese Vermuthung zu unangenehm, als daß er sich nicht mit irgend einer andern Ursach ihres Übelbefindens geschmeichelt haben sollte. Aber da Goldlöckchen, nach vielen angewandten Bemühungen, sich endlich erhohlte, sagte ihr erster Blick, noch mehr, als er gefürchtet hatte.

Mit Abscheu wandte sie sich von ihm ab, umklammerte Arganto mit ihren schönen Armen, und verbarg das Engelgesicht an den Busen der Verrätherinn.

Schon lange hatte die tückische Frau sich an der Trennung der beyden Geliebten ergötzt. Sie war es, die Lamors Freunde vereinigt hatte, seine Eitelkeit zu reizen; um, wie sie sich ausdrückte: der langweiligen Intrigue ein Ende, und die kleine Dorfschöne etwas genießbarer zu machen.

Das unglückliche Mädchen bat sie jetzt die Umstehenden zu entfernen, und schüttete nun, da sie allein waren, ihr tief gekränktes Herz vor ihr aus.

»Ach Gott! – rief sie – ich glaubte mich geliebt, und der schreckliche Mann dachte nur auf List und Betrug!« –

»List und Betrug! – wiederhohlte Arganto – liebes Kind! wozu nun dieses tragische Wesen! diese harten Benennungen! – Ein Mann, in der großen Welt gebildet, behandelt Sie mit Feinheit – nun ist er gleich: ein listiger Betrüger! Wann werden Sie doch einmal anfangen, die Dinge im milderen Lichte zu betrachten, und diesen romanhaften Ernst abzulegen, der Ihnen eben so wenig steht, wie eine Kontusche von Anno sechszig.« –

»Wer sollte geglaubt haben – fuhr sie fort, da Goldlöckchen durch ein Paar naive Antworten ihren Zorn gereizt hatte – Euer kleinlicher Dorfglaube würde so tiefe Wurzel schlagen! – Bey meinem Leben! hätte ich es gewußt, Ihr solltet mir schön in Eurer Wüsteney geblieben seyn!« –

»Nur Undank, nur Schande hat man von Euch! – Ein liebenswürdiger Mann bewirbt sich um die Prinzessin. Aber seine Liebe ist nicht nach ihrem Geschmacke. Dazu müßte sie mit lauter Necktar, und Ambrosia, ja wohl gar, mit bloßer Luft genährt werden!« – –

»Der sehr vernünftige Mann hat natürlicher Weise, einen ganz anderen Plan. Nun spielt man gleich die Romanheldin, wirft sich auf die Erde, bekömmt Ohnmachten, und dergleichen. Während der Pastor fido sich ganz und gar nicht um sie bekümmert, alle Leute die ihn poussiren wollen brusquirt und jetzt für gut findet, zu den Rebellen überzugehen. Ohne Zweifel weil ihm danach gelüstet, einen Kopf kürzer zu werden.« –

»Was? – rief Goldlöckchen – Krauskopf ist fort? –

»Nun? bekommen wir nicht abermals eine Scene? – Jetzt wird es wohl an ein Haarausraufen, Vergiften und Erstechen gehen? – – Aber ich will sehr bitten sich zu mäßigen, und mich mit allen Larmoyanten zu verschönen. Folgen Sie meinem Rathe und legen Sie sich zu Bette.«

Mit diesen Worten wandte sie Goldlöckchen den Rücken, und das unglückliche Mädchen stürzte verzweiflungsvoll aus dem Zimmer. Lamor wollte sie zurückhalten; aber sie achtete nicht auf ihn, und suchte eilenden Laufs ihre Wohnung zu erreichen. Schnell holte sie nun, aus einem entlegenen Zimmer, die Kleidung ihres vorigen Standes herbey und preßte sie mit schmerzhaftem Lächeln über den blühenden Körper.

Aber der volle Busen zersprengte das kindische Mieder, und die schön gerundeten Hüften hoben das enge Röckchen bis an die reizende Wade. Mit Angst bemerkte es das liebliche Mädchen, und suchte erröthend die Fehler wieder gut zu machen. Die seidenen Haare über der blendenden Stirne in einen Kranz gewunden, ein Körbchen am Arme, ein braunes Dornenstöckchen in der Hand, so fragte nun Goldlöckchen bald hie bald da auf der Landstraße: »Sagt mir doch, wohin geht der Weg zu den Rebellen?»

»Zu den Rebellen?» – Niemand wollte davon wissen. Halb mißtrauisch, halb gerührt, gab man ihr ein Stückchen Brodt, ein Glas Wasser, hie und da einige Früchte, und lies sie mit Kopfschütteln wieder gehen.

Sechs Tage und sechs Nächte war sie nun umher geirrt. Ihre Füße bluteten, und die schönen Augen, von Thränen geschwollen, blickten trostlos in die Ferne. So an einem Baum gelehnt, wollte sie die erschöpfte Natur zu einer neuen Anstrengung zwingen; als sie unwillkührlich auf den Rasen sank und in wenig Minuten entschlummerte.

Ihr Geliebter, den ein wohlthätiger Traum jetzt vor ihre Phantasie führte, war indessen, mit Ruhm überhäuft, vom Schlachtfelde zurückgekehrt. Aber er hatte den Tod gesucht, brauchte jetzt Liebe das Leben zu tragen; und fand nur übelversteckten Neid und hinterlistige Schmeicheley. Da erwachte die Sehnsucht nach dem glücklichen Eilande und mit ihr die erste unzerstörbare Liebe.

»Fort! hin zu Ihr! Wie war es möglich! wie konnte er sie verlassen! – Aber sie liebte ihn nicht mehr – Ach eine kurze Verirrung! gewiß nur eine Verirrung! – O Gott! wäre etwas mehr daraus geworden; er allein trüge die Schuld« –

»Darum – rief er – keinen Augenblick gesäumt! Wer sie auch hält, ich entreiße sie ihm! – Es liebt sie Niemand wie ich! Sie ist mein Eigenthum, und ich wage mein Leben daran!«

Dies Selbstgespräch war noch nicht geendigt; als er sich schon in einem dicken Walde, weit von den Thoren der Stadt befand. Es war derselbe Weg, den er aus Argantos Land kommend gegangen war; gleichwohl dünkte ihn alles verändert. Mit brennender Sehnsucht, das Ende des Waldes zu erreichen, fühlte er sich unwillkührlich zurückgezogen, und befand sich immer auf Nebenwegen, wodurch er gewöhnlich nur mehr vom Ausgange entfernt wurde.

Doch endlich hatte er ihn erreicht, und wollte nun der geheimen Empfindung spottend, sich schnell von dem Walde entfernen; als er plötzlich aus der Mitte desselben eine klagende Stimme zu hören glaubte.

»Ach! – rief er, froh sich selbst zu verstehen – es sind Menschen die meiner Hülfe bedürfen? Wohl mir, daß ich gewafnet bin!«

In der That er war mit Helm und Schwerdt davon gegangen, und eilte nun mit hastigen Schritten, den Ort woher die Stimme gekommen war, aufzusuchen.

Aber schon hatte er sich nach allen Seiten gewandt, ohne irgend etwas entdecken zu können; als er mit einem Male ein ländlich gekleidetes Mädchen vor sich hin eilen sah. Wunderbar zog es ihn hin, ihr zu folgen; aber sie ging so schnell, so leicht, kaum vermochte er sie zu erreichen.

»Liebes Mädchen! – rief er nun – warte doch ein wenig! Hast du nichts von den Menschen, die dort klagten gehört?« –

Schon bey den ersten Worten hatte sich das Mädchen furchtsam umgesehen, und war, da sie einen Mann mit Helm und Schwerdt erblickte, nur desto schneller geeilt. Aber der Mann holte sie ein. Jetzt sah sie grade in sein schwarzes, brennendes Auge, und sank mit einem lauten Rufe des freudigen Erstaunens in seine Arme.

Sie hatten sich gefunden die beyden liebenden Seelen und fühlten! daß es unmöglich seyn würde sie jemals wieder zu trennen.

Hoch über den blinkenden Helm hob er auf beyden Armen das reizende Mädchen, und schwur: daß er sich diese beste Gabe des Himmels trotz allen Widersachern erhalten wolle.

»Aber wie kamst Du hier her? – Wann erkanntest Du mich? – Wo bist Du die ganze Zeit über gewesen?« – So durchkreuzten sich nun die Fragen, und es wurde Nacht, ehe sie beantwortet waren.

Diese mußte man in dem Walde zubringen. Der junge Held sammlete dürres Laub seiner Einzigen ein Lager zu bereiten, legte sie dann behutsam darauf nieder, und entschlummerte nun zu ihren Füßen.

So erblickte sie Soline, die Beschützerin ihrer Jugend. Seitdem ihr die unglücklichen Kinder entführt wurden; hatte sie keine Bewohner mehr für die glückliche Insel gesucht; so, daß diese nun gänzlich entvölkert war. Sie gab es auf Menschen glücklich zu machen, und war unsichtbar nur bemüht, das allgemeine Elend zu mildern.

Aber jetzt sah sie die Lieblinge wieder! – Im höchsten Schmucke der Jugend. Dem Urbilde der unentweihten Menschheit ähnlich. –

»Sie sind mir erhalten! – rief sie in Geistertönen – Ich sehe es, sie sind meiner Liebe noch würdig!» –

»Hörtest du die Musik? – fragte Goldlöckchen.

»Nein; aber mir war so wohl, als schliefe ich auf der glücklichen Insel. Ach Goldlöckchen! weißt Du noch, wie man dort erwachte? –

»Ja wohl! O Gott! könnten wir sie wiederfinden!« –

»Muth! Muth! meine Einzige – rief er, und drückte sie fest an sein Herz – was wir wollen werden wir können. Laß uns aufbrechen! Kannst du nicht gehen; so trage ich Dich. Trage Dich, bis wir sie finden.«

»Aber wohin sollen wir uns wenden?« – fragte das liebliche Mädchen mit ihrer Flötenstimme.

Dorthin, wo die Sonne aufgeht – antwortete er, und sein Auge strahlte belebend wie sie.

Aber mit einem Male ein hoher Felsen in ihrem Wege! – »Wir werden ihn ersteigen!« – sagte er, und bot ihr die Hand. Ein jäher Abhang! – »Stütze Dich auf mich – rief er abermals – ich leite Dich hinunter.« Doch jetzt waren sie am Ufer des Meeres. Hinten am äußersten Horizonte schimmerte das glückliche Eiland.

»Ich kenne es! – rief er – Komm! wir müssen hinüber! Schlinge dich fest um meinen Arm! Hier ist meine Feldbinde, ich befestige Dich damit. Wohlan! Tod, oder Leben! – Soline! wir sind reines Herzens! Hilf uns, wenn Du uns liebst!« –

Bey diesen Worten zieht er das betäubte Mädchen mit sich fort, und stürzt hoch vom Ufer, mitten in die schäumenden Fluthen.

Aber Soline sah die Gefahr ihrer Lieblinge und wehrte den drohenden Wellen. Sanft schwammen sie hinüber, und lagen schon tief in einem erquickenden Schlummer, ehe sie noch zum völligen Bewußtseyn gekommen waren.

Jetzt erwachten sie, und fühlten sich eng mit einander verbunden.

»O Gott! so ist es kein Traum! – rief Goldlöckchen – Du bist es – Hier ist die Binde! Wir sind gerettet.

»Gerettet! – und wo sind wir? – O meine Einzige! sieh einmal um dich! – Weißt Du wo wir sind? – Weißt Du es.« –

Statt aller Antwort, schlang sie ihren Arm um seinen Hals und zog ihn mit sich nieder auf die Knie. So, die Blicke gen Himmel gerichtet, wollten sie für die Erhaltung ihres Lebens der Wohlthäterin danken; aber sie verstummten unter Thränen des Entzückens.

Die große, gütige Mutter sah mit Wohlgefallen auf sie nieder; aber sie hörte von nun an auf ihnen sichtbar zu werden. Nur vor Aufgang der Sonne flötete ein himmlischer Ton durch die Wipfel der Bäume: »liebt Euch, und seid reines Herzens.« Nachher war der Ton nicht mehr hörbar, und wenn man mehrere Tage den glücklichen Augenblick versäumt hatte, wurden die herrlichen Worte vergessen.

Dies ist wahrscheinlich der Fall bey Goldlöckchens Nachkommen gewesen. Nach wenigen Jahren konnte man die glückliche Insel nicht mehr finden; denn sie unterschied sich durch nichts von den übrigen.

 


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