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Budapest, Mai 1896.
Die Magyaren, deren reiner Stamm wohl mongolisch ist und die unter ihrem ziemlich mythischen Führer Arpad in der Zeit zwischen 850 und 900 Ungarn erobert hatten, das damals einen Bestandteil des fränkischen Reiches bildete, hatten vor einiger Zeit entdeckt (die Urkunde wird vielfach angezweifelt), daß die Begründung der magyarischen Herrschaft, d. h. also die Gründung des Königreichs Ungarn in das Jahr 896 fällt. Demnach konnte Ungarn 1896 das tausendjährige Bestehen des ungarischen Reiches feiern – eine Gelegenheit, die sich das lebhafte Volk nicht entgehen lassen konnte. Denn viel Glanz konnte entfaltet, viel Reichtum gezeigt, viel Fremde konnten angelockt, viel Zeitungen vollgeschrieben, manche »gute Geschäfte« konnten angeknüpft werden – und vor allen Dingen war ganz Europa dadurch genötigt, von Ungarn, dem »tausendjährigen Reich hoher Kultur und größester Zukunft« Notiz zu nehmen. Daß sich dabei sehr viele Leute in Schulden stürzen und manche Familien sich aus Eitelkeit ruinieren würden, war gewissen Leuten gleichgültig.
Mögen diese, nicht übermäßig freundlichen Worte über Ungarn im Hinblick auf die ungeheure Mache des Millenniums hier stehenbleiben! – meine Achtung vor Ungarn soll dadurch nicht gemindert werden. Ich wünschte von Herzen, daß das staatsmännische Empfinden, der opferfreudige Patriotismus und die urwüchsige Kraft, die diesem Volke innewohnt, in gleicher Form Deutschland zu eigen wäre. Denn zerspalten in Parteihader und partikularer Kleinkrämerei steht Deutschland politisch national tiefer als Ungarn. Nicht aber militärisch. Wir führen ein schärferes Schwert, ein Schwert in Erfahrung und Schulung geschliffen. Tapfer aber ist der Ungar auch wie der Deutsche, – soweit er nicht als Slawe oder Jude einen Pseudo-Magyarennamen trägt.
Mit den vorstehenden Bemerkungen will ich die ungeheure Millenniumsmache entschuldigen. Sie wird jedenfalls in meiner Erinnerung einen festen Platz behaupten, denn alles, was in mir an Kunst, Schönheitsgefühl und malerischem Empfinden ruhte, wurde durch das, was ich während der Millenniumstage in Pest erlebte, aufgerüttelt und aufgeschüttelt, mich oft zu Bewunderung, ja zu Begeisterung hinreißend.
Keine Stadt der Welt eignet sich besser für große Schaustellungen als Pest und Ofen. Die großen, breiten Avenuen und Straßen in Pest, die breite, imposante Brücke über die herrliche Donau und darüber, alles krönend, die kaiserliche Burg, die alte Mathiaskirche und die Palais der Magnaten in Ofen sind einzigartig schön und großzügig. Dazu das lebhafte Farbenbild der Volkstrachten, die mit Pietät gepflegt werden und sich dank ihrer Bequemlichkeit und dem Nationalstolz der Bevölkerung erhalten werden, ebenso wie die glänzenden, in allen Farben und in Gold und Edelsteinen strahlenden Festtrachten des Adels und Bürgerstandes. Denn nur im nationalen Verkehr entstellt sich der Ungar durch einen Frack, in dem er dank seiner schwarzen Haare und der oft kühn geschnittenen Nase in die beneidenswerte Lage gerät, für einen reichen Bankier aus Irgendwo gehalten zu werden. Andererseits sind wieder reiche Bankiers in Budapest in der glücklichen Lage, sich nach ihrer Magyarisierung z. B. Baron Hirz von Nagy Posek nennen zu können (nachdem sie vorher Isaak Hirsch aus Posen hießen) und sich alsdann die prächtige rote, gelbe, blaue oder grüne Atlas-Galatracht mit Goldstickerei anzulegen, auch den krummen Säbel umzuschnallen und auf die glänzenden schwarzen Haare – ein wenig auf das rechte Ohr gedrückt - die hohe Lammfellkappe mit einem Reiherbusch zu setzen. So gleicht sich im Leben alles aus, besonders wirksam in Ungarn, mag es sich auf Säbel, Beine und anderes mehr beziehen. Dem Fremden fallen solche Details nicht auf. Es wirkt auf fremde Augen nur die Farbe, der prächtige Stoff, das Malerische der Tracht, die Gesamtbewegung auf dem großartigen Hintergrund Budapests und der Donau.
Ich war am 1. Mai 1896 mit meiner Gattin von Wien nach Pest aufgebrochen. In meiner Begleitung befanden sich Prinz Lichnowskv, Sekretär Kistler, mein Leibjäger, ein Diener und zwei Kutscher nebst Pferden und Galawagen. Alles logierte im Hotel Royal.
2. Mai 1896.
Es findet die Eröffnung der auffallend schönen Ausstellung statt, deren Mittelstück die genaue Nachbildung der alten Burg des ersten Königs Ungarns, Stephan, ist, die sich inmitten eines Teiches sehr malerisch ausnimmt. In der Nähe sind dort auch die Gräber sowie die angeblichen Funde nachgebildet, aus denen sich die älteste Geschichte der Magyaren als Eroberer Ungarns ergeben soll.
Als Vertreter des Deutschen Reiches wurden mir überall die größten Ehren erwiesen.
Bei dem offiziellen Rundgang durch die Ausstellung, die in jeder Hinsicht sehenswert und geschmackvoll arrangiert war, litt man sehr durch die Hitze, und bisweilen entstand unbequemes Gedränge, wobei dann in ungarischen Worten der Vorstand des Komitees entsetzlich schimpfte. Leider verstand ich kein Wort davon, denn bei keiner Gelegenheit lernt man Land und Leute besser kennen, als wenn geschimpft wird. Jedes Volk wendet dabei seine besonders lieben Worte an. Die ungarische Sprache brachte mich häufig in diesen festlichen Tagen zur Verzweiflung, besonders weil die Schriftsprache mit keinerlei anderer europäischen Sprache Verwandtschaft hat.
An einem der durch Dejeuners, Diners, Soireen, Bälle und andere Lustbarkeiten und Schaustellungen überreichlich angefüllten Tage fand ich, in mein Hotel zurückgekehrt, auf dem Tisch eine Einladungskarte, natürlich in ungarischer Sprache. Ich studierte daran herum und glaubte zu meinem Schrecken zu entdecken, daß es sich um ein Diner handle, das in kaum einer Stunde stattfinden würde. Auch meine Frau war sehr erschreckt, ich beschloß schnell, zu dem Markgrafen Palavicini, einem ungarischen Großgrundbesitzer, zu gehen, der in demselben Hotel über uns logierte.
»Um Gottes willen, lieber Graf«, rief ich ihm zu, »sagen Sie mir, wo wir heute dinieren sollen? Es scheint, daß wir kaum noch Zeit haben, dazu Toilette zu machen!« Ich reichte ihm die Karte.
»In diesem Fall brauchen Sie allerdings keine Toilette zu machen«, sagte er, »die Karte zeigt die Eröffnung der Rindviehausstellung an und ladet zum Besuch derselben ein.«
»Ach so!« sagte ich laut und setzte hinzu: »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, daß mein unerhörter Mangel, die ungarische Sprache nicht zu sprechen, Anlaß zu Verwechslungen geben mußte, die mir nach dem unendlich liebenswürdigen Empfang, der mir zuteil wurde, peinlich sind!«
Palavicini war vernünftig genug, diese kleine Spitze lächelnd anzuhören, ohne pikiert zu sein. Da er aber in Wien sein großes Palais hat und dort mehr lebt als in Pest, empfand er selbst den Unfug peinlich, der jetzt mit der »Nationalsprache« getrieben wurde.
An einem der Festtage wurde im großen Opernhause die Oper »Tell Wilmosch« gegeben Die Reihenfolge der Namen ist in Ungarn anders als bei uns. Ich heiße hier nicht Graf Philipp Eulenburg, sondern Eulenburg Fülopp grof.. Die Handlung spielte in den Karpathen, und der alte Melchthal starb rührend in einer Pußte, von Hirten, die ihre weißen Hemden als echte Patrioten über die Hosen gezogen hatten, herzlich beweint und besungen.
An Gräfin Eulenburg (Mutter).
Pest, 4. Mai 1896.
Ich denke inmitten dieses unerhörten Trubels so viel an dein stilles Leben in Mühlbad. Aber es ist doch merkwürdig interessant. Das Gala-Theater am 2. Mai, die große Messe in der Mathiaskirche zu Ofen am 3. Mai früh brachten eine solche Entfaltung von prachtvollen Kostümen, Schmuck und Farben, wie man es sich nicht träumen lassen kann.
Gestern, am 3. Mai, war die Gala-Auffahrt zu der Mathiaskirche oben in Ofen. Herrlich! Welche Equipagen! Welche Pracht an Wagen, Livreen, Pferden, und welche Farben!
In der Kirche waren alle Damen in Nationaltracht, mit Edelsteinen überladen. (Es haben die Kleider bis 10 000 Gulden gekostet!)
Gestern, am 3. Mai, war auch ein pompöses Diner bei Graf Géza Szápáry, dann Ball bei Graf Tassilo Festetics.
Heute ist Gratulation bei dem Kaiser und der Kaiserin mit Auffahrt im Galawagen zur Burg, Diner bei dem Handelsminister, Rout bei Graf Louis Apponyi – und so geht es weiter! ...
Ich habe absolut nicht begriffen, wozu man eigentlich dem Kaiser gratulieren soll? Daß ein gewisser Arpad, von dem er nicht abstammt, vor 1000 Iahren Ungarn erobert hat, kann kein Gratulationsobjekt sein, daß dem alten Kaiser das ganze Millennium ein Greul ist, dürfte ebensowenig zum Gratulieren geeignet sein, und der Kaiserin erst recht nicht, daß sich ganz Ungarn amüsiert und der Kaiser nicht, ist auch kein Grund, gerade ihm zu gratulieren, daß ihm aus seiner Kasse diese Festlichkeiten nebst der Deckung unerhört hoher, daraus hervorgehender Schulden mindestens eine Million kosten, ist schließlich doch auch nicht geeignet, ihm einen Glückwunsch auszusprechen. Genug – man gratulierte dem armen Mann, und er nahm freundlich diesen Glückwunsch entgegen, ohne zu sagen: »Schafskopf«.
Mich selbst zog der alte Kaiser in eine so lange politische Konversation, daß alle Gratulanten in weitem Kreise um uns herum wahrscheinlich den Eindruck hatten, es sei unnötig. Leider war es aber durchaus nicht unnötig und auch durchaus keine Gratulation, in keiner Hinsicht eine Gratulation, denn auch mir gegenüber wäre trotz der mir bei dieser festlichen Gelegenheit überall erwiesenen hohen Ehrungen und Auszeichnungen eine Gratulation durchaus nicht angebracht gewesen, denn in Berlin war gerade in diesen Tagen politisch wieder einmal der Teufel los: drohende Minister- und Kanzlerkrise. Zwischen all dem Trubel – essen, trinken, fahren, schwatzen, aus- und anziehen, repräsentieren, gratulieren, hofieren – nahm das Depeschieren und Berichteschreiben überhaupt kein Ende. Ich kann nur sagen, daß ich seither Arpad hasse, der das ganze Millennium verschuldet hat.
Und doch gab es wohl kaum etwas Wunderbareres, Schöneres als die große Messe (die wahrscheinlich auch für Arpad zelebriert wurde – für wen sonst?). Von der ungarischen Rede, die der Fürst-Primas von Ungarn, Kardinal Vaszary, hielt, verstand ich natürlich keine Silbe.
Der Zauber dieser kirchlichen Feier begann mit der Auffahrt in Galawagen des gesamten ungarischen Hochadels über die Donaubrücke und den steilen Weg hinauf bis zum Portal der uralten, in grauem Stein reich gebauten, gotischen Kirche des heiligen Mathias. Jedem der schönen Wagen in allen Farben und gezogen von reichgeschmückten Pferden, entstiegen, tatsächlich strahlend im Glanz von Edelsteinen, die Kirchgänger, von denen heute wohl kein einziger einen wirklich frommen, andächtigen Gedanken gehabt haben dürfte, und niemals ist wohl auch je in der alten, ehrwürdigen Mathiaskirche derart umhergeguckt und geäugt worden wie heute.
Auf der breiten Erhöhung des Hochaltares in den alten, dunklen, gotischen, feierlichen Chorstülen saßen regungslos die Erzbischöfe und Bischöfe des Primates von Gran, die hohe funkelnde Mitra auf den alten ernsten Köpfen und den breiten, von Goldstickerei steifen Mantel um die Schultern. Vor dem mit brennenden Kerzen und Blumen geschmückten goldenen Altare knieten und standen Ministranten und Chorknaben in ihren roten Gewändern. An dem Rand der Erhöhung des Hochaltares aber stand, die in Edelsteinen funkelnde hohe Mitra auf dem Haupt, in seinem reichsten bischöflichen Kleide, die hohe hagere Gestalt des Kardinals Fürst-Primas von Ungarn, Vaszary. Aus dem bleichen, schmalen, bartlosen Gesicht flammten die in Begeisterung glühenden Augen, während er die harten Laute der ungarischen Sprache mit leidenschaftlicher Betonung hervorstieß – dem Nichtverstehenden ein ganz seltsamer Eindruck von nachdrücklicher Gewalt. Er sprach lange: es soll schön gewesen sein, wohl ein Hohes Lied der ungarischen Mission unter den Völkern der Erde.
In der erhöhten Hofloge neben dem Hochaltar saß der Kaiser mit allen Erzherzögen, die Kaiserin mit den Erzherzoginnen. Die ersteren alle in ihrer roten, reich mit Gold gestickten ungarischen Generalsuniform, den pelzverbrämten Mantel über der Schulter. Die Erzherzoginnen in ungarischer Nationalfestkleidung der Magnatenfrauen, strahlende Diamantenkronen auf dem Kopf, von dem der lange, weiße Schleier niederwallte. Die Samt- und Goldbrokatkleider mit den langen Ärmeln waren übersät von Edelsteinen. Der Glanz und die Farbenpracht ließen die Gesichtszüge verschwimmen, was durchaus zu verschmerzen war.
So, wie der blendende Glanz der erhöhten Hofloge wirkte, so wirkte noch bei weitem stärker das Gesamtbild des Schiffes der Kirche, denn die gleiche strahlende Pracht der Magnaten-Gewänder, der Edelsteine, nach vielen Millionen an Wert, trat hier als eine einzige, funkelnde Masse zwischen den silbergrauen, hochstrebenden Pfeilern des Domes in Erscheinung. Sehr auffallend hob sich daraus das Bild Augustas Seine Gattin. hervor, in ihrem weißen, goldgestickten Kleide, ohne Schleier, aber das hohe Diamanten-Diadem auf dem blonden Haar und das breite, weiße Ordensband mit den blauen Randstreifen des Theresienordens von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte tragend – wie ein seltener, edler Vogel zwischen einer bunten, leuchtenden Papageienschar.
Doch noch eine andere, einzelne Figur fiel in der bunten Schar auf: der von oben bis unten – mit Kappe, Handschuhen und Schuhen – purpurrote Kardinal Schlauch, mein guter Freund, der neben mir saß. Der Kardinal, der seine Residenz in Großwardein hat, gehörte nicht zu der Gran-Diözese, die heute mit dem Primas Vaszary zelebrierte, so saß er bei den Gästen, und ich erfreute mich an seiner Nachbarschaft. Er ist ein überaus seiner, hochgebildeter Mann, kein Fanatiker, wie Vaszary, eher ein Kirchenpolitiker, doch über den Parteien stehend. Etwa von der Färbung meines berühmten Freundes Xaver Kraus Fr. Xaver Kraus, Professor der Kirchengeschichte in Freiburg i. B. Verfasser der berühmten »Spektator-Briefe«, wohl einer der besten Kenner der offenen und geheimen Gänge der katholischen Kirchenpolitik. von der Universität Freiburg. Mit keinem katholischen Kirchenfürsten vermochte ich so offenherzig zu reden wie mit Schlauch. Wir verstanden uns innerlich, stets ohne Schärfen, Verbindung suchend und findend. Aber der Kardinal, der alles sah, alles beobachtete und doch genötigt war, den kirchlichen Vorschriften während der heiligen Handlung der Messe zu folgen, war heute ein wenig zerstreut. Und wer war es wohl heute nicht während dieser unerhörten Festlichkeit? Meist mußte er neben mir knien, sein rotes Käppchen saß ihm lose auf dem Hinterkopf. Auf der Bank hinter sich hatte er einen jüngeren Geistlichen im lila Gewand postiert, der, wenn es gewisse Momente der Meßhandlung geboten, dem Kardinal das Purpurkäppchen (das an dem Scheitelpunkt ein kleines Zäpfchen hatte, um es fassen zu können) abnehmen und schnell wieder aufsetzen mußte. Schlauch, der oft lange zu knien genötigt wurde, war heute sehr zerstreut. Wohl blickte er während des Kniens in das aufgeschlagene Gebetbuch, aber er stellte doch dabei hin und wieder »weltliche« Beobachtungen an. (Gott wolle es dem wirklich frommen Mann verzeihen!) »Finden Sie nicht, daß die Gräfin Géza Andrassy in der ungarischen Tracht entzückend aussieht?« fragte er mich leise. (Er hatte vollkommen recht, sie war entzückend.) Er sagte auch, daß die Gräfin Franziska Carolyi heute nicht en beau sei. Aber das fand ich nicht. Sie war blaß, aber ihre wunderbar edlen Züge, ihre königliche Gestalt in dem Glanz ihrer Magnatentracht und umleuchtet von einem Meer strahlender Diamanten, war ein Bild, das man nicht vergessen konnte. Nein, hier saßen und standen die eigentlichen Königinnen des alten Ungarn – nicht in der Hofloge, wo die verlegen-ungeschickten Gestalten der Damen des Kaiserhauses verkleidet thronten.
In diesem Augenblick aber geschah etwas Merkwürdiges: es schien ein roter Vogel über mir zu fliegen. Ich blickte schnell zurück. Der Begleiter des Kardinals war allzu hastig gewesen, hatte wohl auch den richtigen Augenblick für die Entfernung des Purpurkäppchens verpaßt, kurz, das Käppchen war ihm hoch aus der Hand geflogen. Ich sah, während es eilig dem Verbrecher zurückgereicht wurde, einige schmunzelnde und einige sehr ernste Magnatengesichter. Dann saß das Käppchen wieder still auf dem Hinterkopfe des in sein Andachtsbuch versunkenen Kardinals, der keine Ahnung von dem roten Vogel hatte, während sein priesterlicher Begleiter mit dem bischöflichen Range völlig fassungslos schien.
Über allen Eindrücken des Zaubers dieser Messe, die sich wohl kaum jemals zu solchem Bilde der Schönheit und des Glanzes wiederholen wird, bleibt jedoch der tragische Eindruck einer unter tiefem schwarzen Schleier verborgenen hohen Frau bestehen – der Kaiserin Elisabeth. Umgeben von dem bunten strahlenden Glanz des versammelten »Erzhauses« in der erhöhten Loge, saß diese verschleierte, vollkommen schwarze Gestalt. Profan ausgedrückt: wie ein Tintenfleck auf einem sehr schönen bunten Gemälde. Immer wieder zogen die Blicke unwillkürlich zu dem schwarzen, regungslosen Bilde.
Die Kaiserin liebte Ungarn (mehr als Österreich), und man liebte sie deshalb hier, wo sie – nur zu viel! – zu Pferde gesessen hatte. Bei dem größten Feste Ungarns wollte sie deshalb als Königin nicht fehlen, und man rechnete es ihr hoch an, daß sie, die kein Fest besuchte, gekommen war. Aber sie kam – schwarz. Seit der furchtbarsten Stunde ihres Lebens, als ihr einziger Sohn, Kronprinz Rudolf, Selbstmord – und Mord beging, waren sieben Jahre verflossen. Sie hatte ein Gelübde getan, die Trauer niemals abzulegen. Und so ragte denn in das hohe bunte Fest, welches jedes Ungarherz höher schlagen ließ, das furchbare Schicksal dieser Kaiserehe wie ein schwarzes Memento hinein.
Weder bei dem Diner bei Graf Géza Szápáry, wo man zum Schluß auf goldenen Tellern und mit edelsteinbesetzten Messern und Gabeln aß, noch bei dem prunkvollen Fest auf der Ofener Burg, noch bei dem lukullischen Diner bei dem Ministerpräsidenten Baron Bánffy, noch bei den verschwenderischen Bällen im Parkklub und im National-Kasino, bei Routs, Dejeuners und im Theater wich das schwarze Bild im Zaubergarten der großen Messe zu St. Mathias von mir: das schwarze Memento mit seiner furchtbaren Predigt.