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Die Natur ist der erste und fundamentale Gegenstand der Religion, aber sie ist selbst da, wo sie unmittelbarer Gegenstand religiöser Verehrung ist, wie in den Naturreligionen, nicht Gegenstand als Natur, d. h. in der Weise, in dem Sinne, in welchem wir sie auf dem Standpunkt des Theismus oder der Philosophie und Naturwissenschaft anschauen. Die Natur ist vielmehr dem Menschen ursprünglich – da eben, wo sie mit religiösen Augen angeschaut wird – Gegenstand als das, was er selbst ist, als ein persönliches, lebendiges, empfindendes Wesen. Der Mensch unterscheidet sich ursprünglich nicht von der Natur, folglich auch nicht die Natur von sich; er macht daher die Empfindungen, die ein Gegenstand der Natur in ihm erregt, unmittelbar zu Beschaffenheiten des Gegenstandes selbst. Die wohltuenden, guten Empfindungen und Affekte verursacht das gute, wohltuende Wesen der Natur; die schlimmen, wehetuenden Empfindungen, Hitze, Kälte, Hunger, Schmerz, Krankheit ein böses Wesen, oder wenigstens die Natur im Zustande des Böseseins, des Übelwollens, des Zorns. So macht der Mensch unwillkürlich und unbewusst – d. i. notwendig, obwohl diese Notwendigkeit nur eine relative, historische ist – das Naturwesen zu einem Gemütswesen, einem subjektiven, d. i. menschlichen Wesen. Kein Wunder, dass er sie dann auch ausdrücklich, mit Wissen und Willen zu einem Gegenstande der Religion, des Gebets, d. h. zu einem durch das Gemüt des Menschen, seine Bitten, seine Dienstleistungen bestimmbaren Gegenstand macht. Der Mensch hat ja schon dadurch die Natur sich willfährig gemacht, sich unterworfen, dass er sie seinem Gemüt assimiliert, seinen Leidenschaften unterworfen hat. Der ungebildete Naturmensch legt übrigens der Natur nicht nur menschliche Beweggründe, Triebe und Leidenschaften unter; er erblickt sogar in den Naturkörpern wirkliche Menschen. So halten die Indianer am Orinoko die Sonne, Mond und Sterne für Menschen – »diese da oben«, sagen sie, »sind Menschen wie wir« – die Patagonier die Sterne für »ehemalige Indianer«, die Grönländer Sonne, Mond und Sterne für »ihre Vorfahren, die bei einer besonderen Gelegenheit in den Himmel versetzt wurden«. So glaubten auch die alten Mexikaner, dass Sonne und Mond, die sie als Götter verehrten, einst Menschen gewesen wären. Seht! so bestätigen den im Wesen des Christentums ausgesprochenen Satz, dass der Mensch in der Religion nur zu sich selbst sich verhält, sein Gott nur sein eigenes Wesen ist, selbst die rohesten, untersten Arten der Religion, wo der Mensch die dem Menschen fernsten, unähnlichsten Dinge, Sterne, Steine, Bäume, ja sogar Krebsscheren, Schneckenhäuser verehrt, denn er verehrt sie nur, weil er sich selbst in sie hineinlegt, sie als solche Wesen oder wenigstens von solchen Wesen erfüllt denkt, wie er selbst ist. Die Religion stellt daher den merkwürdigen, aber sehr begreiflichen, ja notwendigen Widerspruch dar, dass, während sie auf dem theistischen oder anthropologischen Standpunkt das menschliche Wesen deswegen als göttliches verehrt, weil es ihr als ein vom Menschen unterschiedenes, als ein nicht menschliches Wesen erscheint, sie umgekehrt auf dem naturalistischen Standpunkt das nicht menschliche Wesen deswegen als göttliches Wesen verehrt, weil es ihr als ein menschliches erscheint. [...]
Gegenstand der Religion ist, wenigstens da, wo sich der Mensch einmal über die unbeschränkte Wahlfreiheit, Ratlosigkeit und Zufälligkeit des eigentlichen Fetischismus erhoben hat, nur oder doch hauptsächlich das, was Gegenstand menschlicher Zwecke und Bedürfnisse ist. Die dem Menschen notwendigsten Naturwesen genossen eben darum auch die allgemeinste und vorzüglichste religiöse Verehrung. Was aber ein Gegenstand menschlicher Bedürfnisse und Zwecke, ist eben damit auch ein Gegenstand menschlicher Wünsche. Regen und Sonnenschein ist mir not, wenn meine Saat gedeihen soll. Bei anhaltender Trockenheit wünsche ich daher Regen, bei anhaltendem Regen Sonnenschein. Der Wunsch ist ein Verlangen, dessen Befriedigung – wenn auch nicht immer an und für sich selbst, doch in diesem Augenblick, in diesen Umständen, diesen Verhältnissen, wenn auch nicht absolut, doch so, wie es der Mensch auf dem Standpunkt der Religion wünscht – nicht in meiner Gewalt ist, ein Wille, aber ohne die Macht, sich durchzusetzen. Allein was mein Leib, meine Kraft überhaupt nicht vermag, das vermag eben der Wunsch selbst. Was ich verlange, wünsche, das bezaubere, begeistere ich durch meine Wünsche. »Wünschen heißt in der alten (deutschen) Sprache zaubern.« Im Affekt – und nur im Affekt, im Gefühl wurzelt die Religion – setzt der Mensch sein Wesen außer sich, behandelt er das Leblose als Lebendiges, das Unwillkürliche als Willkürliches, beseelt er den Gegenstand mit seinen Seufzern, denn es ist ihm unmöglich, im Affekt an ein gefühlloses Wesen sich zu wenden. Das Gefühl bleibt nicht in den Geleisen, die ihm der Verstand anweist; es übersprudelt den Menschen; es ist ihm zu enge im Brustkasten; es muss sich der Außenwelt mitteilen, und dadurch das fühllose Wesen der Natur zu einem mitfühlenden Wesen machen. Die vom menschlichen Gefühl bezauberte, dem Gefühl entsprechende, assimilierte, also selbst gefühlvolle Natur ist die Natur, wie sie Gegenstand der Religion, göttliches Wesen ist. Der Wunsch ist der Ursprung, ist das Wesen selbst der Religion – das Wesen der Götter nichts anderes, als das Wesen des Wunsches. Die Götter sind die Segen verleihenden Wesen. Der Segen ist der Erfolg, die Frucht, der Zweck einer Handlung, der von mir unabhängig ist, aber gewünscht wird. »Segnen«, sagt Luther, »heißt eigentlich etwas Gutes wünschen.« »Wenn wir segnen, so thun wir nichts mehr, denn daß wir Gutes wünschen, können aber das nicht geben, was wir wünschen, aber Gottes Segen klinget zur Mehrung und ist bald kräftig.« Das heißt: die Menschen sind die wünschenden, die Götter die wunscherfüllenden Wesen. So ist selbst im gemeinen Leben das unzählige Mal vorkommende Wort: Gott, nichts anderes als der Ausdruck eines Wunsches. Gott gebe dir Kinder, d. h. ich wünsche dir Kinder, nur ist hier der Wunsch subjektiv, nicht religiös, pelagianisch, dort objektiv, darum religiös, augustinisch ausgedrückt. Die Götter sind übermenschliche und übernatürliche Wesen; aber sind nicht auch die Wünsche übermenschliche und übernatürliche Wesen? Bin ich z. B. in meinem Wunsche und meiner Fantasie noch ein Mensch, wenn ich ein unsterbliches, den Fesseln des irdischen Leibes entbundenes Wesen zu sein wünsche? Nein! wer keine Wünsche hat, der hat auch keine Götter. Warum betonten die Griechen so sehr die Unsterblichkeit und Seligkeit der Götter? weil sie selbst nicht sterblich und unselig sein wollten. Wo du keine Klagelieder über die Sterblichkeit und das Elend des Menschen vernimmst, da hörst du auch keine Lobgesänge auf die unsterblichen und seligen Götter. Das Tränenwasser des Herzens nur verdunstet im Himmel der Fantasie in das Wolkengebilde des göttlichen Wesens. Aus dem Weltstrom Okeanos leitet Homer die Götter ab; aber dieser götterreiche Strom ist in Wahrheit nur ein Erguss der menschlichen Gefühle. [...]
Die Religion hat – wenigstens ursprünglich und in Beziehung auf die Natur – keine andere Aufgabe und Tendenz, als das unpopuläre und unheimliche Wesen der Natur in ein bekanntes, heimliches Wesen zu verwandeln, die für sich selbst unbeugsame, eisenharte Natur in der Glut des Herzens zum Behufe menschlicher Zwecke zu erweichen – also denselben Zweck wie die Bildung oder Kultur, deren Tendenz eben auch keine andere ist, als die Natur theoretisch zu einem verständlichen, praktisch zu einem willfährigen, den menschlichen Bedrüfnissen entsprechenden Wesen zu machen, nur mit dem Unterschiede, dass was die Kultur durch Mittel und zwar der Natur selbst abgelauschte Mittel, die Religion ohne Mittel oder, was eins ist, durch die übernatürlichen Mittel des Gebetes, des Glaubens, der Sakramente, der Zauberei bezweckt. Alles daher, was im Fortgang der Kultur des Menschengeschlechts Sache der Bildung, der Selbsttätigkeit, der Anthropologie wurde, war anfänglich Sache der Religion oder Theologie, wie z. B. die Jurisprudenz (Ordalien, Bahrrecht, Rechtsorakel der Germanen), die Politik (Orakel der Griechen), die Arzneikunde, die noch heute bei den unkultivierten Völkern eine Sache der Religion ist. In rohen Zeiten und rohen Völkern gegenüber ist daher die Religion wohl ein Bildungsmittel der Menschheit, aber in Zeiten der Bildung vertritt die Religion die Sache der Rohheit, der Altertümlichkeit, ist sie die Feindin der Bildung. Freilich bleibt die Kultur stets hinter den Wünschen der Religion zurück; denn sie kann nicht die im Wesen begründeten Schranken des Menschen aufheben. So bringt es die Kultur z. B. wohl zur Makrobiotik, aber nimmer zur Unsterblichkeit. Diese verbleibt als ein schrankenloser, unrealisierbarer Wunsch der Religion. [...]
So wie der Mensch aus einem nur physischen Wesen ein politisches, überhaupt ein sich von der Natur unterscheidendes und auf sich selbst sich konzentrierendes Wesen wird, so wird auch sein Gott aus einem nur physischen Wesen ein politisches, von der Natur unterschiedenes Wesen. Zur Unterscheidung seines Wesens von der Natur und folglich zu einem von der Natur unterschiedenen Gott kommt daher der Mensch zunächst nur durch seine Vereinigung mit anderen Menschen zu einem Gemeinwesen, wo ihm von den Naturmächten unterschiedene, nur im Gedanken oder in der Vorstellung existierende Mächte, politische, moralische, abstrakte Mächte, die Macht des Gesetzes, der Meinung, Bei Hesiod heißt es ausdrücklich: auch die Pheme (Ruf, Gerücht, öffentliche Meinung) ist eine Gottheit. der Ehre, der Tugend Gegenstand seines Bewusstseins und Abhängigkeitsgefühles, die physische Existenz des Menschen seiner menschlichen, bürgerlichen oder moralischen Existenz untergeordnet, die Naturmacht, die Macht über Tod und Leben zu einem Attribut und Werkzeug der politischen oder moralischen Macht herabgesetzt wird. Zeus ist der Gott des Blitzes und Donners, aber er hat diese furchtbaren Waffen nur dazu in seinen Händen, um die Frevler an seinen Geboten, die Meineidigen, die Gewalttätigen niederzuschmettern. Zeus ist der Vater der Könige, »von Zeus sind die Könige«. Mit Blitz und Donner unterstützt also Zeus die Macht und Würde der Könige. Die ursprünglichen Könige sind übrigens wohl zu unterscheiden von den legitimen. Diese sind, ungewöhnliche Fälle abgerechnet, gewöhnliche, für sich selbst bedeutungslose, jene aber waren ungewöhnliche, ausgezeichnete, geschichtliche Individuen. Die Vergötterung ausgezeichneter Menschen, namentlich nach ihrem Tode, ist daher die natürlichste Übergangsstufe von den eigentlichen naturalistischen Religionen zu den mytho- und anthropologischen, obwohl sie auch gleichzeitig mit der Naturverehrung stattfinden kann. Die Verehrung ausgezeichneter Menschen als Götter fällt übrigens keineswegs nur in fabelhafte Zeiten. So vergötterten die Schweden noch zur Zeit des Christentums ihren König Erich und brachten ihm nach seinem Tode Opfer dar. »Der König«, heißt es in Menus Gesetzbuch, »verbrennt gleichwie die Sonne Augen und Herzen, deswegen kann kein menschliches Geschöpf auf Erden ihn nur ansehen. Er ist Feuer und Luft, er ist Sonne und Mond, er ist der Gott der peinlichen Gesetze. Das Feuer verzehrt nur einen einzigen, der aus Sorglosigkeit ihm zu nahe gekommen ist, aber das Feuer eines Königs, wenn er zornig ist, verbrennt eine ganze Familie mit all ihren Vieh und Gütern ... In seinem Mute wohnt Eroberung und in seinem Zorne Tod.« Ebenso gebietet der Gott der Israeliten mit Blitz und Donner seinen Auserwählten, zu wandeln in allen Wegen, die er ihnen geboten hat, »auf daß sie leben mögen und es ihnen wohl gehe und sie lange leben im Lande«. So verschwindet die Macht der Natur als solcher und das Gefühl der Abhängigkeit von ihr vor der politischen oder moralischen Macht! Während den Sklaven der Natur der Glanz der Sonne so verblendet, dass er wie der katschinische Tatar täglich zu ihr betet: »Schlag mich nicht tot«, verblendet dagegen den politischen Sklaven der Glanz der königlichen Würde so sehr, dass er vor ihr als einer göttlichen, weil über Tod und Leben gebietenden Macht niederfällt. Die Titel der römischen Kaiser selbst unter den Christen noch waren: »Eure Gottheit«, »Eure Ewigkeit.« Ja selbst heutigentags noch sind bei den Christen Heiligkeit und Majestät, die Titel und Eigenschaften der Gottheit, Titel und Eigenschaften der Könige. Die Christen entschuldigen zwar diesen politischen Götzendienst mit der Vorstellung, der König sei nur der Stellvertreter Gottes auf Erden, Gott sei der König der Könige. Allein diese Entschuldigung ist nur Selbsttäuschung. Abgesehen davon, dass die Macht des Königs eine höchst empfindliche, unmittelbare, sinnliche, sich selbst vertretende, die Macht des Königs der Könige nur eine mittelbare, vorgestellte ist – Gott wird nur da als Regent der Welt, als königliches oder überhaupt politisches Wesen bestimmt und betrachtet, wo das königliche Wesen so den Menschen einnimmt, bestimmt und beherrscht, dass es ihm für das höchste Wesen gilt. »Brahma«, sagt Menu, »bildete im Anfang der Zeit zu seinem Gebrauche den Genius der Strafe mit einem Körper von reinem Lichte als seinen eigenen Sohn, ja als den Urheber der peinlichen Gerechtigkeit, als den Beschützer aller erschaffenen Dinge. Aus Furcht vor der Strafe ist dieses Weltall imstande sein Glück zu genießen.« So macht der Mensch selbst die Strafen seines peinlichen Rechts zu göttlichen, weltbeherrschenden Mächten, die peinliche Halsgerichtsordnung zur Ordnung des Weltalls, den Kriminalkodex zum Kodex der Natur. Kein Wunder, dass er die Natur den wärmsten Anteil an seinen politischen Leiden und Leidenschaften nehmen lässt, ja selbst den Bestand der Welt von dem Bestand eines königlichen Throns oder päpstlichen Stuhls abhängig macht. Was für ihn von Wichtigkeit ist, das ist natürlich auch von Wichtigkeit für alle anderen Wesen, was sein Auge trübt, das trübt auch den Glanz der Sonne, was sein Herz bewegt, das setzt auch Himmel und Erde in Bewegung – sein Wesen ist ihm das universale Wesen, das Wesen der Welt, das Wesen der Wesen.
Woher kommt es, dass der Orient keine solche lebendige, fortschreitende Geschichte hat, wie der Okzident? weil im Orient der Mensch nicht über dem Menschen die Natur, nicht über dem Glanz des menschlichen Auges den Glanz der Sterne und Edelsteine, nicht über dem rhetorischen »Blitz und Donner« den meteorologischen Blitz und Donner, nicht über dem Lauf der Tagesbegebenheiten den Lauf der Sonne und Gestirne, nicht über dem Wechsel der Mode den Wechsel der Jahreszeiten vergisst. Wohl wirft sich der Orientale selbst in den Staub nieder vor dem Glanz der königlichen, politischen Macht und Würde, aber dieser Glanz ist doch selbst nur ein Abglanz der Sonne und des Mondes; der König ist ihm nicht als ein irdisches, menschliches, sondern als ein himmlisches, göttliches Wesen Gegenstand. Neben einem Gotte aber verschwindet der Mensch; erst wo die Erde sich entgöttert, die Götter in den Himmel emporsteigen, aus wirklichen Wesen zu nur vorgestellten Wesen werden, erst da haben die Menschen Platz und Raum für sich, erst da können sie ungeniert als Menschen sich zeigen und geltend machen. Der Orientale verhält sich zum Okzidentalen, wie der Landmann zum Städter. Jener ist abhängig von der Natur, dieser vom Menschen, jener richtet sich nach dem Stande des Barometers, dieser nach dem Stande der Papiere, jener nach den sich immer gleich bleibenden Zeichen des Tierkreises, dieser nach den immer wechselnden Zeichen der Ehre, Mode und Meinung. Nur die Städter machen darum Geschichte; nur die menschliche »Eitelkeit« ist das Prinzip der Geschichte. Nur wer die Macht der Natur der Macht der Meinung, sein Leben seinem Namen, seine Existenz im Leibe seiner Existenz im Munde und Sinne der Nachwelt aufzuopfern vermag, nur der ist fähig zu geschichtlichen Taten. [...]