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Vorbericht.

Die ersten drei Vorlesungen entsprangen aus einem ganzen, im Mai des Jahres 1813 von Fichte öffentlich gehaltenen Vortrage über die geschichtliche Entwickelung des Staates aus seinem Principe, dem sittlichen Leben.

Durch das unmittelbare Bedürfniß und die Verwandtschaft des Stoffes mit den Ereignissen der damaligen Zeit veranlaßt, war ihr Zweck, die Gegenwart über ihre Bedeutung zu belehren, und in ihr den rechten, dem eingegangenen Kampfe und Deutschlands geschichtlicher Bestimmung allein angemessenen und würdigen Sinn zu erzeugen.

Indem man jetzt die Herausgabe dieses, den Reden an die deutsche Nation sich anschließenden Bruchstückes unternimmt, – im Entwurfe nur, da man durch vollständige Ausarbeitung desselben sich zu vergehen fürchtet, – glaubt man demnach, nicht nur dem Willen des Verstorbenen gemäß zu verfahren, sondern auch dem Publicum einen Dienst dadurch zu erweisen, – hauptsächlich aber der Wahrheit ihr Recht geben zu müssen, die da freie Mittheilung durchaus an Alle verlangt.

Die zugleich mit diesen Vorlesungen erscheinende Rede, welche im Februar 1813 die begonnenen Vorlesungen über die Wissenschaftslehre beschloß, kann, ihrem Inhalte nach, als besonderer Beleg und nähere Bestimmung der zweiten Vorlesung dienen, und somit ihren Platz vollkommen rechtfertigen.


Ueber den Begriff des wahrhaften Krieges.

Drei Vorlesungen.


Erste Vorlesung.

Lassen Sie uns den schulgerechten Vortrag des angekündigten Gegenstandes aufschieben, uns unterbrechen durch ein dazu allerdings gehöriges, im Vorigen vorbereitetes Bruchstück, das die Zeit und Umgebung uns unmittelbar darbietet.

Die Frage ist: Was ist ein eigentlicher – wahrhafter – Krieg, und was liegt in dem Begriffe eines solchen?

Zuvor: Ich traue Ihnen nicht die verkehrten Begriffe zu, die ich als die Begriffe des gemeinen Volks nachweisen werde; dennoch glaube ich zugleich, daß es zuträglich seyn wird, eine klare Einsicht in den aufzustellenden Gegensatz zu bekommen, – wie es denn der Jünger der Wissenschaft würdig ist – hier aber besonders zur Mittheilung und Einwirkung auf Ihre Umgebung: denn es ist unmittelbare Volkssache, unmittelbar eingreifend ins Leben. Nicht nur die Lage – sogar die unmittelbar praktische Behörde, die Regierung, hat den gegenwärtigen Krieg für einen wahren erklärt, ganz in dem Sinne, den ich aufstellen werde, in mehreren Verordnungen, unter andern in der über den Landsturm. Einer der seltenen, nicht oft erlebten Fälle, wo Wissenschaft und Regierung übereinkommen.


Gegensatz.

Der Gegensatz in der Ansicht des Krieges gründet sich, und folgt aus einem Gegensatze in der Ansicht des Staates, dieser wieder aus einem in der des menschlichen Lebens überhaupt. Wir müssen ausgehen von diesem letzten, um den ersten in unserer Einsicht klar zu begründen.

Dem gewöhnlichen, natürlichen, unerleuchteten Menschen ist das Leben, das durch die Wahrnehmung ihm gegebene, mithin dermalige, zeitliche und irdische Leben letzter Zweck, Zweck an sich. Denn weiter geht seine klare Erkenntniß nicht: da ist's alle, – nichts jenseit, für dessen Erscheinung ihm wiederum dieses Leben gelte. Das Leben unbegriffen, und bloß angeschaut. Die historisch an ihn gekommene christliche Religion, die allerdings jenseit des gegenwärtigen Lebens geht, und dieses auf ein anderes, und dessen Belohnung und Strafen bezieht, bleibt, wenn sie auch geglaubt wird, eben nur geglaubt, an ihren Ort gestellt, ohne daß sie die ganze Erkenntniß, und darum die Ansicht des gegenwärtigen Lebens weiter bestimmte: – an ihren Ort gestellt, eben ein besonderer, abgerissener Ort, höchstens Andachtsübungen und einen gewissen Gottesdienst hervorbringend.

Dieß – das Leben – das erste und höchste. Das nächste nach ihm die Mittel, dasselbe zu erhalten, es so mächtig, so bequem, und so angenehm als möglich zu führen: irdische Güter und Besitzthümer, immer nur bezogen auf Erhaltung und Annehmlichkeit des irdischen Lebens, – und die Wege, um zu diesen zu gelangen, Gewerbfleiß und Handel. Blühende Gewerbe und so viel möglich Menschen durcheinander in möglichstem Wohlstande, – dieß das höchste Gut, der Himmel auf Erden, etwas höheres giebt die Erde nicht.

Warum treibt sich das Volk so, und schreit? Es will sich ernähren,
Kinder zeugen, und die nähren, so gut es vermag.
Merke dir Reisender das, und thue zu Hause des Gleichen!
Weiter bringt es kein Mensch, stell' er sich, wie er auch will.

Diese Mittel des Lebens, Eigenthum genannt, wie sie auch zusammengebracht seyen, gegen gewaltsamen Raub jeder Art zu schützen, dazu ist der Staat, bloß das Mittel dazu, er darum das Dritte in der Reihe. – Zuerst das Leben, sodann das Gut, endlich der Staat, der es schützt.

Wie sie zusammengebracht seyen, sage ich – dieser Umstand ist bedeutend, und gehört zu den Grundzügen dieser Ansicht. Erwerb und Handel und überhaupt alles menschliche Treiben ist frei, und über die Gesetze des Staats durchaus erhaben. Nur die Religion verbietet Meineid, der Staat, wie sich versteht, materiellen Raub; übrigens gelten alle Mittel der Industrie. Auch findet eine Verjährung statt, selbst des Raubes, und bei dem Staate hat man die Producte dieser Industrie nur anzuzeigen, damit er wisse, was er jedem zu schützen habe: keinesweges aber darf er bei dem, was jeder ihm in seiner Hand befindlich vorzeigt, fragen nach dem Erwerbstitel.

Der Staat eine Anstalt der Eigenthümer, die aus dem Naturstande heraus, und vor allem Staate, und ohne alle Kundnehmung des Staates, Eigenthümer sind. Die Staatsgewalt der Diener dieser Eigenthümer, der von ihnen für diese Dienste bezahlt wird.

Diese Ansicht des Staates ist sogar in den Schulen der Weisheit ziemlich allgemein. Sie zeigt sich in Lehren wie die: daß eigentlich die Grundeigenthümer (der Adel, vom schwedischen Worte Odal) die ursprünglichen Bürger und Stifter des Staatsvereins seyen, und die nachher hinzugekommenen sich müßten gefallen lassen, was diese für Rechte ihnen abtreten wollen; in dem Eifer für die Freiheit, das ist, Gesetzlosigkeit des Erwerbs, der Behauptung: daß Kirche, Schule, Handelsgilden und Innungen, und überhaupt so ziemlich alles, was sich nicht auf die bürgerliche Gesetzgebung bezieht, nicht Staatsanstalten, sondern nur Anstalten von Privatpersonen seyen, die dem Staate bloß angezeigt werden müßten für seine Schutzschuldigkeit; daß der Staat gänzlich wegfallen würde, wenn es nur keine Räuber mehr gäbe, indem alles übrige außer seinem Umkreise liegt, wie oft gehört wird, und es giebt vielleicht auch unter Ihnen solche, denen diese Lehre vorgetragen worden, wie es zu geschehen pflegt, nicht ohne Bissigkeit, und schnippisches Wesen, und mitleidige Seitenblicke auf die, die zu so hoher Weisheit sich noch nicht erhoben haben.


Hieraus folgt nun im Allgemeinen:

1) Die Menschheit zerfällt in zwei Grundstämme: die Eigenthümer, und die Nichteigenthümer. Die ersteren sind nicht der Staat, – sie sind ja als solche vor allem Staate, und ohne seine Kundnehmung, wie sie es sind – sondern sie halten den Staat, wie ein Herr sich einen Bedienten hält, und der letztere ist in der That ihr Diener. Wer nun einen Diener bezahlen kann, der dient nicht: mithin kommen auf die Mitglieder der Staatsgewalt nur die Nichteigenthümer. Wer eigenes Vermögen hat, dient nicht: der Diener dient, weil er nichts hat, um seinen Sold – der Soldat. Wer einen Diener hat, thut die Dienste, für die er diesen bezahlt, nicht selber. Das Zeichen – die Kantonfreiheit.

2) Es ist den Eigenthümern durchaus gleichgültig, wer sie schützt, wenn sie nur geschützt werden; das einzige Augenmerk dabei ist: so wohlfeil als möglich. Der Staat ist ein nothwendiges Uebel, weil er Geld kostet, man muß aber jedes Uebel so klein machen als möglich.

Dieß die Ansicht des Staates, als das Zweite: jetzt das Dritte. – Wenn es nun unter mehreren Staaten, die so angesehen werden, auch wohl sich selbst, in den Stellvertretern der Gewalt, nicht anders ansehen, zum Kriege kommt, was kann dieser bedeuten, und wie kann er geführt werden? Da der Stand der Eigenthümer in der gebildeten Welt sich, um seinen Erwerb ungehindert zu treiben, der Selbstverteidigung begiebt, so kann er sich auch nicht vertheidigen gegen seinen Vertheidiger selbst; er steht, wie gegen alle Welt, also auch gegen ihn wehrlos da. Er kann drum auch nicht über den Lohn der Vertheidigung mit ihm dingen, sondern muß eben geben, was dieser verlangt; er kann nicht geben, was er will, sondern was sein Vertheidiger will; dieser aber wird, mit seltener Ausnahme, alles wollen, was der andere nur irgend geben kann. Die Stelle eines solchen Vertheidigers dürfte darum leicht eine sehr einträgliche Stelle werden. Sie führt über dieß ihrer Natur nach dieses bei sich, daß der Wille eines solchen bindet schlechthin alle Willen in seiner Sphäre, selbst aber gebunden wird schlechthin durch keinen einzigen.

Es ist drum sicher vorauszusehen, daß der, der zum Besitze dieses einzig trefflichen, das Leben, seine Kräftigkeit und seinen Genuß am allerbesten versichernden Platzes kommt, alles thun wird, um ihn auch seinen Erben und Erbnehmern zu versichern; und so wird denn die Vertheidigung der wehrlosen Eigenthümer der ganzen Welt anheimfallen einer gewissen Anzahl von Familien als ihr Erbbesitz.

Da auf diese Weise das Vertheidigungsamt doch mehr einträgt, als es kostet, und, wer einmal ein bedeutendes Land vertheidigt, ziemlich mit derselben Kraftanstrengung auch das benachbarte vertheidigen könnte, so werden die Herrscherfamilien einander zu verdrängen suchen; und so entsteht denn zwischen ihnen, den Herrscherfamilien, ein Krieg über die Frage: ob ferner die eine oder die andere einen gewissen District vertheidigen solle, – was nichts verschlägt – und, worauf es eigentlich ankommt, den Gewinn, der dabei herauskommt, ziehen solle.

Wem verschlägt nun diese Frage etwas? Eigentlich nur den beiden Herrscherfamilien: und diese mögen denn durch ihre Söldner, die es sind, weil sie nichts haben, und den Schutz nicht bezahlen können, drum ihn in Person leisten müssen, die Sache ausfechten lassen. Die Eigenthümer und Gewerbtreibenden geht sie in der Regel ganz und gar nichts an, und es wäre Thorheit, wenn sie sich hineinmengten: es ist ein reiner Krieg der Herrscherfamilien. Denn ihnen ist es nur um den Schutz des Eigenthums zu thun, dieser aber wird ihnen, wer da auch siege. Daher wird auch in diesen Kriegen die Sicherheit des Privateigenthums versprochen, nur das des Staats, heißt hier, der Herrscherfamilie, wird weggenommen, und der Bürger verliert dabei nichts, sondern gewinnt: es bleibt doch bei seinem Vertheidiger, dessen ihm durchaus nichts verschlagende Person bloß verwandelt ist. Was sollte er thun? Sein Leben, seine gesunden Gliedmaaßen in Gefahr setzen? Man lebt nur einmal, das Leben ist das höchste Gut; womit will man ihm denn sein Leben und seine gesunden Glieder bezahlen? Seine Besitzthümer, sein Gewerbe verlassen? Nicht um eines Schrittes Breite, denn nur das Auge des eigenen Herrn hütet wohl: sie könnten zu Schaden kommen, aber nur durch sie hat sein Leben Werth, und ohne dieselben wäre es auch nur jämmerlich. Sie sind an dasselbe gebunden und seine Hüter: wo dieß ist, da müssen sie seyn.

Sobald der Feind – nicht der seinige, sondern der seines vorigen Herrschers, – sich seines Wohnsitzes nur bemächtigt, und die Söldner des andern vertrieben hat, tritt alles wieder ein in seinen vorigen Gang; seine Habe ist gesichert, und er geht seinen Geschäften ruhig nach, wie vorher. Nur der Augenblick, so lange er unentschieden ist, ist gefährlich; denn aller Kampf verheert das Eigenthum. Während desselben ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. – Bürger heißt Eigenthümer, und Gewerbtreibende, im Gegensatze des Söldners, Ruhe, daß er ganz neutral, in sein Haus verschlossen, bei verrammelten Fenstern, den Ausgang abwarte, und sehe, wen derselbe ihm zum künftigen Vertheidiger geben werde, wo möglich für einen guten Vorrath weißen Brodes, frischen Fleisches, und stärkender Getränke gesorgt habe, mit denen er, nach Ausgang des Kampfes, dem Sieger, welcher von beiden es sey, sich empfehle und dessen Gewogenheit gewinne. Macht er es anders, so könnte ja seine Person und seine Habe zu Schaden kommen. Dieß in jedem Fall zu verhindern, muß ja selbst der wohlmeinende Freund seines bisherigen Herrschers wünschen; denn man kann ja immer nicht wissen, ob nicht bei dem, so Gott will, nächstens zu hoffenden schmählichen Frieden der Platz zurückgegeben wird: aber er wird offenbar von höherem Werthe seyn, wenn er unverwüstet ist, als wenn er verwüstet wäre.

Die Fortdauer des Kampfes verheert das Eigenthum, das höchste Gut des Menschen nächst dem Leben, und bedrohet selbst Leben und Gesundheit, die allerhöchsten Güter. Man muß dieselbe darum durch jedes Mittel abzukürzen suchen: dieß ist die höchste Pflicht jedes verständigen Menschen nach ausgebrochenem Kriege. Wenn also nach der bisherigen Geschichte schon zu vermuthen ist, wohin der Sieg sich wenden werde, oder auch der Ausgang der ersten Schlacht dieß schon gezeigt hat, muß man den unzeitigen Widerstand des doch zu besiegenden nicht unterstützen. Alle haben sich zu vereinigen, zu übergeben die Festungen, und anzuzeigen; die Krieger, die Gewehre wegzuwerfen, und überzugehen. Der Sold dort ist eben so gut.

So ist gehandelt in der Seele eines vorurtheilsfreien und aufgeklärten Besitzers, der da Einsicht hat in den Werth der Dinge. Vorurtheile aus barbarischen Zeiten, von göttlicher Einsetzung der Könige, Heiligkeit des Eides, Nationalehre, sind nichts für den, der klar geworden ist über die so einfachen Sätze: daß das Leben das Erste, die Güter das Zweite, und der Staat erst das Dritte.

Selbst wohlmeinende Freunde des Fürsten werden so handeln: es schadet ihm nichts, es hilft sogar; der Unwille des Siegers muß durch Widerstand nicht gereizt werden; ist nur der Kampf bald vorüber, so erfolgt ein, von jenen Barbaren freilich schmählich genannter, Friede, wo die Länder, das ist, der Lohn getheilt, der Besiegte zu Dienstleistungen für die übrigen Eroberungspläne verbunden, durch Besetzung der Festungen seine Treue dem Sieger versichert wird. Die Eigenthümer haben nichts verloren, wenn sie dem neuen Herrn zahlen, was dem alten, und nun für's Uebrige sicher sind; darauf allein kommt es ja an. Selbst der besiegte Herrscher hat nichts verloren: zu leben wird er ja noch immer behalten; was hat er denn in diesem Zusammenhange der Ansicht mehr zu begehren? So, – wenn der Sieger das Eigenthum der Unbewaffneten wirklich sichert, nicht seinen Söldnern Raub und Gewaltthätigkeit erlaubt; wenn er das Gewerbe wirklich frei läßt, und nicht etwa eine Handelssperre einführt; wenn er den Unterschied zwischen Kantonfreien, und Kantonpflichtigen, die Grundfeste der Verfassung in diesen Begriffen, stehen läßt, und nicht etwa die Conscription einführt; wenn er für ein Billiges regiert, und nicht etwa unmäßige Forderungen macht. In der Regel wird dieß alles vorausgesetzt nach der bisherigen Analogie, und beim Beginn und während der Führung des Krieges nicht bezweifelt. Es wird ja doch auszuhalten seyn, der Feind wird schon Mannszucht halten, es ist dieß sein eigener Vortheil, und dergleichen: mit solchen Worten trösten sich die Feigen unter einander. Findet sich hinterher, daß er das zweite, nicht das erste thut, nun dann ziehet er sich freilich allgemeinen Haß zu: er hat das, warum es allein der Mühe werth ist zu leben, das Eigenthum und das Leben selbst angegriffen.

Allgemeine Bemerkung. So oft man aus den Grundsätzen, welche die Mehrzahl der Menschen in der That hat, folgerecht fortschließt, und ihnen darlegt, wie demnach ihr Leben nothwendig seyn müsse, erregt man allemal Haß, Widerspruch, und die allerdings durch Thatsachen zu belegende Behauptung: So schlimm sind wir nicht, wie du uns machst, wenigstens nicht alle und nicht immer. Sie haben, wie gesagt, Recht, und dieß geht so zu. Ihr Leben ist bei weitem nicht durchgängig durch Grundsätze und klares Bewußtseyn bestimmt, sondern durch dunkle Antriebe aus der instinctartig wirkenden, und in sonderbare Hüllen gekleideten Vernunft, dergleichen sie, wenn sie es an sich bemerken, Vorurtheile einer finstern Vorwelt nennen, – und Recht hätten, falls sie nur die Vernunft in einer andern Gestalt an sich bringen könnten. Die Theile ihres Lebens, durch die letztere bestimmt, fallen anders aus, als sie ihren Grundsätzen zufolge ausfallen würden: darin sind sie unserer Schilderung nicht ähnlich. Sie sprechen drum an die Wohlthat der Inconsequenz, und diese wollen wir ihnen denn auch für die gegenwärtige Beschreibung vorbehalten.

Was aus ihren Grundsätzen mit Klarheit folgt, das ist so, wir beschrieben: und je klarer der Einzelne, desto ähnlicher, daher in der Regel je vornehmer und je älter der Mensch, desto schlechter: das Gute noch bei gemeinen und jüngern. Daher auch eine andere Erscheinung: Man hat bemerkt, daß in den Tagen der Noth, der Verlegenheit und der Verwirrung die Menschen weit schlechter sind als gewöhnlich: den Grund dieser Erscheinung glaube ich angeben zu können. In guten Zeiten denken sie weniger an sich, und lassen sich gehen; da – der Instinct, die wohlwollenden gesellschaftlichen Elemente. In der Noth besinnen sie sich, gehen in sich, werden bedachtsam; ihre Besinnung kann aber ihnen nichts anders darstellen als die Grundsätze des allgemeinsten Eigennutzes, weil darauf einzig Zeit ihres Lebens ihr Sinnen gegangen ist.

Dieß die Eine Art der Ansicht des Lebens, drum des Staates, drum des Krieges.


Zweite Vorlesung.

1) In der wahren Ansicht geht die Erkenntniß über die Wahrnehmung des Lebens, schlechthin über alles erscheinende und zeitliche Leben hinaus auf das, was in allem Leben erscheint, und erscheinen soll, auf die sittliche Aufgabe – das Bild Gottes. – Hierzu das Leben bloßes Mittel.

2) Jene Aufgabe ist schlechthin unendlich und unerschöpflich; das Leben ist drum auch unendlich, ewig, nie zu vollenden, zu erschöpfen, zu zerstören, eben so wenig als sein Zweck: es ist ewig und über alle Zeit erhaben; demnach nicht zu erhalten, nicht zu gefährden, sondern eben schlechthin, und ohne alles Zuthun der Freiheit. Das bloß in der Zeit liegende, und durch die Zeit ablaufende Leben ist selbst nur die Erscheinung des Lebens über alle Zeit. Eine Form und Gestaltung desselben kann aufhören: das Leben selbst nimmer.

3) Das Leben der Individuen gehört nicht unter die Zeiterscheinungen, sondern ist schlechthin ewig, wie das Leben selbst. Wer da lebt, wahrhaftig lebt, im ewigen Zwecke, der kann niemals sterben: denn das Leben selbst ist schlechthin unsterblich.

Also: das Leben und seine Erhaltung kann in dieser Ansicht nie Zweck seyn, sondern es ist nur Mittel; durch seinen Zweck aber, als Erscheinung desselben ist es schlechthin ohne alles Zuthun einer Freiheit als ewig gesetzt.

4) Weiter: die nothwendige Beschaffenheit des Lebens, falls es seyn soll Mittel für seinen Zweck, ist die, daß es frei sey, daß das Individuum absolut selbstständig und aus sich selbst sich bestimme, ohne allen äußeren Antrieb oder Zwang. Diese Freiheit aber ist ihm nicht gesetzt schlechtweg, so wie die Ewigkeit des Lebens; sie kann gestört werden, und zwar durch die Freiheit der Anderen. Sie zu erhalten ist drum der erste der Freiheit eines Jeden selbst aufgegebene Zweck.

So drum die Schätzung der Güter in dieser Ansicht: 1) Die sittliche Aufgabe, das göttliche Bild. 2) Das Leben in seiner Ewigkeit das Mittel dazu; ohne allen Werth, außer inwiefern es ist dieses Mittel. 3) Die Freiheit, als die einzige und ausschließende Bedingung, daß das Leben sey solches Mittel, drum – als das einzige, was dem Leben selbst Werth giebt.

Noch gemerkt dieses: Ist nur das Leben frei, wahrhaftig, leer anderer Antriebe, so wird es von selbst Mittel des Sittlichen, und stellt sich also, gleichwie die sittliche Aufgabe gleichfalls durch sich selbst sich stellt; beides ohne alles weitere Zuthun der Freiheit; es macht sich selbst. Die Freiheit aber muß durch Freiheit selbst errungen werden: und so ist denn die Freiheit das höchste von der Freiheit abhängige Gut: der höchste im Leben dem Menschen gestellte Zweck.

Wer dieses weiß, und unter Gut versteht etwas, mit Freiheit zu erstrebendes, mit Freiheit sich zum Ziele zu setzendes, der muß sagen: Freiheit ist das höchste Gut. Alles andere nur als Mittel dazu, gut als solches Mittel, übel falls es dieselbe hemmt. Das zeitliche Leben hat drum selbst nur Werth, inwiefern es frei ist; durchaus keinen, sondern ist ein Uebel und eine Qual, wenn es nicht frei seyn kann. Sein einziger Zweck ist drum, die Freiheit fürs erste zu brauchen, wo nicht, zu erhalten, wo nicht, zu erkämpfen; geht es in diesem Kampfe zu Grunde, so geht es mit Recht zu Grunde, und nach Wunsch; denn das zeitliche Leben – ein Kampf um Freiheit. Das Leben selbst, das ewige, geht nicht zu Grunde, kann nicht, keine Gewalt kann es geben, oder nehmen: der Tod ist dann, wo es das zeitliche Leben nicht seyn konnte, der Befreier.

Halten Sie diese in diesem Zusammenhange klaren Sätze fest, weil wir dieselben sodann brauchen werden.

Im Gegensatze mit dieser nimmt die gemeine Ansicht das Leben als Zweck an sich, nicht als Mittel zur Sittlichkeit, und, damit es dieß seyn könne, zur Freiheit seiner selbst: nun hat das Leben, außer als Mittel, ganz und gar keinen Werth, ist eine leere täuschende Erscheinung ohne etwas dahinter: jene drum fangen ihre Schätzung der Welt an mit dem absolut werthlosen, dem reinen Nichts, treiben drum in allen ihren Folgerungen sich nur in dem in andern Formen wiederholten Nichts.

5) Zeitliches Leben – ein Kampf um Freiheit, sagten wir: ist doppelt zu verstehen: Befreiung von den Naturantrieben innere Freiheit, die jeder sich durch sich selbst geben muß. Von der Freiheit anderer, – äußere Freiheit, die jeder Einzelne in Gemeinschaft mit allen, durch Uebereinkunft und Erkennung eines Rechtsverhältnisses erwirbt. Diese Vereinigung zur Einführung des Rechtsverhältnisses, das ist, der Freiheit aller von der Freiheit aller, des Verhältnisses, wo alle frei sind, ohne daß eines Einzigen Freiheit durch die aller übrigen gestört werde, ist in diesem Zusammenhange der Erkenntniß der Staat, richtiger das Reich. –

Welches innerlichen Ringens nun es bedürfen werde, um diesen Rechtsbegriff erst zur Klarheit der Erkenntniß, sodann über alle Verhinderungen des gewalthabenden Eigennutzes zur Wirklichkeit zu erheben, davon in unsern eigentlichen Vorlesungen. Dieß jedoch nicht eigentlich Krieg. –

Zuvörderst dieß: Alle sind frei durch ihr Leben als Menschen, sind die zeitliche Gestalt der Vernunft auf dieselbe Weise, haben drum gleiche Ansprüche auf Freiheit: drüber und jenseit dieser Ansprüche nichts. Drum alle gleich, nicht zwei Stände, sondern Einer. Was irgend einer darf, und zufolge dieses Dürfens etwa, und als dessen Product, besitzt, gründet sich auf seine Freiheit, zusammenstehend mit der Freiheit aller; und es giebt drum hier keine Befugniß oder Besitz, der nicht stehe unter dem Gesetze, und vor dem Gesetze seine Rechtmäßigkeit beweisen müsse. Auch giebt es, da das Vernunftgesetz niemals verjährt, keine Verjährung.

Alle sind frei, jeder für seinen Theil: alle müssen drum ihre Freiheit selbst, für ihren Theil vertheidigen. Keine Stellvertretung, wie in jenem Systeme.

6) Eine Menschenmenge, durch gemeinsame sie entwickelnde Geschichte zu Errichtung eines Reichs vereint, nennt man ein Volk. Dessen Selbstständigkeit und Freiheit besteht darin, in dem angehobenen Gange aus sich selber sich fortzuentwickeln zu einem Reiche.

7) Des Volks Freiheit und Selbstständigkeit ist angegriffen, wenn der Gang dieser Entwicklung durch irgend eine Gewalt abgebrochen werden soll; es einverleibt werden soll einem andern sich entwickelnden Streben zu einem Reiche, oder auch wohl zur Vernichtung alles Reichs und alles Rechts. Das Volksleben, eingeimpft einem fremden Leben, oder Absterben, ist getödtet, vernichtet und ausgestrichen aus der Reihe.

8) Da ist ein eigentlicher Krieg, nicht der Herrscherfamilien, sondern des Volks: die allgemeine Freiheit, und eines Jeden besondere ist bedroht; ohne sie kann er leben gar nicht wollen, ohne sich für einen Nichtswürdigen zu bekennen. Es ist drum Jedem für die Person und ohne Stellvertretung, – denn Jeder soll es ja für sich selbst thun, – aufgegeben der Kampf auf Leben und Tod.

Sein Charakter: Nur frei hat das Leben Werth; ich muß drum, da die Ueberwindung meiner Freiheit mich beraubt, nicht leben, ohne als Sieger. Der Tod ist dem Mangel der Freiheit weit vorzuziehen. Mein ewiges Leben – dieß ist sicher – dieß verdiene ich eben durch den Tod, – verwirke es durch ein sklavisches Leben. Also – das Leben werde ich unbedingt aufopfern, wie vielmehr denn die Güter. Wozu kann ich denn die Güter gebrauchen, wenn ich nicht leben kann. Aber ich kann unter dieser Bedingung nicht leben!

Kein Friede, kein Vergleich, von Seiten des Einzelnen zuvörderst. Das, worüber gestritten wird, leidet keine Theilung: die Freiheit ist, oder ist nicht. Kein Kommen und Bleiben in der Gewalt, vor allem diesen steht ja der Tod, und wer sterben kann, wer will denn den zwingen? Auch nicht, falls etwa der zeitige Herrscher sich unterwürfe, und den Frieden schlösse. Ich wenigstens habe den Krieg erklärt, und bei mir beschlossen, nicht für seine Angelegenheit, sondern für die meinige, meine Freiheit: giebt auch er mir mein Wort zurück, so kann ich selbst doch es mir nicht zurückgeben. Er ist, und die welche bei ihm bleiben, auf diesen Fall als Staat, als möglicher Entwickelungspunct eines Reiches des Rechts gestorben. Was soll den, der frisches Leben in sich fühlt, bewegen, innerhalb der Verwesung zu verharren?

Anstrengung aller Kräfte, Kampf auf Leben und Tod, keinen Frieden ohne vollständigen Sieg, das ist, ohne vollkommene Sicherung gegen alle Störung der Freiheit. Keine Schonung, weder des Lebens, noch Eigenthums, keine Rechnung auf künftigen Frieden.

So muß der, der in dieser Erkenntniß lebt, und kann nicht anders. Außerdem lügt er, und seine Weisheit schwebt ihm nur auf den Lippen.

9) Es ist nöthig, daß ich, um das Gesagte vor aller Mißdeutung; und vor allem Verdachte der Ungründlichkeit und Inconsequenz zu schützen, ein fehlendes Mittelglied einschiebe. Wo die entschiedene, durch die ausdrücklichen Erklärungen ihrer Stellvertreter sich ankündigende Mehrzahl der Menschen keine anderen Begriffe von Leben, Staat und Krieg hat, als die gestern beschriebenen, da geht den Erleuchteten ihr ganzes nichtiges Treiben ganz und gar nichts an. Er hat kein Vaterland auf der Erde, sondern sein Bürgerrecht im Himmel, in der unsichtbaren geistigen Welt, worauf das Recht er dadurch sich verdient, daß er nach Vermögen das Saatkorn in die Gegenwart werfe, woraus einst nach ihm sich auf Erden ein Vaterland für die Vernünftigen entwickeln möge.

Wenn aber die vorausgesetzten Dollmetscher des öffentlichen Willens selbst reden von Freiheit und Selbstständigkeit der Nationen, und eine Kriegsweise befehlen auf Leben und Tod, ohne Unterschied der Kantonfreiheit, ohne Schonung des Eigenthums, wie sie möglich und rechtlich ist nur in der wahren Erkenntniß, so soll dem Erleuchteten sich das Herz erheben beim Anbruch seines Vaterlandes, und er soll es begierig als wahren Ernst ergreifen. Die darin gemischten Inconsequenzen, wenn z. B. fortwährend von Unterthanen gesprochen wird, wenn der Herrscher vor dem Vaterlande gesetzt wird, als ob er selbst keins hätte, und dergleichen, übersieht er, als alte schlimme Angewöhnungen.

Im Vorbeigehen: Unterthanen sind wir alle insgesammt des göttlichen Willens, im Sittengesetze sich aussprechend, und das ist unsere Ehre und Würde; und der glänzendste Herrscher kann keine größere Ehre sich erweisen, als daß er sich als Mitunterthan bekenne im göttlichen Reiche: daher kein Individuum glauben darf, andere ihm gleiche müßten unterthan seyn seinem persönlichen Willen, denn dadurch würde er sich selbst zu einem Gotte machen, und den einigen Gott lästern.

Er nimmt es für rechten Ernst. Den Argwohn, daß es, nachdem die alten Mittel vergeblich gewesen, auch nur als Mittel gebraucht werde, um die Herrschermacht in dem falschen Begriffe zu vertheidigen, und, wenn es geholfen, bei Seite gestellt, und alles wieder in gewohnte Bahn werde eingeführt werden, diesen erlaubt er sich nicht. Sein Argwohn könnte machen, daß es geschähe: sein für Ernst nehmen kann machen, daß es Ernst wird. Wenn sich nun hinterher doch zeigte, daß es nicht Ernst gewesen wäre, wenn nach Errettung im Kampfe abermals die Selbstständigkeit der Nation dem Vortheile der Herrscherfamilie aufgeopfert würde, wenn sich zeigte, daß der Herrscher zwar wollte, daß für seine Herrschaft das edelste Blut seines Volkes flösse, er dagegen für die Selbstständigkeit desselben seine Herrschaft nicht wagen wolle: so könnte unter einem solchen der Vernünftige durchaus nicht bleiben. Sein Wirken in der Gesellschaft könnte, wie oben erinnert, nur den Zweck haben, den Keim einer freien und rechtlichen Verfassung in dieselbe zu legen: und er kann diese Hoffnung so lange hegen, als es an der allgemeinen Unkunde einer solchen Verfassung liegt, daß man sie nicht einführt. Wo aber Freiheit und Selbstständigkeit klar ausgesprochen, und doch mit offenem Auge Verzicht auf sie gethan, und sie zum bloßen Mittel der Unfreiheit herabgewürdigt wird, wo die Nationaleigenthümlichkeit als die Bedingung der Entwicklung in fremde Fesseln geschlagen wird: da ist für ihn nichts mehr zu erwarten. Ein solcher Staat befindet sich im Zustande der Verstockung, und hat öffentlich das Siegel der Verwerfung sich selbst aufgedrückt. Der Edele rettet sein unsterbliches Leben, indem er ihn flieht.

Dieß ein eigentlicher Krieg, und die feste und unwandelbare Entschließung eines erleuchteten Menschen in einem solchen.

Das oben hingeworfene Princip übrigens: daß ein Volk gebildet werde durch eine gemeinsame Geschichte, und daß aus dieser Bildung sich entwickeln solle ein Reich, und wer da eingreife in dieselbe, als Feind zu betrachten sey, – dieß zu erklären und zu belegen ist die Aufgabe unseres abgebrochenen Vortrages, ein Theil desselben. Aber selbst die Ansicht der Gegenwart, die ich Ihnen für die künftige Stunde verspreche, wird es Ihnen schon näher rücken.


Dritte Vorlesung.

Es möchte vorjetzt zweckmäßig seyn, die aufgestellten Grundsätze ganz bestimmt auf unsere Zeit, und auf den Krieg, den wir begonnen haben, anzuwenden, und Sie, so gut ich es verstehe, zur Beurtheilung anzuführen.

Man fehlt meines Erachtens von zwei Seiten gleich gefährlich: 1) indem man die Charakterkraft und die Hülfsmittel unseres Feindes herabwürdigt, dadurch uns einschläfert. Jämmerliche Wichte und Feiglinge setzen in diese Vertröstungen den Patriotismus.

2) Indem man von den Gesinnungen und Entwürfen desselben uns Hoffnung macht, sie in einem milden Lichte darstellt, wohl gar der Vorsehung selbst mit ihm Plane unterlegt, die so kindisch sind, wie diese Denker des göttlichen Willens selber. Trost der Feigen, und streng angesehen, selbst Verworfenheit und Verbrechen!

Ich sage: daß auch viele unsern Feind betrachten, als ein Werkzeug in der Hand Gottes, durch das er irgend welche Plane ausführen wolle, die diese Schauer in den göttlichen Rath auch wohl anzugeben wissen, z. B. die Vertreibung der Türken aus Europa, wenn sie ächt abergläubische Christianer sind, die Zugrunderichtung des Adels, wenn es Krämer, die des Krämergeistes, wenn es Ritter sind.

Ich spreche aber daran eine allgemeine Irrniß unerleuchteter, rohsinnlicher Menschen aus, und will dieselbe im Allgemeinen widerlegen.

Ihre Grundblindheit besteht darin, daß sie nicht erblicken die Freiheit als die Wurzel alles wahrhaften Seyns. Nun möchten sie aber doch gern das Gute haben, und dazu haben sie sich einen Gott verordnet, der es ihnen anwachsen läßt, und zufliegen, ohne daß sie sich selbst zu regen brauchen, durch bloße physische Vereinigung. Da haben sie in der Religion Zaubermittel, ein Wasserbad, welches gebraucht, eine Speise, welche genossen, ein Salböl, welches angestrichen, ohne weitere Dazwischenkunft der Menschen – heiligt zur Tugend. Da ist nach ihrer Ansicht die Geschichte des Menschengeschlechts eine große Pflanze, welche durch die bloße zeitigende Entwicklung des in ihr liegenden Keimes von selber aufblühen wird zu einem göttlichen Reiche der Weisheit und der Tugend. Diesen ihren trägen Glauben preisen sie nun recht an, wenn etwas recht widerwärtiges und bösartiges ihnen in der Erscheinung vorkommt, – bei dem was ihnen schon so schmeckt, verweisen sie weniger auf Gott – und trösten sich mit der göttlichen Vorsehung, die auch dabei ihre weisen Absichten haben und wissen werde, wozu es gut sey. Sind sie gewaltig, so wissen sie diesen Zweck Gottes auch wirklich anzugeben. Wenn sie nun solche Reden führen, die den Menschen so recht im Sündenschlafe betäuben – man hört sie leider häufig von Kanzeln und auch wohl sonst – so dünken sie sich absonderlich fromm, und sie meinen wohl gar in ihrer Blindheit, daß man des Heiligen spottet, wenn man so redet, wie wir eben, und ihrer spottet.

Sie irren sich ganz und gar, und sind stockblind. Es giebt schlechthin kein Naturgesetz und keinen physischen Zusammenhang der Dinge, durch welchen das Gute an uns kommt. Gott will nicht, Gott kann nicht das Gute, das wir gern möchten, uns geben, außer durch unsere Freiheit; und Gott ist überhaupt nicht eine Naturgewalt, wie die blinde Einfalt wähnt, sondern er ist ein Gott der Freiheit. Die Natur ist bloß der Wiederschein des Standpunctes der allgemeinen Freiheit: in der Freiheit aber hat er uns schon gegeben sich selbst, und sein Reich, und die ganze Fülle seiner Seeligkeit, und es kommt nur auf uns an, daß wir dieß alles in uns entwickeln. Ohne Freiheit bleiben wir ohne Gott, und in dem Nichts. Wir sind wirklich gar nicht da, sondern nur Embryone, aus denen etwa ein Mensch werden könnte. Die äußeren Weltbegebenheiten sind bloß der Stoff, an dem wir dieselbe entwickeln sollen, und den wir verbrauchen sollen und verbrauchen können, insgesammt, wie er auch sey, zu unserm Heile. Gut ist gewiß jede Erscheinung: denn sie steht unter der Freiheit, und ist zur Entwicklung derselben zu gebrauchen, diese aber ist unbedingt gut. Wozu eine Erscheinung aber gut, d. i. brauchbar sey, das will uns kein Gott sagen, sondern wir selbst sollen es begreifen, und wir werden es begreifen, wenn wir von seinem Geiste der klaren Sittlichkeit beseelt sind. Wir sollen nicht erwarten, wie Gott nach seinen geheimen Wegen etwas zum Besten wenden werde; dann sind wir unwürdig seiner, und nicht Bürger seines Reiches: sondern wir sollen es selbst nach unsern eigenen klaren Begriffen zum Besten wenden.

So auch in diesem Falle. Erkenne ich recht Gott und seinen Weltplan, wie ich festiglich glaube – habe ich auch die bisherige durch sein ganzes öffentliches Leben dargelegte Erscheinung unseres Feindes richtig begriffen, – worin als einem geschichtlichen Datum ich mich irren kann: so ist in ihm alles Böse, gegen Gott und Freiheit Feindliche, was seit Beginn der Zeit bekämpft worden ist von allen Tugendhaften, zusammengedrängt, und auf einmal erschienen, ausgestattet mit aller Kraft, die das Böse haben kann. Wozu? Auch alle Kraft des Guten, die jemals in der Welt erschienen ist, soll sich vereinigen und es überwinden. Dieß ist das große Schauspiel, welches, meines Erachtens, dieser Zeit vorbehalten ist. Das Reich des Teufels ist nicht dazu da, damit es sey, und von den unentschiedenen, weder Gott noch dem Teufel gehörigen, herrenlosen duldend ertragen werde, sondern damit es zerstört, und durch seine Zerstörung der Name Gottes verherrlicht werde. Ist dieser Mensch eine Ruthe in der Hand Gottes, wie viele meinen, und wie ich in gewissem Sinne zugebe, so ist er's nicht dazu, daß wir ihr den entblößten Rücken hinhalten, um vor Gott ein Opfer zu bringen, wenn es recht blutet, sondern, daß wir dieselbe zerbrechen. So ist es für mich gar nicht verborgen, und den geheimen Wegen Gottes zu überlassen, sondern klar und offenbar, wozu diese Erscheinung da ist.

Es kommt bei dieser Frage darauf an, ob man glaube, Gott dadurch zu dienen, daß man über seine vorgeblichen geheimen Plane träumt, und die Entwicklung derselben leidend abwartet; oder, daß man handelt nach seinem klar zu erkennenden Willen. Die größte Gefahr, der man dabei sich aussetzen kann, ist der zeitliche Tod. Dieser aber ist so wenig ein Uebel, daß gewiß jeder, der zur klaren Erkenntniß gekommen ist, gern in jedem Augenblicke hinüberwandern würde auf einen höhern Schauplatz des Lebens, wenn er nicht wüßte, daß er durch eine solche Verlassung sich des höhern Lebens unwürdig machte.

Den Erleuchteten geht ein Staat, aufgebaut auf den Grundbegriff der Eigenthumserhaltung, mit allem seinen Treiben in einem Kriege gar nichts an, außer, wiefern er ihn betrachtet als den Entwicklungspunct eines Reiches der Freiheit. Sein Zweck ist nur das letztere; für dieses aber, und, falls es auch selbst noch nicht in der Wirklichkeit wäre, für die Hoffnung und künftige Möglichkeit desselben, ist er stets bereit, Eigenthum und Leben auf das Spiel zu setzen.

So im Allgemeinen. Jetzt die Zeitfrage:

Ist die Entwicklung eines Reiches der Freiheit in Gefahr, – und in wie dringender?

Merken Sie folgende Sätze:

1) Die Menschen sollen schlechthin sich gestalten zu Reichen der Freiheit: denn nur in solchen ist der sittliche Zweck, schlechthin dasjenige, wozu die ganze Menschheit ganz allein da ist. Der Menschheit früheres Leben hat wahren Werth nur, wiefern es Mittel und Bedingung ist dieser Entwicklung; und außerdem ist es nichts. Mit dem Beginnen dieses Reiches ist das menschliche Leben erst eingeführt und geboren. Vorher nur das Embryon eines Menschengeschlechts, mit welchem die ewige Zeit schwanger geht.

2) Diese Gestaltung des Reiches kann erfolgen nur aus einer durchaus gemeinsamen Ansicht und Denkweise vieler, die da Volk heißen. Gemeinsamkeit der Sprache ist Bedingung der Entwicklung und Verbreitung desselben, ist das von der geistigen Natur vorausgegebene. Wie für uns alle schlechthin nur Eine und dieselbe Sinnenwelt ist, (nicht von ungefähr, sondern nach einem absoluten Gesetze) so soll für gewisse Haufen seyn: 1) eine Grundansicht sittlicher Welt überhaupt, als Bedingung des Zusammenlebens, – und daraus gesellschaftliche Verhältnisse. Ohne diese, zerstreute Naturmenschen, Wilde, Kannibalen, die denn doch Ehen, und Eltern, und Kinder haben. 2) Diese Haufen sind bestimmt durch das Gesetz, das für Alle schlechthin Eine, wie die Sinnenwelt, (keine Willkührlichkeit: dieß ist Wahn!) nur mit dem Unterschiede, daß dieses Gesetz nicht waltet schlechthin, wie das Naturgesetz, sondern durch freie Ausbildung, so daß man sich zur Erkenntniß desselben erheben muß. Dieß eben ist der Zweck, daß Alle sich dazu erheben. Die Darstellung dieser Ansicht, die Ausbildung Aller zur Erkenntniß, damit das Gesetz durch ihre Freiheit sie bestimme – ist eben das Reich des Rechts. 3) Diesem nun sollen sie sich gemeinschaftlich annähern: der jedesmalige Standpunct dieser Erkenntniß, der allgemeine im Durchschnitte, von welchem aus der Weg weiter zu bestimmen ist, ist die Volksgesinnung, das eigentlich das Volk zum Volke machende, sein Punct zwischen dem Wilden und dem Bürger des Rechtsreiches. Dieser Fortgang das eigentlich Heilige; ihn stören, zurückschrauben, ist gottlos.

4) Dieser Fortgang, die Geschichte, wird gebildet nicht sowohl durch, als an gemeinsamen Begebenheiten. An: – wo denn die Freiheit Einzelner nachhilft, erleuchtet durch Religion und Wissenschaft, deren Resultat die Volkserziehung ist.

Die Geschichte begreift eigentlich nur der absondernde Beobachter, der darüber schwebt, und den gemeinsamen Standpunct des Volkes durch den Gegensatz erkennt: das Volk nicht, eben weil es nicht darüber streitet, sondern ewig von seiner bestehenden Gesinnung als dem allbekannten Vordersatze ausgeht.

Doch ist eigentlich in dieser Untersuchung uns besonders lehrreich dasjenige in der Geschichte, wodurch eine Menge sich selber begreift als Eins, und zum Volke wird im eigenen Begriffe: – entweder durch hervorstechende Eräugnisse, gemeinschaftliches Thun und Leiden, – wenn Einer leidet, leiden Alle, was Alle trifft, trifft Jeden, weil er zu dieser Menschenmenge gehört: durch Gemeinschaftlichkeit des Herrschers, des Bodens, der Kriege, und Siege, und Niederlagen, und dergleichen; – oder auch der bloße Begriff Anderer von ihnen als Eins giebt ihn ihnen selbst.


Anwendung. Die alten klassischen Völker – Pflanzstädte, hervorgehend aus gebildeten Völkern, bildend, unterjochend, – sie selbst vereint durch gemeinsame Flucht, durch gemeinsame, nun erst als solche heraustretende Geistesbildung, das Volk schon abgetrennt vom Boden. Griechen, Römer: darin der Aufschluß des Innern ihrer Geschichte: die hohe Ausgebildetheit des Staates, ihre Liebe für Freiheit, ohne Menschenrechte, daher weil ihr Staat rein factisch, nicht philosophisch, nicht aus dem Begriffe hervorging.

Die neuere Welt: entwickelt aus einem Grundstamme von Eingebornen, die ohne stetes Reichsverband jeder sein eigener Herr und Vertheidiger waren. Jene eingetreten in die Geschichte als Staat; diese durchaus ohne ein solches Band. Verbindungen zu Abentheuern, zu ernsthaften Unternehmungen, vorübergehend, fast allein gegründet auf die persönlichen Anknüpfungen – den Comitat, eine ganz eigene Erscheinung. – Wohl etwa im Begriffe der Römer als Eins begriffen, nach Sprache, Sitten, Abstammung, aber durchaus nicht in ihrem eigenen. (Dieß ist wohl zu merken.) Nur Religion vereinigte einige, und gebot ihnen: im Uebrigen Selbsthülfe, Krieg der Einzelnen. – Gesetze über Abkaufung (Sühne) desselben erst eine spätere Erscheinung. – Uebrigens ein gewisser Grad sittlicher Bildung, z. B. Reinheit der Ehen,

Dieser Grundstamm bildete bis auf unsere Zeit, außer den in der Mitte liegenden Spielarten, sich aus in folgenden beiden Extremen.

Ein Schwarm, der sich Franken nannte, zog aus, und eroberte eine der schönsten Provinzen des römischen Reiches, die er auch bis auf unsere Zeit in unverrückter Folge behauptet hat. Die große Begebenheit, durch die sie in ihrem eigenen Bewußtseyn Eins, ein Volk wurden, und es blieben, war gegeben; die Miteroberer waren in der Eroberung Eins. Mit dieser Einheit und von ihr aus erhielten sie nun alles Uebrige, Christenthum, Buchstaben, im Verlaufe der Zeiten sogar Sprache, Eigenthum, und die Künste dasselbe zu genießen; kurz, alle Bildung der Einzelnen ging aus von der Volkseinheit, keinesweges ging umgekehrt die Volkseinheit aus von der der Persönlichkeit. (Kurz: ich glaube hier einen durchgreifenden, Licht über die ganze Geschichte verbreitenden Gedanken auszusprechen.) Daher: 1) Nationalstolz, oder vielmehr Eitelkeit, 2) Persönlichkeit als Erzeugniß der Gesammtheit, und diese, der Gesellschaft. – Diese – das Vorausgesetzte, Ausgemachte, nicht aus der Voraussetzung der Persönlichkeit und Freiheit entspringend, sondern aus der des bloßen Zusammenlebens: nicht wie Einer seyn kann für sich, sondern wie mehrere beisammen seyn können. Die Gesellschaft nicht aus den Einzelnen, sondern die Einzelnen nur in der Gesellschaft; diese die Hauptsache, und die Einzelnen nur dazu da, daß sie dieselbe bilden. Für sich der Einzelne gar nichts, sondern nur durch seinen geselligen Werth. Daher die gesammten Erscheinungen des französischen Nationalcharakters: geistreich, liebenswürdig, guter Vater, Herr, Diener u. s. f. Das Wichtige, was daraus hervorgeht, ist: 1) Daß sie sich selbst zum Gedanken der Freiheit und des Rechtsreiches nie erheben können, weil sie den des persönlichen Werths, des rein schöpferischen, durch ihr Denksystem übersprungen haben; auch durchaus nicht begreifen können, daß irgend ein anderer Mensch oder Volk so etwas wolle, und denke. Zum Reiche kommt es nicht auf diesem Wege: erst zur Persönlichkeit; diese überspringend, haben sie die Freiheit gewollt, durch Schriftsteller gereizt, und gehoben durch die öffentliche Meinung. 2) Daß sie von Jedem zu jedem Zwecke gebraucht werden können, wenn er nur so glücklich ist, die allgemeine Meinung zu gewinnen – so zu thun –. Ein solcher ist ihr Selbstherrscher, welchem zuwider sie gar nicht können. 3) Ihr Bestreben zur Verschmelzung Anderer in diese Einheit, und in diesen Gehorsam gegen die allgemeine Meinung, die eigentliche Wahrheit, über welche hinaus es für ihre Erkenntniß nichts giebt.

– Bei anderen anders, wegen anderer Geschichte. Spanier vertrieben und unterjocht. Italiener, nie Eins seyend. Engländer, Mannigfaltigkeit der Geschichte, und Folge der herrschenden Völker; gar nicht aus einem so einfachen Princip anzusehen, als andere –.

Die Zurückgebliebenen fingen erst an, durch Widerstand einen dunkeln Begriff von sich als Einem Stamme zu bekommen: indem sie diese Ausgewanderten unterschieden, begriffen sie sich als Deutsche, zum Stamme gehörige. Der Einheitsbegriff kam ihnen von Außen, im Innern blieben sie in ihrer Unabhängigkeit von einander, in ihrer Sprache, und Leerheit an Bildung. Indessen kam auch an sie Christenthum, und mit ihm Buchstaben, und mancherlei Verbesserung des Lebens, wohlgemerkt an Jeden für sich; der Mensch, die Person, die Familie höchstens ausgebildet, – nicht der Bürger: das Gute ohne Bürgerthum an den Freien. Um die schon so Gebildeten legte sich ein Reichsverband, aber äußerst locker. Die Anziehungen höchstens in einzelnen Provinzen durch die besondern Fürsten, in Kämpfen gegen benachbarte Wenden, Slaven; aber immer keine gemeinsamen Thaten und Geschichte, durchaus keinUnternehmen der Art. Höchstens Stamm- und Sprach-Einheit, nicht Volks- und Geschichts-Einheit. Diese Trennung consolidirte sich durch die Unabhängigkeit der Fürsten: nun mehrere Völker, feindlich gegen einander, Erbfeinde, nur noch zusammengehalten durch den Reichsverband, der jetzt ausgesprochen wurde, was er erst schon in der That war, kein Staat, sondern ein Staatenbündniß. Die Deutschen Ein Stamm, ähnlich in negativer Geschichte, zurückweisend jegliche Verschmelzung zur Einheit, aber niemals, was auch Gelehrte ihnen aufzudringen suchten, ein Volk – Späterhin sogar durch Confessionen getrennt; in ihrem Begriffe nie Eins; des föderativen Staates Bürger höchstens nur die Fürsten, und diese Föderation wie schwach und in sich selber getheilt! Preußen, Sachsen, nicht Deutsche. Dennoch hat gerade diese Reichsverfassung, haben die Gelehrten, haben die Reisen der Kaufleute, und Handwerker im Lande der deutschen Sprache diesen Einheitsbegriff eines deutschen Volkes, nicht als einen unmittelbar praktischen, sondern bloß historischen, als ein allgemeines Postulat, noch immer fort erhalten. Dieses Postulat nun von einer Reichseinheit der Deutschen, eines wirklich organisch durchaus verschmolzenen Staates darzustellen, sind die Deutschen meines Erachtens berufen, und dazu da in dem ewigen Weltplane. In ihnen soll das Reich ausgehen von der ausgebildeten, persönlichen, individuellen Freiheit; nicht umgekehrt: von der Persönlichkeit gebildet fürs erste, vor allem Staate vorher, gebildet sodann in den einzelnen Staaten, in die sie dermalen zerfallen sind, und welche als bloßes Mittel zum höhern Zwecke sodann wegfallen müssen. Und so wird von ihnen aus erst dargestellt werden ein wahrhaftes Reich des Rechts, wie es noch nie in der Welt erschienen ist: alle die Begeisterung für Freiheit des Bürgers, die wir in der alten Welt erblicken, ohne Aufopferung der Mehrzahl der Menschen als Sklaven, ohne welche die alten Staaten nicht bestehen konnten, Freiheit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschengesicht trägt. Nur von den Deutschen, die seit Jahrtausenden für diesen großen Zweck da sind, und langsam demselben entgegenreifen. Nur – ein anderes Element ist für diese Entwicklung in der Menschheit nicht da.

Und statt dieser hohen Bestimmung könnte jemand, dem darüber das Licht aufgegangen ist, zugeben, daß das Volk, auf dem sie ruht, ein Anhang, ein durchaus untauglicher Anhang werde jenes erst beschriebenen Volkes, und dagegen sich nicht setzen aus allen Kräften auf Leben und Tod?

Noch mehr, lassen Sie uns den Mann sehen, der an die Spitze jenes Volkes sich gestellt hat. Zuvörderst, er ist kein Franzose. Wäre er dieß, so würden jene geselligen Grundansichten, jene Achtung für die Meinung anderer, und kurz, für irgend etwas außer ihm selber, einige wohlthätige Schwäche und Inconsequenz seinem Charakter beimischen, wie dergleichen sich zum Beispiel im vierzehnten Ludwig, meines Erachtens der schlimmsten Ausgeburt des französischen Nationalcharakters, vorfanden. Aber er ist aus einem Volke, das schon unter den Alten wegen seiner Wildheit berüchtigt war, das gegen die Zeit seiner Geburt in harter Sklaverei noch mehr verwildert war, das einen verzweifelten Kampf gekämpft hatte, um die Fesseln zu zerbrechen, und in Folge dieses Kampfes in die Sklaverei eines nur schlauern Herrschers gefallen, und um seine Freiheit betrogen worden war. Die Begriffe und Empfindungen, die aus einer solchen Lage seines Vaterlandes sich entwickelten, mögen die ersten Bildungsmittel seines aufkeimenden Verstandes gewesen seyn. Unter der französischen Nation, die auf diese Weise ihm zuerst bekannt wurde, erhielt er seine Bildung, sie legte sich ihm dar in den Begebenheiten einer Revolution, deren innere Triebfedern zu schauen, er alle Gelegenheit hatte, und er mußte bald mit innigster Klarheit dieselbe begreifen lernen, als eine höchst regsame Masse, die da fähig wäre, durchaus jedwede Richtung anzunehmen, keinesweges aber durch sich selbst sich eine bestimmte, und dauernde zu geben. Konnte es anders kommen, als daß er, wie er diese Nation fand, der er selbst seine Verstandesausbildung dankte, und die er ungefähr für die erste halten mochte, so auch das ganze übrige Menschengeschlecht ansahe? Von einer höhern sittlichen Bestimmung des Menschen hatte er durchaus keine Ahnung. Woher sollte er sie bekommen, da sie nicht, wie etwa bei den Franzosen, durch eine glückliche Angewöhnung in früher Jugend ihm zu Theil ward, durch deutliche Erkenntniß aber vermittelst der Philosophie oder des Christenthums seine spätere Bildung sie ihm auch nicht darbot? Zu dieser vollkommenen Klarheit über die eigentliche Beschaffenheit der Nation, über die er sich der Oberherrschaft bemächtigte, trat ein durch seine Abstammung aus einem kräftigen Volke begründeter, und durch seinen steten, aber zu verbergenden Widerstreit gegen die Umgebungen seiner Jugend gestählter, kräftiger, und unerschütterlicher Wille. Mit diesen Bestandtheilen der Menschengröße, der ruhigen Klarheit, dem festen Willen ausgerüstet, wäre er der Wohlthäter und Befreier der Menschheit geworden, wenn auch nur eine leise Ahnung der sittlichen Bestimmung des Menschengeschlechts in seinen Geist gefallen wäre. Eine solche fiel niemals in ihn, und so wurde er denn ein Beispiel für alle Zeiten, was jene beiden Bestandtheile rein für sich, und ohne irgend eine Anschauung des Geistigen geben können. Es bildete sich ihm hieraus folgendes Erkenntnißgebäude: daß die gesammte Menschheit eine blinde, entweder gänzlich stagnirende, oder unregelmäßig und verwirrt durch einander und miteinander streitend sich regende Masse von Kraft sey; daß weder jene Stagnation seyn solle, sondern Bewegung, noch jene unordentliche, sondern eine nach Einem Ziele sich richtende Bewegung: daß selten, und durch Jahrtausende getrennt Geister geboren würden, die bestimmt seyen, dieser Masse die Richtung zu geben, dergleichen einer Karl der Große gewesen sei, und er der nächste nach ihm; daß die Eingebungen dieser Geister das Einzige, und wahrhaft Göttliche, und Heilige, und die ersten Principien der Weltbewegung seyen, und daß für sie schlechthin alle andere Zwecke der Sicherheit oder des Genusses aufgeopfert, für sie alle Kräfte in Bewegung gesetzt, und jedwedes Leben in Beschlag genommen werden müsse, und daß es Auflehnung sey gegen das höchste Weltgesetz, solchen Anregungen sich entgegen zu setzen. In ihm sey erschienen dieses Weltgesetz in der neuen Ordnung der Dinge, die er in dem Culturstaate, unter seiner Oberherrschaft ausführen wolle: das nächste Glied dieser Ordnung sey dermalen die Freiheit der Meere, wie er sagt, die Oberherrschaft der Meere in seinen Händen, wie er es eigentlich meint, und für diesen allernächsten durch das Weltgesetz gesetzten Zweck müsse alles Glück von Europa aufgeopfert werden, alles Blut fließen; denn dafür allein sey es da. Diesen großen Weltplan, der freilich über das Ziel eines Menschenlebens sich hinausstreckt, soll nun nach ihm seine Dynastie fort und ausführen, so lange bis etwa nach einem Jahrtausend ein anderer inspirirter Held wie er auftreten, und mit neuer Offenbarung in seine und Karls Schöpfung eingreifen wird.

Man hat geahndet, daß es mit ihm ein anderes Bewenden habe, als mit andern vorzeitigen und gleichzeitigen Herrschern. So ist es auch. Oeffentliche Blätter zwar meinten, daß die Gesinnungen eines Generals in ihm verschwinden würden durch Einführung der Erbfolge für seine Dynastie. Nicht recht begriffen. – Es steht so: Jene sind gewohnt, sich als Vertheidiger des Eigenthums und Lebens anzusehen, als Mittel zu diesem Zwecke, der drum nie aufgeopfert werden darf: dieser setzt sich als Vertheidiger eines absoluten, – selbst Zweck seyenden – Willens, eines Weltgesetzes, in der That aber nur eines individuellen Willens, einer Grille, ausgerüstet mit der formalen Kraft des sittlichen Willens. (Dieß ist sein wahres unterscheidendes Wesen. Jene sind nicht im Stande, ihren Gegner auch nur zu begreifen.) Es ist allerdings wahr, daß Alles aufgeopfert werden soll – dem Sittlichen, der Freiheit; daß Alles aufgeopfert werden solle, hat er richtig gesehen, für seine Person beschlossen, und er wird sicher Wort halten bis zum letzten Athemzuge: dafür bürgt die Kraft seines Willens. – Seine Denkart ist mit Erhabenheit umgeben, weil sie kühn ist, und den Genuß verschmäht, darum verführt sie leicht erhabene, das Rechte nur nicht erkennende Gemüther. – Nur soll es eben nicht geopfert werden seinem eigensinnigen Entwurfe; diesem aufgeopfert zu werden, ist er selbst sogar viel zu edel; der Freiheit des Menschengeschlechts sollte er sich aufopfern, und uns alle mit sich, und dann müßte z. B. ich, und Jeder, der die Welt sieht, wie ich sie sehe, freudig sich ihm nachstürzen in die heilige Opferflamme.

In dieser Klarheit, und in dieser Festigkeit beruhet seine Stärke. – In der Klarheit: alle unbenutzte Kraft ist sein; alle in der Welt gezeigte Schwäche muß werden seine Stärke. Wie der Geier schwebt über den niederen Lüften, und umherschaut nach Beute, so schwebt er über dem betäubten Europa, lauschend auf alle falschen Maaßregeln und alle Schwäche, um flugschnell herabzustürzen, und sie sich zu Nutze zu machen. In der Festigkeit: die andern wollen auch wohl herrschen, aber sie wollen noch so vieles andere nebenbei, und das erste nur, wenn sie es neben diesem haben können; sie wollen ihr Leben, ihre Gesundheit, ihren Herrscherplatz nicht aufopfern; sie wollen bei Ehre bleiben; sie wollen wohl gar geliebt seyn. Keine dergleichen Schwächen wandelt ihn an: sein Leben, und alle Bequemlichkeiten desselben setzt er daran, der Hitze, dem Froste, dem Hunger, dem Kugelregen setzt er sich aus, das hat er gezeigt: auf beschränkende Verträge, dergleichen man ihm angeboten, läßt er sich nicht ein, ruhiger Beherrscher von Frankreich, was man ihm etwa bietet, will er nicht seyn, sondern ruhiger Herr der Welt will er seyn, und, falls er das nicht kann, gar nicht seyn. Dieß zeigt er jetzt, und wird es ferner zeigen. Die haben durchaus kein Bild von ihm, und gestalten ihn nach ihrem Bilde, die da glauben, daß auf andere Bedingungen mit ihm, und seiner Dynastie, wie er sie will, sich etwas anderes schließen lasse, denn Waffenstillstände. Ehre und Treue! Er hat es freiwillig bei der Einverleibung Hollands ausgesprochen, daß ein Herrscher damit es halte, wie die Zeiten es mit sich bringen: so lange es ihm selbst zuträglich ist – ja – wenn es ihm nachtheilig wird, nicht mehr. Daher kommt auch in allen neuern Staatsschriften desselben, das Wort: Recht, gar nicht mehr vor, und fällt nach ihm heraus aus der Sprache, sondern es ist allenthalben nur die Rede vom Wohle der Nation, dem Ruhme der Armeen, den Trophäen, die er in allen Landen erfochten.

So ist unser Gegner. Er ist begeistert und hat einen absoluten Willen: was bisher gegen ihn aufgetreten, konnte nur rechnen, und hatte einen bedingten Willen. Er ist zu besiegen auch nur durch Begeisterung eines absoluten Willens, und zwar durch die stärkere, nicht für eine Grille, sondern für die Freiheit. Ob diese nun in uns lebt, und mit derselben Klarheit, und Festigkeit von uns ergriffen wird, mit welcher er ergriffen hat seine Grille, und durch Täuschung oder Schrecken alle für sie in Thätigkeit zu setzen weiß, davon wird der Ausgang des begonnenen Kampfes abhängen.

Ich habe gethan, was mir obliegt, indem ich mit der Klarheit, die mir beiwohnt, diese meine Ansicht mittheile denen, die meiner Mittheilung begehren, und in ihnen den Funken dieser uns nöthigen Begeisterung zur Flamme anzufachen suche.

Nur noch dieß gegen den Einwurf: diese Darstellung von ihm sey übertrieben und unwahr,

1) von solchen, die, weil sie selbst ungefähre Zusammenstimmung der verschiedensten Bestandtheile sind, sich auch außer sich nichts anderes, denn dieß, nichts in sich zusammenhängendes, einbilden können, denen darum diese Schilderung unglaublich ist. Diesen ist nicht zu helfen, außer durch Bildung zur Anschauung, und vorher, damit dieses möglich sey, zum eigenen Seyn: und dieß läßt sich mit einer Abhandlung nicht abthun.

2) von solchen, die dieß nicht sind. Diese erinnere ich: daß man Aeußerungen von ihm hat, und daß dadurch klar und begreiflich daliegt sein ganzes Leben, dessen Hauptzug gänzliche Blindheit für die sittliche Bestimmung des Menschengeschlechts ist; übrigens alle Bestandtheile des großen Mannes, die sein Zeitalter ihm zugesteht, außer wo es aus Furcht lügt und lästert wie die Kinder.

Zum entscheidenden Beweise seiner gänzlichen Blindheit für die sittliche Bestimmung des Menschengeschlechts gedenken wir der bestimmten That, durch die er vor Welt und Nachwelt das Gepräge seines Wesens sich aufgedrückt hat. Dieß um so mehr, da nach den Wünschen der Herrscher und ihrer Werkzeuge, denen diese That nach ihrem Sinne war, ein allgemeines Stillschweigen über sie eingetreten ist, und sie anfängt, aus dem Andenken der Zeitgenossen herauszufallen. Die ihm das Schlimmste nachsagen wollen, deuten nur immer hin auf des Prinzen Enghien blutigen Leichnam, als ob dieß der höchste Gipfel wäre seiner Thaten. Ich aber meine eine andere, gegen welche Enghiens Ermordung in Nichts verschwindet, und nach meinem Sinne nicht werth ist, herausgehoben zu werden, weil sie durch die einmal angehobene Bahn mit Nothwendigkeit gefordert wurde.

Die französische Nation war im Ringen nach dem Reiche der Freiheit und des Rechts begriffen, und hatte in diesem Kampfe schon ihr edelstes Blut verspritzt. – Aber diese Nation war der Freiheit unfähig, sagt man – und ich gebe dieß nicht nur zu, sondern ich glaube es sogar beweisen zu können. Aus folgendem Grunde: weil Einheit ihnen unmöglich aus der Einstimmigkeit über den Rechtsbegriff hervorgehen konnte, da es in der ganzen Nation an der Bedingung einer freien Verfassung fehlte, der Ausbildung der freien Persönlichkeit, des individuellen Charakters, unabhängig von der Nationalität; weil daher bei einem solchen Ringen jede besondere Meinung ihre Partei finden, alle schützende Gewalt wegfallen und so die Parteien sich im innern Kampf selbst aufreiben mußten – wie sie auch eine Zeit lang thaten. – So drum stand es freilich. Indem nun diese Selbsterkenntniß anfing aufzudämmern, fiel – ich will davon schweigen, durch welche Mittel – diesem Manne die höchste Leitung der Angelegenheiten zu. Bilder der Freiheit waren in manchen begeisterten Schilderungen an ihn gekommen; ganz unbekannt war ihm drum nicht der Begriff, und daß er gedacht würde. Wäre nur irgend eine Verwandtschaft dieses Begriffes zu seiner Denkweise, irgend ein Funke des Verständnisses dafür in ihm vorhanden gewesen, so hätte er den Zweck nicht aufgegeben, wohl aber das Mittel gesucht. Es hätte sich ihm nicht verborgen, daß dieses sey eine vielleicht mehrere Menschenalter dauernde regelmäßige Erziehung der französischen Nation zur Freiheit. Es hätte dem Manne, der sich eine Kaiserkrone, und eine benachbarte Königskrone aufzusetzen, und sich der Erbfolge zu versichern vermochte, nicht fehlen können, sich an die Spitze dieser Nationalerziehung zu setzen, und dieselbe Stelle einem Nachfolger, den er für den würdigsten dazu gehalten hätte, zuzusichern. Dieß hätte er gethan, wenn ein Fünklein ächter Gesinnung in ihm gewesen wäre. Was er dagegen gethan, wie er listig und lauernd die Nation um ihre Freiheit betrogen, braucht hier nicht ausgeführt zu werden: jenes Fünklein ist drum nicht in ihm gewesen. Und so wäre denn meine Schilderung von ihm sogar zur Demonstration erhoben, in so weit dieß bei einem historischen Gegenstande möglich ist.


J. G. Fichte's Rede an seine Zuhörer, bei Abbrechung der Vorlesungen über die Wissenschaftslehre am 19. Februar 1813.

Meine Herren!

Ich sehe mich bestimmt, die begonnenen Vorträge über die Wissenschaftslehre zu beschließen; und bei dieser Gelegenheit Ihnen einige Worte zu sagen über meine Ansicht der Zeitumstände, die mich zu diesem Schlusse bewegen.

Denn, Vereinigung zu redlicher Forschung vereinigt die Gemüther auch sonst. Es entsteht Freundschaft. Es ist mir von vielen unter Ihnen bekannt, daß sie mit herzlicher Liebe und Vertrauen an mir hängen; und ich habe Proben davon: ich darf es auch wohl von manchen anderen voraussetzen, die zu Beweisen nicht Gelegenheit gehabt haben: und ich kann Ihnen versichern, daß diese Zuneigung von mir herzlich erwiedert wird. In schwierigen Vorfällen wünscht man dieselben mit einem Freunde, besonders mit einem solchen, der sich in ähnlicher Lage mit uns befindet, laut durchzudenken: oder sie einen solchen gemeinschaftlich vor uns laut denken zu lassen. Ich bin Ihrem Vertrauen zu mir, meiner herzlichen Liebe zu Ihnen dieses schuldig. Eher habe ich es nicht gethan: weil ich eher nicht in mir selbst gewiß war, nicht zwar über die Grundsätze der Beurtheilung, aber über den zur Beurtheilung vorliegenden Fall. Ich werde dieß mit aller der Freimüthigkeit thun, die Sie aus meinen übrigen wissenschaftlichen Vorträgen gewohnt sind, und die für ein Freundesgespräch gehört. Meine Aeußerungen sind ja keine amtmäßigen Mittheilungen, und ohnerachtet sie sich nicht gerade scheuen, weiter gesagt zu werden, so beabsichtigen sie doch dieses auch nicht, sondern sind berechnet auf den bestimmten Umkreis dieser meiner Zuhörer.

Ich kann Ihnen natürlich nur sagen wollen, wie ich aus meinem Standpuncte den gegenwärtigen Zeitmoment ansehe, und mich selbst ansehe ihm gegenüber: keinesweges aber will ich irgend einem vorschreiben, wie er sich selbst demselben Momente gegenüber ansehen solle, oder seine Ansicht auf mein Gewissen nehmen. Nämlich: obwohl die Gesetze der Sittlichkeit allgemein sind, und ohne Ausnahme gültig, so ist doch der Fall ihrer Anwendung allemal ein einzelner, und in diesem liegt allemal eines jeden persönliches Ich, nicht zwar seinen Neigungen nach, die wegfallen müssen, aber doch seinem Vermögen nach, als mögliches Werkzeug für den sittlichen Zweck. – Und darum kann in Gegenständen dieser Art keiner absolut gemeingültig urtheilen für irgend einen anderen. Ich will drum keinem unter Ihnen rathen; ich will nur, die es bedürfen, durch Darlegung der Rechnung, die ich mit mir selbst angestellt, leiten, sich selber zu rathen.

1) Ich weiß sehr gut, und bin durchdrungen von der Ueberzeugung, daß dem Reiche des alten Erbfeindes der Menschheit, dem Bösen überhaupt, welcher Feind in verschiedenen Zeitaltern in den verschiedensten Gestaltungen erscheint, durch nichts so sicherer und größerer Abbruch geschieht, als durch die Ausbildung der Wissenschaft im Menschengeschlechte. Daß ich darunter nicht verstehe ein historisches Wissen, sondern die Verwandelung des Wissens, der Vernunft, der Weisheit in das Leben selbst, und in dessen höchsten Quell und Antrieb, ist Ihnen bekannt.

Die Siege, durch diese Waffen erfochten, erstrecken sich über alle Zeit, indem sie fortdauern durch alle Zeit, und in jeder Folgezeit sich durch sich selbst vermehren. Wer einen einzigen lichten und thatbegründenden Gedanken in der Menschheit einheimisch macht, thut dem Feinde größeren Schaden, als ob er hunderttausend Feinde erschlüge; denn er verhindert Millionen, daß sie auf eine gewisse Weise gar nicht feindlich werden können. – Nur treten diese Siege, weil sie sich über alle Zeit erstrecken, und das Verkehrte vor seiner Entstehung vernichten, nicht sehr sichtbar, und merklich ein in irgend einer Zeit, und für die gewöhnlichen Augen; jedoch thut dieß in denen, die das Verdienst wahrhaft zu schätzen wissen, dem Werthe derselben keinen Abbruch.

Es könnte drum gar keine Frage seyn, worauf, in dem Falle, da alles andere gleich stände, derjenige, der beides auf die gleiche Weise könnte, eingreifen mit persönlicher Kraft in die vorliegende Zeit, oder mit der allgemeinen, rein geistigen Kraft zu gestalten alle Zeit, ein solcher seine Kräfte und seine Aufmerksamkeit richten müsse: die erste Wirksamkeit trügt den Zeitcharakter, und vergeht mit derselben; die zweite erstreckt sich über alle Zeit, und gestaltet und bildet alle die nach ihr kommenden Zeiten.

2) Aber dieser geistige Krieg gegen das Böse erfordert äußeren Frieden, Ruhe, Stille, Sicherheit der Personen, die ihn führen. Wenn diese gefährdet wäre, wenn freie Geistesausbildung in der Welt gar nicht mehr erlaubt, und geduldet werden sollte, dann müßte vor allen Dingen diese Freiheit erkämpft, und nichts geschont, und Gut und Blut dafür aufgeopfert werden. Denn wenn sie nicht erkämpft würde, und so lange bis sie erkämpft wäre, ließe irgend eine Verbesserung der menschlichen Verhältnisse sich nicht erwarten, und das Menschengeschlecht wäre so lange vergebens, ohne Zweck, und nur sich selbst zur Schmach da. Wäre das Böse jemals consequent, so müßte es freilich die Geistesbildung aus der Welt austilgen, denn diese ist sein kräftiger, und einzig beharrlicher Feind, der es in jeglicher Gestalt, die es annimmt, sicher überlebt. Aber das Böse kann niemals consequent seyn bis ans Ende, weil sein Gesichtskreis selbst nicht bis ans Ende, und bis in die Wurzel hineingeht. Uebel es meinen mit Geistesbildung und scheel zu derselben sehen, wird es immer. Aber immer ist es viel zu kurzsichtig, das wahrhaft für sich gefährliche in derselben zu entdecken; dieses gerade verachtet es, und sieht vornehm herab auf dasselbe.

So ist es immer gewesen, so muß es fast seyn, und so hat es sich meiner ehemals auch bestimmt ausgesprochenen Ansicht zu folge, auch gegenwärtig verhalten. Niemand hat uns verhindert frei zu forschen, in jeder Tiefe, und nach allen Richtungen hin, und die Resultate dieser Forschung auszusprechen; und in jeder Weise zu arbeiten, um das aufblühende Geschlecht besser zu bilden, als das gegenwärtige gebildet war.

In dem so eben gesetzten Falle befindet drum unsere Zeit sich auch nicht. Für Eroberung der Freiheit zur Geistesbildung bedarf es nicht, die Waffen zu ergreifen. Wir haben diese Freiheit; und es bedürfte bloß, daß wir uns derselben recht emsig bedienten.

3) Aber ferner, wenn nun zwar diese gewährt wird, aber die wirklichen und lebendigen Weltkräfte, welche von jener Geistesbildung nach ihren Zwecken gestaltet werden sollen, durch andere nichtswürdige Zwecke unterjocht und gefangen genommen werden; sonach der Geistesbildung ihr eigentlicher Zweck für das Leben geraubt wird, – was sollen, was können die Freunde der Geistesbildung sodann thun? Daß ich den Fall deutlicher bezeichne: Man hat selbst das Verhältniß ausgesprochen in diesen Worten: mens agitat molem, und eine Erklärung dieser Worte in der Anwendung auf unsere Zeit drückt dieselbe, meines Erachtens, treffend aus. Moles sind die unbestimmten in sich ihre feste Richtung nicht tragenden Weltkräfte, die drum wenigstens aufhorchen, und suchen, und der Bestimmung durch den höheren Geist, durch das Gesicht allerdings fähig wären. Solche Kräfte müssen dem, der gar nicht weiß und niemals davon etwas vernommen hat, daß es auch ein Gesicht gebe, erscheinen als rohe und ungebundene Massen und Kräfte. Diesen glaubt nun ein solcher durch seine mens, durch seinen verkehrten Eigendünkel, durch seine aus thörichter Ansicht der Geschichte entstandene Sucht, auch einer ihrer Heroen zu werden, durch seine aus gereizter Eitelkeit entstandene Rachsucht, und wie die verkehrten Leidenschaften noch alle heißen mögen, durch diese mens, Einheit und Richtung geben zu müssen: und entzieht dadurch diese Kraft allerdings der Bildung durch das Gesicht, welche letztere auf ihr Fortbestehen in dieser Bestimmbarkeit, und auf die ruhige Fortentwicklung der Zeit in ihrem gleichmäßigen Gange rechnet.

In einer solchen Lage nun, was können die Freunde der Geistesbildung thun? Ich habe schon früher meine Ueberzeugung ausgesprochen, daß, wenn die Gesellschaft, der Inhaber dieser materiellen Kräfte, dieses so will, und sich gefallen läßt, sie dagegen durchaus nichts thun können, oder sollen; als was sie ohne dieß thun würden, sich und andere mit allem Eifer bilden. Sie sind ein höchst unbedeutender, gegen das Ganze in nichts verschwindender Theil der vorhandenen Körperkraft; wohl aber sind sie alle bis auf ihren bildenden Punct entwickelte Geisteskraft, die vorhanden ist. In ihnen ist niedergelegt das Unterpfand eines einstigen besseren Zustandes. Zeit kann verloren gehen, aber auf diese kommt nichts an, denn wir haben eine unendliche vor uns: daß aber die in ihnen niedergelegten, und aus ihnen sich entwickelnden Principien eines besseren Zustandes nicht verloren gehen, darauf kommt alles an. Sie müssen drum sich selbst, ihre äußere Ruhe, und Sicherheit, und, was sie eigentlich schützt, ihre scheinbare Unbedeutsamkeit erhalten, so gut sie können, und durch nichts die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen.

Wir haben ein leuchtendes Bild dieses Betragens an denen, die wir als die Fortpflanzer der höchsten auf uns herabgekommenen geistigen Bildung betrachten müssen, an den ersten Christen. Daß in ihrem Zeitalter ihre Grundsätze hätten eingreifen sollen, und umbilden die der Welt gebietende Kraft, war ein durchaus unausführbarer Zweck. Sie mußten nur suchen, sich selbst zu erhalten, so lange als es gehen mochte, um im Stillen zu entwickeln die Grundsätze, welche Jahrhunderte nach ihrem Tode allerdings eine Weltgestaltende Kraft werden sollten, und wurden, und mußten drum dulden, und tragen.

Dieses gerade ist, meiner auch nicht verhehlten, sondern auch im öffentlichen Drucke ausgesprochenen Ansicht zu folge bis jetzt unsere Lage gewesen.

4) Wenn nun aber in dieser Lage die neue Veränderung einträte, daß die Gesellschaft diese Unterjochung ihrer Kräfte für fremde Zwecke nicht mehr dulden, sondern diese Kräfte frei machen wollte für selbst zu wählende Zwecke; die nun auch wohl, wenn auch nicht sogleich und auf der Stelle, die Zwecke der höheren Ansicht seyn oder werden könnten: was könnten und sollten die Freunde der Geistesbildung nun thun?

Ich glaube, folgende Betrachtungen müßten in der Fassung eines Entschlusses sie leiten.

Zuvörderst, wie aus dem schon gesagten hervorgeht, wird der Kampf begonnen im letzten Grunde für ihr Interesse; ob auch nicht jeder es so meint, und versteht; sie können es so verstehen; denn die gebundenen und gemisbrauchten Kräfte sollen befreit werden, und es kann gar nicht fehlen, daß nach dieser Befreiung auch der Geist, wenn er nur seine Zeit erwarten, und nichts ungeduldig übereilen will, auf die Bestimmung derselben einfließen werde.

Sodann soll das Ganze von der Schmach, welche die Unterdrückung auf dasselbe warf, gereinigt werden. Diese Schmach ist auch auf sie mit gefallen; freilich unverdient, ja zu ihrer Ehre, weil um höherer Zwecke willen sie dieselbe frei und entschlossen duldeten. Diese höheren Zwecke der Duldung fallen nun weg; sie sind durch die herrschende Kraft selbst aufgefordert, nicht mehr zu dulden. Jetzt möchte es scheinen, als ob der, der nicht das Seinige thut, die Schmach abzuwälzen, gern geduldet hätte, nicht um höherer Zwecke willen, sondern aus Mangel an Muth geduldet hätte.

Doch, so möchte es auch nur scheinen, und wer nur seines wahren Muthes sich bewußt wäre, könnte auch den haben, über diesen Schein sich hinwegzusetzen; Ehre, Muth, Werthachtung dessen in seiner Person, was allein zu achten ist, der sittlichen Würde, kann er fort zeigen durch rücksichtslose Bearbeitung seiner Wissenschaft, und Erfüllung seines Berufes. Um Muth zu zeigen, bedarf es nicht, daß man die Waffen ergreife; den weit höhern Muth, mit Verachtung des Urtheils der Menge treu zu bleiben seiner Ueberzeugung, muthet uns das Leben oft genug an.

Aber, wenn ihnen die Theilnahme an dem Widerstande nicht nur freigelassen wird, wenn sie sogar zu derselben aufgefordert werden; wie verhält es sich sodann? –

Der Entschluß der Befreiung ist in jedem Falle achtungswürdig, und muß Achtung, und Vertrauen einflößen zu denen, die ihn fassen, in jedem, der sich auf achtungswürdiges versteht.

Die Masse der zum Widerstande nöthigen Kräfte können nur diejenigen beurtheilen, die jenen Entschluß faßten, und die an der Spitze des Unternehmens stehen. Nehmen sie Kräfte in Anspruch, die in der Regel nicht dazu bestimmt sind, so müssen wir, nachdem wir überhaupt Vertrauen zu ihnen haben können, ihnen auch darin glauben, daß diese Kräfte nöthig sind. – Und wer möchte, in dem Falle, daß das Unternehmen scheitern sollte, oder nicht auf die gehoffte Weise gelingen sollte, den Gedanken auf sich laden, daß durch sein Sichausschließen und durch das Beispiel, das er dadurch gegeben habe, das Mislingen veranlaßt sey? Das Bewußtsein, meine Streitkraft ist nur klein, wenn es auch ganz gegründet wäre, könnte dabei nicht beruhigen: denn wie wenn nicht sowohl auf die Streitkraft, als auf den durch das Ganze zu verbreitenden Geist gerechnet wäre, der hoffentlich aus den Schulen der Wissenschaft ausgehend ein guter Geist seyn wird; wie wenn gerechnet wäre auf das große, den verbrüderten deutschen Stämmen zu gebende Beispiel eines Stamms, der einmüthig und in allen seinen Ständen ohne Ausnahme sich erhebt, um sich zu befreien?

Endlich kann ja auch dieß nicht die Meinung seyn, daß jeder ohne Ausnahme nur als Massenkraft wirke; es giebt ja da so viele andere Geschäfte; nur dieß scheint gefodert zu werden, daß jeder, mit Beiseitsetzung weit aussehender Zwecke, seine Kräfte dem dargebotenen großen Momente widme, zu jedem, wozu sie in diesem Momente am tauglichsten sind.

5) Endlich falls alles dieses noch nicht entscheiden sollte, dasjenige, was bei den weit stärkeren Aufforderungen, die ich hatte, meinen angelegten Lebensplan nicht unterbrechen zu lassen, mich bewogen hat, ihn dennoch zu unterbrechen, und die zwischen uns statt findende Vereinigung aufzuheben, ist folgendes.

Ernsthafte, und tiefe Beschäftigung mit der Wissenschaft bedarf der Ruhe, die äußere, in den Umgebungen, die innere in den Gemüthern. Bis jetzt ist es mir für meine Person gelungen, die letztere über mich zu erhalten. Sie werden es nicht als Tadel ansehen – wie unbillig wäre dieß! – sondern bloß als Geschichtserklärung, wenn ich bemerkt zu haben glaube, daß sie durch alle die Bewegungen, die in uns vorgegangen sind, in den letzten Stunden doch einige Mal ein wenig unterbrochen worden ist. In der Zukunft, nachdem so viele unserer geliebten Freunde, und Bekannten abgegangen sind, von deren Schicksalen wir Nachrichten, vielleicht falsche beunruhigende Gerüchte vernehmen werden, nachdem auf alle Fälle entscheidende Vorgänge vorfallen müssen, die aus der Fremde und getrübt uns zukommen werden, wie könnten wir die zu dieser Abstraction der Wissenschaftslehre nöthige Fassung behalten? Ich selbst wenigstens, ohnerachtet ich mich vielfältig in der Kunst der Selbstbesinnung geübt, traue es mir nicht zu. Dieß ist die entscheidende Betrachtung, die mir den schweren Entschluß abgenöthigt hat, dermalen diese Betrachtung zu unterbrechen. Schon einmal, im Jahre 1806 bin ich durch den Krieg genöthigt worden, eine sehr glückliche Bearbeitung der Wissenschaftslehre abzubrechen. – Jetzt hatte ich von neuem eine Klarheit errungen, wie noch nie, und ich hoffte diese in der Mittheilung an Sie, m. H., ein vorbereitetes, empfängliches, und tief ergriffenes Auditorium, wie ich auch noch nie gehabt habe, zur allgemeinen Mittheilbarkeit zu erheben. Es thut mir weh, diese Hoffnungen weiter hinauszuschieben.

Aber wir müssen alle der Nothwendigkeit gehorchen: und dieser muß denn auch ich mich fügen. Vielleicht geht durch Anstrengung aller diese bald vorüber. Vielleicht sehe ich Sie im künftigen Winterhalbjahre wieder zu demselben Zwecke vereint vor mir. Damit richte ich mich auf in dieser unangenehmen Stunde des Abschieds. Was Sie auch thun, lassen Sie die geistige Gemeinschaft zwischen uns, die sich erzeugt hat, fortdauern.



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