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Ach – – wie schwach und haltlos ist zuweilen unser glänzendes Geschlecht, und wie notwendig sind die Sicherungen gegen das Eindringen des weiblichen Elementes, das mit immer ungestümeren Forderungen an die Tore der menschheitlichen Entwicklung klopft!
Da vermeint sich mancher von uns unwiderstehlich, wenn ihm die Frauen schöne Augen machen, schlägt geschmeichelt ein Rad wie der Pfau und zeigt alle seine Männlichkeiten im besten Licht; und wenn er endlich die süßen Früchte seiner Bemühungen pflücken darf, dann hält er die Welt für vollkommen und sich selbst natürlich für das Vollkommenste darin.
Ob es aber nicht im Gegenteil die Frauen sind, die uns nehmen und uns nach längerer oder kürzerer Zeit wieder abdanken, wenn wir ihnen nicht taugen – – die Frauen, die genau wissen, daß uns die ganze Sache keine Freude macht, wenn wir nicht in der strahlenden Rüstung des Eroberers auftreten können, und deren feinste Kunst darin besteht, daß sie uns jene süße Schwachheit vortäuschen, die sich nach und nach erobern läßt! 145
Ich glaube, in Wahrheit sind wir die Schwachen. Und so mancher Don Juan, der an der Nase herumgeführt wurde, wandelt sein ganzes Leben lang in einer von klugen Frauen heimlich belächelten Illusion.
Es war kurz nach dem Ritterfest auf Kronstein, als Herr von Döbrenday durch seinen getreuen Lajos, dessen Leistungen als Torhüter, Geigenkünstler und Ganymed wir im letzten Kapitel bewundert haben, ein schmales, blaßviolettes, aufreizend parfümiertes Brieflein erhielt, das den Poststempel Budapest trug.
Und als er es erstaunt öffnete – – denn er hatte doch sein Inkognito so gut zu wahren gewußt, daß bisher von keinem einzigen seiner vielen Bekannten ein Lebenszeichen eingelaufen war – – da zeigte sich, daß die Schreiberin keine andere war als die kleine pikante Erzci.
»Was soll das?« fragte er kopfschüttelnd.
»Hat, ich weiß nicht, Herr«, erwiderte der Lajos mit einem vollendeten Schafsgesicht.
Man wird erstaunt fragen, wie das goldäugige Soubrettchen die flüchtige Benzinspur ihres ungetreuen Freundes von Budapest bis nach Magdalenenbad verfolgen konnte, und der Erzähler muß beschämt gestehen, daß er auf diese Frage keine bestimmte Antwort hat und bloß auf Vermutungen angewiesen ist.
Aber so wie ein kluger Richter verschiedene Tatsachen und persönliche Eigenschaften des Angeklagten und der Zeugen mit logischer Folgerichtigkeit zu einem 146 glänzenden Indizienbeweis zusammenschmelzen kann – – das Verfahren ist nicht populär, aber trotzdem sind die meisten Gerichtsbeweise von dieser Art – – so dürfte auch in unserem Falle die vertiefte Betrachtung aller in Frage kommenden Persönlichkeiten und Motive zu jener höchsten Wahrscheinlichkeit der Geschehnisse führen, die man der Wahrheit selbst gleichsetzen darf.
Zunächst handelte die kleine Erzci in Wahrung berechtigter Interessen. Denn sie zog von ihrem Freunde auch noch andere und dauerndere Vorteile als ein gelegentliches Geschenk, wie es der Schmetterling in Brillanten aus dem feinen Juwelenladen war, und es muß zu Ehren Herrn von Döbrendays gesagt werden, daß er sich, im Gegensatz zu vielen anderen ihrer vornehmen Freunde, ihr gegenüber stets nobel und großzügig benahm. Niemand konnte von ihr verlangen, daß sie diese Vorteile leichtfertig aufgab; und wenn sie auch ihr Leben lang niemals von dem großen Staatsmann Macchiavelli gehört hatte, dessen Grundsatz war, daß der Zweck die Mittel heilige, so befolgte sie doch dieselbe Politik und hatte dabei den Vorteil, daß sie infolge ihrer bescheidenen Abkunft von manchen Hemmungen frei war, unter denen die Vertreter anderer Gesellschaftsschichten leiden.
Nämlich die Erzci, die allabendlich als Stern siebenter oder achter Größe am Himmel des Budapester Nationaltheaters aufging, stammte aus kleinen, aus 147 sehr kleinen Verhältnissen; es hieß, daß sie in einer Portierloge das Licht der ungarischen Welt erblickt hätte; und der Lajos, ein echtes Budapester Kind wie sie, stand mit seinen breiten Füßen ungefähr auf derselben Stufe der sozialen Leiter, indem sein Vater, der ihm Statur und musikalische Begabung vererbt, in einem kleinen Tanzlokal Geige spielte.
Und dann kam eine Zeit, da Lajos mitunter den Vater auf dem Musikpodium vertreten mußte; unten aber, auf dem spiegelglatten Parkettboden, tanzte sich die kleine Erzci mit ihren schlanken Beinen in sein leicht entzündbares Herz hinein, und die Tanzbodenfreundschaft dauerte an, als diese reizenden Beine schon längst den Sprung vom Tanzsaal auf die Bühne mit Erfolg vollbracht hatten und die Kleine auf dem Umweg über ein paar reiche Kunstfreunde in den Armen des Herrn von Döbrenday gelandet war.
Man mache doch der armen Erzci keinen Vorwurf daraus, daß sie sich's mit dem Lajos nicht verderben wollte und daß sie, nach den allzu verfeinerten Genüssen, in denen Herr von Döbrenday das Glück seines Lebens fand, gelegentlich derbere Kost verlangte. Denn jeder tiefere Kenner der weiblichen Seele weiß, wie sehr die Frauen die ungebrochene, von keiner Kultur angekränkelte Männlichkeit schätzen, und Lajos war in der Liebe von himmlischer Primitivität.
Sollten alle hier angeführten Tatsachen in ihrem Zusammenhang stark genug sein, um unseren 148 Indizienbeweis zu tragen, daß es niemand anderer als Lajos war, der der kleinen Erzci den Aufenthalt des Treulosen verraten hatte?
Es schien, als ob ein flüchtiger Verdacht dieser Art auch die gefurchte Stirn Herrn von Döbrendays streifte; aber da der Lajos nach wie vor das dümmste und unschuldigste Domestikengesicht machte und Argwohn und Zweifel seines Herrn allmählich in den süßen Duftwellen ertranken, die aus dem schlanken, blaßvioletten Brief durch die Nase in sein Gehirn emporstiegen, so sagte er kurz:
»Du kannst gehen!«
Und somit ging Lajos und ließ seinen Gebieter in jenem Zustand von Schwäche und Haltlosigkeit zurück, von dem wir eingangs mit Bedauern sprachen – – denn es ist gar nicht förderlich für die Männlichkeit, zwischen einer sicheren, liebeswarmen, greifbaren Vergangenheit und einer unbekannten und noch recht kühlen Zukunft wie der Esel zwischen zwei Heubündeln zu stehen und nicht zu wissen, ob diese Zukunft oder jene Vergangenheit zur glückspendenden Gegenwart werden wird.
Der Brief der kleinen Erzci war ein kunterbuntes, frauenzimmerhaftes Durcheinander von allen möglichen Dingen, flüchtig und entzückend unorthographisch drauflos gekritzelt, aber wie bei allen Frauenbriefen stand das Wichtigste zwischen den Zeilen und lautete ungefähr: Kehre zurück, alles verziehen. 149
Herr von Döbrenday grübelte.
Er war nicht ungerührt von dem Brief der kleinen Erzci. Soviel Vernunft hatte er bei ihr gar nicht vermutet. Da stand kein Wort von Eifersucht oder Vorwurf. Sie würde ihm gewiß keine Szene machen – – und Herr von Döbrenday schätzte bei der Liebe nichts so sehr wie Bequemlichkeit.
Aber dann sah er sich wieder mit Frau Elfriede im Auto lange, silberweiße Straßen dahinrasen, sah die großen grünlichen Augen, die er so gut kannte – – nein, nein, er wollte doch noch bleiben . . .
* * *
Es war dem Lajos durchaus recht, daß ihn sein Herr jetzt fortgeschickt, sei es, daß er ein schlechtes Gewissen hatte oder daß ihm andere Dinge im Kopf herumgingen; denn er hatte heute auf seiner Bettdecke einen Zettel gefunden, in ungefüger Schulmädelschrift mit Bleistift geschrieben, ein Gedicht, von dem sein Nationalstolz schwer beleidigt war, mit folgendem Wortlaut:
»Hemet ains béständig,
Hosen eng unbändig,
Schnür auf Rock auswendig,
Laus im Pelz inwendig,
Macht nátionales Géfühl lébendig.«
Er zerbrach sich den Kopf, wer ihm den Possen gespielt haben konnte. 150
Am Ende doch das kleine Luderchen, die schwarze rundliche Hanni mit den lustigen Augen, die beim Fest auf Kronstein so begeistert an ihm gehangen hatten? Die konnte es wohl gewesen sein – – was sich liebt, das neckt sich.
Es lohnte sich immerhin, der Sache nachzugehen, und so wandelte Lajos mit gerunzelter Stirne und starrenden Schnurrbartspitzen, in der Meinung, die Hanni vielleicht im Park zu treffen, wo sie oft mit Zusammenrechen des goldgelben gefallenen Kastanienlaubes beschäftigt war, an der sprudelnden Magdalenenquelle vorüber – – dort saß das safrangelbe Bürofräulein einsam auf einem Bänkchen und stichelte eifrig auf die Tischdecke los, die ebensowenig fertig werden wollte wie das Gewebe der Homerischen Penelope, der Gattin des herrlichen Dulders Odysseus.
Man wird sich vielleicht wundern, daß von den drei Damen, die doch sonst im Speisesaal, im Kurpark und auf den Promenadenwegen stets so zusammengehalten hatten wie die leibhaftige Dreieinigkeit, nun eine jede ihre eigenen Wege ging. Aber wer als Ursache dieser Veränderung irgendeine Meinungsverschiedenheit gemutmaßt hätte, wäre arg auf dem Holzweg gewesen; im Gegenteil, die Damen waren nie so völlig einer Meinung als eben jetzt, wo ihre Bemühungen einer bedeutsamen und wichtigen Angelegenheit galten und nur dann Erfolg haben konnten, wenn man nach dem 151 taktischen Grundsatz vorging, getrennt zu marschieren und vereint zu schlagen.
Wir erinnern uns noch des fremden Malers Franz Seibold und seines unpassenden Benehmens bei dem romantischen Ritterfeste. So sehr die drei Damen aber auch ihn und seine flotte Partnerin verurteilten: ihr feiner Spürsinn witterte hier in nicht allzu ferner Zukunft äußerst genußreiche Sensationen. Man versprach sich um so mehr davon, als das Verhältnis zwischen Frau Elfriede und dem Ingenieur Rhode stark an Interesse verloren hatte, und auch die Beziehungen Herrn von Döbrendays zu der jungen Witwe jener spannenden Handlung entbehrten, die das Lesepublikum in seinen Romanen so sehr schätzt.
Aber der verrückte Maler und das rassige rotblonde Mädel: da konnte was draus werden! Wie sie einander umschlungen hatten beim Sprung durch das Feuer! Und wie stand Professor Scheidemantel da, wenn dieses leichtsinnige, unanständige Getue nun so weiter fortging! Die Damen waren auf das angenehmste entrüstet. Denn obgleich sie selbst sich leider schon vom Tanz der Jugend hatten zurückziehen müssen, so war doch die stille Beobachtung der anderen Pärchen ein sehr vergnügliches Geschäft, um dessentwillen es sich schon lohnte, auf dem Tanzplatz zu bleiben.
Es kam nun vor allem darauf an, daß man einen möglichst genauen und umfassenden Beobachtungsdienst in die Wege leitete, und darum hatten die 152 Damen das Operationsfeld unter sich geteilt. Der Fremdling wohnte unten in der Stadt beim Weißen Ochsen; aber da ihn seine künstlerische Tätigkeit bald in das romantische Winkelwerk der Altstadt, bald in den Park des Sanatoriums oder auf die Burgruine Kronstein führte, wo es allerhand Leckerbissen für sein Skizzenbuch gab, so war das Beobachtungsgebiet sehr groß und unmöglich von einer einzigen Person zu beherrschen.
Das safrangelbe Bürofräulein bezog also den Posten auf dem Bänkchen bei der Magdalenenquelle, schmückte die Penelopeische Tischdecke, die nie fertig wurde, mit einem neuen Mäander in blau und grün, so kunstvoll, daß ihn die wirkliche Penelope auch nicht schöner und kühner hätte machen können, und beschoß dabei mit forschenden Blicken den Park und die schattige Kastanienallee, die aus der Stadt emporführte. Die Kollegin in Steingrün saß täglich einige Stunden lang im Trümmerwerk der Ruine und kennzeichnete ein neues Dutzend Taschentücher durch auffallende Anfangsbuchstaben als ihr Eigentum, während das Fräulein in Braun fand, daß man die wollenen Schals für die armen unbekehrten Heidenkinder ebensogut in der Stadt stricken konnte als unter dem Kastanienbaum, und darum häufig im Damenparadies des Warenhauses Ticho zu treffen war, wo sie kleine Einkäufe besorgte, um sodann auf einer Bank in den Anlagen am Domplatz ihr frommes Werk weiter zu fördern, 153 und dabei den Weißen Ochsen und die Konditorei scharf im Auge zu behalten.
Bei so vortrefflichen Anstalten konnte es nicht fehlen; eine große Anzahl mehr oder minder wichtiger Beobachtungen wurde gesammelt, abends im gemeinsamen Gespräch gesichtet und äußerst scharfsinnig kombiniert.
Frauen sind geborene Detektivs, und bald war einwandfrei festgestellt, daß der Maler auffallend oft in der Nähe des Sanatoriums Farbenskizzen der herbstbunten Bäume entwarf, wobei er seinen Standplatz immer so wählte, daß er ein gewisses Mansardenfenster im Auge behielt.
Ferner war es Tatsache, daß Fräulein Aura Regenfeld im Warenhause Ticho Bleistifte, Radiergummi und ein Skizzenbuch, in graue Leinwand gebunden, gekauft hatte, durchweg Gegenstände, für die sie bisher gar kein Interesse gezeigt; weiter wußte man, daß sie, mit diesem Skizzenbuch auf den Knien, zwei Tage später in der Altstadt neben Herrn Seibold gesessen und unter seiner Anleitung die verfallene Prangersäule mit der Steinkugel und der rostigen Kette gezeichnet hatte.
Und auch in der Konditorei auf dem Domplatz waren die beiden gesehen worden, in den Genuß von Mohrenköpfen und Vanillelikör vertieft; ganz eng beisammen saßen sie und blätterten sehr vergnügt in den illustrierten Zeitschriften herum. Und an einem 154 dunklen, regenschweren Abend, den Fräulein Aura angeblich im Stadtkino zubrachte, war ein Pärchen in enger Umschlingung die Kastanienallee auf und ab geschritten, und der Herr trug einen Wettermantel von genau demselben Schnitt wie der fremde Maler.
So erzählte das safrangelbe Fräulein und vergaß nicht beizufügen, daß zu ihrer Zeit die jungen Mädchen anders gewesen wären, aber ganz anders.
Und tags darauf war das steingrüne Fräulein droben auf der Ruine, in einem bombensicheren Versteck Zeugin einer sehr bedenklichen Szene, von der sie nur im Flüstertone sprach.
Nämlich das Fräulein Aura hatte Herrn Seibold Modell gestanden oder vielmehr Modell gekniet – – an dem zerbröckelnden, moosbewachsenen Rande des Brunnens kniete sie, den Kopf nach vorn geneigt, als wollte sie ihr Bild tief unten im Wasserspiegel suchen, und das prachtvolle Rothaar fiel zu beiden Seiten des Gesichtes in Sturzwellen herab wie ein Wasserfall, und der ganze Oberkörper – – man denke! Der ganze Oberkörper war nackt! Das steingrüne Fräulein bebte ordentlich vor innerer Empörung, und ihre Freundinnen bebten mit und fragten eifrig nach allerhand Einzelheiten. Und als an jenem Abend Professor Scheidemantel den drei Damen wieder einmal auf dem Bänkchen den aufgehenden Mond abwarten half – – er tat das jetzt öfter als früher, denn Fräulein Aura war doch nie für ihn zu sprechen – – da konnte 155 sich das steingrüne Fräulein die Frage nicht verkneifen, warum man denn seit dem Ritterfeste niemals mehr im Musikzimmer Schubert oder Brahms zu hören bekomme.
Aber Professor Scheidemantel sah in den flimmernden Mond und sagte nichts; und das Zartgefühl der Damen schonte die verwundete Seele, denn verschmähte Liebe tut bitter weh und nur die Armen im Herzen können darüber spotten. Und wenngleich die drei Damen an der rotblonden Aura auch nicht ein gutes Haar ließen: um den lieben gescheiten Herrn Professor tat es ihnen leid.
Ach, und der fröhlich sprudelnde Quell seiner schönen Lieder schien völlig versiegt; denn ein Sänger ohne Begleitung ist wie ein Messer ohne Griff, mag die Stimme noch so glänzend geschliffen sein. Allerdings hatte sich in der letzten Zeit die kleine Maus eifrig und dienstbeflissen am Klavier gemüht; aber die kleinen, immer nur zur Hauswirtschaft dressierten Fingerchen spannten die Oktaven nicht und mit den bösen Vorzeichen stand sie immer auf dem Kriegsfuß, so daß es arge Dissonanzen gab.
Und im Lauf der Zeit verlor Professor Scheidemantel die Lust an seiner holden Kunst und es schien geradezu, daß er an gewisse Lieder gar nicht mehr erinnert werden wollte, die von Liebesglück und Lebensfreude sangen.
Da gab die kleine Maus seufzend ihre vergeblichen 156 Bemühungen um die Gunst der spröden Muse auf; und dennoch lief, zu ihrer heimlichen Freude, seit dem Fest auf Kronstein ein feines, feines Band von Teilnahme zwischen ihr und dem still Verehrten, und sie fühlte, wie wohl es ihm tat, wenn sie manchmal viertelstundenlang schweigend neben ihm saß, ohne seine Gedanken durch ein unbedachtes Wort zu stören; denn Professor Scheidemantel war, im Gegensatz zu seiner gewohnten Art, in der letzten Zeit oft sehr schweigsam.
Oh, sie hatte die Klugheit des Herzens, die kleine Maus; sie begriff: jetzt durfte sie nichts tun als still und vorsichtig abwarten, geduldig sein, ja nichts verraten von dem, was in ihr vorging. Warten, warten: das war das Geheimnis des Glücks.
Und manchmal, wenn sie es gar nimmer aushalten konnte, schlich sie sich zur Dämmerstunde in die Magdalenenkapelle und klagte der Heiligen ihre Sehnsucht; letztes Aufglühen der Sonne füllte den kleinen, verschwiegenen Raum mit warmem Licht, die Heilige auf dem Altarblatt schien zu lächeln, und aus dem goldigen Gelock ihrer Haare, die über des Heilands nackte Füße rollten, floß linde Tröstung in ein gläubiges Mädchengemüt.
Während so im Herzen der unscheinbaren kleinen Maus zum erstenmal das Blümlein Liebe schüchtern aus dem Wunderreich ihrer Mädchenträume der Wirklichkeit entgegen wuchs, geschah etwas, das die drei emsig beobachtenden Nornen längst mit listigem 157 Augenzwinkern vorausgesagt hatten: Herr Franz Seibold, der fremde Maler, gab seine Wohnung im Weißen Ochsen auf und übersiedelte in das Sanatorium Magdalenenbad.
Man wußte zwar nicht, was für ein Leiden ihn bewog, sich unter die ärztliche Aufsicht Doktor Burmesters zu stellen, aber das ging schließlich außer ihm und dem Anstaltsleiter niemand etwas an. Genug, er kam an einem schönen Abend zur Sonnenuntergangsstunde in Begleitung seines Malkastens und eines Köfferchens, das er selbst trug, den Weg von der Stadt emporgeschritten; die Nagelschuhe stampften taktmäßig, der Wettermantel schlug um seine in graugrünen Wickelgamaschen steckenden Beine und aus der kurzen Stummelpfeife quollen lustige blaue Rauchwölkchen.
Und sein Einzug war so formlos wie nur möglich; es fiel ihm gar nicht ein, gesellige Talente zu entfalten, um sich bei den bereits eingesessenen Gästen beliebt zu machen, was doch für ihn als späteren Ankömmling einfache Höflichkeitspflicht gewesen wäre; auch um die Gunst Frau Doras oder der anderen Damen bewarb er sich in keiner Weise; er war eben da, machte sich nach Möglichkeit bemerkbar und die Welt hatte mit ihm zu rechnen.
Aber es ist Feindschaft gesetzt zwischen dieser Welt und dem Künstler, und wenn auch die bürgerlichen Kurgäste von Magdalenenbad nicht mehr auf dem 158 Standpunkte ihrer mittelalterlichen Vorfahren standen, bei denen es hieß: »Tut die Wäsche von den Stricken, es kommen Künstler«, so begegnete Herr Seibold doch bei dem größten Teil der Eingesessenen einer gewissen Kühle und Ablehnung, was ihm übrigens vollkommen gleichgültig zu sein schien.
Daß er auf die in der Magdalenenbader Kurwelt herrschende Etikette gar keinen Wert legte, bewies er schon am ersten Abend, als ihm Frau Dora den Ehrenplatz für Neuangekommene unter dem goldgerahmten Spiegel anwies. Lange bevor die Abendmahlzeit zu Ende war, stieg er mit gewaltigem Schwung seiner graugrünen Gamaschenbeine zum Tisch der Familie Regenfeld hinab und setzte sich mit der Selbstverständlichkeit alter Bekanntschaft neben Aura, in deren Augen ein ganzes Feuerwerk aufging, so daß die Funken bis zu den Beobachtungsplätzen der drei Bürofräulein flogen.
Und als ihn Frau Regenfeld als höfliche Mama fragte, ob er mit seinem Zimmer zufrieden sei und wohin die Aussicht gehe, da berichtete er mit harmloser Künstlerfreude, es sei nur noch das Mansardenzimmer Nummer dreizehn frei gewesen, aber der Blick aus dem Fenster wäre einzig schön – – zwischen den Blautannenwipfeln auf den Wartturm von Kronstein und darüber hinaus in die duftblaue Ferne. Aber am Nebentisch spitzte man gewaltig die Ohren, denn man wußte, daß Nummer dreizehn just neben Auras 159 Dachkämmerlein lag, und das Fräulein in Safrangelb hob die Augen zur Decke, das braune sagte halblaut »mhm« und die Kollegin in Steingrün lächelte stumm, dünn und vielsagend.
Das alles aber focht Herrn Seibold nicht an, und er genoß auch weiterhin mit rückhaltloser Fröhlichkeit die schöne Aussicht, die gute Kost Frau Doras, die vortrefflichen Einrichtungen des Burmesterschen Sanatoriums und die kameradschaftlichen Kunstwanderungen mit der rotblonden Aura, die in bewußter Opposition der gesamten Damenwelt von Magdalenenbad zeigte, was es heißt, die Freundin eines Künstlers zu sein.
Und es war vielleicht ihrem Einfluß zuzuschreiben, daß Doktor Burmester den Fremdling mit einem gewissen Wohlwollen behandelte; und dabei mochte der Umstand in Betracht kommen, daß Doktor Burmester, wie wir schon wissen, in jungen Jahren eine heimliche Leidenschaft für die edle Malkunst im Herzen getragen hatte, neben anderen weniger idealen Liebesverhältnissen, von denen Frau Dorothea nichts erfuhr.
Der Weiße Ochsenwirt war allerdings an jenem Abend sehr bestürzt, als Herr Seibold ganz unvermittelt mit Koffer und Malkasten und fliegendem Wettermantel in die Schankstube trat und die Rechnung verlangte, weil er in einer Stunde fortmüsse. Und er hatte doch so sehr mit einem längeren Aufenthalt des 160 Gastes gerechnet und ihm alle Sehenswürdigkeiten der Stadt angepriesen: das Kino, dessen Büfett er mit Bier versorgte, den Stadtpark, den frisch vergoldeten Neptunbrunnen und das neue Warenhaus Ticho.
Aber was war mit dem närrischen Kauz anzufangen! Statt des schönen Warenhauses Ticho malte er den alten Hühnerstall hinter dem Wirtsgarten, mit den großen Löchern in dem moosbewachsenen Dach; ins Kino ging er nie, und von der stadtbekannten Kalbsbrust und dem köstlichen Lagerbier des Weißen Ochsen wollte er nichts wissen und nährte sich nur von Milchspeisen, Gemüse, Eiern und Mineralwasser.
Und der Ochsenwirt kratzte sich den Kopf und schrieb die Rechnung, die nicht klein ausfiel; aber Herr Seibold zahlte alles auf Heller und Pfennig und flatterte mit seinem Wettermantel davon, und der Wirt sah ihm kopfschüttelnd nach und ärgerte sich ein wenig, daß er ihm nicht noch mehr aufgerechnet.
Des andern Tages aber, als Sonntag im Kalender stand und der Ochsenwirt noch tief in den Federn lag, wurde ihm von der Hausmagd ein junger Bursch angemeldet, der ihn sprechen wollte. Seufzend ob der Störung seiner Morgenruhe, hob er sich von seinem Witwerbett, stampfte mit den dicken Beinen über die dröhnenden Fußbodenbretter und steckte den Graukopf zum Fenster hinaus.
Da stand ein hübscher junger Kerl, mit Wanderstecken und Reisebündel; die bestaubten Schuhe und 161 das verschwitzte Kraushaar erzählten von längerer Fußwanderung.
Nein, das war kein Logiergast.
»Was wollens denn? Ausgeteilt wird bei mir nix!«
»Brauch nöt betteln«, war die scharfe Antwort. »Will nur fragen, ob das Wirtshaus an Schankburschen braucht.«
Ein Augenblick Stille – dann rief es von oben:
»Warten! Gleich komm ich.«
Dennoch dauerte es eine geraume Weile, bis der Wirt mit seiner Toilette fertig war.
Die mechanischen Verrichtungen des Waschens, Kämmens, Zähneputzens und dergleichen Morgenbeschäftigungen sind dem Nachdenken sehr günstig, und der Ochsenwirt war ein Mann, der alles gründlich überlegte.
Während er mit den haarigen Armen im Waschbecken plätscherte, dachte er daran, daß eine Aufsicht im Schankzimmer sehr notwendig wäre, wenn er über Land fuhr, um Wein einzukaufen; bei der Reinigung der wenigen gelbbraunen Zahnstumpen, die ihm die mitleidige Mutter Natur noch gelassen hatte, fiel ihm ein, daß die Abrechnung des alten Fräuleins beim Kinobüfett niemals stimmte; und als er, auf dem Bettrand sitzend, rot im Gesicht vor Anstrengung, sich die Schuhe anzog, dachte er seufzend daran, wie angenehm das sein müßte, wenn ihm jüngere Beine die vielen 162 Auf- und Abstiege über die steile Kellertreppe abnehmen wollten.
Dem Jungen aber, der unterdessen geduldig wartend auf dem Steinbänkchen neben der Haustür saß, wurde die Zeit nicht lang; seine schwarzen, lebhaften Augen musterten die bunten Häuschen, den Stadtplatz, den Brunnen mit dem goldenen Neptun so eifrig und gewissenhaft, als wolle er sich für lange Zeit hier häuslich einrichten.
Und die Rast tat ihm wohl, denn er war seit Sonnenaufgang im fröhlichen Wandertrab neben dem Bächlein, das unweit seines Heimatdorfes entsprang, talabwärts geschritten, hatte alle die eigensinnigen Windungen und Krümmungen des plaudernden Weggenossen mitgemacht und dabei das Liedel gepfiffen:
»Je höher der Kirchturm, je schöner das G'läut,
und je weiter zum Dirndl, je größer die Freud.«
Bis endlich die alte Magd, die seit dem Tode der Ochsenwirtin schlecht und recht das Hauswesen besorgte, mürrisch und pantoffelschlürfend aus der Türe trat und ihn bedeutete, sich in die Gaststube zu verfügen, wo der Herr auf ihn warte.
Und da man gegenseitig aneinander Gefallen fand, so war eine Stunde später der junge Krauskopf in alle Rechte und Pflichten eines Schankburschen beim Ochsenwirt eingesetzt und trat sofort seinen Dienst im Extrazimmer an; dort versammelten sich die Herren vom Gericht allsonntäglich zum Frühschoppen, der sich 163 bis zur Mittagszeit hinzog, und der Ochsenwirt sparte nicht mit allerlei nützlichen Winken und Weisungen, wie die einzelnen Stammgäste je nach Rang und Eigenpersönlichkeit behandelt werden mußten; denn kein Wirtshaus ist gleich dem andern, und überall gibt es geheime Traditionen und verschiedenartige Bräuche, von denen der Neuling keine Ahnung hat.
Aber der neue Gehilfe bewährte sich, der Herbergsvater nickte zufrieden und versprach, ihm abends den Betrieb im Kino zu zeigen, dort war viel Geld zu verdienen für jemanden, der geschickt war und mit den Leuten umzugehen verstand – – ein sehr schönes Kino, mit lauter Schlagern und guter Musik, und Sonntag abends kamen die Mädel aus der ganzen Umgebung da zusammen und es gab sehr saubere Dirndln darunter – so plauderte der Ochsenwirt und grinste verschmitzt mit seinen gelben Zahnstumpen.
»Woll, woll«, sagte Loisl Reichenberger. 164