Caroline Auguste Fischer
Vierzehn Tage in Paris
Caroline Auguste Fischer

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung

Mein Vater – ein hamburgischer Kaufmann – hatte ein ungeheures Vermögen in dem dänischen Actienhandel erworben.

Er ließ sich baronisiren, und wiederholte mir alle Tage, wie viele schlaflose Nächte es ihm gekostet habe, mir diesen Vorzug zu erwerben.

Ich war auch nicht unempfindlich dagegen; aber die ewigen Klagen über meine kleinen Ausschweifungen, wodurch ich ja eigentlich meinen Adel bestätigte – machten mir den theuer erkauften Titel sehr bald zuwider.

Der alte Baron starb, und der Junge eilte nun sich zu beweisen, daß er uneingeschränkter Herr seines Vermögens und seiner Gesundheit sey.

Aber Hamburg! – welch ein kleinlicher Schauplatz für einen solchen Thätigkeitstrieb! – Jeden Augenblick eine spitzige Frau Baase – ein wohlbeleibter Herr Gevatter! – Alle Erinnerungen an die gewaltige Kluft, welche das Baronat zwischen uns befestiget hatte – Was helfen sie? Wenn jeder Schmaus sie vergessen machen konnte! – –

»Nein!« – rief ich – »hier werde ich nimmermehr mündig! – Wohlan, heraus aus den dumpfigen vier Pfählen! In diesem elenden Winkel kann man ja nicht einmahl mit Ehren sein Geld los werden!« –

»Aber wohin? – wohin? ist das noch eine Frage! – nach Paris! nach Paris! dem Sammelplatze alles Schönen und Großen! Ah da werde ich erst anfangen zu leben! Da werde ich erst wissen, was Freiheit ist!« –

Gesagt, gethan! Mit vielem Gelde und einigen guten Worten kommt man sehr bald, wohin man will. Ich erwachte eines Morgens und – o der unsäglichen Wonne! – ich erwachte in Paris! – –

 

Erster Tag.

Eine Art von Gebrüll – mich dünkte es die lieblichste Musik – hatte mich schon um 8 Uhr geweckt.

Ich eilte ans Fenster um meine Augen an den interessanten Urhebern dieser kraftvollen Töne zu weiden, und entdeckte zu meiner innigsten Freude einen Trupp junger Conscribirter, welche zum besten der Freiheit ihre Lungen auf das Uneigennützigste angriffen.

Ich konnte mich nicht enthalten etwas zur Vollstimmigkeit des Chores beizutragen, und ward durch den Beifall der Amazoninnen des Zuges für meine Anstrengung hinlänglich belohnt.

Aber jetzt trat Herr Lamare, der Wirth des Hotels, herein, um die Befehle des Citoyen Baron zu vernehmen, und um ihm einen Citoyen Laquais vorzustellen, der als ein Muster von Treue und Geschicklichkeit berühmt war.

Die Treue des Citoyen Laquais mogte um so verdienstlicher seyn, da sie ihm nichts weniger als leicht zu werden schien.

Ich würde damals schon diese Bemerkung gemacht haben, wenn mich nicht die Anrede: »Mylord anglois!« plötzlich überzeugt hätte, daß ich mich und meine Garderobe keinem liebenswürdigerem Manne, als dem Citoyen Provence, anvertrauen könne.

Er beurlaubte sich mit einem Entrechat, um sein neues Amt sogleich anzutreten, und der Citoyen Lamare hatte die Güte, noch etwas bey mir zu verweilen, um mich durch wiederholte ›que Dieu me damne!‹ zu versichern; daß er mich eben so, wie der Citoyen Laquais, für einen englischen Lord gehalten habe.

»Grade deswegen wären mir die besten Zimmer zu dem sehr billigen Preise von 40 Louisdo'r monathlich eingeräumt worden. Der Lord schwebe ihm noch immer auf der Zunge, und blos die unendliche Achtung vor meinen Befehlen dränge ihn zurück.«

»Ich bekenne – setzte er hinzu – daß ich von jeher, trotz meines Patriotismus, ein unbeschreibliches Foible für die deutsche und englische Nation gehabt habe.«

»Gott soll mich verdammen, wo mir nicht ein einziger solider Fluch d'une telle ame noble lieber ist, als alle leeren Caressen der andern misère.«

»Nein, ich werde es mir stets zur Pflicht machen, diese liebenswürdige Jugend auf das redlichste zu bedienen, und habe daher auch den berühmtesten Officier de Santé an mein Haus attachirt.«

»Der Citoyen Ramy wird noch heute die Ehre haben Ihnen aufzuwarten, und ich bin überzeugt, daß seine mannichfaltigen Talente von außerordentlichem Nutzen für Sie seyn werden.«

Ich versicherte nun zwar, »daß ich mich vollkommen wohl befände,« – aber der Citoyen Lamare betheuerte: daß man in dieser Stadt nicht vorsichtig genug seyn könne.

Während er noch beschäftigt war, mir die Gefahren, denen ich mich aussetzen würde, zu schildern, trat der Citoyen Ramy mit einer Zuversicht herein, die alle meine Zweifel verstummen machte.

Diese Zuversicht war um so nothwendiger, da er, wie so mancher großer Mann, dem Anstande und der Figur nach, sehr leicht mit einem Marktschreyer hätte verwechselt werden können.

Nachdem er den Citoyen Baron, in der Hauptstadt der Welt, auf das lauteste bewillkommt hatte, ermahnte er den Citoyen Lamare sich des Glückes würdig zu machen, einen so liebenswürdigen jungen Mann zu bewirthen.

Man kennt mich hier schon – fuhr er fort, nachdem er den Herrn Wirth durch ein Zeichen entfernt hatte, – und weiß, daß ich über gewisse Dinge keinen Spas verstehe. Wird der Citoyen Baron nicht gehörig bedient, so hat er sich deswegen nur an mich zu wenden.«

»Nun, wie stehet es denn mit unsern Adressen, Bekanntschaften, u. s. weiter? – indem er sich sehr bequem auf ein Sopha niederließ – hat man Sie guten Häusern empfohlen?« –

»Wenigstens schienen sie es meinen Freunden zu seyn.«

»Ah ha! scheinen! scheinen und seyn! mein geliebter Freund!« –

»Hier sehen Sie selbst,« – sagte ich, indem ich meine Brieftasche öffnete. –

»Nun ja! nicht übel! – aber doch nicht hinreichend für Ihre Reputation, für Ihren Eintritt in die Welt.« –

»Alle diese Häuser sind von einer Parthei – zu monoton. – Verschiedenheit der Meinungen, Abwechslung der Gegenstände, das ist es, was einen jungen Mann bildet.«

»Na! Na! lassen Sie mich nur machen! will Sie schon einführen. – Kenntniß des Terrains! Kenntniß des Terrains, das ist jetzt die Hauptsache. Um Gottes willen keinen Schritt ohne mich! könnten sich schrecklich embrouilliren!« –

»Nun wie ists? – schon eine kleine Societé für diesen Mittag engagirt?« –

»Noch nicht.«

»Hm – hm – schlimm – darf ich nicht zugeben – werden mir hypochondrisch – dürfen nicht allein essen. – Die vermaledeyten Einladungen! – hat man zehnmal abgeschlagen, muß man doch endlich einmal annehmen. Könnte ich mich nur losmachen! – nun, erwarten Sie mich bis zwey Uhr. Ich will mein Möglichstes thun. – Sans adieu! ich muß zu meinen Kranken!«

Jetzt meldete der Citoyen Provence eine Menge Kaufleute, Schneider, Schuster, Tanz- Musik- Sprach- Fecht- und Gott weiß, was alles für Meister.

Diese nebst meiner Toilette unterhielten mich vollkommen bis zum Mittagsessen.

Man hatte aufgetragen und – wie rührend! – der Officier de santé erwartete mich schon an der Tafel.

Wir wurden durch zwey junge Citoyens bedient, welche mir mit sehr vieler Grace ankündigten: daß sie die Ehre hätten mir anzugehören.

»Wie ist das möglich?« – fragte ich etwas erstaunt. –

»Der Citoyen Lamare hat uns engagirt.«

»Sonderbar!« – fuhr ich fort –

»Gewöhnlich! ganz gewöhnlich!« – wiederholte der Doctor. –

»Le Citoyen Baron kann ohne drey Leute kein Haus machen. Aber laissons cela! hier sind wichtigere Dinge! – Von wem ist der Wein?« –

Le Sieur Jasmin nannte zitternd den Namen.

»Poison infernal!« – rief der Doctor »daß man sich nicht unterstehe dem Baron dieses Geschmier vorzusetzen. Feder! Papier! – Hier« – fuhr er fort – »ist der Name eines ehrlichen Mannes. Hundert Flaschen, fürs Erste, bis ich selbst komme und ein ordentliches Assortiment für den Baron ausnehme.«

Jasmin flog, und ich drückte dem Doctor dankbar die Hand.

»Ce n'est rien mon enfant« – sagte er – »ich ärgre mich nur, daß man sich erfrecht, so etwas in einem Hause zu unternehmen, wo ich ein und ausgehe. – Nichts mehr davon! Guillaume den andern Gang.«

Jetzt kam der Wein, und der Doctor bewies nun auf das Ueberzeugendste, daß er ihn für nichts weniger als schädlich halte.

Aus Gefälligkeit für mich ward die Tafel ziemlich verlängert, und kaum daß wir noch bey meinem Banquier eintreten konnten, so hatte auch schon die Uhr zur Oper geschlagen.

Die Realisirung meiner Wechsel machte nicht die geringste Schwierigkeit, und der Doctor ward dadurch in eine wahrhaft rosenfarbene Laune versetzt.

Jetzt ging es in die Oper, und die armen Hände des Officier de santé kamen nur in den Zwischenacten zur Ruhe.

Wie gern hätte ich ihm beygestanden, aber die fürchterlichen Rouladen der Primadonna und die grausenhaften Verrenkungen des ersten Tenors erschütterten mich so sehr, daß ich eine unüberwindliche Mattigkeit in allen Gliedern fühlte.

Der Doctor versicherte mir, daß es mehreren Ausländern so gehe. Man müsse erst für die hohen Schönheiten dieses Meisterspiels empfänglich gemacht werden, um sie ganz zu genießen.

Ich gab das zu, und versprach: mein Möglichstes zu thun. Indessen vertröstete er mich auf das Ballet, und machte mich besonders auf eine Tänzerin aufmerksam, welche ein Muster von uneigennütziger Liebenswürdigkeit seyn, und sich durchaus von den Personen ihres Standes unterscheiden solle.

Ihre Figur war in der That sehr anziehend, und ich hatte nichts dawider, als der Doctor mir vorschlug, ihr, nach einem geendigten Solo unsre Aufwartung zu machen.

Hatten wir auf dem Theater ihre Lebendigkeit bewundert, so mußte man gestehn, daß sie hinter den Coulissen alle Vorstellung übertraf.

Ein Dutzend junger Citoyens wurden dergestalt von ihr in Athem erhalten: daß sie alle Geistesgegenwart zu bedürfen schienen, um der schnellfüßigen Göttin nach Würden zu huldigen.

Aber ein Wink meines Begleiters, und sie hatten vollkommen Zeit neuen Weihrauch zu sammeln.

Der Citoyen Baron ward mit einer Theilnahme bewillkommt, die ihn freylich sehr stolz, aber auch herzlich verlegen machte.

Sein holprichtes Französisch ward jetzt noch ein klein wenig holprichter, und ein Pas de deux, wozu die Citoyenne Rose abgerufen ward, konnte nicht erwünschter für ihn kommen.

Wir eilten zurück in die Loge, und der Doctor vertraute mir: daß er die Erlaubniß erhalten habe, mich noch heute zum Souper bey der liebenswürdigen Freundin einzuführen.

Wie viel Glück auf einmal! – Alle Ermahnungen des Doctors, die Kunst der Tänzer zu bewundern, waren vergebens. – Ich versank aus einem süßen Traum in den Andern, und nur die Besorgniß: ob ich mich auch angenehm genug darstellen würde, – konnte mich für eine kurze Zeit erwecken.

Jetzt war das Schauspiel geendigt; unser Wagen rollte vor das Hotel der Citoyenne Rose, und wir wurden in einem mit asiatischer Ueppigkeit möblirten Saale auf das Schmeichelhafteste bewillkommet.

Die Citoyenne stellte mir ihre Mutter vor. Auch ward ich mit einer Freundin des Doctors bekannt gemacht. Er war gütig genug, diese sogleich in eine lebhafte Unterhaltung zu verwickeln, wahrscheinlich um mir Zeit zu lassen, der liebenswürdigen Rose eine vortheilhafte Meynung von mir einzuflößen.

Mit der bewundernswürdigsten Leichtigkeit ergänzte sie meine schülerhaften Ausdrücke, und kaum war eine Viertelstunde vergangen, als wir uns so gut verstanden, als man sich nur immer verstehen kann.

Bey Tische mußte ich an ihrer Seite sitzen, und da eine Parthie Whist vorgeschlagen ward, erklärte sie durchaus keinen andern Teilnehmer haben zu wollen.

Der Champagner und diese berauschenden Aeuserungen waren freilich nicht sehr vortheilhaft für meine Börse. In Kurzem hatte ich 80 Louisd'or verspielt, und da meine schöne Nachbarin bey dem Verwechseln der Kleider ihr Geld vergessen hatte, so war der Doctor so gütig, mir eine Rolle von 50 Louis vorzuschießen.

Die 80 Louisd'or hatte Mama in Sicherheit gebracht, die 50 gingen zu der Hausfreundin über, und da das Glück diesen Abend – wenigstens im Spiele – sich schlechterdings nicht für mich erklären wollte, so beschloß man mit seinen Launen bis morgen Geduld zu haben.

Die liebenswürdige Rose schenkte mir noch einen theilnehmenden Blick, man packte mich in meinen Wagen, und meine drey Citoyens trugen mich zu Bette.

 

Zweyter Tag.

Als ich am andern Morgen erwachte fand ich den Doctor bei meinem Bette mit der Untersuchung des Frühstücks beschäftigt. Er hatte schon einige Morgenweine besorgen lassen, und schien durch die Quantität der übrigen Nahrungsmittel, die von ihm getadelte Qualität für sich ersetzen zu wollen.

Es ward ein Spatziergang im Palais Egalité beschlossen, und sobald meine Morgentoilette geendigt war, machten wir uns auf den Weg.

Welcher Anblick für einen Fremden! – die bunt neben einander gereihten Waaren, das verwirrte Geschrey von allen Seiten, das Getöse der Instrumente, die ewigen wiederholten Fragen: ob man etwas kaufen, etwas verwechseln, etwas sehen wolle? – das alles betäubt in dem Grade, daß man es schlechterdings aufgeben muß, sich seiner Empfindungen deutlich bewußt zu werden.

In diesem Mittelpunkte aller Leidenschaften eilt die Zeit mit unerhörter Schnelligkeit dahin. Ich glaubte eine halbe Stunde gegangen zu seyn, und hörte von Provence: daß unser Wagen uns erwarte, und daß wir drey volle Stunden verweilt hätten.

Wir kehrten zurück und fanden an der Thür des Hotels einen Major Saggs, der den Doctor erwartet hatte. Man bewillkommte sich auf das brüderlichste, und da man die Tafel gedeckt fand, so ward einmüthiglich beschlossen, sich nicht von einander zu trennen.

Die Unterhaltung verbreitete sich größtentheils über das ausserordentliche Glück, was einige junge Leute im Spiel gemacht hatten.

»Man schreit mit Unrecht« – sagte der Major – »über die große Schädlichkeit der Hasardspieler. Hier ist es, wo ein junger Mann gegen die Launen des Glückes abgehärtet, hier oder nirgends, wo er wahre Fassung sich erwerben kann.«

Der Doctor fand die Anmerkung vortrefflich, und es ward gemeinschaftlich beschlossen: mich noch heute in diese Schule der Weisheit einzuführen.

Aber ich war zu der liebenswürdigen Rose eingeladen – nun, also auf den folgenden Abend. – Nachdem man dem Weine noch die gehörigen Lobsprüche ertheilt hatte, trennte man sich auf das freundschaftlichste, um sich auf die Launen des Glücks vorzubereiten.

Noch einen Gang in die freie Luft und wir befanden uns im Schauspiel, der Loge meiner göttlichen Rose gegenüber.

Schon wollte ich verzweiflungsvoll die Hoffnung aufgeben, da sah ich endlich die Thüre sich öffnen – ach und es war doch nicht meine Rose! – Eine durchreisende Fürstin, die Frau des ersten Consuls, so etwas konnte es seyn – meine Rose war es nicht.

Der Doctor lachte –

»Sehen Sie doch nur recht zu! nehmen Sie doch ihre Lorgnette! rief er.« –

»O Himmel wäre es möglich! – Wie? – diese Person, die für mehrere hunderttausend Thaler Juwelen an sich hat – das wäre Rose? –

Der Doctor. Ist Mademoiselle Rose. –

Ich. Aber mein Gott! woher das Alles? –

Er. Woher? Glauben Sie denn, daß man eine solche Person nicht zu schätzen weiß? – Der Lord P . . . hat ihr das, und noch weit mehr gegeben, und ist dafür kaum eines Blickes gewürdigt worden.

Ich. Aber ich – – –

Er. Nun freilich Sie! – wenn mans nicht sieht, glaubt mans auch nicht. – Sie ist ganz außer sich. – Sehen Sie nur die Augen. –

Ich. Ach bester Doctor! ob sie mich wohl liebt? –

Er. Liebt! – nun das nenne ich doch taub und blind seyn! – liebt! – ich sage Ihnen, daß sie nur für Sie lebt, daß sie für alles Andere todt ist! –

Ich. O Gott! wäre es möglich!

Er. Möglich! – über den Ungläubigen! Nun warten Sie! ich will Ihnen die Bestätigung aus Röschens eigenem Munde holen.

Bey diesen Worten verschwand er, und einige Minuten darauf sah ich ihn an Rosens Seite wieder erscheinen.

Welche Blicke! welche Winke! – Ich war wie berauscht. – Theater, Schauspieler, Zuschauer, alles verschwand vor meinen Augen, und als der Doctor wieder zurückkam, sank ich ihm sprachlos in die Arme.

»Glücklicher junger Mann!« – rief er – »wie man Sie liebt! – Sehen Sie! ein prächtiges Etuis! ich habe es zum Andenken dieses Tages bekommen. – Sie sehnt sich unbeschreiblich nach dem Ende des Schauspiels. – Welch ein Abend für Sie!« –

Die Blicke aus der Loge hatten mich berauscht, diese Aeußerungen waren nicht geschickt mich wieder nüchtern zu machen. Taumelnd stieg ich in meinen Wagen, und nur in der Nähe der göttlichen Rose wurden alle meine Sinnen von neuem belebt.

Man trank sehr viel, man lachte noch mehr, und es war von keinem Spiel die Rede.

Der Doctor mußte die Hausfreundin begleiten, versprach aber augenblicklich wieder zu kommen. Mama nickte schläfrig den Armen des Lehnsessels entgegen, und die göttliche Rose kämpfte augenscheinlich mit sich selbst, um nicht in die Meinigen zu sinken.

Ein paarmal erwachte Mama von dem Kampfe, und da sie immer wieder von ihrer Tochter einen schalkhaften guten Morgen bekam; so beschloß sie, sich diesen kindischen Neckereyen zu entziehen.

Sie nahm ihr Licht, äußerte gehörig ihren Unwillen über des Doctors langes Außenbleiben, empfahl Artigkeit und Sittsamkeit, und schlich in ihr Kämmerchen.

Wir vergaßen Mama, den Schlaf, die Zeit und den Doctor, und würden sie wahrscheinlich noch lange vergessen haben, wenn uns nicht das Kammermädchen daran erinnert hätte.

Mademoiselle Rose schien heftig zu erschrecken, da sie hörte, daß es schon nach Mitternacht war; aber die kleine Soubrette wußte sie sehr bald zu beruhigen.

»Nun was wäre es denn für ein Unglück!« – rief diese – »der Doctor ist fort und kommt nicht wieder – Mama schläft und würde von der Trompete des jüngsten Gerichts nicht erwachen, und der Herr Baron ist hier vielleicht besser als zu Hause aufgehoben. Lassen Sie mich nur machen Mademoiselle, und gehn Sie ruhig zu Bette. Für den Herrn Baron soll schon gesorgt werden.« –

Sie gingen und ich blieb gedankenvoll zurück. – Wie? hatte ich die Winke des Kammermädchens recht verstanden? – sollte es möglich seyn? – hoffte ich nicht zuviel mit einemmale? –

Fanchon riß mich aus dieser Ungewißheit. Zwar sagte sie kein einziges Wort und that nichts, als daß sie mich aus der einen Thüre heraus und in die andre hineinschob. Es war sehr dunkel in dem Zimmer; aber meine Augen durchdrangen die Finsterniß, und alle Zweifel verschwanden.

 

Dritter Tag.

Am andern Morgen erwachte ich von den Armen der göttlichen Rose umschlungen, aber kaum daß ich mich meines Glücks deutlich bewußt werden konnte, so hörte ich ein heftiges Pochen an der Thüre.

Röschen ergriff hastig die Klingel und Fanchon berichtete zitternd: der Bürger Olivier sey da, und schwöre diesesmal nicht von der Stelle zu weichen. –

»Ich Unglückliche!« – rief Röschen – »wo der Grobian meine Mutter weckt; so bin ich verloren! – Geschwinde meinen Mantel! laß ihn herein kommen!«

Dieser Befehl würkte gleich einem Zauber. Röschen lag im Mousselinmantel gehüllt, auf dem Sopha, und ich stand – freilich etwas mangelhaft adonisirt daneben.

Le Citoyen Olivier erschien, und es ergab sich: daß der ganze Lärm wegen einer kleinen Rechnung von 2 tausend Livres entstanden war.

Mama sollte nichts davon wissen, und der Bürger Olivier nahm sich die Freiheit bey allen Teufeln zu versichern: daß woferne man ihn noch länger warten lasse, er genöthigt seyn würde andere Maasregeln zu ergreifen.

Fanchon zitterte jetzt nur vor Wuth, und Herrn Oliviers Perücke schien in großer Gefahr. Röschen lief verzweiflungsvoll zu ihrem Schmuckkästchen, und ihre Thränen benetzten ein paar Armbänder, die sie noch einmal um ihre schönen Hände befestigte und dann hoffnungslos dem Herrn Olivier übergab.

Dieser war nun in einem Huy verschwunden, und Fanchon schien jetzt alle Mäßigung zu vergessen.

»Grand Dieu Mademoiselle!« – rief sie – »welche Unvorsichtigkeit! Wissen Sie denn nicht, daß Sie morgen die Ariadne tanzen sollen? – Wenn Mama die Armbänder vermißt! – – nun ich mag nicht dabey seyn.«

Jetzt sah ich Ariadne ein Raub des Kummers werden, und mein Entschluß war gefaßt.

»Keine Thränen!« – sagte ich – »geliebte Rose! ich will alles bezahlen, der abscheuliche Mensch soll die Armbänder zurückgeben.

»Ah le bon coeur! ah l'excellent jeune homme!« – rief Fanchon begeistert – und in dem Augenblick war sie verschwunden, und Mons. Olivier stand wieder vor uns.

»Hier, Citoyen« – sagte ich – »ist das Geld. – jetzt die Armbänder zurück! Verstehen Sie mich!« –

»A merveille! à merveille Citoyen! ich wüßte nicht, daß ich jemals einen Menschen besser verstanden hätte.

Die Armbänder waren unser, Mr. Olivier empfahl sich, und Röschen schien liebender als jemals.

Jetzt trat der Doctor unter tausend Entschuldigungen herein. Man hatte ihn zu einem Kranken gerufen, und es war ihm unmöglich gewesen, wieder zurückzukommen.

»Da hätte ich bald ein Unglück gehabt« – fuhr er fort. – ›Der Lord Th . . . hat Mdlle. Clavier einen neuen Wagen mit sechs Pferden geschenkt. Der Kutscher probirt sie jetzt, und kann die Thiere gar nicht bändigen.«

»Was sind es für Pferde?« – fragte Röschen. –

Der Doctor. Schwarze! – sechs prächtige schwarze.

Rose. Ach Schwarze – die möchte ich nicht! – Aber einen Zug Isabellen, mit himmelblauem Sattelzeug! das müßte was köstliches seyn!

Der Doctor. Der Lord P. – braucht nur eine Ahnung dieses Wunsches zu haben.

»Ich hoffe« – fiel ich beleidigt ein – »daß die Ahnungen des Lord P. sehr überflüßig seyn werden – Auf Wiedersehn, liebste Rose!« – und so flog ich davon, um mit Hülfe einiger hundert Louisd'or und meiner drey Citoyens mir und der ganzen Welt zu beweisen: daß ein deutscher Baron vor keinem englischen Lord, und vor keinem Zug Isabellen sich zu fürchten habe.

Ich wußte, daß ich in Paris war – und daß es, wo nicht wahrscheinlich, doch wenigstens möglich sey, den Zug nebst dem Sattelzeug und den Wagen, noch vor Abend zu bekommen.

Dies ward zur fixen Idee bey mir. – Toilette, Mittagsessen, alles ward vergessen. Meine drey Citoyens schienen von derselben Krankheit ergriffen, und wer uns begegnete, schien nicht wenig Lust zu haben, uns eine berüchtigte Wohnung anzuweisen.

Die Uhr schlug fünf, und sechs Isabellen, gezügelt von einem gigantischen Schnurbart, rollten einen blau mit Silber ausgelegten Wagen vor Röschens Thür.

Fanchon riß das Fenster auf, und flog laut schreiend zurück, Röschen lag in einer süßen Schreckensohnmacht, und ich war glücklich wie ein von Weihrauch gesättigter Gott.

»Müssen in die freie Luft, Mademoiselle!« – rief Fanchon. – »Sie haben sich entsetzlich erschrocken! – Nach Bagatelle, nach Bagatelle! das wird Sie wieder herstellen.«

Der Vorschlag ward angenommen und Röschen im Triumphe nach Bagatelle gezogen. Ich wollte folgen, aber der Doctor kam mir an der Treppe entgegen und erinnerte mich, daß ich für diesen Abend versagt sey.

Wir gingen zu einem Restaurateur im Palais Egalité, wo uns der Major Saggs, ein junger Engländer und ein Schottländer erwarteten.

Die Unterhaltung war anfangs politisch, aber sie verbreitete sich bald über angenehmere Gegenstände, und in kurzem war sie da, wohin sie unter Männern gewöhnlich kommt, wenn der Wein sie belebt.

»O!« – rief ein hinzugekommener Fremder – »die Tänzerinn Rose sollten Sie gesehen haben! – Sie fuhr in einem Wagen vom letzten Geschmacke nach Bagatelle! – und die Pferde! die Pferde! – wahrhaftig man hätte sie selbst darüber vergessen können!« –

»Sie scheinen sie wirklich darüber vergessen zu haben,« – sagte der Engländer lachend. –

»Nun der Fehler wäre so groß nicht,« unterbrach der pflegmatische Schottländer; – aber wer mag denn der Jungfer das alles zu Füßen gelegt haben?«

»Ich glaube, ein deutscher Baron,« – antwortete der Fremde. –

»Gefangen! gefangen!« – rief der lebhafte Engländer. – »Baron, Sie werden ja roth bis an die Stirn.«

»Wäre es möglich,« – sagte der Schottländer erstaunt, – »daß sie eine so leichte Waare so theuer gekauft hätten? Herr Doctor, Sie führen Ihren Telemach nicht gut! – Er wird uns alle die Prinzessinnen verderben.« –

»Hier ist nichts zu führen, mein Herr« – antwortete ich empfindlich, – »was ich gethan habe, ist aus freiem Willen geschehen, und ich verbitte mir alle Anmerkungen darüber.«

»Schatz! Schatz!« rief der Major, – »wer will nun gleich so heftig werden! – laßt uns zum Spiele gehen! da sind alle die Kindereyen vergessen.«

»Zum Spiel! zum Spiel!« rief jetzt alles, und man lagerte sich um die grünen Tische.

Der Major gab Punsch, Liqueur und Champagner. Bald vermochten wir nicht mehr Karten und Gold zu unterscheiden. Der schnelle Gewinnst und das verwirrte Geschrey vollendete unsere Berauschung.

Der Engländer fing an zu verlieren und tobte, der Schottländer wagte fürchterlich und wühlte im Golde. Ich sah betäubt in die Karten, und die letzte deutliche Vorstellung deren ich mich erinnere, war: daß ich aufs Wort spielte.

Jetzt ward die Verwirrung allgemein. Ich begriff noch so viel, daß das Spiel geendiget sey, und daß ich mich in meinem Wagen befinde. Was nachher mit mir vorging, erfuhr ich nur durch die Erzählung der Bedienten.

 

Vierter Tag.

Ich war gänzlich betäubt in mein Zimmer getragen, und erwachte erst den folgenden Tag um ein Uhr.

Ein fürchterlicher Kopfschmerz verwirrte noch immer meine Vorstellungen, und nur allmählich ward ich meiner schrecklichen Ausschweifung mir bewußt.

»Man soll den Doctor holen,« – rief ich – »er muß mir sagen, wie das alles gewesen ist.«

Er kam und schien sehr gerührt.

»Armer junger Mann! Sie haben viel verlohren!« –

Ich. Viel! nun wie viel denn?

Er. Drey tausend Louisd'or.

Ich. Was! und das ließen Sie mich verspielen?

Er. Winkte ich Ihnen denn nicht? that ich nicht alles was ich konnte?

Ich. Drey tausend Louisd'or! – Ich hatte ja kaum hundert bey mir.

Er. Mein Gott! Sie wissen nicht, daß Sie aufs Wort gespielt haben.

Ich. Tod und Teufel! der verfluchte Punsch! –

Er. Ach es war ja fürchterlich, wie Sie tranken! – Sie wollten nicht hören! –

Ich. Hören! Ich erinnere mich nicht, daß Sie mir ein einiges Wort gesagt hätten!

»Er!« – rief der junge Engländer im hereintreten – »Er war mit der höllischen Klique verbunden!« –

»Mylord!« sagte der Doctor, und arbeitete an einer stolzempfindlichen Miene – »ich verbitte mir –

Der Engländer. »Was Lord! was verbitten! Man kennt Sie, mein Herr! Seyn Sie ruhig, das rathe ich Ihnen!«

Der Doctor. »Blos die Gegenwart des Barons hält mich ab.«

Der Engländer. »Mag Sie doch abhalten, was da will! mich wird nichts abhalten der ganzen Welt zu sagen, daß man uns berauscht hat, um uns auf das schändlichste zu plündern; aber Gott soll mich verdammen, wo ich einen einzigen Schilling mehr bezahle, als was ich bey mir hatte.

Der Doctor. Das mögte seine Schwierigkeiten haben. – –

Der Engländer. Schwierigkeiten! o ho! so viel Sie wollen! Lassen Sie mich nur machen! ich werde mit diesen Schwierigkeiten schon fertig werden. Der Baron, hoffe ich, wird auch kein Kind seyn.

Wie? – Sie schweigen? – –

Ich habe mein Wort gegeben« – sagte ich erröthend. –

Der Engländer. Ihr Wort! – Wem haben Sie Ihr Wort gegeben? – Einer Bande Diebe und Betrüger.« –

Der Doctor. Das sollte der Major wissen! – –

Der Engländer. O er wird das Vergnügen haben, es selbst von mir zu hören! –

In dem Augenblicke trat der Schottländer herein.

»Sir Walther« – fuhr der Engländer fort – »wird meiner Meinung seyn.«

Der Schottländer. Welcher Meinung? –

Der Engländer. Daß man uns gemeinschaftlich geplündert hat.

Der Schottl. Wohl möglich. –

Der Engl. Und das wir nicht nöthig haben, einen Pfennig mehr zu bezahlen, als was wir bey uns hatten.

Der Schottl. Hm – – das ist eine andere Sache. – –

Der Engl. Nein bey Gott! das ist dieselbe, und noch dazu eine ganz simple Sache!

Der Schottl. Kann seyn. – Ich habe mein Wort gegeben, und werde bezahlen.

Der Engl. A la bonne heure! bezahle wer da will! ich bezahle nicht, und wenn eine ganze Legion Teufel gegen mich aufstände! – Adieu Baron! Lassen Sie sich nicht übertäuben! –

Mit diesen Worten verschwand er, und gab dem Doctor freies Feld. Dieser überschüttete uns nun mit Lobsprüchen; aber sie schienen auf Sir Walther eben so wenig als die Exclamationen des Engländers zu würken.

Er versicherte ganz trocken: daß er sein Wort halten, aber Niemand überreden werde dasselbe zu thun.

»Das kommt auf eines jeden Disposition an,« – fuhr er fort, – »dem Einen ist es unangenehmer zu bezahlen, dem Andern schuldig zu bleiben.«

»Ich gehöre mit zu den letzten, und darum werde ich mich sobald als möglich von der Sache los machen. Hier« – indem er sich zu dem Doctor wandte – »ist die Summe für den Major. Mich sieht er nicht wieder.« –

Der Doctor griff mit vielen Bücklingen nach dem Gelde, und ich maschinalisch nach meiner Brieftasche. Die schottländische und die deutsche Nation wurden nun wechselsweise erhoben, und der Officier de santé empfahl sich unter tausend Freundschaftsversicherungen.

Jetzt rollte ein Wagen vor die Thür. –

»Aha der schöne Postzug! die Göttin des Tages!« – rief Sir Walther – »da muß die Freundschaft weichen! – Auf Wiedersehn, Baron!«

In der That es war Rose. –

»Himmel was habe ich gehört,« – rief sie – »Welch ein Unglück! Ach Treuloser! wären Sie gestern Abend zu mir gekommen, Sie hätten es vermieden!«

»Aber ich sehe schon« – fuhr sie mit einem durchdringenden Blick auf meine, freilich etwas magre Brieftasche fort – »Ich sehe schon, Sie wollen mit mir brechen.« –

»Ich Unglückliche! es wird mich zur Verzweiflung bringen! – Aber schwach sollen Sie mich wenigstens nicht finden! es sey! ich entsage Ihnen auf ewig!« –

»Rose! geliebte Rose!« – rief ich, als sie halb ohnmächtig auf das Sopha sank – »welche schreckliche Vorstellungen. Ich Ihnen untreu! Ich Sie verlassen! – Nimmermehr! Erholen Sie Sich! Auch mein Unglück ist nicht so groß, als Sie glauben.«

»Sehen Sie«– fuhr ich fort; indem ich zu meinem Bureau ging – »hier sind wenigstens noch für 6 tausend Louisd'or Papiere.«

»Ah das verändert die Sache« – rief sie begeistert – »Fort mit den melancholischen Grillen! ich Thörinn! Wie konnte ich nur einige Augenblicke an Ihrer Liebe zweifeln! Nein! Nein! Wir sind auf ewig verbunden!« –

Diesen Abend, mon idole! – –

Jetzt mußte ich zu einem Freunde des Doctors eilen, wo ich zu Mittage gebeten war und unter mehrern Gästen auch den Major Saggs fand.

Er überhäufte mich mit Liebkosungen, und konnte mir nicht genug betheuern, wie unendlich er meinetwegen gelitten habe. Aber er tröste sich mit der Wandelbarkeit des Glücks. Man werde heute nach dem Essen wieder spielen, und es komme auf einen Versuch an. Er sey im Hause bekannt und werde die Tische schon einrichten.

In der That, kaum waren wir aufgestanden, so lagerte sich alles wieder zum Spiele. Der Major wies mir einen Platz an, und nach einer Stunde hatte ich zweyhundert Louis baar und funfzehnhundert aufs Wort gewonnen.

»A ça Baron!« rief der Major – »heute ist der glückliche Tag! geschwinde noch eine Partie!«

Aber Rose erwartete mich, und die Freundschaft des Herrn Majors war mir doch, bey aller meiner niedersächsischen Gutmütigkeit, etwas zweifelhaft geworden. Ich winkte dem Doctor und empfahl mich.

»Sehen Sie!« – rief dieser – »man muß nur nicht gleich muthlos werden. – Das Glück hat seine Launen. Heute so, morgen so.« –

»Kann seyn,« antwortete ich etwas kalt. – »Fürs Erste werde ich aber nicht wieder spielen.«

»Richtig! richtig!« fiel er ein, – »man muß sich nicht abandonniren. Ach die Deutschen! parlés moi de cela, das hat Festigkeit!« –

Jetzt kamen wir bey Mademoiselle Rose an. War es meine Heiterkeit, des Doctors Blick, oder die Penetration meiner Geliebten – genug sie schien mein Glück errathen zu haben, und kam mir triumphirend entgegen.

Auch Mama war äußerst zärtlich, und gab mir eine gute Lehre über die andere.

»Spielen und spielen ist zweierley« sagte sie – »ein kleines vingt-un bey uns – nun ja das lasse ich mir gefallen – da kommt man nicht aus der Fassung – aber so ein mörderliches Pharo – nein! Gott soll mich bewahren! das ist schändlich, unchristlich, abscheulich! – mich grauset schon wenn ich daran denke!« –

Jeden Ruhepunkt in Mama's Rede füllte Rose mit Einem: »Hörst du wohl, lieber Freund?« – und lehnte sich zärtlich auf meine Schulter.

Ihre Berührung würkte electrisch, – Kaum sah ich mich von Mama und dem Doctor befreit, so eilte ich mit dem Feuer der heißesten Dankbarkeit, ihr meine Liebe zu versichern.

Weis der Himmel, wie es zuging, aber die Rede kam immer wieder auf meinen Gewinnst. –

Eh' ich michs versah, lag er zu Rosens Füßen, und ich hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als daß sie ihn annehmen mögte.

Anfangs weigerte sie sich zwar; aber von meinen dringenden Bitten verfolgt, wie hätte sie länger wiederstehen können! –

Es war sehr spät geworden – Mama und der Doctor kamen nicht wieder. – Alles schien uns zu begünstigen; – warum hätten wir uns trennen sollen? –

 

Fünfter Tag.

Erst gegen Mittag konnte ich mich den Armen meiner Danäe entreißen. Der goldene Regen des vorigen Abends schien den Wachsthum ihrer Liebe außerordentlich befördert, und eine Menge neuer Liebkosungen für mich hervorgebracht zu haben.

Als ich zu Hause kam, fand ich den Doctor.

»Gottlob!« rief er – »daß Sie da sind! ich habe eine Sache von der äußersten Wichtigkeit Ihnen mitzutheilen:«

»Der arme Mann, der die fünfzehnhundert Louisd'or gestern verspielte, schickt mich zu Ihnen. Er ist in der schrecklichsten Verlegenheit.«

Ich. Ich kann warten. Es eilt nicht!

Er. Bald gesagt, mein theuerster Freund! – aber die Ehre! die Ehre! –

Ich. Nun ich will schweigen. –

Er. Schön! großmüthig! vortrefflich! aber nicht befriedigend für einen so delikaten Mann, wie der Marquis. –

Ich. Großer Gott! was kann ich denn mehr thun!

Er. O davon ist gar nicht die Rede! Thun ja unendlich mehr als man von Ihnen verlangen kann. Aber für sich, für sich selbst könnten sie etwas thun.

Ich. Für mich? – lieber Doctor, Sie sprechen warlich in Räthseln! –

Er. Werden sich gleich lösen. – Haben Sie von der neuen Bank gehört?

Ich. Allerdings.

Er. Nun, sehen Sie, da wäre ein Hauptcoup zu machen. –

Ich. Aber wie kommt das hierher?

Er. Sehr gut. Der Marquis hat einen großen Theil seines Vermögens an diese Unternehmung gewagt. Gewagt, sage ich! – Der Ausdruck paßt nicht, denn wo man des Erfolgs so gewiß ist, da kann man eigentlich nichts wagen. Wollen Sie eine Kleinigkeit dazu hergeben; so treten Sie mit dem Marquis in Gemeinschaft, befriedigen seine Ehrliebe und sichern einen tausendfältigen Gewinnst.

Ich. Ich will es überlegen.

Er. Der unglückliche Mann! er sagte es wohl, daß Sie sich nicht dazu entschließen würden! der Gram hat ihn aufs Krankenlager geworfen.

Ich. Nun wie viel muß ich denn beitragen?

Er. Eine Kleinigkeit! – wie ich Ihnen sage, für Sie eine Kleinigkeit. Zehn bis zwölf hundert Louisd'or und die ganze Sache ist gemacht.

Ich. Freilich eine ansehnliche Summe. –

Er. Ja aber bedenken Sie auch den Gewinnst – den sichern, unausbleiblichen Gewinnst.

Ich. Nun es sey –

Und so war abermals meine Brieftasche merklich erleichtert.

Nach dieser so glücklich geendigten Negociation schlug mir der Doctor ein kleines freundschaftliches Mittagsessen im Palais Egalité vor.

Wir sollten heute noch einem glänzenden Souper beywohnen, und tonnten uns nicht besser darauf vorbereiten.

War es der gute Wein, die hinreißende Beredsamkeit des Doctors, oder lag es in der Sache selbst? – genug die neue Bank schien mir jetzt das vortrefflichste Ding von der Welt, und ich war entschlossen, allen meinen Freunden diese köstliche Speculation zu empfehlen.

Noch eine kleine Fahrt nach Longchamp zur Bewegung, ein paar Tassen in dem Thee literaire des Bürgers Millin zum relief, und die Stunde des Souper war da.

Nie hatte ich ein glänzenderes und geschmackvolleres gesehn. Wie plump fand ich jetzt unsre Hamburger Schmäuse, und wie ekelhaft die Unterhaltung, welche ihnen zur Würze dienen sollte.

Ich brannte vor Begierde, eine ähnliche Mahlzeit geben zu können, und ward durch den Doctor überzeugt: daß es mit seiner Hülfe nichts weniger als unmöglich seyn würde.

Es war nach Mitternacht, als ich aufbrach; aber vielleicht fand ich Rose noch wachend – vielleicht war ich sehnsuchtsvoll erwartet – auch hätte ich ihr so gern den Plan des großen Souper mitgetheilt.

Wie glücklich! ich sah noch Licht in ihrem Zimmer, und befahl meinem Kutscher zu halten.

Fanchon kam mir entgegen, und schien etwas betroffen wegen meines späten Besuchs. –

»Mademoiselle erwartet Sie nicht mehr.«

»Vortreflich, da werde ich sie überraschen!« –

»Sie schläft seit einer Stunde.« –

»Ach herrlich, herrlich! ich werde sie wecken! –

»Sie ist gar nicht recht wohl. –

»Mein Gott, das sagst du mir nun erst? – Fort, fort! da muß ich sie schlechterdings noch sehen!«

Mit diesen Worten ergriff ich die Thür; als Fanchon ein durchdringendes Geschrey aussties, und da sie mit ihrem breiten Rücken den Eingang nicht mehr schützen konnte, verzweiflungsvoll entfloh.

Jetzt eile ich betäubt durch die Vorzimmer; aber welch ein furchtbares Gepolter rasselt mir aus Rosens Schlafkammer entgegen! – Ich stürze hinein – alles ist finster – ich rufe: »Rose! Rose! um Gotteswillen, was ist das?« – keine Antwort – doch höre ich etwas athmen, schnaufen. – Zwischen den Stühlen, hinter den Tischen, da muß es seyn. – Ich tappe umher und bekomme etwas menschenähnliches zu fassen. Es ist sehr parfumirt, hat aber ein paar derbe Fäuste. Es ächtzt, es sträupt, es wehrt sich, aber ich ziehe es ohne Barmherzigkeit in das Vorzimmer, bis unter den großen Wandleuchter hinaus.

»Was! blendet mich die Flamme? – Tod und Teufel! das ist ja der Bürger Olivier! der grausame Armbands-Räuber! und o Himmel! nach der unvollkommensten Toilette von der Welt.«

Während dieser Ausrufungen hielt ich ihn noch immer an der Brust, und war zweifelhaft ob ich ihn gegen die Mauer zerschmettern oder ihn fürs Erste die Kraft meiner Füße empfinden lassen sollte. –

Er schien diesen Zweifel zu ahnen, und suchte unter wiederholten; »au nom de Dieu! misericorde!« sich von meiner unbequemen Hand zu befreien.

Aber dies mögte ihm schwerlich gelungen seyn; wenn ihm nicht eine plötzliche Erschütterung meines Zwergfells zu Hülfe gekommen wäre.

Ich trug ihn, ohne die Stelle des Angriffs zu verändern, bis an die Treppe, und nachdem ich für den ersten Stoß gesorgt hatte, überließ ich es nun seinem eigenen Gutdünken, auf welche Weise er die übrigen Stufen hinunter kommen wollte.

Jetzt wünschte ich die göttliche Rose mit meinem Triumphe bekannt zu machen, aber ich fand ihre Thüre verschlossen, und so blieb mir denn nichts übrig, als nach Hause zu eilen, um den Plan einer vollgenügenden Rache zu entwerfen.

 

Sechster Tag.

Schon brach der Morgen an; aber noch war ich zu keinem festen Entschlusse gekommen. Wuth und Verachtung, Sehnsucht und Abscheu wechselten unaufhörlich bey mir ab. Plötzlich erschien mir dann wieder der Bürger Olivier, und es war mir unmöglich ein schallendes Gelächter zu unterdrücken.

Aber bald fing ich wieder an zu toben, und befahl nun mit donnernder Stimme: daß man den Doctor augenblicklich holen solle. Kaum daß ich ihn vor brennender Ungeduld erwarten konnte.

Endlich stürzte er mit ungekämmtem Haar und verstörtem Gesicht herein.

»Mein Gott was ist denn vorgefallen? – Der verdammte Kerl! Provence! hat mich beinahe aus dem Bette gerissen. Aber grand Dieu! jetzt erst werde ich gewahr! welche Blässe! Welche schreckliche Veränderung! was in aller Welt kann sie hervorgebracht haben?« –

Diese und ähnliche Ausrufungen wurden nur durch Flüche beantwortet. Der Officier de santé begriff endlich, daß er einen guten Theil davon der göttlichen Rose zueignen konnte, und schien nun alle Fassung verlohren zu haben.

Aber plötzlich ermannte er sich wieder, und goß eine so bittere Lauge über das ganze weibliche Geschlecht aus, daß er mich selbst dadurch zum Schweigen brachte.

Diese leidenschaftliche Theilnahme unterstützte aufs neue meinen wankenden Glauben, aber dennoch beschloß ich, die Führung des Herrn Doctors künftig etwas näher zu beleuchten, und mich nicht so ganz unbedingt in seinen Willen zu ergeben.

Dem zu Folge ward ihm angekündigt: daß ich heute den vormaligen Chevalier F. kennen zu lernen wünsche. Er hatte mich in dem Thee literaire des Bürger Millin gesehen, und war mir mit außerordentlicher Höflichkeit zuvorgekommen.

Der Doctor hatte mehreres gegen diesen Vorschlag einzuwenden, schien aber doch zu begreifen: daß es für heute besser seyn würde, mir nachzugeben.

Der Chevalier, ein Mann von ohngefehr 40 Jahren, vereinigte die hinreißende Lebhaftigkeit des Franzosen, mit der sanften Gründlichkeit des Deutschen. Er dachte so tief und doch so schön – er handelte so groß und doch so natürlich, daß er sogar dem Witze des Doctors imponirte.

Freilich schien der Officier de santé sich nicht ganz wohl zu befinden, und da er nun gar einen gewissen Herrn Rouillac bemerkte, glich er vollkommen einem Verzweifelnden.

Dieser, ein junger Mann von unerschöpflichem Witze, fiel jetzt ohne Erbarmen über ihn her. Die Wunderkuren des Aesculaps, sein gütiges Vorurtheil für die Theaterschönen, seine glückliche Mentorschaft, nichts ward vergessen.

Der Doctor knirschte Flüche zwischen den Zähnen, und schnitt Kratzfüße; versicherte, daß er sich unendlich amusire; und schielte alle Augenblicke nach der Thür. Endlich erbarmte sich der Chevalier über ihn, und schlug eine Spazierfahrt nach Longchamp vor.

Dieses Longchamp war vormals eine Abtey, und liegt am Ende des Bois de Boulogne. Anfangs hatte die Revolution die Spazierfahrten dahin unterbrochen, aber jetzt schien sie keinen Einfluß mehr darauf zu haben.

Jedermann, der einen neuen Wagen oder ein brillantes Pferdegeschirr bewundern lassen wollte, zog gewiß Longchamp allen andern Vergnügungsorten vor.

In der That gewährt es einen intressanten Anblick, auf einer Strecke von beinahe drey viertel Meilen eine unendliche Mannigfaltigkeit von Fahrwerken zu erblicken.

Die unruhige Lebendigkeit der Fahrenden, die freudige Erwartung auf allen Gesichtern, wenn ein Feuerwerk oder irgend etwas ähnliches angekündigt ist, das allgemeine Streben nach einem Ziele, Alles trägt hier zu einem Freuden-Rausche bey, dem man sich willig überläßt.

Es ist bekannt, daß die Theaterdolche sehr stumpf sind. Jetzt erfuhr ich, daß es mit den Wunden, welche die Schülerinnen der Terpsichore schlagen, auch nicht viel zu bedeuten habe. Diese einzige Fahrt nach Longchamp hatte die meinigen der Heilung sehr nahe gebracht. Ich empfahl Mademoiselle Rose den Engeln – ob den schwarzen oder den weißen – kann ich mich nicht genau mehr erinnern – und beschloß an meiner vollkommenen Wiederherstellung auf das kräftigste zu arbeiten.

 

Siebenter Tag.

Eine neue Beschäftigung für mein Herz war ohnstreitig das beste Mittel dazu. Sir Walther gab ein Souper bey seiner Freundin Amelie, und hatte mich dazu eingeladen. Die Gelegenheit war erwünscht und durfte nicht unbenutzt vorübergehen.

Ich hatte Mademoiselle Amelie in Longchamp gesehen, und war so ziemlich was man bezaubert zu nennen pflegt. Sir Walther dachte sehr liberal, und wollte überdem in zwey Tagen nach England zurück. Mademoiselle Amelie empfing mich mit Auszeichnung, und tolerirte meinen empfindungsvollen Galimathias mit wahrhaft englischer Geduld.

Ein Heer französischer Helden und anglisirter Adonissen machte mir Platz. Sie schienen, von ihrer Unwürdigkeit durchdrungen, aller Hoffnung auf ewig zu entsagen.

Mademoiselle Rose ward von einer bequemen Eleganz umgeben, aber Mademoiselle Amelie bewohnte einen Feenpallast.

Hier schien alles Geistige versinnlichet, alles Sinnliche vergeistiget. Man fühlte sich mit einemmale der kleinlichen Alltagswelt entrückt, und überließ sich in süßer Betäubung der wonnevollsten Ahnung.

Sir Walther bestimmte mir als seinem presumtiven Erben den nächsten Platz bey seiner Freundin.

Welche leidenschaftlose Ruhe in seinem Betragen! – welche liebenswürdige Leichtigkeit in dem ihrigen! –

Wie so alles ganz anders, als in dem steifen, romantischen Deutschland! –

»Man hatte sich geliebt, so lange man glücklich dadurch war – man hörte auf sich zu lieben, sobald man befürchten mußte unglücklich dadurch zu werden.«

»Keine Thränen und keine Vorwürfe – keine Dolche und keine Giftbecher.«

»Statt zu schwärmen, hatte man vernünftig gerechnet, und es versteht sich von selbst, daß man die Ewigkeit der Liebe nur als Null hatte gelten lassen.«

Alle diese Bemerkungen verdankte ich Mademoiselle Ameliens Gesellschafterin. Einer kleinen Brunette, welche zwar nicht überflüßig hübsch; aber vollkommen im Stande war Mademoiselle Ameliens Comentatorinn zu werden.

»Bey den Herren Platonikern« – fuhr sie fort – »da ist es gewöhnlich, daß man beständig in den Lüften thront und die göttliche Psyche mit Ambrosia und Nectar speist; aber in unsern prosaischen Zeiten würde man nicht weit damit kommen.«

»Mademoiselle Amelie hat so gut, wie eine Andere, geschwärmt, aber sie hat sehr bald gesehen, wie wenig den Männern damit gedient war.«

»Einem jungen Menschen, der seine Cariere noch zu machen hat, ist eben so wenig als einem Geschäftsmanne, der nur eine augenblickliche Erholung wünscht, an einer unendlichen Leidenschaft gelegen.«

»Auch giebt es warlich nichts ekelhafteres, als die so hoch gepriesene fidelité à toutes epreuves. Das sitzt gegen einander über und jähnt zum Erbarmen.«

»Da ist an keine Abwechslung, an keine erfrischende Nahrung für Geist und Herz zu denken. Einen Tag wie den andern starrt man dieselben Fehler und dieselben Vollkommenheiten an.«

»Die Seele ermattet über dem ewigen Einerley. Man stirbt zehn Jahre früher, als man nöthig gehabt hätte, und bildet sich ein: die menschliche Liebe gekannt zu haben, wenn man eine einzige ihrer tausendfältigen Nuancen kaum halb ergründet hat.«

»Aber Mademoiselle« – unterbrach ich die kleine Aelster – »wenn man nun wirklich liebt?« –

»Verzeihen Sie mein Herr, aber der Einwurf war etwas deutsch. – Ich sage Ihnen ja: daß man nur liebt, wenn man ein wenig nicht recht gescheut ist.«

»O Gott! dieser herrlichen Leidenschaft auf ewig entsagen!« –

»Herrlich tant qu'il vous plaira! Zeigen Sie mir Jemand, der vom Morgen bis zum Abend, Jahr aus Jahr ein, liebenswürdig ist, – fügen Sie die Kleinigkeit hinzu, daß ich für diese Liebenswürdigkeit empfänglich bin, halten Sie mich schadlos für den ersten Kuß, für den ersten Händedruck, den ich bey einem freien Herzen hundertmal vervielfältigen kann, und ich werde lieben, daß Ihnen Grausen und Entsetzen ankommen soll.«

»Ah Mademoiselle! « – rief ich – »welche Philosophie!«

»Gut für das Theater« – sagte mein Nachbar, ein junger Schweizer; der bis jetzt unserm Gespräch stillschweigend zugehört hatte.

»Das soll wohl gar ein Vorwurf seyn« – antwortete Mademoiselle Iris – »aber er ist wider Ihren Willen zu einer Lobrede geworden.«

»Wenn ein System dem Orte, der Zeit und den Umständen angemessen ist – so ist es doch wohl alles, was es seyn kann.«

»Wollte der Himmel, man könnte von Ihren neuen und alten Philosophemen dasselbe sagen.«

»Aber es ist bekannt: daß Ihre Herren Philosophen eben so wenig Zeit haben, sich um diese Kleinigkeiten zu bekümmern, als ihre hochgepriesene Regeln selbst auszuüben.«

»Zugegeben Mademoiselle!« – erwiederte der Schweitzer – »wenn nun aber diese guten Leute sich einbilden: daß Zeiten und Umstände sich nach ihren Systemen, nicht diese nach jenen sich richten müssen? – Wenn sie Ihnen nun sagen: daß sie sich getrauen, eben so consequent wie Sie, und vielleicht noch ein wenig consequenter zu seyn, wenn es darauf ankommt, so angenehme Regeln wie die Ihrigen zu befolgen?«

Madem. Iris. Ach da liegt ja eben das lächerliche! – Sie stecken sich ein Ziel was sie nimmermehr erreichen können!

Der Schweitzer. Schon das Annähern, Mademoiselle, ist viel werth. –

Madem. Iris. A la bonne heure! Mein Herr! es giebt Kappen von verschiedenen Farben. Ueber den Geschmack läßt sich nicht streiten. – Ich befinde mich wohl in der Meinigen: und lasse den Herren Philosophen die Ihrige.

Der Schweitzer lächelte und schwieg, die Tafel ward aufgehoben, und Mademoiselle Iris versprach mir beim Abschiede, alles mögliche für mich zu thun.

»Mademoiselle Amelie ist äußerst gewissenhaft« – setzte sie hinzu – »Sir Walthers Termin geht bis übermorgen; aber dann können Sie auch eben so zuverläßig, wie er, auf meine Gebietherin rechnen.«

 

Achter Tag.

Sir Walthers Termin geht bis übermorgen;« – mit diesem Gedanken schlief ich ein, und mit eben denselben schlug ich die Augen wieder auf.

Noch einen ganzen, schrecklich langen Tag sollte ich warten. – Womit konnte ich ihn ausfüllen? – Der Doctor mußte abermals Rath schaffen.

Schon seit mehrern Tagen war die Seine mit Eise und mit der eleganten Welt von Paris bedeckt. Der Doctor schlug für jetzt einen Spaziergang dahin vor, und auf den Nachmittag ein Pferderennen. Man hatte wegen dieses letzteren häufige Wetten unternommen, und versprach sich die angenehmste Unterhaltung.

Im Vorbeygehen fanden wir die Thür der Bürgerin Lisfranc von den reizendsten Pariser Frauenzimmern belagert.

Die Damens wollten alle dem Schlittschuhlaufen beiwohnen, und konnten sich nicht eilig genug das dazu gehörige Costum verschaffen.

»Ja! Ja!« rief ein junger Fremder, der mit uns diese schöne Blumenkette betrachtete – »über gewisse Dinge verstehen die Frauenzimmer keinen Spas! die Französinnen, wenn es auf eine Modephantasie, die Engländerinnen, wenn es auf ihre Tugend, die Deutschen, wenn es auf eine Heirath, die Spanierinnen, wenn es auf Treue und die Italienerinnen, wenn es auf eine Schäferstunde ankommt.«

»Nicht wahr, Mademoiselle?« – fragte er eine niedliche Blonde, die so eben ganz metamorphosirt aus den Händen der Bürgerin Lisfranc erschien.

»Ach mein Herr« – antwortete sie – »alles was Sie wollen! aber lassen Sie mich nur um Gotteswillen durch! damit ich nach dem Eise komme!«

In der That ein intressanter Anblick. – Jung und Alt hatte sich in Bewegung gesetzt und schien nichts wichtigeres zu kennen, als sich durch Wind und Schneeflocken, nach der geliebten Eisbahn hinzuarbeiten.

Die Bürgerin Lisfranc hatte zwar die Herzen der Schönen durch reizende Jäckchen und Roben aller Art auf das beste verwahrt; aber die Herzen der Männer befanden sich eben deswegen in desto größerer Gefahr.

Ohne Zweifel ging manches an diesem merkwürdigen Tage verlohren, und die Bürgerin Lisfranc muß es erwarten, deswegen in Anspruch genommen zu werden.

Ich war für heute noch ziemlich ohne Schaden davon gekommen. Ob ich aber dieses meiner eigenen Vorsicht oder dem beseligenden Uebermorgen verdankte, kann ich nicht völlig entscheiden.

Jetzt mußte die Nachmittags-Toilette besorgt werden. Ich wollte zwar nicht um den Preis ringen, aber doch an einer Wette Theil nehmen.

Hierzu war es nöthig, auf einem gut gebauten Pferde und in einem geschmackvollen Kollete zu erscheinen. Mademoiselle Amelie konnte gegenwärtig seyn, und es war um so wichtiger, mit Wohlgefallen von ihr bemerkt zu werden.

Meine Toilette war geendigt, und ich gestand mir: sie sey eine der glücklichsten, die ich jemals gemacht habe.

Diese Bemerkung setzte mein Blut in einen so philosophischen Umlauf, daß ich schon jetzt über Mademoiselle Ameliens mögliches Außenbleiben getröstet war.

Gab es doch andere schöne Augen, die mich bemerken konnten. – Ueberdem ging Sir Walthers Termin bis Morgen, und es war doch nicht so ganz ausgemacht: ob es heute schon erlaubt sey, auf Mademoiselle Ameliens Blicke Anspruch zu machen.

»Allons vive la philosophie!« – rief ich – indem ich mit meiner eleganten Peitsche ein paar Mahl durch die Luft hieb – »sie ist die Würze des Lebens! und darf nie in etwas anderem bestehen, als dieses so angenehm wie möglich zu machen!« –

»Richtig! Richtig! Monsieur le Baron!« – antwortete Provence – »aber Sie glauben nicht, welche abgeschmackte Begriffe einige Leute von der Annehmlichkeit des Lebens haben.« –

»Da war ich voriges Jahr bey einem jungen Schweden, der führte auch denselben Wahlspruch beständig im Munde; aber sein Leben – welch ein erbärmlicher Commentar dazu! – Vom frühen Morgen an studirt, – dann ein kleines Mittagsessen, wovon ein Mädchen in einer Schnürbrust hätte satt werden können, – Nachmittags ein Spaziergang mit ein paar Graubärten, wo lauter überirdische Dinge abgehandelt wurden – dann in eine Abendgesellschaft, wo es nicht viel besser herging – vielleicht alle Jubeljahr einmal in die Oper – aber an ein Souper fin, an eine kleine Intrigue – gar nicht zu denken!« –

»Das ärgerlichste war, daß einige junge Leute, die zu leben verstanden und ihn ein wenig leben lehren wollten, immer mit lachendem Munde abgewiesen wurden.«

»Vergebens mahlten sie ihm einige Scenen mit den reizendsten Farben – vergebens luden sie ihm ein, wenigstens nur als Zuschauer ihren kleinen Parthien beizuwohnen; – er war und blieb unbeweglich.«

»Herr Graf« sagte ich manchmal – »Sie werden noch sterben, ohne die Freude gekannt zu haben.«

»Ey da sey Gott für!« – lachte er mir dann entgegen – »eben weil ich die Freude so außerordentlich liebe, kann ich diesen jungen Leuten nicht folgen.«

»Es war zum Rasendwerden! – Nachdem er nun so ein Jahr lang hier gelebt, die staubigsten Bücher aller Bibliotheken durchblättert, alle Gräser und Würmer gezählt, und seinen Koffer mit des Teufels und seiner Aeltermutter Instrumenten angefüllt hatte – reiste er eben so pausbäckig ab, wie er angekommen war, und tausende hätten sich darauf todtschlagen lassen: daß er nie einen Fuß in Paris gehabt habe.« –

Provence hatte wider seinen Willen meine Philosophie etwas erschüttert. Das System des Schweden dünkte mich doch nicht so ganz verwerflich. – Hätten sich nur die augenblicklichen Vortheile des meinigen damit verbinden lassen – wer wüßte, was ich gethan haben würde. –

Aber das Wettrennen unterbrach alle diese Zweifel. Es war schon vier Uhr vorbey, und kein Augenblick zu verlieren. Ich warf mich auf mein Pferd, und hatte das Glück, wenigstens keiner der Letzten zu seyn.

Jetzt trat unser Braune in die Schranken; dicht hinter ihm sein Nebenbuhler der Schwarze. Beide wurden mit lautem Freudengeschrey bewillkommt.

Schon wollten die Joquais sich auf ihre Rücken schwingen, als die braune und die schwarze Parthey sich einmüthiglich wiedersetzte.

»Laßt die Pferde allein!« – erscholl es von der einen – »Weg mit den Joquais!« – von der andern Seite.

Die kleinen Messieurs sahen sich betroffen an, und wußten nicht wozu sie sich entschließen sollten, bis sie endlich durch das wiederholte: »Fort! fort mit ihnen!« bewogen wurden, die Rennbahn zu verlassen.

Jetzt ertönte das Zeichen – die Pferde begannen den Lauf. Ah, wie sie flogen! wie das Angst- das Freudengeschrey sie verfolgte. Das Ziel! Das Ziel! es war nahe, der Braune! ach nein! – O Himmel, der Schwarze! der Schwarze! er ists! ist Sieger! – – Die hundert Louis sind verloren.

 

Neunter Tag.

Hundert Louis weniger, und keinen Genuß. – Das schmerzt. – Aber heute Sir Walthers Termin! – Die heilsamen Betrachtungen ein andermal! jetzt ist keine Zeit dazu! Jetzt ist die Hauptsache: so reizend, so liebenswürdig als möglich zu seyn! –

Provence sollte mich melden! aber Provence war schon seit zwey Stunden fort, und kam noch immer nicht wieder. –

Endlich trat er herein.

»Nun wie steht es? « – rief ich ihm entgegen, – »bin ich angenommen?«

Er. Nach vielen Schwierigkeiten. –

Ich. Welche Schwierigkeiten? – Sir Walter ist seit diesem Morgen nicht mehr hier.

Er. Richtig! aber man hat Mademoiselle Amelie von andern Seiten brillante Vorschläge gethan. –

Ich. So? –

Er. Es gab des Kukuks seine Scherereien, ehe ich nur einmal die Kammerfrau sprechen konnte. – »Mademoiselle sey nicht aufgestanden, – habe Kopfschmerzen, – schreibe Briefe,« – lauter Variationen. – Endlich kam sie: – aber so einsilbig, so kalt – mein ganzes savoir faire mußte aufgeboten werden, um nur das Nothwendigste zu erfahren:

Ich. Nun? –

Er. »Ihre Gebieterinn wolle bis Nachmittag nichts von andern Vorschlägen hören. Dieser Morgen sey Walthers Andenken gewidmet. Er habe zu edel gegen sie gehandelt, als daß sie nicht einige Stunden über den gehörigen Termin verfließen lassen sollte. Auch habe Lord M . . . Anerbieten gethan, die wenigstens einige Ueberlegung verdienten.«

Ich. Und der Herr Stockfisch antwortete nichts darauf? –

Er. Monsieur le Baron! Für Wen sehen Sie mich an? – Provence! ein Mensch um den sich Könige und Kaiser gerissen haben, wenn es auf die Leitung einer Affaire ankam! – Provence sollte nicht wissen, was in dergleichen Fällen zu sagen wäre!! –

Ich. Nur keine Tiraden! – Was du geantwortet hast, will ich wissen.

Er. Was der Herr Baron selbst geantwortet haben würde: – ›Daß wir nicht gesonnen wären, irgend Jemanden zu weichen, und daß der Lord so gütig seyn würde, die Seegel einzuziehen, woferne ihm daran liege, französische Luft noch länger zu athmen.« –

Ich. Nicht übel. – Aber was wolltest du eigentlich damit sagen? –

Er. Ach wie kann ich das jetzt noch wissen! – Ich gerieth in solche Wuth, daß Marton unter der Schminke erblaßte. – Hätte sie mir nicht plötzlich mit einem unbeschreiblich reizenden Kälberbraten, und mit ein paar Flaschen Champagner Einhalt gethan – so mögte Gott wissen, was aus der Sache geworden wäre! –

»Grosmüthiger Held!« – antwortete ich lachend – ›erbarme dich jetzt über meine Garderobe! – Ich werde ja diesen Nachmittag sehen, wohin deine kühnen Fußtapfen mich führen.«

In der That, es war äuserst nothwendig durch meine Figur so viel als möglich zu imponiren. Lord M . . . hatte ein ungeheures Vermögen. – Ich war verlohren, wenn nicht in die andere Wagschale ein ansehnliches Uebergewicht gelegt werden konnte.

Aber Lord M . . . hatte auch wenigstens ein halbes Jahrhundert auf dem Rücken, und das Gerücht fügte noch eine etwas critische Gemahlinn dazu. – Von dem allen wußte ich mich frey, auch war ich mit meinem Spiegel sehr wohl zufrieden, und hörte von Provence die wiederholte Versicherung: daß es heute schlechterdings unmöglich sey, mir zu widerstehen.

»Wohlan! nicht gewagt, nicht gewonnen! – ich hoffe Mademoiselle Amelie wird Augen haben!« – Mit diesen Gedanken trat ich in das Vorzimmer.

Niemand war da; aber die edle Unverschämtheit ist sehr oft ein Reitz mehr für die Damen. – Ich beschloß Mademoiselle Amelie zu überraschen.

Sie lag in einem höchst reizenden Negligee auf ihrem Sopha, und schien über mein plötzliches Eintreten etwas betroffen.

Ich entschuldigte mich mit meiner Sehnsucht, und war bemüht, durch die lebhafteste Zärtlichkeit meinen Fehler vergessen zu machen.

Aber bey jedem wiederhohlten Versuche wurde ich mit einer Kälte zurückgewiesen, die allen meinen Muth und meine Selbstgenügsamkeit zu überwinden drohte.

Noch einmal wollte ich es wagen. – Knieend bat ich sie jetzt, mir die Ursache dieser unbegreiflichen Abneigung zu entdecken. Mir zu sagen: warum sie die zärtlichste, die feurigste Liebe so grausam zurückstoße?

»Ach mein Herr!« – erwiederte sie – »alle diese Herrlichkeiten sind unbeschreiblich langweilig, wenn man so genau, wie ich, damit bekannt ist.«

»Sie glauben jetzt mich zu lieben, nach einem Monathe glauben Sie vielleicht das Gegentheil. – Das Eine kann zu seiner Zeit eben so wahr seyn, als das Andere. – Aber wie können Sie sich einbilden: daß ich meine Zufriedenheit diesen abwechselnden Launen aufopfern werde?« –

»Nein, Sir Walthers Liebe war von ganz anderer Art!« – –

Ich. Nimmermehr! Sir Walther konnte Sie nicht inniger, nicht zärtlicher lieben!

Sie. Ach Herr Baron, Sie kommen mir schon unbeschreiblich französirt vor! – Welcher Eigendünkel, Ihre Art zu lieben auf den Thron setzen zu wollen! – Genug ich sage Ihnen: daß Sir Walthers Liebe unendlich von der Ihrigen verschieden, unendlich überzeugender war!« –

Bey diesen Worten stand sie auf, und suchte sich von mir los zu machen.

»Ah Mademoiselle!« – rief ich – »was soll ich, was kann ich thun, Sie zu überzeugen!« –

»Fürs erste, mich mit diesen antiken Ritterscenen verschonen.«

»Ich wünsche allein zu seyn, Herr Baron, und hoffe, Sie werden mich entschuldigen.« –

Mit diesen Worten schlug sie die Thüre des Kabinets hinter sich zu, und überließ mich allen Quaalen einer getäuschten Erwartung.

Betäubt starrte ich die Wände an, und verweilte zu meinem Unglück auf einem großen Spiegel, der meine ganze erbärmliche Figur zum Rasendwerden treu mir entgegenwarf.

Alles Apolonische war verschwunden – dafür aber war soviel Acteonisches in meine Physiognomie gekommen, daß ich ohnfehlbar den verwünschten Spiegel zertrümmert haben würde; wenn Mademoiselle Iris nicht in dem Augenblicke erschienen wäre.

»Mademoiselle!« – rief ich – »Sie haben schlecht für mich gesorgt! Man wirft mich mit einer Kälte, mit einer Härte zurück, die mein Innerstes empört!« –

Madem. Iris. Ah mein Herr! Umstände verändern die Sache! – Sie sprachen von Liebe, und schienen geneigt sie zu beweisen – –

Ich. Nun mein Gott! Habe ich sie denn nicht bewiesen? –

Madem. Iris. So viel ich schließen kann, bis jetzt noch nicht.

Ich. Ach hätten Sie mich nur gesehen! – mit welchem Feuer, mit welcher inniger Zärtlichkeit . . .

Madem. Iris. Verzeihn Sie Herr Baron! aber Ihre Naivetät ist unbeschreiblich possirlich! – Durch eine leidenschaftliche Aufwallung denken Sie eine Person zu gewinnen, die mit den Herzen der Männer so bekannt, die an englische Freigebigkeit gewöhnt ist! – Müssen noch dazu einen der gefährlichsten Nebenbuhler überwinden! – –

Ich. Wen? – Lord M . . .?

Madem. Iris. Allerdings Lord M . . . Er hat diesen Morgen eine Banknote von tausend Pfund geschickt, ohne nur einmal Anspruch auf eine Visite zu machen. –

Jetzt fiel es wie Schuppen von meinen Augen. – Ich suchte meine Brieftasche – aber vor lauter Eile hatte ich sie zu Hause vergessen.

Was war zu thun? – Mit ziemlich übel gesetzten Worten dankte ich Mademoiselle Iris für ihre Zurechtweisung, versprach sie auf das baldigste zu benutzen, und empfahl mich unendlich bescheidner, als ich gekommen war. –

 

Zehnter Tag.

Provence war mit dem frühesten zu Marton geeilt; um durch sie eine Lieblingsneigung ihrer Gebieterin zu entdecken.

Was auch mein Portefeuille dazu sagen mochte – ich war entschlossen mich durch etwas vorzügliches auszuzeichnen.

Marton hatte unter dem Siegel des Geheimnisses gebeichtet: Mademoiselle Amelie habe vor kurzem eine neue Art Halsband gesehen, und wünsche ein ähnliches zu haben. Monsieur Crochu sey ihr Bijoutier, und verstehe sich außerordentlich gut auf ihren Geschmack.

»Fort also zu Monsieur Crochu!«

Provence flog, und der Bijoutier stand mit seinem ganzen Apparate vor mir.

Der Doctor war mit ihm hereingetreten und kritisirte seine Waare mit unerbittlicher Strenge. Zwar suchte er das alles durch freundschaftliche Blicke und Winke wieder gut zu machen; aber dennoch zwang er Monsieur Crochu, ein ganz besonders verwahrtes Kästchen seiner Untersuchung Preis zu geben.

Jetzt, da es geöffnet ward, schien er außer sich zu gerathen, und bedeutete mir durch allerhand Zeichen: daß wir diesen Fund schlechterdings nicht aufgeben müßten.

»Wie hoch der Preis?« – fragte ich erwartungsvoll –

»Zwölftausend Livre.«

Ich dachte an meine Brieftasche, und erschrak. –

Der Doctor schien meine Verlegenheit zu merken, und fragte den Bijoutier: ob er mit der Hälfte zufrieden seyn wollte, wenn ich ihm eine Verschreibung gäbe? – »Sobald ich die Handschrift des Herrn Barons habe,« – antwortete Monsieur Crochu – »kann das Ganze warten, so lange es ihm beliebet.«

Das Halsband und dieses schmeichelhafte Anerbieten wurden beyde aus begreiflichen Ursachen von mir angenommen, und Monsieur Crochu mit der Versicherung meines vollkommensten Wohlgefallens entlassen.

Jetzt war das wichtigste, Mademoiselle Amelien mit gehörigem Anstande das Opfer darzubringen. –

Nach der letzten Entrevue, ein etwas schwieriges Unternehmen. – – Indessen faßte ich Muth, und machte mich auf den Weg.

Hatte Monsieur Crochu schon einige Winke gegeben, oder was war es sonst? – Genug Mademoiselle Iris, Marton, alles was mir entgegen kam, hatte diesen Morgen ein Lächeln für mich.

Melden, Annehmen, in das innerste Heiligthum dringen, war jetzt das Werk eines Augenblicks. Die Göttin schwebte mir mit holdseeliger Freundlichkeit entgegen, und mein Opfer ward mit einem Blicke angenommen, der alle meine Leiden überschwenglich belohnte.

Ich wagte es, diesem Blicke eine dem Orte, der Zeit und den Umständen angemeßene Bedeutung zu geben; – aber mein Glück wurde bis auf den Abend verschoben; dann sollte ein großes Fest gegeben, und Angesichts meiner Nebenbuhler der Sieg mir zuerkannt werden.

Taumelnd vor Entzücken, in sehnsüchtigen Träumereyen vertieft, kam ich jetzt in meine Wohnung. Der Doctor hatte mich schon lange erwartet, und erzählte mir mit vieler Lebhaftigkeit die wichtigsten Begebenheiten des Tages.

Einige Namen, ein paar witzige Anmerkungen, fielen mir auf – von dem Uebrigen hörte ich kein Wort.

Der Doctor bemerkte meine Zerstreuung, und ehrte sie mit vieler Delicatesse. Um mich der Besorgniß, als finde er keine Unterhaltung, zu überheben, war er so großmüthig, sich einer Unverdaulichkeit auszusetzen. Ich hatte keine Schüssel angerührt, und dennoch wurden sie alle rein ausgeleert wieder vom Tische genommen.

Der Nachmittag wurde auf meine Toilette gewandt, dann ging es in die Oper, und von da zu Mademoiselle Amelie. Um zu ihrer Thür zu gelangen, mußte mein Kutscher eine ganze Wagenburg durchdringen. Die Höfe, die Treppen, die Korridors, Alles wimmelte von Bedienten. Die Musik hatte schon angefangen, und man erwartete nur mich, um den Ball zu eröffnen.

Mademoiselle Amelie reichte mir ihre schöne Hand, und wir durchflogen die Reihen. Meines Wissens hatte ich das Ball-Kostum auf das sorgfältigste beobachtet, und in meinem Anstande war ja auch nichts Deutsches mehr zu finden.

Vor mir lauter Beifallszeichen, lauter Erclamationen über meine unendliche Grazie; – aber woher das Zischeln, das Räuspern hinter meinen Rücken? – Selbst Mademoiselle Amelie biß sich ein paarmal in die Lippen. Ich wußte nicht mehr, was ich denken sollte. – Endlich ging es zu Tische.

Ein Geschmack, ein Ueberfluß der alles was ich gesehen hatte, übertraf. Mademoiselle Amelie so reizend, so entzückend, so liebeathmend, als meine kühnsten Wünsche sie verlangen konnten.

Nach dem Souper das Spiel. Mademoiselle und abermals der Major Saggs, der Doctor und ich zu einer Parthie.

Meine Brieftasche! o meine arme Brieftasche! – die letzte Einzige Banknote! – sie mußte heraus. – Jetzt wandte man die Karte, und alles was ich hatte, war verlohren.

Meine Angst, meine Blässe, meine gänzliche Verwirrung – Dann meine starrende Verzweiflung. – Ich war verrathen – ich konnte meinen schrecklichen Zustand nicht mehr verbergen. – Und – täuschte mich die Hölle? – Ameliens Gesicht, ihr ganzes Betragen plötzlich verändert. – Eine Kälte, eine spöttische Bitterkeit. – – Ich mußte hinaus – das Herz wollte mir brechen. – Kaum athmete ich noch. – Der erste beste Fiacer – ich warf mich hinein und dachte, fühlte nichts mehr, als das Rollen des Wagens.

 

Eilfter Tag.

Ich erwachte von einem tiefen, dröhnenden Schalle. Es mußte eine Glocke in meiner Nähe seyn. – Doch hatte ich zuvor sie niemals gehört. Ich sah mich um – welch ein Zimmer! – Ich kannte es nicht.

Beim Kamine eine Lampe, auf einem weißen hölzernen Tische. Davor ein kleiner schlafender Mensch! – O Himmel, ein Mädchen! – Ich sprang auf – Ein junges, wunderschönes Mädchen! – Hier in meinem Zimmer! – aber es war ja nicht mein Zimmer. – Ein Traum! Ein Traum! – Aber sie athmete ja, – sie war ja so rührend, so unaussprechlich schön! – Der ganze Zauber der Jugend und der Unschuld strahlte von dem lieblichen Engelgesichte! – An meinem bebenden Herzen fühlte ich es ja, daß sie lebte.

Ach so hatte ich niemals empfunden. – Ihr Anzug war reinlich; aber ärmlich: und doch schien mir jede Berührung Entheiligung.

Aber jetzt konnte ich mich nicht mehr halten. – Einer von ihren schönen Füssen – ach, er war so rein, so zart, schien nur die Erde berührt zu haben – ruhte ohne Bedeckung auf einem kleinen Schemmel. Dicht neben diesem ragte ein abscheulicher Nagel aus dem Boden hervor. Der Fuß sank hinunter – schnell fing ich ihn auf – nun, lag er in meiner Hand. –

Leise beugte ich mich nieder. – Mein Athem stockte, – meine Lippen zitterten, – welch ein unbekanntes, namenloses Wonnegefühl! – ach mein Mund – er ruhte auf dem Fuße.

War ich ein anderer Mensch geworden! – Die heftigen, stürmischen Begierden – sie waren alle verschwunden. Ich wünschte nichts mehr – ich war glücklich, unaussprechlich glücklich. –

Lange blieb ich so in ihrem Anblicke versunken, vergaß mich und die Welt. Aber endlich kehrten die traurigen Erinnerungen zurück. – Ich dachte an den vorigen Tag, und eine brennende Thräne fiel auf den Fuß. – Sie erwachte.

»Ach Gott!« – rief sie – »sind Sie aufgestanden? Ist Ihnen denn wieder besser?« –

Welch ein Flötenton! ich konnte nur hören, nicht antworten.

»Ist Ihnen denn wieder besser?« – fragte sie noch einmal –

»War ich denn krank?« – sagte ich sehr leise. – Ich fürchtete, sie würde vor meiner Stimme erschrecken. Ich fürchtete die Flamme des Kamins, die Zugluft des Fensters. –

Mich dünkte, ich müsse das zarte Wesen vor jedem heftigen Eindrucke bewahren. Wer sie angerührt hätte, – mit dem Leben würde er es haben büßen müssen.

Und so plötzlich war das alles gekommen. – Mir war, als schlage ein anderes Herz, als denke eine andere Seele in mir, als könne ich nie wieder etwas schlechtes thun oder wollen.

Schon lange hatte sie mir erzählt; noch hatte ich nichts davon begriffen. Die unaussprechliche Grazie ihrer Bewegungen, die hohe göttliche Einfalt ihrer Züge, das Alles fühlte ich tief in meiner Brust – aber was sie sagte – in der That – ich hatte nichts davon gehört. Ich mußte sie bitten, es zu wiederholen.

Der Kutscher hatte lange vor dem Hotel gewartet, und glaubte, da ich ihm zurief, ich sey derselbe, den er hergebracht habe. Da er aber still hielt, um mich aussteigen zu lassen, fand er mich ohne Bewußtseyn in der Ecke des Wagens. Er sah, daß ich der schnellsten Hülfe bedurfte, und brachte mich zu seiner Schwester in das Häuschen, worinn ich erwachte.

Lange war man umsonst bemüht gewesen, mich aus der tiefen Ohnmacht zu wecken. Endlich erholte ich mich wieder, und nachdem ich einige unvernehmliche Worte zu den Umstehenden gesprochen hatte, fiel ich in einen tiefen anhaltenden Schlummer.

Das theure Mädchen war schon zur Ruhe gegangen, und hatte nichts von dem allen gehört. Jetzt aber, da die Mutter, nach der harten Arbeit des Tages, dem Schlafe nicht widerstehen konnte, ging sie, die Tochter zu wecken, und empfahl ihr, so bald ich erwachte, sie augenblicklich zu rufen.

»Ich weiß nicht, wie es kommt« – setzte das liebliche Wesen in hoher Unschuld, und eben darum ganz ohne Erröthen hinzu – »aber ich habe an die Mutter gar nicht gedacht.«

Jetzt flog sie davon, und ich hatte nicht den Muth sie zurückzuhalten.

Die Mutter erzählte mir nun: daß sie seit mehrern Jahren Wittwe sey, und bis vor ein paar Monaten auf dem Lande gelebt habe. Jetzt aber, da die Stickerey wieder gebräuchlich und in der Stadt mehr Arbeit zu bekommen wäre, sey sie dem Rathe ihres Bruders gefolgt, und habe sich hier niedergelassen.

»Er hat sich ein ansehnliches Vermögen erworben« – fuhr sie fort – »und will hier meiner Marie alles vermachen.«

Während die Mutter sprach, hatte das holdseelige Mädchen unaufhörlich an ihr zu putzen. Bald war es ein Haar, was zu tief hinunter hing, bald ein Stäubchen auf dem Ermel, ein Fältchen im Tuche. Dann glaubte sie, die gute Alte sitze nicht bequem genug. Oft, wenn sie dem, was die Mutter sagte, ihren Beifall gab, nickte sie unnachahmlich reizend mit dem Köpfchen und streichelte ihr die Wangen.

Ach wie ein tröstender Engel stand sie da. Kaum wagte ich es, die Augen zu ihr zu erheben.

Jetzt hatte die Mutter geendigt, und schien zu erwarten: daß ich nun auch über mich einige Aufschlüsse geben würde.

Aber das konnte freilich nur sehr mangelhaft geschehen. – Eher hätte ich sterben mögen, als in Mariens Gegenwart meiner Ausschweifungen erwähnen. Mein Verlust im Spiele mußte alles erklären, und ich eilte jetzt fort, um mich nicht zu verrathen.

Als ich vom Weggehen sprach, dünkte mich, Mariens Blick weile beinahe traurend auf mir. – Aber dann kehrte er wieder eben so frey und frölich zur Mutter zurück. – Ach sie war zu rein für mich! Meine Hoffnung war eitel! –

So lange ich in ihrer Nähe blieb, vermochte der Kummer nichts über mich; aber jetzt nagte er desto schrecklicher an meinem Herzen. Die Einsamkeit war mir fürchterlich, und ich befahl mit bebender Stimme den Doctor zu holen.

Jetzt erst, da ich anfing, ihm meine Lage zu schildern, kam ich zu dem ganzen Gefühl meines Unglücks. Mein eignes Herz ward durch meine Worte bewegt, und so durch mich selbst hingerissen ward ich erst spät gewahr, daß der Doctor mir kalt und unbeweglich gegenüber stand.

Nun da ich schwieg, zuckte er die Achseln bedauerte unendlich und versicherte: daß er mich schlechterdings nicht verlassen würde, wenn er nicht diesen Augenblick zu einem sehr gefährlichen Kranken eilen müsse. Der erste Kranke, von dem er jemals gesprochen hatte. Ich verstand ihn, alle Täuschung war verschwunden, und ich fiel in dumpfe Verzweiflung auf mein Lager.

Aber bald ward ich schrecklich aus meiner Betäubung geweckt. Der Halsbands-Verkäufer war da und bestand darauf, mich zu sprechen.

»Ich habe gehört,« redete er mich an, – »Mylord wird abreisen, und so wollte ich doch nicht unterlassen, ihn an die bewußte Kleinigkeit zu erinnern.«

Ich versicherte nun zwar: daß an keine Abreise zu denken wäre. Aber er blieb bey seinem vorgeblichen Glauben, und behauptete jetzt, da ich eine so erwiesene Sache läugne, sich seines Geldes versichern zu müssen.

Was sollte ich thun? – Jene Anweisung des Doctors an die neue Bank war das Einzige, was ich hatte. Ich zeigte sie dem Juwelier, und glaubte ihn nun völlig zu beruhigen. Aber mit schallendem Gelächter gab er sie zurück.

»Wenn das Mylords Resourcen alle sind,« rief er, »so muß ich von Herzen bedauren! Solcher Pappiere kann ich Ihnen zu tausenden für den funfzigsten Theil des Werthes verschaffen. Ich sehe jetzt, wie die Sachen stehn, und empfehle mich zu Gnaden.

Mit diesen Worten schlug er die Thüre zu, und ich starrte gedankenlos auf den Boden. Da lag ein Pappier; maschinalisch hob ich es auf. Die Addresse lautete an Monsieur Crochu. Ich las folgendes:

»Der deutsche Baron, der deutscheste, den ich jemals gesehen – prostituirte sich gestern so sehr auf meinem Balle, daß ich entschlossen bin, den albernen Herrn sobald als möglich zu verabschieden. Und dies um so mehr, da er über einen elenden Verlust im Spiele die Tramontane so ganz und gar verlohr, daß er ohne Abschied und mit wüthenden Gebehrden davon lief. Der Doctor hat ihm mit Hülfe seiner Bedienten schon ziemlich zur Ader gelassen. Sind seine Kräfte noch nicht völlig erschöpft; so neigen sie sich wenigstens zur Abnahme. Sorgen Sie um Gotteswillen für Ihre Bezahlung, und vergessen Sie nicht Ihre Freundin.«

Amelie.

 

Zwölfter Tag.

Welchen Eindruck dieser Brief auf mich machte, läßt sich errathen. Das Opfer einer höllischen Bande – ohne Rath, ohne Trost, ohne Hülfe, fremd in dieser ungeheuern Stadt – Was sollte aus mir werden! – Der Tag brach an, und mein Zustand gränzte an Wahnsinn.

Man verlangte mich zu sprechen – Eine schreckliche Ahnung durchdrang mein Herz. – Vier Männer traten herein – ich ward arretirt.

Wie ich aus meiner Wohnung, wie ich in das Gefängniß gekommen bin? Darnach forsche ich umsonst – es ist ganz aus meinem Gedächtniß verschwunden. Als ich die Augen aufschlug, fand ich mich auf einem Bunde Stroh, von öden triefenden Mauern umgeben. Ich sank zurück und dachte nicht mehr.

Weg über diesen fürchterlichen Tag! – ich kann die Erinnerung nicht tragen.

 

Dreyzehnter Tag.

Ich erwachte von einem Gerassel. Es war der Kerkermeister. Mit ihm trat ein großer Mann in einem blauen Ueberrock herein. Er kam näher – O mein Gott! Mariens Züge in diesem braunen männlichen Gesichte! – Der Oheim! Marie schickte ihn her.

»Nun wie gehts Ihnen denn?« sagte er, und schüttelte mir treuherzig die Hand – »Wir haben Sie alle so lieb gewonnen – mußten uns doch nach Ihnen erkundigen. Großer Gott! da hörten wir denn die ganze Geschichte. Das kleine herzige Ding, die Marie, hat weder gegessen noch getrunken. Das kann ich nun nicht leiden, denn ich liebe sie, wie mein Leben. »Mariechen« – sagte ich – »so iß doch nur en bischen! dann wollte sie sich zwingen, aber mit einemmale stürzten ihr die Thränen aus den Augen, und mit dem Essen wars wieder vorbey.«

»Könnte ich ihr nur helfen« – sagte ich dann so für mich hin – »Gott weiß, ich wollte es gerne thun!« – Nun gings an ein Küssen, an ein Streicheln! – Ja das mag der Henker aushalten! Da sind wir Männer geliefert!« –

»Na, und da bin ich denn gekommen, und will für Sie gut sagen, und Sie sollen mir noch heute wieder los.«

»Ach lieber Oncle!« – rief das kleine Ding, als ich den Sonntagsrock anzog – »kommen Sie nur ja bald wieder! – Wenn ich ihn auch in meinem Leben nicht mehr sehe! und wenn auch die ganze Erbschaft darauf gehet! das thut ja alles nichts!« –

Stumm und tief bewegt hatte ich bis jetzt die Worte des redlichen Mannes gehört; aber nun warf ich mich an seine Brust.

»Mein Vater! mein Erretter!« – rief ich – »sagte sie das? – sagte sie das wirklich?« –

Er wiederhohlte es mir mit einer Betheurung.

»Aber« – fiel ich ein– »so wünscht sie ja nicht mich wieder zu sehn.« –

Er. Großer Gott! was könnte ihr denn das helfen? – und wenn sie es auch wünschte; ich würde es nicht leiden.

Ich. Nicht leiden? –

Er. Nein, weil da nie etwas gescheutes herauskommen würde.

Ich sah vor mir nieder und verstummte. Jetzt ward Anstalt zu einem reinlichern Zimmer gemacht. Vor dem folgenden Tage war an keine Befreiung zu denken.

Meines großmüthigen Erretters ganzes Vermögen so aufs Spiel zu setzen, war mir doch ein empörender Gedanke.

Ich bat ihn, einen Zettel an den Chevalier S. mitzunehmen. Diesem edlen Manne war die Last minder drückend. – Auch konnte er mehr die Sicherheit beurtheilen, welche ich im Stande war ihm zu geben.

Noch hatte ich Hülfsquellen in Hamburg; aber freilich lies sich erst nach einigen Monaten etwas davon erwarten.

Die Veränderung des Aufenthalts fing jetzt an meine Verzweiflung in Traurigkeit zu verwandeln. Aber Mariens Bild ward um so mehr das herrschende in meiner Seele.

Jetzt erst fühlte ich, was ich hätte seyn können und was ich nicht war. Wie sehr ich die besten Jahre meines Lebens verschleudert, und den Genuß nur da gesucht hatte, wo ich ihn nimmermehr finden konnte.

»Wohlan!« – rief ich – »so sey es denn! Ich will sie nicht sehen, bis ich ihrer würdig bin! Aber dann lasse ich sie auch von Niemanden mir rauben! Die Vorurtheile des Standes sind längst verschwunden. Man kann vornehmer seyn, als sie, aber gewiß nicht edler. –

Ohne Hoffnung wollte sie mir alles aufopfern. Welches Weib würde etwas ähnliches für mich thun?

Jetzt trat der Chevalier herein. Sein feines, schönes, menschliches Betragen in diesem traurigen Aufenthalte, würde ihm meine ganze Liebe erworben haben, wenn er sie nicht schon gehabt hätte.

Mit zärtlicher Theilnahme ruhte sein großes, mildes Auge auf mir, und jedes seiner Worte war Balsam für mein verwundetes Herz.

»Nur die geschehenen Dinge« – sagte er – »können wir nicht ändern; aber die ganze Zukunft, mein theurer Sohn! hangt von uns ab. Der Mensch vermag unendlich viel, wenn er will. Lassen Sie uns wollen, und es wird alles noch glücklich sich endigen.

Reue ziemet dem Manne nur dann, wenn sie ihn zum muthvollen Kampfe gegen das Schicksal, und gegen seine Leidenschaften begeistert.

Sie haben keinen Vater, ich habe keinen Sohn; – wenn wir beyde das Gute lieben, so sind wir verwandt.

Laut weinend stürzte ich in seine Arme, und that wiederholt das Gelübde, nie einen andern Willen, als den seinigen zu haben.

»Nein« – sprach der edle Mann – »Sie selbst müssen ihr Schicksal bestimmen. Wollen Sie aber einige Rücksicht auf meine Erfahrung nehmen, so wird es mich freuen.

Ich gestehe Ihnen: daß ich an Ihrer Stelle die Aussichten in Hamburg allen Uebrigen vorziehen würde. Hier in Paris erwarten uns stürmische Zeiten. Wahrscheinlich sendet mich die Regierung in kurzem nach Deutschland. Wollen Sie dann mit mir wieder nach Frankreich zurück; so kennen Sie mich nun, und wissen was ich Ihnen sein kann.«

»Aber« – fuhr er fort, da ich im Nachdenken vertieft, ihm nicht geantwortet hatte – »Wer ist der Mann, den Sie zu mir schickten? – Er sprach mit einer Theilnahme, die mir auffiel.«

Noch zögerte ich, und blickte verlegen vor mir nieder.

»Vielleicht bin ich unbescheiden« – setzte er hinzu – »aber der Mann gefiel mir außerordentlich.«

Diese Worte gaben mir Muth, und ich erzählte ihm Alles, was mir begegnet war.

Jetzt näherte ich mich dem Abende, wo ich Marie neben meinem Bette entdeckte, und nun stieg meine Wärme mit jeder Minute. Ich fühlte, daß er von meiner Schilderung gerührt werden mußte, und sah mit innigem Wohlgefallen, daß er es wirklich auch war.

»Sie ist weit über mich erhaben« – fuhr ich fort – »und ich bin ihrer nicht würdig; aber kann ich es denn nicht werden?« –

»Gewiß! lieber Freund!« – antwortete er – »alle andere Ziele des jungen, handelnden Menschen sind minder oder mehr durch die Eitelkeit bezeichnet. Erreicht er sie, so kann er dadurch fester, härter, aber warlich darum noch nicht besser werden.

»In jedem Manne liegt – nicht blos in so fern er Mensch, sondern vielmehr in so fern er Mann, und je mehr er es ist – ein Fond von Bösartigkeit, der nur durch die Liebe zu einem reinem weiblichen Wesen getilgt werden kann. Wehe! wenn ihm nie ein solches begegnet! Er wird in seinem funfzigsten Jahre nur wenig von einem Teufel verschieden seyn,« –

»Wir empfinden mit dem Kopfe – die Weiber denken mit dem Herzen. Sie üben, was wir lehren. Alles was herzlich an uns werden soll, muß durch sie gepflegt werden, oder es erstirbt. Größer können wir vielleicht handeln, reiner nimmermehr.«

»Ich hatte zwar Hoffnung; aber ich bekenne Ihnen: daß Sie einer Stütze bedurften. Ihr offnes Bekenntniß hat mir diese Stütze gegeben. Wenn die tugendhafte Liebe Sie begleitet; so habe ich nichts für Sie zu fürchten.«

»Reisen Sie! und wenn ich Ihnen rathen soll, reisen Sie noch morgen. In ihrer Nähe, und sie nicht sehen – mögte Ihnen zu peinlich, vielleicht gar unmöglich werden.«

»Aber« – rief ich – »wenn sie nun in meiner Abwesenheit . . .

»Einen Andern fände?« unterbrach er mich – »das wäre freilich schlimm – und doch glaube ich nicht, daß Sie es hindern dürfen.«

»O mein Gott!« –

»Ja ich gestehe, daß es Ihnen schwer werden kann. Aber möchten Sie das liebe, unschuldige Mädchen übertäuben? – Sie ist eben so unbekannt mit der Welt, wie mit ihrem eignen Herzen und glaubt Sie zu lieben, weil Sie der erste Mann sind, der ihr huldigt. Nur dann können Sie ihren Empfindungen trauen, wenn Sie ihr Freiheit und Zeit gelassen haben, sie zu prüfen.«

»Ueberlegen Sie das, mein theurer Sohn, und sagen Sie mir morgen: ob ich Unrecht habe.«

 

Vierzehnter Tag.

Ach er hat nur gar zu sehr Recht« – rief ich am andern Tage nach einer langen, schlaflosen Nacht. »Aber soll ich durch nichts sie binden; so will ich sie doch noch sehen, so will ich wissen, was sie antwortet, wenn ich nun sage: Marie, leb wohl! leb wohl, Marie, vielleicht für immer und ewig! – Bey Gott, das will ich wissen! und dann will ich reisen!« –

Jetzt schlug es acht und ich war frey. – Mit hastigen Zügen athmete ich die reine erquikende Luft. Mich dünkte, ich werde von neuem gebohren – es habe sich alles verwandelt. Der Himmel war blauer, die Sonne war heller, die Menschen schienen mir näher verwandt. Ich hätte sie alle umarmen und laut aufrufen mögen: »ich bin frey!«

Der Chevalier hatte mich bitten lassen, sein Haus wie das meinige anzusehen, und mich seiner Equipage sogleich zu bedienen. Aber ich hatte nur einen Gedanken: – Marie! – ich mußte sie noch sehn! jetzt gleich mußte ich sie sehen.

Der Kutscher rief und jagte hinter mir her. Aber die kindische Furcht, er möchte mich einholen, trieb mich immer vorauf. Jetzt war ich bey Mariens Thür, höchlich erfreut, früher als er gekommen zu seyn.

»Marie!« – rief ich – »Marie ich bin frey! – aber Marie war nicht da. Ich lief in die Küche, in den Garten, rief einmal über das andre »Marie ich bin frey!« aber ich konnte Niemand entdecken.

Jetzt trat der Kutscher herein. »Sehen Sie wohl« – sagte er – »Sie sind nicht zu Hause. Folgen Sie meinem Rathe, und kommen Sie mit zum Herrn. Das Uebrige wird sich alles noch finden.«

Ich lies mich bereden, und wir rollten davon.

Der Chevalier empfing mich mit offenen Armen.

»Willkommen!« rief er – »willkommen, zum neuen schöneren Leben! – Aber wo sind Sie denn so lange geblieben?« –

Jetzt verklagte mich der Kutscher. »Ey ey! Jaque« – sagte der Chevalier – »das war ein schlimmer Spas! – Du und deine Pferde, ihr hättet mit einemmale um eure ganze Reputation kommen können. – Einen Fußgänger nicht einzuholen!!« –

›Ja aber, welch Einen!« – brummte Jaque, und zog schmollend in den Stall.

»Nun mein lieber Sohn« sagte der Chevalier – »was beschließen Sie? – Wie fällt Ihr Urtheil aus? Hatte ich Recht oder Unrecht?«

»Ach Sie hatten Recht!« – antwortete ich, und drückte ihm wehmüthig die Hand – »Ich muß reisen, und habe Marie nicht gefunden.« –

»Nun dazu kann Rath werden. – Amusiren Sie Sich so lange in meiner Bibliothek. Indessen werde ich Ihre Reise-Angelegenheiten besorgen.

Ich öffnete die Thür – O Himmel! Marie, ihre Mutter, und der Onkel! – Sprachlos und verwirrt starrte ich sie an. Jetzt hätte ich nicht rufen können: »Marie, ich bin frey!« Ach die Abreise! – sie lag wie ein drückendes Gewitter auf meiner Seele. – Und dann, Marie – welche Verwandlung! – welch ein prächtiger geschmackvoller Anzug! – Sie schien die Tochter eines Fürsten – ach nein! sie schien keine Sterbliche mehr. Meine Hoffnung dünkte mich Wahnsinn, und mit brechendem Herzen stürzte ich dem Oncle in die Arme.

Der redliche Mann drückte mich wiederholt an seine Brust.

»Fassen Sie Sich « – sagte er – »es kann noch alles gut werden.«

»Ja wohl!« – rief der Chevalier, der jetzt eben hereintrat. – »Es soll und muß alles gut werden! – Nun liebe Marie! geben Sie ihm eine Hand und sagen Sie ein Wort des Trostes dazu. Nicht wahr? Sie wollen seine Freundin, seine schwesterliche Freundin bleiben?«

Marie reichte mir schweigend die Hand und erröthete.

»O Gott« – rief ich außer mir – »ich bin verlohren! sie kann schon erröthen! – Der Chevalier lächelte, und nun erröthete ich selbst über die unbesonenen Worte.

»Was sie jetzt nicht könnte« – fuhr er fort – »würde sie sehr bald haben lernen müssen. Hier ist nicht der Ort, wo ein junges Mädchen mit ihren Empfindungen unbekannt bleiben kann. Ich glaube kein Verbrechen begangen zu haben, wenn ich Marien etwas schneller dazu verhalf.«

»Sie hat mich ihren Vater genannt, und so seid ihr beide Geschwister. Will das Schicksal etwas mehr aus Euch machen, so habe ich nichts dawider: aber frey müßt ihr bleiben. «

»Und nun, lieben Kinder, keine Seufzer, und keine Klagen! Mein Sohn ist ein Mann, und meine Tochter ist ein liebes, sanftes, vernünftiges Mädchen. Jetzt zum Frühstück. Mein Sohn braucht Kräfte zur Reise. Nachher sehen wir weiter.« –

Aber das Frühstück blieb unangerührt vor uns stehen. Mariens Augen waren voll Thränen, und mir wollte die Brust vor Angst und Wehmuth zerspringen.

Jetzt ertönte das Horn.

»Ich begleite Sie!« – rief der Chevalier – »Geschwinde ihren Huth! Ihren Mantel! Kinder gebt euch die Hände! wir sehn uns glücklicher wieder!« –

»Marie!« – rief ich – »wir sehn uns wieder! todt, oder lebendig! wir sehn uns wieder!« –

Der Postillion hörte diese klägliche Apostrophe, und fing laut an zu lachen. Der Chevalier stimmte mit ein, die Mutter folgte nach, das verzweifelte Creshendo stieg mit jeder Secunde, und Marie sogar lächelte mit weinenden Augen. Ich selbst fühlte nun den Unsinn meiner Worte, und konnte nicht widerstehen. So kamen wir unter schallendem Gelächter in den Wagen.

»Fahr zu!« – rief der Chevalier – und Marie war aus meinen Augen verschwunden.

 


 


 << zurück