Johann Gottlieb Fichte
Reden an die deutsche Nation
Johann Gottlieb Fichte

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Dreizehnte Rede.

Fortsetzung der angefangenen Betrachtung.

Es sei noch ein Mehreres von nichtigen Gedanken und täuschenden Lehrgebäuden über die Angelegenheiten der Völker unter uns im Umlaufe, welches die Deutschen verhindere, eine ihrer Eigentümlichkeit gemäße feste Ansicht über ihre gegenwärtige Lage zu fassen, äußerten wir am Ende unserer vorigen Rede. Da diese Traumbilder gerade jetzt mit größerem Eifer zur öffentlichen Verehrung herumgeboten werden, und, nachdem so vieles andere wankend geworden, von manchem lediglich zur Ausfüllung der entstandenen leeren Stellen aufgefaßt werden könnten, so scheint es zur Sache zu gehören, dieselben mit größerem Ernste, als außerdem ihre Wichtigkeit verdienen dürfte, einer Prüfung zu unterwerfen.

Zuvörderst und vor allen Dingen: Die ersten, ursprünglichen und wahrhaft natürlichen Grenzen der Staaten sind ohne Zweifel ihre innern Grenzen. Was dieselbe Sprache redet, das ist schon vor aller menschlichen Kunst vorher durch die blose Natur mit einer Menge von unsichtbaren Banden an einandergeknüpft; es versteht sich unter einander und ist fähig, sich immerfort klarer zu verständigen, es gehört zusammen und ist natürlich eins und ein unzertrennliches Ganzes. Ein solches kann kein Volk anderer Abkunft und Sprache in sich aufnehmen und mit sich vermischen wollen, ohne wenigstens fürs erste sich zu verwirren und den gleichmäßigen Fortgang seiner Bildung mächtig zu stören. Aus dieser innern, durch die geistige Natur des Menschen selbst gezogenen Grenze ergibt sich erst die äußere Begrenzung der Wohnsitze, als die Folge von jener, und in der natürlichen Ansicht der Dinge sind keineswegs die Menschen, welche innerhalb gewisser Berge und Flüsse wohnen, um deswillen Ein Volk, sondern umgekehrt wohnen die Menschen beisammen und, wenn ihr Glück es so gefügt hat, durch Flüsse und Berge gedeckt, weil sie schon früher durch ein weit höheres Naturgesetz Ein Volk waren.

So saß die deutsche Nation, durch gemeinschaftliche Sprache und Denkart sattsam unter sich vereinigt und scharf genug abgeschnitten von den andern Völkern, in der Mitte von Europa da, als scheidender Wall nicht verwandter Stämme, zahlreich und tapfer genug, um ihre Grenzen gegen jeden fremden Anfall zu schützen, sich selbst überlassen durch ihre ganze Denkart wenig geneigt, Kunde von den benachbarten Völkerschaften zu nehmen, in derselben Angelegenheiten sich zu mischen und durch Beunruhigungen sie zur Feindseligkeit aufzureizen. Im Verlaufe der Zeiten bewahrte sie ihr günstiges Geschick vor dem unmittelbaren Antheile am Raube der andern Welten; dieser Gegebenheit, durch welche vor allen andern die Weise der Fortentwicklung der neuern Weltgeschichte, die Schicksale der Völker und der größte Theil ihrer Begriffe und Meinungen begründet worden sind. Seit dieser Gegebenheit erst zertheilte sich das christliche Europa, das vorher, auch ohne sein eignes deutliches Bewußtsein, Eins gewesen war, und als solches in gemeinschaftlichen Unternehmungen sich gezeigt hatte, in mehrere abgesondert Theile; seit jener Gegebenheit erst war eine gemeinschaftliche Beute aufgestellt, nach der jeder auf die gleiche Weise begehrte, weil alle sie auf die gleiche Weise brauchen konnten, und die jeder mit Eifersucht in den Händen des Andern erblickte; erst nun war ein Grund vorhanden zu geheimer Feindschaft und Kriegslust aller gegen alle. Auch wurde es nun erst zum Gewinne für Völker, Völker auch anderer Abkunft und Sprachen durch Eroberung, oder, wenn dies nicht möglich wäre, durch Bündnisse sich einzuverleiben und ihre Kräfte sich zuzueignen. Ein der Natur treu gebliebnes Volk kann, wenn seine Wohnsitze ihm zu enge werden, dieselben durch Eroberung des benachbarten Bodens erweitern wollen, um mehr Raum zu gewinnen, und es wird sodann die frühern Bewohner vertreiben; es kann einen rauhen und unfruchtbaren Himmelsstrich gegen einen mildern und gesegnetern vertauschen wollen, und es wird in diesem Falle abermals die frühern Besitzer austreiben; es kann, wenn es auch ausartet, blose Raubzüge unternehmen, auf denen es, ohne des Bodens oder der Bewohner zu begehren, blos alles Brauchbaren sich bemächtigt und die ausgeleerten Länder wieder verläßt; es kann endlich die frühern Bewohner des eroberten Bodens als eine gleichfalls brauchbare Sache, wie Sklaven der einzelnen unter sich vertheilen; aber daß es die fremde Völkerschaft, so wie dieselbe besteht, als Bestandteile des Staats sich anfüge, dabei hat es nicht den geringsten Gewinn, und es wird niemals in Versuchung kommen dies zu thun. Ist aber der Fall der, daß einem gleich starken, oder wol noch stärkern Nebenbuhler eine reizende gemeinschaftliche Beute abgekämpft werden soll, so steht die Rechnung anders. Wie auch übrigens sonst das überwundene Volk zu uns passen möge, so sind wenigstens seine Fäuste zur Bekämpfung des von uns zu beraubenden Gegners brauchbar und Jedermann ist uns, als eine Vermehrung der öffentlichen Streitkraft, willkommen. So nun irgend einem Weisen, der Friede und Ruhe gewünscht hätte, über diese Lage der Dinge die Augen klar aufgegangen wären, wovon hätte derselbe Ruhe erwarten können? Offenbar nicht von der natürlichen Beschränkung der menschlichen Habsucht dadurch, daß das Ueberflüssige keinem nütze; denn eine Beute, wodurch alle versucht werden, war vorhanden, und eben so wenig hätte er sie erwarten können von dem sich selbst eine Grenze setzenden Willen; denn unter solchen, von denen jedweder alles an sich reißt, was er vermag, muß der sich selbst Beschränkende nothwendig zu Grunde gehen. Keiner will mit dem andern theilen, was er dermalen zu eigen besitzt; jeder will dem andern das Seinige rauben, wenn er irgend kann. Ruht einer, so geschieht dies nur darum, weil er sich nicht für stark genug hält, Streit anzufangen; er wird ihn sicher anfangen, sobald er die erforderliche Stärke in sich verspürt. Somit ist das einzige Mittel die Ruhe zu erhalten dieses, daß niemals einer zu der Macht gelange, dieselbe stören zu können, und daß jedweder wisse, es sei auf der andern Seite gerade so viel Kraft zum Widerstande, als auf seiner Seite sei zum Angriffe; daß also ein Gleichgewicht und Gegengewicht der gesammten Macht entstehe, wodurch allein, nachdem alle andere Mittel verschwunden sind, jeder in seinem gegenwärtigen Besitzstande und alle in Ruhe erhalten werden. Diese beiden Stücke demnach: einen Raub, auf den kein einziger einiges Recht habe, alle aber nach ihm die gleiche Begierde, sodann die allgemeine, immerfort thätig sich regende wirkliche Raubsucht, setzt jenes bekannte System eines Gleichgewichts der Macht in Europa voraus; und unter diesen Voraussetzungen würde dieses Gleichgewicht freilich das einzige Mittel sein die Ruhe zu erhalten, wenn nur erst das zweite Mittel gefunden wäre, jenes Gleichgewicht hervorzubringen und es aus einem leeren Gedanken in ein wirkliches Ding zu verwandeln.

Aber waren denn auch jene Voraussetzungen allgemein und ohne alle Ausnahme zu machen? War nicht im Mittelpunkte von Europa die übermächtige deutsche Nation rein geblieben von dieser Beute und von der Ansteckung mit der Lust darnach, und fast ohne Vermögen, Anspruch auf dieselbe zu machen? Wäre nur diese zu Einem gemeinschaftlichen Willen und Einer gemeinschaftlichen Kraft vereinigt geblieben, hätten doch dann die übrigen Europäer sich morden mögen in allen Meeren und auf allen Inseln und Küsten: in der Mitte von Europa hätte der feste Wall der Deutschen sie verhindert an einander zu kommen, – hier wäre Friede geblieben; und die Deutschen hätten sich, und mit sich zugleich einen Theil der übrigen europäischen Völker, in Ruhe und Wohlstand erhalten.

Es war dem nur den nächsten Augenblick berechnenden Eigennutze des Auslandes nicht gemäß, daß es also bliebe. Sie fanden die deutsche Tapferkeit brauchbar, um durch sie ihre Kriege zu führen, und die Hände derselben, um mit ihnen ihren Nebenbuhlern die Beute zu entreißen; es mußte ein Mittel gefunden werden, um diesen Zweck zu erreichen, und die ausländische Schlauheit siegte leicht über die deutsche Unbefangenheit und Verdachtlosigkeit. Das Ausland war es, welches zuerst der über Religionsstreitigkeiten entstandenen Entzweiung der Gemüther in Deutschland sich bediente, um diesen Inbegriff des gesammten christlichen Europa im Kleinen auf der innig verwachsenen Einheit eben so in abgesonderte und für sich bestehende Theile künstlich zu zertrennen, wie erst jenes, über einen gemeinsamen Raub, sich natürlich zertrennt hatte; das Ausland wußte diese also entstandenen besondern Staaten im Schooße der Einen Nation, die keinen Feind hatte, denn das Ausland selbst, und keine Angelegenheit, denn die gemeinsame, gegen die Verführungen und die Hinterlist dieses mit vereinigter Kraft sich zu setzen, – es wußte diese einander gegenseitig vorzustellen, als natürliche Feinde, gegen die jeder immerfort auf der Hut sein müsse, sich selbst dagegen darzustellen als die natürlichen Verbündeten gegen diese von den eignen Landsleuten drohende Gefahr; als die Verbündeten, mit denen allein sie selbst ständen oder fielen, und die sie daher gleichfalls in ihren Unternehmungen mit aller ihrer Macht unterstützen müßten. Nur durch dieses künstliche Bildungsmittel wurden alle Zwiste, die über irgend einen Gegenstand in der alten oder neuen Welt sich entspinnen mochten, zu eignen Zwisten der deutschen Stämme unter einander; jeder aus irgend einem Grunde entstandene Krieg mußte auf deutschem Boden und mit deutschem Blute ausgefochten werden, jede Verrückung des Gleichgewichts in derjenigen Nation, der der ganze Urquell dieser Verhältnisse fremd war, ausgeglichen werden, und die deutschen Staaten, deren abgesondertes Dasein schon gegen alle Natur und Vernunft stritt, mußten, damit sie doch etwas wären, zu Zulagen gemacht werden zu den Hauptgewichten in der Wage des europäischen Gleichgewichts, deren Zuge sie blind und willenlos folgten. So wie man in manchem ausländischen Staate die Bürger bezeichnet dadurch, daß sie von dieser oder einer andern fremden Partei seien und für dieses oder jenes auswärtige Bündniß stimmten, solche aber, die von der vaterländischen Partei seien, nicht namhaft zu machen weiß: so waren die Deutschen schon längst nur für irgend eine fremde Partei, und man traf selten auf einen, der die Partei der Deutschen gehalten und gemeint hätte, daß dieses Land sich mit sich selbst verbünden sollte.

Dies also ist der wahre Ursprung und die Bedeutung, dies der Erfolg für Deutschland und für die Welt von dem berüchtigten Lehrgebäude eines künstlich zu erhaltenden Gleichgewichts der Macht unter den europäischen Staaten. Wäre das christliche Europa Eins geblieben, wie es sollte und wie es ursprünglich war, so hätte man nie Veranlassung gehabt, einen solchen Gedanken zu erzeugen; das Eine ruht auf sich selbst und trägt sich selbst, und zertheilt sich nicht in streitende Kräfte, die mit einander in ein Gleichgewicht gebracht werden müßten; nur für das unrechtlich gewordene und zertheilte Europa erhielt jener Gedanke eine nothdürftige Bedeutung. Zu diesem unrechtlich gewordenen und zertheilten Europa gehörte Deutschland nicht. Wäre nur wenigstens dieses Eins geblieben, so hätte es auf sich selbst geruht im Mittelpunkte der gebildeten Erde, so wie die Sonne im Mittelpunkte der Welt; es hätte sich in Ruhe erhalten und durch sich seine nächste Umgebung, und hätte, ohne alle künstliche Vorkehrung, durch sein bloses natürliches Dasein, allem das Gleichgewicht gegeben. Nur der Trug des Auslandes mischte dasselbe in seine Unredlichkeit und seine Zwiste und brachte ihm jenen hinterlistigen Begriff bei, als eins der wirksamsten Mittel, dasselbe über seinen wahren Vortheil zu täuschen und in der Täuschung zu erhalten. Dieser Zweck ist nun hinlänglich erreicht und der beabsichtigte Erfolg liegt vollendet da vor unsern Augen. Können wir nun auch diesen nicht aufheben; warum sollen wir nicht wenigstens die Quelle desselben in unserm eignen Verstande, der fast noch das Einzige ist, das unsrer Botmäßigkeit überlassen geblieben, austilgen? Warum soll das alte Traumbild noch immer uns vor die Augen gestellt werden, nachdem das Uebel uns aus dem Schlafe geweckt hat? Warum sollen wir nicht wenigstens jetzt die Wahrheit sehen und das einzige Mittel, das uns hätte erretten können, erblicken – ob vielleicht unsre Nachkommen thun möchten, was wir einsehen; so wie wir jetzt leiden, weil unsre Väter träumten. Lasset uns begreifen, daß der Gedanke eines künstlich zu erhaltenden Gleichgewichts zwar für das Ausland ein tröstender Traum sein konnte bei der Schuld und dem Uebel, welche dasselbe drückten; daß er aber, als ein durchaus ausländisches Erzeugniß, niemals in dem Gemüthe eines Deutschen hätte Wurzel fassen und die Deutschen niemals in die Lage hätten kommen sollen, daß er bei ihnen Wurzel fassen gekonnt hätte; daß wir wenigstens jetzt in seiner Nichtigkeit ihn durchdringen, und daß wir einsehen müssen, daß nicht bei ihm, sondern allein bei der Einigkeit der Deutschen unter sich selber, das allgemeine Heil zu finden sei.

Eben so fremd ist dem Deutschen die in unsern Tagen so häufig gepredigte Freiheit der Meere; ob nun wirklich diese Freiheit oder blos das Vermögen, daß man selbst alle anderen von derselben ausschließen könne, beabsichtigt werde. Jahrhunderte hindurch, während des Wetteifers aller andern Nationen, hat der Deutsche wenig Begierde gezeigt, an derselben in einem ausgedehnten Maße Theil zu nehmen, und er wird es nie. Auch bedarf er derselben nicht. Sein reichlich ausgestattetes Land und sein Fleiß gewährt ihm alles, dessen der gebildete Mensch zum Leben bedarf; an Kunstfertigkeit, dasselbe für den Zweck zu verarbeiten, gebricht es ihm auch nicht; und um den einigen wahrhaften Gewinn, den der Welthandel mit sich führt, die Erweiterung der wissenschaftlichen Kenntniß der Erde und ihrer Bewohner an sich zu bringen, wird es sein eigner wissenschaftlicher Geist ihm nicht an einem Tauschmittel fehlen lassen. – O möchte doch nur den Deutschen sein günstiges Geschick eben so vor dem mittelbaren Antheile an der Beute der andern Welt bewahrt haben, wie es ihn vor dem unmittelbaren bewahrte! Möchte Leichtgläubigkeit und die Sucht, auch fein und vornehm zu leben, wie die andern Völker, uns nicht die entbehrlichen Waaren, die in fremden Welten erzeugt werden, zum Bedürfnisse gemacht haben; möchten wir in Absicht der weniger entbehrlichen lieber unserm freien Mitbürger erträgliche Bedingungen haben machen, als von dem Schweiße und Blute eines armen Sklaven jenseit der Meere Gewinn ziehen wollen: so hätten wir wenigstens nicht selbst den Vorwand geliefert zu unserm dermaligen Schicksale und würden nicht bekriegt, als Abkäufer und zu Grunde gerichtet, als ein Marktplatz. Fast vor einem Jahrzehnt, ehe irgend Jemand voraussehen konnte, was seitdem sich ereignet, ist den Deutschen gerathen worden, vom Welthandel sich unabhängig zu machen und als Handelsstaat sich zu schließen. Dieser Vorschlag verstieß gegen unsere Gewöhnungen, besonders aber gegen unsre abgöttische Verehrung der ausgeprägten Metalle und wurde leidenschaftlich angefeindet und bei Seite geschoben. Seitdem lernen wir, durch fremde Gewalt genöthigt, und mit Unehre, das, und noch weit mehr, entbehren, was wir damals mit Freiheit und zu unserer höchsten Ehre nicht entbehren zu können versicherten. Möchten wir diese Gelegenheit, da der Genuß wenigstens uns nicht besticht, ergreifen, um auf immer unsre Begriffe zu berichtigen! Möchten wir endlich einsehen, daß alle jene schwindelnden Lehrgebäude über Welthandel und Fabrikation für die Welt zwar für den Ausländer passen und gerade unter die Waffen desselben gehören, womit er von jeher uns bekriegt hat, daß sie aber bei den Deutschen keine Anwendung haben, und daß, nächst der Einigkeit dieser unter sich selber, ihre innere Selbstständigkeit und Handelsunabhängigkeit das zweite Mittel ist ihres Heils und durch sie des Heils von Europa.

Wage man es endlich auch noch das Traumbild einer Universalmonarchie, das, an die Stelle des seit einiger Zeit immer unglaublicher werdenden Gleichgewichts, der öffentlichen Verehrung dargeboten zu werden anfängt, in seiner Hassenswürdigkeit und Vernunftlosigkeit zu erblicken! Die geistige Natur vermochte das Wesen der Menschheit nur in höchst mannichfaltigen Abstufungen an Einzelnen, und an der Einzelheit im Großen und Ganzen, an Völkern darzustellen. Nur wie jedes dieser letzten, sich selbst überlassen, seiner Eigenheit gemäß, und in jedem derselben, jeder Einzelne jener Gemeinsamen, so wie seiner besondern Eigenheit gemäß, sich entwickelt und gestaltet, tritt die Erscheinung der Gottheit in ihrem eigentlichen Spiegel heraus, so wie sie soll; und nur der, der entweder ohne alle Ahnung für Gesetzmäßigkeit und göttliche Ordnung oder ein verstockter Feind derselben wäre, könnte einen Eingriff in jenes höchste Gesetz der Geisterwelt wagen wollen. Nur in den unsichtbaren und den eignen Augen verborgenen Eigentümlichkeiten der Nation, als demjenigen, wodurch sie mit der Quelle ursprünglichen Lebens zusammenhängen, liegt die Bürgschaft ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Würde, Tugend, Verdienstes; werden diese durch Vermischung und Verreibung abgestumpft, so entsteht Abtrennung von der geistigen Natur, aus dieser Flachheit, aus dieser die Verschmelzung aller zu dem gleichmäßigen und an einander hangenden Verderben. Sollen wir es den Schriftstellern, die über alle unsre Uebel uns mit der Aussicht trösten, daß wir dafür auch Unterthanen der beginnenden neuen Universalmonarchie sein werden, glauben, daß irgend jemand eine solche Zerreibung aller Keime des Menschlichen in der Menschheit beschlossen habe, um den zerfließenden Teig in irgend eine Form zu drücken; und daß eine so ungeheure Roheit oder Feindseligkeit gegen das menschliche Geschlecht zu unserm Zeitalter möglich sei? Oder wenn wir uns auch entschließen wollten, dieses durchaus Unglaubliche fürs erste zu glauben: durch welches Werkzeug soll denn ferner ein solcher Plan ausgeführt werden; welche Art von Volk soll denn sein, die bei dem gegenwärtigen Bildungszustande von Europa für irgend einen neuen Universalmonarchen die Welt erobere? Schon seit einer Reihe von Jahrhunderten haben die Völker Europas aufgehört, Wilde zu sein und einer zerstörenden Tätigkeit um ihrer selbst willen sich zu freuen. Alle suchen hinter dem Kriege einen endlichen Frieden; hinter der Anstrengung die Ruhe, hinter der Verwirrung die Ordnung; und alle wollen ihre Laufbahn mit dem Frieden eines häuslichen und stillen Lebens gekrönt sehen. Auf eine Zeit lang mag selbst ein nur vorgebildeter Nationalvortheil sie zum Kriege begeistern; wenn die Aufforderung immer auf dieselbe Weise zurückkehrt, verschwindet das Traumbild und die Fieberkraft, die dasselbe gegeben hat; die Sehnsucht nach ruhiger Ordnung kehrt zurück und die Frage: für welchen Zweck thue und trage ich denn nun dies alles? erhebt sich. Diese Gefühle alle müßte zuvörderst ein Welteroberer unserer Zeit austilgen, und in diesem Zeitalter, das durch seine Natur ein Volk von Wilden nicht gibt, mit besonnener Kunst eins hineinbilden. Aber noch mehr. Dem von Jugend auf an einen gebildeten Anbau der Länder, an Wohlstand und Ordnung gewöhnten Auge thut, wenn man den Menschen nur ein wenig zur Ruhe kommen läßt, der Anblick derselben allenthalben, wo er ihn antrifft, wohl, indem er ihm den Hintergrund seiner eignen, doch niemals ganz auszurottenden Sehnsucht darstellt, und es schmerzt ihn selbst, denselben zerstören zu müssen. Auch gegen dieses dem gesellschaftlichen Menschen tief eingeprägte Wohlwollen und gegen die Wehmuth über die Uebel, die der Krieger über die eroberten Länder bringt, muß ein Gegengewicht gefunden werden. Es gibt kein anderes, denn die Raubsucht. Wird es zum herrschenden Antrieb des Kriegers, sich einen Schatz zu machen, und wird er gewöhnt, bei Verheerung blühender Länder an nichts anderes mehr zu denken, denn daran, was er für seine Person bei dem allgemeinen Elende gewinnen könne, so ist zu erwarten, daß die Gefühle des Mitleids und des Erbarmens in ihm verstummen. Außer jener barbarischen Rohheit müßte demnach ein Welteroberer unsrer Zeit die Seinigen auch noch zur kühlen und besonnenen Raubsucht bilden; er müßte Erpressungen nicht bestrafen, sondern vielmehr aufmuntern. Auch müßte die Schande, die natürlich auf der Sache ruht, erst wegfallen, und Rauben müßte für ein ehrenvolles Zeichen eines feinen Verstandes gelten, zu den Großthaten gezählt werden und den Weg zu allen Ehren und Würden bahnen. Wo ist eine Nation im neuern Europa also ehrlos, daß man sie auf diese Weise abrichten könnte? Oder setzet, daß ihm selbst diese Umbildung gelänge, so wird nun gerade durch sein Mittel die Erreichung seines Zwecks vereitelt werden. Ein solches Volk erblickt von nun an in eroberten Menschen, Ländern und Kunsterzeugungen nichts mehr, denn ein Mittel, in höchster Eil Geld zu machen, um weiter zu gehen und abermals Geld zu machen; es erpreßt schnell und wirft das Ausgesogene weg auf jedes mögliche Schicksal; es haut ab den Baum, zu dessen Früchten es gelangen will; wer mit solchen Werkzeugen handelt, dem werden alle Künste der Verführung, der Ueberredung und des Truges vereitelt; nur aus der Entfernung können sie täuschen, wie man sie in der Nähe erblickt, fällt die thierische Rohheit und die schamlose und freche Raubsucht selbst dem blödsinnigsten in die Augen, und der Abscheu des ganzen menschlichen Geschlechts erklärt sich laut. Mit solchen kann man die Erde zwar ausplündern und wüste machen und sie zu einem dumpfen Chaos zerreiben, nimmermehr aber sie zu einer Universalmonarchie ordnen.

Die genannten Gedanken und alle Gedanken dieser Art, sind Erzeugnisse eines blos mit sich selber spielenden und in seinem Gespinnste zuweilen auch hängen bleibenden Denkens, unwerth deutscher Gründlichkeit und Ernstes. Höchstes sind einige dieser Bilder, wie z. B. das eines politischen Gleichgewichts, taugliche Hilfslinien, um in einem ausgedehnten und verworrenen Mannichfaltigen der Erscheinung sich zurecht zu finden und es zu ordnen; aber an das natürliche Vorhandensein dieser Dinge zu glauben oder ihre Verwirklichung anzustreben, ist eben so, als ob Jemand die Pole, die Mittagslinie, die Wendekreise, durch die seine Betrachtung auf der Erde sich zurecht findet, an der wirklichen Erdkugel ausgedrückt und bezeichnet aufsuchte. Möchte es Sitte werden in unserer Nation, nicht blos zum Scherze und gleichsam versuchend, was dabei herauskommen werde, zu denken, sondern also, als ob wahr sein solle und wirklich gelten im Leben, was wir denken: so wird es überflüssig werden, vor solchen Truggestalten einer ursprünglich ausländischen und die Deutschen blos berückenden Staatsklugheit zu warnen.

Diese Gründlichkeit, Ernst und Gewicht unsrer Denkweise wird, wenn wir sie einmal besitzen, auch hervorbrechen in unserm Leben. Besiegt sind wir; ob wir nun zugleich auch verachtet und mit Recht verachtet sein wollen, ob wir zu allem andern Verluste auch noch die Ehre verlieren wollen, das wird noch immer von uns abhängen. Der Kampf mit den Waffen ist beschlossen; es erhebt sich, so wir es wollen, der neue Kampf der Grundsätze, der Sitten, des Charakters.

Geben wir unsern Gästen ein Bild treuer Anhänglichkeit an Vaterland und Freunde, unbestechlicher Rechtschaffenheit und Pflichtliebe, aller bürgerlichen und häuslichen Tugenden, als freundliches Gastgeschenk mit in ihre Heimat, zu der sie doch wol endlich einmal zurückkehren werden. Hüten wir uns, sie zur Verachtung gegen uns einzuladen; durch nichts aber würden wir es sicherer, als wenn wir sie entweder übermäßig fürchteten, oder unsre Weise dazusein aufzugeben, und in der ihrigen ihnen ähnlich zu werden strebten. Fern zwar sei von uns die Ungebühr, daß der Einzelne die Einzelnen herausfordere und reize; übrigens aber wird es die sicherste Maßregel sein, allenthalben unsern Weg also fortzugehen, als ob wir mit uns selber allein wären, und durchaus kein Verhältniß anzuknüpfen, das uns die Nothwendigkeit nicht schlechthin auflegt; und das sicherste Mittel hierzu wird sein, daß jeder sich mit dem begnüge, was die alten vaterländischen Verhältnisse ihm zu leisten vermögen, die gemeinschaftliche Last nach seinen Kräften mit trage, jede Begünstigung aber durch das Ausland für eine entehrende Schmach halte. Leider ist es beinahe allgemeine europäische und so auch deutsche Sitte geworden, daß man im Falle der Wahl lieber sich wegwerfen, denn als das erscheinen wolle, was man imponirend nennt, und es dürfte vielleicht das ganze Lehrgebäude der angenommenen guten Lebensart auf die Einheit jenes Grundsatzes sich zurückführen lassen. Möchten Deutsche bei der gegenwärtigen Veranlassung lieber gegen diese Lebensart, denn gegen etwas Höheres verstoßen! Möchten wir, obwol dies ein solcher Verstoß sein dürfte, bleiben, so wie wir sind, ja, wenn wir es vermöchten, noch stärker und entschiedener werden, also wie wir sein sollen! Möchten wir der Ausstellungen, die man uns zu machen pflegt, daß es uns gar sehr an Schnelligkeit und leichter Fertigkeit gebreche, und daß wir über allem zu ernst, zu schwer und zu gewichtig werden, uns so wenig schämen, daß wir uns vielmehr bestrebten, sie immer mit größerem Rechte und in weiterer Ausdehnung zu verdienen. Es befestige uns in diesem Entschlusse die leicht zu erlangende Ueberzeugung, daß wir mit aller unsrer Mühe dennoch niemals jenen recht sein werden, wenn wir nicht ganz aufhören, wir selber zu sein, was dem überhaupt gar nicht mehr Da-sein gleich gilt. Es gibt nämlich Völker, welche, indem sie selbst ihre Eigenthümlichkeit beibehalten und dieselbe geehrt wissen wollen, auch den andern Völkern die ihrigen zugestehen, und sie ihnen gönnen und verstatten: zu diesen gehören ohne Zweifel die Deutschen, und es ist dieser Zug in ihrem ganzen vergangenen und gegenwärtigen Weltleben so tief begründet, daß sie sehr oft, um gerecht zu sein sowol gegen das gleichzeitige Ausland als gegen das Alterthum, ungerecht gewesen sind gegen sich selbst. Wiederum gibt es andere Völker, denen ihr eng in sich selbst verwachsenes Selbst niemals die Freiheit gestattet, sich zu kalter und ruhiger Betrachtung des Fremden abzusondern, und die daher zu glauben genöthigt sind, es gebe nur eine einzige mögliche Weise als gebildeter Mensch zu bestehen, und dies sei jedesmal die, welche in diesem Zeitpunkte gerade ihnen irgend einen Zufall angeworfen; alle übrigen Menschen in der Welt hätten keine andere Bestimmung, denn also zu werden, wie sie sind, und sie hätten ihnen den größten Dank abzustatten, wenn sie die Mühe über sich nehmen wollten, sie also zu bilden. Zwischen Völkern der ersten Art findet eine der Ausbildung zum Menschen überhaupt höchst wohlthätige Wechselwirkung der gegenseitigen Bildung und Erziehung statt, und eine Durchdringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem guten Willen des andern, sich selbst gleich bleibt. Völker von der zweiten Art vermögen nichts zu bilden, denn sie vermögen nichts in seinem vorhandenen Sein anzufassen; sie sollen nur alles Bestehende vernichten und außer sich allenthalben eine leere Stätte hervorbringen, in der sie nur immer die eigne Gestalt wiederholen können; selbst ihr anfängliches scheinbares Hineingehen in fremde Sitte ist nur die gutmütige Herablassung des Erziehers zum jetzt noch schwachen, aber gute Hoffnung gebenden Lehrlinge; selbst die Gestalten der vollendeten Vorwelt gefallen ihnen nicht, bis sie dieselben in ihr Gewand gehüllt haben, und sie würden, wenn sie könnten, dieselben aus den Gräbern aufwecken, um sie nach ihrer Weise zu erziehen. Ferne zwar bleibe von mir die Vermessenheit, irgend eine vorhandene Nation im Ganzen und ohne Ausnahme, jener Beschränktheit zu beschuldigen. Laßt uns vielmehr annehmen, daß auch hier diejenigen, die sich nicht äußern, die bessern sind. Soll man aber die, die unter uns erschienen sind und sich geäußert haben, nach diesen ihren Aeußerungen beurtheilen, so scheint zu folgen, daß sie in die geschilderte Classe zu setzen sind. Eine solche Aeußerung scheint eines Beleges zu bedürfen, und ich führe, von den übrigen Ausflüssen dieses Geistes, die vor den Augen von Europa liegen, schweigend, nur den einigen Umstand an, den folgenden: – Wir haben mit einander Krieg geführt; wir unsers Theils sind die Ueberwundenen, jene die Sieger; dies ist wahr und wird zugestanden. Damit nun könnten jene ohne Zweifel sich begnügen. Ob nun etwa jemand unter uns fortführe, dafür zu halten, wir hätten dennoch die gerechte Sache für uns gehabt und den Sieg verdient, und es sei zu beklagen, daß er nicht uns zu Theil geworden: wäre denn dies so übel, und könnten es uns denn jene, die ja von ihrer Seite gleichfalls denken mögen, was sie wollen, so sehr verargen? Aber nein, jenes zu denken, sollen wir uns nicht unterstehen. Wir sollen zugleich erkennen, welch ein Unrecht es sei, jemals anders zu wollen, denn sie, und ihnen zu widerstehen; wir sollen unsre Niederlagen als das heilsamste Ereignis für uns selbst, und sie als unsre größten Wohlthäter segnen. Anders kann es ja nicht sein, und man hat diese Hoffnung zu unserm guten Verstande. – Doch was spreche ich länger aus, was beinahe vor zweitausend Jahren mit vieler Genauigkeit z. B. in den Geschichtsbüchern des Tacitus, ausgesprochen worden ist? Jene Ansicht der Römer von dem Verhältnisse der bekriegten Barbaren gegen sie, welche Ansicht bei diesen denn doch auf einen einige Entschuldigung verdienenden Schein sich gründete, daß es verbrecherische Rebellion und Auflehnung gegen göttliche und menschliche Gesetze sei, ihnen Widerstand zu leisten, und daß ihre Waffen den Völkern nichts anders zu bringen vermöchten, denn Segen, und ihre Ketten nichts anderes, denn Ehre – diese Ansicht ist es, die man in diesen Tagen von uns genommen, und mit sehr vieler Gutmüthigkeit uns selbst angemuthet und bei uns vorausgesetzt hat. Ich gebe dergleichen Aeußerungen nicht für übermüthigen Hohn aus, ich kann begreifen, wie man bei großem Eigendünkel und Beschränktheit im Ernste also glauben und dem Gegentheile ehrlich denselben Glauben zutrauen könne, wie ich denn z. B. dafür halte, daß die Römer wirklich so glaubten; aber ich gebe nur zu bedenken, ob diejenigen unter uns, denen es unmöglich fällt, jemals zu jenem Glauben sich zu bekehren, auf irgend eine Ausgleichung rechnen können.

Tief verächtlich machen wir uns dem Auslande, wenn wir vor den Ohren desselben uns, einer dem andern, deutsche Stämme, Stände, Personen, über unser gemeinschaftliches Schicksal anklagen und einander gegenseitige bittere und leidenschaftliche Vorwürfe machen. Zuvörderst sind alle Anklagen dieser Art größtenteils unbillig, ungerecht, ungegründet. Welche Ursachen es sind, die Deutschlands letztes Schicksal herbeigeführt haben, haben wir oben angegeben; diese sind seit Jahrhunderten bei allen deutschen Stämmen ohne Ausnahme auf die gleiche Weise einheimisch gewesen; die letzten Ereignisse sind nicht die Folgen irgend eines besondern Fehltrittes eines einzelnen Stammes oder seiner Regierung, sie haben sich lange genug vorbereitet, und hätten, wenn es blos auf die in uns selbst liegenden Gründe angekommen wäre, schon vor langem uns eben sowol treffen können. Hierin ist die Schuld oder Unschuld aller wol gleich groß, und die Berechnung ist nicht wohl mehr möglich. Bei der Herbeieilung des endlichen Erfolgs hat sich gefunden, daß die einzelnen deutschen Staaten nicht einmal sich selbst, ihre Kräfte und ihre wahre Lage kannten; wie könnte denn irgend einer sich anmaßen, aus sich selbst herauszutreten und über fremde Schuld ein auf gründliche Kenntniß sich stützendes Endurtheil zu fällen?

Mag es sein, daß über alle Stämme des deutschen Vaterlandes hinweg einen gewissen Stand ein gegründeterer Vorwurf trifft, nicht, weil er eben auch nicht mehr eingesehen oder vermocht, als die andern alle, was eine gemeinschaftliche Schuld ist, sondern weil er sich das Ansehen gegeben, als ob er mehr einsähe und vermöchte, und alle übrigen von der Verwaltung der Staaten verdrängt. Wäre nun auch ein solcher Vorwurf gegründet; wer soll ihn aussprechen, und wozu ist es nöthig, daß er gerade jetzt lauter und bitterer denn je, ausgesprochen und verhandelt werde? Wir sehen, daß Schriftsteller es thun. Haben diese nun ehemals, als bei jenem Stande noch alle Macht und alles Ansehen, mit der stillschweigenden Einwilligung der entschiedenen Mehrheit des übrigen Menschengeschlechts, sich befand, eben also geredet, wie sie jetzt reden; wer kann es ihnen verdenken, daß sie an ihre durch die Erfahrung sehr bestätigte ehemalige Rede erinnern? Wir hören auch, daß sie einzelne genannte Personen, die ehemals an der Spitze der Geschäfte standen, vor das Volksgericht führen, ihre Untauglichkeit, ihre Trägheit, ihren bösen Willen darlegen und klar darthun, daß aus solchen Ursachen nothwendig solche Wirkungen hervorgehen mußten. Haben sie schon ehemals, als bei den Angeklagten noch die Gewalt war, und die auf ihrer Verwaltung nothwendig erfolgen müssenden Uebel noch abzuwenden waren, ebendasselbe eingesehen, was sie jetzt einsehen, und es eben so laut ausgesprochen; haben sie schon damals ihre Schuldigen mit derselben Kraft angeklagt, und kein Mittel unversucht gelassen, das Vaterland aus ihren Händen zu erretten, und sind sie blos nicht gehört worden: so thun sie sehr recht, an ihre damals verschmähte Warnung zu erinnern. Haben sie aber etwa ihre dermalige Weisheit nur aus dem Erfolge gezogen, aus welchem seitdem alles Volk mit ihnen ebendieselbe gezogen hat, warum sagen jetzt eben sie, was alle andern nun ebensowohl wissen? Oder haben sie vielleicht gar damals aus Gewinnsucht geschmeichelt, oder aus Furcht geschwiegen, vor dem Stande und den Personen, über die jetzt, nachdem sie die Gewalt verloren haben, ungemäßigt ihre Strafrede hereinbricht; o so vergessen sie künftig nicht unter den Quellen unserer Uebel neben dem Adel und den untauglichen Ministern und Feldherren, auch noch die politischen Schriftsteller anzuführen, die erst nach gegebnem Erfolge wissen, was da hätte geschehen sollen, so wie der Pöbel auch; und die den Gewalthabern schmeicheln, die Gefallenen aber schadenfroh verhöhnen!

Oder rügen sie etwa die Irrthümer der Vergangenheit, die freilich durch alle ihre Rüge nicht vernichtet werden kann, nur darum, damit man sie in der Zukunft nicht wieder begehe; und ist es blos ihr Eifere eine gründliche Verbesserung der menschlichen Verhältnisse zu bewirken, der sie über die Rücksichten der Klugheit und des Anstandes so kühn hinwegsetzt? Gern möchten wir ihnen diesen guten Willen zutrauen, wenn nur die Gründlichkeit der Einsicht und des Verstandes sie berechtigte, in diesem Fache guten Willen zu haben. Nicht sowol die einzelnen Personen, die von ohngefähr auf den höchsten Plätzen sich befunden haben, sondern die Verbindung und Verwicklung des Ganzen: der ganze Geist der Zeit, die Irrthümer, die Unwissenheit, Seichtigkeit, Verzagtheit, und der von diesen unabtrennliche unsichere Schritt, die gesammten Sitten der Zeit sind es, die unsre Uebel herbeigeführt haben; und so sind es denn weit weniger die Personen, welche gehandelt haben, denn die Plätze, und jedermann, und die heftigen Tadler selbst können mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie, an demselben Platze sich befindend, durch die Umgebungen ohngefähr zu demselben Ziele würden hingedrängt worden sein. Träume man weniger von überlegter Bosheit und Verrath! Unverstand und Trägheit reichen fast allenthalben aus, um die Gegebenheiten zu erklären; und dies ist eine Schuld, von der keiner ohne tiefe Selbstprüfung sich ganz lossprechen sollte, da zumal, wo in der ganzen Masse sich ein sehr hohes Maß von Kraft der Trägheit befindet, dem Einzelnen, der da durchdringen sollte, ein sehr hoher Grad von Kraft der Thätigkeit beiwohnen müßte. Werden daher auch die Fehler der Einzelnen noch so scharf ausgezeichnet, so ist dadurch der Grund des Uebels noch keineswegs entdeckt, noch wird er dadurch, daß diese Fehler in der Zukunft vermieden werden, gehoben. Bleiben die Menschen fehlerhaft, so können sie nicht anders, denn Fehler machen, und wenn sie auch die ihrer Vorgänger fliehen, so werden in dem unendlichen Raume der Fehlerhaftigkeit gar leicht sich neue finden. Nur eine gänzliche Umschaffung, nur das Beginnen eines ganz neuen Geistes kann uns helfen. Werden sie auf desselben Entwicklung mit hinarbeiten, dann wollen wir ihnen neben dem Ruhme des guten Willens auch noch den des rechten und heilbringenden Verstandes gern zugestehen.

Diese gegenseitigen Vorwürfe sind, sowie sie ungerecht sind und unnütz, zugleich äußerst unklug, und müssen uns tief herabsetzen in den Augen des Auslandes, dem wir zum Ueberflusse die Kunde derselben auf alle Weise erleichtern und aufdringen. Wenn wir nicht müde werden, ihnen vorzuerzählen, wie verworren und abgeschmackt alle Dinge bei uns gewesen seien, und in welchem hohen Grade wir elend regiert worden; müssen sie nicht glauben, daß, wie auch irgend sie sich gegen uns betragen möchten, sie doch noch immer viel zu gut für uns seien, und niemals uns zu schlecht werden könnten? Müssen sie nicht glauben, daß wir bei unsrer großen Ungeschicktheit und Unbeholfenheit, mit dem demüthigsten Danke jedwedes Ding aufzunehmen haben, das sie aus dem reichen Schatze ihrer Regierungs-, Verwaltungs- und Gesetzgebungskunst uns schon dargereicht haben, oder noch für die Zukunft uns zudenken? Bedarf es von unsrer Seite dieser Unterstützung ihrer ohnedies nicht unvortheilhaften Meinung von sich selbst, und der geringfügigen von uns? Werden nicht dadurch gewisse Aeußerungen, die man außerdem für bittern Hohn halten müßte, als daß sie erst deutschen Ländern, die vorher kein Vaterland gehabt hätten, eins brächten, oder, daß sie eine sklavische Abhängigkeit der Personen als solcher von andern Personen, die bei uns gesetzlich gewesen wäre, abschafften, zur Wiederholung unsrer eignen Ausdrücke und zum Nachhalle unsrer eignen Schmeichelworte? Es ist eine Schmach, die wir Deutschen mit keinem der andern europäischen Völker, die in den übrigen Schicksalen uns gleich geworden sind, theilen, daß wir, sobald nur fremde Waffen unter uns geboten, gleich als ob wir schon lange auf diesen Augenblick gewartet hätten, und uns schnell, ehe die Zeit vorüber ginge, eine Güte thun wollten, in Schmähungen uns ergossen über unsre Regierungen, unsre Gewalthaber, denen wir vorher auf eine geschmacklose Weise geschmeichelt hatten, und über alles Vaterländische.

Wie wenden wir andern, die wir unschuldig sind, die Schmach ab von unsrem Haupt, und lassen die Schuldigen allein stehen? Es gibt ein Mittel. Es werden von dem Augenblicke an keine Schmähschriften mehr gedruckt werden, sobald man sicher ist, daß keine mehr gekauft werden, und sobald die Verfasser und Verleger derselben nicht mehr auf Leser rechnen können, die durch Müßiggang, leere Neugier und Schwatzsucht, oder durch die Schadenfreude, gedemüthigt zu sehen, was ihnen einst das schmerzhafte Gefühl der Achtung einflößte, angelockt werden. Gebe jeder, der die Schmach fühlt, eine ihm zum Lesen dargebotene Schmähschrift mit der gebührenden Verachtung zurück; thue er es, obwol er glaubt, er sei der einzige, der also handelt, bis es Sitte unter uns wird, daß jeder Ehrenmann also thut; und wir werden, ohne gewaltsame Bücherverbote, gar bald dieses schmachvollen Theils unsrer Literatur erledigt werden.

Am allertiefsten endlich erniedrigt es uns vor dem Auslande, wenn wir uns darauf legen, demselben zu schmeicheln. Ein Theil von uns hat schon früher sich sattsam verächtlich, lächerlich und ekelhaft gemacht, indem sie den vaterländischen Gewalthaber bei jeder Gelegenheit groben Weihrauch darbrachten, und weder Vernunft, noch Anstand, gute Sitte und Geschmack verschonten, wo sie glaubten, eine Schmeichelrede anbringen zu können. Diese Sitte ist binnen der Zeit abgekommen, und diese Lobeserhebungen haben sich zum Theil in Scheltworte verwandelt. Wir gaben indessen unsern Weihrauchwolken, gleichsam damit wir nicht aus der Uebung kämen, eine andere Richtung nach der Seite hin, wo jetzt die Gewalt ist. Schon das erste, sowol die Schmeichelei selbst, als daß sie nicht verbeten wurde, mußte jeden ernsthaft denkenden Deutschen schmerzen; doch blieb die Sache unter uns. Wollen wir jetzt auch das Ausland zum Zeugen machen dieser unsrer niedrigen Sucht, sowie zugleich der großen Ungeschicklichkeit, mit welcher wir uns derselben entledigen, und so der Verachtung unsrer Niedrigkeit auch noch den lächerlichen Anblick unsrer Ungelenkigkeit hinzufügen? Es fehlt uns nämlich in dieser Verrichtung an aller dem Ausländer eignen Feinheit; um doch ja nicht überhört zu werden, werden wir plump und übertreibend und heben mit Vergötterungen und Versetzungen unter die Gestirne gleich an. Dazu kommt, daß es bei uns das Ansehen hat, als ob es vorzüglich der Schrecken und die Furcht sei, die unsre Lobeserhebungen uns auspressen; aber es ist kein Gegenstand lächerlicher, denn ein Furchtsamer, der die Schönheit und Anmuth desjenigen lobpreist, was er in der That für ein Ungeheuer hält, das er durch diese Schmeichelei nur bestechen will, ihn nicht zu verschlingen.

Oder sind vielleicht diese Lobpreisungen nicht Schmeichelei, sondern der wahrhafte Ausdruck der Verehrung und Bewunderung, die sie dem großen Genie, das nach ihnen die Angelegenheiten der Menschen leitet, zu zollen genöthigt sind? Wie wenig kennen sie auch hier das Gepräge der wahren Größe! Darin ist dieselbe in allen Zeitaltern und unter allen Völkern sich gleich gewesen, daß sie nicht eitel war, so wie umgekehrt von jeher sicherlich klein war und niedrig, was Eitelkeit zeigte. Der wahrhaften, auf sich selber ruhenden Größe, gefallen nicht Bildsäulen von der Mitwelt errichtet, oder der Beiname des Großen und der schreiende Beifall und die Lobpreisungen der Menge; vielmehr weiset sie diese Dinge mit gebührender Verachtung von sich weg und erwartet ihr Urtheil über sich zunächst von dem eignen Richter in ihrem Innern, und das laute von der richtenden Nachwelt. Auch hat mit derselben immer der Zug sich beisammen gefunden, daß sie das dunkle und räthselhafte Verhängniß ehrt und scheut, des stets rollenden Rades des Geschicks eingedenk bleibt und sich nicht groß oder selig preisen läßt vor ihrem Ende. Also sind jene Lobredner im Widerspruche mit sich selbst und machen durch die That ihrer Worte den Inhalt derselben zur Lüge. Hielten sie den Gegenstand ihrer vorgegebenen Verehrung wirklich für groß, so würden sie sich bescheiden, daß er über ihren Beifall und ihr Lob erhaben sei, und ihn durch ehrfurchtsvolles Stillschweigen ehren. Indem sie sich ein Geschäft daraus machen, ihn zu loben; so zeigen sie dadurch, daß sie ihn in der That für klein und niedrig halten, und für so eitel, daß ihre Lobpreisungen ihm gefallen könnten, und daß sie dadurch irgend ein Uebel von sich zu wenden, oder irgend ein Gut sich zu verschaffen vermöchten.

Jener begeisterte Ausruf: welch' ein erhabenes Genie, welch' eine tiefe Weisheit, welch' ein umfassender Plan! was sagt er denn nun zuletzt aus, wenn man ihn recht ins Auge faßt? Er sagt aus, daß das Genie so groß sei, daß auch wir es vollkommen begreifen, die Weisheit so tief, daß auch wir sie durchschauen, der Plan so umfassend, daß auch wir ihn vollständig nachzubilden vermögen. Er sagt demnach aus, daß der Gelobte ungefähr von demselben Maße der Größe sei, wie der Lobende, jedoch nicht ganz, indem ja der letzte den ersten vollkommen versteht und übersieht, und sonach über demselben steht, und falls er sich nur recht anstrengte, wol noch etwas Größeres leisten könnte. Man muß eine sehr gute Meinung von sich selbst haben, wenn man glaubt, daß man also auf eine gefällige Weise seinen Hof machen könne; und der Gelobte muß eine sehr geringe von sich haben, wenn er solche Huldigungen mit Wohlgefallen aufnimmt.

Nein, biedere, ernste, gesetzte, deutsche Männer und Landsleute, fern bleibe ein solcher Unverstand von unserm Geiste, und eine solche Besudelung von unsrer, zum Ausdrucke des Wahren gebildeten Sprache! Ueberlassen wir es dem Auslande, bei jeder neuen Erscheinung mit Erstaunen aufzujuchzen; in jedem Jahrzehende sich einen neuen Maßstab der Größe zu erzeugen und neue Götter zu erschaffen; und Gotteslästerungen zu reden, um Menschen zu preisen. Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der Ideen, die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei und von ihnen begeistert; über die lebenden Menschen aber laßt uns das Urtheil der richtenden Nachwelt überlassen!


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