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Dies waren die fünf Männer, die Alraune ten Brinken liebten: Karl Mohnen, Hans Geroldingen, Wolf Gontram, Jakob ten Brinken und Raspe, der Chauffeur.
Von ihnen allen spricht des Geheimrats brauner Lederband, und von ihnen allen muß man erzählen in der Geschichte der Alraune.
Raspe, Matthieu-Maria Raspe, kam mit dem Opelwagen, den ihr die Fürstin Wolkonski zum siebzehnten Geburtstage schenkte. Er hatte bei den Husaren gedient und mußte nun auch dem alten Kutscher mit den Pferden helfen. Er war verheiratet und hatte zwei kleine Buben; Lisbeth, seine Frau, übernahm die Wäscherei im Hause ten Brinken. Sie wohnten in dem kleinen Hause, das neben der Bibliothek lag, dicht an dem eisernen Eingangstor zum Hofe.
Matthieu war blond und war groß und stark. Er verstand seine Arbeit, mit dem Kopf wie mit der Hand, und seinen Muskeln gehorchten die Pferde, wie es die Maschine tat. Früh am Morgen sattelte er die irische Stute seiner Herrin, stand im Hofe und wartete.
Langsam kam das Fräulein die Steintreppe hinab vom Herrenhause. Kam als Junge, in gelben Ledergamaschen und grauem Reitanzug; die kleine Schirmmütze über den kurzen Locken. Sie stieg nicht in den Steigbügel, ließ ihn seine Hände hinhalten, trat hinein und blieb so eine kurze Sekunde, ehe sie sich hinaufschwang in den Herrensattel. Dann schlug sie das Tier mit der scharfen Peitsche, daß es aufsprang und hinausjagte durch das offene Tor. Matthieu-Maria hatte alle Not, ihr nachzukommen auf seinem Wallach.
Die braune Lisbeth schloß das Tor hinter ihnen. Sie preßte die Lippen aufeinander und sah ihnen nach – ihrem Mann, den sie liebte, und dem Fräulein ten Brinken, das sie haßte.
Irgendwo auf den Wiesen machte das Fräulein halt. Wandte sich, ließ ihn herankommen.
»Wohin reiten wir heute, Matthieu-Maria?« fragte sie.
Und der sagte: »Wohin das Fräulein befehlen.«
Dann riß sie die Stute herum, galoppierte weiter. »Hopp, Nellie!« rief sie.
Raspe haßte diese Morgenritte nicht weniger, als es seine Frau tat. Es war, als ob das Fräulein allein ritt, als ob er nur Luft, nur ein Stück Staffage in der Landschaft sei, oder auch, als ob er gar nicht existierte für seine Herrin. Dann aber, wenn sie sich um ihn bekümmerte für kurze Augenblicke, dann empfand er das noch unangenehmer. Denn es war gewiß, daß sie wieder etwas Absonderliches von ihm verlangte.
Sie hielt am Rhein, wartete ruhig, bis er ihr zur Seite war. Er ritt langsam genug, wußte, daß sie irgendeine neue Laune hatte, hoffte auch wohl, daß sie darauf vergessen möge diesmal. Aber sie vergaß nie eine Laune.
»Matthieu-Maria«, sagte sie, »wollen wir hinüberschwimmen?«
Er machte Einwände, aber er wußte von vornherein, daß sie nichts nutzen würden. Die Böschung drüben sei zu steil, sagte er, man würde nicht hinaufkommen. Auch sei gerade hier die Strömung so reißend und ...
Er ärgerte sich. Alles war so zwecklos, was seine Herrin machte. Warum denn nur durch den Rhein reiten? Naß wurde man und fror, konnte froh sein, wenn man mit einem Schnupfen davonkam. Riskierte dabei zu ersaufen – um nichts und wieder nichts. Und er nahm sich fest vor, zurückzubleiben – mochte sie doch ihre Narrheiten allein treiben. Er hatte Frau und Kind ...
So weit kam er – dann ritt er doch in die Fluten. Trieb weit hinunter mit dem schweren Mecklenburger, hatte alle Mühe, irgendwo zwischen den Klippen ans Ufer zu gelangen. Schüttelte sich und fluchte, ritt im scharfen Trabe den Strom hinauf, seiner Herrin zu. Die sah ihn kaum an, mit einem raschen spöttischen Blick.
»Naß geworden, Matthieu-Maria?«
Er schwieg, verletzt und verärgert. Warum nannte sie ihn beim Vornamen, warum sagte sie »du« zu ihm? Er war Raspe, war Chauffeur und Pferdeknecht. Sein Hirn fand ein Dutzend gute Antworten, aber seine Lippen sprachen sie nicht.
Oder sie ritten zum Sand, wo die Husaren übten. Das war ihm noch fataler, manche der Offiziere und Unteroffiziere kannten ihn von der Zeit her, als er im Regimente diente. Und der schnauzbärtige Wachtmeister der zweiten Schwadron rief ihm höhnisch herüber: »Na, Raspe, wieder einmal ein bißchen mittun?«
»Hol der Teufel das verrückte Weibsstück!« brummte Raspe, aber er galoppierte doch hinterher, wenn das Fräulein die Attacke zur Seite mitritt.
Dann kam Graf Geroldingen, der Rittmeister, auf seinem englischen Schecken, plauderte mit dem Fräulein. Raspe blieb zurück, aber sie sprach so laut, daß er's hören mußte: »Nun Graf, wie gefällt Ihnen mein Knappe?«
Der Rittmeister lächelte: »Prächtig! Paßt zu dem jungen Prinzen.«
Raspe hätte ihn ohrfeigen mögen und das Fräulein dazu – und den Wachtmeister und die ganze Schwadron, die ihn angrinste. Er schämte sich, ward rot wie ein Schuljunge.
Aber schlimmer war es, wenn er nachmittags mit ihr fahren mußte im Auto. Er saß auf seinem Sitz am Steuer und schielte nach der Türe, seufzte erleichtert, wenn irgend jemand mit ihr hinaustrat; unterdrückte einen Fluch, wenn sie allein kam. Oft stellte er sein Weib an, um herauszubringen, ob sie allein fahren würde; dann nahm er schnell ein paar Teile aus der Maschine, legte sich platt auf den Rücken, schmierte und fegte, tat, als ob er etwas reparieren müßte.
»Wir können heute nicht fahren, Fräulein«, sagte er. Und er lachte vergnügt, wenn sie aus der Garage war. Dann wieder ging es ihm nicht so gut. Sie blieb ruhig da, wartete. Sie sagte nichts, aber es war ihm, als verstände sie gut seinen Schwindel. So setzte er, langsam genug, seine Schrauben zusammen.
»Fertig?« fragte sie. Und er nickte.
»Siehst du«, sagte sie, »es geht besser, wenn ich dabei bin, Matthieu-Maria.«
Wenn er zurückkam von diesen Fahrten, wenn sein Opelwagen wieder unter Dach stand und er sich niedersetzte an den Tisch, den seine Frau ihm gedeckt, zitterte er manchmal. Er war bleich, und seine Augen blickten starr, Lisbeth fragte ihn nicht; sie wußte, was es war.
»Das verdammte Weibsbild!« murmelte er. – Sie holte ihm die blonden, blauäugigen Buben, weiß in frischen Nachtkitteln, setzte ihm einen auf jedes Knie. Da wurde ihm froh und leicht mit den lachenden Kindern. Und wenn die Knaben im Bett lagen, wenn er draußen auf der Steinbank saß und seine Zigarre rauchte, wenn er durchs Dorf schlenderte, oder durch den alten Garten der ten Brinken, dann überlegte er mit seiner Frau. »Es kann kein gutes Ende nehmen«, sagte er. »Sie hetzt und hetzt – kein Tempo ist ihr schnell genug. Vierzehn Protokolle in drei Wochen ...«
»Du brauchst sie nicht zu zahlen«, sagte Frau Lisbeth.
»Nein«, sagte er, »aber ich bin verschrien überall. Die Gendarmen nehmen schon ihr Notizbuch heraus, wenn sie nur den weißen Wagen sehen und die I. Z. 937!« Er lachte. »Na, bei der Nummer irren sie sich ausnahmsweise nicht! – Wir verdienen wenigstens unsere Protokolle.«
Er schwieg, zog einen Schraubenschlüssel aus der Tasche und spielte damit. Seine Frau schob ihren Arm unter den seinen, nahm ihm die Mütze ab und strich ihm das wirre Haar zurück. »Weißt du eigentlich, was sie will?« fragte sie. Gab sich Mühe dabei, ihre Stimme harmlos und gleichgültig klingen zu lassen.
Raspe schüttelte den Kopf. »Nein, Frau, das weiß ich nicht. Sie ist verrückt – das ist es. Und sie hat eine verdammte Art, daß man alles tun muß, was sie will, ob man sich auch noch so dagegen wehrt und genau weiß, daß es Unfug ist. Heute ...«
»Was hat sie heute gemacht?« fragte Frau Lisbeth.
Und er sagte: »Oh – nicht mehr als sonst. Sie kann kein Auto vor sich fahren sehen – sie muß es überholen und wenn es dreißig Pferdekräfte mehr hat als unseres. Ketschen nennt sie das. ›Ketsch es!‹ sagt sie zu mir, und wenn ich zögere, legt sie leicht die Hand mir auf den Arm. Da leg' ich los, als ob der Teufel selbst die Maschine steure.«
Er seufzte, klopfte sich die Zigarrenasche von der Hose. »Immer sitzt sie neben mir«, fuhr er fort, »und schon, daß sie nur dasitzt, macht mich unruhig und nervös. Ich denke nur, was sie mir diesmal für einen Blödsinn befehlen wird. Hindernisse nehmen – das ist ihre größte Freude – Planken, Sandhaufen und solche Dinge. Verdammt, ich bin nicht feige – aber es muß doch irgendeinen Zweck haben, wenn man jeden Tag sein Leben riskiert. – ›Fahr nur‹, sagte sie neulich, ›mir passiert nichts!‹ Sie ist seelenruhig, wenn sie im Hundertkilometertempo über einen Chausseegraben springt – schon möglich, daß ihr nichts passieren kann! – Aber ich schlag' mich zuschanden – morgen oder übermorgen!«
Frau Lisbeth preßte seine Hand. »Du mußt es versuchen, ihr einfach nicht zu gehorchen. Sag nein, wenn sie etwas Dummes will! Du darfst dein Leben nicht so aufs Spiel setzen, das bist du uns schuldig – mir und den Kindern.«
Er sah sie an, still und ruhig. »Ja, Frau, das weiß ich. Euch – und auch mir selbst am Ende. – Aber schau, das ist es ja gerade: Ich kann dem Fräulein nicht nein sagen. Niemand kann es. Wie ihr der junge Herr Gontram wie ein Hündchen nachläuft, wie all die andern froh sind, ihre närrischen Launen zu erfüllen! Und keiner von allen Leuten im Hause mag das Fräulein leiden – dabei tut doch ein jeder, was sie will, und wenn es noch so dumm ist und abgeschmackt.«
»Falsch!« sagte Frau Lisbeth. »Froitsheim, der Kutscher, tut das gar nicht.«
Er pfiff. »Froitsheim! Da hast du recht. Der dreht sich um und geht weg, wenn er sie nur sieht. Aber er ist bald neunzig Jahre alt und hat schon lange kein Blut mehr.«
Sie sah ihn groß an. »Dann kommt es – vom Blut, Matthieu, daß du ihren Willen tun mußt?«
Er wich ihr aus, suchte mit den Augen auf dem Boden. Dann aber nahm er ihre Hand, blickte sie voll an. »Ja, siehst du, Lisbeth, ich weiß es nicht. Ich hab' schon oft darüber nachgedacht, was es eigentlich ist. Ich könnte sie erwürgen, ich ärgere mich über sie, wenn ich sie sehe, und wenn sie nicht da ist, laufe ich herum voller Angst, sie möchte mich doch rufen lassen.«
Er spie auf den Boden. »Verflucht noch mal!« rief er. »Ich wollte, ich wäre diese Stelle los! Wollte, ich hätte sie nie angenommen!«
Sie überlegten, drehten es hin und her, wogen jedes Für ab und jedes Wider. Und sie kamen zu dem Schlusse, daß er kündigen solle. Vorher aber sollte er sich nach einer andern Stelle umsehen, sollte gleich morgen deshalb in die Stadt gehen.
In dieser Nacht schlief Frau Lisbeth ruhig, zum ersten Male seit Monaten; Matthieu-Maria aber schlief gar nicht.
Er bat um Urlaub am nächsten Morgen, und er ging in die Stadt zum Vermittlungsbüro. Er hatte großes Glück, der Agent nahm ihn gleich mit zum Kommerzienrat Soenneken, der einen Chauffeur suchte, und stellte ihn vor. Raspe wurde engagiert, er bekam ein besseres Gehalt als bisher und dazu weniger Arbeit, auch mit Pferden hatte er nichts zu tun.
Als sie aus dem Hause traten, gratulierte ihm der Vermittler. Raspe sagte: »Danke« – aber er hatte ein Gefühl, als ob gar nichts da sei, für das er sich zu bedanken habe, und als ob er diese neue Stelle nie antreten würde.
Doch freute es ihn, wie er seiner Frau Augen glücklich leuchten sah, als er es ihr erzählte. »In vierzehn Tagen also!« sagte er. »Wenn nur diese Zeit erst vorüber wäre!«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie fest, »nicht erst in vierzehn Tagen – morgen schon! Sie müssen es erlauben, du mußt mit dem Geheimrat sprechen.«
»Das nützt gar nichts«, antwortete er. »Der wird mich an das Fräulein weisen – und ...«
Frau Lisbeth griff seine Hand: »Laß nur!« schloß sie. »Ich werde selbst mit dem Fräulein reden.«
Sie ließ ihn stehn, ging über den Herrenhof, ließ sich melden. Und während sie wartete, überlegte sie genau, was sie alles sagen wollte, um ihre Bitte durchzusetzen, gleich morgen gehen zu dürfen.
Aber sie brauchte gar nichts zu sagen. Das Fräulein hörte nur, daß er gehen wolle, ohne Kündigung; nickte kurz und sagte, daß es gut sei.
Frau Lisbeth flog zurück zu ihrem Manne, umhalste, küßte ihn. Nur eine Nacht noch – dann sei der böse Traum vorbei. Und man müsse gleich packen – und er solle dem Kommerzienrat telefonieren, daß er morgen schon seine Stellung bei ihm antreten könne. Sie zog den alten Koffer unter dem Bette hervor; ihr heller Eifer steckte ihn an.
Er schleppte seine eisenbeschlagenen Kisten heran, staubte sie aus, half ihr beim Packen. Reichte ihr alles zu, lief zwischendurch ins Dorf, bestellte einen Karren, der ihre Siebensachen fortschaffen sollte. Und er lachte und war zufrieden – zum ersten Male in diesem Hause ten Brinken.
Dann, als er die Kochtöpfe vom Herde nahm, eindrehte in Zeitungspapier, kam Aloys, der Diener. Er meldete: »Das Fräulein will ausfahren.«
Raspe starrte ihn an, sprach kein Wort. »Fahr nicht!« rief seine Frau.
Und er sagte: »Bestellen Sie dem Fräulein, daß ich heute nicht mehr ...«
Er endete nicht; Alraune ten Brinken stand in der Türe.
Sie sagte: »Matthieu-Maria, ich hab' dich zu morgen entlassen. Heute will ich mit dir fahren.«
Dann ging sie, und hinter ihr ging Raspe.
»Fahr nicht – fahr nicht!« schrie Frau Lisbeth. Er hörte es wohl, aber er wußte nicht, wer es rief, noch woher es kam.
Frau Lisbeth ließ sich schwer auf die Bank fallen. Sie hörte die Schritte der beiden, über den Hof hin, der Garage zu. Sie hörte, wie das Eisentor sich öffnete, hörte das Auto, das hinausfuhr auf die Dorfgasse. Und sie hörte weiter noch einen kurzen Schrei der Hupe.
Das war der Abschiedsgruß, den ihr Mann ihr zurief, jedesmal, wenn er hinausfuhr durch das Dorf.
Sie saß da, beide Hände im Schoß. Wartete.
Wartete, bis sie ihn brachten. Vier Bauern trugen ihn, auf einer Matratze. Legten ihn mitten ins Zimmer, zwischen die Kisten und Kasten. Zogen ihn aus, halfen ihn waschen, wie es der Arzt befahl. Einen langen weißen Körper, voll von Blut, Staub und Schmutz.
Frau Lisbeth kniete bei ihm, wortlos, ohne Tränen. Der alte Kutscher kam, nahm die schreienden Knaben hinüber. Dann gingen die Bauern und endlich auch der Arzt. Sie hatte ihn nicht gefragt, mit Worten nicht und nicht mit Blicken. Sie wußte die Antwort, die er geben würde.
Einmal, mitten in der Nacht, erwachte Raspe, schlug die Augen auf. Er erkannte sie, bat sie um Wasser. Und sie gab ihm zu trinken.
»Es ist aus«, sagte er leise.
Sie fragte: »Wie kam es?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Das Fräulein sagte: ›Fahr zu, Matthieu-Maria.‹ Ich wollte nicht. Da legte sie ihre Hand auf meine, und ich fühlte sie durch den Handschuh. Dann fuhr ich. Sonst weiß ich nichts mehr.«
Er sprach so leise, daß sie ihr Ohr dicht an seinen Mund legen mußte. Und wie er schwieg, flüsterte sie: »Warum tatest du es?«
Wieder bewegte er die Lippen. »Verzeih mir, Lisbeth! Ich – ich mußte es tun. Das Fräulein –«
Sie sah ihn an, schrak heiß auf über den Glanz in seinen Augen. Und sie rief – oh, so plötzlich war der Gedanke, daß ihre Zunge ihn sprach, fast ehe ihr Hirn ihn gedacht –: »Du – du liebst sie?«
Da hob er, nur um Daumenbreite, den Kopf. Und er murmelte: »Ja – ja! Ich – fuhr – mit ihr.«
Das war das Letzte, was er sprach. Er sank zurück in seine tiefe Ohnmacht, blieb liegen so bis zum frühen Morgen. Schlummerte dann langsam hinüber.
Frau Lisbeth stand auf.
Sie lief zur Tür, dem alten Froitsheim in die Arme. »Mein Mann ist tot«, sagte sie. Und der Kutscher schlug ein großes Kreuz, wollte an ihr vorbei in die Stube. Aber sie hielt ihn zurück. »Wo ist das Fräulein?« fragte sie schnell. »Lebt sie? Ist sie verletzt?«
Tiefer gruben sich die tiefen Furchen in das alte Gesicht. »Lebt sie? – Ob sie lebt? Da steht sie ja! Verletzt? Nicht eine Schramme – nur ein bißchen schmutzig war sie!« Und er wies mit zitternder Gichthand hinunter in den Hof.
Da stand das schlanke Fräulein in ihrem Knabenanzug. Hob den Fuß, setzte ihn einem Husaren in die Hände, schwang sich in den Sattel ...
»Sie hat dem Rittmeister telefoniert«, sagte der Kutscher, »daß sie keinen Reitknecht habe zu heute morgen. Da hat der Graf seinen Burschen herausgeschickt.« Frau Lisbeth lief über den Hof: »Er ist tot!« rief sie. »Mein Mann ist tot.«
Alraune ten Brinken wandte sich im Sattel, winkte mit der Reitgerte. »Tot«, sagte sie langsam. »Tot – es ist wirklich schade.« Sie schlug leicht ihr Pferd, führte es im Schritt dem Tore zu.
»Fräulein«, schrie Frau Lisbeth. »Fräulein, Fräulein ...«
Doch die Hufe schlugen die alten Steine, kleine Funken sprühten herum. Und wieder, wie so oft, sah sie das Fräulein wie einen braungelockten Knaben durch die Dorfgasse traben, frech und keck, wie ein hochmütiger Prinz. Aber ein blauer Königshusar folgte hinter ihr, und nicht mehr ihr Mann – Matthieu-Maria Raspe ...
»Fräulein!« schrie ihre wilde Angst. »Fräulein – Fräulein ...«
Frau Lisbeth lief zum Geheimrat, strömte über von aller Verzweiflung und allem Haß. Der Geheimrat ließ sie ruhig reden, sagte, daß er ihren Schmerz verstehe und ihr all das nicht übelnehmen wolle. Auch sei er bereit, trotz der Kündigung, ihr noch ein Vierteljahr den Lohn ihres Mannes zu zahlen. Aber sie solle vernünftig sein und einsehen, daß er die Schuld trage an dem Unglück ...
Sie lief zur Polizei; da waren sie nicht so höflich. Sie hätten es kommen sehen, sagten sie, und jeder Mensch wisse, daß der Raspe der wildeste Fahrer gewesen sei am ganzen Rhein. Es sei eine gerechte Strafe, und sie hätte die Pflicht gehabt, ihn beizeiten zu warnen. Ihr Mann allein trage die Schuld, sagten sie, und sie solle sich schämen, dem jungen Fräulein die Sache in die Schuhe zu schieben! Habe die etwa am Steuer gesessen? Gestern? Überhaupt?
Und sie lief in die Stadt zu einem Anwalt. Und zu einem zweiten und dritten. Aber es waren ehrliche Leute, und sie sagten ihr, daß sie den Prozeß nicht führen könnten und wenn sie noch soviel Vorschuß zahle. O gewiß, das sei ja alles möglich und denkbar. Warum denn nicht? Aber habe sie Beweise? Nein, gar keine also! Sie solle nur ruhig nach Hause gehen – da sei gar nichts zu machen. Wenn das auch alles so wäre und wenn man es selbst beweisen könnte – – so trage ja doch ihr Mann die Schuld. Denn er sei eben ein Mann gewesen und ein gelernter und tüchtiger Chauffeur, aber das Fräulein sei ein unerfahrenes, kaum erwachsenes Ding ...
Sie kam nach Hause. Sie begrub ihren Mann, hinter der Kirche auf dem kleinen Friedhof. Sie packte ihre Sachen und lud sie selbst auf den Karren. Sie nahm das Geld, das ihr der Geheimrat gab, nahm ihre Buben und ging.
In ihre Wohnung zog ein neuer Chauffeur, ein paar Tage darauf. Der war dick und klein, und er trank auch. Das Fräulein ten Brinken mochte ihn nicht und fuhr selten allein mit ihm aus. Nie bekam er Protokolle, und die Leute sagten, daß er ein tüchtiger Mensch sei und viel besser als der wilde Raspe.