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62.

»Hast du die Scheidung schon eingeleitet?« fragte ich schließlich mit leiser Stimme.

»Ja«, antwortete sie ebenso leise. »Gestern ...«

Wieder trat tiefe Stille zwischen uns ein. Plötzlich sahen wir uns beide nach dem Oberwachtmeister Fritsch um, der mit einem Ruck von seinem Stuhl aufgestanden war und mit seinen Schlüsseln klapperte.

»Na ja«, sagte er fast verlegen, »eigentlich ist die Sprechzeit rum, aber meinetwegen noch zehn Minuten.« Und er ging zum Fenster, wo er uns ostentativ den Rücken kehrte.

»Erwin«, flüsterte Magda hastig, »ich habe lange mit mir gekämpft, es kam mir so schlecht vor, dich in dieser Lage im Stich zu lassen. Aber dann, als ich vom Medizinalrat hörte, daß deine Sache gut steht, daß du vielleicht schon in Kürze entlassen wirst ...«

Sie sah mich flehend an, aber ich schwieg. Ich half ihr mit keinem Wort, in mir herrschte ein verzweifelter, wilder Zorn über diese Verräterin.

»Wir wollen es alles so einrichten, wie du es wünschest, Erwin«, fuhr Magda noch hastiger fort. »Willst du das Geschäft wieder übernehmen, gut. Wir sind auch bereit, ganz von hier fortzuziehen, Heinrich, ich meine, Heinze will dir dann auch sein Geschäft abtreten. Sieh mich doch nicht so an, Erwin, es hilft doch nichts! Wir waren uns doch innerlich längst ganz fremd geworden, denke doch zurück an diese schrecklichen Zeiten, wo wir uns immer nur stritten! Es ist doch besser, wir trennen uns –?«

Ich schwieg noch immer; also daher dieses neue Kostüm, diese frische Farbe, der warme zitternde Unterton der Stimme! Ein neuer Mann – und schon gurrt das verliebte Täubchen! Den Mann ins Kittchen gebracht – und nun kommt der andere mit der ›inneren Sauberkeit‹, der Hochanständige, dem sie blindlings vertraut. Ich sah aufmerksam auf ihren weißen, schon ein wenig fett werdenden Hals. Der Kehlkopf bewegte sich, die Gute verschluckte, von den eigenen Worten gerührt, wie man so sagt, ihre Tränen. Ich hätte diesen Hals so gerne mit meinen Händen umspannt, und ich hätte ihn, das schwöre ich, trotz aller Fritsches, nicht wieder losgelassen! Aber ich hütete mich wohl, nur wenige Tage trennten mich noch von der Freiheit. Sie wollte ich nicht allein treffen, da blieb dieser andere, der Hochanständige, der die Schamlosigkeit besaß, einem kranken Mann die Frau zu stehlen! Sie sah mich noch immer an, und als sie nun wieder zu sprechen anfing, war der Ton ihrer Stimme kälter geworden, sie bat mich nicht mehr. Um ihren Mund lag ein Zug von Entschlossenheit, selbst Härte.

»Du siehst mich immer nur an und sagst kein Wort«, begann sie wieder. »Ich sehe es wohl, in deinen Augen droht etwas Schreckliches. Aber das kann mich nicht beirren, nichts kann mich mehr beirren. Einmal in meinem Leben will ich Glücklichsein kennen lernen. Ich habe dir so viele Jahre geopfert, deiner Schwäche, deinem Eigensinn, deinem unsinnigen Dünkel und Menschenhaß, und dann vor allem, was du deine Liebe nennst! Das ist eine seltsame Art von Liebe, die ich nur zu spüren bekam, wenn du Forderungen hattest – aber nie durfte ich welche haben! Nein, davon habe ich genug ...«

Sie hätte wohl noch weiter so geredet, aber auch ich hatte genug, von diesen Tiraden nämlich. Nachdem das Ködern durch Süße mißlungen war, sollte ich nun durch den Haß zermalmt werden. Ich beugte mich weit über den Tisch und spie ihr mitten ins Gesicht.

»Ehebrecherin –!« rief ich.

Bei diesem lauten Ausruf drehte sich der Oberwachtmeister Fritsch am Fenster rasch um und starrte einen Augenblick maßlos verblüfft auf dies Bild, das sich ihm bot: ich, über den Tisch gelehnt, der Magda mit verächtlichem und drohendem Blick ansah, und meine ehemalige Frau, die keine Bewegung machte, den über die totenbleiche Wange laufenden Speichel abzuwischen, sondern die meinen Blick unverwandt erwiderte, aus der tiefsten Tiefe ihrer braunen Augen heraus. Und während wir uns so ansahen, war mir, als dringe ich mit meinem Blick tief in diese Frau ein, versinke den Bruchteil einer Sekunde in ihr, erspüre einen Menschen, den ich nie gekannt ...

Dann war das vorbei, denn der Oberwachtmeister Fritsch hatte mich bei den Schultern gepackt und schüttelte mich wütend.

»Sie unverschämter Flegel!« schrie er. »Wie können Sie sich so etwas erlauben? Dem Medizinalrat werde ich Sie anzeigen! Das ist eine anständige Frau, verstehen Sie?«

Und er schüttelte mich wieder mit all seinen Kräften, daß mein Kopf haltlos hin- und herflog.

»Lassen Sie den Mann los, Herr Wachtmeister!« sagte Magda mit tiefer, völlig erschöpfter Stimme. »Er hat vollkommen recht: ich bin eine Ehebrecherin.«

Einen Augenblick hielt sie ein, als überlege sie was. Dann wandte sie sich mir zu, ihr Auge leuchtete wieder, wieder hatte ihre Stimme Klang.

»Und ich bin froh darüber, daß ich es tat!« sagte sie mir ins Gesicht. –

Dann ging sie langsam aus dem Sprechzimmer, endlich ihr Gesicht abwischend, aber nur ganz mechanisch.


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