Max Eyth
Der Waldteufel
Max Eyth

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Vierter Akt.

1. Szene.

Pflichterers Amtszimmer. Nacht. Pflichterer am Schreibtisch, von einem Gebirge von Büchern und Rechnungen umgeben, Hansel verlegen unter der halboffenen Türe stehend, mehrmals klopfend und hustend.

Pflichterer (sehr rasch). 58. Schreibe 8, behalte 5. 5 – 9 –19 – 29 – 35 – 36. 36814 Taler 8 Groschen und 2 Pfennig. (Mit Stöhnen in den Stuhl zurücksinkend.) 36814 Taler 8 Groschen und 2 Pfennig, – Differenz mit dem Kassenbestand: 1 Taler 2 Groschen 5 Pfennig! Zum drittenmal durch den ganzen Rechnungsabschluß! Zum drittenmal 36814 Taler 8 Groschen und 2 Pfennig! O du himmlische Güte, wo soll ich den Taler herbekommen und die 2 Groschen und 5 Pfennig, wenn ich sie nicht in dem Hauptbuch finde?

Auch mein Buchhalter, der Federleicht, ist in der letzten Woche viermal durch alle Rechnungen gegangen und findet ebenfalls 36814 Taler 8 Groschen und 2 Pfennig. Ja, der Mensch! Wie ich ihn zum fünftenmal anweise, die Sache zu prüfen, fragt er mich, ob ich ihm nicht lieber erlaubte, den Taler draufzulegen? Drauflegen! – Als ob ich das nicht selbst könnte! Der Tropf!

Drauflegen! Bringt das die Bücher in Ordnung? Ist das eine Manier, sich aus der Not zu helfen? Drauflegen kann jeder Lump. Aber an die Revisoren in der Residenz denkt der Federleicht nicht, und was der selige Landesvater gesagt hätte, wenn er in den Hauptbüchern von Waldhausen eine Summe sähe, die nicht da ist, das kümmert den Federleicht wenig! – Defizit! Defizit! – Und vollends der neue Landesvater, wer weiß, wie der – (bemerkt Hansel, der vortritt; mit Entsetzen auffahrend) ah! Hansel (erschrocken). O verzeihen's, Herr Amtsrichter, ich Hab' dreimal gehustet, aber –

Pflichterer. Nu meine Güte, Hansel! Wie du mich erschreckt hast! Komm her, Hansel, komm her! Was der Tausend, – wie bist du denn hereingekommen?

Hansel. Ach verzeihen's, Herr Amtsrichter! Ich Hab' fünfmal geklopft, aber der Herr Amtsrichter wollten nichts hören.

Pflichterer. Komm her, Hansel, komm doch her! Aber erschreckt hast hu mich, du kleiner Taugenichts; ich glaubte, – ich dachte – Was bringst du denn eigentlich?

Hansel. Eine Empfehlung vom Herrn v. Blumenreich und er sei so frei. Und da ist das Intelligenzblatt für morgen.

Pflichterer. Für morgen? Ja, warum denn schon für morgen? Morgen ist doch auch ein Tag. – Wie du mich erschreckt hast! – Was meint denn der Herr Baron eigentlich?

Hansel. Der Herr von Blumenreich sagt: es sei eine wichtige Nachricht drin, und 's wird dem Alten ein'n Floh hinters Ohr setzen, sagte der Herr Baron v. Blumenreich. Gut' Nacht! (Ab.)

Pflichterer. Wa – was? Hansel! – Hansel! – (zur Türe hinausschreiend). Meine Empfehlung an den Herrn Baron und – Hansel! – (lauscht und schließt dann die Türe).

2. Szene.

Pflichterer (allein). Drunten ist er. Wie ein leibhaftiges Gespenst verschwunden. O du meine Güte, mein armer Kopf! Was ist ein Amtsrichter doch für ein gequältes Geschöpf! – ein alter Amtsrichter mit einem Defizit! – Fort ist er. Na nu, besser ist's immer, als wenn er's selber gewesen wäre und hätte mich überrascht, mit dem Defizit auf dem Herzen – inkognito! – Da liegt die Zeitung! – Ich glaub', ich hab' dem Hansel den Schrecken heimgegeben. Ein rechter Hasenfuß, der Hansel, für seine Größe! – Was sagte er da von Flöhen? Ich muß doch nachsehen. (Hebt die Zeitung auf.) – Hm! »Pulver zur Vertilgung von Schwaben und anderem Ungeziefer.« Das kann's doch wohl nicht sein. »Der Kaiser der Franzosen« – was geht mich der an? »Handelsvertrag mit Liechtenstein.« Ich finde eigentlich nichts, was nicht auch bis morgen hätte warten können. (Plötzlich mit heftigem Schrecken.) Inkognito–! Da ist's! – da ist's! (Reißt die Brille herunter, putzt sie hastig und setzt sie wieder auf.) »Sicherem – sicherem Vernehmen nach weilt Se. Durchlaucht, unser geliebter Landesregent, bereits in unsern Mauern. Das strenge Inkognito, das der hohe Herrscher zu bewahren wünscht, erlaubt uns kaum, anzudeuten, daß er unter dem Titel eines Grafen von F. in einem der ersten Gasthöfe unsrer Stadt abgestiegen sein soll.«

Ich bin verloren! – Starker, (schellt wütend) ich ich – Starker! – ich bin – Starker!

3. Szene.

Pflichterer. Starker (hereinstürzend).

Starker. Herr Amtsrichter! Um Gottes willen, Herr Amtsrichter!

Pflichterer. Er ist da! Er ist da! – Ums Himmels willen. Starker!

Starker. Fort ist er, Herr Amtsrichter, – rein fort, – rein fort!

Pflichterer. Fort?! Nein, er ist da! Jede Minute, jeden Augenblick kann er hier sein.

Starker. Fort ist er, – spurlos, wie in den Boden gesunken.

Pflichterer. Les' Er, wenn Er noch lesen kann. Da ist er – im ersten Gasthof abgestiegen.

Starker. O Herr Amtsrichter, der wahrhaftige Gottseibeiuns soll mich holen, wenn er nicht fort ist. Alles hab' ich ausgesucht; die Herrenstub' Hab' ich umgedreht, meinen Fritz Hab' ich halb totgeschlagen, aber fort war er, fort ist er und fort bleibt er!

Pflichterer. Wa – was?

Starker. Gott sei Dank, daß der Herr Amtsrichter zu Verstand kommen. Aber 's ist kein Wunder, 's ist zum Verstand verlieren. Rein – rein fort!

Pflichterer (ruhiger und bestimmt). Hör' Er, Starker, wenn ich Ihm einmal sage, daß er da ist – hier! hier in der Stadt! vielleicht in der nächsten Stunde in der Amtsstube!

Starker. Gott geb's, Herr Amtsrichter! Aber die Herrenstube ist leer wie ein offener Käfig, oder ich will mein Brot von Zigeunern betteln mein Leben lang.

Pflichterer. Die Herrenstube? Se. Durchlaucht in der Herrenstube? Ist Er wahnsinnig, Starker?

Starker. Der heimliche Agent – Durchlaucht? Der Kommunist – Durchlaucht? Der Affentreiber – Durchlaucht? Herr Amtsrichter!

Pflichterer. Der ist – was sagt Er?

Starker. Fort.

Pflichterer. Nein!

Starker. Fort.

Pflichterer. Und Seine Durchlaucht, Starker – 's bleibt dabei! Seine Durchlaucht sind da.

Starker. Nein wo –

Pflichterer. In einem der ersten Gasthöfe –

Starker. Bomben und Granaten! Im Stern? im Hirsch? im Rößle? wo?

Pflichterer (schwach). Inkognito, – was weiß ich? Der Verbrecher, der Kommunist ist los und Seine Durchlaucht sind da! (sinkt in seinen Stuhl).

Starker. O Herr Amtsrichter!

Pflichterer. Nach 45jähriger Amtsführung!

Starker. Herr Amtsrichter! Befehlend was?

Pflichterer. Starker, Starker, Starker! Nach 45jähriger, treuer Amtsführung! Kann Er's fassen?

Starker. Der Kuckuck hol mich, wenn ich's kann.

Pflichterer. Ein armer, alter, ratloser Mann – –

Starker. Verlieren's nur jetzt den Verstand nicht, Herr Amtsrichter; ich hör' die Frau Tante kommen.

Pflichterer (lebhaft). Nein! (Lauscht einen Augenblick.) Auch das noch! O, ich seh' alles! Ich hör's an ihrem Gang. Wir sind verraten. Bleib' Er da. Starker!

Starker. Sehr wohl, Herr Amtsrichter! (Für sich.) Aber dem ersten Sturm will ich doch ausweichen (stellt sich hinter einen Schrank).

4. Szene.

Konstanze. Die Vorigen.

Konstanze. Schön, daß ich euch beieinander finde! Komm Er nur hervor, Starker; Er braucht sich nicht zu verstecken, wenn Er's auch nötig zu haben glaubt.

Pflichterer (ihr die Zeitung entgegenstreckend). Da, lies, Konstanze, lies!

Konstanze. »Lies!« Soll ich in euren Armensündergesichtern lesen, was ich wußte, eh' ich die Gänse in den Händen hatte? Wo sind die Gänse her? Gesteh's, wo sind sie her?

Pflichterer. Auch das noch! Auch das noch!

Konstanze. Bekommt deine Schwester eine Antwort oder nicht?

Starker. Frau Tante!

Konstanze. Halt Er's Maul! Nie Reihe kommt auch noch an Ihn.

Pflichterer. Wir dachten – aber weiß der Himmel, liebe Konstanze, 's ist keine Zeit für die Gänsegeschichte jetzt. Lies hier! Tu mir den einzigen –

Konstanze. So – keine Zeit? Aber dazu war Zeit, deine Schwester auf die infamste Weis hinters Licht führen zu wollen? Mit deinem Amtsdiener! Schämst du dich nicht in den Boden hinein, Martin, – mit deinem Amtsdiener ein Komplott auszuspinnen! Drei fremde Gänse aufzugabeln, dazu war Zeit, und sie mir unterzuschieben, als seien's die echten, die ich selber in Schlicklingen gekauft habe! Mich für eine solche Gans zu halten, das nicht zu merken! Starker, hat Er mich wirklich für eine solche Gans gehalten?

Starker. Wenn's die Frau Tante eben nun doch wissen –

Konstanze. Wenn du nun einmal drauf versessen bist, dein Geld zum Fenster hinauszuwerfen und deiner Schwester den Nagel in den Sarg zu schlagen, – schlag zu, Martin! In der Welt, mit solchen Menschen –, aber wissen will ich's: wer von euch hat's dem andern eingegeben, wer war der Schlaukopf, drei fremde Gänse aufzugabeln, – wer von euch. Starker?

Pflichterer. Nun, wenn die Wahrheit heraus soll –

Starker. Der Herr Amtsrichter konnte unmöglich abkommen –

Pflichterer. Allerdings, Starker. Unter den obwaltenden Umständen war's ja rein unmöglich, bis aufs Haidewiesle hinauszugehen, zwei Stunden hin – und gute zweieinhalb her. –

Starker. Und fünf Stunden zum Gänsefangen, –

Pflichterer. Und auf der Amtsstube das Defizit, –

Starker. Und den Affentreiber! Du meine himmlische Güte, Frau Tante, der Affentreiber –

Pflichterer. Und das Inkognito! – Lies, Konstanze, lies! Hatte ich recht oder unrecht?

Konstanze. 'raus muß die Wahrheit, – wer von euch war's? Wer war's?

Starker. Da dachten der Herr Amtsrichter –

Pflichterer. Da sagte der Starker zu mir: »Herr Amtsrichter!« sagte er. Er erinnert sich wohl noch, Starker, auf der Hintertreppe –

Starker. Verzeihen's, Herr Amtsrichter, wie kann ich mich unter diesen Umständen erinnern! Aber mir war's, als sollte ich zu Hause sein. Eine Ahnung, Frau Tante, drückte mir aufs Herz wie ein Stein.

Pflichterer. Was war's, ein Druck, ein Wink vom Himmel! und so wahr, so gräßlich wahr!

Starker. Denn wie wir heimkamen, ist der Affentreiber fort

Pflichterer. Und Seine Durchlaucht – lies, Konstanze, und sag, ob ich recht tat! – Seine Durchlaucht sind da.

Konstanze. Was soll mir das Kauderwelsch! Kann eine vernünftige Seele aus dieser Konfusion etwas herausklauben, was wie Vernunft klingt? Einer um den andern! Was ist's mit dem Affentreiber?

Starker (kleinlaut). Nichts ist's mit ihm. Wie ich ihm vor einer halben Stunde wieder das Essen bringen will, find' ich die Türe der Herrenstube halb offen, höre, meiner Seel', etwas rascheln im Gang und fort war er, wie in den Boden versunken.

Konstanze. Wer hatte die Schlüssel, Schlingel?

Pflichterer. Ja, liebe Schwester, wer hatte die Schlüssel? Rat! Hilf! (zu Starker) Sie ist doch eine vortreffliche Frau!

Starker. Die Schlüssel – hm – die Schlüssel? –

Konstanze. Nun, wie lange besinnt Er sich, bis Er weiß, wer seine Schlüssel hatte?

Starker. Hm, ich hatte die Schlüssel, natürlich! – hm – Die Frau Tante wissen, daß ich sie heut' früh der Fräulein Emilie lieh, um die Kellertüre aufzumachen.

Konstanze. Hat das was damit zu schaffen?

Starker (sich die Stirne reibend). Hm –

Konstanze (aufmerksamer). Der Emilie? Weiter, Starker!

Starker. Die Fräulein Emilie brachte den Schlüssel gegen Mittag zurück, sagt mein Fritz, und ich hab' ihn halb totgeschlagen. Nachher habe sie niemand mehr angerührt, sagt er. Aber ich will ihn gleich nochmals prügeln, wenn die Frau Tante befehlen.

Konstanze. Schon gut, geb! Er mir die Schlüssel! Und was hast du auf dem Herzen, Martin?

Pflichterer. Lies.

Konstanze (liest rasch). Ist das alles?

Pflichterer. Alles? Nicht genug? Der Staatsverbrecher los und Seine Durchlaucht da? Und das noch nicht genug!

Konstanze (trocken). Und wenn er uns morgen aufsuchte!?

Starker (wütend). Der soll sich blicken lassen! Das Halseisen schmier' ich heute nacht noch! Nein, ungeschmiert soll er's herumschleppen!

Pflichterer. Seine Durchlaucht meint sie ja. Starker, ist er denn ganz weg?

Konstanze. Allerdings, Martin, und wenn? Hast du vielleicht ein böses Gewissen, oder dein Starker? Ein Wunder wär's nicht. Deine leibliche Schwester so zu hintergehen!

Pflichterer. Und das Defizit im letzten Kassenabschluß!

Konstanze. Altes Kind! Brauchst du's ihm unter die Nase zu reiben?

Pflichterer. Nein! Aber hilf mir, rat mir, Konstanze! Du weißt wohl, du bist mein guter Engel. Sie ist mein guter Engel, Starker, Was soll ich tun, wenn er nun wirklich hereintritt – inkognito – in eigener Person?

Konstanze (verächtlich und ungeduldig). Tu, was er dir sagt. Mehr wird er nicht verlangen.

Pflichterer. Meinst du? Glaubst du wirklich? Starker, wir tun, was er uns sagt. Wie mir das auf einmal –

5. Szene.

Emilie (bleich und verstört, ein Billett in der Hand). Die Vorigen.

Konstanze. Wer hat dich gerufen, Emilie?

Emilie. Ein Mann, lieber Vater, – ein Mann gab dieses Billett eben bei Starkers ab. – (Für sich) Gott im Himmel, Wie sauer das Lügen ist!

Konstanze. Gib her und laß deinen Vater in der Amtsstube in Ruh'! (Liest.) Kurios! die Handschrift sollt' ich fast kennen! Ein Mann, sagst du?

Emilie. Ist's – (sehr verwirrt) – Ist's zu spät?

Konstanze. Etwas für Ihn, Starker. Der Mann schreibt: »Die Sorge um die Sicherheit der Stadt und um Ihre Ruhe« – er meint dich, Bruder.

Pflichterer. Meine Ruh' – o Gott, meine Ruh'!

Emilie. Lieber Vater, vielleicht ist's nicht so bedenklich.

Konstanze. Was? Weißt du, was das Billett enthält? – »um Ihre Ruhe nötigt mich, diese Zeilen an Sie zu richten. Ich bin versichert, daß Ihr Freund, Herr von Blumenreich, auf morgen früh mit einem fremden Herrn ein blutiges Zusammentreffen verabredet hat. Die Ehre unserer Stadt verlangt, daß Sie dasselbe um jeden Preis verhindern, – Ein Freund des Friedens. Nachschrift. Herr von Blumenreich wird unfehlbar im goldenen Hirsch zu finden sein.« Kurios! Eine Nachschrift, – die Handschrift und eine Nachschrift! (Sehr streng.) Emilie, war es ein Mann, der das Billett abgab, – ein wirklicher Mann?

Emilie. Gott – dem Vater wird übel!

Pflichterer. Blut – Blut! Mord und Totschlag, – nach 45 jähriger treuer Amtsführung! – Mord und Totschlag in Waldhausen und Seine Durchlaucht da! Emilie, Wasser!

Konstanze (geht auf und ab, wahrend sich Emilie und Starker mit Pflichterer beschäftigen, der in einem Stuhl liegt). Dahinter steckt etwas! – Eine Nachschrift! Die Hand ist verstellt, das sieht jedes Kind! Und der Affentreiber – ich wollt', ich hätte den Kerl gesehen, eh' ihn dieser Esel entwischen ließ. Seid ihr fertig miteinander? – Starker!

Pflichterer (schwach). Starker, meine Schwester!

Starker. Die Frau Tante befehlen?

Konstanze. Hat Er den Inhalt des Billetts verstanden?

Starker. Wie die Frau Tante befehlen!

Konstanze. Esel! Hat Er kapiert? (ihm an den Schädel klopfend). Hat Er begriffen, was in dem Wisch steht?

Starker. Halten's zu Gnaden, noch nicht.

Konstanze. So pass' Er auf!

Pflichterer. Pass' Er auf, Starker!

Konstanze. Der Baron im Goldenen Hirsch ist in Gefahr, von einem Unbekannten ermordet zu werden. Ist das klar!

Starker. Wenn ich nun doch einmal die Wahrheit sagen soll, Frau Tante: nein!

Pflichterer. Sag's ihm! Erklär's ihm, Konstanze! Mir ist, als ginge die Amtsstube mit mir im Kreis herum. Nach 45 jähriger treuer Amtsführung Mord, Revolution und Seine Durchlaucht, – Emilie! (Emilie beschäftigt sich eifrig über ihm.)

Konstanze. Räsonnier' Er nicht, Starker! Er geht in den Hirsch – sogleich! Er erkundigt sich bei dem Herrn Baron, ob was an der Sache ist, findet den Unbekannten und arretiert ihn.

Emilie (erschrocken). Aber könnte man nicht vielleicht ebensogut den – den andern – den Herrn Baron hierher bringen?

Starker. Mit dem größten Vergnügen, Fräulein Emilie. O, ich versteh'! Ich versteh'!

Konstanze. Halt Er's Maul und tu Er, was ich Ihm sage!

Starker. Wie die Frau Tante befehlen! O, ich versteh'! Er wird arretiert! Sie werden alle arretiert!

Konstanze. Mir gibt Er die Schlüssel zur Herrenstube. Der Kuckuck hat sein Spiel dort, wenn ich nicht finde, wie der Vagabund aus Euren tappigen Fingern geschlüpft ist. Jetzt marsch, fort! In zwei Stunden muß der Unbekannte in der Vogtei sein.

Starker. Meinen Hut, Fritz! O, ich versteh'! (zur Türe hinaus und die Treppe hinunter rennend, außen). Meinen Stock, Fritz! Meinen – meinen Amtsrock, Fritz! – Fritz! Fritz! Die Frau Tante befehlen! Fritz! Wo steckt der Lausbub?

6. Szene.

Konstanze. Und du, Bruder, wartest ruhig, bis Se. Durchlaucht kommen! Hast du mit Emilien gesprochen?

Pflichterer. Heute noch? Siehst du nicht, wie wir alle alteriert sind? O Konstanze, wenn du nur nicht so gar rasch wärest!

Konstanze. Ich bitt' dich, Bruder, tu, was ich dir sage. Ich rechne darauf, daß du tust, was ich dir sage. In diesem Punkt Hab' ich das Spaßen genug. Gute Nacht!

Pflichterer. Konstanze! Höre, liebe Konstanze! Noch ein Wort, beste Konstanze! (Konstanze ab. Pflichterer in den Stuhl zurücksinkend.)

7. Szene.

Emilie (die während der vorigen Szene seitab Umschläge zugerichtet hat). Pflichterer im Sorgenstuhl.

Emilie. Ist dir etwas wohler, lieber Vater?

Pflichterer. Wohler, gutes Kind? Kann's einem alten Mann nach 45 Jahren treuer Dienstzeit wohler sein?

Emilie. Ich meine: ist dir's besser als vorhin?

Pflichterer. Besser? 45 Jahre bin ich Amtsrichter gewesen in Waldhausen und hab' mich gequält und gemüht für meinen Herrn. 45 Jahre lang haben mir die Waldhäuser das Leben sauer gemacht und ich hab's geduldig getragen. Du nie, Emilie!

Emilie. O, nimm's nicht so schwer, guter, lieber Vater! Wer weiß –

Pflichterer. Ja, wer weiß? Du weißt freilich nicht, wie's einem Amtsrichter zumute ist, wenn er's zu guter Letzt mit aller Müh' und Not nicht weiter bringt, als daß Vagabunden losbrechen, Kommunisten den Staat unterwühlen und Barone ihres Lebens nicht mehr sicher sind! – Ich soll mit dir sprechen, Emilie!

Emilie. Du tust's, lieber Vater! Aber warte nur noch ein wenig, Hab' ein wenig Geduld! (Sehr bewegt.) Vielleicht – vielleicht ist's nicht so bös gemeint mit dem Zweikampf –, vielleicht ist der Vagabund kein Raubmörder –, vielleicht – wenn du's gar so schwer nimmst (ihm um den Hals fallend). – Ich will dir alles sagen –, dich kann ich nicht betrügen –, ich will dir alles entdecken –

Pflichterer (erschrocken). Sagen? Entdecken? Um Gottes willen – heute nicht! Emilie, bring deinen alten Vater nicht unter den Boden! Heute nicht! Morgen, zum Frühstück in Gottes Namen! Aber heute – nein, und wenn mich's die Ohren kostet: auch ich will heute nicht mit dir sprechen; 's ist genug für heute. Küss' mich, Emilie! Du allein von allen Menschen hast mich noch nie betrübt. – Küss' mich, gutes, gehorsames Kind!

Emilie (ihn zärtlich küssend). O Gott – wenn du wüßtest! Aber kann ich – kann ich anders?

8. Szene.

Franks Zimmer im Hirsch. Nacht.

Frank (Pistolen putzend). Weller (auf- und abgehend, mit Zeichen halb komischer, halb wirklicher Verlegenheit).

Weller. Und dann – das Pulver ist auch zu grob für einen Baron. Wart wenigstens, bis wir anderes Pulver bekommen können.

Frank. Ehrlich gesprochen: ich kann dich nicht begreifen. Eine so kleine Gefälligkeit! Mich in diesem Augenblick, wo mir in der Tat niemand als du aus der Verlegenheit helfen kann, – da mich förmlich stecken zu lassen! Ich begreif's nicht!

Weller. Begreif' ich's kaum.

Frank. Sieh, wenn du heute zu mir gekommen wärest und hättest mir gesagt: »Ein ordentlich gekleideter Halunke heißt mich einen Schuft und verlangt dafür eine Kugel in den Unterleib; ich kenne niemand in dem verfluchten Nest; tue mir den Gefallen und steh morgen etwas früher auf! Ich brauch' einen Sekundanten, damit niemand ausreißt, wenn der Schuß an mir ist!« Setz den Fall, Weller! Glaubst du wirklich, ich – aber sieh mich an, Alter; den Ofen geht's nichts an.

Weller. Der Teufel soll mich holen, wenn ich's tu'!

Frank. Zu weh möcht' ich deiner Bärenhaut nicht tun. Aber ich glaube, ich hab' dir Beweise gegeben, daß meine Freunde auf mehr rechnen dürfen.

Weller. Du tust meiner Bärenhaut zu weh. Du reiß'st sie mir in Fetzen.

Frank. Wenn ich den alten, guten Kern drunter finde, um so besser!

Weller. Um so schlimmer für dich! Willst du mich schinden, weil ich dir nicht an die Hand gehe, deinen Nebenmenschen zu ermorden?

Frank. Morden! Kinderei! Wer denkt an Morden?

Weller. »Nebenmensch« in mehr als der gewöhnlichen Bedeutung. Nebenmensch im tiefsten Sinn des Worts. Ist's nicht des Unsinns Quintessenz, daß zwei Wesen, deren höchste Sympathien sich in einem Brennpunkt begegnen, deren süßeste Träume um einen Engel schweben, deren heißeste Gebete einer Göttin gelten, daß diese beiden auf gegenseitige körperliche Züchtigung sinnen? Aber was nützt die Stimme des Predigers in der Wüste!

Frank (wirft die Pistolen auf den Boden). So bleibt's dabei.

Weller. Nein denn! Ich halt's nicht aus. Frank, du bist das unglückseligste Kamel, das je in Waldhausen um Geld zu sehen war. Dein Lebensglück liegt in Scherben, – du wolltest es so.

Frank. Sprich wie ein Mensch mit fünf Sinnen. Seit einer Stunde versteh' ich kein Wort von allem, was du sagst.

Weller. Hast du's so eilig, die Scherben zusammenzuklauben? Du wirst sie heulend aneinanderpassen und sagen: »So war's! Mein bester Freund wollte mir's ganz erhalten. Mutwillig hab' ich's ihm aus der Hand geschlagen.«

Frank. Die Verantwortung übernehme ich.

Weller. O eitler Stolz der Tugend, lächerlicher Hochmut vor dem Fall! Höre denn: du weißt, was dein Gegner und Nebenmensch morgen im Sinn hat. Der Staatsstreich ist gewagt; aber die Verhältnisse sind dringend. Eingeführt von seiner falschen Durchlaucht wird er in einer halben Stunde die letzte Schanze erstürmt haben. Der alte Amtsrichter – verzeih mir – ist ein Narr, die Tante ist im Komplott und du kannst deinen Affen heiraten, wenn dir der Pfarrer von Waldhausen den Trauschein nicht verweigert.

Frank. Ich zerschmettre dem Spitzbuben eine Rippe!

Weller. Du könntest ihm keinen größeren Dienst tun. Ich glaube, deine süße Emilie würde es unter diesen Umstanden für ihre Pflicht halten, das fehlende Glied zu ersetzen, wie weiland im Paradies ihre Ur – Ur – Ur – Urgroßmutter – –

Frank. Keine Rettung? Kein Rat? 's ist so verzweifelt wahr, was du sagst!

Weller. Beides! Aber du mit deiner afrikanischen Hitze schlägst alles zu Boden. Pass' auf und zerreiß' dann dein Hemd von oben bis unten, wenn du ein zweites besitzest. – Beschlossen war, daß eine Gegenmine springen sollte. Mich kennt man in der Vogtei nicht. Dem neuen Fürsten sehe ich ähnlich genug. Deine zwei Widersacher haben ihn jedenfalls so wenig gesehen als die Tante und der Alte. Gut! Sobald sie auf der Vogtei ihr Spielchen begonnen haben, fahren wir vierspännig vor und entlarven die Bösewichter. Ich, als der wirkliche Fürst, verspreche dich mit dem Leitstern deiner Kinderjahre und begründe eine allseitige und ewige Glückseligkeit.

Frank. Bist du toll?!

Weller. Jetzt bricht der Paroxysmus aus!

Frank. Weller, glaubst du wirklich, ich würde einer solch gemeinen Spitzbüberei, wie sie diese zwei Vagabunden ausgesonnen haben, mein Lebensglück verdanken wollen?

Weller. Gut, gut! Ganz gut! Das ist's eben, was wir erwarteten.

Frank. Was würde Emilie sagen, dieser Kristall von Reinheit, dieser Engel der Liebe und Zärtlichkeit für ihren wackren Vater? Könnte ich je wieder unter ihre Augen treten? – Wahnsinn! Wahnsinn! Wahnsinn!

Weller. Natürlich! Schlag zu! Schlag dein ganzes künftiges Lebensglück in Stücke! Schlag sie tot, die liebliche Kinderschar, die ich für dich aus dem Schoß der seligsten Zukunft gewissermaßen zu gebären im Begriff war! Aber recht hab' ich gehabt. Warum mußt' ich dir's vor der Zeit sagen!

Frank. Weller, ich weiß, du bist kein Spitzbube von Natur. Die Güte macht dich dazu. Aber – selbst wenn der Streich möglich wäre –

Weller. Es dämmert! »Möglich wäre« – der Gedanke war gut! Denk weiter!

Frank. Nie würde ich mich wie ein Dieb in mein Paradies schleichen.

Weller. So muß ich denn recht behalten. Ich sagt's zum voraus. Aber siehst du nun den Zusammenhang, armes, verblendetes Geschöpf? Wir hatten beschlossen –

Frank. Wer: wir?

Weller. Leute, die es besser mit dir meinen als du selbst. Beschlossen war, daß du durch mich morgen zur geeigneten Stunde in die Vogtei gelockt werden und daß du die nötigen Weisungen zwischen der Haus- und Salontüre erhalten solltest. Gut. Das hätte dich betäubt. Die Überraschung, der Schrecken, die Nähe des Himmels, – kurz, ehe du erwachst, ist der Feind geschlagen, die Schlacht gewonnen und deine Liebe gerettet.

Frank. Weller! Weller! Und mich heißen sie einen tollen Menschen!

Weller. Ich weiß, du kannst diese Art der Überrumpelung nicht ertragen. Dein guter, dicker Kopf kommt nicht nach und das hätte dich gerettet. Doch um zu Ende zu kommen: kann ich dem Feind morgens um sechs Uhr als dein Sekundant entgegentreten und mich mit ihm herumprügeln, wenn ich ihn um zehn Uhr als Durchlaucht niederschmettern soll? Siehst du nun?

Frank (abgewendet, mit sich selbst beschäftigt). Nie! nie!

Weller. O Blindheit! Seit einer Stunde marterst du meine Nerven mit deinen sanften Vorwürfen. Du hast eine verfluchte Manier, Frank. Ich wollte nicht sprechen. Ich schwur im stillen, ich wollte nicht sprechen. Aber, Himmel und Hölle! die Bärenhaut gab nach; alles hat seine Grenzen.

Frank. Und einen andern Rat habt ihr nicht? Keine Rettung?

Weller. Siehst du nicht an dem glänzenden Entwurf, daß wir an der Grenze menschlichen Witzes und irdischer Möglichkeit angelangt sind? Miet einen Drachen, und führ dein Lieb durch die Luft. Aber laß sie nicht fallen! Und frag den Drachen vorher, ob er auch moralisch lebt und die Wahrhaftigkeit liebt. O Blindheit! Blindheit!

Frank (abgewendet). Genug davon! Es bleibt dabei. Dort liegen die Pistolen.

Weller. Jetzt steh' ich zu allem zu Dienst. Wie steht das Wetter? Sieh mich an! Der Ofen hat jetzt auch nichts mit der Sache zu tun!

Frank. Auf Sturm, Alter! Auf Sturm steht das Wetter.

Weller. Wo bekommen wir den Chirurgen her?

Frank. Werden keinen brauchen. Der erste Schuß ist mein.

Weller. O Blindheit! Blindheit! Ein wenig Komödie spielen will er nicht. Aber seinen Nächsten über den Haufen schießen wie einen räudigen Hund, daraus macht sich die schöne Seele nichts.

9. Szene.

Minchen (hastig eintretend). Die Vorigen.

Minchen. Er muß fort – zum Fenster hinaus! Sie müssen fort, Herr Frank, – schnell, – kein Besinnen!

Weller. Du fällst wie eine Sternschnuppe in die Nacht unseres Daseins und er soll fort?!

Minchen. Keine Dummheiten jetzt, um Gottes willen! Oder dort hinein, lieber Herr Frank!

Weller. Minchen, du vergiß'st offenbar, daß die Bedeutung des Wortes »lieb« –

Minchen. Starker ist im Haus, der Stadtbüttel, und schreit nach jemand, – der Baron weist ihn hierher, – horch, es kommt! – Gehen Sie, gehen Sie!

Weller (unruhig). Ich glaube wirklich, es wäre das beste, du folgtest dem Rezept.

Frank (schwingt sich auf den Sims). Durchs Fenster also! Die Fenster in Waldhausen scheinen expreß für mich gemacht.

Minchen (eine Seitentür aufschließend). Nein, – hier hinein, Herr Frank; dieses Zimmer ist sicherer.

Weller. Würste drin und Sauerkraut, Schatz?

Minchen. Mein Schlafzimmer, Naseweis! Bist du nun zufrieden?

Weller. Nicht ganz! Frank, halt –

Minchen. Schnell, schnell, es klopft!

Frank. (verschwindend). Treues Mädchen!

Weller. So Gott will!

10. Szene.

Raufeck. Weller. Minchen.

Raufeck (die Tür öffnend, heftig, halblaut, heiser). Frank! Frank! Affentreiber! Löwenfänger! Ist der Goliath dieser Philister nicht aufzutreiben?

Minchen. Wen suchen Sie, Herr Raufeck?

Raufeck. Den Affentr – den Herrn Frank, mein Schatz! Man sagt mir, er sei hier, 's ist Feuer im Dach.

Minchen. Kann ich ihm etwas ausrichten?

Raufeck (von oben herab). Kind!

Minchen. Der Herr vielleicht?

Raufeck. Sie – wer sind Sie?

Weller. Tut nichts zur Sache. Betrifft es meinen Freund Frank?

Raufeck. Sehr genau. Sagen Sie ihm, es sei Feuer im Dach.

Weller. Damit ist ihm wenig gedient. Wollen Sie sich erklären?

Raufeck. Donnerwetter, diese Philister, – diese Herren begreifen langsam. Zu Erklärungen ist keine Zeit. Ein Spitzel ist im Haus. Er soll machen, daß er zum Teufel kommt.

Weller. Dazu jedenfalls hat er Zeit genug.

Raufeck. Sancta simplicitas! Doch Sie sehen aus wie ein ehrlicher Kerl und ich bin kein Hundsfott. Wissen Sie etwas von der Geschichte?

Weller. Welcher Geschichte?

Raufeck. Morgen früh um sechs?

Weller. Genug, um sie mit Ihnen zu besprechen!

Raufeck. Und die Pistolen dort! – Dann sind Sie sein Sekundant und mein Mann, Kurz, Blumenreich – ich glaub', es ist ihm in die Gedärme geschlagen; erst sudelt er ein Gedicht, sechs Bogen lang; jetzt will er sein Testament machen. Vor zehn Minuten kommt der Spitzel dieses Nestes auf unsere Bude, bittet um Erleuchtung in der interessanten Angelegenheit und Blumenreich sagt ihm – aber er ist krank, er hat das Delirium.

Weller. Blumenreich – ich will nicht hoffen – ?

Raufeck. Ich bin kein Hundsfott, Herr, und wenn Ihr Freund, der Affen – der Löwenschläger, mit mir vorliebnehmen will, so – (wütend) so ist er »ein dummer Junge« und ich werde morgen früh auf dem Platz sein.

Weller. Allzu gütig! Und das ist alles?

Raufeck. Denken Sie von der Geschichte, was Sie wollen. Blumenreich ist krank. Er macht Gedichte und ist krank. Ich konnt's nicht vermeiden. Jeden Augenblick kann der Esel der Gerechtigkeit eintreten.

Weller. Und Sie wollten uns die unangenehme Begegnung ersparen?

Raufeck. Ihre Hand, Herr! Zu sagen brauchen Sie's niemand. Er ist krank, und wenn Ihr Freund morgen früh Lust hat, – ich glaub', der Kerl fällt eben die Treppe herauf – (rasch ab).

11. Szene.

Weller. Minchen.

Weller. Hast du verstanden, was das Bierfaß sagen wollte?

Minchen. Der Baron hat euch verraten. Was ist nun zu tun?

Weller (resigniert). Nichts! Lassen wir ihn wieder einstecken!

Minchen. Herrn Frank? Bist du außer dir?

Weller. Er will nicht.

Minchen. Das glaub' ich.

Weller. Er will morgen nicht. Er will nicht auf unsern Plan eingehen.

Minchen. Himmlische Güte! Das ist ja gar nicht möglich. Wo ist er? Laß ihn mir, nur drei Minuten. Er muß wollen.

Weller. Wenn du hexen kannst. Freilich, du kannst's. Aber was fangen wir mit dem Büttel an in der Zwischenzeit?

Minchen. Schieb ihn in ein Ofenloch.

Weller. Er wird Lärm machen.

Minchen. Kannst du ihm nicht das Maul stopfen? O Männer! Müssen wir alles tun?

Weller. Im Hinterhaus hört ihn niemand. Man denkt, es sei der Affe. Kann man ihn nicht dorthin bringen?

Minchen (aufjubelnd). O himmlische Güte, der Gedanke ist ein Dutzend Küsse wert. Geh, – faß ihn ab, lock ihn zu dem Affen; er findet Gesellschaft; – geschwind! er kommt!

Weller. Gesellschaft?

Minchen. Frag nicht, – geh! Die Barone haben den Postillon betrunken gemacht; 's war auch eine Spitzbüberei dahinter, etwas mit Briefen oder Zeitungen. Vor einer halben Stunde hab' ich ihn in die Waschkammer bringen lassen. Geh, – hier ist der Schlüssel, geh!

Weller (unter der Türe). Und wenn du hexen kannst, Schatz, dann –

Minchen. Schon recht. Sieh dich nicht um! Steck ihn hinein und schließ ab!

(Weller ab.)

12. Szene.

Frank (aus dem Nebenzimmer wieder hervortretend). Minchen (lebhaft erregt, lacht laut und wird dann ernster).

Minchen. Und er will nicht! (Sich umwendend und Frank erblickend). Sie wollen nicht?

Frank (ernsthaft und warm). Tadeln Sie mich?

Minchen. Was würde es auch nützen, wenn wir armen Mädchen diese gewaltigen Herren der Schöpfung tadelten? Sie gehen so ruhig ihre Wege, sie sagen sich jeden Morgen, was heute für sie recht und gut ist, und das muß natürlich für den Rest der Welt ebenfalls gut und recht sein. Warum nicht?

Frank. Wenn Sie wüßten, wie weit ich im Augenblick von diesem Gefühl der Sicherheit bin!

Minchen. Ob wir Sie tadeln? Komische Frage! Ob darüber unser Glück und unsre Hoffnungen zugrunde gehen, ob darüber ein kleines Unglück passiert und ein Herz bricht, was kümmert das Sie?

Frank. Aber die Frage ist eine ganz andere!

Minchen. Weil es sich um Ihr Glück handelt?

Frank. Liebes Fräulein, – Gott weiß, ich bin in dieser Sache kein Egoist! Aber – nein, ich will jetzt keine Gründe dafür und dawider hören! Sie sind ihre Freundin, Minna! In Ihren lieben, unschuldigen Zügen, in Ihren treuen Augen liegt nicht ein Funke von Falschheit! Sehen Sie mich an und sagen Sie mir: kann ich's vor ihr verantworten? Kann ich's tun?

Minchen. O, wenn Sie nur eine Idee von dem Ding hätten, was wir Liebe heißen, Sie Stockfisch! Aber so war' es freilich besser, Sie ließen das arme Mädchen sitzen –

Frank. Sehen Sie mich an! Sagen Sie: ja oder nein!

Minchen. – oder ließen sie dem Baron; der hat sie gerner!

Frank. Unerträglich, unerträglich! Helfen Sie!

Minchen. Nun denn, ich sage: ja! Ist das alles, was Sie wissen wollen? Ich glaubte Wunder, wie wir zu kämpfen hätten!

Frank (sich umdrehend und hinter den Ohren kratzend). O Mädchen! Mädchen! Mit euern verzweifelten Augen! Einem Tiger seh' ich ruhig ins offene Gebiß, – aber euch –!

13. Szene.

Waschkammer. Im Hintergrund eine geschlossene, im Vordergrund links eine kleine offene Türe. Rechts eine Bank und ein Tisch.

Schnell (am Tisch sitzend, den Kopf auf den Armen, halb schlafend und sich unruhig bewegend).

Schnell. Hist, hist, Scheck! – Langsamer, Hansel, langsamer! – Mir ist – o mir ist schlecht! Den Briefbeutel – die Gänse sind im Briefbeutel, Frau Tante. – Prrr! – die Zeitungen für den Herrn Baron! – alle Zeitungen für den Herrn Baron! Ja, warum denn das nicht, und sonst alles! – Noch einen Schnaps, Scheck, – der Schnell – der Schnell ist ein Mordskerl, – ein Mordskerl! – Prrr – (sinkt schlafend zurück; aus der Seitentüre kommt der Affe, springt auf den Tisch, sieht Schnell lang an, macht dann lebhafte Erkennungszeichen und zieht sich bei Geräusch des sich öffnenden Schlosses wieder in die Nebenkammer zurück).

14. Szene.

Starker und Weller (an der Türe im Hintergrund erscheinend; Weller tritt jedoch nicht über die Schwelle).

Weller. Hier glaubt er sich sicher. Treten Sie ein; aber leis, – er schläft.

Starker. Wollen Sie nicht zuerst eintreten, Euer Gnaden?

Weller. Rasch, Herr Polizeidirektor, die Minuten sind kostbar!

Starker (schüchtern eintretend). Ja, – dort liegt er! Wenn er nur nicht so groß wäre! Ich hoffe, er wird keinen Widerstand wagen. Es wäre ja wahnsinnig!

Weller. Leiser, leiser! Wir haben einen glücklichen Augenblick getroffen.

Starker. Ich versteh' das Handwerk. Er schnarcht wie ein Bär.

Weller. Ein verhärteter Bösewicht! Er ist nicht zu bedauern.

Starker. Bedauern? ein Affentreiber!

Weller. Tun Sie Ihre Pflicht!

Starker. Ja, aber lassen Sie die Türe offen!

Weller. Wenn er entwischte!

Starker. Ach! nicht für ihn, – für uns!

Weller. Schon gut!

(Starker nähert sich schnell auf den Zehen. Weller verschwindet durch die Türe, die sich lautlos schließt.)

15. Szene.

Starker und Schnell.

(Starker bleibt eine Zeitlang unschlüssig vor Schnell stehen. Plötzlich beugt er sich auf ihn nieder und prallt mit einem Schrei zurück. Schnell richtet sich langsam auf und stiert Starker an. Der Tisch steht zwischen Beiden.)

Schnell (ruhig, allmählich ins Feuer geratend, aber ohne seinen Platz zu verlassen). Holla! ein neuer Passagier! – Oho, Scheck! langsam! langsam! – Wo kommt denn Er her, Musje Starker? – Heiliges Donnerwetter – wo sind wir denn eigentlich, – sind wir allein?

Starker (sehr überrascht, ängstlich). Herr Schnell, sieht Er wohl, – ich bin hier in der Ausübung meines Amtes –

Schnell (boshaft). Richtig! Daran will ich eben auch gehen, Herr Starker! Hab' ich's nicht versprochen, wenn ich Ihn einmal allein hinter einer Hecke fände? Und wenn ich mein Amt auf Seinem Buckel nicht ausübe, so will ich samt dem Mädel verdammt sein! – Was hat Er sich in meine Geschäfte zu mischen, he? Was hat Er mich bei den Leuten schlecht zu machen und mir das Mädel abzuschwatzen, das von Gott und Rechts wegen mein ist? Wetter noch einmal! Das soll mir wohltun! Ich glaub', ich könnt' gerad' den Münchinger Omnibus mit dem Daumen in den Boden schlagen; und wenn's keine Stuhlfüße in dem verfluchten Loch gibt, schlag' ich ihm die eigenen Beine um die Ohren, daß – (während der Rede hat sich Schnell langsam am Tisch aufgerichtet, so daß Starker in starrem Schrecken zurückweicht. Mit einem Satz springt in diesem Augenblick der Affe aus der Nebenkammer auf den Tisch und sieht Beide grinsend an. Schnell sinkt auf die Bank zurück. Starker stürzt nach der Türe).

16. Szene.

Der Affe. Die Vorigen.

Starker (wütend an der Türe trommelnd). Auf! auf! auf! Um Gottes Barmherzigkeit willen – auf! Herr Baron! Euer Gnaden! Machen Sie auf! – Es ist ein Mißverständnis, es ist nicht der Affentreiber, es ist der Herr Affe, es ist das Tier! – Euer Gnaden, es ist das Tier! Auf – auf – auf!

Schnell (teilweise zugleich mit dem Vorigen). Alle Wetter. ist der Musje auch da? – Da sind wir alle drei wieder beieinander! (Mit dem Affen sprechend.) Braucht das Gegrins nicht! wir kennen uns! – Aber jetzt sollt ihr sehen, ihr zwei Lumpenhund', wer Meister ist! Trommle drauf los und mach die Hosen voll, alter Flurschütz! Der Kleine kommt zuerst. (Wütend.) Was braucht's das Gegrins! Das für dich, haariger Teufel!

(Er schlägt nach dem Affen, der mit einem Sprung ausweicht. Die Faust trifft den Tisch, welcher zusammenbricht. Schnell und der Affe ergreifen je ein Tischbein und jagen sich fluchend, kreischend und schreiend in der Stube herum.)

Starker (fortwährend trommelnd). Auf – auf – auf! Hilfe der Obrigkeit! – Schlagen Sie ihn tot, bester Herr Schnell! Werfen Sie nach ihm! Au, au! er hängt an meinen Hosen! Hilfe! Hilfe!

Schnell. Ich wollt', er zerriss' dir die Kutteln! (wirft den Prügel nach dem Affen, der Starker trifft).

Starker. O Herr Gott, Herr Gott! Mein Oberschenkel ist abgeschlagen. Hilfe, Hilfe!

(Der Affe, etliche Mal getroffen, retiriert in die Nebenkammer; Schnell ihm nach; ein Höllenlärm entsteht daselbst.)

Starker (wirft sich auf die Knie). O heiliger Nepomuk, erlös' mich aus dieser Not, und laß ihn gewinnen; heiliger Ritter Georg, der du den Drachen überwunden –

Schnell (wieder aus der Nebenkammer hervorstürzend, unbewaffnet. Der Affe mit beiden Prügeln hinter ihm her). Platz, Platz, aus dem Weg! (Sie jagen sich in der Kammer umher. Beide verschwinden wieder in der Nebenkammer. Man hört etliche gewaltige Schläge).

Starker. Ihr Heiligen allesamt, wenn's eine himmlische Polizei gibt, schickt sie in dieses Loch und erlöst wenigstens mich! Ritter Georg, Ritter Georg! Zehnmal lieber den Lümmel als dieses fremde Tier! Verleih ihm den Sieg!

(Der Affe, hinkend und heulend, kommt wieder, von Schnell schwer bedrängt. Über den knienden Starker springend, weiß er sich einige Augenblicke zu schützen. Starker wird zu Boden geschleudert und Affe und Schnell verschwinden abermals. Was Geheul und der Lärm wird schwächer.)

Starker (fortwährend auf den Knien). Sieg! Sieg! O ihr himmlischen Mächte, laßt die Unschuld siegen! Nie will ich wieder Amtsholz stehlen, nie Mädel einstecken, wenn sie's nicht verdient haben! Laßt ihn nicht ermatten! – Schlagen Sie drauf, Herr Schnell; ich glaube, er stirbt! – Heiliger Ritter des Lindwurms, steh ihm bei! (Er stößt einen gellenden Schrei aus.) Jesus, Maria und Joseph!

(In diesem Moment fliegt der Kadaver des Affen aus der Nebenkammer an den Kopf Starkers, der ohnmächtig zusammenbricht; er und der Affe liegen nebeneinander regungslos auf dem Boden.)

Schnell (triumphierend hervortretend). Alle Wetter! Wenn das Mädel das sieht und mich immer noch nicht will, hat sie kein menschlich Eingeweid' im Leib!


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