Johann Gottlieb Fichte
Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten
Johann Gottlieb Fichte

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Dritte Vorlesung.

Vom angehenden Gelehrten überhaupt; insbesondere vom Talente und Fleisse.

Die Idee selbst ist es, welche durch eigene Kraft in dem Menschen ein selbstständiges und persönliches Leben sich verschafft, in diesem selbstständigen Leben sich fortdauernd erhält, und vermittelst desselben die Welt ausser diesem persönlichen Leben nach sich gestaltet. Der natürliche Mensch vermag nicht durch eigene Kraft sich zum Uebernatürlichen zu erheben; er muss durch die Kraft des Uebernatürlichen selbst dazu erhoben werden. Dieses sich selbst gestaltende und erhaltende Leben der Idee im Menschen stellt sich dar, als Liebe: – zuvörderst, der Wahrheit nach, als Liebe der Idee zu sich selber, sodann in der Erscheinung, als Liebe des Menschen für die Idee. – Dies haben wir in unserer ersten Vorlesung aufgestellt.

So verhält es sich im Allgemeinen mit aller Liebe; nicht anders im Besonderen mit der Liebe zu der Erkenntniss der Idee, zu welcher Erkenntniss der Gelehrte sich erheben soll. Die Liebe der Idee überhaupt für sich selbst, und insbesondere für ihre eigene Klarheit bricht in dem von ihr ergriffenen und als Eigenthum besessenen Menschen hervor als Erkenntniss der Idee; in dem reifen Gelehrten, in einer bestimmten und vollendeten Klarheit; in dem angehenden, anstrebend diejenige Klarheit, welche sie in diesem Individuum unter diesen Umständen gewinnen kann. – Wir reden, dem – gleichfalls in der ersten Vorlesung vorgezeichneten Plane folgend – zuerst vom angehenden Gelehrten.

In ihm strebet zu allererst die Idee, sich selbst zu fassen in einer bestimmten Gestalt, und sich zum Stehen zu bringen unter dem unaufhörlichen Wogen der mannigfaltigen Vorstellungen, die in stetem Wechsel sich in seiner Seele durchkreuzen. Er wird durch dieses Streben ergriffen von der Ahndung eines ihm noch unbekannten und in keinem deutlichen Begriffe von ihm anzugebenden Wissens, bei jedem von ihm Erfassten fühlend, dass dieses nicht das Rechte sey – ohne deutlich aussprechen zu können, was von dem Rechten ihm eigentlich abgehe, und wie das an seine Stelle zu setzende Rechte beschaffen seyn solle. Dieses Streben der Idee in ihm wird von nun an sein eigenes Leben und der höchste und innigste Trieb desselben, und tritt an die Stelle seines bisherigen sinnlich egoistischen, bloss auf persönliche Erhaltung und thierisches Wohlseyn gerichteten Triebes; denselben sich unterordnend, und darum vernichtend, als einzigen und Grund-Trieb. – Allerdings wird ferner, so wie bisher, das gegenwärtige persönliche Bedürfniss seine Befriedigung fordern; nur wird diese Befriedigung nicht mehr also, wie bisher, auch nachdem das gegenwärtige Bedürfniss gehoben ist, weder der dauernde Gedanke, noch der nicht aus den Augen schwindende Gegenstand auch des ruhigen Nachdenkens, noch die Triebfeder alles Thuns und Lassens des denkenden Wesens bleiben. Wie die sinnliche Natur ihr Recht erhalten haben wird; so wird der befreite, und mit neuer Kraft ausgerüstete Gedanke aus der fremden Welt, in die er herabgezogen wurde, ganz von selbst, und ohne äussere Zunöthigung oder Vorsatz wieder zurückkehren in seine Heimath, und sich auf die Bahn begeben, von deren Ziele jenes geahndete Unbekannte ihm entgegenstrahlte. Nach diesem Unbekannten wird er unaufhörlich hingezogen; – in dem Dichten und Trachten darnach verlieren sich seine besten geistigen Kräfte.

Man nennt diesen soeben beschriebenen Trieb nach einem nicht deutlich gekannten Geistigen Genie: und nennt ihn also aus gutem Grunde. Er ist ein Uebernatürliches, nach einem anderen Uebernatürlichen Hinziehendes im Menschen, welches die Verwandtschaft desselben mit der geistigen Welt, und seine ursprüngliche Heimath in dieser Welt andeutet. Ob man nun annehme, dass dieser Trieb, der an sich die göttliche Idee überhaupt, in ihrer ursprünglichen Einheit und Unteilbarkeit anstreben sollte, gleich ursprünglich, und bei der ersten Erscheinung eines bestimmten Individuums in der Sinnenwelt sich also gestalte, dass dieses Individuum die Idee nur in einem gewissen Berührungspuncte zuerst erfassen, und nur von diesem Berührungspuncte aus in das Ganze allmählig eindringen könne; oder ob man lieber annehmen wolle, dass dieser eigentliche Berührungspunct für das Individuum sich nur während der ersten Entwickelung der individuellen Kraft an dem mannigfaltigen Stoffe, der ihr dargeboten wird, bilde und jedesmal in denjenigen Stoff falle, der gerade im Momente der sattsam entwickelten Kraft derselben durch das Ohngefähr dargeboten wird: – welches von beiden man annehmen wolle, sage ich; so wird doch in der Erscheinung der wirklich sich äussernde und etwas erfassende Trieb immer sich darstellen, als Trieb für eine besondere Seite der Einen an sich untheilbaren Idee, oder – wie man zufolge der Erörterung in unserer letzten Vorlesung, ohne Misverständniss zu befürchten, auch sagen kann: – als Trieb für eine besondere Idee in der Sphäre aller möglichen Ideen; oder, wenn dieser Trieb Genie genannt wird, – das Genie wird immer erscheinen als ein besonderes Genie, für Philosophie, Poesie, Naturbeobachtung, Gesetzgebung und dergleichen, keinesweges aber bloss im Allgemeinen als Genie. Dieses besondere Genie ist, nach der ersten Annahme, gleich als besonderes in dieser seiner Bestimmtheit angeboren; nach der zweiten ist es nur im Allgemeinen als Genialität überhaupt angeboren, und lediglich, durch den ohngefähren Gang der Bildung, in Genie für dieses besondere Fach verwandelt worden. Die Entscheidung dieses Streites liegt ausserhalb der Grenze unserer dermaligen Aufgabe.

Wie er entschieden werde, so leuchtet auf jeden Fall ein im Allgemeinen – die Unentbehrlichkeit der vorläufigen geistigen Bildung, und einer ersten Anweisung, mit Begriffen und Erkenntnissen umzugehen und zu schalten, damit sie entdecke, ob überhaupt Genie da sey; ferner leuchtet ein im Besonderen die Nothwendigkeit, Begriffe von mancherlei Art und Natur an den Menschen zu bringen; damit entweder das angeborene besondere Genie aus ihnen die ihm angemessene Art des Stoffes herausfinde, oder das nicht angeborene in der Mannigfaltigkeit irgend einen besonderen sich erwähle. Schon dieser allerersten geistigen Bildung entdeckt sich das künftige Genie. Jener Trieb ist ein Trieb des Wissens, der zuerst auf das Wissen, nur als Wissen, und lediglich um zu wissen, geht, und als Wissbegierde erscheinet.

Aber selbst nachdem dieser Trieb sichtbar, entweder in der regen Verfolgung des uns reizenden Räthsels, oder auch in glücklichen Ahndungen zur Lösung desselben, herausgetreten, bedarf es noch immer des fortgesetzten Fleisses und der ununterbrochenen Forschung. – Man hat oft die Frage aufgeworfen, ob es das natürliche Talent, oder der Fleiss sey, was in den Wissenschaften am meisten fördere. Ich antworte: beides muss sich vereinigen-, für sich allein und ohne das andere taugt keines von beiden. Das natürliche Talent, oder das Genie ist ja nichts weiter, als der Trieb der Idee, sich zu gestalten; die Idee aber hat an sich gar keinen Inhalt oder Körper, sondern sie erbauet sich denselben erst aus den wissenschaftlichen Umgebungen der Zeit, welche lediglich der Fleiss herbeiliefert. Wiederum vermag auch der Fleiss nichts weiter, als diese Umgebungen und Elemente der zu erbauenden Gestalt herbeizuschaffen; – dieselbe organisch zu verbinden und ihr eine lebendige Seele einzuhauchen, vermag er nicht, sondern dies bleibt lediglich der Idee, die als natürliches Talent sich offenbaret, überlassen. Dass die in dem wahren Gelehrten zum Leben gekommene Idee in die umgebende Welt eingreife, ist ja der Zweck ihrer Gestaltung. Sie soll das höhere Lebensprincip werden, und die innigste Seele der umgebenden Welt: sie muss darum gerade denselben Körper angenommen haben, den diese umgebende Welt tragt, in demselben, wie in ihrer Behausung wohnen, und jedes Gliedmaass davon mit freier Willkür nach ihrem jedesmaligen Zwecke bewegen, so wie jeder Gesunde seine eigenen Hände oder Füsse in Bewegung zu setzen vermag. Bei wem das inwohnende Genie, entweder, weil ihm die. Wege zur gelehrten Bildung nicht zugänglich sind, oder weil er aus Trägheit und hochmüthigem Eigendünkel sie verschmäht, mit seiner Gestaltung auf halbem Wege stehen bleibt, – zwischen dem und seinem Zeitalter, und – was aus dem letzteren folgt – zwischen ihm und jedem möglichen Zeitalter, und dem ganzen Menschengeschlechte in jedem Puncte seiner Bildung – ist eine unausfüllbare Kluft befestiget, und die Mittel des wechselseitigen Einflusses sind abgeschnitten. Was auch in ihm wohnen möge, oder strenger ausgedrückt, was auch bei fortgesetzter Bildung in ihn eingekehrt seyn möchte: er kann es weder sich selber, noch anderen klar deuten, noch es zur bedachten Regel seines Handelns machen, und so es in der Welt realisiren. Es gebrechen ihm die zwei nothwendigen Bestandtheile des wahrhaftigen Lebens der Idee: die Klarheit und die Freiheit. Die Klarheit: sein Grundbegriff ist ihm nicht durchsichtig, und in allen seinen Puncten nach allen Richtungen hin zu erneuern, von der innersten Wurzel an, wo er aus der Gottheit unmittelbar übergeht in seine Seele, bis zu allen Puncten, in denen er eingreifen und sich gestalten muss in der wirklichen Welt, und nach allen besonderen Gestalten, die er unter jeder Bedingung annehmen muss. Die Freiheit, welche aus der Klarheit entspringt, und nie ist ohne sie: er erkennt nicht an jeder Erscheinung, die ihm vorkommt, auf den ersten Blick die Gestalt, welche in ihr der Begriff nehmen müsste, und das Mittel, dessen man sich dazu bedienen müsste, noch hat er dieses Mittel in seiner freien Gewalt. Man nennt ihn Schwärmer, und dies ist sein rechter Name. – In welchem dagegen die Idee sich vollkommen ausgestaltet, der erblickt aus ihr, als seinem einigen Lichtpuncte, die ganze Wirklichkeit, und durchblickt sie in demselben Lichte innerlich; was auf seine Idee irgend sich bezieht, versteht er aus ihr, wie es so geworden, was an ihm recht sey, was ihm zum rechten noch fehle, auf welche Weise es recht gemacht werden müsste; und er hat überdies das Mittel dieses Rechtmachens in seiner freien Gewalt. Erst sodann ist in ihm die Gestaltung der Idee vollendet, und er ein reifer Gelehrter: – derjenige Punct, wo der Gelehrte übergeht in den freien Künstler, ist der Punct der Vollendung des Gelehrten. Daher bedarf es, selbst nachdem Genie sich gezeigt; und ein sich gestaltendes Leben der Idee sichtbar geworden, bis zur Vollendung dieser Gestaltung, des fortgesetzten Fleisses. Dass nach der Vollendung des Gelehrten die Bildungs-Epoche des Künstlers anhebe, dass auch diese des Fleisses bedürfe, dass sie unendlich sey: liegt nicht im Gebiete unserer gegenwärtigen Aufgabe, und wir erinnern es nur im Vorbeigehen.

Doch, was sage ich, dass es auch nach der Erscheinung des Genies des Fleisses bedürfe: – gleich als ob ich diesen Fleiss von meiner Verordnung, von meinem Gutachten und von meinem Erweise seiner Nothwendigkeit abhängig zu machen, und den fehlenden dadurch hervorzubringen gedächte ? Vielmehr, wo das Genie nur wirklich eingetreten, da findet sich der Fleiss von selber, und vermehrt sich in steter Steigerung, und treibt den angehenden Gelehrten unaufhaltsam fort zu seiner Vollendung; wo hingegen der Fleiss sich nicht findet, da war es nicht das Genie, und der Antrieb der Idee, welche zum Vorschein kamen, sondern etwas höchst Gemeines und Unwürdiges an seiner Stelle.

Die Idee ist nicht ein individueller Zierrath, da das Individuum als solches überhaupt nicht in der Idee liegt, sondern sie strebt auszuströmen in das ganze Menschengeschlecht, dieses neu zu beleben, und nach sich umzubilden. Dies ist der beständige Charakter der Idee; und was ohne diesen Charakter ist, ist nicht die Idee. Wo sie daher ein Leben gewinnt, strebt sie, durch ihr eigenes inneres, keinesweges durch das individuelle Leben, unwiderstehlich nach dieser allgemeinen Wirksamkeit. Sie treibt sonach jeden, den sie nur wirklich ergriffen, wider den Willen und den Dank der persönlich sinnlichen Natur in ihm, und eben als leidendes Werkzeug fort zu dieser allgemeinen Wirksamkeit, zu der Geschicklichkeit dazu, und zu dem Fleisse, den ihre Erwerbung erfordert. Ganz von selber, und ohne dass es dazu des Vorsatzes der Person bedürfe, hört sie nicht auf zu wirken und sich zu entwickeln, bis sie die lebendige und in die Umgebung eingreifende Gestalt gewonnen, die sie unter diesen Bedingungen gewinnen kann. Wo bei vorhandenen und zugänglichen Mitteln zur Fortsetzung der gelehrten Bildung – denn der zweite Fall, dass diese Mittel nicht vorhanden, oder der Person nicht zugänglich seyen, kommt hier nicht in Betrachtung, – wo, sage ich, im ersten Falle die Person bei dem Selbstbewusstseyn, dass sie etwas der Idee, oder dem Genie Aehnliches habe, stehen bleibt, da ist weder Idee, noch Genie, sondern es ist lediglich eine hochmüthige Natur vorhanden, welche vor anderen ihres Gleichen mit etwas Ungemeinem sich herausputzen wollte. Eine solche Natur äussert sich zunächst in der Selbstbeschauung ihrer Eigenschaften und Vorzüge, und in dem wollüstigen Beruhen darauf, womit verächtliche Seitenblicke auf die persönlichen Eigenschaften und Gaben anderer meistens vereinigt sind; dagegen derjenige, der von der Idee rastlos fortgetrieben wird, keine Zeit übrig behält, an sich selbst zu denken, noch, verloren mit allem seinen Sinnen in die Sache, sein oder anderer Talent für diese Sache abzuwägen. Das Talent, wo welches vorhanden ist, sieht, – die Sache nemlich, keinesweges aber sieht es sich; so wie ein gesundes Auge auf das Object sich heftet, keinesweges aber nach sich selber hinschielet. In solchen daher lebt sicher nicht die Idee. – Was ist es denn also, das sie belebt, und zu der vielleicht emsigen und schnellen Agilität forttreibt, die wir an ihnen bemerken? Eben ihr kräftiger Hochmuth und Eigendünkel, und der verzweifelte Vorsatz, der Natur zum Trotz für eine ungemeine Natur zu gelten, ist es, was sie begeistert, was sie forttreibt und fortspornt, und was ihnen statt des Genie dient. Und was ist denn dasjenige, das sie hervorbringen, und was dem gemeinen Blicke, der selbst nicht im Beinen und Klaren ist, und der besonders auf das ausschliessende Kriterium alles wahrhaft Idealen, auf Klarheit, Freiheit, Besonnenheit, als Künstlergepräge nicht achtet, so aussieht, als wäre es Idee; was ist es? Entweder etwas, das sie selbst auf eigene Hand sich ausgedacht, oder sich einfallen gelassen haben, das sie zwar selbst nicht verstehen, wovon sie jedoch hoffen, dass es neu, frappant, paradox erscheinen, und darum weit glänzen werde, und womit sie sich nun auf gutes Glück auf Abenteuer begeben, in der Hoffnung, dass im Verfolge sie selbst, oder andere einen Sinn darin entdecken werden. Oder auch, sie entlehnen es von anderen, sehr künstlich es verdrehend, verschiebend und verschraubend, dass man die erste Gestalt daran nicht so leicht wiedererkennt; schmähen auch wohl aus Vorsicht auf die erste und wahre Heimath des Entlehnten, dass daselbst nichts zu holen sey, auf dass Unbefangene ja nicht auf den Gedanken kommen, dort nachzusuchen, ob sie nicht etwa selber das Ihrige da geholt.

Mit einem Worte: Selbstbeschauung, Selbstbewunderung und Selbstlobpreisung – bleibe die letztere auch innerlich, und werde vor dem Auge des Beobachters sorgfältig verborgen, – und der aus ihnen entspringende Unfleiss und die Verschmähung des in der Niederlage der gelehrten Bildung schon Vorhandenen, zeugen sicher von Mangel an wahrem Talent: sich selbst vergessen und verlieren in der Sache, und vor ihrem Gedanken zu keinem Gedanken an sich selber kommen können, ist die unabtrennliche Begleitung jedes wahren Talentes. Es folgt daraus, dass jedes wahre Talent, besonders auf dem Wege seiner ersten Entwickelung, wiewohl auch nachher, und nachdem es zur Reife gekommen, von zarter Bescheidenheit und schamhafter Jungfräulichkeit umgeben wird. Das Talent selbst weiss am allerwenigsten von sich selber; es ist schon und wirkt und waltet mit stiller Macht fort, ehe es zum Bewusstseyn seiner selbst kommt. Wer stets nach sich selber hinsieht, wie es ihm anstehe, und was an ihm sey, und zu allererst es entdeckt, an dem ist sicher nicht viel.

Fern sey es daher von mir, falls etwa hier unter uns ein aufblühendes Talent sich finden sollte, die zarte Scham und Bescheidenheit desselben zu trüben, durch die allgemeine Aufforderung an Sie, sich selber zu prüfen, ob Sie wohl von der Idee ergriffen seyn möchten. Vielmehr widerrathe ich Ihnen dringend diese auf die angegebene Frage gestellte Selbstprüfung. Und damit dieses nicht als eine Folge blosser Lehrerklugheit und vielleicht zu weit getriebener Vorsichtigkeit erscheine, sondern als Resultat der absoluten Notwendigkeit einleuchte, setze ich noch hinzu, dass diese also aufgestellte Frage keiner weder sich selber beantworten, noch von einem anderen die sichere Antwort darauf erhalten kann; dass daher bei einer angestellten Selbstprüfung die Wahrheit nicht zum Vorschein kommen, dagegen aber der Jüngling zu jener Selbstbeschauung und jenem eigenliebigen Brüten auf sich selber angeführt werde, durch welches auf die Länge jedermann sowohl intellectuell, als moralisch, bis auf den Grund verdirbt. Es giebt Zeichen in Menge, an denen man erkennen kann, dass das etwa im Verborgenen vorhandene Talent bei einem Studirenden noch nicht zum Vorschein gekommen, und wir werden in der Zukunft vermittelst des Gegensalzes mit dem heute Gesagten Veranlassung finden, die merkwürdigsten anzugeben; aber es giebt nur Ein entscheidendes Kriterium, dass Talent vorhanden gewesen sey, oder dass keines vorhanden gewesen sey; und dieses Eine entscheidende Kriterium ist erst nach dem vollendeten Erfolge anwendbar. Wer da wirklich zu einem vollendeten Gelehrten und Künstler, in dem angegebenen Sinne des Wortes, geworden ist, seine Welt umfassend aus einer klar durchschaueten Idee, und von dieser Idee aus in jeden Punct dieser seiner Welt frei einzugreifen vermögend, der hat Talent gehabt, und ist von der Idee ergriffen gewesen, und diesem lässt es sich nun auch sagen, dass er davon ergriffen gewesen; wer ohnerachtet des fleissigsten Studiums, dennoch in das reife Alter tritt, ohne sich zur Idee erhoben zu haben, der ist ohne Talent gewesen, und ohne Berührung mit der Idee, und es lässt sich ihm dieses nunmehro auch sagen: dem aber, der noch auf dem Wege sich befindet, lässt sich keines von beiden sagen.

Es bleibt bei dieser ebenso weisen, als nothwendigen Einrichtung der Dinge für den studirenden Jüngling, der durchaus nicht wissen kann, ob Talent in ihm vorhanden sey, oder nicht, nichts anderes übrig, als dass er immer fort handele, als ob welches in ihm vorhanden sey, das doch endlich zum Vorschein kommen müsse, und dass er sich unter alle die Bedingungen, und in alle die Lagen versetze, in denen es zum Vorschein kommen muss, falls es vorhanden ist; dass er mit unermüdetem Fleisse, in treuer Hingebung des ganzen Gemüthes, alle die Mittel der gelehrten Bildung ergreife, die sich ihm darbieten. Den schlimmsten Fall gesetzt, dass am Ende seines Studiums sich finde, es habe aus der ganzen in ihm aufgehäuften Masse der Gelahrtheit nirgends ein Funke von Idee ihm entgegengestrahlt, so bleibt ihm doch wenigstens Ein Bewusstseyn, welches unentbehrlicher ist, als das Genie und bei dessen Abwesenheit der Besitzer des grössten Genie weit weniger werth ist, denn Er: – das Bewusstseyn, dass es nicht an ihm liege, wenn er nicht mehr geworden, und dass der Platz, auf dem er stehengeblieben, der Wille Gottes sey, dem er mit Freuden sich füge. Talent lässt sich keinem anmuthen; denn es ist eine freie Gabe der Gottheit; redlicher Fleiss aber und Ergebung in seine Natur lässt sich jedem anmuthen: auch ist diese gründliche Rechtschaffenheit selbst die göttliche Idee in ihrer allgemeinsten Gestalt, und kein nur redliches Gemüth ist ohne Gemeinschaft mit der Gottheit.

Die mittelst jenes aufrichtigen Strebens nach etwas Höherem erworbenen gelehrten Kenntnisse werden ihn immer zu einem tauglichen Werkzeuge machen für höher Gebildete, welche in den Besitz der Idee gekommen. Gern und ohne Neid und Eifersucht, und ohne ein nagendes Ringen nach Höhen, für die er nicht gemacht ist, wird er diesen sich unterwerfen, und mit der ihm schon zur anderen Natur gewordenen Treue ihrer Leitung sich hingeben; also sich erwerbend die Gewissheit, seine Bestimmung erfüllt zu haben, als das Letzte und Höchste, was in irgend einer Lage der Mensch sich erwerben kann.


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