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Wie einem jungen artigen Menschen auf dem Caffé greco abscheuliche Dinge zugemutet wurden, ein Impressario Reue empfand und ein Schauspielermodell an Trauerspielen des Abbate Chiari starb. – Chronischer Dualismus und der Doppelprinz, der in die Quere dachte. – Wie jemand eines Augenübels halber verkehrt sah, sein Land verlor und nicht spazieren ging. – Zank, Streit und Trennung.
Unmöglich wird sich der geneigte Leser darüber beschweren können, daß der Autor ihn in dieser Geschichte durch zu weite Gänge hin und her ermüde. In einem kleinen Kreise, den man mit wenigen hundert Schritten durchmißt, liegt alles hübsch beisammen: der Korso, der Palast Pistoja, der Caffé greco u. s. w., und, den geringen Sprung nach dem Lande Urdargarten abgerechnet, bleibt es immer bei jenem kleinen, leicht zu durchwandelnden Kreise. So bedarf es jetzt nur weniger Schritte und der geneigte Leser befindet sich wieder in dem Caffé greco, wo, es sind erst vier Kapitel her, der Marktschreier Celionati deutschen Jünglingen die wunderliche und wunderbare Geschichte von dem Könige Ophioch und der Königin Liris erzählte.
Also! – In dem Caffé greco saß ganz einsam ein junger hübscher, artig gekleideter Mensch, und schien in tiefe Gedanken versunken; so daß er erst, nachdem zwei Männer, die unterdessen hineingetreten und sich ihm genaht, zwei, drei Mal hintereinander gerufen hatten: »Signor – Signor – mein bester Signor!« wie aus dem Traum erwachte und mit höflich vornehmem Anstande fragte, was den Herren zu Diensten stehe! –
Der Abbate Chiari – es ist nämlich zu sagen, daß die beiden Männer niemand anders waren, als eben der Abbate Chiari, der berühmte Dichter des noch berühmteren weißen Mohren, und jener Impressario, der das Trauerspiel mit der Farce vertauscht – der Abbate Chiari begann alsbald: »Mein bester Signor Giglio, wie kommt es, daß Ihr Euch gar nicht mehr sehen lasset, daß man Euch mühsam aufsuchen muß durch ganz Rom? – Seht hier einen reuigen Sünder, den die Kraft, die Macht meines Worts bekehrt hat, der alles Unrecht, das er Euch angethan, wieder gut machen, der Euch allen Schaden reichlich ersetzen will!« »Ja,« nahm der Impressario das Wort, »ja, Signor Giglio, ich bekenne frei meinen Unverstand, meine Verblendung. – Wie war es möglich, daß ich Euer Genie verkennen, daß ich nur einen Augenblick daran zweifeln konnte, in Euch allein meine ganze Stütze zu finden! – Kehrt zurück zu mir, empfangt auf meinem Theater aufs neue die Bewunderung, den lauten stürmischen Beifall der Welt!«
»Ich weiß nicht,« erwiderte der junge artige Mensch, indem er beide, den Abbate und den Impressario ganz verwundert anblickte, »ich weiß nicht, meine Herren, was ihr eigentlich von mir wollt. – ihr redet mich mit einem fremden Namen an, ihr sprecht von mir ganz unbekannten Dingen – ihr thut, als wäre ich euch bekannt, unerachtet ich mich kaum erinnere, euch jemals in meinem Leben gesehen zu haben! –«
»Recht,« sprach der Impressario, dem die hellen Thränen in die Augen kamen, »recht thust du, Giglio, mich so schnöde zu behandeln, so zu thun, als ob du mich gar nicht kenntest; denn ein Esel war ich, als ich dich fortjagte von den Brettern. Doch – Giglio! sei nicht unversöhnlich, mein Junge! – Her die Hand!«
»Denkt,« fiel der Abbate dem Impressario in die Rede, »denkt, guter Signor Giglio, an mich, an den weißen Mohren, und daß Ihr denn doch auf andere Weise nicht mehr Ruhm und Ehre einernten könnet, als auf der Bühne dieses wackern Mannes, der den Arlecchino samt seinem ganzen saubern Anhang zum Teufel gejagt, und aufs neue das Glück errungen hat, Trauerspiele von mir zu erhalten und aufzuführen.«
»Signor Giglio,« sprach der Impressario weiter, »Ihr sollt selbst Euern Gehalt bestimmen; ja Ihr sollt selbst nach freier Willkür Euern Anzug zum weißen Mohren wählen und es soll dabei mir auf ein paar Ellen unechter Tressen, auf ein Päckchen Flittern mehr durchaus nicht ankommen.«
»Und ich sage euch,« rief der junge Mensch, »daß alles, was ihr da vorbringt, mir unauflösbares Rätsel ist und bleibt.«
»Ha,« schrie nun der Impressario voller Wut, »ha ich verstehe Euch, Signor Giglio Fava, ich verstehe Euch ganz, ich verstehe Euch ganz; ich weiß nun alles. – Der verfluchte Satan von – nun, ich mag seinen Namen nicht nennen, damit nicht Gift auf meine Lippen komme – der hat Euch gefangen in seinen Netzen, der hält Euch fest in seinen Klauen. – Ihr seid engagiert – Ihr seid engagiert. Aber ha ha ha – zu spät werdet Ihr es bereuen, wenn Ihr bei dem Schuft, bei dem erbärmlichen Schneidermeister, den ein toller Wahnsinn lächerlichen Dünkels treibt, wenn Ihr bei dem –«
»Ich bitte Euch,« unterbrach der junge Mensch den zornigen Impressario, »ich bitte Euch, bester Signor! geratet nicht in Hitze, bleibet fein gelassen! Ich errate jetzt das ganze Mißverständnis. Nicht wahr, Ihr haltet mich für einen Schauspieler, Namens Giglio Fava, der, wie ich vernommen, ehemals in Rom als ein vortrefflicher Schauspieler geglänzt haben soll, unerachtet er im Grunde niemals was getaugt hat?«
Beide, der Abbate und der Impressario, starrten den jungen Menschen an, als erblickten sie ein Gespenst.
»Wahrscheinlich,« fuhr der junge Mensch fort, »wahrscheinlich waret ihr, meine Herren, von Rom abwesend und kehrtet erst in diesem Augenblick zurück; denn sonst würd' es mich Wunder nehmen, daß ihr das nicht vernommen haben solltet, wovon ganz Rom spricht. Leid sollte es mir thun, wenn ich der erste wäre, von dem ihr erfahret, daß jener Schauspieler, Giglio Fava, den ihr sucht und der euch so wert zu sein scheint, gestern auf dem Korso im Zweikampf niedergestoßen wurde. – Ich selbst bin nur zu sehr von seinem Tode überzeugt.«
»O schön!« rief der Abbate, »o schön, o über alle Maßen schön und herrlich! – Also das war der berühmte Schauspieler Giglio Fava, den ein unsinniger fratzenhafter Kerl gestern niederstieß, daß er beide Beine in die Höhe kehrte? Wahrlich, mein bester Signor, Ihr müßt Fremdling in Rom und wenig bekannt sein mit unsern Karnevalsspäßen; denn sonst würdet Ihr es wissen, daß die Leute, als sie den vermeintlichen Leichnam aufheben und forttragen wollten, nur ein hübsches, aus Pappendeckel geformtes Modell in Händen hatten, worüber denn das Volk ausbrach in ein unmäßiges Gelächter.«
»Mir ist,« sprach der junge Mensch weiter, »mir ist unbekannt, inwiefern der tragische Schauspieler Giglio Fava nicht wirklich Fleisch und Blut hatte, sondern nur aus Pappendeckel geformt war; gewiß ist es aber, daß sein ganzes Inneres, bei der Sektion, mit Rollen aus den Trauerspielen eines gewissen Abbate Chiari erfüllt gefunden wurde, und daß die Ärzte nur der schrecklichen Übersättigung, der völligen Zerrüttung aller verdauenden Prinzipe durch den Genuß gänzlich kraft- und saftloser Nährmittel, die Tödlichkeit des Stoßes, den Giglio Fava vom Gegner erhalten, zuschrieben.«
Bei diesen Worten des jungen Menschen brach der ganze Kreis aus in ein schallendes Gelächter.
Unvermerkt hatte sich nämlich während des merkwürdigen Gesprächs der Caffé greco mit den gewöhnlichen Gästen gefüllt und vornehmlich waren es die deutschen Künstler, die einen Kreis um die Sprechenden geschlossen.
War erst der Impressario in Zorn geraten, so brach nun bei dem Abbate noch viel ärger die innere Wut aus. »Ha!« schrie er, »ha, Giglio Fava! darauf hattet Ihr es abgesehen; Euch verdanke ich allen Skandal auf dem Korso! – Wartet – meine Rache soll Euch treffen – zerschmettern –«
Da nun aber der beleidigte Poet ausbrach in niedrige Schimpfwörter, und sogar Miene machte, mit dem Impressario gemeinschaftlich den jungen artigen Menschen anzupacken, so erfaßten die deutschen Künstler beide und warfen sie ziemlich unsanft zur Thüre hinaus, so daß sie blitzschnell bei dem alten Celionati vorüberflogen, der soeben eintreten wollte und der ihnen ein »glückliche Reise!« nachrief.
Sowie der junge artige Mensch den Ciarlatano gewahrte, ging er schnell auf ihn los, nahm ihn bei der Hand, führte ihn in eine entfernte Ecke des Zimmers und begann: »Wäret Ihr doch nur früher gekommen, bester Signor Celionati, um mich von zwei Überlästigen zu befreien, die mich durchaus für den Schauspieler Giglio Fava hielten, den ich – ach Ihr wißt es ja! – gestern in meinem unglücklichen Paroxysmus auf dem Korso niederstieß, und die mir allerlei abscheuliche Dinge zumuteten. – Sagt mir, bin ich denn wirklich jenem Fava so ähnlich, daß man mich für ihn ansehen kann?«
»Zweifelt,« erwiderte der Ciarlatano höflich, ja beinahe ehrerbietig grüßend, »zweifelt nicht, gnädigster Herr, daß Ihr, was Eure angenehmen Gesichtszüge betrifft, in der That jenem Schauspieler ähnlich genug sehet, und es war daher sehr geraten, Euern Doppeltgänger aus dem Wege zu räumen, welches Ihr sehr geschickt anzufangen wußtet. Was den alten Abbate Chiari samt seinem Impressario betrifft, so rechnet ganz auf mich, mein Prinz! Ich werde Euch allen Anfechtungen, die Eure vollkommene Genesung aufhalten könnten, zu entziehen wissen. Es ist nichts leichter, als einen Schauspieldirektor mit einem Schauspieldichter dermaßen zu entzweien, daß sie grimmig aufeinander losgehen und im wütenden Kampf einander auffressen, wie jene beiden Löwen, von denen nichts übrig blieb, als die beiden Schweife, die, schreckliches Denkmal verübten Mords, auf dem Kampfplatz gefunden wurden. – Nehmt Euch doch ja nicht Eure Ähnlichkeit mit dem Trauerspieler aus Pappendeckel zu Herzen! Denn soeben vernehme ich, daß die jungen Leute dort, die Euch von Euern Verfolgern befreiten, ebenfalls glauben, Ihr wäret nun einmal kein anderer, als eben der Giglio Fava.«
»O!« sprach der junge artige Mensch leise, »o mein bester Signor Celionati, verratet doch nur um des Himmels willen nicht, wer ich bin! Ihr wißt es ja, warum ich so lange verborgen bleiben muß, bis ich völlig genesen.«
»Seid,« erwiderte der Charlatan, »seid unbesorgt, mein Prinz, ich werde, ohne Euch zu verraten, so viel von Euch sagen, als nötig ist, um die Achtung und Freundschaft jener jungen Leute zu gewinnen, ohne daß es ihnen einfallen darf zu fragen, wes Namens und Standes Ihr seid. Thut fürs erste so, als wenn Ihr uns gar nicht beachtetet, schaut zum Fenster hinaus, oder leset Zeitungen, dann könnet Ihr Euch später in unser Gespräch mischen. Damit Euch aber das, was ich spreche, gar nicht geniert, werde ich in der Sprache reden, die eigentlich nur für die Dinge paßt, die Euch und Eure Krankheit betreffen, und die Ihr zur Zeit nicht versteht.«
Signor Celionati nahm, wie gewöhnlich, Platz unter den jungen Deutschen, die noch unter lautem Lachen davon redeten, wie sie den Abbate und den Impressario, als sie dem jungen artigen Mann zu Leibe gewollt, in möglichster Eile hinausbefördert hätten. Mehrere fragten dann den Alten, ob es denn nicht wirklich der bekannte Schauspieler Giglio Fava sei, der dort zum Fenster hinauslehne, und als dieser es verneint und vielmehr erklärt, daß es ein junger Fremder von hoher Abkunft sei, meinte der Maler Franz Reinhold (der geneigte Leser hat ihn schon in dem dritten Kapitel gesehen und gehört), daß er es gar nicht begreifen könne, wie man eine Ähnlichkeit zwischen jenem Fremden und dem Schauspieler Giglio Fava finden wollte. Zugeben müsse er, daß Mund, Nase, Stirn, Auge, Wuchs beider sich in der äußern Form gleichen könnten; aber der geistige Ausdruck des Antlitzes, der eigentlich die Ähnlichkeit erst schaffe und den die mehrsten Porträtmaler, oder vielmehr Gesichtabschreiber, nicht aufzufassen und daher wahrhaft ähnliche Bilder zu liefern niemals vermöchten, eben dieser Ausdruck sei zwischen beiden so himmelweit verschieden, daß er seinerseits den Fremden nie für den Giglio Fava gehalten hätte. Der Fava habe eigentlich ein nichtssagendes Gesicht, wogegen in dem Gesicht des Fremden etwas Seltsames liege, dessen Bedeutung er selbst nicht verstehe.
Die jungen Leute forderten den alten Charlatan auf, ihnen wiederum etwas, das der wunderbaren Geschichte von dem König Ophioch und der Königin Liris gliche, die ihnen überaus wohlgefallen, oder vielmehr den zweiten Teil dieser Geschichte selbst vorzutragen, den er ja von seinem Freunde, dem Zauberer Ruffiamonte oder Hermod im Palast Pistoja erfahren haben müsse.
»Was,« rief der Charlatan, »was zweiter Teil – was zweiter Teil? Hab' ich denn neulich plötzlich innegehalten, mich geräuspert und dann mich verbeugend gesagt: Die Fortsetzung folgt künftig? – Und überdem hat mein Freund, der Zauberer Ruffiamonte, den weiteren Verlauf jener Geschichte bereits vorgelesen im Palast Pistoja. Eure Schuld ist es und nicht die meinige, daß ihr das Kollegium versäumtet, dem auch, wie es jetzt Mode ist, wißbegierige Damen beiwohnten; und sollte ich das alles jetzt noch einmal wiederholen, so würde das einer Person entsetzliche Langeweile erregen, die uns nie verläßt und die sich auch in jenem Kollegio befand, mithin schon alles weiß. Ich meine nämlich den Leser des Capriccios, Prinzessin Brambilla geheißen, einer Geschichte, in der wir selbst vorkommen und mitspielen. – Also nichts von dem Könige Ophioch und der Königin Liris und der Prinzessin Mystilis und dem bunten Vogel! Aber von mir, von mir will ich reden, wenn euch anders damit gedient ist, ihr leichtsinnigen Leute!«
»Warum leichtsinnig?« fragte Reinhold. – »Darum,« sprach Meister Celionati auf deutsch weiter, »weil ihr mich betrachtet wie einen, der nur eben darum da ist, euch zuweilen Märchen zu erzählen, die bloß ihrer Possierlichkeit halber possierlich klingen und euch die Zeit, die ihr daran wenden wollt, vertreiben. Aber, ich sage euch, als mich der Dichter erfand, hatte er ganz was anders mit mir im Sinn und wenn er es mit ansehen sollte, wie ihr mich manchmal so gleichgültig behandelt, könnte er gar glauben, ich sei ihm aus der Art geschlagen. – Nun genug, ihr erzeigt mir alle nicht die Ehrfurcht und Achtung, die ich verdiene meiner tiefen Kenntnisse halber. So z. B. seid ihr der schnöden Meinung, daß, was die Wissenschaft der Medizin betrifft, ich, ohne alles gründliche Studium, Hausmittel als Arcana verkaufe und alle Krankheiten mit denselben Mitteln heilen wolle. Doch nun ist die Zeit gekommen, euch eines Bessern zu belehren. Weit, weit her, aus einem Lande so fern, daß Peter Schlemihl, trotz seinen Siebenmeilenstiefeln ein ganzes Jahr laufen müßte, um es zu erreichen, ist ein junger sehr ausgezeichneter Mann hieher gereiset, um sich meiner hülfreichen Kunst zu bedienen, da er an einer Krankheit leidet, die wohl die seltsamste und zugleich gefährlichste genannt werden darf, die es giebt und deren Heilung nun wirklich auf einem Arcanum beruht, dessen Besitz magische Weihe voraussetzt. Der junge Mann leidet nämlich an dem chronischen Dualismus.«
»Wie,« riefen alle durcheinanderlachend, »wie? was sagt Ihr, Meister Celionati, chronischen Dualismus? – Ist das erhört?« –
»Ich merke wohl,« sprach Reinhold, »daß Ihr uns wieder etwas Tolles, Abenteuerliches auftischen wollt, und nachher bleibt Ihr nicht mehr bei der Stange.«
»Ei,« erwiderte der Charlatan, »ei mein Sohn Reinhold, du gerade solltest mir solchen Vorwurf nicht machen; denn eben dir habe ich immer wacker die Stange gehalten und da du, wie ich glaube, die Geschichte von dem Könige Ophioch richtig verstanden und auch wohl selbst in den hellen Wasserspiegel der Urdarquelle geschaut hast, so – Doch ehe ich weiter spreche über die Krankheit, so erfahrt, ihr Herren, daß der Kranke, dessen Kur ich unternommen, eben jener junge Mann ist, der zum Fenster hinausschaut und den ihr für den Schauspieler Giglio Fava gehalten.«
Alle schauten neugierig hin nach dem Fremden und kamen darin überein, daß in den übrigens geistreichen Zügen seines Antlitzes doch etwas Ungewisses, Verworrenes liege, das auf eine gefährliche Krankheit schließen lasse, welche am Ende in einem versteckten Wahnsinn bestehe. »Ich glaube,« sprach Reinhold, »ich glaube, daß Ihr, Meister Celionati, mit Eurem chronischen Dualismus nichts anders meint, als jene seltsame Narrheit, in der das eigne Ich sich mit sich selbst entzweit, worüber denn die eigne Persönlichkeit sich nicht mehr festhalten kann.«
»Nicht übel,« erwiderte der Charlatan, »nicht übel, mein Sohn! aber dennoch fehlgeschossen. Soll ich euch aber über die seltsame Krankheit meines Patienten Rechenschaft geben, so fürchte ich beinahe, daß es mir nicht gelingen wird, euch darüber klar und deutlich zu belehren, vorzüglich da ihr keine Ärzte seid, ich mich also jedes Kunstausdrucks enthalten muß. – Nun! – ich will es darauf ankommen lassen, wie es wird und euch zuvörderst bemerklich machen, daß der Dichter, der uns erfand und dem wir, wollen wir wirklich existieren, dienstbar bleiben müssen, uns durchaus für unser Sein und Treiben keine bestimmte Zeit vorgeschrieben hat. Sehr angenehm ist es mir daher, daß ich, ohne einen Anachronismus zu begehen, voraussetzen darf, daß ihr aus den Schriften eines gewissen deutschen, sehr geistreichen Schriftstellers Lichtenberg. Kunde erhalten habt von dem doppelten Kronprinzen. Eine Prinzessin befand sich (um wieder mit einem dito geistreichen deutschen Schriftsteller Jean Paul. zu reden) in andern Umständen, als das Land, nämlich in gesegneten. Das Volk harrte und hoffte auf einen Prinzen; die Prinzessin übertraf aber diese Hoffnung gerade um das Doppelte, indem sie zwei allerliebste Prinzlein gebar, die, Zwillinge, doch ein Einling zu nennen waren, da sie mit den Sitzteilen zusammengewachsen. Ungeachtet nun der Hofpoet behauptete, die Natur habe in einem menschlichen Körper nicht Raum genug gefunden für all' die Tugenden, die der künftige Thronerbe in sich tragen solle, unerachtet die Minister den über den Doppelsegen etwas betretenen Fürsten damit trösteten, daß vier Hände doch Scepter und Schwert kräftiger handhaben würden, als zwei, sowie überhaupt die ganze Regierungssonate à quatre mains voller und prächtiger klingen würde – ja! – alles dessen unerachtet, fanden sich doch Umstände genug, die manches gerechte Bedenken veranlaßten. Fürs erste erregte schon die große Schwierigkeit, ein praktikables und zugleich zierliches Modell zu einem gewissen Stühlchen zu erfinden, die gegründete Besorgnis, wie es künftig mit der schicklichen Form des Throns aussehen würde; ebenso vermochte eine aus Philosophen und Schneidern zusammengesetzte Kommission nur nach dreihundertundfünfundsechzig Sitzungen die bequemste und dabei anmutigste Form der Doppelhosen herauszubringen; was aber das Schlimmste schien, war die gänzliche Verschiedenheit des Sinns, die sich in beiden immer mehr und mehr offenbarte. War der eine Prinz traurig, so war der andere lustig; wollte der eine sitzen, so wollte der andere laufen, genug – nie stimmten ihre Neigungen überein. Und dabei konnte man durchaus nicht behaupten, der eine sei dieser, der andere jener bestimmten Gemütsart; denn in dem Widerspiel eines ewigen Wechsels schien eine Natur hinüberzugehen in die andre, welches wohl daher kommen mußte, daß sich, nächst dem körperlichen Zusammenwachsen, auch ein geistiges offenbarte, das eben den größten Zwiespalt verursachte. – Sie dachten nämlich in die Quere, so daß keiner jemals recht wußte, ob er das, was er gedacht, auch wirklich selbst gedacht, oder sein Zwilling; und heißt das nicht Konfusion, so giebt es keine. Nehmt ihr nun an, daß einem Menschen solch ein in die Quere denkender Doppelprinz im Leibe sitzt, als materia peccans, so habt ihr die Krankheit heraus, von der ich rede und deren Wirkung sich vornehmlich dahin äußert, daß der Kranke aus sich selber nicht klug wird.« –
Indessen hatte sich der junge Mensch unvermerkt der Gesellschaft genähert und da nun alle schweigend den Charlatan anblickten, als erwarteten sie, daß er fortfahren werde, begann er, nachdem er sich höflich verbeugt: »Ich weiß nicht, meine Herren, ob es euch recht ist, wenn ich mich in eure Gesellschaft mische. Man hat mich wohl sonst überall gern, wenn ich ganz gesund bin und munter; aber gewiß hat euch Meister Celionati so viel Wunderliches von meiner Krankheit erzählt, daß ihr nicht wünschen werdet, von mir selbst belästigt zu werden.«
Reinhold versicherte im Namen aller, daß der neue Gast ihnen willkommen, und der junge Mensch nahm Platz in dem Kreise.
Der Charlatan entfernte sich, nachdem er dem jungen Menschen nochmals eingeschärft hatte, doch ja die vorgeschriebene Diät zu halten.
Es geschah, wie immer es zu geschehen pflegt, daß man sofort über den, der das Zimmer verlassen, zu sprechen begann und vorzüglich den jungen Menschen über seinen abenteuerlichen Arzt befragte. Der junge Mensch versicherte, daß Meister Celionati sehr schöne Schulkenntnisse erworben, auch in Halle und Jena mit Nutzen Kollegia gehört, so daß man ihm vollkommen vertrauen könne. Auch sonst sei es, seiner Meinung nach, ein ganz hübscher leidlicher Mann, der nur den einzigen, freilich sehr großen, Fehler habe, oftmals zu sehr ins Allegorische zu fallen, welches ihm denn wirklich schade. Gewiß habe Meister Celionati auch von der Krankheit, die er zu heilen unternommen, sehr abenteuerlich gesprochen. Reinhold erklärte, wie, nach des Charlatans Ausspruch, ihm, dem jungen Menschen, ein doppelter Kronprinz im Leibe sitze.
»Seht,« sprach nun der junge Mensch anmutig lächelnd, »seht ihr es wohl, ihr Herren? Das ist nun wieder eine pure Allegorie und doch kennt Meister Celionati meine Krankheit sehr genau, und doch weiß er, daß ich nur an einem Augenübel leide, welches ich mir durch zu frühzeitiges Brillentragen zugezogen. Es muß sich etwas in meinem Augenspiegel verrückt haben; denn ich sehe leider meistens alles verkehrt und so kommt es, daß mir die ernsthaftesten Dinge oft ganz ungemein spaßhaft, und umgekehrt die spaßhaftesten Dinge oft ganz ungemein ernsthaft vorkommen. Das aber erregt mir oft entsetzliche Angst und solchen Schwindel, daß ich mich kaum aufrecht erhalten kann. Hauptsächlich, meint Meister Celionati, komme es zu meiner Genesung darauf an, daß ich mir häufige starke Bewegung mache; aber du lieber Himmel, wie soll ich das anfangen?«
»Nun,« rief einer, »da Ihr, bester Signor, wie ich sehe, ganz gesund auf den Beinen seid, so weiß ich doch« – In dem Augenblick trat eine dem geneigten Leser schon bekannt gewordene Person herein, der berühmte Schneidermeister Bescapi.
Bescapi ging auf den jungen Menschen los, verbeugte sich sehr tief und begann: »Mein gnädigster Prinz!« – »Gnädigster Prinz?« riefen alle durcheinander und blickten den jungen Menschen mit Erstaunen an. Der aber sprach mit ruhiger Miene: »Mein Geheimnis hat wider meinen Willen der Zufall verraten. Ja, meine Herrn! ich bin wirklich ein Prinz und noch dazu ein unglücklicher, da ich vergebens nach dem herrlichen mächtigen Reich trachte, das mein Erbteil. Sagt' ich daher zuvor, daß es nicht möglich sei, mir die gehörige Bewegung zu machen, so kommt es daher, weil es mir gänzlich an Land, mithin an Raum dazu mangelt. Ebendaher, weil ich in solch kleinem Behältnis eingeschlossen, verwirren sich auch die vielen Figuren und schießen und kopfkegeln durcheinander, so daß ich zu keiner Deutlichkeit gelange; welches ein sehr übles Ding ist, da ich meiner innersten eigentlichsten Natur nach, nur im Klaren existieren kann. Durch die Bemühungen meines Arztes, sowie dieses würdigsten aller würdigen Minister, glaube ich aber mittels eines erfreulichen Bündnisses mit der schönsten der Prinzessinnen wieder gesund, groß und mächtig zu werden, wie ich es eigentlich sein sollte. Feierlichst lade ich euch, meine Herrn, ein, mich in meinen Staaten, in meiner Hauptstadt zu besuchen. Ihr werdet finden, daß ihr dort ganz eigentlich zu Hause gehört, und mich nicht verlassen wollen, weil ihr nur bei mir ein wahres Künstlerleben zu führen vermöget. Glaubt nicht, beste Herrn, daß ich den Mund zu voll nehme, daß ich ein eitler Prahlhans bin! Laßt mich nur erst wieder ein gesunder Prinz sein, der seine Leute kennt, sollten sie sich auch auf den Kopf stellen, so werdet ihr erfahren, wie gut ich es mit euch allen meine. Ich halte Wort, so wahr ich der assyrische Prinz Cornelio Chiapperi bin! – Namen und Vaterland will ich euch vor der Hand verschweigen, ihr erfahret beides zur rechten Zeit. – Nun muß ich mich mit diesem vortrefflichen Minister über einige wichtige Staatsangelegenheiten beraten, dann aber bei der Narrheit einsprechen und durch den Hof wandelnd nachsehen, ob den Mistbeeten einige gute Witzwörter entkeimt sind.« – Damit faßte der junge Mensch den Schneidermeister unter den Arm, und beide zogen ab.
»Was sagt ihr,« sprach Reinhold, »was sagt ihr, Leute, zu dem allen? Mich will es bedünken, als hetze das bunte Maskenspiel eines tollen märchenhaften Spaßes allerlei Gestalten in immer schnelleren und schnelleren Kreisen dermaßen durcheinander, daß man sie gar nicht mehr zu erkennen, gar nicht mehr zu unterscheiden vermag. Doch laßt uns Masken nehmen und nach dem Korso gehen! Ich ahne, daß der tolle Capitan Pantalon, der gestern den wütenden Zweikampf bestand, sich heute wieder sehen lassen und allerlei Abenteuerliches beginnen wird.«
Reinhold hatte recht. Der Capitan Pantalon schritt sehr gravitätisch, wie noch in der glänzenden Glorie seines gestrigen Sieges den Korso auf und nieder, ohne aber irgend Tolles zu beginnen, wie sonst, wiewohl eben seine grenzenlose Gravität ihm beinahe noch ein komischeres Ansehen gab, als er es sonst behauptete. – Der geneigte Leser erriet es schon früher, weiß es aber jetzt mit Bestimmtheit, wer unter dieser Maske steckt. Niemand anders nämlich, als der Prinz Cornelio Chiapperi, der glückselige Bräutigam der Prinzessin Brambilla. – Und die Prinzessin Brambilla, ja sie selbst mußte wohl die schöne Dame sein, die die Wachsmaske vor dem Gesicht in reichen prächtigen Kleidern majestätisch in dem Korso wandelte. Die Dame schien es abgesehen zu haben auf den Capitan Pantalon; denn geschickt wußte sie ihn einzukreisen, so daß es schien, er könne ihr nicht ausweichen und doch wand er sich heraus und setzte seinen gravitätischen Spaziergang fort. Endlich aber, als er eben im Begriff stand, mit einem raschen Schritt vorzuschreiten, faßte ihn die Dame beim Arme und sprach mit süßer, lieblicher Stimme: »Ja, Ihr seid es, mein Prinz! Euer Gang und die Eures Standes würdige Kleidung (nie truget Ihr eine schönere) haben Euch verraten! – O sagt, warum flieht Ihr mich? – Erkennet Ihr nicht Euer Leben, Euer Hoffen in mir?« – »Ich weiß,« sprach der Capitan Pantalon, »ich weiß in der That nicht recht, wer Ihr seid, schöne Dame! Oder vielmehr ich wage es nicht zu erraten, da ich so oft schnöder Täuschung erlegen. Prinzessinnen verwandelten sich vor meinen Augen in Putzmacherinnen, Komödianten in Pappendeckelfiguren und dennoch hab' ich beschlossen, länger keine Illusion und Fantasterei zu ertragen, sondern beide schonungslos zu vernichten, wo ich sie treffe.«
»So macht,« rief die Dame erzürnt, »so macht mit Euch selbst den Anfang! Denn Ihr selbst, mein werter Signor, seid weiter gar nichts, als eine Illusion!« – »Doch nein,« fuhr die Dame sanft und zärtlich fort, »doch nein, geliebter Cornelio, du weißt, welch eine Prinzessin dich liebt, wie sie aus fernen Landen hergezogen ist, dich aufzusuchen, dein zu sein! – Und hast du denn nicht geschworen, mein Ritter zu bleiben? – Sprich, Geliebter!«
Die Dame hatte aufs neue Pantalons Arm gefaßt; der hielt ihr aber seinen spitzen Hut entgegen, zog sein breites Schwert an und sprach: »Seht her! – herab ist das Zeichen meiner Ritterschaft, herunter sind die Hahnfedern von meinem offnen Helm; ich habe den Damen meinen Dienst aufgekündigt; denn sie lohnen alle mit Undank und Untreue!« – »Was sprecht Ihr?« rief die Dame zürnend, »seid Ihr wahnsinnig?« »Leuchtet,« sprach der Capitan Pantalon weiter, »leuchtet mich nur an mit dem funkelnden Demant da auf Eurer Stirne! Weht mir nur entgegen mit der Feder, die Ihr dem bunten Vogel ausgerupft – Ich widerstehe jedem Zauber und weiß es und bleibe dabei, daß der alte Mann in der Zobelmütze recht hat, daß mein Minister ein Esel ist, und daß die Prinzessin Brambilla einem miserablen Schauspieler nachläuft.« »Ho ho!« rief nun die Dame noch zorniger, als vorher, »ho ho, wagt Ihr es, aus diesem Ton mit mir zu sprechen, so will ich Euch nur sagen, daß, wenn Ihr ein trauriger Prinz sein wollt, mir jener Schauspieler, den Ihr erbärmlich nennt und den ich mir, ist er auch zur Zeit auseinandergenommen, immer wieder zusammennähen lassen kann, noch immer viel werter erscheint, als Ihr. Geht doch fein zu Eurer Putzmacherin, zu der kleinen Giacinta Soardi, der Ihr ja sonst, wie ich höre, auch nachgelaufen seid und erhebt sie auf Euern Thron, den irgendwo hinzustellen, es Euch noch gänzlich an einem Stückchen Land mangelt! – Gott befohlen für jetzt!« –
Damit ging die Dame raschen Schrittes von dannen, indem der Capitan Pantalon ihr mit kreischendem Ton nachrief: »Stolze – Ungetreue! so belohnst du meine innige Liebe? – Doch ich weiß mich zu trösten!« –
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