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Blume, Laub und weiße Blüt
Muß sich rasch entfalten,
Schwarzbraun Kind, dein Herz behüt,
Wirst es nicht behalten.

Geibel.

.

T Tief im Hessenland, verloren in endlos gedehnten Waldungen, auf einsamer Bergkuppe ragend, steht eine Ruine, die »Wolfsburg« genannt. Wenig Mauerreste zeugen von ihrer Vergangenheit, ein halbzerfallener Turm, eine zackig gebrochene Mauer, durch deren spitze Bogenfenster man hinab auf die rauschenden Waldeshäupter blickt, welche einförmig in dunklen Wogen hinwallen, wie ein unermeßliches und ununterbrochenes Meer, das seine träumerische Flut gegen diesen einzig aufstrebenden Burgfelsen treibt. Ganz fern im Hintergrund zittern die nebelverschleierten Konturen des hessischen Berglandes, und dicht zu Füßen des Schlosses schäumt ein Bächlein in wilder Eile über das Gestein, um nach einigen kurzen Windungen in dem Buchwald drunten zu verschwinden; das ist die einzige Abwechslung in dem einsamen, waldesgrünen Ausblick der Ruinenfenster. Keller und dumpfige Gewölbe gähnen hie und da zu dem grasbewachsenen Burghofe auf, und dicht am schroff abfallenden Berghang, wo sich ein schmaler, felsiger Pfad in mühseligen Windungen zu der Burg empor schlängelt, ragt noch als stolzestes Mauerwerk die breitgewölbte Eingangspforte, aus schweren Quadern aufgeführt und von dem durch Wetter und Zeit mit grünlichem Moos bezogenen Wappen gekrönt. Es ist ein seltsames Bild, welches uns hier steingehauen entgegenschaut: ein freies Wappenfeld, in welchem zwei Frauenarme einen Ring emporhalten.

Die Freiherrn von Wolfsgeil, welche hier gehaust, welche seit Urzeiten auf der Wolfsburg saßen, und denen alles Land, soweit nur der Blick von dem obersten Turmfensterlein schweifen konnte, mit Gut und Blut zu eigen war, die führten seit dem Jahre Zwölfhundert dieses Wappenschild, welches der Freiherr Carl Wolfgang in einer Stunde höchster Not und Gefahr in sein Schild aufgenommen, und welches dadurch den springenden Wolf verdrängte, der schon zwei Jahrhunderte lang die Ahnherrn als grimmes Bannerzeichen in Kampf und Streit begleitet hatte. Und über jene Stunde, da Carl Wolfgang sein Wappen änderte, erzählt uns die Chronik eine wundersame Fabel und führt uns zurück in die graue Vorzeit, da hier auf dem Berg noch die gewaltigen Mauern der Wolfsburg trotzten, da unter den Buchstämmen drunten Speer und Schild der feindlichen Heerhaufen gleißten, da Rauch und Brand ihr furchtbares Banner der Vergänglichkeit auf die Söller gepflanzt.

Wenn der Vollmond durch die Wolken bricht und der verspätete, wegmüde Wanderer sich an der Ruine zur Ruhe gelegt hat und wie im Traum fern her vom Dörflein zwölf dumpfe Schläge hört, dann ist es ihm plötzlich wie ein seltsames Gesicht, er schrickt empor von den moosigen Steinen und starrt mit bleichen Wangen auf Unfaßliches: langsam baut sich Stein auf Stein in der Ruine, wie mit Zaubermächten wachsen die verwitterten Trümmer empor, schimmernde Hallen und Säulen wölben sich über dem Zitternden, er schaut den Burghof, er sieht die geharnischten Gestalten in wilder Hast über die Fließen stürmen, bäumende Rosse jagen an ihm vorüber, – Waffenklirren und Kampfruf, – und dann wirbeln Rauch und Funken, – tobende, furchtbare Hast der Verzweiflung, – und eine Frauenstimme gellt durch das Getöse: »Mein Leben für den Ring!«

Andern Morgens aber steht der Wandrer mit bleichen Wangen vor dem Dorfkrug, und wenn er der Wirtin Töchterlein nach der alten Ruine droben fragt, dann sieht ihn die Kleine mit scheuen Augen an und fragt mit ängstlichem Umblick nach der fernen Bergkuppe: »Ward Ihr droben zur Nacht und habt Ihr auch den Carl Wolfgang kämpfen sehen?!« … –

Die Sonne aber lacht am Himmel und weiße Lämmerwölkchen treiben über der Wolfsburg.

Man schrieb das zwölfte Jahrhundert. – –

Wenn man den kleinen Bach verfolgt, welcher eilig das dichtverwachsene Gestrüpp durchbricht, um tagelang über Moos und Steine durch endlos gedehnte Wälder zu irren, dann trifft man plötzlich auf einen Flecken kahles Heideland, welches wie ein vergessen Stücklein Poesie tief versteckt zwischen den laubigen Waldmassen liegt.

Mitten durch hochstarrendes Ginsterkraut sucht sich der schäumige Gesell seinen Weg, klettert keck über die sperrenden Felssteine und küßt mit neckender Welle die schlanken Brombeerranken, welche in fast undurchdringlichen Blattschlingen, gelb und rot gefärbt, über den Granit hängen.

Die Sonne sinkt, grellrote Strahlen flimmern über die blühende Heide und mengen Gold und Purpur zu märchenhafter Pracht; feiner, säuselnder Duft steigt aus dem Blumenmeer empor, und die Schmetterlinge wiegen sich voll zweifelnder Lust über braun' Erika, ehe sie, berauscht von süßem Odem, an die lockenden Kelche hernieder taumeln. Mitten in dem wehenden Riedgras erheben sich zackige Felsblöcke, hochgetürmt wie ein steinerner Thron, belegt mit einem Teppich üppig wuchernden Mooses, so weich und schwellend und farbenhell gestickt, als sei er zur Wiege für ein Königskind bereitet worden. Grell umflutet steht er von dem Abendrot und die kleine Eidechse huscht neugierig näher und lauscht mit klugen Augen zu dem jungen Wesen empor, welches einsam, regungslos in dieser Einöde auf sonnigen Steinen liegt.

Braune Arme stützen ein Mädchenhaupt, geknickte Heidestengel schmiegen sich an ruhende Glieder, schmeicheln um die kleinen Füße, welche mechanisch den gelben Sand scharren, und schmücken den groben Zwilchrock, welcher grau und unschön über den Felsen weht. Schlank und geschmeidig sind die Glieder, lebendig selbst in ihrer Ruhe, und das Antlitz, welches mit großen, blaugrauen Augen über das schimmernde Heideland starrt, trägt einen fremden, einen seltsamen Charakter. So wild und ungefüg' wie das lange Haar um Stirn und Schultern flattert, so trotzig herb legen sich die Lippen auf feste, weißkeilige Zähne, scharf und spitz wie bei dem Wiesel, welches oft hier durch das Gestein huscht; und die Augen, groß und lebhaft, durchglüht von unbändig jähem Gefühl und dennoch oft von dunklen Wimpern verschleiert, durch welche listig und klug der Blick bricht, magnetisch fesselnd mit leuchtendem Schimmer, diese Augen sind die einzige Schönheit in dem schmalen, wettergebräunten Oval, – der Spiegel einer ungefügen, fessellosen Mädchenseele.

Der Kuckuck lacht leise aus dem Wald herüber, mit silbernem Klang schäumt der Bach durch die Steine, und ein ungeduldiger Griff der wettergehärteten Hand wirft die Haarsträhne zurück und bricht aus dem rotblühenden Saurampfer zur Seite, dessen saftige Blättlein und Stengel die kleinen Zähne der Dirne rastlos zerbeißen. Wieder und wieder, hebt sie das Haupt spähend nach dem dunklen Waldessaum, legt das Ohr auf den sandigen Boden und lauscht mit verhaltenem Atem. Ein seltsames Zucken fliegt über die Züge, sie lächelt, schaut empor und atmet tief auf; noch ein Augenblick angestrengten Schauens – dann springt das Waldkind empor, schüttelt Halme und Sand von sich und gleitet leis und behend wie ein Schatten zwischen die hohen Felsblöcke, – schmal ist die Spalte zwischen dem Gestein, undenkbar fast, daß ein Menschenkörper sie passieren kann, – das sonngebräunte Mädchen jedoch windet sich schlank hindurch, duckt sich nieder unter das blühende Gerank der Heiderose und blinzelt mit dunklem Blick über die Ebene.

Da klingt Hufschlag und Hai-hô! Wie die wilde Jagd knattert es durch die Gebüsche, stampft, mit flüchtigen Hufen über das Flachland und stößt schmetternd ins Horn.

Allen voran auf goldrotem Pferd ein Jüngling, schön und keck wie Ritter Georg der heilige Streiter; prunkendes Jagdgewand gleißt in dem Abendrot, und um die Schultern weht licht das Haar, wie aus Sonnenfäden gesponnen. Ihm nach ein schmucker .Zug stolzer Wehrgesellen und Waidmänner, hohe, reckenhafte Gestalten voll trutziger Kraft und Kühnheit, –wie ein Traumbild fliegen sie an den Felsen vorüber, Sandwolken und geknickte Heidestengel wirbeln hinter ihnen auf, dann zieht's hinab in den Buchwald.

Zwei Augen haben die Reiter angestarrt, zwei brennende, weitgeöffnete Mädchenaugen sind von Angesicht zu Angesicht gehuscht und schließlich zurückgekehrt zu dem goldlockigen Jüngling in langem, unaussprechlichem Blick, welcher noch jetzt wie gebannt auf dem wogenden Blattgrün haftet, hinter welchem die rotwallende Mähne zum letztenmale aufgebäumt. Leise gleitet das Heidekind aus dem Versteck, preßt die Hände gegen die Brust und breitet sie dann in stürmischem Jubel dem glühenden Sonnenball entgegen, silberhelles Jauchzen hallt über die grabesstille Heide, und der Kuckuck lockt leise herüber, und tief im Riedgras raschelt die scheue Eidechse, zirpt es ihr heimliche Antwort.

Hastig stürmen die nackten Füße über die Fläche, genau hat sie's erspäht, wo der Huf des goldroten Rosses die Erde traf, zerwühlte Blüte liegt rings umher, geknickt und abgeschlagen von dem Eisen des flüchtigen Tieres. Da hebt sie den Zweig der grünen Klette empor, drückt ihn gegen die Brust und lacht leise auf, wie er sich so fest in die groben Zwilchfalten klammert, – dann thut sie prüfenden Umblick über das Flachland, vorgeneigten Hauptes wie das Reh, ehe es sichern Fuß auf fremdem Gebiete faßt, – und schnell wie der Sturmwind eilt sie den Hügel hinab, haltlos hinein in dämmernden Wald, durch welchen noch immer das Hai-hô, Horn und Meutengekläffe widerhallt. –

Das Eichenlaub zittert, als trüge es tiefes Weh. Drunten auf schwellendem Moos liegt ein goldblondes Haupt, warmer Purpur rieselt über bleiche Wangen und färbt die weißen Sternblumen, welche sich klagend über die geschlossenen Augen neigen. Stumm und ernst stehen die Jagdgesellen und netzen das weiche Tuch im Wasser, um die brennenden Wunden zu kühlen, rote Wellen trägt das schäumende Bächlein, und je greller sie sich, unter dem feuchten Leinen färben, desto tiefer erblassen die Wangen des jungen Reiters. Herrnlos scharrt der Goldfuchs, an einen Baumast gebunden, die nickenden Farren in den Staub.

Da regen sich leise die Zweige, scheu und dennoch sicher entschlossen tritt eine Maid aus dem Gebüsch, achtlos der Männer schreitet sie näher, nur einen Einzigen sieht ihr glanzloser Blick.

Wortlos neigt sie sich über den Verwundeten, schaut prüfend die blutende Stirn und streicht mit der braunen Hand die Locken zur Seite. »Wasser hilft hier nicht«, flüstert sie leise zu dem Nächststehenden auf, »daheim habe ich Wundsalbe, die stillt jedes Blut sofort!«

»Wer bist Du, Dirne, und wo wohnst Du?!« Näher umdrängen sie die Waidgesellen in ungestümer Frage.

»Der Vogelsteller Juan Piccolo ist mein Großvater, unsere Hütte steht dicht bei der Klause des frommen Paters Severin, keine hundert Schritt weit!« entgegnete sie mit fliegendem Atem, »schafft ihn zu mir, ich will ihn heilen!«

»Verstehst Du Dich auf solch wundersame Kunde, Maid?« fragte ein weißbärtiger Alter, zweifelnd auf die kleinen Hände, auf den groben, oft zerfetzten Rock herniederblickend, »so hilf ihm! Es soll Dir wohl belohnt werden, wenn Du dem jungen Ritter Obdach giebst. Er ist ein reicher Herr und hochgeehrt im Hessenland!«

Da sprüht und blitzt das dunkle Auge zu ihm auf: »Ich helfe ihm, weil ich's will, nicht weil ich's soll oder sein Gold erschleichen will!« grollt sie zornig durch die Zähne, »ich brauche keinen Lohn, ich bin frei, ich habe alles was ich will, so weit der Himmel glänzt kann ich gehn, und die Vögel gehorchen mir und die Tiere thuen nach meinem Willen und nach den Menschen frage ich nichts! Schafft ihn auf! Auch der Vogelsteller bewirtet seinen Rittersmann!«

Und sie wirft das Haupt in den Nacken, weist gebieterisch auf den Kranken und wendet sich voraus, den Weg zu zeigen.

Da trifft ihr Blick noch einmal den Alten. »Wie heißt er?« frägt sie, kurz nach dem blonden Haupt zurückweisend.

»Carl Wolfgang, Dirne, – 's ist ein edler Herr von Wolfsgeil!«

Da zuckt sie zusammen, als träfe sie ein giftiger Pfeil. »Wolfsgeil? « stottert sie … »Wolfsgeil? … von der Burg droben?!« – – und ihre Hände sinken schlaff hernieder und ihr Antlitz überzieht fahle Blässe. »So schaut ein Wolfsgeil aus?«

»Just so, Dirne, und ich denke: schmuck genug, wenn wir ihm erst das Antlitz frei gewaschen haben! Aber vorwärts nun, zeig uns den Pfad zur Hütte!«

Starr und regungslos steht die braune Maid, wie Wetterleuchten flammt es über ihre Züge, und sie hebt finster wehrend die Hand. »Halt ein! ein Wolfsgeil tritt nicht über Juan Piccolos Schwelle … es klebt ein Fluch daran!«

»Bist Du bei Sinnen, schwarze Hexe?!« Der greise Waidgesell faßt mit schmerzendem Griff ihr Handgelenk und schaut zornig in ihr bleiches Antlitz, »soll Carl Wolfgang uns auf freiem Feld verbluten, weil ein gottvergessner Vogelsteller keinen Raum für ihn in seiner Hütte hat? Voran sag' ich, kleine Wildkatz! bei Deinem Leben zeig uns den Weg!«

Da wirft sie das wilde Haupt trotzig in den Nacken und zeigt die weißen Zähne. »Hoho! weißt Du keine andre Sprache, Alter? Befiehl dem Bach, daß er stille steht, befiehl der Mustela Piccolo, daß sie einem Menschen auf der Welt gehorcht, und sie höhnen Dich beide, ›einen Narren‹, Gesell! Ich thue, was ich will, ich bin frei wie der Falk und die Hand, die mich ducken will, schlag' ich wie er mit blutigen Fängen!« Und sie reißt in wildem Trotz ihre Hand los. »Zum Teufel mit den Wolfsgeils! ich helf' ihm nicht!« Hastig wendet sie sich zur Flucht, noch einen schnellen, glimmenden Blick wirft sie zurück nach dem blonden Haupt des Verwundeten, und der erhobene Fuß stockt, machtlos wurzelt er im Moos, mit regungslosem Antlitz, wie gebannt starrt sie in Carl Wolfgangs Auge.

Sekundenlang hat der junge Reiter in aufflackerndem Bewußtsein die dunklen Wimpern aufgeschlagen und in langem, fiebrisch leuchtendem Blick haften die Blauaugen auf den erbarmungslosen Lippen Mustelas. Dunkle Schatten legen sich tief um diese Augen, groß und zaubrisch schön in thränenlosem Schmerz glüht eine Welt von nie gelösten Rätseln draus entgegen, und langsam sinken wiederum die Lider, leises Seufzen läßt die farblosen Lippen beben, und tiefe Starrheit ruht abermals auf seinen Zügen.

Mustela verschlingt die zitternden Hände, ein tiefer Atemzug hebt ihre Brust, und mit glänzendem Blick winkt sie dem Alten. »Folg mir, Gesell, ich will es, daß der Wolfsgeil Obdach findet, – ich will's!« Und wie ein Schatten gleitet sie lautlos voran durch das flüsternde Gezweig.

Der Weg ist kurz, den sie zu gehen haben; schweigend folgt der kleine Zug. Über die Heide geht's, am Bach entlang in den Wald hinab. Mustela schaut nicht nach dem Kranken zurück, aber sie zuckt empor, wenn sein schwerer Atem ihr Ohr trifft, und sie legt den Arm auf den Nacken des goldroten Pferdes und leitet es sicher auf ebneren Weg. Da wendet sie sich zu dem Alten und faltet finster die Stirne.

»Ich nehme den Kranken in unsere Hütte«, sagt sie kurz, »ihn und sein Pferd, sonst keine Seele weiter, verstehst Du mich? Und wenn Du es mir gelobst, daß dem Juan Piccolo sein Namen verborgen bleibt, so schwöre ich Dir hingegen bei der heiligen Jungfrau, daß Du ihn bis zum Neumond frank und gesund wieder sehen sollst, so gesund wie heut Morgen, da er sich in dieses Rosses Sattel schwang! Thust Du nicht nach meinem Willen, und verrätst Du dem Vogelsteller, welchen Gast er beherbergt, so bürge ich nicht fürder für Carl Wolfgangs Leben, wirst Du mir aber vertrauen und sein Geschick in meine Hände legen, so verpfände ich Dir meine Seele für sein Heil!« und die seltsame Sprecherin bietet mit befehlerischer Geste die Hand entgegen. »Schlag ein!«

»Ihn allein willst Du aufnehmen, Mädchen?« Ludolf der Wildmeister schüttelt finster das Haupt, »wie sollten wir unsern Herrn also verlassen? Wer bürgt für seine Sicherheit? Wehe dem, der glattem Weiberworte traut!«

»Und wehe dem, der Wahrheit nicht zu schätzen weiß!« ein jäher Blick bricht leidenschaftlich aus ihrem Auge und mit gedämpfter Stimme fährt sie fort: »Hätte ich Arges im Sinn, verschwieg' ich wohl den Haß, den Juan Piccolo wider die Wolfsburg hegt, so sage ich ihn ehrlich in Euer aller Gesicht und ich füge hinzu, Juan wird verfolgen und ich werde schützen, Juan ist ein alter, kindischer Mann, seine Enkelin aber ist Mustela, und Mustelas Willen ist das Evangelium für Wald und Heide, – töte mich, aber sag' nicht, daß ich falsch sei! Sieh, hätt' ich einen Feind auf dieser Welt, ich würde vor ihn treten unter Gottes Sonnenlicht, würde die Augen aus seinem Antlitz kratzen, hätt' er mich mit bösem Wort gereizt, zu Boden schlagen würd' ich ihn in jäher Leidenschaft; aber nie und nimmer würd' ich sichre Nacht erwarten, um ihn meuchlings in sein Verderben zu locken, Mustela wird zum Hasse nie zu feig, doch stets zu stolz zur Feigheit sein!«

Ludolf wiegt nachdenklich sein weißes Haupt. »Mag's immerhin so sein, Dirne, ich glaube Dir's, und freu mich Deines graden Sinns, aber schau, es ist nicht Ritterart, den Herrn hilflos allein zu lassen, und darum höre, welch ein Ausweg mir einfällt. Nimm Carl Wolfgang denn immerhin allein unter Dein Dach, doch zürne nicht, wenn ich einen Knappen bei dem Klausner Severin zu Gaste bitte, damit er, und sei es auch auf der Schwelle nur, für seinen Junker wacht! Ich selber reite ab und zu, bring' Wein und Speise aus der Wolfsburg und eine Sänfte, wenn Deine wunderkräftige Salbe die Wunden auf der Stirne heilen ließ. Bist Du's zufrieden, kleiner Kobold? so schlag' ein!«

Das Heidekind reichte ihm abgewandt die Hand, preßte in finsterem Trotz die Lippen zusammen und schritt schweigend weiter. Dämmerung wehte wie graue Nebel über die Heide und durch die fernen Baumwipfel schimmerte die fahle Mondscheibe; Mustela winkte leise gegen die Reiter, huschte behutsam an eine dichtverwachsene Hecke laubigen Schlehdorns und legte die Hände an den Mund, zirpender Vogellaut ertönte, leise flötend wie glockenheller Amselschlag perlte es von des Mädchens Lippen, und dann folgte der grelle, dreimal wiederholte Schrei des Nußhehrs, täuschend hallte es unter den breitästigen Baumkronen. Betroffen lauschte Carl Wolfgangs Jagdzug. Durch die Schlehdornzweige gewahrten sie eine niedere Mooshütte, ähnlich einer Köhlerklause, nur breiter gedehnt an dem niedern Felskamm, gegen dessen schützende Wand sie sorglich gelehnt war. Moos und Birkenrinde deckte das Dach, so tief herabgeneigt, daß kaum der Raum zu schmaler Fensterlucke blieb und die Thüre einem Felsspalt glich, welcher nur mit tiefgeneigtem Rücken Einlaß gewährte.

Mustella lauschte mit verhaltenem Atem. Noch einmal wiederholte sie den Vogelschrei und bog gleichzeitig die Zweige zurück, um das Köpfchen spähend hindurch zu schieben.

»Bist Du schon zurück, Wildfang?« klang es gedämpft aus dem Innern der Hütte, ein weißes Haupt schimmerte an der Fensterlucke und neigte sich langsam vor. »Nur herzu, kleine Eichkatz, hast genug geklettert und gejagt, häng den Kessel übers Feuer, mich hungert!«

Mustela wich zurück und winkte den Männern zu folgen, um die Hecke herum führte sie den traurigen Zug.

»Er ist daheim!« flüsterte sie zu Ludolf auf, »nennt den Ritter mit falschem Namen.«

Die Pferdehufe klangen auf dem steinigen Boden, und hastig, zitternd in jäher Eile tauchte Juan Piccolos hagere Gestalt aus dem Thürspalt.

»Hermengild!« rief er mit tonloser Stimme, »Pechvogel, was bringst Du für bunt Gefieder heim?!« Und seine schwarzen Augen blitzten über der scharf gebogenen Nase.

»Gefieder, das der Habicht gestochen hat!« entgegnete die Kleine mit schneller Geste nach Carl Wolfgangs mühesam gestützter Gestalt, »der Junker hat's mit einem Keiler aufgenommen und seine Gewehre übel dabei geschmeckt. Muß ihn gesund pflegen, Großvater, und ihn im Käfig halten, bis er wieder flügge ist! Schafft' ihn hinein, Gesellen, ich hab' zwar keine linnenen Kissen für solch edlen Gast, aber weiches Moos und viel guten Willen, und ein ›Gesegn' 's Gott‹ zum Eingang.« Und des Vogelstellers Enkelkind schlüpfte behend voran durch die Thüre.

Regungslos stand der Alte und blickte zu Boden, herber Trotz lagerte auf den gebräunten Zügen. Da trat Ludolf zu ihm hin und bot ihm mit ehrlichem Gesicht die Hand entgegen.

»Juan Piccolo!« sagte er ernst, »willst Du den Kranken bei Dir aufnehmen? Um Christi willen, der die guten Thaten droben anschreibt, schick ihn nicht in die Nacht hinaus, die ihn hilflos verderben läßt«

»Wer ist's?!« klang es ihm statt aller Antwort zurück.

»Ein edler Ritter von dem Weserstrand, der zum Turnei nach Fulda zieht und auf der Wolfsburg droben Gastrecht genießt. Dein Schade soll's nicht sein, Du luft'ger Bruder Vogelsteller, hier schau, 's ist klingend Gold und königlicher Lohn für ein schmales Mooslager in der Hütte!« und Ludolf zog ein ledern Beutlein aus der Tasche und schüttelte es gewichtig in seine nervige Hand. »Greif zu, Alter, solch gelbes Laub wächst nicht auf den Bäumen, und wer einen Ritter herbergt, soll auch dessen froh sein!«

»Behalt Deine Pfifferlinge!« entgegnete Juan rauh, wies kurz nach der Thüre und sagte: »Wenn's der Hermengild zu Willen ist, thut was Ihr wollt, ich suche mir mein Lager bei den Füchsen, denn wißt wohl: wär auch die Scholle breit wie eines Kaisers deutsches Reich, sie hätte doch nicht Platz, Juan Piccolo mit einem Gast der Wolfsburg unter einem Dach zu bergen!« und er pfiff seinem rauhhaarigen Wolfshund, würdigte die Fremden keines Blickes mehr, sondern schritt schweigend in den dunklen Wald hinein. –

Das Frühlicht glitzerte in den Tauperlen, welche farbenspielend von dem Gezweig tropften und märchenhaft prächtige Glücksbogen von einem Blütenkelch zum andern woben, huschte mit blendendem Strahl über das Moosdach des Juan Piccolos Hütte und vergoldete das geneigte Haupt seiner Enkelin, welche mit verschlungenen Händen auf dem Stein vor der Hausthüre saß. Vor ihr stand Pater Severin, der kleine, bewegliche Alte mit dem langen, eisgrauen Bart, welcher wie Herbstnebel über die braune Kutte wallte und mit dem Haupthaar korrespondierte, dessen spärliche Lockensträhne der Wind wie einen Heiligenschein um des Klausners Stirn sträubte. Die Kutte war schmutzig und oft mit grobem Hanf geflickt, ein knotiger Strick hielt sie um die Hüften zusammen und trug den abgegriffenen Rosenkranz, welcher die lebhaften Gesten seines Herrn stets mit geschäftigem Schaukeln begleitete. Auch jetzt sprach Pater Severin mit vollem Eifer für die gute Sache, blinzelte gar schlau mit den schwarzen Äuglein und rieb die schwieligen Hände.

»Wiesel Du! … mustela vulgaris, nennt's die unsterbliche Sprache«, rief er, »soll ich Dir wohl eine Falle vors Thor stellen, die Deine thunichtguten Pfötlein im Zaume hält? Was huscht die kleine Wildkatz auf dem Wasen herum und fängt sich allerlei Getier, stopft sich die Hütte voll bunten Gastvolks und legt selbst dem alten Severino ein Kuckucksei ins Nest!« – und der Alte wandte sich geschäftig um und wies auf den schmucken Waidmann, welcher lachend die Arme in die Seiten stemmte und es sich auf dem gehauenen Baumstumpf bequem machte. »Da sieh Dir den Hänfling an, den grünröckigen, den Du mir nudis verbis – würde der Lateiner sagen – und bei Nacht und Nebel gar unters Dach geschoben hast!«

Hermengild-Mustela hob mit schalkhaftem Blick nach dem Jäger das Haupt.

»Ich seh' ihn schon gut«, lachte sie, »und denke, Du kannst mit Deinem Gast zufrieden sein! Was Juan Piccolos Enkelin bringt, kann Pater Severin auch in stockdunkler Nacht mit Zuversicht aufnehmen, ich habe Augen im Kopf, die das Sehen gar brav gelernt haben!«

»Sacra!« rief jung Wunibald und drehte schnalzend das schwarze Bärtlein auf der Oberlippe.

»Lose Dirnenaugen, Schelmenaugen! … daß sich Gott erbarm«, kollerte der Alte voll gutmütigen Zorns – nuda cautio! würde der Lateiner sagen und auf seiner Hut sein! – Sanctus Bonifacius! sieht sein grün Wämslein und das blanke Horn auf der Hüften und glaubt, es sei zum mindesten ein Kaiserlicher, den sie da in ihren Sprenkeln zappeln sieht. Mustela, Du! klein Wiesel, trau den Äuglein nicht zu viel, und wenn Du solch schmuckes Bürschlein galoppieren siehst, dann merk fein auf, wie das Rößlein aufstampft, wie's sein Reitersmann zu tummeln weiß, daß solch fürwitzigem Mädchenvolk gar fingerhoch der Sand in die Äuglein fliegt! – in hypothesi! würde der Lateiner sagen!« – und Severin wies blinzelnd mit dem Daumen über die Schulter, wo Wunibald mit hellem Juchzer ein wohlverschlossen, plattes Krüglein von dem Jagdgurt löste und es dem Alten hinhielt.

»Heisa!« rief er, »sollen doch alle Rößlein und Reiter und Schelmenäuglein leben. Prosit, Du lustiger Gastfreund!« und dabei trafen seine schwarzen Augen klein Hermengild, welche die Hände um die Kniee faltete und ein Klettenzweiglein zwischen den Lippen hielt.

Severins Hand zuckte von der Flasche zurück.

»Sancta!« rief er hitzig, »ich habe das Gelübde der Nüchternheit gethan, Gesell! – Hexe Du von einer Mustela vulgaris, sehe die Welt, was für ein verderbtes Gäuchlein sie mir an den Hals gehängt!«

Und der Klausner blies die Nasenflügel auf, schaute mit schrägem Blick nach der Flasche und zwirbelte den Rosenkranz.

»Verderbt ist's nicht, frommer Vater!« lachte Wunibald verschmitzt, »sondern hochfeiner Wachholder, den mir Frau Ursula, die brave Schaffnerin auf der Wolfsburg, ganz heimlich in den Schnappsack gesteckt hat! Schaut nur, wie die Tröpflein blinken, kann kein Fegfeuer so heiß brennen wie sie!« und er zog den Stöpsel heraus und führte das gepriesene Naß an die Lippen.

»Eia!« nickte Severin, einen Schritt näher tretend, »ist mir wohlbekannt, die Schaffnerin Ursula, hat die Schneehühnlein und Drosseln am Spieß gebraten wie keine Zweite!« und er fuhr lecker mit der Zunge über die schmalen Lippen, »Sancta, Jung Wunibald, Wachholder sagst Du?! Ist ein artig Tränklein und gut für den Magen und Hemiplexie, weiß der Böse, wie es mir jetzt oft so miserabel durch die Knochen zieht! Zeig mal her, ob ich's noch an dem Duft kenne,« und er streckte die Hand aus und faßte in unsicherer Hast das lockende Krüglein. Mit halbgeschlossenen Augen hielt er es dicht unter die Nase, legte die freie Hand behaglich auf den Magen und zog in langem Zug den starkwürzigen Duft. »Sancta!« rief er, leicht aufhustend und das Wasser aus den Augen wischend, »das nenne ich Gottes Allmacht, die solch ein Wunderwässerlein aus Wachholderbeeren rinnen läßt, wäre eine neue Schöpfung wert, daß jeglich Brünnlein solchen Trank ergeusse! Eia, wie mein Magen so wunderliche Grimassen schneidet!«

»Laß ihn ein Schlückchen schmecken, Pater Severin, und er wird fromm wie eine Hinde!« rief Wunibald ermunternd. »Kneif Deine Augen ein, und der Himmel sieht's nicht, daß wir teilen!«

»Misericordias domini cantabo!« betete Severin mit wehmütig seufzendem Blick zum Himmel.

»Sagst Du nicht, Vater Severin, der Wachholder heile allerhand körperliche Gebrechen?« lächelte Hermengild fein, »nun, so denke ich doch, ist er eine Arzenei, und gegen Pflaster und Tränklein hast Du Dich nimmer im Gelübde verschworen! Schmerzt Dich Dein Magen, so heile ihn, und hast Du Wachholder, so trinke ihn!« und die Vogelstellerin warf ausgelassen den Kopf zurück und zwitscherte hell durch die Zähne.

»Thu es, frommer Vater!« nickte Wunibald.

Da hob der Klausner abermals das Krüglein und schaute es gar begehrlich an. »Sancta!« rief er, »Mustela, kleines Wiesel! willst einen Sünder aus mir machen?! ›Und die Schlange sprach zu dem Weibe!‹ heißt es in der Biblia, und das war des Bösen Anfang! Arzenei! sagst Du? schau an, 's ist Arzenei in dem Krüglein, und weil es mein armes, gebrechliches Fleisch verlangt, und weil mein Geist schwach ist, so heile ich ihn mit stärkerem Geiste und trinke nicht aus Wohlgefallen, sondern aus eitel Not und Siechtum, damit ich an mir selber zum barmherzigen Samariter werde!« und der Alte hob den duftigen Krug an die Lippen und that einen langen, langen Zug.

»Prosit, Vater Severin!« klatschte Wunibald in die Hände, und sein Blick traf Mustelas Auge, Schalk und Übermut blitzte darin, und als der Klausner den Trank tief aufatmend mit breitem Schmunzeln zurückreichte, da hob er das Krüglein gegen die Kleine und rief: »Kredenz mir den Trunk, braun Mägdlein, und ich leere das Fläschlein Dir zum Wohlsein, Dir und Deinen Schelmenaugen!«

Hermengild sah des Jagdgesellen heißen Blick, sie erhob sich langsam und warf das Haupt in den Nacken.

»Kann auch ohne Dein Prosit fertig werden!« sagte sie schroff, wandte sich zu Severin und rief ihm zu: »Macht, daß Ihr zur Klause zurück kommt, ich habe des Junkers zu warten!« und sie faßte das zwilchne Röcklein zusammen und schlupfte in die Hütte.

»Sacra!« klang es von Wunibalds Lippen, er sprang auf, daß seine Waffenkette rasselte, und schaute ihr mit hellem Auge nach. »Ein Wiesel ist in den Bau gehuscht, hab' sein sammtnes Fellchen streicheln wollen und fühlte plötzlich scharfe Zähne, – ›vivat Mustela vulgaris!‹« – und er hob die Flasche und that einen hitzigen Zug.

»Bist ein Jägersmann und wunderst Dich drob?« lachte Severin sich zum Wald wendend, »freu Dich, Gesell, daß die Zähne diesmal nur gezeigt wurden, und wahr Dich, sie zu fühlen!« Und er faßte Jung Wunibalds Arm und trat unter die golddurchflammten Buchenkronen. –

Schweigend sitzt klein Hermengild neben dem niedern Mooslager ihres Schützlings. Sie hat den Kopf sinnend in die Hand gestützt und schaut regungslos in das bleiche Antlitz Carl Wolfgangs, um dessen Stirne sich die kühlen Linnen legen. Zaghaft hebt sie die Hand und streicht die blonden Haarwellen zurück, welche tief auf des Schläfers Wangen fallen, und gleichsam, als wandele sich die goldene Locke unter ihren Fingern zur sengenden Flamme, schrickt sie zurück und fühlt heiße Glut empor in ihre Wangen schlagen.

Warum wacht er nicht auf? Mustela lauscht seinem Atem und starrt auf die geschlossenen Augenlider, welche sich immer und immer noch nicht heben wollen, und denoch harrt sie auf einen Blick aus diesen Augen, wie auf ein Märchen voll unsagbar lieben Zaubers! Und so faltet sie leise die Hände und folgt dem zitternden Sonnenstrahl, welcher über seine ruhende Gestalt fällt; auf einer weißen Hand spielt er und blitzt in dem breiten Goldreif, welcher den Finger schmückt; des Vogelstellers Enkelkind blickt starr darauf hernieder, näher neigt sie sich, die wunderlichen Figuren zu enträtseln, und wie sie den Blick so unverwandt auf der Gravierung haften läßt, da sinken unbewußt die langen Wimpern, lichte Trauerbilder schweben an ihr vorüber, eine weiße, schlanke Männerhand, die sich zärtlich auf ihr ruhelos Haupt legt, und wie sie erzitternd bis in die tiefste Seele an der stolzen Gestalt empor sieht, da strahlen ihr zwei Augen entgegen, blaue, zauberhafte Augensterne, die sie einmal schon angeblickt durch die wallenden Schleier des Fiebers, – seine Augen!

Hermengild lächelt und ihr Haupt sinkt schlafend auf Hand und Ring des Junkers Carl Wolfgang nieder. Totenstill ist es in der kleinen Mooshütte Juan Piccolos. Da ringt sich ein tiefer Atemzug von der Lippe des Verwundeten. Wolfsgeil öffnet die schlafumnachteten Augen und schaut mit wirrem Blicke auf.

Wo ist er? Fremd und wunderlich sieht's um ihn aus. Ein niedres kleines Gemach, rauchgeschwärzt und aus rohem Holz gezimmert, umgiebt ihn, Moos und Wurzelwerk verstopft die Fugen, und der Tisch, welcher inmitten steht, ist ein mächtiger Eichstumpf, dessen Wurzeln noch in dem festgestampften Boden haften. Ein kunstlos gefügtes Schemelpaar, ein keiner Feuerherd unter offenem Rauchfang ist der ganze Reichtum und doch nicht der ganze, denn an der Wand lehnt ein rostiger Jagdspieß über ledernem Schild, und ein langes, zweischneidiges Schwert gleißt daneben; seltsam, ist es ein fahrender Troubadour, der hier haust? Eine staubige Laute hängt an der Wand, ein roter Mantel, und dann ein weidengeflochtenes Vogelhäuschen neben dem andern, die meisten sind leer, etliche aber sorglich mit gelben Flachssträhnen verhängt.

Carl Wolfsgangs Blick schweift staunend von Stück zu Stück, folgt dem Sonnenstrahl, welcher um den frischgepflückten Heide- und Klettenstrauß auf dem Tische spielt, und kehrt endlich zu sich selber, auf das niedere Mooslager zurück. Wo ist er? sein Haupt schmerzt und die Glieder deuchen ihm schwer wie Blei. Er will die Hand heben und nach der brennenden Stirne tasten und streift eine weiche Wange, welche schwer auf dieser Hand ruht.

Mit starrem Blick schaut er auf die braune Dirne, welche regungslos neben ihm auf dem Boden kauert. Das Haupt ist tief geneigt, freies Haar wallt in langen, glänzenden Wellen über den Nacken, zügellos und ungepflegt, wie der braune Rock, welcher lässig mit der zähen Ranke der Waldrebe geschützt ist.

Wer ist sie? Wie kommt der Ritter von Wolfsgeil in die Hütte der Armut, allein, verlassen von Gott und der Welt? Er sinnt und sinnt und langsam kehrt ihm die Erinnerung an seinen Jagdritt, an den wunden Keiler, dem er trotzig, mit dem Schwert in der Faust entgegentrat und der ihn voll wilden Zorns zu Boden rannte, und ihm ist es, als habe er neben dem murmelnden Bach gelegen, als habe eine kleine Maid neben Ludolf dem Wildmeister gestanden, die ihn unverwandt mit dunklem Blicke angeschaut. Gewiß, es war dieselbe, die hier an seinem Lager kniete, die ihn zur schirmenden Hütte geflüchtet, bis Hilfe von der Wolfsburg kam.

Carl Wolfgang hebt die freie Hand und legt sie leise auf des Mädchens Haupt. »Wach auf,Kind!« murmelt er, »mich dürstet!«

Da zuckt sie auf, schüttelt verwirrt das Haar in den Nacken und starrt ihn mit großen Augen an, sekundenlang ruht Blick in Blick, glühende Blutwellen steigen in Mustelas Wangen, und sie springt empor und tritt einen Schritt zurück. »Ihr schaut um Euch, Junker?« sagt sie ernst. »Gelobt sei – die Jungfrau!«

»In Ewigkeit!« Carl Wolfgangs Zunge ist schwer, »Wasser!« bittet er leise.

Sie nimmt hastig ein irden Krüglein vom Herd und tritt herzu. Behutsam stützt sie sein Haupt und hält den Trunk sogleich an die Lippen. »Trinkt, Junker«, sagt sie leise, »es ist roter Wein, den Ludolf der Wildmeister zurück ließ, der bringt Euch eher zu Kräften, denn unser mager Brünnlein! Eure Hände sind kühl und die Wunde blutet nicht mehr, seid getrost, bald reitet Ihr frisch wie ein Vogel im Wald auf goldrotem Rößlein heim zur Burg!«

»Wo bin ich hier?« fragt der junge Ritter, von neuem die Augen schließend.

»In der Waldhütte, Herr, bei dem Vogelsteller Juan Piccolo!«

»Und Du? wie heißest Du?« Carl Wolfgang schlägt die Augen auf und blickt voll in ihr geneigtes Antlitz, seine Hand faßt nach dem Krug und legt sich fest um ihre Rechte.

»Getauft auf Gottes Namen hat man mich Hermengild«, sagt sie mit verwirrtem Blick, »aber seit der fromme Pater Severin mich nach dem flinken Wiesel, das so behend um seine Klause huscht, benannt hat, da höre ich besser auf sein lateinisch Wort ›Mustela‹, denn auf meinen christlichen Frauennamen!«

Wolfsgeil lächelt. »Und Du bist meine Pflegerin, klein Mustela?« fragt er. »Du bewirtest Carl Wolfgang und heilst seine Wunde? Wie danke ich Dir, Du wacker Mägdlein!« und er faßt ihre Hand und umschließt sie in sanftem Druck.

Da fliegt ein jähes Beben über ihre Züge, tiefe Blässe drängt den Purpur von den Wangen und in ihrem Auge glimmt es wie Wetterleuchten. Fast rauh zieht sie die Hand zurück und birgt sie bebend in den Rockfalten.

»Ich begehre keinen Dank, Junker!« entgegnet sie kurz, »wenn Euch die Heiligen helfen und mein Werk gelingen lassen, ist es der schönste Lohn, der mir werden kann!« und sie wendet sich und stellt den Wein zurück.

»Mustela, das Wiesel!« schwebt es auf Wolfsgeils Lippen, er lächelt und lehnt das Haupt zurück.

Das Heidekind aber tritt näher, nimmt mit sichrer Hand den Verband von seiner Stirne und legt von neuem die wunderkräftige Salbe auf. Carl Wolfgang regt sich nicht, mit geschlossenen Augen duldet er ihr geschicktes Walten, und als das Linnen frisch und kühl auf der Wunde liegt und Mustela lautlos durch die Thüre gleitet, da entfaltet der Traum von neuem seine glitzernden Schwingen und zaubert ihm Bilder vor das Auge, Waldrauschen und nickende Heideblüte sieht er, und ein kleines Wiesel mit klugen Augen und scharfem Zahn.

Hermengild aber steht sinnend draußen unter der laubigen Eiche und streichelt liebkosend den Hals eines goldroten Rosses. »Wirst ihn bald zurück tragen, lieb Rößlein!« flüstert sie mit trübem Blick, »empor zu seiner stolzen, fremden Ritterburg, wo ihn nichts mehr an des Vogelstellers Hütte mahnt! Ob ich ihn auch vergessen werde? o weh mir, daß er meine Hand gedrückt!«

Carl Wolfgangs Liebling hebt den schlanken Hals und duldet es mit klugem Blicke, daß ein ernstes Mädchenantlitz sich auf seine schimmernde Mähne neigt.

»Hai hoho!« schallt es über Roß und Maid, und von dem Felskamm schwingt ihr Jung-Wunibald den grünen Jagdhut zu! – –

Zwischen den Mauern der Wolfsburg und dem schroff abfallenden Burgfelsen zog sich ein schmaler Gartenstreif, begrenzt von der krenelierten Mauerbrüstung, dicht unter dem vorspringenden Giebelanbau und dem trotzig erhobenen Warttürmlein hin. Die Sonne glänzte auf dem gelben Sandpfad, schimmerte freundlich über blühendes Maslieb, Lavendel und Goldlack und lugte neugierig in die trauliche Jasminlaube, an deren hölzernen Pfosten rotblühende Bohnen kletterten und farbiger Türkenbund prahlerisch sein buntgeflammtes Haupt erhob. Hie und da hatte sich auch ein bescheiden Kohlköpflein oder würziger Knoblauch und Pfefferstaude zwischen die vornehme Gesellschaft geschlichen und grollte nun neben den stolzen Gelbveiglein auf der Schaffnerin Ursula praktischen Sinn, der da kein Fleckchen unbenutzt lassen will und heimlich der Burgfrau nützliche Samenprieslein auf die Beete streut.

Über den schimmernden Kies glitt weiche Frauenschleppe und streifte mit pfirsichfarbnen Falten die zarten Weggräser. Fräulein Guntramis trat sinnend an die Mauer, stützte den Kopf in die Hand und blickte hinab über die endlos gedehnten Waldungen. Leichter Rauch stieg bläulich kräuselnd über fernen Eichwipfeln auf und gedankenvoll haftete ihr Auge an seiner verschwimmenden Duftsäule, bis sie als kleines Wölkchen am tiefblauen Himmel dahintrieb.

Dort, unter jenen Baumkronen atmete Carl Wolfgang, dort litt er unter fremden Menschen, und Guntramis von Orbe faltete thatlos die Hände in dem Schoß und schalt des Wildmeisters Ludolf ernst Gebot, welches ihr verwehrte, hinab in des Vogelstellers Hütte zu eilen, um des lieben Burgherrn Wunden zu warten.

Das Edelfräulein seufzte tief auf und zerpflückte die weiße Sternblume, welche zwischen Moos und Mauerpfeffer in dem Gestein Wurzel geschlagen hatte, langsam streute sie die weißen Blattflocken in den Abgrund hinab, neigte sich ihnen nachzuschauen und schauderte bei dem Anblick der klüftigen Untiefe.

Guntramis von Orbe war Gast auf der Wolfsburg. Vor Wochen hatte es plötzlich bei Nacht und Nebel an das Burgthor geklopft, und als Carl Wolfgangs Mannen die Brücke hernieder ließen, da trabte ein kleiner Reiterzug auf den Burghof, ein weißhaariger Edelmann, welcher den schlanken Zelter einer verschleierten Reiterin am Zügel führte, und hinter ihnen drei stark bewehrte Reisige, welche das Geleit bildeten.

Da hatte der Ritter Quirin von Orbe seine Enkelin Guntramis zu der Edelfrau Rosina von Orbe nach der Wolfsburg geflüchtet, weil drunten im Thüringischen die Pest wütete und den alten Edelmann um sein liebstes Kleinod zittern ließ.

Frau Witib Rosina von Orbe war die Schwägerin Quirins und die Patin des jungen Carl Wolfgang, welchem sie seit dem Tode der Eltern mit kluger Umsicht das Regiment auf der Burg führte, bis er sich dereinst die eigne Hausfrau wählen würde.

Mit offnen Armen empfing die alte Dame den lieblichen Gast vom Saalestrand, blickte mit feuchten Augen in das junge Angesicht und forschte nach den lieben Zügen der Mutter, deren lächelnd Bild so wundersam aus Guntramis braunem Auge strahlte.

Als Carl Wolfgang hernieder zum Saal schritt, des edlen Quirin Hände in herzlichem Willkommen drückte und sich alsdann zu der Base Guntram wandte, welche in hellem Schein des Kaminfeuers vor ihm stand, da flog es wie sonnig Leuchten über sein Angesicht, und er dachte im Herzen, »welch ein anmutig Mägdlein ist zur Wolfsburg eingekehrt!« und er reichte ihr die Hand und sprach: »Mag es Euch wohlbehagen im Hessenlande, Jungfräulein, und möget Ihr stets mit meinen Diensten zufrieden sein, denn dienstbar nenne ich mich der tugendsamen Gastin und bitte Euch, mir eine huldvolle Herrin zu sein, deren Wink ich lauschen darf!«

Da schimmerte feines Rot in den ernsten Wangen Guntrams, und sie neigte sittsam das Haupt und entgegnete: »Lasset mich Dank sagen, Ritter Carl, für Eure ehrlichen Worte und für die Zuflucht, die Ihr mir in Eurem Felsennest gestattet, gern bin ich landaufwärts gezogen, denn der Wolfsgeil ritterliche Tugend ist gar eifrig gelobt bis in die Thüringer Gauen hinab!« Und damit trat das Fräulein von Orbe einen Schritt zurück und neigte sich zu dem Sessel der Dame Rosina.

Carl Wolfgang aber saß neben dem alten Quirin und füllte die Becher und forschte nach allerhand Kunde über Kaiser und Reich, über den Humpen aber flog sein Blick zum öfteren nach Jungfrau Guntramis' geneigtem Angesicht, und er las in demselben die tiefen Schriftzüge ihrer Seele.

Ein ernstes, regelmäßiges Antlitz schaute er, edel und stolz gebildet, darinnen glänzte ein braunes Augenpaar, überwölbt von dunklen, scharfgezeichneten Brauen, dem Haupthaar harmonierend, welches in weichen Wellen an der Stirne lag und unter der samtnen Edelhaube verschwand, von deren goldgestickten Boden der schwarze Schleier niederwallte.

So war Fräulein Guntramis Gast auf der Wolfsburg geworden und dem Carl Wolfgang deuchte es, als sei das Leben noch niemals so schön, der Sommer noch nie so sonnig gewesen und die Zeit so eilig dahin gezogen, denn jetzt, da er mit der Edeldame durch Feld und Wald streifte, den Falk von ihrer Hand emporsteigen ließ, und wiederum in traulichem Gespräch neben ihrem Stickrahmen saß, wenn Wind und Wetterschauer durch das Land zogen. Und Guntramis' ernstes Antlitz wurde heiter wie das junge Maienlicht, und die kühlen Lippen fanden viel sinnige Worte, welche wie Musik um des jungen Ritters Ohren schmeichelten und ihn begehrlicher nach der kleinen Hand schauen ließen, welche so emsig die schimmernden Fäden zu Muster stickten.

Da war der Tag gekommen, wo der Edle von Wolfsgeil sein Roß satteln ließ und hinab in die Ebene ritt, um Hirsch und Wildschwein für die Burgküche zu jagen, denn die Zeit war nicht fern, da Fräulein Guntramis' Namenstag begangen werden sollte, und daß solches gar festlich geschah, und daß es dabei hoch hergehn sollte, hatte der Burgherr bereits geboten und sogar von dem Kaplan zierliche Brieflein aufsetzen lassen, welche die Freunde der nahgelegenen Burgen zu Spiel und Tanz zur Wolfsburg luden. Und nun lag der Gastherr selber drunten im Walde in elender Borkenhütte und siechte unter der schweren Wunde, welche des Keilers Wehr ihm geschlagen.

Fräulein Guntram starrte noch immer in das Thal hinab und ließ das Haupt tiefer und tiefer auf die Brust sinken, während es feucht an den Wimpern perlte und sich der Atem seufzend von der Lippe hob.

Da knirschte der Kies hinter ihr, und entblößten Hauptes trat der Wildmeister über den Sandweg näher.

Guntramis wandte das Antlitz und richtete sich hoch auf, mit goldnem Licht umfloß der Sonnenglanz die regungslos stolzen Züge »Du bringst Nachricht von dem Ritter, Ludolf?« fragte sie.

»Ich bringe sie, Fräulein, und die Jungfrau sei gelobt, sie künden Freude!« Ludolf drehte den grünen Hut in der Hand und räusperte sich. »Carl Wolfgang saß vor der Hütte und ließ zum erstenmal wieder die frische Gottesluft um das kranke Haupt wehn; bleich schaut er drein, aber fröhlich, und er läßt Euch seinen Gruß entbieten und sagen, daß Ihr nimmer um ihn sorgen möget, er sei wohl aufgehoben in der Borkenhütte und bis zum Namenstag kehre er sicher zurück.« Der Wildmeister schwieg und schaute in der Edeldame unverändert Angesicht.

»Pflegt ihn noch die kleine Dirne des Vogelstellers?« fragte sie, die weiße Hand mit den blitzenden Edelsteinen auf den rauhen Kopf des Rüden legend, welcher seinem Herrn eigensinnig gefolgt war.

»Sie wartet seiner, Fräulein, brav und unverdrossen«, nickte Ludolf, »und ihre wunderkräftige Salbe war des Junkers Rettung! Ist eine braune, wilde Hexe, aber treu und ehrlich dabei, trotz der Stacheln, welche sie gegen alles weist, was von der Wolfsburg kommt.«

»Seltsam, und pflegt dabei Carl Wolfgang?« mit schnellem Blick schaute Guntram auf, »erkläre mir diesen Widerspruch, Ludolf!«

»Das ist eine alte Fabula, Fräulein, und nicht ergötzlich für Jungfernohren zu hören!« wiegte der Alte unschlüssig das greise Haupt. »Seht, man hat vor Zeiten dem alten Juan Piccolo groß Leid und Elend auf der Burg hier angethan und das frißt ihm noch wie eine Natter am Herzen und schürt den Haß gegen alles, was in diesen Mauern atmet; drum ist er auch auf und davon in den Wald gegangen und darf es nicht ahnen, wer in Wahrheit sein Gast ist, denn Mustela, das Wiesel, hat uns befohlen, Carl Wolfgangs wahren Namen zu verschweigen!«

»Und Mustela selber? haßt sie nicht?«

»Ihr Mitleid siegte über Groll und Haß, Fräulein, und läßt's den Kranken nicht entgelten, daß er Wolfsgeil heißt. Der Segen Gottes über sie; ist rauh und scharf wie eine Distel, die Kleine, aber die Seele hell wie Bergwasser, und keine Mutter könnte des Junkers besser warten, wie sie!«

Guntramis nickte und lächelte. »Ich will das Wiesel selber schauen, ist mir nicht unlieb, die Art, wie Du sie schilderst. Höre, Ludolf, geleite mich morgen zur Hütte des Vogelstellers, rufe mir die Mustela vor die Thür und laß mich selber Sorge tragen, ob ich den Kranken sprechen darf oder nicht!«

»Gern Fräulein, doch seid wohl auf der Hut vor dem Juan Piccolo und verratet den Namen nicht, sein Zorn würde die Dirne treffen, und das verdient ihr brav Gemüt nicht um uns!« Ludolf lockte den Hund und faßte sein Halsband »So empfehl ich Euch in Gottes Schutz, Fräulein, lasset mir Kunde werden, wann Ihr reiten wollt und wie viel Gesellen das Geleit geben!« und er neigte sich ehrerbietig und schritt eiligen Ganges den Weg zurück.

Guntramis aber wandelte noch gesenkten Hauptes zwischen Thymian und Rosmarin, brach ein duftig Sträußlein für ihren Gürtel und stieg dann zum Erker empor, der Frau Rosina gute Kunde vom Burgherrn zu bringen. – –

Drei Tage waren vergangen, seit man Carl Wolfgangs wundes Haupt auf das Mooslager Juan Piccolos gebettet. Abendleuchten überzog den Himmel, wie zu jener Stunde, da Mustela des Wolfsgeils Reiterzug über die Heide sprengen sah, und wie der Himmel sich so flammend über die flüsternden Wipfel spannte, faßte des Junkers Herz eine jähe Sehnsucht, einen Blick auf die blühende Fläche zu thun, welche um diese Zeit leuchten mußte wie das Wunderland aus zaubrischer Kinderfabel.

Carl Wolfgang saß vor der Mooshütte, neben ihm Mustela, welche behende die Sprangruten arbeitete, die Juan Piccolo für seinen Vogelherd brauchte.

»Laß sehen, Mustela, was Du schaffest!« sprach der Junker nach kurzer Pause und ergriff die feinen Haselgerten, welche zu einem Bündel geschnürt neben ihr lagen. »Warum durchbohrst Du sie, und was soll daraus werden?«

Des Vogelstellers Enkelkind rückte eifrig näher, schüttelte das Haar aus der Stirn und erklärte, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.

»Was das werden soll, Herr? Sprenkeln werden es, die der Großvater für seinen Vogelfang braucht! Da schaut, diese Hasel- oder Weidenrütlein, je schlanker und biegsamer sie sind, desto besser, die durchbohre ich am dicken Ende, um die Schlinge durchzuziehen, die hier an der Spitze angeknüpft wird! Nun biegt sich's, seht, just so wie ich das Sprunghölzlein stelle!« und Hermengilde schaffte flink mit den kleinen Händen und ließ die That den Worten folgen.

»Und was fängst Du in diesen Schlingen, kleines Wiesel?« Wolfgang neigte das blonde Haupt schelmisch zur Seite und lächelte, »nur Vögel oder auch ›lose Vögel?‹«

Mustela verstand ihn nicht.

»Gewiß nur Vöglein, Junker!« nickte sie wichtig, »für Rauhtier wäre es lang nicht fest genug und hielt kaum ein Feldmäuslein fest! Diese Sprenkel sind auch noch lange nicht die Hauptsache, am meisten fangen wir mit Netzen.«

»Netzen?! aha! und da fliegen auch große Vögel hinein?« Carl Wolfgang schaute ihr neckisch in das Gesicht.

Da lachte auch das Heidekind und rückte flink wieder von ihm zurück. »O ja, Junker, sogar solche, die recht fürwitzige Schnäblein haben«, entgegnete sie mit kurzem Seitenblick, »die bekommen dann auch zur Strafe strenge Haft, und wenn sie die Flügel heben wollen, um davon zu fliegen, legt ihnen Mustela die Zwirnfessel an, daß sie nimmer fort können!«

»Wer doch solch ein Vöglein sein könnte!« seufzte der Edle von Wolfsgeil erheitert.

»Wenn Ihr erst wieder sicher auf den Füßen seid, Herr Carl, führe ich Euch einmal zu den Vogelherden!« fuhr Hermengilde heiter fort, »da könnt Ihr allerhand buntes Völklein schauen, Finken, Lerchen, Ortolan und Krammetsvögel, auch Staare und Schnepfen, wenn die Zeit ist! Jetzt bald stellen wir den Tyraß, das ist ein viereckig Fangnetz für Wachteln und Rebhühner!« Und die Kleine faßte geschäftig in den Lederbeutel an ihrer Seite und zog eine holzgeschnittene Pfeife hervor, einen scharfen, eigenartigen Pfiff ließ sie erklingen, ähnlich dem Ruf der Eule. »Das ist die Vichtelpfeife!« erklärte sie mit lebhaftem Blick, »damit lockt man im Wald die kleinen Vögel an!«

Wolfsgeil nahm die Pfeife in die Hand und besah sie. »Ja, Wiesel, den Vogelherd mußt Du mir zeigen, und wenn er nicht weit entfernt ist, so führe mich jetzt gleich hin! Es drängt mich, einen kurzen Gang zu thun und das Heideland brennen zu sehn, komm mit mir, führe mich ein paar Schritte aus dem Wald heraus!«

Mustela schaute ihn momentan prüfend an, dann erhob sie sich schnell und nickte. »Gern führe ich Euch, Ritter, die Heide ist nicht weit und jetzt gerade herrlich anzuschauen, nur thut Euch nicht zu viel und stützt Euch fest auf meine Schulter, Ihr seid noch immer ein kranker Mann!«

Carl Wolfgang hatte sich erhoben, er richtete seine schlanke Gestalt hoch auf, legte prüfend die Hand auf die Binde, welche noch immer sorglich das Haupt umgab, und schaute lächelnd auf die kleine Vogelstellerin hernieder.

»Hast Du's jemals erlebt, Mustela, daß sich der Eichbaum kraftlos auf ein Heideblümlein stützt? Sieh, solch ein Wunder soll die Ebene nun sehn und darum komm näher, braun Erika, und thue mir Ritterdienst!« und Junker Wolfgang legte den Arm um ihren Nacken und schritt langsam über das schwellende Moos.

Leises Beben schauerte durch des Mädchens Herz, wie sengend Eisen schien die Hand des blonden Mannes auf ihrer Schulter zu brennen, und dennoch haftete ihr Blick wie gebannt auf den ringgeschmückten Fingern, deren Goldreifen so köstlich in der Sonne spielten. Schweigend schritten sie auf die schimmernde Heide hinaus, Blumenduft und Lybellen umschmeichelten sie, und Wolfsgeil blickte nieder auf ihr goldumflossenes Köpfchen und lehnte den Arm noch fester um den schlanken Nacken.

»Setzt Euch auf die Felsen dort, Junker!« sagte Hermengilde endlich, als der Kranke momentan im Fortschreiten zögerte und tief aufatmend die köstliche Luft um die Brust wehen ließ, »dort überblickt Ihr die ganze Ebene und die Sonne trifft Euch und gegen Wind seid Ihr geborgen!« und sie führte ihn langsam weiter. »Jene Felsen sind meine Lieblinge, da bin ich stets zu finden«, fuhr sie fort, »ich kletterte schon bis auf die höchste Spitze, seht Ihr dort, wo die Wand so steil herniederfällt?«

»Da hinauf?« fragte er hastig, »unmöglich, Dirne, solch eine steile Mauer erklimmt kein Menschenfuß!«

»Aber ein Wiesel!« kicherte sie schelmisch und ein jäher Blick blitzte zu ihm empor, »glaubt Ihr, Herr Carl, ich führe diesen Namen, weil ich steife Knochen hätte?« Und sie schüttelte übermütig das Haar und zeigte die weißen Zähne.

Carl Wolfgangs Auge traf ihre roten Lippen. »Und glaubst Du, kleines Wiesel, Du wärest behender als ich? Jene Felswand magst Du erklimmen und den Eichen in die lauschigen Wipfel steigen, und aus Sprenkel und Netz magst Du flink entschlüpfen, aber hier aus dem Arm eines kranken Reiters befreit Dich all Deine Gewandtheit nicht, Du bleibst mein gefangen Vöglein, bis Du mir Deinen Mund zum Kuß gereicht!« Carl Wolfgangs Antlitz strahlte in lachendem Übermut, wie ein launig Spielzeug umschlang sein Arm das Heidekind, und übermütig neigte er das blonde Haupt. »Wildes Vöglein, sei, zahm, klein Wiesel, laß Dich streicheln!« Mustela schrak mit glühender Wange empor und rang, das Antlitz bergend, gegen seinen starken Arm, umsonst, wie eine eiserne Klammer umstrickte er sie, näher streifte sein heißer Atem ihre Wange, und auftrotzend in wildem Ungestüm zuckten ihre Lippen nach seiner weißen Hand, welche ihre Schulter faßte.

Jäh entsetzt schrak der Junker zurück, sekundenlang löste sich sein Arm, und schnell wie der Gedanke wand sich Hermengilde aus seiner Haft, hell kicherte sie auf und glitt wie ein Schatten in das Felsgestein, tief sich zu verbergen in der schmalen Spalte.

Carl Wolfgang aber starrte ihr wortlos nach, hob die Hand und schaute regungslos auf fünf scharfe, kleine Wunden, aus welchen rot und leuchtend ein Blutströpflein perlte. Da lachte er mit lauter Stimme auf und aus den Felssteinen spottete es Antwort.

»Hast Du mich gebissen, Du wilde Hexe?!« rief Wolfsgeil mit leuchtenden Augen, »damit ich der Wunden noch mehr zu tragen bekomme? Schnell herzu, Du blutdürstig Wiesel, und heile, was Du geschlagen hast!«

Totenstill blieb's in den Felsen.

Da trat der Ritter näher und rief abermals, und als es wieder still blieb, da bat er ganz weich, und herzlich, daß doch klein Mustela nicht zürnen wolle, sondern hervor kommen möchte. Da kicherte es wieder und zwei dunkle Augen blitzten an der Felsenspalte und eine neckische Stimme fragte, ob der Herr Ritter Frieden geloben wolle und es bei seinem stolzen Namen verspreche, nie wieder des Juan Piccolos Enkeltochter zu nötigen, die Sprenkel mit den Zähnen zu durchbrechen?

Da legte Carl Wolfgang die Hand versichernd auf die Brust und versprach es hoch und teuer.

Mustelas Köpfchen schaute aus dem Gestein, glatt wie ein Aal glitt sie hervor, schlug lustig die Hände zusammen und schaute auflachend auf des Junkers Rechte, welche er ihr vorwurfsvoll entgegen hielt.

»Welch ein Unrecht that ich, klein Hermengild, daß ich solche Dornen fühlen mußte?« fragte er, sich auf die Steine niedersetzend zwischen Ginster und Heide, umglüht vom Abendgold, »ist es denn die Strafe wert, daß ich Dich küssen wollte? Ein Kuß ist nichts Böses, sondern ein friedlich Zeichen, dafür, daß ich Dir gut bin, und daß Du zwei Augen hast, die gefährlicher sind wie all die Netze und Sprangruten, die Du knüpfst!«

Mustela setzte sich auf die Felskante ihm gegenüber, faltete die Hände um die Kniee und wiegte mit reizender Schelmerei den Kopf.

»Für den Kuß habe ich Euch nicht gebissen, sondern dafür, daß Ihr mich zwingen wolltet, ihn zu geben.«

»Verdroß das so sehr des Wiesels Eigensinn?« Carl Wolfgang strich den kleinen Schnurrbart, welcher blond über den Lippen kräuselte, und blickte belustigt auf, »warum zürnst Du einem Arm, der stärker ist wie Du?!«

»Weil ich zu stolz bin, mir etwas befehlen zu lassen!« rief sie mit sprühendem Auge, »meine Pflicht thue ich allein, und alles andere, was mir Freude macht und was andern dienlich ist, geschieht aus gutem Willen! Seht, Herr Junker, wenn ich Euch lieb hätte, würde ich Euch ganz allein küssen, ohne daß Ihr es mich heißt, und würde Euch eben küssen, weil ich nicht anders könnte, und Ihr hättet ganz ruhig dazu drein zu schauen, denn ich würde nicht sagen: ›jetzt sollt Ihr Euch neigen, daß ich meine Arme um Euern Nacken lege‹, sondern ich würde bitten: ›sei lieb, Carl Wolfgang, und vergönne mir, daß ich Dich herze!‹ Denn schaut, Junker, ein Befehl macht niemals glücklich, was aber unverlangt gegeben wird, das schafft Wonne!«

Der Edle von Wolfsgeil schaute mit glänzendem Blick in dieses sonnenlichte Antlitz, welcher lauter und wahr, unschuldsvoll wie ein weißes Blumenblatt zu ihm emporlächelte und dennoch zwei Augen trug, durch welche eine Welt voll glühender Gefühle flammte.

»Wie gern möchte ich es einmal hören, daß mich Mustelas Lippen also bitten!« flüsterte er ganz leise, und Hermengild erzitterte unter der Macht des Blickes, welcher blau und schimmernd wie der Waldsee auf ihr ruhte.

Sie wandte sich hastig zur Seite. »Noch nicht, dazu muß ich Euch noch viel lieber haben!« schüttelte sie mit schnellem Lächeln das Köpfchen, und sie nahm seine Hand und sah auf die roten Flecken hernieder. »Wie scharf die Zähne eingeschnitten haben, Junker, haltet fein still, ich lege hier ein paar Blättlein von der Fetthenne auf, die sind saftig, und wenn man sie zerdrückt auflegt, heilen sie Brandflecke. Da schaut, hier wächst eine Menge zwischen den Steinen!«

Carl Wolfgang duldete es lächelnd, daß sie die Blätter auf die Hand breitete. »Wenn Du mich aber lieb genug hast, dann küßt Du mich, klein Hermengild?« bat er ernsthaft.

Sie nickte bloß. »Was tragt Ihr für einen Goldreif hier am Finger?« fragte sie.

»Ein Ringlein, das ich meiner lieben Mutter von dem Finger zog, da sie für ewig von uns geschieden war. Ich trage es Tag für Tag und auch diesen Reif, den einst mein Ahnherr auf dem Turnei zu Aachen von des Kaisers Tochter an die Hand gesteckt bekam.«

»Er trägt keinen Stein, er blitzert nicht genug um schön zu sein!« schüttelte Piccolos Enkelin den Kopf.

»Einen Ring besitze ich, der Dir alsdann wohl gefallen würde!« sprach der Ritter von Wolfsgeil ernst, und er öffnete das Wams undf zog eine feste, güldene Kette hervor, an welcher ein wohl verknotetes Lederbeutlein hing. »Soll ich Dir einmal die Geschichte dieses Ringes erzählen, derweil ich die Knoten löse?«

»O erzählt!« bat Mustela mit leuchtenden Augen, rückte eifrig herzu und blickte gespannt auf seine Finger, welche begannen, die ledernen Schnurbänder loszubinden.

»Vor grauen Jahren, als die Wolfsburg droben just erbaut war«, begann der junge Mann zu berichten, »und mein Ahnherr eine liebliche Burgfrau darein geführt hatte, mit welcher er in Frieden und Eintracht lebte, da begab es sich, daß ein Brünnlein im Schloßgarten gegraben werden sollte, dicht unter den hohen Lindenbäumen, woselbst die heidnischen Urväter noch ihren Götzen geopfert hatten. Frau Sabina, so hieß die junge Edelfrau, lustwandelte im Mondenlicht nach jener Stelle und schaute mit Lust, wie ein silberheller Wasserspiegel ihr aus der Tiefe entgegenglänzte. Sie setzte sich nieder auf den Brunnenrand, löste ihr Kränzlein aus dem Haar und ließ es mit weißen Händen in die Tiefe gleiten. ›Sei gegrüßt, du köstlich Wässerlein, und willkommen auf der Wolfsburg!‹ rief sie mit holdem Nicken, ›lasse dein gesegnet Naß noch viele Jahre zum Heil der Wolfsgeils fließen, und wenn mächtige Wesen an deiner Quelle wohnen, so bitte sie in Sabinas Namen um ihre Freundschaft!‹ Da schien es ihr, als ob sich ein wallender Nebel aus der dunklen Tiefe höbe, weiß und licht schwebte es herauf und liebliches Klingen ertönte wie Engelsstimmen, und als Frau Sabina mit gefalteten Händen zurück wich, da hob sich eine strahlende Gestalt über den Mauerrand, weiß und demantglitzernd, wie schimmerndes Gewölk, ein wunderholdes Frauenbild. Und sie hob mit weicher Stimme also an: ›Habe Dank für dein Kränzlein, Vielholde, und für den Gruß, den du deinen unbekannten Freunden zur Tiefe geschickt. Siehe, deine Stimme hat mich empor gelockt, und weil dein edel Herz durch diese Stimme klang, so lasse dich um eine Wohlthat anflehen, welche wir vergelten wollen, so weit es unsere Kraft gestattet. Blick um dich, Sabina! Diese alten Linden will dein Gatte vom Rand des Brünnleins schlagen lassen, weil er die heidnischen Götzendiener haßt, die einstmals unter ihren Zweigen opferten! In den Wurzeln der Linden wohnt jedoch unsere Kraft und das Glück meiner Quellenschwestern, welche absterben gleich dem Baum, sobald ein Beilhieb seine Wurzeln trifft. Nun wisse du das Herz deines Gatten zu rühren, daß er die Lindenbäume grünen lasse, und ich gebe dir zum Dank dies Ringlein, welches der Wolfsburg Glück in seinem Steine birgt. Mag euch Gefahr drohen, welcher Art sie sei, so stecke diesen Reif an deines Gatten Finger und alles Unheil wendet sich von seinem Haupt. Heil und Segen bringt er Kind und Kindeskindern, und so lang der Ring am Finger glänzt, so lang glänzt stolz im Glück das Haus der Herrn von Wolfsgeil!« Und damit neigte sich das holde Duftgebild und ließ ein gülden Reiflein in den Schoß der Ahnfrau gleiten.

Die Linden stehn noch heutigen Tages um das Brünnlein, wenn auch der Quell versiegte und längst ein andrer Born im Hof das Wasser spendet, und der Ring ist in der Wolfsgeil Hände geblieben bis zu dieser Stunde, hat seine Wunderkraft in manch heißer Stunde der Not und Gefahr gar trefflich bewährt und begleitet auch mich durch das Leben, mit dem Mut des felsenfesten Vertrauens, so lang ich weiß, daß dieser Zauberreif an meinem Finger glänzt. Hier schau, Mustela, dies ist der Schutz der Feste Wolfsburg!«

Und Carl Wolfgang öffnete das Lederbeutlein und hielt ein Kleinod empor, dessen Glanz das Auge des Heidekindes blendete. Es war ein breites Goldband, welches einen Stein umfaßte, so blitzend hell wie ein Tautropfen, in welchem Glut und Purpur flammt, leuchtend rot wie Blut und doch so klar, als müsse man ihn, wie fließend Wasser, durchschauen können.

Mustelas Lippen bebten vor Staunen und Entzücken.

»O zeigt mir!« flehte sie leise, nahm zaghaft den Ring und ließ die Sonne glühende Lichter darinnen wecken, auf die Hand hielt sie ihn und jubelte über den Purpurglanz, welchen er darauf malte, und sie streifte ihn in kindlichem Entzücken an den Finger und staunte sich selber an, wie eine Fei aus der holden Fabel.

Carl Wolfgang lächelte und sah ihr heiter zu, wie sie sein Kleinod herzte, und da der Stein an ihrem Finger gleißte, da legte er übermütig den Arm um sie und sagte scherzend: » Wenn Du mir einen Kuß giebst, kleines Wiesel, so sollst Du für alle Zeit den Ring Carl Wolfgangs tragen!«

Da sahen ihn zwei große, tief ernste Augen an und ihre Lippen lächelten, aber antworteten nicht.

Durch den Wald rauschte es wie ziehendes Wild und kaum, daß die Plaudernden das Haupt wenden konnten, sprengte es auch schon über die Heide, Guntramis auf schlankem Falben und hinter ihr Ludolf der Wildmeister. Schnell wie der Gedanke lenkte die Reiterin ihr Roß, das Heidekraut stäubte unter flüchtigem Hufschlag und Fräulein von Orbe hielt vor den Felsen.

»Grüße Dich Gott, Vetter Wolfgang!« sprach sie mit klangvoller Stimme, neigte das stolze Haupt und reichte ihm die behandschuhte Rechte, »nimm es als Zeichen meiner Sorge um Dich, daß ich mein Rößlein satteln ließ und hinab zur Heide kam!«

Carl Wolfgang hatte sich eilig erhoben, er faßte leicht verwirrt die dargebotene Hand und zog sie ritterlich an die Lippen.

»Guntram'!« rief er mit hellem Blick, »schön Bäslein kommt zur Borkenhütte?! Heil mir, daß so viel Sonne auf einmal scheint!« Und sein Blick flog über ihre königliche Gestalt, welche umwallt von lichtblauem, mit reichem Goldfaden gestickten Gewande im Glanz des Abendrots auf schnaufendem Falben vor ihm hielt. Wie zu einer höheren Erscheinung schaute Mustela empor, starrte auf die wallenden Federn, güldenen Ketten und Spangen der Reiterin und wich leise und scheu zurück, als blende sie das Übermaß dieser prunkenden Schönheit.

Guntramis lächelte. »Wie blaß Ihr noch drein schaut, Ritter Carl! selbst der brennende Himmel vermag nicht Eure Wangen mit roten Lügen zu malen, aber kräftig müßt Ihr Euch fühlen, daß Ihr bereits ins Flachland ausgeflogen seid und mich vergeblich an klein Hermengildes Hütte klopfen ließt!« Ein freundlicher Blick streifte die Seitwärtsstehende.

»Nun aber laßt Euch vor allen Dingen nicht aufschrecken, sondern setzt Euch wieder auf Euern moosigen Sessel nieder und vergönnt, daß ich in Eurer Mitte kurze Rast halte!« Und sie lenkte das Roß näher an die Felsen und lockerte den Fuß im Bügel.

Carl Wolfgang trat eifrig herzu und hob den Arm nach ihrer schlanken Gestalt. »Guntram!« flüsterte er, »welch ein Glück Euch zu schauen!«

Ihr ernstes Antlitz färbte sich höher unter seinem Blick. »Tretet zurück, Vetter!« sagte sie weich, »noch ist Euer Arm nicht stark genug mich zu halten, ich winke den Ludolf herzu!«

Da zuckte es über seine stolze Stirn, mit schnellem Schritt stand er neben ihr, faßte sie sicher und hob sie zur Erde. – Am Waldsaume hielt Ludolf und hütete des Falben Zügel, Guntramis aber saß in traulichem Gespräch zwischen Wolfsgeil und Hermengild, und sie reichte der Kleinen die Hand und sagte mit gütigem Kopfneigen: »Du also bist das wilde Wiesel, welches den Ritter im Käfig hält? Laß Dir danken, Mustela, für die Pflege, die Du ihm giebst, und wenn es Dir Freude macht, so nimm den bunten Tand, welchen ich auf Deine Schwelle gelegt habe, und denke dabei, daß ihn Guntramis von Orbe mit eigner Hand zum Lohn gebracht!« und ihr Blick glitt dabei auf die braune Hand des Heidekindes nieder und haftete in langem Staunen auf dem leuchtenden Edelstein an ihrem Finger.

»Lohn habt Ihr mir gereicht?« fuhr Mustela mit gefalteten Brauen auf, »dessen begehr' ich nicht, und bringe ihn Euch zurück, Jungfräulein, ich habe alles, was ich brauche, und lasse mich nicht für meinen guten Willen bezahlen!«

Guntramis lächelte. »Einer solch braunen, kleinen Dirne wie Dir steht der Stolz schlecht!« sagte sie mit abermaligem Blick nach ihrer Hand, »und es würde mir besser gefallen, wenn Du meine Güte anerkennen und mir die Freude machen wolltest, meine Dankbarkeit zu beweisen! Daß Du meines Vetters Wunden so treu gepflegt hast, wird die heilige Jungfrau vergelten, aber daß ich Deinen wackeren Sinn schätze, das möchte ich Dir bekunden, indem ich Dir eine Freude mache!«

Mit großen, kindlichen Augen blickte Mustela in die ruhigen Züge der Edeldame, faßte ihre Hand und sagte treuherzig: »Wenn Ihr so gut seid wie schön, Fräulein, so müßt Ihr eine gar freundliche Seele haben, und darum will ich auch ehrlich zu Euch reden! Schaut, eine Freude könnt Ihr mir schon machen, aber nicht mit Gold oder Almosen, ich möchte mir etwas anderes von Euch erbitten, wonach mein Herz gar sehr verlanget!«

»So sprich, klein Wiesel!« rief Carl Wolfgang lebhaft, und Guntram' neigte ihr das federumwallte Haupt zu und lauschte auf.

»Seht Fräulein,« begann Hermengild mit vollem Ausblick reizender Schelmerei, »ich heiße Wiesel, und man sagt, die Wiesel seien neugierig, ich bin's auch! Seit Jahren sehe ich droben die prächtige Wolfsburg auf ihrem Bergriesen sitzen und habe gar manch liebesmal auf der Heide hier gelegen und sehnsuchtsvoll zu den trutzigen Mauern emporgestarrt mit dem Gedanken: wie mag es wohl hinter ihnen ausschauen! Juan Piccolo flucht auf die Wolfsburg und nennt sie das Teufelsnest, und ich habe darum stets geglaubt, es müssen furchtbare Unmenschen sein, die darin wohnen, wild und schrecklich wie die bösen Riesen, die fern im Spessartwald hausen, und von denen Pater Severin so grausame Dinge erzählt. Da ich nun aber Carl Wolfgang und seine Mannen geschaut, da dachte ich: die sind nicht bös und wild, sondern so gut und fromm wie alle andern Christen auch, und ich verstand den Großvater nicht mehr und denke: er hat nie einen Menschen aus der Wolfsburg gekannt! Nun aber, da ich auch Euch geschaut habe, liebes Edelfräulein, da kann ich nimmermehr begreifen, warum die Wolfsburg ein Teufelsnest sein soll, da Ihr doch schön und gut wie ein Engel seid und der Sünde gewiß so gram wie ich! Und darum wünsche ich mir mehr denn je, einmal in diese stolzen Türme und Mauerwerke zu schauen, und ich bitte Euch recht von Herzen, daß Ihr es mir vergönnen möget und mir Einlaß in die Burg verschafft!«

Guntramis schaute momentan sehr ernst drein, ein fast mißtrauischer Blick tauchte in Mustelas Auge und kehrte fragend zu Carl Wolfgangs heiterm Antlitz zurück, da sie aber in den reinen Kinderzügen der kleinen Vogelstellerin nur die zaghafte Bitte sonder Trug und Falsch las, da nickte sie freundlich und sprach: »Gewiß, Hermengilde, komm empor zur Burg und sei mein Gast! und damit Du die Wolfsburg in recht festlichem Kleide schauen mögest, so höre, was ich Dir jetzt sage! Zum nächsten Neumond wird ein heiter Festgelage droben gefeiert, wo Du mannigfache Pracht an Rittern und Edelleuten schauen magst, und es auch leckere Bissen giebt, die Deinem Schelmenzünglein wohl behagen dürften! Dazu sollst Du herauf kommen und mir zum Namenstage guten Wunsch bringen, und ich zeige Dir die Burg, die hohen Säulenhallen und das prächtige Kirchlein, damit Du nimmermehr glaubst, es sei irgend welches Teufelswerk auf der Wolfsburg im Spiel!«

Mustela klatschte jubelnd in die Hände, und Carl Wolfgang sagte lachend: »In Deinem braunen Röcklein darfst Du aber nimmer zu solchem Freudentage kommen, kleines Wiesel, ich werde Sorge tragen, daß Dir das liebe Edelfräulein hier ein Stücklein Tuch sende, das freundlicher dreinschaut zu Spiel und Tanz, als dies härne Einsiedlergewand.«

Hermengilde legte den Finger an den Mund und sagte mit strahlenden Augen und schnellem Umblick nach dem Waldessaume: »Bst! Junker! redet nicht so laut, daß Juan Piccolo uns ja nicht hören möchte! wenn ich zur Wolfsburg komme, so stehle ich mich davon, wie das Füchslein, wenn es an verbotenen Früchten nascht, denn der Großvater ist ein hitziger Mann, der mich schlagen würde, falls er ein solches hört!« Und sie sprang empor und tanzte glückselig über die blühende Erika.

Guntramis und Carl Wolfgang aber plauderten noch lang auf den Felssteinen, und als das Gewölk am Himmel erblaßte und die bleiche Mondsichel über den Eichwipfeln emporstieg, da winkte auch die Edeldame dem harrenden Wildmeister und ließ sich von Wolfgeils Armen in den Sattel heben.

Mustela aber ordnete geschäftig die köstlichen Kleiderfalten und legte das bunte Zaumzeug auf dem Hals des Falben zurecht, dann aber hob sie noch einmal mit glänzendem Blick die Hände zu der stolzen Gestalt und bat mit weichen Schmeichellauten: »Aber gewiß, Jungfräulein Guntram', gedenkt Ihr meiner zum Fest auf der Wolfsburg!«

Da nickte sie lächelnd, und noch einmal ruhte ihr Blick auf dem köstlichen Ring an des Heidekindes Hand, sie staunte über den seltsam wertvollen Schmuck der braunen Dirne, da sie nie so leuchtenden Rubin gesehn, aber sie sagte nichts darüber, sondern wandte zum letzten Gruß das Haupt gegen Carl Wolfgang und sprach: »So kann ich also Frau Rosina verkünden, daß Ihr balde zur Burg reiten werdet, Vetter, und daß es Euch gar wohl geht unter guter Pflege im Borkenhüttlein!« und Ritter Wolfgang küßte ihre Hand mit langem Blick in ihre Augen und entgegnete: »Trüge mich die Sehnsucht fort, so wäre ich längst schon bei Euch!«

Da schrak der Falbe empor unter dem jähen Gertenhieb der Reiterin und trug Fräulein von Orbe landeinwärts zur Burg zurück. Wie ein holder Gruß flatterte noch ihr blaues Gewand über den buschigen Ginster, bis Ludolfs Renner sich davor schob, und die beiden Reiter in rauschendem Waldesgrün verschwanden. Mustela aber führte ihren Pflegling sorgsam zur Mooshütte zurück, und sie zog vorher den Ring vom Finger und reichte ihn dem Junker zurück. »Hütet ihn wohl, Herr Carl!« sprach sie heiter, »und verwahrt ihn wieder sorgsam im ledernen Beutlein, denn dieser Schatz ist ein Kleinod, um das Euch die Welt beneiden muß!«

Der Ritter verwahrte den Ring und sprach lächelnd : »Dir ist eine große Ehre geschehen, Mustela, denn wisse, kein Weiberauge in der Burg darf diesen Ring schauen!«

»Und warum nicht?« fragte sie hastig.

»Er hat einmal großes Kümmernis durch zwei Frauen gestiftet und darum trägt ihn seit jener Zeit kein Wolfsgeil mehr am Finger, sondern verborgen auf der Brust, nur wenn die Gefahr die Burg umdräut, streifen wir den Stein an die Hand!«

Und er barg die goldene Kette auf der Brust und schritt, auf ihre Schulter gestützt durch den flüsternden Wald der Hütte des Vogelstellers entgegen.

Hermengild aber träumte in der Nacht von einer stolzen Frauengestalt, welche Fräulein von Orbes Antlitz trug, die nahm den Ring mit dem roten Stein und brach ihn in zwei Stücke, und als ihre Finger den Rubin berührten, verwandelte er sich in rotes Blut und fiel in wehen Tropfen über die weiße Hand. Da schrie Hermengild auf: »Du zerstörst das Glück der Wolfsgeil!« und sie wollte danach greifen und den Ring retten, da erwachte sie, und die Morgensonne schien ihr hell in die weinenden Augen.

Junker Carl plauderte mit Pater Severin vor der Thüre der Borkenhütte. Mustela hatte eine Weile schweigend zugehört, dann schritt sie gedankenvoll zu dem kleinen weidenumflochtenen Pferch hinter dem Häuschen, darinnen Juan Piccolos weiße Ziege graste, und in welchem des Ritters goldrot Roß am alten Holzbirnbaum ungeduldig den Boden scharrte.

Bei Hermengildes leisem Schritt lauschte es auf, hob wiehernd das Haupt und blickte ihr mit hellem Auge entgegen, und als die kleine Maid zärtlich den Arm auf den glänzenden Hals legte und ihm liebkosend zusprach, da senkte es den Kopf so fromm und gefüge wie ein Lamm und duldete es, daß ihm die Vogelstellerin das schmucke Zaumzeug zurecht rückte.

Thränen glänzten in des Mädchens Auge, und sie brach den Pappelzweig mit den silberglänzenden Blättern vom Baum und steckte ihn an das Halfter. »Grüß ihn von mir, lieb Rößlein, wenn du ihn jetzt für immer von des Vogelstellers Hütte trägst«, flüsterte sie seufzend, »und sag' ihm, daß er die arme Mustela nicht allzubald vergessen soll! Sieh, Rößlein, in deine Augen, diese lieben, hellen, klugen Augen möcht ich all meines Herzens Denken hineinschreiben! Es giebt keine Worte, um auszusprechen, was man hier tief innen fühlt, das kann nur ein Blick sagen, und nur der deine, lieb Pferd, denn ich muß die Wimpern senken, wenn Carl Wolfgangs Auge auf mir ruht, und gerade dann schaue ich zu Boden, wenn ich am liebsten recht viel zu ihm sagen möchte! Du scheust dich nicht, du goldrot Roß, und darum blick ihn mit meinem Herzen an, und wenn er mit Fräulein Guntramis durch Feld und Thal zur Reiherbeize sprengt, so mahne ihn an die sonnenlichte Heide und an Juan Piccolos friedlich Dach, und an zwei Augen, die darunter um ihn weinen!«

Mit langem, zärtlichem Blick schmiegte sie sich an den Renner, dann schüttelte sie jäh das Haar zurück, warf das Haupt in den Nacken und lachte!

»Vöglein duldet Leid und Weh,
Flattert durch den tiefen Schnee,
Suchet seine Lieder.
Vöglein, Vöglein, traure nicht,
Wenn der Lenz die Knospen bricht
Findst du alle wieder!«

so sang sie mit glockenheller Stimme und zwitscherte lustig wie ein Vöglein, wenn es sein eigen Herzeleid zur Ruhe wiegen will.

Da hob sich ein Angesicht über den Weidenzaun, und ein Männerarm bog die Zweige auseinander, und eine Stimme rief: »Grüße Dich Gott, Du fröhlich Waldvöglein! daß ich doch des Juan Piccolos Netze und Sprengel zur Hand hätte, um Dich für mein Häuslein daheim zu fangen!«

Mustela legte die Hände auf den Rücken: »Wünsch es Dir nicht, Jung Wunibald, ich möchte Dir Lieder und Weisen vorsingen, welche Dir nicht behagten!«

»Dafür muß man die eigensinnigen Sängerlein fein abrichten und ihnen die Zunge nach unserem Geschmacke lösen!« lachte der Jäger durch die grünen Zweige »Glaubst Du, man griffe blind in den Rosenbusch hinein und bräche seine Röslein? – o nimmermehr! Man schaut, wo das Liebste und das Versteckteste blüht, und löst vorsichtig Dorn um Dorn von seinem trotzigen Stengel, bis es sich selber der Hand zuneigt, die es pflücken will, und nicht mehr Stacheln sondern Blüten beut!«

»Das ist ein wankelmütig Pflänzlein und behagt mir nicht! Ich kenn' ein ander' Kraut, das auch auf der Wiese blüht, und das Pater Severin ›noli me tangere‹ nennt; das ist ganz unscheinbar von Natur, und die meisten sehen und beachten sein schmucklos Blümlein nicht, kommt aber ein Wanderer, der sich zur Kurzweil bunten Klee am Wege pflücken will, und denkt, er thue dem kleinen Blümlein noch große Ehre an, wenn er seinen Stengel knickt, dann lernt er plötzlich kennen, welch stolzer Sinn in diesen schlichten Blättlein wohnt, denn wagt nur eine Fingerspitze sie zu berühren, so falten sie sich zusammen zu fester Knospe, in deren Kelch kein neugieriger Blick zu dringen vermag! Hörst Du, Jung Wunibald, was ich Dir sage? Wenn Du solch einem Blümlein begegnest, tritt zurück und ehre seine Scheu! – Willst Du zum Junker?«

»Du sagst es, Du Blümlein Rührmichnichtan!« lachte der schmucke Bursch heiter, und er schaute sie mit keckem Trotze an, »zum Junker will ich, und auf die Wiese will ich, um solch ein selten Blümlein, wie Du mir's beschreibst, zu suchen! Denn hör auch mich, Mustela, kleines Wiesel, solch Blümlein, das sich jeder Hand so sonder Wahl entgegen neigt, das will mir nicht begehrenswert erscheinen, doch solch ein stolzes noli me tangere, das nicht sein Laub zum Jahrmarkt trägt, das reizt mich an zu heißem Werben und Begehren! Grüße Dich Gott, Mustela, ich scheide nicht von Dir!« Und er schwenkte ihr den Jagdhut zu und ließ die Weidenzweige wieder zusammenschlagen. Hell und spöttisch zwitscherte ein Vöglein hinter ihm her! – –

Der Tau blinkte in den wogenden Gräsern der Heide und ließ sich als köstliches Tröpflein Himmelsklarheit von den Lippen des schmeichelnden Westwindes naschen, welcher heute Morgen die silbernen Flügel ausgespannt hatte, um den ernsten Eichkronen den Schlaf aus den Wipfeln zu schütteln. Da zitterten die bunten Schmetterlinge um geneigte Blumenköpfchen, krochen die ehrbaren Käfer geschäftig über Stein und Wurzelwerk, sonnte sich die schillernde Natter zwischen Germer und Kuckucksblumen, und von dem Himmel nickten die treibenden Lämmerwölkchen und hasteten zum fernen Horizont, um die bleiche Mondsichel hinter duftigem Schleier zu verbergen. O du wonniger, klingender und singender, sonnendurchstrahlter Sommermorgen! Die Lerche hebt sich zum Himmel und singt von deiner Schönheit, die Blüten öffnen die Kelche und duften dir zum Preise, und das Menschenherz erzittert unter dem Hauche reiner, göttlicher Empfindung, einer Ahnung nie erforschter Tiefe und Wahrheit, welche wie tausend Jubelpsalmen leise und laut, geahnt und doch nie voll begriffen, Himmel und Erde mit dem leuchtenden Ring umschließt, den Menschenzungen Liebe nennen, und dessen tiefstes Wesen sie dennoch nicht aus jenen Rätseln lösen, welche Götterhände schirmend in dem Quell des ewigen Lichtes bergen!

Leise klang der Hufschlag des goldroten Rosses auf der Heide wieder. Carl Wolfgang führte es am Zügel und schritt mit frisch erhobenem Haupte neben dem Kind des Vogelstellers, welches dem genehmen Gaste das letzte Geleite bis zu den Felsen gab. Der Wind wehte die lichten Locken um des Jünglings Stirne, und strahlend wie der Himmel flog der Blick des Auges empor, blauem Glanz den blauen Wiederschein zu geben!

Neben ihm schritt schweigend Mustela, sie blickte an seiner hohen Gestalt empor, und ein verklärtes Lächeln zog über ihr wundersam Antlitz, gleichsam als sei es der Abglanz der Seele, welche ihre heiligen Schwingen in leuchtende Glut der Liebe getaucht. Sie lauschte seinen heiteren Worten; und wie der schöne Mann an ihrer Seite scherzend das Haupt neigte und dem kleinen braunen Wiesel versprach, er wolle zur Hütte kehren und ihr verkünden, wenn es Spiel und Tanz auf der Burg gebe, damit sie emporsteige und sich auch an solcher Lust erfreue, da klopfte ihr wohl das Herz vor Freude, aber es mochte ihr nicht recht behagen, daß er lachte, wo sie am liebsten geweint hätte.

»Mustela!« sagte Carl Wolfgang, plötzlich stehen bleibend, und er schaute sie mit heißem Blicke an und legte den Arm wieder um ihre Schulter, wie damals, da sie ihn zuerst hierher zu den Felsen geführt, »wir müssen nun Abschied nehmen, und Du sollst mir versprechen, daß Du mich nicht vergessen wirst! Ich werde oft durch Feld und Wald streifen und mein Rößlein hier zu den Felsen lenken, weil ich hoffe, daß mir ein klein Wiesel daraus entgegen huscht, in dessen Augen ich so gern blicken mag, und an dessen Seite sich's so traulich rastet! Wirst Du oft hier an die Felsen gehn und meiner gedenken?« und Junker Wolfgang neigte sich noch näher, und sein magischer Blick glühte auf ihrem Angesicht.

Da brauste es durch des Heidekindes Köpflein wie ein haltloser Wirbelwind, Flammen lohten empor und verwandelten Herz und Seele in ein wogend Feuermeer wahrer, treuer und heiligster Empfindung. In jäher Leidenschaft schlang sie die Arme um seinen Nacken, beugte sein Haupt zu ihrem brennenden Angesicht und küßte seine Lippen. »Ja, ich denke an Dich, Carl Wolfgang!« flüsterte sie mit erstickter Stimme, »Tag und Nacht, lachend und weinend, immer und immer zu! Denn ich habe Dich lieb, so von Herzen lieb, daß ich sterben würde, wenn ich es Dir nicht sagen könnte!« Helle Thränen rannen über die braunen Wangen, und sie lachte und küßte ihn abermals.

Carl Wolfgang hatte sie an die Brust gezogen und sah lächelnd auf sie nieder; er wunderte sich, wie schön die Mustela aussah, wenn sie glücklich war, und wie schnell er dieses kleine Herz erworben, und wie wohl es ihm behagte, daß dies wilde Vöglein so ungestüm an seine Brust flatterte.

Und er schüttelte übermütig die blonden Locken in den Nacken und küßte sie wieder und fragte, warum sie ihn denn so lieb habe?

Das wußte sie selber nicht, hatte auch noch nicht darüber nachgedacht, nun aber bog sie das Köpfchen ernst sinnend zurück und schaute ihn nachdenklich an. »Warum ich Dich lieb habe? Das mußt Du Deine Augen fragen, denn aus denen ist all das süße Leid über mich gekommen! Du hast Augen, Carl Wolfgang, die sehen so blau aus, wie der klare Himmel, und wenn ich hinein sehe, so deucht es mir, als müsse in ihnen die Treue und Aufrichtigkeit wohnen, just so wie droben in Gottes Himmelreich; aber manchmal erschrecke ich vor ihnen und denke, ebenso wie mich schaut Carl Wolfgang auch jede andere Maid an, und dann zuckt mein Herz, und ich denke, über diesen blauen Himmel werden einst schwarze Wolken ziehn, und die werden mir Herzeleid und bitter Weh bereiten, daß ich mich sehne in den wahren Himmel zu kommen, wo es Frieden sein wird für alle, die da Kummer tragen, wie Pater Severin sagt!«

Wolfgeil schüttelte beruhigend den Kopf. »Schau an, welch wunderliche Dinge klein Hermengild so ausplaudert! Laß erst sehn, über wessen Auge zuerst die kühlen Schatten ziehn, über meine, oder Deine! Jung Wunibald ist ein launiger Gesell und weiß viel schöne Liedlein, die er den Dirnen zu der Harfe singt, schleicht auch mehr wie mir lieb ist um Juan Piccolos Hütte! Da könnte es gar leicht möglich sein, daß eines schönen Tages die Mustela zu mir sagt: Zeuch hin mit deinen blauen Augen, jene dunklen von Jung Wunibald wissen mir bessere Kunde zu sagen!« Und der Junker seufzte scherzend auf und that, als ob es ihm wahrlich leid sein würde.

Hermengild blickte mit ernstem Gesichtchen auf. »Die Zeit möchte Dir lang werden, Herr Carl, wenn Du darauf warten wolltest! Schau her, ich trage ein Zweiglein Klette an der Brust, und das hat gar tiefen Sinn und ist nicht Zufall; denn wie die Klette so treulich festhält an dem, was sie einmal gefaßt, so harrt auch mein Herz ohne Wank und Falsch in Leid und Freude aus bei dem, den es einmal in sich beschlossen hat. Und wenn auch der Herzliebe in wankelmütigem Sinn die graue kleine Klette von sich losreißt, um ein besser Blümlein am Gartenhag zu brechen, so läßt sie sich wohl ohne Grollen lösen und bei Seite werfen, aber eines bleibt doch haften, das sind die kleinen Widerhaken treuen Angedenkens, die nicht auszumerzen sind, selbst von Falsch und Untreu nicht!«

Carl Wolfgangs Antlitz war ernst geworden. »Du machst Pater Severins fleißigen Lehren Ehre, kleines Wiesel«, sagte er, sie aufmerksamer denn sonst anblickend, »und was Du redest, klingt wie ein braves Herz. Fahre fort so zu denken und zu thun, und was die Treue anbelangt, bleibe Dein Lebenlang eine Klette!«

Da hob Mustela bittend die Hände »Dort steht ein hoher Klettenstrauch, Carl Wolfgang, brich mir ein Zweiglein zur Erinnerung an diese Stunde!«

Da schüttelte Wolfsgeil das Haupt und wandte den Blick. »Ich breche niemals Blumen, Mustela, auch heute nicht! Warum verlangst Du ein welkend Sträußlein? Laß meine lebenden Worte in Deinem Herzen blühn!« und der Junker erhob sich von dem Felsen, auf welchen er sich niedergesetzt hatte, und faßte den Bügel seines Rosses.

Hermengild aber neigte das Haupt und ein jäher Schmerz zuckte durch ihr Herzlein wie ein zweischneidig Schwert; dann aber lächelte sie über sich selber und trat eilig herzu das Pferd zu halten.

»So sehen wir uns an den Felsen wieder, wenn Ihr mich zu Spiel und Tanz holen wollt?« fragte sie heiter, »ich werde jeden Tag auf Euch warten!«

Da zog sie Ritter Wolfgang noch einmal in die Arme und war wieder lustig wie vorher. »Und wenn ich wieder komme, wird mich Mustela ebenso empfangen, wie sie heute von mir Abschied nahm?«

Da glühte es heiß in ihren Wangen »Wart's ab, Du Lieber!« rief sie übermütig, wandte sich um und floh wie gejagt auf flinken Füßen durch Ginster, Heidekraut und Sonnenglanz über die duftende Ebene.

»Auf Wiedersehn, braun Wiesel!« und Carl Wolfgang schwang sich in den Sattel, hob noch einmal grüßend die weiße Hand nach seiner Pflegerin und sprengte alsdann, heitere Träume im Herzen, auf goldrotem Roß der heimatlichen Burg entgegen. – –

Während dessen schritt Juan Piccolo langsam durch die wogenden Kornfelder, welche in schmalem Streif das Dörflein begrenzten, darinnen die pflichtigen Bauern der Feste Wolfsburg ihr armselig Obdach gefunden. Gut und Blut, Land und Leute gehörten dem Carl Wolfgang zu, und je voller und reicher sich droben in der Burg die Speicher füllten, desto sauerer rann drunten der Schweiß, desto schwerer lastete die erbarmungslose Hand der Vögte auf den Dienstbaren.

Carl Wolfgang fragte nichts nach dem Treiben seiner Untergebenen, leichten Sinnes vertraute er ihnen das Wohl und Weh der Knechte an, und sah er den goldenen Segen unter sein Dach einziehen, so lobte er ihren Eifer und forschte nicht danach, ob Thränen oder Seufzer diese Saat gesäet. Carl Wolfgang war jung, sorglos und überdrüssig eines eigenen Regiments, was kümmerten ihn seine Bauern, seine Vögte. Mag's gehn wie's will, die Wolfsburg ist ein sicher, ein gewaltig Felsennest.

Juan Piccolo hemmte den Schritt und wandte sich spähend zurück; langsam hob er die braune, abgemagerte Hand über die Augen, das blendende Licht zu dämpfen, und schaute mit langem Blick über das friedlich ruhende Dörflein, über dessen niedere Strohdächer die letzten Sonnenstrahlen schimmerten. Ein starrer Zug ruhte auf dem schmalen Antlitz des Alten, zusammengepreßte Lippen und finster gefaltete Brauen, und dennoch lachte es in seinem dunklen Auge, ein heimlich glimmendes Feuer, welches ungestüm – an Schläfen und Zunge klopft, um in wildem Brand ans Licht zu schlagen. Im Felde pflügten zwei Bauern, den Vogt mit lederner Peitsche im Rücken. Juan Piccolos Auge traf sie und maßloser Haß ließ die Lippen beben.

»Nur Geduld, unglücklich Volk!« murmelte er zwischen den Zähnen, »die Sanduhr eueres Elends streut die letzten Körnlein, und dann wollen wir abrechnen mit jenen droben!« und er wandte das Haupt nach dem mächtigen Viereck der Wolfsburg und ballte die Hand um den rostigen Jagdspieß, dann warf er sich in das schwellende Gras nieder und starrte gedankenvoll über die wogende Saat.

Leise Schritte klangen hinter ihm, rußig und schwarz trat ein Mann hinter den Fichtenstämmen hervor, groß, grobknochig und verwildert, den mächtigen Buchenast im Arm und einen ledernen Beutel am Gurt. Er spähte vorsichtig über das Feld, sah Juan Piccolo regungslos liegen und hob die Hand an die Lippen, leise klang der Schrei des Käuzchens durch die stille Luft.

Piccolo schrak empor, wandte sich hastig zurück und schlich mit tiefgeneigtem Rücken an der hohen Kornwand bis zum Waldessaum, huschte behend durch die Büsche und stand im nächsten Augenblick vor der stämmigen Figur des Schwarzen, welcher ihm entgegentretend die Hand zum Gruße bot.

»Zur Stelle, Piccolo!« raunte er gedämpft, »Du siehst, ich habe Wort gehalten und gute Kunde steckt auch in Fülle hier im Rucksack!«

Juans Augen leuchteten. »Brav gemacht, Ulrich!« flüsterte er schnell entgegen, »wußt's ja, daß ich auf Dich schwören konnte! In wie viel Dörfern warst Du?«

»In allen, die dem Wolfsgeil zugehören oder pflichtig sind, in allen, die Haß und Not und Elend mürbe gemacht! Zum Teufel ja, ich hatte aufmerksame Lauscher und Fäuste genug, die sich geballt zum Himmel hoben!«

»Und kommen sie zum Neumond an die Wendelseiche?« Piccolos Atem flog und seine Finger krampften sich in den Speerschaft, »daran hängt das Gelingen! Das Volk muß sehen, wie stark sein Haufen ist, sonst wird's verzagt.«

»Sie kommen sämtlich, Alter, und ich denke, wie die Pilze wachsen uns die Schädel aus dem Moos, ich leiste Bürgschaft für fünfhundert Männer.«

»Und ich für andere fünfhundert; meine Saat ist reif und schoß in blutigen Ähren in dem Hirn des unterdrückten Volkes auf, es gärt und schäumt wie junger Most, der kaum die Zeit erwarten kann, bis er in ungestümen Wogen zum Lichte darf und seine Fesseln sprengen! So ist's dann abgemacht, Freund Ulrich, zum Neumond an der Wendelseiche!«

»Zum Neumond!« nickte der Köhler mit finsterm Blick, »um Mitternacht, wenn in dem Burgfried droben Pauken und Trompeten schallen, dann zieht sich alles, was zur Burg gehört, hinauf und sorgt, daß keine Späheraugen uns verraten. Ich gehe jetzt zum Friedel, der die Schafe auf dem Brachfeld hütet, dort berg' ich mich am besten vor den Vögten!«

Piccolo schüttelte mit bitterem Lachen das Haupt. »Du flüchtiger Mann, dem sie ans Leben wollen, weil Du den Jagdspieß auf des Wolfgeils Wild gezückt hast, um für die hungernden Kleinen ein Bröcklein aus dem Überfluß zu fischen, wart nur getrost, bald sollst Du wieder Ruhe finden, und jener droben wird statt Deiner das Land durchziehn! Wo ist Dein Weib?«

»Geflüchtet mit den Kindern! Im Marburgschen ist sie bei einer Klosterpförtnerin geborgen.«

Ein tiefer Seufzer hob Ulrichs Brust, und mit festem Druck bot er Piccolo die Hand. »Leb wohl, Gesell! Gott gebe, daß der Neumond neues Leben bringt und aus dem Bauernschafpelz scharfe Wölfe wickelt, den Kampf mit einem Wolfe zu bestehn!«

»Gott geb es, Mann! fahr zu ins Glück!« und Juan blickte der hohen Gestalt des Köhlers nach, welcher lautlos wie ein Schatten durch das flüsternde Gezweig glitt; dann wandte auch er sich waldeinwärts und ging in tiefes Sinnen verloren seiner Borkenhütte am Heidesaum entgegen. – –

»Großvater!« fragte Hermengild mit verstohlenem Blick nach dem alten Vogelsteller, welcher auf dem Felsstein vor der Hütte saß und starren Blicks auf das weiche Moos hernieder schaute, »ist es heute Nacht nicht Neumond?«

Da schrak Juan Piccolo empor wie aus tiefem Traum. »Neumond? gewiß Kind, heute ist Neumond!« lachte er seltsam erregt, »was kümmert es Dich, klein Wiesel? Du kriechst in den Bau und merkst es nicht.«

»Die Mittagssuppe hängt über dem Feuer, Großvater!« rief die Kleine schnell und wandte sich eifrig zur Seite, um noch einmal durch das schmale Fensterlein zu spähen, »schöpf sie Dir aus, wenn ich nicht zur Zeit daheim bin, mich treibt's zum Feld, ob sich ein Häslein in der Schlinge gefangen hat!« und schnell wie der Gedanke strich sie dem Alten kosend über das weiße Haupt und war im nächsten Augenblick hinter der Schleedornhecke verschwunden.

»Mustela! Wildfang! halt ein!« hörte sie noch des Piccolos Stimme hinter sich, aber ohne umzuschauen stürmte sie flatternden Haars in das Heideland hinaus.

Da lächelte der Alte verschmitzt vor sich hin und murmelte: »Ist mir heute schon recht, dies Umherstreichen des Mädels, so kann ich doch daheim bleiben zur Arbeit und brauch' nicht vor ihr zum Vogelherd zu schleichen!« und er erhob sich eilig, trat an die Felswand hinter dem Häuslein und schob die überhängenden Brombeerranken zur Seite, ein Felsspalt zeigte sich, breit genug, um ein Menschenhaupt einschauen zu lassen, und doch so wohl geborgen hinter Moos und Buschwerk, daß kein unberufener Blick ihn gewahrte. Juan Piccolo griff vorsichtig hinein und zog ein weidengeflochtenes Vogelhäuschen heraus, in welchem ein Star laut schreiend gegen die Stäbe flatterte.

»Ruhig, mein Tierchen, ruhig!« beschwichtigte der Vogelsteller, ging zurück in die Hütte und stellte den Käfig vor sich nieder, »nun paß fein auf, mein Mätzchen, und lerne dein Kunststück noch fleißig ein bis heute Abend, der Neumond soll dir die Freiheit schenken, wenn du dich mit deinem Liedchen schön artig loskaufen wirst!«

Da schlug der Star mit den Flügeln, sperrte den Schnabel weit auf und schrie mit greller Stimme:

»Wolfsgeil! … Wolfsgeil
unters Beil! … unters Beil!!«

und Juan Piccolo schnalzte vor Lust mit der Zunge, reichte Leckerbissen um Leckerbissen und sprach dem gelehrigen Schüler unermüdlich die verhängnisvollen Worte vor: »Nun helf dir Gott, du Teufelsnest da droben!« lachte er mit funkelndem Blick, »der Herr weckt sich seine Propheten aus den Steinen, und wo Menschen zu feig zur Rede sind, da lehrt er Vogelzungen die Sprache der Gerechtigkeit.«

Während dessen saß Mustela mit klopfendem Herzen auf den Felssteinen der Heide, faltete die Hände um das Knie und blickte voll fiebernder Sehnsucht zu der stolzen Feste empor, von deren Söllern die bunten Fahnen zum Himmel emporwehten. Und sie lächelte mit brennenden Wangen, hob jubelnd die Arme nach dem Vogel, welcher sich über ihrem Haupt in der klaren Luft wiegte, und sang:

»O Falk, du luft'ger Raubgesell,
Was hockst du in dem Bauer?
Empor zum Himmel schwing dich schnell,
Wirf von dir Leid und Trauer!
Schwebe über roter Heid,
Spähe in das Land so weit,
Was du darin magst schauen!

Und siehst du Berg und Thäler glühn
In purpurgoldnen Strahlen,
Und Nelke und Aurikel blühn,
Grüß sie zu tausendmalen!
Die Kletten all am grünen Strauch,
Mein liebes Bächlein, grüße auch
Von Freundin Hermengilde!
Doch siehst du über Flur und Au

Ein goldrot Rößlein jagen,
Zwei Jünglingsaugen wonnenblau
Hierher zum Fels zu tragen,
Dann hebe dich geschwind zu mir
Und juble laut: Er kommt zu dir!
Heil dir, klein Hermengilde! –«

Kaum verklang die helle Stimme über dem feierlich stillen Flachland, als auch Mustela mit zitternden Lippen empor sprang und regungslos zu dem Waldessaume hinüber starrte. Gedämpfter Hufschlag trifft ihr Ohr, das Laub rauscht und teilt sich, und zwischen den Zweigen taucht eine rotwallende Mähne auf, ein blondes Jünglingshaupt, ein blitzender Harnisch.

»Carl Wolfgang!« jauchzt Mustela im Übermaß des Glückes, und sie stürmt ihm entgegen und lacht und weint vor Wonne und Seligkeit.

Da pariert er das schnaufende Roß und reicht ihr mit frischem Lachen die Hand entgegen. »Grüße Dich Gott, kleines Wiesel, ich komme mein Wort zu lösen und Dich zur Burg zu holen!«

»So kommst Du wahrlich?« jubelt sie mit leuchtendem Blick in sein schönes Angesicht, »ich soll mit hinauf zu jenen stolzen Mauern und Fahnen, die Deine Heimat sind? Ach wie lieb will ich sie haben, schon darum, weil sie Dir angehören!«

Er blickt heiter auf die kleine Sprecherin hernieder, ihre strahlende Freude und Innigkeit schmeicheln seiner Eitelkeit, und darum hält er ihre schmale Hand fest und sagt: »So eile Dich, Mustela, und schwing Dich vor mich in den Sattel, denn scharf zureiten müssen wir, sonst kommen die edlen Gäste noch eher an, denn wir!« und er neigt sich, faßt ihre zierliche Gestalt und hebt sie leicht wie eine Feder zu sich empor. »Und nun halte Dich, keckes Wiesel, und sei nicht bange, wenn mein Rößlein ausgreift!«

Mit leuchtenden Augen, stumm, zitternd vor Entzücken schlingt sie die Arme um seinen Nacken; die rote Vogelbeerkette schaukelt sich wie flammende Perlen auf dem nackten Hals, und das wilde Weinlaub, welches sich in farbigem Gewind durch das lose lockige Haar schlingt, gleicht mit gelb und rotem Blattwerk jenem malerischen Goldschmuck, wie ihn die gute Fee über schlafende Lieblingskinder streut. Nie war Mustela reizender gewesen, als in dieser eigenartig wilden Schönheit, und Carl Wolfgangs Blick hängt heiß auf dem ungefügen Kind, welches wie ein scheuer Vogel an seine Brust geflattert.

»Mustela!« flüstert er leise, »hast Du mich noch immer lieb?«

Fester schlingt sie ihre Arme um seinen Nacken und drückt ihr Antlitz gegen die kühle, silberblitzende Rüstung. »So lieb, daß ich vor dem Gedanken zittere, Du könntest mich wie jene Kletten dort zu Boden treten, weil sie nicht prächtig genug sind, solch stolze Brust zu schmücken! Warum kommst Du so reich in Erz und starr Metall gekleidet zu mir? – ich fühle, wie dies böse Silber mich von Deinem Herzen trennt!«

Da lacht Carl Wolfgang leise auf. »Schau meine Lippen an, klein Hermengild, und sag, ob ich sie gegen Deine Küsse schütze?!«

Da schüttelt sie mit langem Aufblick das Haupt und wie sie ihm entgegnen will, da neigen sich seine Lippen näher und näher, so nah, daß sie vergißt, was sie ihm sagen wollte, und verstummt im heißen Kuß, den er hastig, ungestüm auf ihren Mund, auf Wangen und auf Augen drückt.

Gleichzeitig trifft der scharfe Sporn das Roß und aufbäumend stürmt der goldrote Renner mit Ritter und Maid in die sonnenlichte Gotteswelt hinaus. Hellan jubelt das Heidekind, blickt mit trunkenem Auge über das Flachland und singt ihm ein Lebewohl:

»Gleich wie ein Traumgebilde
Durchfliegt mein Roß das Feld,
Heil dir, du blondgelockter,
Du trutziglicher Held!

Leb wohl, du braune Heide,
Du sonnenhell Gefild,
Mit ihrem Lieb ins Weite
Entflieht klein Hermengild!«

Wald und Busch fliegt in lustigem Tanze an ihnen vorbei und des Vogelstellers Enkelkind schmiegt sich fester an die schimmernde Rüstung des Geliebten und wähnt, dies alles sei ein wunderholder Traum, welcher ihren Sinn gefangen hält und welcher schnell und treulos entweichen wird, um sie allein und sehnsuchtsvoll auf niederm Mooslager erwachen zu lassen! Und so blickt sie forschend empor in sein heiteres Angesicht und sieht, wie ihre wilden Haare um seine Schulter flattern, sich fest wie schmeichelnde Schlangen um Harnisch und Nacken zu ringeln, und lächelnd fragt sie: »Wenn dies alles ein Traum ist, so laß Dein Rößlein vorsichtiger traben, Carl Wolfgang, damit ich nicht allzuschnell davon erwache!«

Er aber schaut sie an wie damals auf der Heide, da er mit einem Blicke ihre ganze Seele nahm, und entgegnet lächelnd: » Je kürzer das Glück, desto vollkommener ist es

Die Burg taucht vor ihnen aus grünen Eichwipfeln, der Pfad schlängelt sich am Berg empor, und Wolfsgeil strafft die Zügel und läßt das Roß gemächlicher ausschreiten.

Mit glänzenden Augen starrt Mustela auf das stolze Mauerwerk, welches so nah wie noch nie seine gewaltigen Türme vor ihr erhebt, und leise frägt sie den Junker nach diesem oder jenem Fensterlein, wer in dem epheuumrankten Giebel haust, hinter den weiten, spitzgewölbten Fensterreihen, welche just so dreinschauen, wie diejenigen der Klosterkirche im Thal drunten, und sie betrachtet lebhaft die schroff abfallenden Felswände, welche sich dicht unter der Mauer in fast senkrechten Brüchen hinab in die Tiefe senken; nur einmal unterbricht eine weitvorspringende Granitkante gleich breiter Kanzel die steilen Steinmassen. Die Zugbrücke taucht vor ihnen auf, und Carl Wolfgang hält das Roß an und sagt zu Hermengild: »Kleines Wiesel, gieb mich frei und steige zur Erde, denn in der Burg ziemt es sich nicht, daß ein Ritter mit des Vogelstellers Tochter im Sattel zum Thore einreitet!« Mit großen, erschrockenen Augen blickt sie ihn an, da fährt er mild und schmeichelnd fort, während leise Röte über seine Wangen fliegt: »Es ist um Deinetwillen, Mustela, das Burggesinde und die Reisigen würden allerhand kecke Reden führen, wenn Du die Ehrfurcht gegen Deinen Lehensherrn also hintenan setzen wolltest, und sieh, ich will es nicht dulden, daß Dich ein gehässig Wort in der Burg treffe!« Und er drückt ihre Hände und blickt sie mit zaubrischen Augen an.

Hermengild begreift seine Worte nicht, aber gehorsam löst sie die Arme von seinem Nacken, schwingt sich behend zur Erde und blickt harrend zu ihm auf; da nickt er ihr lächelnd zu und das Roß schnauft leise auf und schreitet langsam dem Burgthor zu.

Mustela folgt schweigend, zitternden Herzens; wie eine Sonne des Glücks strahlt die Burg vor ihren Blicken, und noch wirft keine Wolke ihren schwarzen Schatten davor; warum Carl Wolfgang allein durch das Thor reiten will, begreift sie nicht, grübelt auch nicht darüber nach, denn sie weiß ja, was er thut, das ist gut und recht, und ein Blick in seine lächelnden Augen sagt ihr: sie sind blau wie der Himmel und wessen Gedanken fliegen wohl so hoch, daß sie eines Himmels Tiefe erforschen möchten? – –

Da steht nun das Heidekind schweratmend in dem Burghof, schaut mit wirrem Blick über Fahnen, Laubgewinde und festliche Ehrenbogen, um welche das bunt geputzte Gesinde eifrig einher rennt, um entweder die letzte Hand an das Werk zu legen, oder geschäftig mit Körben und Mulden aus Küche und Keller herzuzutragen. Ein heiteres, singendes Leben überall! Plaudernde Troßknechte und Reisige, welche die breiten Koller angelegt haben und behaglich schwatzend an den Pfeilern lagern, und drüben die lachenden Mägde im knappen Mieder und hochgeschürzten Rock, wie sie am Brunnen die gescheuerten Eimer füllen und viele Not haben, die kecken Weidgesellen fern zu halten, – zwischen durch keucht der Kellermeister mit schweren Humpen, rennen die Küchenjungen mit blankem Geschirr, treibt der Falkenier die gewaltigen Rüden in den Stall zurück. Und dort putzen sie noch eilig an Rüstung und Schwert, und hier steht der Kaplan in wichtiger Unterredung mit dem Hausmeister und läßt sich erst die feinen Leckerbissen des Mahles aufzählen, ehe er mit frommem Schmunzeln in die Kapelle tritt. Viele Arme haben sich gehoben, Junker Wolfgeils Roß in den Stall zu führen, viele Füße sind dem Ritter zu der gewölbten Schloßpforte voraus geeilt.

»Warte einen Augenblick, Mustela!« hat Carl Wolfgang ihr freundlich zugerufen, und nun steht die Kleine mit klopfendem Herzen wie gebannt auf dem Pflaster und fühlt mit glühenden Wangen die neugierigen Blicke, welche sie aus allen Ecken anstarren. Da tritt hastig eine Gestalt aus dem Thürbogen und mit lautem Freudenruf eilt Jung Wunibald seiner Freundin entgegen.

»Hermengild!« ruft er leuchtenden Blicks, »ist's denn ein Spuk im hellen Sonnenschein, daß Du hier stehst? oder seh ich's diesmal so viel deutlicher, was mir sonst nur wie ein Bild im Herzen lebt?« und er faßt ihre Hand und drückt sie. »Sacra! ist Fleisch und Blut, was ich hier zwischen den Fingern halte, und wahr und wahrhaftig, daß die Mustela bei uns vorspricht!«

Unwillkürlich klammert sich die Vogelstellerin an die Hand des schmucken Burschen, welcher im knappen Jägerwams so flott und stattlich vor ihr steht, und mit freundlichem Blick schaut sie tief aufatmend zu ihm empor.

»Ja ich bin's, Wunibald!« sagt sie leise, »und ganz allein und verlassen hier unter lauter fremden Gesichtern! Wie gut, daß Du kommst, nun fürchte ich mich nicht mehr und bitte Dich, daß Du mich ja nicht wieder preisgebest!«

»Eher möcht jene Linde drüben die Wurzeln heben und davon laufen, Mustela!« sagt er innig, »fest will ich Dich halten wie eine Eisenklammer und sicher wie die Mutter Gottes! Sacra! und heute zum Fest grade kommst Du, wo wir hier droben singen und springen wie zur Fastnachtszeit? schau, und geschmückt hast Du Dich mit Vogelbeer und Buntrebe, gleich der verzauberten Waldfrau, die im Vollmond unter der Steinheimer Eberesche sitzt!« und Jung Wunibald hielt die Kleine an beiden Händen und schaute gutmütig lachend auf ihr grobes Röcklein.

Zum erstenmal schaute Hermengild an sich nieder und tiefe Glut stieg in ihre Wangen. »Nein, Wunibald, noch bin ich nicht festlich angethan, denn mein zerrissen Zwilchwerk paßt schlecht unter die schmucken Dirnen dort! Hab aber nichts Besseres daheim und wollte es mit dem bunten Kettlein und dem Kranz im Haar gut machen, weil ich dummes Ding nicht viel davon weiß, wie es unter Euch Menschen Brauch ist! Nun schäme ich mich und die Steine brennen mir unter den Füßen!«

Da sah der Weidgesell voll Entzücken in die treuherzigen Kinderaugen, welche durch Thränen zu ihm auflächelten, und er preßte ihre Hände noch inniger und sprach: »Mag Dein Röcklein ausschauen wie es will, klein Wiesel, ich will Dich im Tanze schwingen, als wärest Du eine Königin, und hätten jene Dirnen drüben goldgewobene Fürtüchlein und Schuhe von Silber an, wäre mir dennoch keine so kostbar und wert, wie ein einzig rot Beerlein aus Deiner Kette hier!«

Da sah ihn die Vogelstellerin dankbar an, und zu gleicher Zeit trat eine breite Frauengestalt in die Schloßthüre, die hielt die Hand über die Augen, spähte nach den Plaudernden herüber und schritt alsdann gewichtig über die Steinplatten auf die Fremde zu.

»Da kommt Frau Ursula, die Schaffnerin!« flüsterte Wunibald, und er zog den Hut vom Kopf und schwenkte ihn der Matrone entgegen.

Hermengild schaute ehrfurchtsvoll zu der stattlichen Frau empor, welche im dunkelvioletten Prachtkleid, hochgeschürzt über grauem Untergewand, die fetten Hände behaglich über dem Magen zusammengelegt, wie ein Bild des glücklichsten Wohlergehens vor ihr stand. Am gestickten Ledergurt schaukelte sich der gewaltige Schlüsselbund über weißer, vielfach gefalteter und fast bis zur Erde wehender Leinenschürze, ebenso blütenrein und sauber wie das steifgelegte Kopftuch, welches mit buntgenähter Kante ihr volles, stark gerötetes Gesicht umschloß.

»Haben wir denn hier die kleine Dirne aus dem Wald drunten, die Enkelin des welschen Vogelstellers, die uns den jungen Herrn gesund gepflegt hat?« nickte sie freundlich und hob mit dem Finger das Kinn des zu Boden schauenden Mägdleins, um prüfenden Blick über das braune Gesichtchen zu thun. »War ein wacker Stückchen Nächstenliebe, Kind, und macht Dir trotz Deiner braunen Heidenaugen christliche Ehre! Schickt mich das Burgfräulein und verlangt, daß ich für Dich sorgen soll und Dich hinauf in die Kemnate führe, damit sie Dich selber spreche und Dir alle Eckstüblein und Gelasse zeige! So komm denn, kleine Heidelerch, und laß Dir erst Dein struppig Gefiederlein glatt bürsten!« und mit gutmütigem Lächeln faßte sie Hermengilds Hand, um sie mit sich fort zu führen. »Magst die Kleine nachher wieder bei mir abholen, Jung Wunibald Sausewind!« rief sie dem Jäger über die Schulter zu, und im Vorüberschreiten noch ein paar gut gemeinte Scheltworte nach den kauderwelschen Dirnen, so ihre losen Zünglein allerhand Schelmenwerk raspeln lassen, anstatt ihre Tröglein zum Herd zu bringen, schickend, schritt sie mit Mustela gemächlich die steinernen Stufen empor.

»Nun komm, Kleine! laß uns vorerst in mein Erkerlein steigen, damit ich Dich nach des Fräuleins Wunsch herausputze, denn Staat will sie machen mit des Carl Wolfgangs Pflegerin und es erleben, daß unser junges Mannsvolk vom Hofe den Ringelreihen mit keiner andern lieber führt, denn mit Dir!« und Frau Ursula klopfte ihr freundlich die Wange und schob Piccolos Enkelin in ein schmales Seitenpförtlein, von welchem eine schmal gewundene Holzstiege viele Stufen hoch emporführte.

Mustela hatte aufgezuckt, da sie von dem Ringelreihen hörte, sie wollte der Alten heftig entgegnen, daß sie kein anderer Arm zum Tanze umschlingen dürfte, denn der ihres herzlieben Junkers, aber das Herz klopfte ihr doch allzu beklommen vor Ehrfurcht und legte ein festes Schlößlein vor ihre Lippen, welches sie schweigsam folgen ließ.

Die Sonne strahlte durch die bleigefaßte Fensterscheibe, welche wie ein rundes, einziges Auge in die Wand des Schaffnerinstübchens eingefügt war, und spielte auf den leuchtend roten Rockfalten, welche Frau Ursula behäbig auf ihren Bettkissen ausgebreitet hatte, und von welchen sie nun die tuchenen Vorhänge zurückzog.

»Da schau, Kind, welch eine Pracht!« lächelte sie wohlgefällig, »ein rotes Röcklein mit weißem Saumstreifen, festes, hochfeines Kammertuch, wie es die Edeldamen selber tragen, und ein braunes Miederleibchen mit hellblauen Schnürbändern, ja sogar ein wildledern Täschlein mit drei dicken Troddeln an der Klappe! Hat nimmer noch eine Dirne im ganzen Burgfried solch ein Zierwerk auf die Hüfte hängen können!« Und dabei hob die Schaffnerin die gepriesenen Sachen mit spitzen Fingern empor und drehte sie gravitätisch nach allen Seiten.

»Eia!« jauchzte Hermengild mit glühenden Wangen und vergaß in der Freude ihres Herzens jeglicher Scheu, »das alles soll meine Gewandung sein, und solch herrlich Wollzeug soll ich anziehen, ich, die Mustela, Hermengilde Piccolo? O Du liebe, gute dicke Frau, wie möchte ich Dich doch vor lauter Herzenslust hoch in die Luft heben!« Und in stürmischem Jubel breitete das Heidekind die Arme aus, schlang sie allesvergessend um Schaffnerin und Putz zugleich und wirbelte die Ahnungslose mit Aufgebot aller Kräfte durch das kleine Stübchen.

»O du heilige Kümmernis!« keuchte Frau Ursula endlich mit hochrotem Kopf und sank halb lachend, halb prustend vor Unwillen auf den Schemel neben der alten Holztruhe, »ist mir denn jemals im Leben schon solch ein Narrenfrätzlein vorgekommen, das in seiner Wildheit ehrsame Weibsbilder zu Tode tanzt?! Geh mir vom Leibe, Du thunichtguter Springinsfeld, und spute Dich, daß Du Dein buntes Fellchen über die Ohren streifst; – Sankt Fridolin, hab ich doch seit zwanzig Jahren keinen Reigen mehr getanzt!« und sie faßte die Schürze und wehte sich tief atmend Kühlung zu.

Mustela aber hatte lachend ihr zwilchnes Röcklein von sich geworfen, zog mit strahlenden Augen die purpurnen Falten über sich, nachdem sie zuvor mit wohligem Behagen in die schneeweißen Linnen gehuscht war, die nun so blank und hell wie junges Taubengefieder aus dem Mieder leuchteten, welches die Kleine mit ungeschickten Fingerchen, tänzelnd, hüpfend und singend zuzunesteln versuchte.

Belustigt schaute Frau Ursula zu, bis sie schließlich ungeduldig die Hände hob und lächelnd rief: »Nun so komm nur näher, Du Teufelsbrätlein, und laß Dir die Schnurbänder einziehen, denn allein bringst Du es doch nicht zuwege und rückst Dir den Gürtel schier unter das Kinn hinauf! Aber daß Du mir fein stille stehst, Du wilde Hex, und wirst Du wohl von meiner Schaube bleiben! – Sankt Fridolin, was knusperst Du denn da an meinem Kopf herum?«

Hermengild lachte glückselig auf und fuhr fort, mit zärtlichen Händen über das geneigte Haupt der Alten zu streicheln, um gleichzeitig auch die steifen Leinentuchfalten zurecht zu zupfen. »Gute Frau Ursula!« sagte sie schmeichelnd, »laßt mich Euren Kopfputz zurecht rücken und Eure Wangen liebkosen, denn kund thun muß ich all meine Herzenslust, sonst erstickt's mich! Wäre ich jetzo auf meiner freien, einsamen Heide, da würde ich die Arme zum Himmel heben und einen Freudenschrei thun, daß sich die scheuen Häslein auf zehn Hufen Land weit zu Tode entsetzen würden, aber hier im engen Stüblein würde es schier die Mauern sprengen!«

»Soll sich Gott unseres armen Schlößchens erbarmen, daß Du es nicht verwüsten mögest!« lachte die Alte mit innerlichem Ergötzen, »hätte sich das Fräulein Guntramis wohl übeln Dank an diesem inkarnatnen Röcklein verdient!« und sie fuhr emsig fort, die Schnürbänder einzuziehen, während Hermengild mit glänzenden Augen weiterplauderte.

»Was er wohl sagen wird, wenn er mich so prächtig hergerichtet sieht, Frau Ursula? Ob er mich noch lieber haben wird, denn sonst, und gern mit mir zum Reigentanze schreiten?«

Die Schaffnerin dachte an Jung Wunibald und nickte gutmütig. »Das will ich meinen! hat er doch schon Wohlgefallen an Dir gehabt, da Du in diesem zerfetzten Röcklein vor ihm standest!«

»Ach und wie gerne tanze ich! So schnell kann ich mich drehen wie das Pappellaub, wenn der Wind es im Wirbel treibt!« fuhr die Kleine mit brennenden Wangen fort, »und heute gar, wo es mir zu Sinnen ist, als hätte die Glückseligkeit mir Flügel an den Schultern wachsen lassen, heute will ich tanzen, tanzen wie noch keine Dirne auf der Welt!«

»Helf mir Gott! wirst Du mich wohl auslassen, Du zapplicher Guggaldei!« schrie die Alte erschrocken auf und klammerte sich mit beiden Händen an die hölzerne Truhe, denn Mustela hatte die Arme abermals um ihren Nacken geschlungen und preßte die Schaffnerin stürmisch an ihr Herz, »nun soll's wohl noch einmal an mir probiert werden, ob das übermütige Hexlein tanzen kann oder nicht?! Geh los, sag ich! Drückst mir ja die Seele aus dem Leibe, Du Wiesel!«

Da lachte das Heidekind hell auf, neigte das glühende Gesichtchen dicht zu der Wange der Matrone und drückte einen schnellen, herzhaften Kuß auf die fleischigen Lippen Ursulas.

»Sei nicht bange, Du lieber Hasenfuß«, rief sie, »ich will keine Sprünge mehr mit Dir machen, aber Dank sagen muß ich doch, daß Du mich in dieses schmucke Panzerlein eingezwängt hast, das nun so fest und enge auf meinem Rücken sitzt, wie eine Krebsschale! Da schau mich an, fix und fertig bin ich und die Vogelbeerkette behalte ich auch um den Hals, denn sie ist just so rot wie mein Röcklein!« und Hermengild faßte die roten Falten, zog sie breit von sich ab und machte einen tiefen Knix.

Frau Ursula schlug die Hände zusammen und schüttelte in mildem Entsetzen den Kopf. »Über solch ein windig Waldmenschenvolk!« rief sie, »sagt das Fürwitzlein, es sei fix und fertig zum Tanz und hat noch kein Schühlein am Fuß! Hingesetzt! auf den Schemel da! und nun probier, ob Dir diese Schlürflein passen werden!«

Leise kichernd gehorchte die Kleine und schlupfte in die weichledernen Pantöffelchen.

»Viel zu groß, Frau Ursula, schaut, es fällt wieder von den Zehen ab!«

»Du Blippenplapp! hat niemals noch Sohlen unter sich gefühlt und schwatzt wie ein Altes!« schalt die Matrone sich niederbückend. »Da bind' erst die Riemen fest, ehe Du auf die Schühlein wetterst! Na? wie sitzt es denn nun? sag's ja, wie angewachsen!«

Mustela erhob sich und ging mit täppischen Schritten durch die Stube.

»Ist mir zu Mut, Frau Ursel, als ob es vierzehn Tag geregnet hätte, dann geht sichs auch so weich im Lehm! O je, und in solchen Säcklein soll ich zum Reigen springen?!«

»Fürerst zum Jungfräulein, und darum spute Dich, daß Du nicht ungelegen kommst!« und die Alte faßte ihre Hand, blickte noch einmal schmunzelnd über die zierliche Gestalt des Mägdleins, welches kaum wieder zu erkennen in diesem kleidsamen Schmuck, reizend wie ein taufrisch Heidenröslein vor ihr stand, und führte sie langsam die Stiege herab. Als sie an der offenen Küchenthüre vorüber schritten, zögerte Ursula plötzlich und sah ihren Schützling betroffen an.

»Da habe ich Dich armes Gauchlein noch nicht einmal gefragt, ob Dir nicht der Magen nach dem langen Wege schief hängt«, sagte sie bedauernd, »schnell tritt in das Gewölbe hier und laß Dir Dein ruhlos Schnäbelchen stopfen!« und sie langte ein großes Stück Kuchen herzu und füllte ein Steinkrüglein mit Wein und reichte es Mustela.

»Das wird hinlangen, bis Du nachher mit den andern schmausen wirst«, sagte sie freundlich, »Gott gesegn' es Dir!« – –

Und abermals stieg die Schaffnerin alsdann eine Stiege empor und führte Juan Piccolos Enkelin durch einen langen Gang an eine hohe, eichengeschnitzte Thüre. Sie öffnete behutsam, schaute hinein und rief: »Die kleine Dirne aus dem Wald ist hier, Fräulein Guntramis!«

»Aha, das Wiesel!« antwortete die bekannte Stimme der Edeldame, die Thüre ward aufgethan und Frau Ursula schob ihren Gast über die Schwelle.

Da stand nun Mustela in dem hohen, saalartigen Gemach mit dem epheuumzogenen Erker und starrte sprachlos auf das köstliche Bild, welches sich ihren Blicken darbot.

Inmitten der Halle, neben den teppichbelegten Tischen und Ruhepolstern, stand Fräulein von Orbe, hoch aufgerichtet in königlicher Pracht. Um sie her hantierten die flinken Mägde, knieten zu ihren Füßen, um die Schuhbänder zu binden und die langschleppenden Falten des Gewandes mit reichen, edelsteinbesetzten Spangen zu raffen, weite, pelzverbrämte Ärmel reichten bis auf den Saum des Kleides. Wie fließendes Gold wallte das leuchtende Seidengewand um Guntramis' schlanke Gestalt, reich verziert mit schimmernder Stickerei, Perlen und Kettengehängen, und gleich dem fleckenlosen Schwanengefieder hoben sich Hals und Arme aus dem farbigen Schleiergewebe, welches wie Regenbogenglanz von dem stolzen Haupte wallte. Guntramis las in den weitgeöffneten Augen der Kleinen, sie lächelte.

»Komm näher, meine wackere Gastin!« rief sie heiter, »und sei mir herzlich willkommen auf der Wolfsburg! Schau an, wie schmuck hat Dich die brave Ursula herausgeputzt, kaum, daß man das graue Heideblümchen unter diesen lustigen Farben erkennt!« Und ein langer, prüfender Blick streifte Mustela, fast war es wie ein Schatten, der über des Fräuleins Stirne zog, aber nur unmerklich, denn lächelnd wandte sie das schöne Haupt zur Fensternische, wo eine alte Edelfrau mit schwarzer Witwenhaube im Sessel saß. »Da sieh, Base!« rief sie munter, »Carl Wolfsgangs Pflegerin aus der Borkenhütte! Das kleine Wiesel, von welchem ich Dir schon so viele wunderliche Kunde gebracht! Nun schau sie Dir selber an und sage, ob ich nicht Ehre mit diesem Gast einlegen kann?« Und Guntramis zog den Fuß, welchen die Magd fertig bekleidet, zurück, trat Hermengild entgegen und faßte freundlich ihre Hand.

»Komm Kind, neige Dich der Burgfrau und erzähle ihr von den Tagen, da Du den Ritter von Wolfsgeil gesund pflegtest!«

Da blickte Frau Rosina von Orbe mit freundlich ernstem Blick auf die Vogelstellerin, reichte ihr gütig die schmale Hand und sprach ein paar Worte der Begrüßung, während die Mägde bei Seite traten, sich leise in die Ohren raunten und kein Auge von der Fremden wandten.

Mustelas Scheu war in Frau Ursulas Kämmerlein gebrochen, und da Fräulein Guntram' nun allerhand Fragen über Wald und Heide that, erzählte die Kleine mit hellen Augen von ihrem freien, wonnigen Leben inmitten der Einsamkeit, wo es so viel Lust und Freude während der warmen Sommerzeit gebe. »Im Winter allerdings ist es kalt und traurig und der Schnee liegt hoch wie eine Mauer um das Borkenhüttlein, so daß es oft schwarze Nacht in dem Stübchen bleibt, dann zünden wir aber ein helles Tannenfeuer auf dem Herd an und ich lehre die Vöglein im Käfig fein zahm sein und lerne auch selber von ihnen die Stimmen nachahmen, so daß ich dann im Sommer die Sängerlein in den Wipfeln necke, wenn ich mit einer Vogelzunge Antwort auf ihr Liedlein pfeife.«

»Laß uns einmal hören, wie Du es fertig bringst!« rief Fräulein von Orbe lebhaft und sie legte die güldenen Spangen um den Arm und winkte einer Magd herzu, daß sie noch die blinkenden Haarpfeile durch den Schleier steche.

Hermengild ließ sich nicht bitten, sondern legte die Hände hohl an den Mund und zirpte, zwitscherte und flötete so täuschend und mannigfalt, daß die Edelfrauen nicht müde wurden, dem ergötzlichen Spiel zu lauschen, welches einen ganzen Wald voll Sonnenschein, Harzgeruch und Vogelsang vor ihr geistiges Auge zauberte.

»Du bist eine kleine Tausendkünstlerin!« rief Frau Rosina heiter, »und wenn Dein eingeschneites Hüttlein so viel Gelehrsamkeit in sich schließt, so möchte ich wohl mancher Dirne raten, einen Winter lang Dein Gast zu sein! Doch nun begebt Euch an den Gang durch das Haus und seid aufmerksam, daß Ihr nicht allzu lange Zeit verplaudert. Bald werden die ersten Gäste hier sein, Guntramis, und ist alsdann Dein Platz im Saal, den Willkommengruß zu sprechen!« Frau von Orbe erhob sich, küßte die schöne Nichte leicht auf die Stirn und musterte noch mit einem letzten, prüfenden Blick die strahlende Pracht des Gewandes; wie eine Königin schritt Guntramis durch die Halle, und Mustela folgte ihr wie ein verloren Blütenknösplein, welches aus dem Kranz der Schönheit fällt, um achtlos auf den reichen Fließen einer Ritterburg zertreten zu werden.

In liebenswürdigster Heiterkeit führte die Edeldame ihren ländlichen Gast durch die Räumlichkeiten der Burg, ehrfurchtsvoll gegrüßt von den Dienstbaren, welche sie im Vorüberschreiten mit gnädigem Kopfneigen grüßte, oder je nach Verdienst und Rang mit sonnigem Lächeln beglückte; Mustela begriff nicht, warum die Dirnen, die doch nur nicht so schön gekleidet waren wie Guntramis, so scheu zur Seite wichen und sich so gewaltig tief vor dem Fräulein neigten, auch staunte sie, daß alle nur zu flüstern wagten, wenn die Edle durch das Zimmer schritt, und daß sie von Carl Wolfgang so respektvoll sprachen und so voll Angst, als sei er mindestens Kaiser und ein bitterböser Mann.

Das Heidekind plauderte so treuherzig wie daheim in der väterlichen Hütte und jauchzte auf vor Entzücken, wenn ihr etwas gefiel, und fragte und lobte und tadelte nach Herzenslust, so daß sich Fräulein Guntramis' stolzes Antlitz oft rötete vor Ergötzen und sie nicht müde wurde, stets neue Herrlichkeiten vor den Augen des staunenden Wiesels zu entrollen.

»Und wo wohnt denn Carl Wolfgang?« fragte Hermengild endlich, als Fräulein von Orbe sie über den Hof zu der Burgkapelle führte, »laßt mich auch sein Stüblein schauen, liebes Edelfräulein, denn ich denke mir, daß es darin gar traulich und schön sein muß!«

Guntramis schüttelte ernst das Haupt und sprach verweisend: »Dahin kann ich Dich nicht führen, Kind, denn es ziemt sich nicht, daß zwei sittsame Jungfrauen in eines Junkers Stube treten; hast Du nicht die vielen Hirschgeweihe und Waffen und Schilder an des Eckzimmers Wand gesehen? Da wohnt Carl Wolfgang zur Winterzeit, und weil er jetzt nicht diese Räume betritt, so konnte ich Dich schon durch sie hinführen.«

Mit großen Augen schaute Hermengild empor. »Ihr dürft nicht in seine Stube treten, Fräulein?« schüttelte sie verwundert das Köpfchen, »da muß der Ritter ja ein strenger Herr hier droben sein, vor dem sich alle fürchten und der wunderliche Befehle giebt! Drunten war er gut und freundlich, und ich glaube auch, zu mir wird er es immer sein.«

»Gewißlich!« nickte Guntramis zögernd, »er ist ja Dein Schuldner und ein dankbares Herz, das keine Wohlthat im Leben vergißt.«

Und sie legte gleichzeitig den Finger bedeutend an die Lippen, machte das Zeichen des Kreuzes, und trat Mustela voran in das magische Dämmerlicht der Kapelle. – –

Pauken und Trompeten schallten auf dem Burghof, und durch das weitgeöffnete Thor sprengte ein glänzender Reitertrupp, welchem in gemächlicherem Tempo, von Maultieren getragen, zwei Sänften folgten.

»Das sind die Edlen von der Malsburg, weiter her aus dem Hessenland,« flüsterte Jung Wunibald der kleinen Vogelstellerin zu, welche in dem Gedränge des Burggesindes, an seiner Hand, etwas erhöht auf der Treppe eines Seitengebäudes stand und mit weitgeöffneten Augen dem seltsamen Schauspiel folgte. »Der Ritter Volkwin ist ein leiblicher Vetter unseres Junkers, hat zu gleicher Zeit mit ihm Pagendienst gethan und vom Landgrafen selber den Ritterschlag und die Sporen bekommen; da schau: jener dritte von den Reitern, in der Silberrüstung und grünen Binde, vorn auf dem Helm trägt er das Wappenzeichen, drei rote Röslein und ein Stern darunter!«

Hermengilds Blick folgte der angegebenen Richtung und ruhte momentan auf der schlanken Gestalt des jungen Ritters, welcher herzlich Carl Wolfgangs Hände schüttelte, sich alsdann behende aus dem Sattel schwang und an des Burgherrn Seite der Sänfte entgegen eilte, um eine verschleierte Edelfrau voll zierlicher Galanterie zur Erde zu heben.

»Das ist seine junge Burgfrau,« fuhr Wunibald eifrig fort, »Frau Agnesa von der Malsburg, auch einem alten, hessischen Adelsgeschlecht entsprossen! Schau, jetzt thut ihr Carl Wolfgang Ritterdienst, küßt ihre Hand und führt sie die Stiege empor! Ritter Volkwin folgt ihnen, und jene beiden jungen Fante an seiner Seite sind seine minderjährigen Brüder, zwei Klosterlateiner, welche auf der Fahrt nach dem Rhein begriffen sind, woselbst sie bei den Mönchen zu Rheinau gar hochgelehrte Herrn werden sollen!«

Mustela entgegnete nichts, sie starrte noch immer nach der Thüre, hinter deren Pfosten des Wolfgeils stolze Gestalt verschwunden war, und als der Malsburger und seine zwei bleichen, hochaufgeschossenen Brüder ihm folgten und sich das heimische und fremde Gesinde in eifriger Hast ihnen nachdrängte, da wandte das Heidekind den Blick und sah bittend in Jung Wunibalds dunkle Augen.

»Nun laß uns auch hinauf gehen, Wunibald,« sagte sie »mich verlangt es, bei Carl Wolfgang und Fräulein Guntramis zu sein!«

Da lachte der Weidgesell gutmütig auf und entgegnete: »Wo denkst Du hin, Du närrisch Käuzlein! Dahinein dürfen wir uns nicht wagen, denn dort ist nur der Platz für die Herrschaft, und ziemt es sich selbst nicht für uns, neugierig durch die Thüre zu lugen. Aber sei getrost, eben stößt der Turmwächter abermals ins Horn, zum Zeichen, daß sich neue Gäste der Burg nähern, da giebt es wieder festlichen Schmuck zu schauen, und Carl Wolfgang tritt gleich wie bei den Malsburgern in den Thorbogen und heißt sie willkommen.«

Da traten ein paar Dirnen und Troßknechte herzu und begannen mit Wunibald zu plaudern, reichten auch der Mustela die Hand und betrachteten sie eifrig mit vielen neugierigen Fragen über Juan Piccolos Hütte und den schönen Putz, welchen sie vorher nicht bei ihr gesehen hatten. Da gab es auch manchen neidischen Blick, aber es wagte keine ein stachliches Wort zu sagen, denn sie sahen, wie Jung Wunibalds Augen auf der Kleinen ruhten.

Da klangen wieder die Trompeten und von der Zugbrücke schallte es diesmal Antwort; ein Trüpplein Hornisten zogen hoch zu Rosse ein, die trugen ein buntes Fähnlein in der Mitte, darauf ein grimmer Leu und vier rote Ecksteine gestickt waren.

»Die Schweinsbergischen!« jubelte es laut in dem Burghof, und es erhob sich ein Grüßen, Nicken und Tücherschwenken.

Da neigte sich Wunibald abermals zu Hermengilds Ohr und sprach erklärend: »Jetzt kommt der nächste Nachbar der Wolfsburg, Herr Rudolf Schenck von Schweinsberg, dessen Vorvater Vargila ein getreuer Vasall der frommen Fürstin Elisabeth von Thüringen gewesen ist, die ihn alsdann zum Dank mit dem festen Schlosse Schweinsberg belehnte und ihn zu ihrem Mundschenken ernannte! Siehst Du jenen stolzen Mann in dem grauen Vollbart auf dem Apfelschimmel? Das ist der Ritter Rudolf, trägt ein ledernes Wams und ein weidmännisch Wehrgehänge! An seiner Seite die beiden kleinen Junker sind seine jüngsten Söhnlein, und dort hinter ihm, der Ritter in dem fein geprägten Kettenhemd, welcher neben der jungen Edelfrau im pelzverbrämten Mantel reitet, ist sein Ältester, mit Frau Edeltraut aus dem Geschlecht der Treuschen von Buttler, so auf dem Brandenfels sitzen, vermählet. Das ist des jungen Herrn Walter Eheliebste, und jene ehrwürdige Matrone, welche ihnen auf dem Maultier folgt, ist des Herrn Rudolf Hausfrau und Mutter der drei lieblichen Jungfrauen, welche auf den zierlich geschmückten Zeltern ihr zur Seite reiten; das sind gar viel umfreite Edelfräulein und oft schon besungen in landbekannten Minneliedern, denn ihre Schönheit lockt die Ritterschaft von nah und fern, weil sie just so tadellos ist wie ihre Tugend! Da schau, die erste im schwarzlockigen Scheitel, drauf der güldene Hauptreif liegt, heißet Fräulein Yrmingard, und neben ihr das lächelnde Rosengesichtlein ist die holdselige Sängerin Amalia, die aber am weitesten zurückreitet, mit den flatternden Zöpfen von Goldfaden durchflochten und dem pfauschillernden Gewand, das ist die minniglichste von allen, heißet Jungfrau Petrissa.«

Und Wunibald schwieg momentan im Anschaun verloren, dieweil die Sackpfeifer und Flötenbläser wieder ihre Weisen anhuben, Mustela aber preßte die Lippen zusammen und starrte schweigend in Carl Wolfgangs strahlendes Angesicht, welches sich in ritterlichem Gruße vor dem letztgenannten Gast neigte. Fast unwillkürlich drängte sie näher zur Thüre, so dicht, daß die schimmernden Gewänder der Edelleute sie streifen mußten, mit regungslos flehendem Blick schaute sie zu dem Junker von Wolfsgeil auf, er schritt hastig vorüber und sein Auge schweifte gleichgültig über das Köpfchen des Heidekindes.

Und Zug auf Zug nahte dem Burgthor und ward gastlich empfangen. Da kamen die Herrn von Döringsberg und die von Dalwig, die Grafen von Beilstein mit der weithin lesbaren Devise im Fähnlein:

»Die Grafschaft an der Werr
Zu Beilstein führt die Beilen,
Und drunten in dem Schild
Schwarzweiß in achtzehn Teilen,
Von Steinen. Und im Helm
Zwo Fahnen auf der Kron,
Dies bringt durch Stärk und Fleiß
Der wahren Tugend Lohn.«

ferner die Baumbachs, Buttlars und Lütters, auch die Berlepsschen und Dernbachs zogen herzu, mit ihnen der Sänger Herr Walther von der Vogelweide.

Ein lustiges Treiben begann nun auf der Burg, und da sich der Tag schon merklich geneigt hatte, so sammelten sich die Edelleute bald um die reichen Tafeln, und auch Jung Wunibald zog Mustela mit sich fort in die hohe grünreisgeschmückte Tenne, woselbst für die heimischen und gastlichen Gesinde die langen Holztische standen, an deren Mitte Frau Ursula mit heißen Wangen den Brei ausschöpfte und dem Wildmeister fleißig auf die Finger schaute, damit er auch heute die Portionen Wildbraten wie an hohen Festtagen größer denn gewöhnlich schneide. Zur Seite war ein Faß Wein, mit Tannengewinden verziert, auf ein hölzern Gestell gerollt, und um dasselbe drängte sich das leckere Männervolk und schwang die steinernen Krüge. Piccolos Enkelin ließ sich bald von dem allgemeinen Frohsinn anstecken und scheuchte sich selber die Wolken von der Stirne mit dem tröstenden Gedanken, daß der arme Carl Wolfgang gewiß ebenso große Sehnsucht leide wie sie, und daß er nur im Saale droben bleibe, weil die schön geputzten Leute es also verlangen und nicht wissen, wie gut der Ritter seiner kleinen Pflegerin drunten ist.

So plauderte sie denn lustig mit dem schmucken Weidgesell, und als abermals die Sackpfeifen klangen und sich viel rüstige Männerhände hoben, die Tische und Speisereste aus der Tenne zu räumen, da fragte sie mit leuchtenden Augen, ob es nun zum Reigen gehe?

Wunibald that einen hellen Juchzschrei und warf den Hut in die Luft.

»Heisa zum Tanze!« rief er, »klein Wiesel, ich bin wie ein Trunkner vor Lust, daß ich nun mit Dir einher springen kann!«

Da blickte Hermengild erschrocken auf und wollte die Lippen öffnen und antworten, daß sie gewillt sei, nur an Carl Wolfgangs Arm zu schreiten, da sie aber die strahlende Freude aus des Burschen Augen leuchten sah und es ihr zu Sinn kam, wie freundlich er doch zu ihr gewesen, da seufzte sie nur leise auf, nickte schweigend und legte ihre Hand in die seine.

Die Flöten klangen und Wunibald schwang seine reizende Tänzerin im Kreise. Da sahen aller Augen auf die behende Maid und den Gesellen flammte es heiß aus den Augen, und sie drängten näher und fragten, wie die Fremde heiße.

Wunibalds Auge aber blitzte und er faßte der Vogelstellerin Hand und zog sie eifersüchtig bei Seite.

»Laß uns in die freie Luft!« sagte Mustela aufgeregt, »hier ist es staubiger denn im Hochsommer auf klirrem Sandfeld.« Da schritten sie auf den Hof hinaus und hörten die Musik aus den Saalfenstern der Burg herniederschallen.

»Tanzt Carl Wolfgang droben?« fragte Hermengild auflauschend.

»Ja!« nickte Wunibald, »aber wir dürfen nicht an die Thüre, sondern nur diejenigen vom Gesinde, welche bedienen müssen!«

»Was kehrt mich das!« brauste das Heidekind ungestüm auf, »ich will hinaus, ich will ihn sehn, mir hat hier keiner zu befehlen!« und sie sah Frau Ursula über das Pflaster schreiten und lief ihr entgegen und rief leidenschaftlich: »O liebe, freundliche Frau Ursula, nehmet Ihr mich mit auf die Stiege und sagt's den bösen Leuten, die es mir verwehren wollen, daß sie mich den Tanz droben schauen lassen.«

Da wiegte die Alte nachdenklich den Kopf und schien sich's zu überlegen, aber endlich winkte sie und sprach: »So kommt Ihr beiden und lasset Euch in Gottes Namen herauf führen, aber seid fein bescheiden an der Thüre, daß Euch niemand von den Gästen gewahrt!« Und sie streichelte Mustellas Wange und sprach leise fürs sich: »Macht dem kleinen Fürwitzlein doch so gewaltig Pläsir, all die bunten Lappen zu sehn und solch vornehm Quinkeliren zu vernehmen, mag's denn so sein, wird auch keiner drum schelten.« Und als sie auf die Stiege gingen nahm sie Mustela bei Seite und sprach: »Hör' Kind, sagtest Du doch vorhin zur Edelfrau, der Klausner Severino hause in Deiner Nähe und komme manchmal zur Zwiesprache zu Juan Piccolo? Kenne ihn auch den biedern Gesell, hab ihn nicht vergessen seit den dreißig Jahren, da er zum letztenmal an Sonnenwend mit mir ein Feuerlein schürte und den Zindelhut noch schief auf dem Ohre trug!« und Frau Ursula hatte plötzlich an den Augen zu reiben und sagte mit schluckender Stimme: »Ist die Möglichkeit mit dem Staube hier, und habe doch vorher noch Wasser und Essig auf die Dielen sprengen lassen.«

»Ihr kennt den Pater Severino?« rief die Kleine lebhaft und klatschte vor Lust in die Hände, »oh so gebt mir seinen Gruß zur Botschaft mit, auf daß ich den guten Alten erfreuen möge!«

Da nickte die Schaffnerin wehmütig vor sich hin und flüsterte durch Pauken- und Trompetenklang in das Ohr des lieblichen Kindes: »Gebe Dir noch mehr denn dieses, Mustela, hier, berge dies Brieflein sorgsam auf der Brust und liefere es getreulich in des Severinos Hand, steht allerhand wichtige Kunde darin, du lieber Gott, ist lange genug her, daß ich das letzte Wörtlein mit ihm tauschte.« Und die Matrone drückte ihr hastig ein schmal gefaltet Streiflein Pergament in die Hand, nickte ihr mit feuchtem Auge zu und schob sie an Wunibalds Seite vor die offene Saalthüre, dann wandte sie sich eilig zurück und stieg gedankenvoll wieder in die Küchenräume hinab.

In der Ritterhalle hatte der Reigen begonnen, und in glänzendem Zuge schritten die Paare an Mustelas staunenden Augen vorüber; da schimmerte und wogte die bunte Pracht der schleppenden Frauengewänder, flatterten die Bandschleifen und gleißten die höfischen Trachten der Edelherrn, welche die schwere Rüstung abgelegt hatten und nun leichtfüßig ihre Schönen im Tanze führten.

Die Hände zierlich verschlungen schritten sie in gravitätischer Weise, sich wunderlich drehend und neigend, die Ritter steifbeinig wie die Kraniche im Sumpf, die Jungfräulein aber minniglich wippend wie die behenden Bachstelzlein, durch die Länge des Saales; allen voran stolzierte aber Carl Wolfgang, schön Guntramis an der Hand, und er beschrieb gar anmutige Figuren und ließ die ihm nachfolgenden Paare auf seltsame Weisen sich trennen und wiederfinden. Hermengilds Blicke folgten ihm unverwandt, ihre Wangen glühten und schnell wie im Fieber flog der Puls. Wie häßlich sah dieser Tanz aus, wie eintönig blickten die Fräulein und wie langweilig und saumselig drehten sich die Junker. Wissen diese steif geschnittenen Menschen überhaupt was Tanzen ist? Mustela schüttelte bei diesem Gedanken leidenschaftlich das Köpfchen und ihr heißer Blick haftete auf Carl Wolfgangs Angesicht. »Könntest du nur einmal mit ihm tanzen so wild und schnell und lustig, wie mit Jung Wunibald auf der Tenne drunten!« dachte sie mit ungestümem Herzen, »dann sollten wohl aller Augen uns anstaunen, und ich würde die Welt vergessen vor Glückseligkeit, und Carl Wolfgang würde mich im Arme halten, wie auf der Heide drunten, und wieder meine Lippen küssen.« Und wie dieser Gedanke sehnsuchtsvoll in ihr aufflammte, da gab es kein Überlegen und Denken mehr für das Heidekind, wild und fessellos wie das Bächlein im Thal drunten, ihr übermütiger Spielgefährte, treuherzig und verständnislos für strenge Sitte, war Mustela in diesem Augenblick nicht mehr die arme Vogelstellerin und Dienstbare, sie war das freie glückselige Kind der Natur, die Königin der weiten Heide.

Mit schneller Bewegung schob sie Wunibald und die nächststehenden Gesellen zur Seite, stürmte mit jubelndem Zuruf mitten durch die Tanzenden an Carl Wolfgangs Seite und faßte mit strahlendem Antlitz seine Hand.

»Herr Carl!« rief sie herzlich, »tanzet einmal mit mir und lasset uns zeigen, was ein lustiger Ringelreigen ist! Habe mich den ganzen Tag darauf gefreut, daß Ihr kommen würdet, mich zum Tanz zu führen, und da Ihr nimmer mein gedacht habt, so bin ich um Euretwegen das Stieglein empor gekommen, und so seid nun lieb und gebt mir den Reigen!«

Wie mit einem Zauberschlag stockte der Tanz, sprachlos starrten die Edelleute auf das kleine Dirnlein, welches im hellen Lichterglanz, in bäurisch anmutiger Tracht, malerisch das lockige Haar mit Weinlaub bekränzt, wie ein verkörpertes Märchen vor dem Burgherrn stand. Dann aber erhub sich plötzlich ein schallendes Gelächter aus aller Mund, und Fräulein Guntramis faltete zornig die Stirne und sprach: »Ist die Maid denn närrisch geworden mit solch einem unziemlichen Benehmen? Habe mir schlechten Dank an dieser Gastin erworben!« Und sie wandte verächtlich das Haupt zur Seite und trat unter die näherdrängenden Junker, welche noch immer laut lachend die Kleine kecklich anschauten.

Leichenblässe überzog Mustelas Antlitz, wie gelähmt vor Entsetzen sah sie in die spöttischen Gesichter der Damen, in die dreisten Mienen der Ritter und hilfeflehend hob sie den thränenglänzenden Blick zu Carl Wolfgang.

Tiefe Glut lag auf Wolfgeils Stirne, und seine Zähne nagten an der Lippe, er löste seine Hand ärgerlich aus den umklammernden Fingern der Vogelstellerin und sagte in nicht allzu unwirschem, aber dennoch kühlem Tone: »Wie kommst Du hier in die Halle, Hermengild? weißt Du nicht, daß Dein Platz in der Tenne drunten ist? Geh schnell zurück und erzürne uns nicht wieder durch solche Störung.« Und er wollte die Hand auf ihre Schulter legen und sie durch die Schar der Edelleute zur Thüre führen.

Da trafen ihn noch einmal die Augen Mustelas, ein unbeschreiblicher Blick, welcher Wolfsgeil betroffen zurücktreten ließ; stolz warf sie das reizende Haupt in den Nacken, einen Augenblick schaute sie über die glänzende Versammlung, dann schlug sie die Hände laut aufschluchzend vor das Antlitz und stürmte wie gehetzt aus dem Saal. An der Thüre trat ihr Wunibald mit verstörten Zügen entgegen.

»Hermengild!« sagte er tonlos, »was hast Du gethan, Du unsäglich Dirnlein!« und er wollte tröstend ihre Hände fassen, Piccolos Enkelin aber taumelte an ihm vorüber, stieß das gaffende Gesinde ungestüm bei Seite und floh lautlos wie ein Schatten die Stiege hinab. Über den Hof eilte sie mit fliegender Hast zum Burgthor. Die Zugbrücke war niedergethan und Mustela stürmte über sie hinweg in die dunkle einsame Nacht hinaus.

Schatten legten sich vor ihre Augen, und ihr wilder Herzschlag drohte sie zu ersticken. Tief aufatmend fühlte sie kühle Luft um ihre Schläfe wehn, dunkle, einsame Nacht umgab sie, kaum daß sie den Weg zu Füßen erkennen konnte, aber haltlos hastete sie weiter, planlos hinein in die gähnende Finsternis.

Die Kniee zitterten ihr, kraftlos strauchelte sie noch eine kurze Strecke über Laub und Wurzelwerk, dann brach sie mit gellendem Schmerzensschrei zusammen und drückte das schluchzende Angesicht in das Moos; fern lag das Schloß, nur einzelne wirre Musikklänge trug der Wind aus den weitgeöffneten Fenstern hernieder, wie Hohnlachen zogen sie durch die flüsternden Baumwipfel, Mustela aber lag regungslos an dem Straßenhang und preßte die zitternden Hände auf ihr blutend Herz. So verging geraume Zeit. Da klang Hufschlag auf dem Steinweg, näher und näher kommend, und schließlich flackerte Lichtschein über den Waldboden und fiel in schrägem Streif auch über die leblose Gestalt Mustelas.

»Mustela!« rief es neben ihr.

Da schrak sie empor und starrte mit wirrem Blick auf Roß und Reiter, wie in jähem Taumel faßte die Hoffnung ihre Seele »er!« könnte es sein, aber vom Roß hernieder schwang sich Jung Wunibald, und der brennende Kienspan, welchen er in der Hand trug, beleuchtete sein bleiches, verstörtes Antlitz.

»Mustela!« rief er schmerzlich, »unsäglich Kind, wie bist Du allein in Nacht und Nebel entwichen und hast nicht bedacht, daß Raubtiere streifen und der Weg zur Heide gar weit und unbekannt für Dich ist?«

Leises Schluchzen antwortete ihm, Hermengild preßte das Antlitz wieder auf das Moos und regte sich nicht.

»Mustela!« – leise und schmerzlich zitterte es von Wunibalds Lippen, – »weine nicht! mein Herzblut möchte ich geben, könnte ich Deinen Jammer aus dem Saal droben wegwaschen damit und es ungeschehen machen, daß die Edeln Dich mit ihrem Stolze kränkten! Aber – Kopf hoch, Dirnchen! ist beim Teufel keine Thräne wert und hätte mir nimmer den Übermut rauben sollen! Weiß ja jedermann, daß es guter Willen von Dir war und daß Du just den Kuckuck verstehst, wie es die Edeln an Sitte und Ehrerbietung verlangen! Aber daß Du wie der Sturmwind davon läufst und kein Mensch weiß, wohin Dich Dein Jammer verschlagen hat, das hat mich bang und angstvoll wie einen Gehetzten gemacht, und hätte ich Dich nicht anitzo gefunden, Du flattrig Vöglein, ich hätte mir wohl vor Betrübnis den Schädel an den alten Eichriesen hier eingerannt.«

Von dem hellen Lichtschein gelockt flogen ein paar Käuzchen schreiend durch die laubigen Wipfel, Jung Wunibald aber neigte sich treuherzig und versuchte die Kleine mit zärtlichem Zuspruch aufzurichten.

Da hob auch Mustela das Haupt, richtete sich auf die Kniee empor und klammerte sich an des Weidgesellen Arm. »O Du getreue Seele!« flüsterte sie leise, »willst mich nicht verlassen in meinem Elend und bist der Einzige, der einem verhöhnten Dirnlein in der Wildnis nachspürt! Ach daß doch ein Raubtier gekommen wäre und sich meiner erbarmt hätte, giebt ja kein heilsamer Kräutlein für mich, denn der Tod!« und wieder floßen die Thränen über die bleichen Wangen und tropften wie brennend Feuer auf des Burschen Hand. Sein Herz preßte sich zusammen, aber er lachte heiter auf und rief in gutmütigem Schelten: »Da hör' mir einer solch ein gotteslästerlich Geschwätze an! will sich das Närrlein vom Leben thun, weil ein paar Junker über sein drollig Gebahren gelacht haben! Narretei ist's, sag' ich! und ein unsinnig Lamentieren! Möcht' meine gesunden Knochen verwetten, daß alle die Spötter nur gar zu gern mit Dir zum Reigen gesprungen wären, hätten Dich Deine flinken Füßlein nicht so schnell auf und davon getragen! Und nun komm, klein Wiesel, setz Dich hier neben mich auf den Baumstamm und verschnauf Dich von Deinem Herzeleid! Nachher lachen wir um die Wette und verlustieren uns des possierlichen Streiches!« und Wunibald führte Juan Piccolos Enkelin zu der gefallenen Eiche, zog einen neuen, dicken Kienspan ans dem Halftersack des Pferdes und steckte ihn in Brand. Fledermäuse kreisten schwirrend über ihrem Haupt, nicht allzufern klang das heisere Bellen der Füchse, und im Moos raschelte es, zirpten die Heimchen im Grase. Mustela trocknete die Augen und schaute sich zitternd um, jähes Grausen überkam sie beim Anblick des gespenstischen Dunkels, aus welchem rot beleuchtet die einzelnen Zweige starrten.

»Wunibald,« sagte sie stockend, »nun sehe ich erst, wie allein ich in dieser Einöde war und wie sehr ich glücklich bin, daß Du bei mir bist! Warst auf der Burg droben schon mein guter Schutzgeist, und nun bist Du's erst recht. Willst Du mich denn heim zur Borkenhütte bringen?«

»Wenn Du es verlangst, klein Wiesel, sicherlich!« nickte Wunibald in hastiger Freude, setzte sich neben sie und rieb ihre kleinen, kalten Hände zwischen den seinen, »aber ich denke, es wird besser sein, ich führe Dich zur Burg zurück, damit Du Dich erst von Deiner Angst erholen magst!«

Mustelas Kopf zuckte trotzig zurück. »In die Burg?« rief sie heftig, »eher doch mutterseelenallein in den tiefsten Wald hier hinein!«

»Trotzköpflein Du! ist es denn wahrlich so Schlimmes, was man Dir droben angethan hat? Zürnest Du Herrn Carl Wolfgang so sehr, weil er um Deinetwillen nicht den Tanz mit seiner viellieben Braut unterbrach? Denke Dich selbst in seine Lage –«

»Braut?! Braut?!« Mustela war emporgesprungen und faßte krampshaft seine Schulter, ihr starrer Blick bohrte sich in des Weidgesellen Auge, wie der Tod so bleich wurde ihr Angesicht.

»Gewiß seine Braut, Hermengild!« stotterte Wunibald betroffen, »wußtest Du denn nicht, daß heute des Junkers Brautfest gleichzeitig mit Fräulein Guntramis' Namensfest gefeiert wurde?«

Ein fast wahnwitziges Auflachen gellte durch den stillen Wald, dann ward es totenstill.

Mustelas wankende Gestalt hatte sich hoch und stolz aufgerichtet, starre Ruhe sank über sie hin, und leise sagte sie: »Nein, Wunibald, das habe ich nicht gewußt. Ich war ein thörichtes Kind und alles was hinter mir liegt ist ein wüster Traum!« Und sie wandte sich zu dem Rosse und faßte seine Zügel. »Bring' mich heim, Wunibald,« sagte sie bittend, »es ist kalt, mich friert!«

Der Bursch faßte ihre Hand, hob den Kienspan und blickte ihr mit unsagbar schmerzlichem Blick in das Antlitz.

»Hermengilde,« sprach er sehr ernst, »liebst Du den Junker?«

Da blickten ihn ihre großen Augen an, so kühl und furchtbar ruhig wie ein dunkles Grab, und um ihre Lippen zuckte es seltsam und ihre Stimme klang tonlos, als sie erwiderte: »Lieben? nein, Wunibald, ich liebe den Junker nicht!« Und sie lachte wieder, leise und wunderlich und schüttelte das Haupt dazu, die Hand aber, welche sie dabei auf ihr Herz preßte, war zu einer Faust geballt.

Strahlende Glückseligkeit leuchtete aus Wunibalds Auge und ungestüm faßte er des Mädchens Hände, um sie innig an seine Brust zu drücken.

»Wäre das Wahrheit, klein' Wiesel? Du liebst ihn nicht und Dein Herzelein gehört noch keinem andern auf der Welt, als dem lieben Herrgott allein?« jubelte er, »o Du wonnenvoll Dirnlein, daß Du mir nicht solches Trübsal zugefügt! Hat der Junker auch schön mit Dir gethan und Deine Wänglein gestreichelt und Dich zur Burg geladen, Hermengild, im Herzen hat er doch schon einer andern Bild getragen und wohl bedacht, daß Du nur die arme Vogelstellerin bist, die nimmermehr zum Ehgemahl eines Herrn von Wolfsgeil paßt; verarg's ihm nicht, Du wildes Mägdlein, denn sieh, also ist's hergebracht bei den feinen Herrn, daß sie sich auch gern an Blümlein erfreuen, die nicht für sie gewachsen sind. Ich aber, Mustela, bin keiner von den Edelgeborenen, sondern ein schlichter, braver Weidgesell, der nichts Besseres zu vergeben hat, denn das Herz in der Brust, und der darum dieses beste Angebind gar treulich hütet und es nicht leichtsinnig vertändelt, sondern harret, bis er ein lieb Blümlein Rührmichnichtan findet, das just wonniglich genug ist, um sein best' Geschenk zu empfangen! Hab's nun in Dir gefunden, klein' Wiesel, so ein selten Dirnlein, das mir's angethan hat wie mit Zauberspuk, und das ich lieb haben muß von Grund meiner Seele, ganz allein lieb auf der weiten Welt! Schau her, da geb' ich Dir denn dies getreue Herz und frag' Dich, Mustela, ob Du's zu eigen nehmen willst und mir das Deine dafür wiedergeben, damit wir Eins sein können vor Gott und der Welt, Eins in Lieb und Treu und Eins in Leben und Tod?« Und Wunibald preßte ihre Hände noch ungestümer in den seinen und der Kienspan, welcher noch einmal auf dem moosigen Boden aufknisterte, verklärte sein redlich Angesicht wie mit einem Glorienschein lauterster Wahrheit.

Regungslos stand Mustela und starrte ihn an, ihre Hände zitterten und die Lippen suchten nach Worten, dann rang sie in leidenschaftlichem Schmerz die Hand frei und schlug sie vor ihr bleiches Antlitz.

»O Wunibald, wie gut und brav bist Du und wie unwert bin ich Deiner Liebe!« rief sie außer sich, »laß mir Zeit, daß ich Deiner würdig werde, und dann komme wieder und fordere mich zum Weib!«

»Mustela!« jauchzte er und breitete die Arme aus.

Da zuckte schneidendes Weh durch ihre Seele und sie trat einen Schritt zurück und schüttelte finster das Haupt.

»Es geziemt sich, Wunibald, daß der Großvater unsere Hände zusammen legt! Bis dahin bin ich Dir eine fremde Maid und das Blümlein ›Rührmichnichtan‹, welches Du in Ehren halten sollst. Führe mich heim in die Borkenhütte, Weidgesell, und wenn die Sonne droben am Himmel strahlt, dann klopf an Juan Piccolos Thüre.«

»Juan Piccolo!« seufzte Wunibald mit sorgenvoller Stirne, »möchten dann doch alle lieben Heiligen mit ihrer Fürsprache mir zur Seite stehn!« Und er faßte das Rößlein am Halfter und rief mit heller Stimme: »Haia mit all dem Grillenfangen! hab' ich mein wild Vöglein in der Sprenkel, wird mir Sankt Hubert auch sein Nestlein weisen! So komm, lieb Dirnlein, und laß Dich in den Sattel heben, will als demutvoller Vasall an Deiner Seite schreiten und keinen Augenblick vergessen, daß meines Rößleins spröde Last ›ein Rührmichnichtan‹ geheißen ist.«

Und er hob die Vogelstellerin auf des Pferdes Rücken, faßte die Zügel und führte die Reiterin behutsam durch den dunklen Wald auf ebeneren Weg. Fern im Osten schimmerte rötlicher Glanz über den Himmel, er säumte die Wolken und färbte die wallenden Nebel im Thalgrund; in dem Herzen Mustelas aber blieb es dunkle Nacht.

Langsam ging es vorwärts über hemmende Steine und Wurzelwerk, oft daß sich der Pfad in der tiefen Dunkelheit des Waldes verlor und Wunibald zum Kienspan greifen mußte, um sich in den Gebüschen zurecht zu finden. Endlich kamen sie auf die freie Heide, folgten dem Lauf des Bächleins und erreichten nun schnell und sicher die Borkenhütte. In tiefem Schweigen hatte Mustela während des Weges verharrt, es wirbelte in ihrem Kopf von vergangenen Bildern, und wenn sie an den Hinritt zur Burg dachte, so mußte sie die Lippen zusammenpressen, um nicht wild aufzuschreien vor Qual und Jammer. Ungestüm flog ihr Atem und ihr Blick irrte planlos, brennend in thränenlosem Schmerz durch die Dunkelheit, es war ihr, als müsse sie auf das Roß peitschen, um in leidenschaftlicher Hast funkensprühenden Hufes in die Welt hinein zu jagen.

Wunibald merkte an ihren zerstreuten Antworten, wie sehr ihr Gemüt noch der Fassung bedürfe, und so ließ er sich an dem seligen Bewußtsein ihrer Nähe genügen und stimmte leise einen lieblichen Minnesang an, welchen er von einem fahrenden Troubadour erlauscht. Süß beruhigend umschmeichmelten sie die holden Klänge, und wie sie erst widerwillig, dann aber schmerzlich bewegt der prachtvollen Männerstimme lauschte, da schlich sich ein Gefühl wie Vergessen und Vergehen durch ihre Brust und sie löste das bunte Weinlaub aus ihrem Haar und schlang die welke Ranke um des Weidgesellen Hut. Da zitterte ihm das Herz vor Seligkeit und er blickte voll Sehnsucht nach dem östlichen Himmel, an welchem die Sonne seines Lebensglückes emporsteigen sollte.

Endlich hielten sie an der Borkenhütte.

»Willst Du zur Burg zurückkehren, Wunibald?« fragte Mustela plötzlich, »oder soll ich Dich noch zum Pater Severin bringen, auf daß er Dich diese Nacht gastlich aufnehme?«

»Ich kehre zur Burg zurück, herzliebes Dirnchen!« flüsterte er, sie aus dem Sattel hebend, »dieweil ich ohne Urlaub gegangen. Morgen aber kehre ich hierher zurück, um von Juan Piccolo mein Liebstes zu erbitten. Sei die Jungfrau mit Dir, Du minniglich Wiesel!« Und er hielt ihre Hand, drückte sie wieder und wieder und sprang alsdann in jäher Hast auf sein Roß, als fürchte er zu vergessen, daß ihre roten Lippen so streng das »Rührmichnichtan« ausgesprochen.

Sekundenlang sah ihm Mustela nach, dann wandte sie sich zur Hütte und lauschte vorsichtig in die Thür, alles war totenstill, das Feuer auf dem Herd war am Verlöschen und seine letzten Flammen strahlten über das leere Mooslager Piccolos, er war nicht daheim. Mechanisch warf die Vogelstellerin ein Buchenscheit in die prasselnde Glut, wandte sich kurz zurück und trat abermals in die stille Nacht hinaus.

»Er wird beim Severino sein, oder am Vogelherd«, dachte sie, »da werde ich dem Klausner der Frau Ursula Brieflein bringen, ehe es um eine Nacht älter wird. Wer weiß, welch eine Herzensfreude für den Alten darinnen steht!« und Mustela glitt hastig in die Büsche und atmete auf, als der kühle Nachttau gegen ihre heiße Stirne stäubte.

Nur wenig Schritte entfernt war die Klause des frommen Einsiedlers; das Heidekind lauschte an der Thüre, pochte herzhaft an und erhielt keine Antwort.

»Auch er nicht daheim?« Hermengild schüttelte finster das Köpfchen und verharrte einen Augenblick unschlüssig, da hörte sie gedämpfte Schritte im Wurzelwerk und eine Männerstimme sprach: »Wir sind auf richtigem Wege, Heriberth, hier ist des Severinos Klause und wenige Spannen rechts zum Walde hinein steht die Wendelseiche, unter welcher Juan Piccolo seine Getreuen heute versammelt. Nur getrost, schreite dicht hinter mir!«

»Zum Teufel mit der Dunkelheit!« flüsterte der andere, »man rennt sich den Schädel an den Ästen ein! Halt den Speer vor Dich, Hartmut, sonst bringen wir dem Piccolo schon vor der Zeit blutige Köpfe!«

Atemlos lauschte Mustela; blitzartig zuckten die Gedanken durch ihren Kopf und schnell entschlossen duckte sie sich zwischen die Büsche und schlich den dunklen Gestalten in kurzer Entfernung nach.

Dieselben führten sie zur Wendelseiche. Ein anhaltendes Summen, wie das Geschwirr vieler gedämpfter Stimmen, schlug an ihr Ohr, und bald sah sie Lichtschein durch die lichtere Waldung grüßen, ein hoch geschichtetes Holzfeuer, welches neben dem alten Opferstein brannte, dessen grauen Quader man noch aus der Heidenzeit am Stamm der gewaltigen Eiche duldete. Mitten auf einem freien Platz erhob sich der mächtige Stamm und um ihn gedrängt gewahrte Mustela eine gewaltige Schar Männer, Kopf an Kopf, teils verkappt, teils in bäurischem Wams, mit schwerer Streitkeule zur Seite.

Auf dem Opferstein aber, hell beschienen von dem flackernden Feuerschein, stand Juan Piccolo, und er erhob die Arme gegen die Wolfsburg und redete in wild gährenden Worten von der Tyrannenschaft, welche die grausame Hand jenes Jünglings führe, von der Knechtschaft und unwürdigen Unterdrückung, welche der Bauer dadurch zu erdulden habe, und von der Eigenwilligkeit unbarmherziger Vögte, welche mit der Geißel die gebeugten Rücken des gequälten Volkes zeichnen! »Erhebt Euch gegen diese Schmach, unterdrückte Männer! weist die Zähne demjenigen, welcher als raubgieriger Wolf in Euere Hürden einfällt«, rief er, die erhobenen Hände in maßlosem Hasse gegen die Burg ballend. »Bedenkt, was er Euch, was er mir gethan hat, der frevle Uebermut dieses Teufelsnestes, und fühlt in Euch die Aufgabe rechtlicher Vergeltung ›auf Blut mit Blut, auf Peitschenhieb mit Schwerteshieb‹ zu antworten!«

»Juan Piccolo!« unterbrach ihn eine weithinschallende Männerstimme, »laß mich hier ein Wörtlein einfügen!« und mit kräftiger Bewegung brach sich eine Gestalt Bahn durch die Menge, trat in den Feuerschein und zog den Schlapphut von dem grauen Haupt.

»Der Schmied von Rindeln!« murmelte es im Kreise; »hört auf ihn!«

Der Alte blickte einen Moment schweigend über die nächtige Versammlung, dann hob er das Haupt noch freier auf den breiten Schultern und sprach mit klangvoller Stimme: »Männer! liebe hessische Stammesbrüder! Juan Piccolo hat lange Zeit geredet, und die Worte, welche er in wilder Leidenschaft gegen unsern Lehnsherrn geschleudert hat, die haben in Euren Herzen gezündet und lodern in heißen Flammen der Verderbnis aus Euern Augen! Juan Piccolo hat in vielen Dingen recht, des Junkers Übermut geht weit, und unsere Not wächst von Tag zu Tag, wer hilft uns, wenn wir's nicht selber thun? Darum sage ich mit Juan Piccolo: laßt uns wie ein Mann aufstehn und unsere Ketten brechen, denn ihre Last ist uns zu schwer geworden! Aber, ihr Männer! eines will mir nicht behagen! Juan Piccolos Zorn reizt Euch gegen den Ritter, und dennoch ist Carl Wolfgang der geringste unsrer Peiniger! Wer drückt und plagt uns ohne das Wissen des Herrn? Die Vögte, und nur die Vögte allein.«

»Wer aber ist für das Handeln seiner Vögte verantwortlich?!« gellte des Vogelstellers Stimme wie Alarmsignal dazwischen. »Der Herr, und nur der Herr allein! Wäre er für seine Bauern, so könnten die Vögte nicht gegen sie sein, und wäre seine Hand eine milde, so würde sie die Vasallen und nicht uns drücken!«

»So ist's! Piccolo redet Wahrheit!« klang es verworren aus dem Haufen.

Der Schmied hob ernst die Hand. »Männer!« rief er laut über das Gemurre, »hört mich! Wer sagt, daß ich den Ritter jeglicher Schuld ledig sprechen will?! er hat viel an uns versäumt, andere aber haben noch mehr an uns verbrochen! Wer von Euch allen kennt den Schmied von Rindeln, Bauern?! Ein Flüchtling kam ich in des Wolfgeils Burgfried, ein Mann, der schuldlos von seinem Lehnsherrn gehetzt wurde, gleich einem vogelfreien Wild, deß Haupt verachtet und vermaledeit war. Man sagte, der Schmied von Rindeln hat des Heinz von Lütters jüngsten Sohn erschlagen, weil der Junker nach seinem Weibe um die Hütte schlich, ich floh hierher zum Wolfsgeil; halb verhungert, verzweifelt und zum Äußersten getrieben, beschwor ich ihm zu Füßen meine Unschuld, bei Christi Blut und allen Heiligen, der alte Wolfsgeil nickte freundlich, hieß mich speisen, mich in Ketten legen und dem Lütter überantworten.«

»Fluch über ihn!«

»Der Himmel erbarmte sich mein. Der Mörder ward entdeckt, und voller Güte, zur Entschädigung für all mein Leiden schenkte mir der Lütter einen Freiheitsbrief. Den nahm ich zu mir, nahm mein Weib und Kind und kam hier zur Feste Wolfsburg, um meinem verräterischen Freund in treuem Dienste zu beweisen, daß ich ein Christ bin und mir wohl bewußt: › Vergeben ist ein größeres, denn sich rächen!‹«

»Segen über Dich!« jubelte es in der Menge.

»Männer! hört mich!« fuhr der Schmied in warmem Eifer fort, »so sprach und that ich, weil ich ein echtes Hessenblut, ein deutscher Mann geboren bin; Juan Piccolo jedoch ist unter heißer Sonne geboren, und, bei Gott, ihr Bauern, hätte ich in Wahrheit durch des Wolfgeils Falsch mein Haupt verloren, ich würd es meinem Weibe nicht verargen, dächte sie alsdann wie dieser Mann. Wir alle wissen, welch ungeheurer Schmerz dem Vogelsteller von der Wolfsburg kam.«

»Nicht alle! nein! ich weiß es nicht!« klang es plötzlich wie gelle Weiberstimme durch die Stille, und in fiebernder Hast die Menge teilend, drängte sich Mustela neben den Sprecher. Das Feuer warf hellen Schein auf sie, auf die wild erregte Gestalt, um deren Schultern feucht und zerwühlt die dunklen Haare flatterten, auf das bleiche Angesicht, darin in zügellosem Haß die finstern Augen brannten, »nein, ich kenne sie nicht, Schmied von Rindeln, die Geschichte, welche mir beim Fluch der ewigen Verdammnis Keiner vorenthalten soll!« wiederholte sie mit bebenden Lippen, »und ich verlange sie zu hören, hier auf dieser Stelle, bei Gott dem Herrn, ich hab' ein Recht dazu!«

»Mustela!« schrie Piccolo zornig auf, »fürwitzig Dirnlein, was suchst Du hier?!« Das Heidekind aber warf trotzig das Haupt in den Nacken und entgegnete mit sprühendem Blick: »Was ich suche? Ich suche Rettung vor der Schmach, die Einzige zu sein, die ihres eignen Blutes Schande noch nicht kennt!« und die Hand des Alten mit eisernem Griff umschließend, rief sie mit gellendem Weheschrei: »Was hat der Wolfsgeil uns angethan?!«

Da atmete der Vogelsteller schwer auf und sein Auge irrte über die Versammlung.

»Du sollst's hören, Mädchen, denn Du fragst mich zu einer Stunde, da Schweigen ein Verbrechen an der Freiheit wäre.« Und er richtete sich empor, schlug trotzig die Arme unter und begann mit dumpfer, fast monotoner Stimme: »Ich bin Juan Piccolo-y-Graçian, ein spanischer Edelmann. Das Schicksal hatte mich mit allen Glücksgütern gesegnet, auch mit einer einzigen Tochter, so schön wie tugendhaft. Ein Höfling freite sie, jung und vornehm, ansässig zu Madrid, und das Glück des Paares schien vollkommen, als hier mein Enkelkind Mustela in der jungen Mutter Armen lag. Doch damit endete auch der Sonnenschein, und in Gestalt von Neid und Eifersucht schlichen sich die Wolken in das Haus. Die Schönheit meiner Tochter war groß, größer noch ihre Tugend, zu groß für ein Madrid. Man machte dem jungen Paare einen falschen Prozeß, die Inquisition verhaftete sie und als ich, verzweifelnd fast vor Angst und Qual, nach langer Reise Madrid erreicht, um Hilfe zu bringen, hatte meiner Tochter Gatte schon vollendet und Ines selber rang bereits mit dem Tod. Mein ganzes Hab und Gut gab ich für meines Kindes Leben, bestach die Wächter und entfloh mit ihr und ihrem Säugling, der Mustela, auf mühevollem Wanderzug, ein Bettler, nach dem Norden. Nach Brandenburg stand mir der Sinn, weil dort ein Vetter meines Namens gar hoch in Rang und Ehren bei dem Fürsten stand. So kamen wir in Lumpen, bettelnd, hungernd an des Wolfgeils Thor. Auch jetzt noch, bleich wie eine Lilie, war mein Kind ein schönes Weib. Carl Wolfgangs Vater sah sie, sah sie lange an und gab uns reichlich Obdach, und als Mustela leicht erkrankte, so hielt er uns in seinem Burgfried, wohlgepflegt und unerkannt, als heimatlos Gesindel. Des Ritters Weib sah scheel darein und tückisch auch ihr Freund, der Kahlgeschorne in der Kutte, der, lauernd wie ein Raubtier um die Beute, um den Schober schlich, darin wir Aufnahme gefunden hatten. Der Ritter trug zur Zeit ein Kleinod an der Hand, einen roten Stein in güldnen Reif gefaßt, der fehlte ihm plötzlich am Finger, und als er außer sich vor Zorn und Schmerz den Verlust entdeckte, die ganze Burg, Hof und Garten ruhelos durchsuchen ließ und sich dennoch keine Spur von dem Vermißten vorfand, da trat die Edelfrau mit hämischem Blick an seine Seite und sprach: ›Ich sah es wohl, mein Gemahl, wie Ihr des fremden Weibes Hand gedrückt, forscht nach, ob nicht die schöne Bettlerin und Lumpendirn geschickte Finger hat, solch köstlich Reiflein abzustreifen, während Ihr mit allen Augen nur ihr glattes Lärvlein saht.‹

Der Wolfsgeil war ein hitzig Blut und leicht gereizt, er rief sein Burggesind, trat in den Schober, wo mein Kind den Säugling zärtlich auf den Knieen hielt, und fuhr das arme Weib mit harten Worten an. Sie faltete die kleinen Hände und schwor beim Blut des Herrn, daß sie niemals seinen Ring geschaut. Die Burgfrau aber sprach: ›Durchsucht sie!‹ und viele Hände legten sich ans Werk, sie fanden nichts bei ihr und schon wollte der Ritter triumphierend seines Weibes Mißgunst schelten, als diese schnell das Kind von Ines Knieen griff, sein linnen Tüchlein von dem Beinchen löste und mit grellem Lachen auf das Kleinod wies, das aus dem fest geknüpften Knoten rollte« –

Juan Piccolo hielt momentan inne und fuhr sich mit der Hand tief aufatmend über die gefurchte Stirne. »Was braucht es weiter noch der Worte, Bauern, mein Kind ward schweren Diebstahls angeklagt, vom Hauskaplan als Ketzerin erklärt und nach Marburg zur Inquisition geführt.« Wieder stockte der Erzähler, sein bleiches Antlitz wandte sich zu Mustela und keuchend, kaum noch der Sprache mächtig, fast zusammenbrechend unter der Wucht der Erinnerung, rang es von seinen Lippen: »In Marburg haben sie mein Kind verbrannt!«

Ein dumpfer Aufschrei und Mustela sank an dem Opferstein zusammen; Fieberschauer schüttelten ihre Glieder und mit zuckenden Lippen rang sie die Hände: »Sie war unschuldig!«

»Ja, sie war unschuldig!« wiederholte Piccolo mit rollendem Auge; »fragt Pater Severino, fragt die Schaffnerin der Wolfsburg, welch eine Beichte des Ritters Weib noch auf dem Sterbebette abgelegt! Da riefen sie den Vogelsteller reuevoll herzu und die Sterbende hob die Hände und beschwor mich, zu vergeben, – hahaha! vergeben, mit einem Fluche ging sie zu der Verdammnis ein!« und Juan Piccolo lachte wahnwitzig auf und hob die braunen Fäuste furchtbar drohend gegen die Burg. »Und so wahr wie ein Gott im Himmel lebt, ihr Bauern, so wahr wird sich dieser Fluch erfüllen, und wollt Ihr mir nicht beistehn, so wird der allmächtige Richter droben seine Scharen senden und er wird die Steine zu Streitern erwecken und die Kreaturen in Menschenzungen reden lassen«, und der Greis hob in fanatischer Verzweiflung die Arme zum Himmel und rief mit gewaltiger Stimme: »Herrgott! zeig mir deinen Willen!«

Da flatterte ein dunkler Vogel über das weiße Haupt des Alten, wiegte sich grell über dem Feuerschein und krächzte laut und vernehmlich:

»Wolfsgeil! Wolfsgeil!
Unters Beil! Unters Beil!«

Ein wilder Schrei des Entsetzens brauste durch die Scharen der Bauern, die Arme angstvoll erhoben, das Angesicht verhüllend sanken sie auf die zitternden Kniee, der Rabe aber kreiste über ihren Köpfen und wiederholte wieder und wieder sein grauenvolles Gottesurteil, dann schwang er sich empor in die Wipfel und flog, wie ein dunkler Fingerzeig, direkt in der Richtung der Wolfsburg davon.

Da erhob sich ein dumpfes, unheimliches Murmeln unter den Bauern, ward lauter und lauter und gipfelte in dem begeisterten Rufe: »Nieder mit dem Wolfsgeil, Gottes Stimme hat's geboten!« und wie ein wilderregtes Meer drängte die Menge um Piccolo und wählte ihn zum Rädelsführer und Hauptmann.

Da glühte des Alten Auge und er hob die Hand zum Eid.

Ernste, dringende Beratung folgte nun. – Die Wolfsburg ist ein trutzlich, unbezwingbar Felsennest, wenn nicht durch Verrat, wird sie niemals fallen. Wer aber fände sich in der Burg, den Feuerbrand in das Dach zu werfen, die Seitenpforte zu öffnen! die Vorräte zu vergiften?! – Tiefe, ratlose Stille und betroffene Mienen ringsum. Da regte es sich am Opferstein, die knieende Gestalt Mustelas richtete sich empor, ein fahles Angesicht starrte auf die Männer, ein Auge, dessen furchtbarer Ausdruck selbst einen Piccolo zurückweichen ließ.

»Ich will die Burg verraten!« sprach sie.

Da erhob sich ein ungestümes Gegenreden. »Was kann Weiberwerk uns nützen, schlimm genug, daß solche Ohren uns belauschten.«

Juan Piccolo faltete finster die Stirne. »Ich bürge für mein Enkelkind!« rief er, »sie ist meines Bluts und wird es nie verleugnen!«

»So laßt hören, wie sie denkt,« klang es im Kreise.

Da biß Mustela die Zähne zusammen und ballte gereizt die Rechte. »Traut Ihr es mir zu, daß ich Euch helfen kann, ja oder nein?!« rief sie schroff.

Momentan herrschte zögernde Stille, dann trat Ulrich, der Kohlenbrenner, herzu, legte die Hand auf ihr Haupt und blickte scharf in ihr Antlitz.

»Ja, Mustela, wir trauen es Dir zu,« sagte er mit lauter Stimme, »Dir mehr, denn dem Beherztesten unter uns! Wer Dir in diesem Augenblick in die Seele schauen könnte, der würde mehr darin erblicken, als es für ein Dirnlein taugen mag, und wem Dein Auge also entgegen glüht, wie mir soeben, der mag sich vor den Blitzen hüten, die hinter dieser Kinderstirne lauern!«

»Mustela sei unser Bundesgenosse!« rief der Schmied von Rindeln.

»Wie aber kommt sie in die Burg?!«

»Das lasset meine Sorge sein!« entgegnete die Vogelstellerin kalt, »binnen vierundzwanzig Stunden sollt Ihr wissen, daß Mustela kein Felsen zu steil, keine Burg zu hoch und keine Rache zu verwegen ist!«

»So laß sie schwören!« Ulrich trat mit erhobener Hand vor sie hin und sprach feierlich: »Mustela Piccolo, angesichts der Verbündeten leiste uns den Eid der Treue! und gieb mir Antwort auf die Fragen: willst Du es geloben bei dem Blut des Herrn und Deiner Seligkeit, zu schweigen über jedwedes Wort des Bauernrates, selbst wenn Dich Folter quält und Tod? so hebe Deine Hand und sage: ja!«

»Ja!« Schauerlich klang's von ihrer Lippe, fest und todesmutig.

»Und weiter! Gelobst Du bei dem Blut des Herrn und Deiner Seligkeit, der allgemeinen Sache freudig Deinen Dienst zu weihn, Dich nicht beirren zu lassen durch Bestechung oder Drohung, nicht aus eigennützigen Zwecken zu handeln, sondern stets zum Nutz und Frommen Deiner Eidesbrüder, so sage: ja!«

»Ja!«

»Und als zum Letzten: wirst Du der Feste Wolfsburg Fehde schwören, mit Schwert und Beil und Wort verfolgen helfen, was den Namen Wolfsgeil trägt und ihm als Vogt dienstwillig ist? Willst Du kein anderes Gefühl in Deinem Herzen hegen, als das der Rache und Vergeltung, und selbst bei Folter und Tod Dich nicht darin beirren lassen? so sag bei Deinem Seelenheile: ja!«

»Ja!« antwortete sie auch diesesmal, aber ihre Stimme klang dumpf, die erhobene Hand wankte und durch ihr Herz zuckte ein heißes Weh, als träfe es ein Schwert im Todesstoß.

»So hast Du Deinen Eid geleistet, Mustela Piccolo,« nickte Ulrich, der Köhler, mit warnender Stimme, »und das Los des Verräters kennst Du! Ein Wort, ein leisestes Zeichen Deiner Falschheit, und diese siebenhundert Männerhände, die Du hier im Kreis erhoben siehst, sie haben Dein Todesurteil unterschrieben.«

»Und keine Gnade, weil sie Weib und Enkelin des Rädelsführers ist!« erhob sich eine Stimme unter der Menge, »Juan Piccolo, Dein Wort darauf, daß sie demselben Gesetze unterworfen ist, wie wir!«

Stolz hob der Greis das Haupt. »Mein Schwur!« entgegnete er fest, »Mustelas Leben für die gute Sachet« – – –

Die ersten Sonnenstrahlen flammten über den Himmel. Vor der Borkenhütte stand Juan Piccolo und wiegte in tiefen Gedanken das Haupt.

»Du sagst, ein Weidgesell aus der Wolfsburg habe sich in Dich verliebt, Mustela?« fragte er mit leichtem Blick des Mißtrauens in das halb zur Seite gewandte Antlitz seiner Enkelin, »wo hast Du Jung Wunibald gesehen, gesprochen, seine Schwüre angehört?«

»Er war der Gast Severinos, da wir den Kranken hier herbergten«, entgegnete die Vogelstellerin finster, »wir sahen uns, er sprach mir gar bald von Lieb und Treue und als seine heimlich Verlobte hab' ich mich gestern zur Burg geschlichen, o Großvater, Großvater!« – schluchzte sie in trotziger Heftigkeit auf, »warum hast Du durch Dein unselig Schweigen so bitteres Herzeleid über mich beschworen!« Und sie biß die Zähne zusammen und preßte die geballten Hände gegen die Schläfen.

»Und heute wird Jung Wunibald um Deine Hand werben?« fragte der Alte statt aller Antwort.

»Er wird's!« murmelte sie dumpf.

»Gott sei gelobt dafür!« und Piccolo faßte die Hand seiner Enkeltochter und zog sie nach der Thürschwelle der Borkenhütte. »Mein Plan ist reif und darum folg mir Kind, daß ich ihn Dir erzähle, ehe des Jägers Rößlein vor der Thüre scharrt.«

Kurze Zeit war verstrichen, da trat Mustela heftig über die Schwelle zurück und stürmte in fiebernder Eile über das tauige Moos zu der Heide hinaus. Ihr Antlitz war bleich wie der Tod, verändert bis zur Unkenntlichkeit und die roten Heidenblumen, an welchen sie mit irrem Blick vorüber eilte, neigten sich zitternd im kühlen Morgenwind und erkannten ihre Freundin von ehedem nicht wieder. Das war nicht mehr ihr lustiges, ungestümes Wiesel, welches oft mit hellem Zwitschern durch die Ebene gestreift war, nicht mehr klein Hermengilde, der sorglose Schmetterling, welcher zwischen Sonnenglanz und brauner Erika sein Dasein verträumte, dies war ein fremdes, unheimliches Weib, dessen zitternde Lippen nicht mehr lächeln konnten, dessen starrer Blick keine Thräne kannte, dessen sengendes Herzweh in wilder Flamme aus dem Auge lohte.

Ein Sturm von ungeweinten Thränen drohte sie zu ersticken, namenlose Qual zerriß ihre Seele und all ihr Denken und Sein wandelte sich in eine einzige Empfindung, die eines grenzenlosen Hasses, einer Verzweiflung über sich, Gott und die Welt.

Feuer rollte in ihren Adern, Unruhe und Hast verzehrten sie, sie mußte hinausstürmen in die Ebene, mußte Luft und Freiheit fühlen, wenn sie nicht an ihrem Herzschlag zu Grunde gehen sollte, weiter, immer weiter ohne Ziel, ohne Steg und Weg, daß sich ein Himmel über ihr wölbte, solch ein niederer enger Himmel, dessen purpurflammender Bogen sie zu erdrücken schien! Felsen vor ihr, hohe, schroffe Felsen! O Wonne, wenn sie ihr zornig die Füße blutig reißen, wenn schwindelnder Abgrund vor ihren Augen klafft, wenn nur ein kurzer schneller Sprung sie von der Ruhe trennt, der tiefen, tiefen Ruh, wo alles Elend in kühlem Frieden entschlummern soll. Mustela erklomm in nervöser Aufregung das kluftige Gestein, ihr Haar hing wirr in Stirn und Nacken, ihre Brust keuchte unter der sinnlosen Anstrengung. Höher und höher rang sie sich empor, wo nimmer ein menschlicher Fuß Halt gefunden, da klammerte sich das Wiesel geschmeidig zwischen die Felskanten, in wilder Herausforderung des Schicksals, welches sie ja selbst hier hinauf hetzte, zwischen Himmel und Erde hangend, seiner Grausamkeit zu fluchen.

Mit brechenden Knieen schwang sie sich endlich zum Ziel, der kleinen, blumigen Grasfläche, welche hier oben, gleich schwindelndem Nestchen, an den grauen Felsen hing. Da sank sie halb ohnmächtig vor Erschöpfung zusammen, warf sich in das taufrische Kraut und schloß die brennenden Augenlider. Leise zirpte es im Gestein, eine Lerche schwebte dicht neben ihr empor und grüßte jubelnd den leuchtenden Sonnenball, welcher sich aus purpurnen Strahlengarben das Diadem der jungen Herrlichkeit um die Stirne flocht. Glitzernd senkten sich die Nebelschleier und wogten wie rosiger Dampf über der Heide, über welche, friedlich äsend, das Wild zum nahen Wald zurück zog. Lautlose Ruhe rings umher, klarer, duftiger Morgenglanz, aus welchem steil und farbenfrisch der Bergriese stieg, dessen trotzige Stirn die Feste Wolfsburg trug. Mit totem Blick starrte Mustela hinüber, sah die klaren Konturen, welche die stolzen Zinnen und Türme gegen das fleckenlose Firmament zeichneten, sah jedes einzelne Fensterlein blinken, hinter welchen die fernen Schläfer von der Lust der vergangenen Nacht träumten. Stöhnen entrang sich der Brust des Heidekindes, sie ballte die Hände und starrte mit knirschenden Zähnen auf den Finger hernieder, welcher den Ring des Wolfsgeil getragen, den Ring, an welchem das schuldlose Blut der Mutter klebte. Und sie schüttelte die Faust gegen die Wolfsburg und die bleichen Lippen öffneten sich zu gellendem Weheschrei.

»Verräter!« klang es halb wahnwitzig durch das flimmernde Luftmeer. »Rache für mich, und für sie!« –

Da fühlte sie einen leisen Schmerz an dem nackten Knöchel und als sie die Blicke senkte, sah sie eine kleine graue Klette, welche sich geknickt an den Saum ihres Rockes geklammert hatte.

Alles Blut wich ihr zum Herzen, Zittern flog durch ihre Glieder und wie gelöst von schwerem unseligem Bann, stürzten die Thränen aus ihrem Auge. Zaghaft, fast scheu, löste sie den kleinen Klettenzweig, preßte das schluchzende Angesicht darauf nieder und weinte heiße, bittere Thränen auf die rauhen Blättlein. Da zog alles wieder an ihrem Geist vorüber, sie sah seine lächelnden Augen, sie hörte seine Stimme und empfand noch einmal den Schmerz, da er ihr verweigerte, die Klette vom Strauch zu brechen. Und ihr Herz zuckte wild auf in dem Gedanken: »Nun weiß ich es ja, warum er kein Zeichen der Treue geben wollte, weil er treulos war und eine andere im Herzen trug, dieweil er meine Lippen küßte!« und Mustela riß die Klette von sich los und schleuderte sie hinab in die kluftige Tiefe. »Närrin ich,« murmelte sie mit flackerndem Blick, »die Zeit der Kletten ist um! Hab ich ihn je geliebt? ja! ich liebte ihn, den Falschen, den Verräter! und so namenlos wie ich ihn liebte, so über alle Grenzen hasse ich ihn jetzt! Das Blut, das seine bleiche Stirn damals unter dem Eichbaum netzte, das hat die Liebe in meiner Brust entzündet, und ›Blut‹ soll drum die heißen Flammen wieder löschen und den Schandfleck hier von meinem Finger waschen, der eines Wolfgeils Ring getragen, von den Lippen, die der Mörder meiner Mutter küßte! Wolfsgeil – unters Beil! Helfe mir Gott, sein furchtbar Urteil an dem Verhaßten zu vollstrecken!«

Und Mustela schauderte jäh zusammen und starrte mit verstörtem Blick in den purpurnen Sonnenglanz.

»Wunibald!« murmelte sie, »Herr mein Gott, warum muß es gerade Wunibald sein, der zum Werkzeug unserer Rache erkoren ist! Giebt's noch eine Seele auf dieser Welt, welcher ich ein vollkommen Glück erwünschen möchte, so ist's die seine, und dennoch ist gerade sie es, welche am furchtbarsten heimgesucht wird! Darf ich dich schonen, Wunibald, darf ich es angesichts dieses Flammens und Glühens, rot und entsetzlich, wie das geopferte Blut meiner Mutter? Alles wogt und wallt vor meinen Blicken, ich sehe einen Holzstoß lodern und ein bleiches Weib aus Rauch und Brand die Rechte gegen die Wolfsburg ballen. Mutter! unglückliche Mutter, ich verstehe dich, ich höre deine Worte, ich räche dich!«

Mustela frösteltle und preßte die kalten Hände gegen die Brust. »O Wunibald, auch der kurze Wahn deines Glückes wird süß sein, und wenn du daraus erwachst, wird sich der Tod deiner erbarmen, und wenn du mich sehen wirst, bleich und kalt, verflucht von der Feste Wolfsburg, umjubelt von deinen Feinden, ein Opfer unter Geopferten, dann wird dir wohl jenes Schwert durch die Seele schneiden, wie es mich jetzt quält um sein falsches Lieben, aber du wirst kürzer leiden wie ich, denn wen könnte wohl Juan Piccolo begnadigen? Ein weites Grabmal wird die Wolfsburg sein. Ich sehe es nicht mehr, eines Einzigen Auge nur soll vor mir brechen, und diesem Einen will ich gellend in die Ohren schreien: Rache für Ines Piccolo und Rache für ihr Kind! Und dann? dann will ich den Großvater bitten, daß ich auf der Heide schlafen darf, daß ein Klettenstrauch zu meinen Häupten steht.«

Und Mustela lehnte die Stirne gegen die rauhe Felswand und verharrte regungslos.

Die Sonne war höher gestiegen, Vögel flatterten um das Gestein und von dem Söller der Wolfsburg wehten bunte Flaggen. Da erhob sich Mustela, ernst und still in furchtbarer Entschlossenheit; und sie hob trotzig das Haupt, schaute noch einmal mit langem Blick über die wogenden Wipfel des Eichwaldes, über die weite, endlose Ebene, auf das Bächlein drunten, ihrem lustigen Spielgesell, und sie breitete die Arme aus und rief mit düsterem Blick: »Lebt wohl, ihr trauten Bekannten, lebt wohl!« Dann wandte sie sich zur Tiefe zurück, kletterte schwindellos von Kante zu Kante und schied für ewige Zeit von ihrem Lieblingsnestchen zwischen Himmel und Erde. – –

Den Burgberg hernieder trabte Jung Wunibalds Rößlein. Sorgenvoller Schatten lagerte auf der freien Jünglingsstirne und seine Brust hob sich unter gepreßten Atemzügen; nur allzugut wußte der Weidgesell des Wolfsgeil, welch eine Aufnahme seiner in des Juan Piccolos Hütte warten wird, welch einen Kampf es kosten wird, des Alten langjährigen Haß durch Liebe zu besiegen, durch die Liebe eines armen, redlichen Burschen, welcher das Brod der Feste Wolfsburg aß. Aber diese Liebe war groß und stark und das Vertrauen unwankbar, welches sie beseelte, Jung Wunibald war entschlossen, alles für klein Hermengild zu wagen, Blut und Leben einzusetzen in unermüdlichem Ringen um ihren Besitz. Tief in Gedanken senkte er das Haupt auf die Brust; ein sonniger Schimmer des Glückes spielte um die frischen Lippen und wie sein Blick dem goldenen Lichtstreifen folgte, welche zitternd über den Weg huschten und, tausendfachen Widerschein in den Tautropfen weckend, über moosige Baumstämme gleitend, Gräser und Blumen in strahlender Helle badend, Himmel und Erde mit einem Schleier wonnigster Eintracht zu umweben schienen, da war es ihm, als sähe er inmitten dieser zauberischen Pracht gar liebliche Bilder emporsteigen, Bilder voll Liebesglück und Wonne, schöne, lockende Bilder der Zukunft. Ein Vöglein stieg zwitschernd über seinem Haupte empor, ein anderes folgte sehnsüchtig seinem Fluge, lockte und flatterte mit schmeichlerischer Schwinge um den lieben Flüchtling und schien vom traulichen Nestchen zu singen, welches es tief verborgen zwischen duftigen Blüten erbaut. Wunibald folgte ihnen mit den Blicken, tausend Gedanken schwirrten ihm durch den Sinn, er lächelte.

»Heißt ihr Mustela und Wunibald?« fragte er heiter in die Wipfel empor. Da schoß plötzlich ein Sperber aus der Höhe und griff mit mörderischen Fängen das zwitschernde Vögelein.

Wo der Wald an blumiger Heide säumt, steht ein hoher Strauch wilder Rosen, Felssteine liegen darum her, grau und moosig, ein schillerndes Wappenbild von Sturm und Wetter, welche ihre breiten Schatten der Vergänglichkeit hineingegraben. Wunibald blickte nicht zur Seite, er wollte das Roß spornen, um ungeduldig die Ebene zu durchfliegen. Da raschelte es im Laube, aus den Steinen huschte es hervor und hob den Arm mit leisem Anruf: »Steh Wunibald! Des Wiesels Bau ist leer; wenn Du mich suchst, klopfe hier an, Gottes weite Welt ist meine Heimat geworden!«

»Mustela!« jubelte der junge Jägersmann, sprang in bebender Hast aus dem Sattel und preßte die Geliebte an die Brust. »Klein Wiesel, raubgierig Schalklein, hast Du des Opfers Herz gestohlen, so nimm nun den ganzen Gesell dazu!« und er faßte ihre kalten Hände und sah mit leuchtendem Auge zu ihr nieder. Noch stand sie vor ihm in dem festlichen Schmucke der Wolfsburg, nur der Kranz fehlte im Haar und die roten Falten des Röckchens waren feucht und schlaff von Tau und Nebel. Besorgt blickte er in das geneigte Antlitz, es war bleich wie die weiße Erdbeerblüte im Moos, und die lieben, seltsamen Augen leuchteten aus dunklen Schatten zu ihm empor, fremd und flackernd, mit ruhelosem Blick.

»Willst Du mich von Juan Piccolo zum Weib begehren?« fragte sie leise zu ihm auf.

Fester noch umschloß er ihre Hände »Ja ich will es, Hermengilde, und Gott helfe mir dazu!«

Da schüttelte sie mit bitterem Lachen den Kopf. »Der Weg ist nicht mehr nötig, Bursch, ich habe keinen Großvater mehr!« Ihre Wimpern waren tief über die Augen gesunken, mühsam rangen sich die Worte von den Lippen.

»Allmächtiger Herrgott«, rief er entsetzt, »was ist geschehen?«

Er sah, wie sie die Zähne zusammenbiß, wie ein furchtbarer Kampf sie durchtobte.

»Mein Großvater weiß es, daß ich gestern als Gast auf der Wolfsburg war,« hauchte sie fröstelnd. »Mord und Todschlag hätte er mir eher verziehen, denn diesen Gang. Er hat mich verstoßen, ich bin sein Kind nicht mehr, Gottes weite Welt ist hinfort mein Vaterhaus. Vogelfrei! weißt Du, was das bedeuten will, Jung Wunibald?«

»Für Dich nur einen leeren Schall, Mustela!« rief er mit brennendem Angesicht, »denn Deine Heimat ist fortan mein Herz, und wo ich bleibe, da sollst Du auch bleiben, und was mein ist, gehört auch Dir! Hat Juan Piccolo Dich verstoßen, begiebt er sich jedweden Rechts an Dich, und so will ich denn in Zukunft dieses Rechtes heil'ger Hüter sein, will Dich versorgen und schirmen, Du mein Eigentum, mein treugeliebtes Weib!«

Sie konnte nicht in seine Augen blicken, Fieberschauer schüttelten ihre Glieder; sie hob die gerungenen Hände in beschwörender Abwehr gegen ihn.

»Wunibald!« klang es dumpf von ihren Lippen, »Du weißt nicht was Du thust! besinne Dich! Kann ich Dich je beglücken? man sagt ein Wiesel sei grausam, blutdürstig, falsch! und mich nennt man ein Wiesel! Was kann ich Dir zum Lohn für all Deine Liebe und Treue geben? O Wunibald, und bei Gott, Du verdienst es glücklich zu sein! Du mehr denn jeder andere, Du einzig und allein!«

Da hob er ihr verstörtes Antlitz, blickte sie an mit überseeligem Blicke und sagte leise: »Hab' ich Dich zum Eigenthum, verlange ich kein Höhres mehr vom Glück!«

Da schlang sie die Arme krampfhaft um seinen Nacken und rief in namenloser Qual: »Warum muß Haß noch größer sein als Liebe?! Kann sie ihn in diesem Augenblick nicht besiegen, so thut sie's nimmermehr!«

Er antwortete nicht, er küßte ihre bleichen Lippen. – – –

Als der Reigen der Edelleute durch Mustelas plötzliches Eindringen gestört und die Kleine in leidenschaftlicher Hast aus dem Saale gestürmt war, um ihre Thränen vor den mitleidslosen Blicken der Fremden zu bergen, wich der Schatten nicht mehr von Carl Wolfgangs Stirne, und zerstreut, einsilbig führte er den Tanz mit seiner Verlobten zu Ende. Der Blick der Vogelstellerin verfolgte ihn, flammte durch seine Seele und raubte ihm seine Ruh, wo er hinsah flirrten die anklagenden Augen vor ihm, sah er ihren dunklen Glanz in bittren Thränen schwimmen, und wie schön waren diese Augen, wie hatte er zum erstenmal empfunden, welch ein Zauber sie beseelte! Sein Blick streifte die strahlende Erscheinung Guntramis', welche mit zornig gefalteten Brauen an seiner Seite schritt, sie standen ihr nicht wohl an, diese herbe Miene und die fest geschlossenen Lippen, welche beredter von ihrem Unmut sprachen als tausend laute Worte, er verglich sie unwillkürlich mit dem Heidekind, welches mit sonnigem Lächeln und strahlendem Blick zu ihm aufgeschaut, welches so treuherzig zu ihm emporflehte. Und wie tief hatte er diese reizende Unschuld gekränkt, welch schmerzliche Wunde ihr geschlagen! Carl Wolfgang achtete nicht mehr auf den Reigen, mechanisch hastete er dem Ende entgegen, und die Junker flüsterten ihm scherzende Worte in das Ohr und fragten ihn nach der holdseligen Waldblume. Fräulein Guntramis beobachtete das Angesicht des Wolfsgeil und tiefer und tiefer senkten sich die Falten in ihre Stirne.

»Wo gehst Du hin, Carl Wolfgang?« fragte sie kurz, als Wolfsgeil sie nach dem Reigen zu einem Ruhepolster führte und sich hastig zur Thüre wandte.

»Ich gehe zur Tenne, um einen Reigen mit Mustela zu tanzen!« entgegnete er, »mir ist es von Herzen leid, daß meiner Pflegerin solch eine Schmach hier im Saale widerfahren ist!«

»Eine Schmach? Der gerechte Lohn für die Dreistigkeit der Dirne!« Fräulein von Orbe zuckte das stolze Haupt in den Nacken. »Ich bedaure nicht sie, sondern mich, die solchen Dank für ihre Freundlichkeit geerntet!«

Wolfsgeil zuckte die Achseln. »Unsere Ansicht scheint in diesem Punkt verschieden zu sein!« entgegnete er kurz, »ich vertrete die meine!« und abermals wandte er sich ab.

Da legte sich ein Arm schwer auf den seinen und Guntramis' Auge blitzte in zorniger Drohung zu ihm auf. »Carl Wolfgang,« murmelte sie zwischen den Zähnen, »ich will es nicht, daß Du mit dieser Dirne tanzest!«

Befremdet, unmutig erwiderte er ihren Blick. »Und warum nicht?« Er zwang sich zur Ruhe.

»Weil ich mit keinem Junker tanze, der mich dem Gespötte aussetzt, der soeben meine Hand frei giebt, um hinab in die Tenne zu laufen und eines Vogelstellers Dirne im Reigen zu drehn! Ist es nur Dankbarkeit, welche Dich so eifrig macht, so lohne sie ab, wie jeglich ander Bauernweib, ist es aber mehr wie Dankbarkeit,« Guntrams Auge flammte und der Druck ihrer Finger schmerzte auf seinem Arm, »so wundere Dich nicht, wenn ich Dir ihr Maß bemesse, der heutige Tag giebt mir ein Recht dazu!«

Ein unbeschreiblicher Ausdruck neigte die Mundwinkel des Junkers, er lachte leise auf und löste ihre Hand energisch von seinem Arm, »Eifersüchtig?« Er schüttelte das blonde Haupt. »Dazu hätte ich eine Herrin von Orbe für zu stolz gehalten! Damit ich nicht meine gute Meinung von Dir verliere, schöne Base, nimm Deinen Befehl zurück, sonst möchte mich die Enttäuschung ungehorsam machen!« – Und er führte ihre Hand ritterlich an die Lippen und wandte sich zur Thüre.

»Gut, daß Du mich an meinen Stolz erinnerst!« sagte sie kalt und wandte ihm den Rücken, »geh!«

Und Carl Wolfgang ging wirklich, um mit verstörtem Antlitz zu kehren, um heftig den goldenen Wein hinab zu stürzen, um zerstreut, aufgeregt, ruhelos von Saal zu Saal zu eilen, über den Burghof, durch die Tenne: Ist noch kein Bote zurück, der Kunde von Mustela bringt?! –

Und die Lichter verlöschten im Saal, die müden Augen schlossen sich, nur Einer stand an dem gewölbten Fenster und starrte in die Nacht hinaus, der Ritter von Wolfsgeil; alle hatten ihm eine sanfte Ruhe gewünscht, nur zwei nicht. Guntramis war ohne einen Blick an ihm vorübergeschritten, das hatte er kaum bemerkt, aber Mustela war von der Burg entflohen ohne Abschied, ohne Gruß, nur ihre Augen schwebten noch vor seinem Geiste, und diese Augen raubten ihm die Ruhe. – –

Ehe Mustela mit Jung Wunibald zur Wolfsburg zog, bat sie den Weidgesell, das Rößlein noch einmal zur Klause des Paters Severino zu lenken, da sie einen Gruß und Pergamentstreif in des Alten Hand zu liefern habe. So stand denn das Heidekind vor der niederen Holzthüre und lugte durch die breiten Spalten, welche die rohgezimmerten Bretter freiließen, bis sie im Winter mit Moos und Borken verstopft wurden, der grimmen Kälte zu wehren; ein kleines Feuer flackerte auf dem durch wenige Steine gefügten Herd, mit grellen Flammen an dem rußigen Kessel leckend, welcher sich in fester Holzgabel darüber schaukelte. Severin saß gedankenvoll daneben; das graue Haupt tief in die Hand gestützt, den Rücken gegen die Thür gekehrt, brütete er regungslos in den zuckenden Feuerschein. Da legte sich eine kleine, bebende Hand auf seine Schulter, ganz leise und zaghaft, und ein Köpfchen neigte sich prüfend vor, um mit dunklen Augen in sein Angesicht zu spähen, Vater Severino atmete nur tiefer auf, er schlief. Einen Augenblick ließ Mustela ihren Blick auf dem weißen Haupte ruhen, auf der zusammengesunkenen Gestalt, welche, mit armseliger Kutte gedeckt, den Rosenkranz noch in der Rechten haltend, neben der mageren Morgensuppe eingeschlummert war. Sie überlegte und sah zögernd auf den Pergamentstreif hernieder, dann legte sie denselben behutsam in den Schoß des Schläfers, warf einen prüfenden Blick in den brodelnden Topf, ob das Süpplein auch nicht Schaden nehmen werde, und leise, ganz leise schlich sie zurück zur Thüre. – –

Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Zwei Kreuzschnäbel flatterten laut schreiend durch die Tannenzweige über dem Klausnerhüttlein und weckten den Alten, welcher wirr auffahrend sich verblüfft die Augen rieb. Hatte er denn geschlafen? In seinen Fingern lag der Rosenkranz, richtig, bei der neunten Perle hielt er den Faden noch krampfhaft umschlossen, aber! aber!! Pater Severino! sind dir faulem Gesell denn mitten im Gebet die Augen zugefallen?! Der Alte schüttelte unzufrieden über sich selbst das greise Haupt und murmelte in den Bart: »Eia Severino, sind mir närrische Geschichten und gemahnen mich daran, wie der böse Feind einherschleicht und sich schwach Fleisch aussucht, seinen verderblichen Samen zu streuen! Bei der neunten Perle?! eia da soll doch!« Und der Klausner sprang erregt empor. »Wäre mir zu allem Trübsal gar noch das Süpplein gebrannt! das feine Würzensüpplein mit Pfifferlingschwämmlein und Majoran! Sancta Brigitta, malum malo proximum! sagt die unsterbliche Sprache!« Und Vater Severin griff hastig nach der hölzernen Kelle, um sie in die dunkelfarbige Speise zu tauchen und sorgfältig ihr Quantum zu bemessen. »Non multa, sed multum!« nickte er schmunzelnd, »es ist ein artig Heflein geworden! Nun noch ein Brieflein von der scharfen nigella daran, und dann laß es Dir in Gottes Namen schmecken, Severino!«

Der Alte trat zurück und wollte zu dem flachen Holzteller greifen, da stand er plötzlich wie gebannt und starrte vor sich nieder auf die Erde. Just vor seinen Füßen lag ein Streiflein Pergament. Pergament?! wie kommt solch ein Brieflein in die einsame Hütte? Alles Blut wich aus den Wangen des Klausners, mit scheuen Fingern raffte er es empor, und ein kurzes Gebet gegen allen Hexen- und Teufelsspuk murmelnd, führte er es zaghaft seinen Augen näher. Severino hatte einst lesen gelernt, aber jetzt tanzten die schnörklichen Buchstaben wie kleine Koboldfratzen vor seinen Blicken, kalter Schweiß trat auf seine Stirne, und näher zum Licht in die Thüre tretend buchstabierte er mit lauter Stimme.

»Also schreibet folgendes Begebnis die Schaffnerin Ursula Nägelin an den Klausner Severino, ehemals geheißen Heribertus, des Edlen von Wolfsgeil behender Falkenier.«

Das steife Blatt zitterte in den Händen des Alten, mit stieren Augen las er noch hastiger.

»Was über das Ableben der frommen Jungfrau Hathropis, Braut Christi im Klösterlein zu Marburg, verlautet ist, und was selbige auf dem Todbett in höchsten Nöten der Schaffnerin anvertrauet!«

»– oh Diil majorum gentium!« stöhnte der Klausner auf und brach wie blitzgetroffen auf der niedern Moosbank neben der Thüre zusammen. Tief sank sein Haupt auf die Brust, eine Thräne rann langsam in den weißen Bart hernieder, dann hob er abermals das Pergament und las mühselig weiter:

»Hat die Jungfrau Hathropis mit reuiger Seele gebeichtet, daß sie seiner Zeit falsch Zeugnis abgelegt habe wider die Dirne Ursula Nägelin, dienstbar unter dem Gesind der Wolfsburg, und habe sich vom bösen Feind bestricken lassen aus neidischer Minne für den Gesellen Heribertus, die Ursula Nägelin bei dem Magister Conradus zu Marburg der Ketzerei zu verklagen. Da aber die Ursula vor die Inquisition geladen sei, da habe es sich befunden, daß selbige einen Blutsverwandten unter den Dignitariis gehabt, der wohl eifrig der Fürstin Elisabetha in die Ohren geredet habe, und da alle Leute des Glaubens gewesen, die Ketzerin sei bei lebendigem Leibe verbrannt, da habe sie der Dignitarius im geheimen entschlüpfen lassen, worauf hin sie an zweien Jahren verborgen im Klösterlein gelebt hat. Auch die Hathropis ist des Todes ihrer Feindin sicher gewesen und hat triumphieren wollen in des Gesellen Heribertus Minne. Der aber hat den grausamen Tod der Ursula Nägelin so bitterlich empfunden, daß er sein Haupt scheren ließ, seine Gewaffen mit der Mönchskutte vertauschet und in Marburg in das Kloster der Barfüßlerbrüder gegangen, woselbst er sich der Nüchternheit und Entbehrung verschworen hat, und dann hinab zum Rhein gezogen ist mit Botschaft von dem Kloster Reinhardtsbrunn, das mit dem zu Rheinau durch hirsauische Ordensobservanz verbrüdert ist, da hat er begonnen Latein und Lesen und Schreiben zu lernen, und da Landgraf Ludewig der Milde von Thüringen mit einem Pilgerheere zum gelobten Lande zog, da hat er sich das Kreuz auf die Brust geheftet und ist mit hinab gezogen gen Karmel und Akkon. Das hat der Hathropis gar grausam ins Herz gegriffen, und hat ihr Gewissen mit viel ängstlichen Bildern geweckt, daß sie nur noch die Ursula Nägelin im Feuer geschaut hat, und solches hat sie gepeinigt wie eine Krankheit, noch schlimmer denn Pestilenz und Seuche, warum sie zu der frommen Fürstin Elisabeth sich gewendet hat, all ihre Schlechtigkeit reumütig zu entdecken. Da ward sie mit mannigfach schwerer Buße beleget, mußte ihren Leib kasteien und fasten und beten gar viele Tage lang, bis sie aufgenommen ward als Braut Christi in die ewige Einsamkeit, woselbst sie niemals aus ihrer Klosterzelle ausscheiden durfte, dieweil man zur Strafe für ihr falsch Zeugnis die rechte Hand mit schwerem Eisenringe an das Gestein geschmiedet hatte. Da hat sie ein erbärmlich Dasein gefristet und ist nicht geheilet worden von dem bösen Geist, der sie besessen hatte, sondern hat oft laut geschrieen, daß sie die Ursula im Feuertode erschaue. Da nun der Magister Conradus von des Ritters Dernbach Hand unweit bei Wetter erschlagen ward und auch die Fürstin Elisabeth ihr gottselig Leben gefristet hatte, da verließ die Ursula Nägelin ihr schützend Klösterlein und kehrte zurück zur Wolfsburg, allwo man sich ihrer zuerst furchtbar entsetzete und wandelnder Spukgeister gedachte, dann aber die ehrliche Jungfrau mit Freuden wiederum aufnahm. Heribertus aber war verschollen, und ein Pilgrim, der einstmals das Gastrecht der Feste ansprach, wollte sich entsinnen, ihn mit klaffendem Schädel an dem Sturmwall von Akkon gesehen zu haben. Da schwand jeglich Lächeln von der Dirne Angesicht, und schaute nimmer nach einem anderen Manne aus. Da die lästerliche Hathropis aber auf dem Todbett lag, da beichtete sie all dies Geschriebene mit Thränen und wahrhaftiger Einsicht ihrer Verderbtheit und schuldigte die Minne an, die an solcher Tücke schuld gewesen. Möge sich der liebe Herrgott ihrer Seele erbarmen, und die lieben Heiligen für sie bitten, daß sie nicht im Fegefeuer soll die bitteren Qualen leiden, die sie auf Erden auf unschuldig Fleisch hat laden wollen! In nomine Deï! Amen.«

Goldene Sonnenlichter zitterten über Stirn und Hände des Alten und blendeten die Blicke, welche regungslos auf den Zeilen hafteten, er senkte das Blatt auf die Kniee, lehnte das greise Haupt an die Borkenwand zurück und schloß die Augen; über ihm zwitscherte es im Gezweig, die Käfer summten durch die offene Klausenthüre, neugierig huschte das Eichhorn herzu und lugte mit hellen Auglein auf den Träumer herab; der aber sah mit geschlossenen Augen gar weit, weit zurück, in eine Zeit voll seliger Minne und Frühlingslust, in das Antlitz eines blonden Dirnleins, so treu und wonniglich, so heiß beweint. Da ward sein Herz wieder jung, hob träumerische Schwingen, noch einmal zurück zu fliegen in ein verloren Paradies, und seine Lippen lächelten. Das Feuer auf dem Herd aber sank langsam in der Asche zusammen und zum erstenmal seit langen Jahren blieb Pater Severinos Würzensüpplein unangerührt im Kessel. – –

Auf dem Hofe der Wolfsburg scharrte das goldrote Roß des Junkers Wolfgang ungeduldig das Pflaster. Des Ritters Hand hielt die Zügel, und sein Auge starrte zum Burgthor, regungslos haftete sein Fuß und schwang sich nicht in den Bügel, jähe Röte stieg in die stolze Stirn empor. Dort durch das Burgthor schritt Mustela an Jung Wunibalds Hand.

Der Weidgesell schritt näher, zog mit strahlendem Lächeln den Hut von den dunklen Locken und sprach: »Hier bringe ich des Vogelstellers Juan Piccolo Enkelkind, Herr, die ich zum Weibe erwählt und welche ich heimführen will in den Burgfried der Feste Wolfsgeil!«

»Mustela!« rang sich's jäh von des Junkers Lippen, dann beherrschte er sich und fuhr mit stockendem Atem fort: »Kommst Du endlich zurück, klein Trotzköpflein, und bist Du des irren Flatterns müd?!«

Mustelas Auge haftete am Boden, nicht ein einzigmal hob sich ihr Blick, auch jetzt nicht, als sie mit bleichen Lippen entgegnete: »Des Vögleins Nest hat der Blitz getroffen, Herr. Ich bin einsam und verlassen, und meines Bleibens ist nicht länger in der Borkenhütte, Juan Piccolo schließt die Thüre vor einer Gastin der Wolfsburg.«

»Und so kommst Du zu uns, kleines Wiesel, um nimmermehr zu gehn?« Carl Wolfgangs Auge flammte, er sprach hastig und reichte ihr die Hand, »so sei willkommen für alle Zeit auf der Wolfsburg, Schutz und Schirm für Dich!«

Hermengilds Antlitz war fahl wie das einer Sterbenden, ihre Hände hingen schlaff hernieder, ihr Haupt neigte sich noch tiefer und sah nicht des Junkers dargebotene Hand. »Ich danke, Herr!« rang es sich von ihren Lippen.«

Carl Wolfgang lächelte, der Trotz der Dirne gefiel ihm, er paßte zu des Wiesels scharfen Zähnen.

»Führe Mustela zu der Schaffnerin!« sagte er zu Wunibald, »und bestell der Alten, je mehr Liebes sie der Dirne erweise, desto mehr Lohn solle sie dafür bei mir finden! Gott befohlen, ihr zwei!« Und Carl Wolfgang schwang sich in den Sattel und gab einen Wink mit der Hand, da erscholl ein heiter Jagdhörnlein, und aus den Ställen trabten noch mehr der Rosse, und auf der Schloßtreppe klirrten die Sporen der ritterlichen Gäste.

»Sie reiten zur Jagd!« flüsterte Wunibald, »schau, am Fenster droben und auf der Altane erscheinen die Jungfräulein!«

»Fort von hier!« rief Mustela außer sich, »ich will zu Ursula!« Und in fiebernder Eile zog sie den Weidgesell in die nächste geöffnete Thüre, um ihr brennendes Angesicht an seiner Brust zu bergen.

Droben im Erkerstübchen stand die Schaffnerin Ursula und faltete das blendend weiße Linnen, welches die Mägde soeben von der duftigen Bleiche geholt, in zierliche Brüche und Lagen, um es unter die Walze und alsdann in die breiten Truhen der Frau Rosina zu liefern. Durch das offene Fenster strich die schwüle Sommerluft, den betäubenden Duft des Jasmins emportragend, welcher in dunkelschattiger Laube im kleinen Gärtchen der Wallmauer wucherte. Fliegen und Käfer summten und blitzten mit buntem Flügel um das graue Haupt der Matrone, welches nachdenklich geneigt mit starrem Blick der Arbeit folgte. Da klopfte es leise an die Thüre, die Klinke ward niedergedrückt und Jung Wunibalds heißes Angesicht lugte vorsichtig in das Stüblein.

»Grüß Euch Gott, Frau Schaffnerin! seid Ihr dahinnen?« flüsterte er, »und darf ich ein flattrig Vöglein zu Euch in Käfig sperren?«

Da schrak die Alte jäh zurück und ließ das blaugeränderte Tafeltuch sinken. »Bringst Du Kunde von Mustela, oder gar den kleinen Thunichtgut selber? Eia! bei Sankt Nikolas, steht das Wiesel auf der Schwelle!« Und Frau Ursula eilte behäbig näher, legte beide fleischigen Hände auf die Schultern der Vogelstellerin und schaute ihr prüfend in das bleiche, geneigte Antlitz. »Wo bist Du umhergestreift, Du ungeheuerlich Dirnlein Du, das da erstlich bös Ärgernis im Rittersaal giebt und dann mit weinenden Äuglein in Nacht und Nebel hinausstiebt! Lässest mich in Sorg und Not mit meinen Gedanken zurück und fragest viel danach, ob ein alt Weiblein in der Burg das Herz an Dich gehängt!«

Laut aufschluchzend schlang Mustela die Arme um den Nacken der Sprecherin und preßte sich fest und fester an die Brust.

»Der Junker läßt Euch sagen, Frau Ursula, möchtet das Dirnlein mit aller Sorgfalt bei Euch aufnehmen,« sagte Wunibald nach kurzer Pause und er legte die Hand auf das Köpfchen Mustelas, »bis sie vor dem Herrn mein Weib geworden ist und mein Stüblein mit mir teilt, denn wisset wohl, Frau Schaffnerin, die Kleine hier ist mir angelobt und hat keines Menschen Seel ein Recht an sie, denn ich! Juan Piccolo hält seine Thür vor der Gastin der Wolfsburg verschlossen, und darum giebt der Junker ihr Herberge, bis sie fürder keiner mehr bedarf und als meine Hausfrau in Recht und Ehren in ihr eigen Nestlein einkriecht!« Wunibalds Auge strahlte in Glückseligkeit, er faßte die dargereichte Hand der Matrone und drückte sie herzlich zwischen den seinen.

»Daß die lieben Heiligen Euch beide segnen mögen!« sagte sie leise. »Will Dein Liebchen schon hüten, Wunibald, als sei's mein eigen Kind!«

Sein Blick sprach ihr Antwort. »Sie wird müde sein und ist noch immer voll Kümmernis des Vergangenen wegen, Frau Ursula, wird wohl am weisesten sein, Ihr haltet sie fein still und verborgen hier, bis die Gäste von der Wolfsburg gezogen sind, dann wird sich schon bald Zeit finden, daß der Kaplan uns zusammengiebt!«

Die Schaffnerin blickte auf, ein fast schelmischer Blick, und der erhobene Finger drohte dem Bursch. »Ist das eitel Fürsorge für Dein Dirnlein, Wunibald, oder spielst Du ein Schelmenspiel, das da heißet ›Eifersucht‹ und ein Schlößlein und Riegel hier vor die Thür hängen möcht?! Hast recht, Gesell, das wäre nimmer die echte Minne, so nicht hadern möchte mit jedem Sternlein, das in Liebchens Kammer lugt! Doch geh jetzt, ist kein Platz für Dich in der Kemenate! und drunten im Hof giebt es Arbeit genug für rührige Arme! marsch, marsch!« Und in gutmütigem Schelten schob sie den Jäger nach der Thür. Wunibald aber öffnete die Arme gar weit in lachendem Übermut, schlang sie behend um die beiden Frauen zugleich und rief: »Wär' mir ein schlimmer Weidgesell, der seines Vorteils nicht wahrnimmt! sonsten hab ich nur ein Dirnlein zum herzen, heut aber ward mir noch ein Mütterlein dazu, ein kluges, gestrenges Mütterlein, sondergleichen gewitzig! So lebt denn wohl, ihr Minniglichen, und nehmt dies zum Angebind!« Und ehe nur Frau Ursula ihren Arm befreien und ihr erglühendes Angesicht dahinter bergen konnte, drückte ihr Wunibald auf jede Wange einen schallenden Kuß, wandte das Haupt zu Mustela, um die Lippen heiß auf ihre Lippen zu pressen, und wie ein Wirbelwind sprang er zur Thüre, um in wenig Sprüngen die steile Holzstiege hinab zu stürmen! –

Ursula aber stand, rieb sich die Wangen mit der weißen Linnenschürze und wischte kopfschüttelnd die Thränen aus den Augen.

»Beim heiligen Fridolin!« pustete sie in freundlicher Entrüstung, »bin in Ehren ein alt Weiblein geworden und hab' nimmer mit schwarzem Haar einen Buben geküßt, wird da jetzo noch ein naseweiser Blippenplapp kommen und sich nicht meines grauen Kopfes bedenken! daß Gott erbarmt auf jede Wange extra!! Das sag' ich, klein Wiesel, hast Dir einen beherzten Schatzliebsten zugelegt!«

Hermengilde lachte durch Thränen, schmiegte sich noch inniger an die wackere Matrone und sagte mit schelmischem Blick: »Hätt' ich Dich nicht so wahrhaft lieb, Du freundliche Frau, und wär ich noch das alte Wiesel, so würd ich Dir gar zornig diese Küsse aus dem Antlitz kratzen, so aber will ich sie Dir nimmermehr neiden, sondern sie Dir in lauter Eintracht schnell wieder von den Wangen abküssen, damit Dein graues Haupt dereinst in Ehren in die Grube fahren und niemand ihm den bösen Leumund reden kann, es hätt' ein kühner Weidgesell die Lippen darauf abgedrückt!« – –

So plauderte das Heidekind. Drunten in der Jasminlaube aber tönten gar süße Lautenklänge, und als Frau Ursula eifrig zum Fensterlein schlich und vorsichtig hinab lauschte, da sah sie Fräulein Guntramis' pfaufarbiges Gewand durch die Zweige schimmern, und vor ihr saß der fahrende Sänger vom Hofe des Landgrafen Hermann zu Eisenach, Herr Walther von der Vogelweide genannt, ein stattlicher Mann mit gewaltigen Augen, der schlug die Laute gar sänftiglich und schaute das Fräulein wankellos an und sang dazu:

»Tugent, unt reine Minne,
swer die souchen wil,
Der sol komen in unser lant, da is wünne vil,
Lang müeze ich leben darinne« – –

Und er ließ die Laute von den Knieen gleiten, neigte sich noch näher zu Fräulein von Orbe und flüsterte mehr, als daß er sang:

»Kan ich rehde schouwen
Guot, gelâz unt lip,
sem mir Got, sô swüere ich wol, daz hie diu wip
Besser sint, drinne ander frouwen!« – –

Guntramis aber erglühte bis unter den Stirnreif, zog ein Röslein aus dem Gürtel und ließ es auf des Sängers Laute gleiten; hastig griff er's, drückte es an die Lippen und neigte sich auf das Knie, um flehenden Tones fortzusingen:

»Waz wold ich ze lône?!
Si sint mir zehêr,
Sô bin ich gefüege, unt bite si nihtes mêr,
Wan daz si mich grüezen schône! –«

Da sprang das Edelfräulein mit brennenden Wangen empor und preßte die weißen Hände gegen die Brust.

»Herr Walther!« flüsterte sie, »haltet ein mit Eurem Liede, mir deucht, es steckt ein heimlich Gift darin, welches meine Pulse also fliegen läßt!«

Er verharrte unverändert, nur sein Blick ward noch dunkler denn eh.

»Tiusche man sint wol gezogen,
Rehte als engel sind diu wip getân!«

klang es leise wie Harfenschlag von seiner Lippe.

Da verschlang Fräulein von Orbe die Hände und rang sie in ratloser Pein, neigte sich jäh zu ihm nieder und hauchte einen Kuß auf seine Stirn, dann streckte sie die Rechte in flehender Abwehr gegen ihn aus und entfloh auf flüchtigen Sohlen durch den kleinen Garten.

»Jesus Maria!« stöhnte Ursula auf, von dem Fensterlein zurück taumelnd, Mustela aber stand mit hochaufgerichtetem Haupte, blitzenden Auges, brennender Wange, und ihre Hände ballten sich in den roten Rockfalten.

»Ursula!« rief sie wie in grellem Jubelschrei, »glaubst Du, daß Carl Wolfgang diesen Kuß von des Sängers Stirn kratzen wird?! daß einmal eine Zeit kommt, da der Junker falsche Minne kennen lernt?! Falsche Minne!! hahaha! ich finde meinen Glauben an die Vergeltung wieder!«

Da flackerte es über die schwarzen Wolken, welche sich am westlichen Himmel geballt hatten, und leise, drohend, unheimlich grollte der ferne Donner gegen die Feste Wolfsburg. – –

Von keinem Auge geschaut verweilte Mustela in Frau Ursulas Kämmerlein, still und ernst, mit fast mechanischer Geduld die Spule drehend, deren Handhabung die wackere Schaffnerin dem Heidekind lehrte; es gab überhaupt so vielerlei nützliche Arbeit, von welcher die Vogelstellerin gar keinen Begriff hatte, und so stieg oft die Matrone zu ihrem Schützling empor, brachte dies und jenes Hausgerät und unterwies Mustela in der Arbeit. Sie lernte schnell und schaffte mit fast zitternder Hast, wenn aber ein Jagdhorn im Hofe klang oder ein fester Schritt auf der Stiege hallte, dann zuckte sie jäh zusammen, ließ die Hände wie gelähmt in den Schoß sinken und starrte mit weitgeöffneten Augen vor sich hin, wie ein Schauder zitterte es durch ihre Seele.

Wunibald schob hie und da mit bittendem Blick den Kopf in das Stüblein.

»Blümlein ›Rührmichnichtan‹«, sagte er scherzend, »darf ich Dir einen Morgengruß bringen und wirst Du mir auch minniglichen Dank dafür sagen?« und er warf die rote Heideblüte auf ihren Schoß, stieß die Thüre stürmisch zurück und umschlang sie mit ungeduldigen Armen.

Mustela duldete seine Liebkosungen ohne sie zu erwidern, sie strich ihm sinnend die dunklen Locken aus der Stirn und sagte mit trübem Lächeln: »Bring mir keine Heide zum Gruß, Jung Wunibald, ihre roten Glöcklein thun meinen Augen weh; aber Jasminblüten, die sind so weiß und traurig und duften doch so lieblich aus der Laube zu mir heraus, daß ich Sehnsucht habe, solch schmeichlerisch Sträußlein an der Brust zu tragen!«

Da brachte ihr Wunibald die bleichen Blumenkelche und sprach: »Hüt Dich aber wohl, in ihrem starken Geruche zu schlummern, hat schon mancherlei Beispiel gegeben, daß sie bösen Schaden gethan!«

Da schüttelte sie gar sonderbar den Kopf und lächelte.

»Es muß schön sein, an Blumenduft zu sterben, aber jetzt noch nicht, später erst.«

Seit der Zeit mochte er nicht mehr gern die Blüte an ihrem Mieder sehn.

Fräulein Guntramis hatte von Mustelas Rückkehr vernommen. Ein jäher Blick brach aus den stolzen Augen, schnell und düster wie die Wolke, welche über ihre Stirne zog, dann zuckte sie schweigend die schönen Schultern und sprach kalt: »Was kehret es mich? wollt ihr euch Lob holen, so kündet es dem Junker!« Und sie schritt schneller wie je zu dem Altan, auf welchem der Thüringer Sänger seine Laute stimmte. Herr Walther von der Vogelweide verweilte mit sichtlichem Behagen auf der Burg, und da alle andern Gäste längst die Rückfahrt rüsteten und schieden, verlautete von ihm kein Wort des Abschieds. War doch Fräulein von Orbe gut bekannt mit ihm vom Thüringerlande her, wo sie oft als schönste Blüte im Frauenkranz an Landgraf Hermanns Hof gestrahlt, da gab es mancherlei ergötzliche Erinnerungen von Turnier und Sängerstreit, und waren die holden Stunden der Vergangenheit wieder aufgewacht im Herzen, dann griff Herr Walther leise in die Saiten und sang, was er nicht sprechen durfte.

Carl Wolfgang sah es teilnahmlos, leerte ungeduldig seinen Humpen und überließ den Sänger mitsamt seinen Liedern den so viel dankbareren Frauenohren. – –

Der Mond stand leuchtend an dem klar gewölbten Nachthimmel und goß sein zauberisches Licht in das Fensterlein, auf dessen Sims Mustela saß, um, die Hände in den Schoß gefaltet, in das duftende Gärtlein hinab zu träumen. Eine jähe Sehnsucht überkam sie, ein namenloses Verlangen nach ihrer freien Heide, nach dem dunklen, wipfelrauschenden Wald, in dessen Zweigen alte Lieder klangen, Lieder voll jungen schattenlosen Liebesglücks. Fester preßte sie ihre Lippen auf die scharfen Zähne, heftiger atmete die Brust. Drüben aus den Fenstern klang das Saitenspiel, sie hörte eine Männerstimme singen, sah im Geiste Guntramis' flammend Angesicht, und sie faßte die weißen Jasminblüten krampfhaft zwischen den Fingern, neigte sich weiter vor und lauschte. Ein Lächeln irrte um ihre Lippen, ein böses, schadenfrohes Lächeln.

Da knirschte drunten im Garten der Sand, hastig huschte ein dunkler Schatten näher, Sporen klirrten unter der Schaffnerin Fensterlein.

»Bist Du es, Mustela, die Ausschau hält?« fragte eine Stimme zu ihr empor. »Warum verbirgst Du Dich noch immer wie ein zaghaft Vöglein im Nest? die Gäste sind fern!«

Da schrak das Heidekind mit wildem Blick empor.

»Carl Wolfgang!« murmelte sie, wie in jähem Triumph das Haupt in den Nacken werfend, lautlos glitt sie von dem Fenstersims, wich zurück in das Kämmerlein und verharrte regungslos.

Sekundenlang blieb es totenstill, dann klirrten die Sporen langsam über den Kies an der Mauer entlang durch die blühenden Beete. – Weiche, schwärmerische Harfenklänge zitterten durch die duftige Nachtluft, ein lang hallender Schlußakkord und dann herrschte tiefe Ruhe, kein Laut mehr über der Burg.

Carl Wolfgang aber lehnte an der Brüstung und senkte das Haupt schwer in die Hand. Er blickte hinab in die Tiefe, auf die dunkeln, schweigenden Wälder, auf den Nebel, welcher wie silberne Wogen über die Ebene rollte; wie weit, wie grenzenlos schien ihm die Welt und wie einsam fühlte er sich plötzlich, wie verlassen stand er inmitten ihrer zauberischen Pracht. –

Der Ritter von Wolfsgeil zog den Mantel fester um die Schultern und schritt schweigend in die Burg zurück.

Mustela war zur Messe geschritten, hatte regungslos vor dem Bild der ewig Gnadenreichen gekniet, mit gefalteten Händen und tief geneigtem Haupte, in dumpfem, gedankenlosem Hinbrüten; sie konnte nicht beten. Zu wem auch? Zu dem Gott, der eine solch elende, unglückselige Welt und Menschheit geschaffen? zu den Heiligen, welche mit mildem Lächeln Trost und Fürsprache verheißen und dennoch thatlos an Gottes Stuhl stehen und alle Falschheit, Grausamkeit und Ungerechtigkeit mit demselben freundlichen Lächeln geschehen lassen? Das Heidekind schaute finster empor, Bitterkeit und Haß schnürten die Kehle zusammen, sie hob die geballten Hände gegen das Muttergottesbild und schüttelte in wortlosem Trotz das Haupt. Da klirrte es auf den Steinfließen, ein Schwert fiel rasselnd gegen die hochgeschnitzte Lehne des herrschaftlichen Betschemels und als Hermengilde zusammenschreckend emporschaute, sah sie Carl Wolfgangs Angesicht mit angstvoll warnendem Blick auf sie gerichtet. Ihre Hände sanken nieder, ein Schauder schüttelte sie, langsam erhob sie sich und wankte wie eine Träumende aus der Kapelle.

Auf dem Hof wehte weiche, duftende Sommerluft; Stille herrschte rings, das Gesinde war bei der Arbeit. Die Ställe standen weit geöffnet, das Wiehern eines Rosses tönte ihr entgegen. Da zitterte es durch Mustelas Herz wie ein süßer Klang aus weiter, ferner Frühlingszeit, wie eine magische Gewalt zog es sie zu dem goldroten Rosse, dessen wallende Mähne schon einmal ihr heißes Angesicht gekühlt; das Tier war ja schuldlos an all ihrer Qual und war doch der Zeuge ihres kurzen Glückes, der einzige Freund, der ihr geblieben, den sie hier in der Feste lieben durfte, ohne ihren Schwur am Opferstein zu brechen!

Hastig trat sie in den Stall, blendendes Sonnenlicht flutete durch die Thüre und tauchte Kopf und Hals des Pferdes in zitternde Purpurglut. »Rößlein!« rief die Vogelstellerin in leidenschaftlicher Zärtlichkeit, »kennst du mich noch, du lieber, stolzer Renner?« und sie schlang die Arme um seinen glänzenden Hals und streichelte das wallende Mähnenhaar. Da spitzte der Goldfuchs lauschend die Ohren, wandte mit klugen Augen den Kopf nach der Sprecherin zurück und scharrte abermals mit freudigem Wiehern das Pflaster.

Da klirrte ein Sporn auf der Thürschwelle, ein Schatten fiel auf Roß und Maid und Wolfgeils Stimme sprach: »Also hier muß man das Wiesel suchen, wenn man ein ›Grüß Gott!‹ verlangt, seit acht Tagen sind schon die Gäste der Burg fern und dennoch hat Mustela noch keine Zeit gefunden, dem Burgherrn Kunde zu bringen, wie man sie in der Burg bewirtet!«

Das Heidekind hob langsam das Haupt; sie fühlte den Vorwurf aus des Junkers Worten und erglühte vor Scham und Unmut.

»Ich weiß, daß die Dienstbaren nicht ohne Aufforderung reden dürfen«, entgegnete sie scharf, »ich habe gar mancherlei Sitte auf der Wolfsburg gelernt!«

Carl Wolfgangs Antlitz war sehr ernst, er kreuzte die Arme und lehnte sich an den Thürpfosten zurück. »Und hast über die neuen Sitten Dein ureigentlich Wesen verleugnen lernen? Was hat klein Wiesel früher danach gefragt, ob es Brauch sei, eines wunden Ritters zu pflegen, ob es Sitte sei, sich auf seinen Sattel zu schwingen, hinein in die weite Welt zu galoppieren!«

Hermengild atmete schwer, zum erstenmal traf ihn wieder ein voller Blick.

»Ich fragte nichts danach, bis ich beschieden wurde, daß ich fragen müsse, ich kannte keine Sitte, bis man mich welche lehrte; ich war blind, bis man mir mit rauher Hand die Schleier von den Augen riß, und das erstaunt Euch, Euch, Junker Wolfsgeil?«

Sie war einen Schritt näher getreten, die Sonnenlichter spielten um ihr bleiches Antlitz, so wundersam verändert durch den Schmerz, welcher erst jetzt die milde, südliche Schönheit zur Reife gebracht, abermals schaute ihn das dunkel leuchtende Auge an, wie droben im Tanzsaal, da er diese kleine, braune Hand so unbarmherzig von sich stieß.

»Mustela!« rief er mit gedämpfter, leidenschaftlich erregter Stimme, »Dein Vorwurf ist gerecht und dennoch zu hart, Mädchen! Du zürnst mir um des verweigerten Tanzes willen, als sei es ein Verbrechen gewesen, und erwägst doch nicht, daß es die ritterliche Sitte verlangt, den Tanz mit der erwählten Dame zu Ende zu führen! Konnte ich Guntramis, all die andern edlen Frauen stehen lassen, um plötzlich Dich zum Tanz zu führen? und sag, war es denn wirklich so unverzeihlich, daß meine Gäste über solch ein nie erlebtes Schauspiel lachten? Du kennst nicht den strengen, altherkömmlichen Brauch, welcher eine so stolze Scheidewand zwischen die Herrn und Dienstbaren zieht! Ich weiß es, Mustela, daß meine strengen Worte Dich verletzen mußten, doch durfte ich keine andern zu Dir sprechen, wollte ich meine Würde als Edelmann wahren! und als ich es gut machen wollte, was ich gegen Dich gefehlt, als ich in die Tenne hinab kam, um nun einen Reigen mit Dir zu tanzen, Guntramis und allen Edeln zu Trotz, da warest Du entflohen und ließest mich zurück in Sorge, Angst und Gewissensbissen; o Mustela, das war Strafe genug für mich!«

Die Vogelstellerin hatte den Blick längst wieder gesenkt, ihre Lippen zitterten und wankend stützte sie die Hand auf die hölzerne Bretterrampe. »Ihr … Ihr seid in die Tenne hinab gekommen? … Ihr habt mit mir tanzen wollen?« stotterte sie und fühlte, wie alles Blut schwindelnd in die Schläfe stieg, »das hat mir niemand gesagt.«

»Wer sollte auch in den Wald hinab solche Kunde bringen?« entgegnete er düster, »Du wolltest ja lieber zweifeln, denn glauben, lieber hassen, statt vergeben!«

Sie zuckte trotzig empor, in verzweifeltem Kampfe gegen sich selber; sie vermied es, in sein Auge zu blicken. »Und was hätte ich glauben sollen, wenn Ihr auch wahrlich zum Tanze kamt?« rief sie heftig, »waret Ihr darum nicht doch des Fräulein Guntramis' Verlobter, der ihr Bild und nicht meines im Herzen trug? Nein, nein! Junker Wolfgang, jener Tanz wäre eine neue Schuld gegen mich gewesen, gegen mich und Euer Gewissen! Was hättet Ihr mir dann als Ritter und braver Mann antworten wollen, wenn ich Euch gefragt hätte, wie auf dem Hinritt zur Burg: ›Hast Du mich noch lieb, Carl Wolfgang?!‹«

Sie fühlte den Blick, welcher sie aus seinen Augen traf, langsam, klar, tiefernst schlug seine Stimme an ihr Ohr. »Ich würde als Ritter und Ehrenmann › ja!‹ gesagt haben, und zwar diesmal zuerst, ohne Dich zu belügen!«

Sie hob die zitternden Hände gegen ihn. »Carl Wolfgang!« murmelte sie tonlos, »versündigt Euch nicht! Habt Ihr mich nicht betrogen, so betrügt Ihr jetzt Euere Verlobte, Guntramis!«

Er regte sich nicht. »Ich habe Fräulein von Orbe gefragt, ob sie meine Hausfrau werden wolle, aber ich habe ihr nicht gesagt, daß ich sie liebe!«

Mustela wankte, Totenblässe überzog ihr Antlitz. »Laßt mich!« flüsterte sie und wollte an ihm vorüber schreiten nach dem Hof.

Da reichte er ihr die Hand entgegen und bat mit weicher Stimme: »Bemitleide mich, Mustela, aber zürne mir nicht!«

Sie preßte die Hände gegen die Brust, Fieberschauer schüttelten ihre Glieder, sie fühlte, wie Trotz und Haß ohnmächtig in sich zusammenbrachen, wie ihre Hand aufzuckte, sich heiß und ungestüm in die seine zu legen. Da ward gegenüber in der Gesindeküche die Thüre aufgestoßen, Mustelas Blick traf auf die grelle, hochaufflackernde Feuerglut des Herdes, Flammen schlugen ihr entgegen, blutigrote Feuerflammen!

»Mutter!« schrie sie gellend auf, stieß in wilder Verzweiflung des Wolfgeils Hand zurück, taumelte noch wenige Schritte in das Sonnenlicht hinaus und brach bewußtlos auf dem Hof zusammen – –

Droben in dem Stüblein der Schaffnerin Ursula war seltener Besuch eingekehrt. Es waren Tage verstrichen, seit man die Enkelin des Juan Piccolo so jäh erkrankt empor auf das Lager der treuen alten Freundin getragen. Dort hatte sie bleich und regungslos gelegen, bis sie endlich die dunklen Augen aufgeschlagen und mit unsagbar bitterem Lächeln gefragt hatte: »Ist die ewig gnadenreiche Himmelskönigin wirklich grausam genug, mich wieder erwachen zu lassen?« – und sie wandte das Haupt und sah Jung Wunibald mit verstörtem Antlitz neben ihrem Lager knieen. Da reichte sie ihm schnell die Hand entgegen, ein mildes Leuchten strahlte in ihrem Blick und wie entschuldigend fuhr sie fort: »Nein, nicht grausam, denn sie hat Dich an meine Seite gestellt, Du treue, brave Seele! bleib bei mir, Wunibald, ich fürchte mich.«

Da hatte er zärtlich die kleine, braune Hand gestreichelt und Mustela klammerte sich an seinen Arm, scheu, fiebernd, unglücklich. Dann schlief sie ein.

Ursula behütete ihren Schlummer, hörte drunten unter dem Fensterlein ihren Namen rufen und schlich sich leise an die Scheibe. Sie sah in Carl Wolfgangs ernstes Angesicht. »Wie geht es der Kleinen?« flüsterte er.

»So es die Heiligen wollen, wird sie gesund erwachen, Herr! mir deucht, daß fürwitzige Zunge dem armen Dirnlein von dem Feuertod der Mutter geplaudert!«

Carl Wolfgang preßte die Lippen zusammen und nickte finster. »Hast recht, Ursula, behüt sie, sorg für sie, ich vertraue sie Deiner Liebe an. Ist Wunibald droben? schick ihn fort, sie soll Ruhe haben!«

Und mit tiefer Falte auf der Stirn wandte sich Wolfsgeil und schritt nach dem Hof, dort warf er sich auf sein Roß und jagte planlos in die Ebene hinab.

Mustela hatte sich schnell erholt. Sie saß am Fenster und ließ die Spindel tanzen, bleich und ruhig, ohne aufzuschauen. Neben ihr, auf niederm Schemel stützte Wunibald das Haupt in die Hand.

»Lieb Dirnlein!« sagte er endlich, mit schnellem Griff Hand und Faden fest haltend, »raste für einen Augenblick und höre mich an! Mir will's das Herz abdrücken und läßt mich nicht mehr schweigen!«

Hermengild sah ihn mit erstaunten Augen an, legte die Hand auf sein Haupt und schaute prüfend in sein trauriges Angesicht. »Was kümmert Dich, Du Lieber?« fragte sie weich.

Da rang seine breite Brust mühselig nach Atem. »Ich habe Dich lieb, Mustela«, sagte er, »so lieb, daß ich bereit bin, mich selber Deinem Glücke zu opfern! Seit jenem Tage, da man Dich scheintot auf dem Hofe fand, ist ein alter Glaube wieder in mir erwacht; Dein unglücklich Wesen, Deine Scheu, dies Kämmerlein zu verlassen, das Gebahren des Junkers, o Mustela, ist es nicht Beweis genug, daß Du Carl Wolfgang liebst?«

Sie schrak mit bleichen Lippen empor und hob in heftiger Abwehr die Hand.

Wunibald aber fuhr in leidenschaftlichem Schmerze hastig fort: »O glaube nicht, Du Heißgeliebte, daß ich Dir darum zürne! Mein Glück ist es ja, Dich glücklich zu sehen, meine Liebe ist ja nur das Werkzeug Dein Lebensheil zu erringen, Dir diene ich in treuer, selbstloser Hingabe, gern bereit, selbst mit dem Herzblut Deinen Frieden zu erkaufen! Liebst Du den Junker, Mustela, und will er's mir mit heiligem Eid als Ehrenmann geloben, Dich als rechtlich Ehgemahl vor den Altar zu führen, so soll mich Gottes Zorn heimsuchen, wollt' ich nicht mein eigen Lebensglück dem Deinen opfern, o sag mir Wahrheit, Dirnlein, liebst Du den Ritter?«

Er kniete vor ihr, umschloß mit fast schmerzendem Druck ihre Hände und blickte zu ihr auf, ruhig, gefaßt, farblos wie ein Sterbender.

Da neigte sich das Heidekind mit wehem Lächeln zu ihm nieder, blickte lang und fest in seine treuen Augen und sprach: »Und wollte Carl Wolfgang mich zum Altar führen, so würde ich lieber den Totenkranz, denn seinen Brautschmuck tragen, und bliebe mir die Wahl, an seiner Seite leben, oder bittre Höllenqual erleiden, ich würde ohne Säumen zur Folter schreiten. Sieh, Jung Wunibald, was ich Dir vertrauen will! Hätt' ich auch mein Herz an den Wolfsgeil verloren, ich müßte es mit aller Macht des Hasses wieder an mich ziehen, denn des Wolfsgeils Vater hat unschuldig Blut vergoßen, hat mich der Mutter von der Brust gerissen, hat sie in unmenschlicher Grausamkeit zum Feuertod verdammt! Darf ich, ihr einzig Kind, den Sohn des Mörders lieben? O ew'ger Fluch, dreimalig Unheil der Verdammnis müßte mein meineidiges Haupt treffen, mir Wachen und Schlaf vergällen und rote Flammenglut mir vor die Augen malen! Hassen muß ich ihn, Wunibald, so maßlos hassen, daß ich ihn noch mit meinem Fluch von den Pforten der Seligkeit zurück geißeln muß!«

Der Weidmann war empor gesprungen, strahlende Glückseligkeit hatte bei ihren ersten Worten aus seinem Auge gelacht, dann zog Wolke um Wolke über seine redliche Stirne, und als sie schwieg, schüttelte er leise das Haupt und legte den Arm um ihren Nacken.

»O nicht so, Mustela!« sprach er weich, »der liebe Herrgott spricht: mein ist die Rache, ich will vergelten! nicht Du sollst Dein kindlich Herz mit solchen Bildern voll Schrecknis füllen! Daß Du den Ritter nicht lieben, ihm nicht zu eigen gehören willst, Du herzig Mägdlein, das ist recht und wohlgethan und läßet mein Herz fast zerspringen vor Wonne und Lebenslust, aber daß Du ihn hassen willst, das darf ich nimmermehr zugeben, denn sieh, Mustela, ich bin des Wolfsgeils Lehensmann und muß über sein Heil und Wohlergehen wachen, wie dürfte ich es also zugeben, daß meine eigne Hausfrau ihren Brodherrn haßt?«

»Er hat's verdient!« brauste Mustela auf, »es läßt sich die Gerechtigkeit nicht ersticken!«

»Gerechtigkeit?« fragte der Jäger in mildem Ernst, »ist es gerecht, klein Wiesel, den Sohn für die Missethat des Vaters zu strafen? Carl Wolfgang war ein unschuldig Kindlein, da sein Vater richtete, soll er darum für fremde Thaten verantwortlich sein?«

»Des Vaters Sinn hat sich dem Sohn vererbt!« rief die Vogelstellerin aufgeregt, sie wollte taub sein für seine Worte, sie klammerte sich mit der Macht der Verzweiflung an die Notwendigkeit dieses Hasses, »so ungerecht wie einst meine Mutter verdammt wurde, so gewissenlos würde auch Carl Wolfgang mit Leben und Freiheit seiner Dienstbaren verfahren; wie sollte sich das Blut so wandeln und verleugnen? Just so grausam wie der verstorbene Ritter, so falsch wie dessen Eheweib, so …«

»Mustela!« unterbrach Wunibald vorwurfsvoll, »halt ein und höre mich erst an! Grausam, gewissenlos sagst Du? Hat denn der Ritter Deine Mutter ohne Grund und Ursache verurteilt? war sie denn nicht des Diebstahls, der Verletzung der Gastfreundschaft, der Ketzerei aufs schlimmste angeklagt? Hat nicht der Ritter geglaubt, ein rechtlich Halsgericht zu halten? Hat er nicht des Weibes Unschuld verteidigt, bis ihre Schandthat nicht mehr zu leugnen war – –«

»Sie war unschuldig!«

»Sie war's – und darum ist auch der alte Wolfsgeil voll Jammer und Herzeleid in das Grab gesunken, und sein Weib, deren Eifersucht das ganze Unheil heraufbeschworen, die ist furchtbar gestraft durch den Fluch, welchen Juan Piccolo ihr noch auf dem Todbett in die Ewigkeit nachgesandt! Sieh, mein liebes Dirnlein, wir alle sind Menschen und unsere Weisheit eitel Stückwerk; mußte der alte Wolfsgeil nicht glauben, was er mit Augen sah, konnte er wohl seines Weibes Herz erschauen und ihr, die seinem Herzen am nächsten stand, so schwere Schuld zutrauen? Wer von uns allen wäre wohl ein schuldloser Richter auf Erden!«

»So hätte er ein Gottesgericht befragen sollen!« rief die Vogelstellerin mit zitternden Lippen, »aber er that es nicht und überantwortete die Unschuld dem Gerichte!«

»Ein Gottesgericht, da des Weibes Schuld vor vielen Augen erwiesen war, oder es wenigstens schien? Wie hätte ein Ritter und Edelmann den Lauf der Gerechtigkeit also hemmen dürfen? O glaube mir, Mustela, die Schaffnerin hat es mir anvertraut, daß seit des Weibes Tod jeglich Lächeln von dem Angesicht des Wolfsgeil gewichen ist, denn er hatte die Heimatlose geliebt wie nie vorher ein Weib auf Erden. Wenn Du Höllenqualen Strafe nennst, so war der Burgherr fürchterlich gestraft, denn in dem Fegefeuer können die armen Seelen nicht härter leiden, als er es schon im Leben gethan! Und darum denk an das Gebot unseres lieben Herrgotts, klein Wiesel, der da spricht: ›liebet euere Feinde‹ und vergieb und rechte nicht mit Toten, noch weniger aber lade Du des Vaters Schuld auf das Haupt des Sohnes, denn Du würdest damit derselben Sünde, welche Du heimsuchen willst, schuldig werden und Verbrechen strafen, wo es keine giebt!« Jung Wunibald zog die schluchzende Maid fest an seine Brust, blickte sie mit treuen Augen an und fuhr zärtlich fort: »Und darum lasse Dich erbitten, Du minniglich Dirnlein, und scheuche solche Teufelsbrut böser Gedanken aus dem Kopf; stehe mir die liebe Himmelskönigin bei, daß Du den Junker niemals lieben mögest, aber verhüte sie es auch voll Gnaden, daß Du ihn ohne Ursach hassen willst!«

Da preßte Juan Piccolos Enkelin in furchtbarer Qual die Hände vor das Angesicht und rief: »O daß die säumige Heilige mir den guten Engel schickt, da es zu spät zur Umkehr!« – –

Als der Weidgesell gegangen, warf sich Mustela auf die Kniee und betete. »Herr, mein Gott!« rief sie verzweifelt, »warum weckst Du Vogelstimmen zur Anklage wider ihn und sendest mir dennoch Versuchung in den Weg, meine Seele umzuwandeln? Du allgewaltiger Richter, der Du ein Wunder thatest, Deinen Zorn zu künden, warum läßest Du mir jetzo Liebe predigen, damit ich an Dir – an ihm verzweifeln muß? Da ich Deiner Rache meinen fürchterlichen Eid gethan, laß mich ihr auch anhangen und stärke mich, Herr, daß mein schwaches Fleisch nicht der harten Prüfung unterliege!«

Wie an einem letzten rettenden, Anker inmitten dieser hohen Flut des Zweifels, klammerte sich das Heidekind an die Erscheinung jenes schwarzen Vogels, der Gottesstimme, welche so grauenvolles Urteil über den Wolfsgeil gerufen! Mußten dagegen nicht alle andern Zeichen trügerisch sein? Mußte es die göttliche Weisheit nicht besser wissen, wie Jung Wunibalds redlich Herz, ob Carl Wolfgang Strafe verdiente, oder nicht? Wie brachen doch seine Worte so kraftlos zusammen gegen diese furchtbare Offenbarung seiner Schuld! – Nein, Mustela wird ihren Eid halten, den sie in dem Bauernrat, bei ihrem Blut und Leben schwur, sie wird die Burg verraten als ein willenlos Werkzeug göttlichen Ratschlusses, sie wird die Hände auf das Herz pressen, die Augen schließen und die Mauern der Wolfsburg stürzen, um sich und all ihr Herzeleid darunter zu begraben. Der schwarze Vogel an dem Opferstein war das unheilvolle Wahrzeichen, das blutige Banner, welches Mustela sich selber betäubend durch die Sinne rauschen ließ.

Jung Wunibald drängte nach baldiger Vereinigung mit der Geliebten, aber Mustela bat und schmeichelte mit bleichen Wangen, den Tag des Johannis zu diesem Feste abzuwarten, da dieser Heilige ihr Schutzpatron sei und ihnen gewiß ein volles Glück bei den Himmlischen erflehen würde.

Näher und näher rückte der Tag des Neumonds. Da begab es sich, daß die Vogelstellerin mit den Mägden der Burg zur Bleiche ging. Als sie geneigten Hauptes durch das Burgthor schritt, fühlte sie plötzlich ihr Gewand ergriffen und eine wohlbekannte Stimme schlug an ihr Ohr: »Eia, Du wildes Wiesel, sind Deine Schelmenäuglein denn so gewaltig trübe geworden, daß sie selbst des alten Severino nicht mehr gewahren?!»

Da that die Kleine einen grellen Jubelschrei, schleuderte den Korb mitsamt seinen Linnen weit von sich und schlang die Arme voll krampfhafter Zärtlichkeit um des Klausners Nacken.

»O ihr lieben Schutzengel!« rief sie voll Herzenslust, »schickt ihr mir meinen guten, alten Brummbär aus dem Walde heraus, damit ich mich seiner vergnüglichen Äuglein freue?! Schnell herein, Du zottiger Waldmensch, auf daß Frau Ursula schauen möge, wie viel wunderlichere Menschenkinder noch, denn ihr Wiesel, drunten im Waldgrund herum laufen!« und sie faßte ihn ungestüm bei beiden Händen und wollte ihn mit sich fort über die Zugbrücke ziehen.

» Sancta sanctuarium!« prustete der Alte, noch dunkelrot und atemlos von Hermengilds stürmischer Liebkosung. »Halt ein, Du Teufelsbrätlein von einer mustela vulgaris, ex ungue mustela! Will mir der junge Sausewind schier Leib und Seele auseinanderreißen mit seinen thunichtguten Pfötlein! In succum et sanguinem ist ihr die mörderische Art ihres Beinämleins geworden!« und Pater Severino zupfte sorgfältig seine Kutte zurecht und rückte den Rosenkranz wieder zierlich an den Gürtelknoten.

Mustela lachte hell auf und schlug die Hände zusammen. »Ist mir's denn ein Traum, daß der Severino ein nagelneu Zwilchgewand auf den Schultern hat und säuberlich geflickte Fußleder … und … o Du ewiges miraculum, ich glaube, Severino, Du hast Dich sogar gewaschen!!«

Der Alte trippelte verlegen von einem Fuß auf den andern und strich die groben Falten mit stark geheuchelter Nachlässigkeit über den Hüften glatt. »Lässet doch seine Äuglein allerwend herumspazieren, das kauderwelsche Dirnlein!« sagte er, nicht ohne roten Anflug auf den Wangen, »ist ein altes Röcklein, so ich seit Jahren im Walde gespart habe und nicht den Schlehdornen zum Prost Mahlzeit hab' auftischen wollen, nun aber ist auch seine Zeit gekommen, erst der alte, dann der neue, festina lente! sagt die unsterbliche Sprache!«

Mustela nickte. »Ist recht, Pater Severino, daß Du Dich so festlich geputzt hast zu diesem Besuch! will gern Staat mit Dir machen auf der Wolfsburg! So komm, daß ich Dich zu meiner lieben Frau Ursula führe!«

Severino zögerte und fuhr sich hastig mit beiden Händen über den struppigen Haarbusch, welcher eigensinnig über der Stirn emporstrebte.

»Fein behutsam, klein Schalklein!« wehrte er ab, »ist mir ein gar wunderlich Gefühl, durch selbes Thor zu schreiten! Frau Ursula? o dii, schau mich flink noch einmal an, Wiesel, ob ich mit Anstand vor sie treten kann?«

Mustela wich übermütig zurück, legte die Hände hohl um die Augen und betrachtete sehr ernsthaft des Paters Severino hageren Gesamteindruck. Dann faßte sie ihn an der Schulter und drehte ihn langsam nach allen Seiten.

»Pst! pst!!« wehrte der Alte mit verlegenem Blick nach den seitwärts hantierenden Mägden ab, »quos ego!! Du Närrlein, willst Du Dich wohl nicht so auffallend gebahren?!«

Hermengild neigte sich respektvoll und sprach: »Habe nimmer einen solch sauberen Einsiedler geschaut, frommer Vater, hättest Du anitz noch ein lustig Hütlein auf dem Ohr und den Rosmarin im Gurt, Du könntest mit jeglichem Dirnlein zum Reigen springen!« und sie faßte seine Hand und schritt ehrbar mit ihm in den Burghof. Vorsichtig leitete sie ihn nach dem Stüblein der Schaffnerin, steckte das Köpfchen spähend hinein und rief: »Hollah, Frau Ursel! steht ein fahrender Mann vor der Thür und will Euch ein Liedlein aus alter Zeit zur Laute singen!«

»Narretei mit solchem losen Vogel!« erwiderte die Matrone das Haupt schüttelnd, »schaff ihm ein Krüglein Wein und einen Zubiß und heiß ihn in Gottes Namen weiter ziehen!«

»Möchte mir schwer werden, so grausam zu sein!« lachte die Vogelstellerin, »komm Du fein selber, Du bitterbös Weiblein, und sag's ihm!« und sie stieß die Thüre auf, faßte den angstvollen Klausner herzhaft an der Schulter und schob ihn hinein.

»Jesus Maria!« gellte es durch das Stüblein, der Spinnrocken polterte zur Erde, das Blut wich aus den Wangen der Alten und Mustela zog leise die Thüre hinter sich zu, sie wollte keine Thränen auf Frau Ursels Antlitz schauen. – –

*

Hermengild schritt gedankenvoll hinab in das kleine Gärtchen, trat an die Brüstung und spähte aufmerksam hinab in die klüftige Tiefe. Die alte, wilde Kletterlust erwachte in ihr, sie maß die Tiefe mit dem Blick und prüfte die scharfen Felszacken, war es so schwer da hinab zu kommen? O nein! man darf nur nicht schwindlich sein! Auf den vielen Kanten und Felsrissen findet der Fuß gar sicheren Halt, die Hände können sich an die Zacken und das niedere Dornengestrüpp klammern, dann kommt eine kurze, unbewachsene, fast senkrecht abfallende Wand, aber in ihrer Mitte schlängelt sich die breite, bequeme Rinne entlang, welche Zeit und Regengüsse glatt poliert, wie bequem läßt es sich da hinab rutschen; man muß nur ein Wiesel sein um es zu verstehen! Drunten aber, ungefähr in der Mitte des hohen Burgfelsens springt die breite Felsplatte vor, welche sich gleich ebener Kanzel über die Tiefe hebt und die Blicke des Heidekindes im Weiterschauen hemmt.

Mustela lächelt. Wie viel Menschen haben wohl schon schaudernd hier gestanden und in diesen Abgrund hernieder gespäht, es für eine Unmöglichkeit haltend, jemals zur Tiefe hernieder klimmen zu können, und sie, das kleine, gewandte Dirnlein lächelt solcher Gefahr und kann kaum die waghalsigen Füßlein hüten, welche am liebsten sofort die kühne Probe bestehen möchten.

Und weiter fliegt ihr Blick über Thal und Wälder zu dem roten Heidestreif, welcher ihr von fernher entgegen schimmert, zu den hohen Wipfeln, unter welchen der Opferstein steht und ihren Schwur vernommen hat, Hermengild zuckt empor und wendet sich hastig zum Weiterschreiten. Lavendel und Ranuncula blühen auf den Beeten, breitsternige Astern und Herbstlosen, das Laub beginnt sich zu färben, hie und da wirbelt schon ein falbes Blatt zur Erde.

Die Vogelstellerin wandelt durch das schmale Gärtlein, streicht mit der kleinen Hand über die nickenden Blumenköpfchen und schaut dem Schmetterling nach, welcher duftbetäubt von Kelch zu Kelch taumelt.

Da klingen Stimmen an ihr Ohr, auf den Altan sind Fräulein Guntramis und der fahrende Sänger von des Landgrafen zu Thüringen Hof getreten.

Sie gewahren die Maid nicht, breitlaubige Holunderstauden decken ihre Gestalt.

Hermengild regt sich nicht, nervöses Zucken fliegt um ihre Lippen und die fest geschlossene Hand preßt sich gegen ihre Brust. »Bemitleide mich!« hatte Carl Wolfgang zu ihr gesagt, ja, sie will ihn bemitleiden, den armen, verratenen Mann! An jenem Abend, da sie vom Kämmerlein aus des Edelfräuleins falschen Kuß belauscht und wild frohlockt hatte im Gefühle ihrer Rache, an jenem Abend kannte sie kein Erbarmen für den blonden Burgherrn, heute aber zittert ein fremdes Weh durch ihre Brust, eine quälende Angst um Carl Wolfgangs betrogenes Lebensglück, welches sie mit fliegenden Pulsen lauschen läßt.

»Guntramis!« flüstert Herr Walther von der Vogelweide weich und innig, »fühlet Ihr nicht selber, wie ungerecht Euer Vorwurf ist? Wisset Ihr es nicht am besten, wie schwer mir das Scheiden wird und wie gerne ich noch länger auf der Wolfsburg weilte, um zu Euern Füßen Welt und Leben zu vergessen?«

Leiser Seufzer war die Antwort, dann fragte Fräulein von Orbe mit geneigtem Haupt: »Und was treibt Euch von hinnen?«

Der Minnesänger stützte den Arm auf das Gelände des Altans, über welches sich Geisblatt und Epheu rankte und schaukelnde Gewinde zum Gärtlein hernieder wehen ließ, sein dunkles Auge brannte düster auf dem Antlitz der Edeldame.

»Vor den Augen der Welt lockt mich der Ruf meines Herren Friedrich, seines Söhnlein Heinrich VII. Erzieher zu werden«, sagte er mit Betonung, »das deucht mir ein fruchtbar Feld um junges Lorbeerreis zu pflanzen, und da Ihr es ja wohl wisset, Jungfräulein, daß des Menschen Seele an etwas hangen muß, so habe ich mir weltliche Ehr und Rittertum erwählet und die Frau Aventiure in fremder Herren Länder, welcher ich hinfort dienen will, anstatt der Frau Minne, denn selbige hat mich gar grausam verlassen und mir nimmermehr Sieg verheißen.«

Herr Walther hielt momentan inne, dann fuhr er gedämpfter und hastiger fort: »Was mich aber in Wahrheit von dannen treibt, Guntramis, das wißt nur Ihr und der Herrgott, welcher in die Menschenherzen blicken kann; da ich Euch aus der Wartburg zuerst erschaute, da grüßte mich die Königin Minne gar holdselig aus Euerem Augenpaar und ließ mich Lieder singen, so alle nur zu Euerem Preis erschallen; durfte ich aber auf den Lohn hoffen, so treuer Minne verheißen ist? O Guntramis, ich war ein unglückselig, zweitgeboren Fantlein, deß größter Reichtum Laute und Minnesang war. Das mochte Euerm Vater nicht behagen, denn auch Ihr, Jungfräulein, wart mit wenig Hab und Gut gesegnet und durch Frau Rosina hier zu Wolfgeils Ehgemahl erlesen. So sang ich Euch ein letztes Lied und zog davon, ein unglücksel'ger Mann und dennoch reicher als ein König, denn Euer Herz, schön Guntramis, führte ich mit mir!«

Fräulein von Orbe schlug die Hände vor ihr Angesicht. »O gebt's zurück, Herr Walther!« rief sie schmerzlich, »Ihr wisset nicht, wie elend ich mich ohne dieses Herz gefühlt!«

Da schüttelte er heftig das Haupt und umspannte ihre schlanke Hand mit seiner Rechten.

»Aug um Auge, Zahn um Zahn!« rief er, »ich lasse mein Glück bei Euch dafür zurück! Was wollt Ihr mit dem Herzlein? es dem Wolfsgeil schenken? Dem gabt Ihr schon zu viel, gabt Eure Hand und Euer Wort. So lasset jedem denn das Seine.«

Da brach Fräulein von Orbe ein Zweiglein Epheu und reichte es dem Sänger dar.

»Ihr wisset, Herr Walther, was solch ein immergrünes Laub besagt, nehmt es als Abschiedsgruß und zieht mit Gott in Euer neues Heimatland. Doch wenn Ihr all die fremde Schönheit schaut, so lasset Euern Sinn nicht dadurch beirren, sondern nehmet ein Beispiel an diesem Reislein und lasset Euere Treue so wankellos sein, wie seine Farbe!«

Da faßte der ritterliche Minnefänger schnell in die Saiten seiner Laute, welche er an blaugesticktem Band zur Seite trug, und er beugte das Knie, küßte den Epheu und sang leise zu ihr empor:

»Ich han lande vil gesehen,
Unde nam der besten gerne war,
Übel müeze mir geschehen
Kunde ich min herze bringen dar …«

Da klang Hornruf auf dem Hof, der Herr von der Vogelweide sprang empor, barg den Epheu im Wams und blickte Fräulein Guntramis lange, lange in die feuchten Augen, dann trat er ein paar Schritte zurück in den vollen Glanz der Abendsonne und sprach: »Drunten ruft mich das Schicksal aufs Roß, Jungfräulein, lasset Euch minniglich Dank sagen für die gastliche Rast, welche Ihr unter der Wolfsburg Dach einem fahrenden Troubadour vergönnt!« gleichzeitig aber neigte er sich gegen Frau Rosina, welche langsam zu der Nichte aus den Altan getreten war. –

Den Burgberg herab waren die Rosse der Edelleute getrabt. Carl Wolfgang gab dem Gast ein Stück Weges das Geleite, bis er allein den Weg zum Schweinsberg finden konnte, dort wollte er zum Nachtlager einkehren; Guntramis aber war hinauf zu dem Söller gestiegen und hatte den Scheidenden gar rastlos nachgewinkt.

In tiefen Gedanken verharrte Mustela im Gärtlein, sie hörte durch der Schaffnerin Fensterlein das eifrige Erzählen Severinos, wie er so hitzig den Kampfruf nachahmte und laut und vernehmlich durch die Stille rief:

»Haia zieht mit Schwertes Schall,
Gläubige, auf Allons Wall!« –

Da wußte die Vogelstellerin ganz genau, bei welchem Lebenskapitel des Alten Erzählung angelangt war, daß sie noch lange, lange nicht zu Ende kam und noch viel Heidenblut fließen, viel Aventiure bestanden werden muß, ehe der wackere Kreuzesstreiter Severino nach der Heimat pilgert. Wie oft hatte sie diesen unglaublichen Heldenthaten schon mit pochendem Herzen gelauscht, wenn der Mönch mit ihr vor dem Borkenhüttlein saß und im Geiste noch einmal Türkenschädel splitterte, sechs mit einem Schwerthieb, noch einmal zwischen Löwen und Hyänen mit den Fäusten um sein Dasein kämpfte, noch einmal ganz allein den gefangenen Richard Löwenherz mitten aus dem Sarazenenlager stahl – und jetzt war er erst bei Akkon angelangt? Da hatte Mustela noch unbemessene Zeit zum Rasten! Es war so schön hier, so friedlich und einsam, und das weite Himmelsgewölbe spannte sich so rein und endlos droben aus, von goldenen Strahlengarben durchflammt, welche die flockigen Wölkchen mit breiten Purpurstreifen säumten. Das Heidekind schob die Arme unter das Haupt, legte sich noch tiefer in die Zweige der Jasminlaube zurück und folgte mit dem Blick den Vöglein, welche ihre Schwingen so jubelnd in der blauen Luft badeten.

O ihr glücklichen Wandergesellen, daß euch allein die Flügel der Freiheit gewachsen! Mustela starrte wieder empor nach dem Balkon und sah im Geiste noch immer die beiden schönen Menschenbilder droben stehn; wie hatte sie doch Fräulein Guntramis um ihres Stolzes willen gehaßt, wie hatte sie mit zuckendem Herzen das Edelfräulein glücklich gepriesen, so glücklich im Besitz des Köstlichsten, was nur rings die weite Erde trug, wie hatte sie gewähnt, daß ihr das Leben ein himmlisch Gut sein müsse, zu schön und wonnenvoll, um es in Worten schildern zu können, und nun? O du falsche, tückische Minne! bist du denn nur zur Welt gekommen, um Qual und Herzeleid zu schaffen? Wer ist glücklich hier? vollkommen glücklich? Wohl nur der arme Gesell, den sie gestern mit durchstochener Brust an seines Dirnleins Grab gefunden, der lag so still und friedlich und lächelte mit bleichen Lippen.

Hatte nicht Wunnibald gesagt, der Duft des Jasmin könne den Menschen im Schlafe töten? Wie müde war sie, wie gern hätte sie in langem, süßem Traume gelegen, aber dazu war noch die Zeit nicht gekommen. –

Hermengild erhob sich langsam und schritt durch die Blumenbeete dem Ausgang des Gärtleins zu. Ihr Blick haftete auf den Astersternen, welche, von unachtsamem Fuß zertreten, welkend auf dem Sande lagen. Da neigte sie sich und richtete die armen Pflänzlein mitleidig empor. Zu gleicher Zeit fiel ein Schatten über den Weg, und da sie aufschaute, wich sie mit leisem Aufschrei zurück.

»Wie unwillkommen muß mein Anblick sein!« lächelte Carl Wolfgang bitter, »und wie groß das Unheil, meinen Weg zu kreuzen! –

»Seid Ihr es denn selber, oder ist es Zauberwerk vor meinem Blick? Hab Euch doch mit eignen Augen an Herrn Walthers Seite zum Thal sprengen sehn!«

Da sah sie Carl Wolfgang forschend an. »Nur darum Dein Schreck? Mein Roß hat ein Eisen verloren und lahmte auf den scharfen Steinen, da kehrte ich's zur Burg. Was thust Du hier? bist Du wieder ganz gesund?«

Ihre bleichen Wangen färbten sich höher. »Ich schaute in die Ebene, Junker, just nach dem schmalen Heidenstreiflein, welches drunten durch die Wipfel schimmert!«

»Und brachst Dir Blüten zum Strauß?«

Sie schüttelte finster das Haupt. »Ich breche keine Blumen!« sagte sie spottend, mit halbem Seitenblick. Da preßten sich seine Zähne auf die Lippe, und dunkle Glut stieg in die Schläfen empor. Er wandte sich mit hastigem Umblick zur Seite und trat an das Mäuerlein, an dessen Saum allerlei Unkraut sproßte. Wortlos wies er auf einen kleinen Klettenbusch, welcher im Gestein kümmerte. Dann neigte er sich, brach mit sicherer Hand ein graues Zweiglein und reichte es langsam, tiefernst dem Heidekind entgegen.

Alles Blut wich zu ihrem Herzen, mit starrem Blick schaute sie auf die Klette, lange, regungslos wie im Traume, dann schüttelte sie wild das Haupt, schlug die Hände vor das Angesicht und taumelte aufstöhnend zurück. »Zu spät! zu spät!« rang es sich von ihrer Lippe.

Da hob er die Hand und schleuderte den Zweig über die Mauer in die Tiefe hinab. –

Mustela aber floh mit schwindelnden Sinnen zu dem Kämmerlein der Schaffnerin empor. – –

Droben saß der Klausner, ein kräftig Schwarzbrod und ein leckeres Stück Salzfleisch vor sich auf dem Tisch, und daneben einen mächtigen Humpen Brunnenwasser, in welchen Frau Ursula fleißig aus dem breitbauchigen Steinkrüglein zufüllte, aus eitel Fürsicht, denn in Sommerszeit soll ein kalter Trunk übel Schaden thun und es nützlich sein, ein paar Tropfen Wachholdergeist hinein zu mengen.

»Waïa!« hatte Severino zuerst voll Entsetzen abgewehrt, »ehrsame Fraue; laßt ab! wisset Ihr nicht, daß ich mich der Nüchternheit verschworen habe?«

Da nickte die Matrone behäbig und lächelte: »Seid nur ganz getrost, frommer Bruder, habe das Rezeptlein zu diesem Gebräu nirgends anders her, denn aus dem Marburger Kloster, wo die Geschorenen sämtlich solch Gelöbnis gethan; muß also ein unschädlich Säftlein sein, so ohne Reu' und Gewissensbisse in den Trunk gemischt werden kann!«

Schmunzelnd hörte es der Alte und war so im Eifer, den Berg Karmel zu beschreiben, daß er keine Zeit zur Widerrede mehr fand, als aber Frau Ursel hie und da sorglich das Krüglein hob, dem Wasser noch etwas kräftigere Färbung zu geben, da hatte der Klausner merkwürdig blöde Augen, so kurzsichtig, daß er's nimmer sah.

So saßen die beiden alten Bekannten weltvergessen in dem Schaffnerinnenstüblein auf der Wolfsburg. Die Hände gefaltet, schaute die Matrone regungslos in das faltige Gesicht des Einsiedlers, sie forschte darin nach einem lieben, ach so lange nicht geschauten Bildnis, welches endlich Zug um Zug erwachte, wie aus trüben Nebelschichten tauchend, welche Alter, Sorge und Entbehrung in silbernem Schleier auf das Haupt gesenkt. Nach wie viel langen, bangen Jahren schaute sie dies Antlitz wieder! Welch ein tiefes Grab hatte sich zwischen sie gesenkt, welches unbarmherzig all ihr hold geträumtes Jugendglück verschlungen! Sollte sie weich werden, jetzt noch, nachdem sie ein halbes Menschenleben lang so heldenmütig stark gewesen? O nein! das hätte nur das Wiedersehen getrübt und darum schluckte Frau Ursel wacker die aufsteigenden Thränen herab und freute sich des alten Freundes, wie er so strahlend froh an ihrer Seite saß und dem Imbiß alle Ehre anthat; das füllte ihr redlich Hausfrauenherz mit stolzer Genugthuung. Auch lauschte sie eifrig seiner wundersamen Lebensgeschichte, schlug gar oft mit weitgeöffneten Augen die Hände zusammen, zitterte vor Angst und klatschte jubelnd Beifall, –keine Silbe entging ihr, sie lebte im Geiste selber im Gelobten Land und bestand in eigener Person all des Severinos Aventiure.

Da ward die Thüre aufgestoßen, Mustela stürmte mit verstörtem Antlitz in das Stüblein und schlang die Arme um Ursulas Nacken.

»Laßt mich bei Euch sein!« bat sie zitternd.

»Dirnlein! Gott helf mir, was ficht Dich an, daß Du so außer Dir bist?!« rief die Schaffnerin erschreckt, »kommst ja wie der Wirbelwind und bebst an allen Gliedern!«

»Hat das Wiesel wieder herum getollt?!« drohte der Klausner mit dem Finger, »und will selbst als des Wunibalds Herzliebste und baldige Hausfrau, noch nicht bedächtig werden? Habe geglaubt, an Frau Ursulas Seite würde ein gar ehrbar Frauensbild aus Dir werden, »docendo discimus!« sagt doch die unsterbliche Sprache.«

Da zwang sich die Vogelstellerin zur Beherrschung, schüttelte abgewandt das Haupt und sprach: »Wollte Gott, daß ich die Ruhe fänd'!« Dann setzte sie sich auf den Schemel zu Ursulas Füßen, legte das Haupt auf die Kniee der Alten und bat: »Erzähle weiter, guter Severino, ich höre es so gern!« –

Und so verharrte sie regungslos, bis der Klausner endlich emporsprang, nach dem blassen Dämmelicht hinauswies und rief: »Eia, über all dies Schwatzen ist die Nacht herausgekommen und trifft mich saumseligen Gesell noch immer in guter Ruh an diesem Tischlein deck dich! ex improviso!«

Und er rüstete sich zum Heimweg.

Da eilte Frau Ursula behende davon und sprach: »Verweile noch ein Brieslein, Severino, bis ich Dir einen Rucksack für die Klause gefüllt habe! Ist gute Zeit jetzt, habe Hülle und Fülle in meinen Vorratskammern!« Da strich sich der Einsiedler ganz verlegen mit der flachen Hand über den Magen und wehrte mit einem Kratzfuß. »Ei so behüt' doch, Frau Schaffnerin!!« aber er meinte es nicht so ernstlich mit der Weigerung. Als sich die Thüre hinter der Matrone geschlossen, sprach er flink zu Mustela: »Höre, Kind! hat Juan Piccolo mir gesagt, ich solle Dich heute abend zum Geleit mit vor das Burgthor nehmen, bis dahin, wo der Busch am Weg beginnt. Dort wird der Bauer Heriberth stehen, der wichtige Kundschaft für Dich bringt. Hörst Du, Mustela, sollst bei Leibe zur Stelle sein, hat Piccolo gesagt, expressis verbis!« Da rang sich ein schwerer Seufzer aus der Brust des Dirnleins, und sie senkte das Haupt wie eine Gerichtete und murmelte tonlos: »Ich komme.«

»Ist gar wundersam mit seiner Heimlichthuerei, der alte Piccolo!« fuhr der Klausner beweglich fort, »hat etwas auf dem Herzen, etwas Gewichtiges und verbirgt's mir! Eia mit dem Duckmäuser, werd' ihn zur heiligen Beichte rufen, auf daß er's bekennen muß!«

»So weißt Du nichts?!« fuhr Hermengilde auf.

»In suspenso bin ich, würde die unsterbliche Sprache sagen!« kollerte Severino, seinen Haarbusch rebellisch zum Himmel sträubend, »weiß, daß er an der Wendelseiche geredet hat, zu vielen Bauern, heimlich, aber was? was! Daß er seiner gerichteten Tochter Erwähnung gethan, mich zum Zeugen genannt, relate refero! haben mich aber nicht gefragt!« Und Pater Severino schritt heftig beleidigt auf und ab.

Da faßte Mustela traurig seinen Arm und sah ihm ernst in die Augen. »O daß ich mit Dir tauschen könnte, Du Glücklicher, Ahnungsloser! Danke Gott für diese Wohlthat und warte noch kurze, kurze Zeit, dann weißt Du alles, mehr vielleicht als Dir lieb ist!«

Forschend schaute der Einsiedler in das bleiche Antlitz, zärtlich, ängstlich streichelte er das schlanke Köpfchen. »Ist meine Mustela unglücklich? mein wildes, ausgelassenes Wiesel? oh diis! nur das nicht!«

Da drückte sie seine Hände und rief aufgeregt: »Es ist bald vorüber, sehr bald schon und dann werde ich glücklich sein, für ewige Zeit.«

»Vixi credo!« seufzte er aus, »Dein Leid sitzt tief. Doch sustine et abstine! sagt die unsterbliche Sprache, bist ein junges Blut, und die Zeit heilt viel!« Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann rief der Klausner heiter: »Eia, lieb Dirnlein, laß nur erst Dein Kranzfest vor der Thüre sein, dann werden die trüben Äuglein schon blinken wie die Himmelslichter in Winterszeit, und alles Jammers bist Du bar! oh sancta Cäcilia, zum Johannistag will ich zur Wolfsburg steigen und meinem Wieselein das Kränzlein über die Thüre hängen!« Und er schnalzte mit der Zunge und that einen zierlichen Sprung wie vor 30 Jahren, da er noch den Zindelhut dazu in die Lust warf. In demselben Augenblick trat auch Frau Ursula wieder über die Schwelle, sah des Alten Heiterkeit und lachte.

»Da schau, Du einsiedlerischer Gesell! was für fette Bröcklein ich Deinem Kessel zugedacht!« Und sie hielt ihm die offene Ledertasche unter die Nase und fuhr fort: »Lendenstücklein vom Hirsch und Wildschwein, einen gebratenen welschen Hahn, und Speckstreif daneben, auch die platten Eisenküchlein, die Du früher so gerne aßest! Aber zuunterst, schau hier, in der Hirse versteckt, da sitzt 's Beste!«

Severino hielt den Atem an, beugte sich noch tiefer zu der Tasche und blinzelte sehr begierig hinein. »Beim heiligen Laurentius, Ursula! da riecht so viel lecker Eßwerk drauß hervor, daß ich es nimmer unterscheiden kann!« rang es sich von seinen zugespitzten Lippen.

Da schob die Schaffnerin das Fleisch bei Seite, schütterte die Hirsekörnlein zurück und ließ ihn wieder schauen. » Oh diis! oh gloria!« klang es fast schluchzend vor Entzücken von des Alten Lippen. »Ein Breitbauchiges! ein Rezeptlein von den frommen Brüdern in Marburg! Weiß keine Worte dafür, Frau Schaffnerin, aber jetzt habet Ihr mich weich gemacht wie ein Butterwecklein in der Sonne!« Und er faßte den Kuttenärmel und fuhr hastig über die Augen.

Auch Frau Ursula war weich, sie schnürte hastig die Tasche zu, wischte schnell die rollenden Thränen von der Wange und faßte des Klausners Hand, »Ist schon lange her, Severino, daß wir uns zum letztenmal etwas Gutes thun konnten,« sagte sie schluckend, »aber, na, so Gott will, ist noch nicht aller Tage Abend, und wenn das Täschlein leer ist, bringst Du es wieder zur Wolfsburg!«

» Fiat, Du braves Weiblein, fiat!« rief Severino mit Donnerstimme, all die Aufrichtigkeit seines Dankes in die Kehle legend, und er schüttelte ihr ohne Unterlaß die Hände und nickte ihr voll Rührung zu. »Ich komme wieder, die Tasche soll leer sein, proxime! sagt die unsterbliche Sprache! Und bis dahin sollen alle lieben Heiligen mit Dir sein und sollen Dir's im Himmel anschreiben, was Du an mir gethan!« Und er hing die schwere Tasche über die Schulter, nahm abermals ihre Hände und konnte sich gar nicht losreißen.

Da rasselte drunten die Glocke, welche die Dienstbaren zum Abendessen rief, Ursula schrak empor, nickte dem Klausner herzlich zu und schob ihn vor sich her zur Thüre hinaus. – –

Langsam schritt Mustela an des Klausners Seite durch das Burgthor, den Reitweg hinab. Es fiel nicht auf, daß das Dirnlein noch ein paar Schritte das Geleite gab, und außerdem war das Gesinde schon in der Burghalle um die Suppentöpfe versammelt. Wo der Busch zu beiden Seiten des Weges beginnt, blieb der Klausner stehn und spähte eifrig in das dämmernde Laubwerk, mechanisch hob die Vogelstellerin das geneigte Haupt und klatschte in die Hände.

Da knisterte es im Gebüsch, ein Haupt, breite Schultern tauchten aus den Zweigen, und mit vorsichtigem Umblick glitt Heriberth aus seinem Versteck hervor, einen verhüllten Gegenstand sorglich im Arme.

Er trat hastig auf Hermengilde zu und reichte ihr die Hand. »Im Namen des Bauernrats!« flüsterte er.

Sie nickte und sah ihn fragend an.

Da zog er sie etwas bei Seite und raunte in ihr Ohr: »Schick den Klausner fort, mein Auftrag ist für Dich allein!«

Das Heidekind faßte Severinos Arm und bat mit finsterem Blick: »Er hat Geheimnisse, Severino, laß uns allein!«

Da schüttelte der Alte verständnislos das graue Haupt, drückte ihre Hand und ging. Den kostbaren Schnappsack fest unter den Arm gedrückt, entschwand er mit eiligen Schritten in dem dichtbuschigen Zweigholz.

Mustela sah ihm nach, ohne sich zu regen fragte sie herb: »Was willst Du, Heriberth?«

»Juan Piccolo schickt mich!« flüsterte der Bursch aufgeregt, »läßt Dich an Deinen Schwur gemahnen und Dir sagen, morgen nacht habe der Wolfsburg Stündlein geschlagen.«

Mustela zuckte zusammen, aber sie schwieg.

»Um die Mitternachtsstunde soll das Teufelsnest berannt werden,« fuhr Heriberth fort, »und verlangt Juan Piccolo als Lösung Deines Eides, daß Du den Brand in das Dach des Herrenhauses und in die Stallungen wirfst. Das jagt die Dienstbaren aus dem Bau in unsere Speere.«

Die Vogelstellerin verschränkte die Arme, ihr Blick brannte wie irrsinnig auf dem gebräunten Angesicht des Sprechenden. »Und weiter? was soll ich noch thun?« fragte sie heiser.

»Noch ein Wichtiges, Mustela!« flüsterte der Bauer dicht bei ihr, ließ den Mantel fallen und hob vorsichtig ein Vogelhäuschen empor, hinter dessen weidengeflochtenem Gitter ein dunkelgefärbter Star ängstlich aufflatterte.

»Du weißt, welch eine Wirkung die Stimme des Vogels am Opferstein gehabt,« fuhr er fort. »Die Bauern glauben an ein Wunder und streiten mit dem Todesmut des Aberwitzes. Juan Piccolo aber will Dir sein köstliches Geheimnis verraten, auf daß Du uns zu großem Dienste willig bist. Sieh, den Vogel vom Opferstein hat Juan Piccolo selber mit viel Mühe und Geduld abgerichtet, hat ihm die Zunge gelöst und ihm das Gottesurteil über den Wolfsgeil eingelernt. Hier ist nun sein Kamerad, ein zweiter Star, dessen Federlein wir in Kohlenruß getaucht und der just das kitzliche Liedlein gelernt, wie sein Genosse an der Wendelseiche. Den Star sollst Du nun während des Sturmes über die Schar der Wolfsgeilschen flattern lassen, damit sie, just wie die Bauern, diesem miraculum glauben, ihren Herrn verlassen und zu unseren Haufen überlaufen; hast Du das verstanden, Hermengilde Piccolo?«

Regungslos starrte die Maid ihn an, unheimlich groß waren die Augen, furchtbar das Lächeln, welches die bleichen Lippen verzerrte. Sie nickte, faßte wortlos den Käfig und sagte kaum verständlich: »Laß ihn einmal sprechen, Heriberth!«

Da schnalzte der Bursch mit den Fingern und spitzte die Lippen dicht gegen die Gitterstäbe.

»Wolfsgeil! … Wolfsgeil
unters Beil! … unters Beil!!«

schnarrte er nach Vogelart in das Ohr des Sängerleins. Da riß der Star den Schnabel weit auf, schlug zornig mit den Flügeln und wiederholte deutlich krächzend die furchtbaren Worte.

»Siehst Du, wie er's kann?« lachte Heriberth und sandte einen häßlichen Blick gegen die Burg. »Nun sorge mir, Dirnlein, daß er es morgen nacht just so wacker pfeift!«

Da schrillte ein furchtbares, markerschütterndes Lachen durch die Lusf, Mustela warf das Haupt wild in den Nacken und rief: »O Großvater, wie hast Du selbst Dein Enkelkind getäuscht! köstlich! Heriberth, köstlich! o das soll eine lustige Nacht morgen geben, wenn der liebe Herrgott wieder reden wird! Grüß meinen Großvater, Heriberth, und sage ihm, das Feuer solle ihm schon rechtzeitig aus dem Dach entgegenschlagen! Mustela, seine Enkelin, die den Eid an dem Opferstein geschworen, wird damit ihr blutiges Wort wieder einlösen! Heissa! heissa, Heriberth, ich erwarte Euch zu einem tollen Schwerttanz morgen! Und somit auf Wiedersehen und grüß mir meinen klugen Großvater, hörst Du, Heriberth, grüße den klugen Juan Piccolo!« Und Mustela faßte den Käfig, preßte ihn an die Brust und jagte wie gepeitscht zu der Burg zurück. Der Bauer aber schaute ihr wortlos nach. Ein Schauder rieselte ihm durch die Glieder und füllte ihn mit Entsetzen vor diesem Weibe. Er schüttelte das Haupt und murmelte: »Hätte doch niemals geglaubt, daß der Haß ein solch grausig Antlitz hat!« Dann wandte er sich schnell um und stieg eilig wieder zum Thal hernieder. – –

Der Morgen war heraufgedämmert, trüb und wolkig, hatte den lang ersehnten Regen auf das dürstende Land herniedergestäubt und die duftende Natur in neuer Lebenskraft gebadet. Dann brach Strahl um Strahl die Sonne durch das Gewölk, spannte einen breiten, farbenhellen Friedensbogen über den Himmel und trank in heißem Liebeskuß die Thränentropfen von den Blütenkelchen. –

Mustela trat aus der Kapelle, ruhig, gefaßt, seit langer Zeit wieder ein Lächeln auf der Lippe. Sie hatte die ganze, lange Nacht auf den Knieen gelegen, gerungen in qualvollster Verzweiflung, hatte die Hände zum Himmel gehoben und das Schicksal angeklagt, dessen Härte und Grausamkeit sie zu solch elendem Geschöpf gemacht, hatte ihrer Mutter gedacht und ihres Eides an dem Opferstein. Wie schwer aber war es für das bleiche, verschwommene Bild dieser nie gekannten Frau, sich zwischen das leidenschaftliche Herz des Kindes und seine Liebe zu drängen! Wie haltlos brach das lückenhafte Gebäude des Hasses in sich zusammen, wie riß die Vorsehung selber Stein um Stein aus seinem Fundament, wie zog sie Schleier um Schleier von Mustelas Augen, ihr die falsche Scheinwelt zu enthüllen, in welche sich ihre Gedanken so mühsam und so trotzig hineingelebt. Wohl versuchte das Heidekind sich auch jetzt noch zu betäuben am giftigen Trunk des Hasses, sie rief sich selber all die bittere Qual jener Stunde zurück, in welcher sie verspottet, verlassen, vom Liebsten ihres Herzens grausam verraten, im Wald auf feuchtem Moos seiner Untreue geflucht hatte, sie sah sich noch einmal im Saale stehn, sah Carl Wolfgangs kalten Blick, hörte das Lachen der Edelleute, und sie ballte in zorniger Leidenschaft die Hände. Dann aber schmeichelten sich plötzlich so viel liebe, zärtliche Worte dazwischen, zwei strahlend blaue Augen, welche sie so lächelnd ansehn, zwei Lippen, welche so innig die ihrigen küssen, und die geballten Hände lösen sich zitternd, bedecken das schluchzende Antlitz, falten sich zum Gebet. Da flehte das Heidekind zu der ewig Gnadenreichen um ein freundlich weisend Lichtlein inmitten dieser Geistesfinsternis, und die Heilige senkte einen milden Traum auf die Augen der Beterin, stieg selber hernieder in rosigen Wolken und reichte ihr den Feuerbrand. »Wirf ihn in des Wolfsgeils Dach, Hermengilde!« lächelte sie, »und lösche damit deinen Schwur vom Opferstein, lasse getrost die Flammen lodern, zur Rache deiner Mutter, und ich will eine Wolke senden, damit sie dieser Rache eine Grenze setzt. Hüte du das Glück der Feste Wolfsburg, schütze Carl Wolfgangs Ring in Gott wohlgefälligem Vergeben, und ich will dir diesen Ring an den Finger streifen, auf daß du ihn für ewige Zeiten tragen sollst.« Da strahlten die Wolken in himmlischem Licht, die Heilige neigte segnend die Lilie auf die Stirne der jungen Maid und entschwebte zu seligen Höhen. – –

Am andern Morgen aber war Mustela in die Kapelle getreten und hatte einen Strauß weißer Feldlilien vor dem Bild der Himmelskönigin niedergelegt. –

Als sie über den Hof zurückging, sah sie Carl Wolfgang auf dem Söller Ausschau halten. Sie überlegte, zauderte und schritt alsdann schnell entschlossen die Stiege empor.

Der Junker stand an der Brüstung und hörte nicht den leichten Schritt, welcher sich ihm zögernduäherte. Da schlug eine leise Stimme an sein Ohr. »Herr Carl!« flehte es weich.

Er zuckte empor, wandte sich hastig um und starrte sie an. »Hermengilde!«

Tiefe Glut stieg in ihre Wangen, sie senkte den Blick und verschlang ratlos die Hände, sie suchte nach Worten und fand sie nicht, der frische Windzug hob ihr lockiges Stirnhaar, und goldiges Sonnenlicht zitterte über das seltsame Gesicht.

Da trat er ihr einen Schritt entgegen und fragte gütig: »Was führt Dich zu mir, kleines Wiesel? hast Du einen Wunsch? brauchst Du meine Hilfe?«

Da schüttelte sie das Köpfchen, hob die gefalteten Hände und sagte treuherzig: »Nein, Herr Carl! ich will Euch Hilfe bringen!«

»Du – mir?« – er lächelte.

Da schaute sie mit vollem Blick empor in sein Auge und fuhr fort: »O höret mich an und nehmt meine Worte nicht leicht, Junker Wolfsgeil, denn mir selber ist das Herz voll Jammer und Angst und wäre es nicht von Bedeutung, würde ich wohl nimmermehr zu Euch gekommen sein! Heute nacht aber ist mir die liebe Himmelskönigin Maria erschienen und hat mir Kunde gegeben, daß Euer Schlößlein hier in Gefahr schwebe, grausenvolle Bilder habe ich gesehen, Feuersbrunst und Kampfgeschrei, und Ihr selber, Carl Wolfgang, waret hart bedrängt und doch kam keine Hilfe! Darum seid wohl auf Euerer Hut und sorget dafür, daß der Wächter Augen nicht zufallen möchten heute nacht!«

Er lächelte noch immer und schüttelte fast belustigt das blonde Haupt. »Welch häßliche Traumbilder doch das kleine Wiesel ängstigen!« sagte er, »und ohne Not die kleine Dirn verzagen lassen! Nein, Mustela, sei unbesorgt! Habe keinen einzigen Feind unter der Ritterschaft, dessen Fehde ich zu besorgen hätte, Frieden herrscht im ganzen deutschen Reich und die Wolfsburg ist ein trutzig Felsennest, an welches sich kein fahrend Gesindel wagen kann. Scheuch also diese schwarzen Gedanken aus dem Kopf und freue Dich des süßen Friedens,welcher rings im Thale atmet!«

Mustela schüttelte angstvoll das Haupt, nur noch dringender flehte sie: »O traut diesem Frieden nicht allzusehr, Carl Wolfgang, er mahnt mich an den Heidemoor, blühend und lockend, wie eine sichere Wiese oben auf und drunter dennoch voll Tücke und Tiefe, ein sicheres Grab jedem ahnungslosen Schritt! Was aber ist der Frieden? ein trügerischer Deckmantel für den Verrat! und darum verlacht meine Warnung nicht, Carl Wolfgang, um eitel Dunst und Blendwerk steigt die liebe Heilige nicht zu mir nieder!«

»Du bist erregt, lieb Dirnlein, hast wohl in der Halle gestern Abend die Gesellen von Krieg und blutiger Fehde plaudern hören?«

»Nein, Herr, nein! keine Seele in der Burg denkt an solch ernste Möglichkeit und das ist es, was mich mit Sorge füllt, ihr alle vertraut der Wolfsburg Stärke und macht sie dadurch schwach wie ein strohgeflochten Hüttlein!«

Das Antlitz des Burgherrn war ernst geworden, nachdenklich ließ er den Blick über die stille Ebene schweifen und schwieg. Dann wandte er sich jäh zu der Vogelstellerin und sah sie fast düster an. »Warum hat die Heilige Dich gerade zu meiner Warnerin gemacht, Mustela? und wie kommt es, daß Du die Warnung auch an mich bestellst? von Dir hätte ich einen solchen Liebesdienst am wenigsten erwartet!«

Da neigte sie das Haupt und ließ die Hände sinken. »Ich bin Christin, Carl Wolfgang!« sagte sie leise.

»Und hassen Christen nicht?« fragte er bitter.

»Sie hassen und – vergeben.«

»Und was thust Du?!«

»Beides.«

Da faßte er ihre Hand mit fast schmerzendem Druck und murmelte, tief zu ihr herabgeneigt: »Wunderlich Dirnlein! wer es doch vermöchte in Dein Herz zu schaun! Gestern stießest Du meine Hand zurück, da sie Dir den Preis der Versöhnung bieten wollte, und heute zitterst Du um die Mauern, welche die Schmach gesehn, die meine Untreue Dir geschaffen. O Mustela, welchem Zeichen soll ich glauben! Was läßt Dich so treulich über diesem Hause wachen? warum willst Du einen Grund und Boden lieben, dessen Herrn Du hassest, warum, Mustela, sorgst Du für die Burg, die unglücksel'ge, die einst durch fürchterlichen Wahn zum unverdienten Grab der Mutter wurde?«

»Damit sie nicht auch zum Grab der Tochter werde, ihr Glück und ihre Liebe zu verschlingen!«

»Mustela!« schrie er auf, jubelnd, ungestüm, »bei Gott, sie soll es nicht! Alles wird gut werden, wenn … wenn Du vergessen und vergeben willst! Wenn …«

Da hob sie in warnendem Ernst die Hand und wich langsam zurück.

»Ich habe vergeben, Herr, und werde Euch hinfort dienen mit all der Treue und Redlichkeit, wie es der Hausfrau eines Dienstbaren geziemt; was hinter uns liegt war ein kurzer, ein sonniger Frühlingstag, über dessen Himmel die Wolken zogen, die da kommen mußten, früh oder spät. Je kürzer das Glück ist, desto vollkommener ist es, Carl Wolfgang, gedenkt Ihr Eurer eignen Worte nicht mehr? Das meine war kurz, aber es war doch; Euch hat der Rose Dorn keine Wunde geschlagen, und die meine? sie ist geheilt und vernarbt, ich denke ruhig zurück. Ein neues Leben beginnt für uns beide, Ihr fandet ein ebenbürtig Gemahl, und ich die Liebe eines wackeren Gesellen, wir werden beide glücklich sein!«

»Nein, Mustela, nein – ich nicht!« entgeistert sanken seine Arme herab, tiefe Blässe lag auf dem schönen Antlitz. »So ist es Wahrheit, Du liebst Jung Wunibald?« fragte er tonlos.

Da rang ihre Seele in bitterem Kampf; aber sie preßte die Hände auf ihr blutend Herz und sagte ruhig: »Ja, Herr, zu meinem und Euerm Heil!«

Er winkte abgewandt mit der Hand. »Ich bin keiner anderen Antwort wert, ich ernte die Frucht meiner eigenen Saat. Leb wohl, Hermengilde.«

Sie zögerte, sie sah mit thränenglänzendem Blick zu ihm auf. »Und heute nacht, vergeßt nicht, Herr, und sorgt für wache Augen auf der Wolfsburg!«

Er nickte stumm.

»Versprecht es!« rief sie aufgeregt.

Da hob er die Hand zum Schwur und lachte bitter: »Ich schwöre, über die Sicherheit von Mustelas Glück zu wachen!« –

Sie sah nicht mehr zurück, sie schritt hastig von dannen. – –

Auf dem Hofe standen gesattelte Rosse. Der Wildmeister Ludolf hielt seines Schecken Zügel und harrte des Hornrufes. Da trat die Vogelstellerin zu ihm heran.

»Wohin des Weges, Meister Ludolf?« fragte sie.

Er drehte seinen grauen Schnurrbart und nickte ihr freundlich zu. »Hinab in den Forst, kleines Wiesel, um für der Frau Ursula Vorratskammern neue Zufuhr zu holen. Haben wieder argen Schaden angerichtet, die ungastlichen Eber, und das Rübenstück zerwühlt, so die Dörfler drunten mit Müh und Fleiß ausgestellt hatten, da heißt es den frechen Schwarzröcklein einmal Moral predigen!«

»Wann kehrt Ihr heim?«

Ludolf zuckte zweifelnd die breiten Schultern. »Das steht bei St. Hubertus, Dirnlein!« sagte er, »und ist nicht unmöglich, daß uns die Nacht über den Hals kommt, aber sorg Dich nicht! will Dir den Schatz heute nicht davon führen und Jung Wunibald keinen Speer in die Faust geben, so lang er selber gar weidwund den goldenen Pfeil im Herzen fühlt!« Der Alte zwinkerte neckisch mit den Augen, kniff die Kleine scherzend in die Wange und fragte, ob das Wiesel mit dem Meister Ludolf so zufrieden sei?

Mustela hielt seine Hand fest und blickte ernst zu ihm empor. »Wohl bin ich's, Du braver Mann!« sagte sie erregt, »aber dennoch muß ich ein noch größeres Zeichen Deiner Freundschaft erbitten! Ludolf, willst Du wohl als verschwiegener, treuer Vasall Deiner Herrschaft einen großen Dienst erweisen?«

Da schaute er betroffen auf und neigte sich hastig herzu. »Ob ich's will, Mustela! soll mich doch der Satanas bei Lebzeiten holen, wenn ich es nicht wollte!«

»So gelobst Du Schweigen gegen jedermann?«

»Bei allen Heiligen!«

»Wohlan!« Mustela atmete tief auf und sprach alsdann entschlossen: »Euer Weg führt euch heute dicht zu der Grenze der Schenckischen, noch ein kurzer Ritt, und Du bist auf dem Schweinsberg. Ist's nicht so?« Ludolf nickte. »Auf diese Burg sollst Du reiten und den Herrn Walther von der Vogelweide, dem fahrenden Sänger, der dort Einkehr gehalten, folgende heimliche Botschaft im Namen des Fräulein Guntramis von Orbe bringen, hast Du gehört, Ludolf, in Guntramis' Namen?«

»Ich höre, und weiter? was soll ich sagen?«

»Folgende Worte, merke sie wohl: Fräulein Guntramis lasse den Ritter bitten, zu gar wichtiger Beratung mit des Jungen Schencken Geleit heute nacht, eine Stunde nach der Mitternacht, am Fuß der Wolfsburg ihrer zu harren! Hast Du es sicher behalten, Ludolf? eine Stunde nach Mitternacht!«

Leise wiederholte der Wildmeister die Worte, nickte nachdenklich vor sich hin und sprach: »Ich werde es trefflich bestellen.«

»Zum Zeichen nimm dieses Epheublatt und gieb es Herrn Walther als Pfand.« – Wie von schwerer Angst befreit atmete die Vogelstellerin auf, drückte noch einmal in wundersamer Erregung des Alten Hand und nahm Abschied.

»Wenn Du kannst, Ludolf, sei zeitig heim, noch vor der Dunkelheit, ich hatte einen wüsten Traum!«

»Du auch?« fuhr der Alte auf, »ich sah viel Blut, Flammen und Trümmerhaufen vergangene Nacht, möge Gott uns bewahren!«

Da klang das Horn und rief zum Aufbruch.

Mustela aber schritt gedankenvoll in Frau Ursels Kämmerlein, seufzte tief auf und sprach mit einem Blick zum Himmel: »Ob ich recht gethan? vergieb mir's arme Mutter, ich konnte ja nicht anders!« und ihr Auge leuchtete und sie dachte: »Wenn Herr Walther und der Schencke heute nacht kommen, so ist die Hilfe nicht mehr fern und das Felsennest mit Gottes Gnade von dem Untergang gerettet!« – Da jubelte ihr das Herz vor Wonne, und als just Jung Wunibald des Weges kam, da herzte sie ihn so inniglich wie nie zuvor, küßte seine Lippen und sprach: »Komm schnell mit hinaus, Wunibald, und laß Dir meinen Brautstaat zeigen! habe heute die letzten Flitter auf das Krönlein genäht, auch die bunten Bänder, die so lang und lustig daran nieder flattern, nun ist es fix und fertig, ein jeglich Perlchen blinkt wie frischer Tau am Halm und ich kann nicht müde werden, solche Pracht zu schauen!« Da leuchtete des Burschen Angesicht, und er sprang behende die Stiege empor, faßte den Kopfschmuck mit zitternden Fingern, schaute ihn an, lange, lange, in wortloser Seligkeit, neigte sein Haupt und drückte die Lippen auf den grellen Putz.

Hermengilde lachte, nahm das Krönlein flink zur Hand und setzte es auf den lockigen Scheitel. »So werde ich in zweien Wochen an meines Eheliebsten Seite schreiten!« rief sie heiter. Mit leisem Schreckensruf sprang Wunibald herzu und wollte den Schmuck aus ihrem Haare lösen. »Loses Wiesel, Du! Unglücksvöglein! weißt Du denn nicht, daß kein Dirnlein die Brautkrone vor dem Hochzeitstage aufsetzen darf? Das bringt Unheil, und jedes Perlchen wird zu einer Thräne!«

Das Heidekind lachte aufgeregt, hielt den Schmuck mit kalten Fingern auf dem Haupte fest und schlang den freien Arm lachend um seinen Hals. Mit glänzenden Augen blickte sie ihn schelmisch an.

»Hasenfuß, Du!« neckte sie, »Du willst ein echtes, kühnes Jägerblut sein und läßt Dich von altem Weibergeschwätz zu schier bleichen Wangen ängstigen? Laß mir mein Krönlein und sieh Dich satt beim Anblick Deines herzlieben Dirnleins! freu Dich des Augenblickes und denke nicht der Zukunft! Ist es nicht jedes Burschen höchstes Erdenziel, seine Maid im Hochzeitsschmuck zu schauen? Du hast es zweimal erreicht, heute und am Johannistag, und solchen Glückes willst Du unverständig sein? Närrlein, Du! die Gegenwart ist unser, die Zukunft aber liegt in Gottes Hand, und darum ist es thöricht, ein Sichres für ein Ungewisses dran zu setzen! Habe einstmal ein Wort gehört, das also lautete: Je kürzer das Glück ist, desto vollkommener ist es! Und sag, sind wir nicht schon lange, köstliche Stunden glücklich gewesen? wie sollten wir nun so ängstlich vor einem Unglück, das vielleicht die Zukunft bringt, den Mut verlieren? Noch hältst Du mich im Arm, noch sehe ich Deine treuen Augen, noch bin ich bei Dir und Deiner Liebe gewiß, Sonnenschein ist's um uns her, warum an Wolken denken?!«

Er lächelte, er war glücklich. »Du hast recht, Du minniglich Dirnlein, nur ein bös Gewissen kann abergläubisch sein und seines Gottes Gnade und Gerechtigkeit mißtrauen! Ich aber hoffe auf sie und stelle meine schuldlose Maid, mitsamt dem Krönlein auf dem Scheitel, in aller Heiligen treuen Schutz!«

»Und bist Du zufrieden mit Deinem Geschick Wunibald, wenn Dich die Heiligen auch nicht erhören?«

Sie fragte es ernst und auch von seinem Antlitz schwand das Lächeln.

»Ich würde Gottes Gnade preisen, daß sie mir so viel Stunden reinen Glückes schenkte!« Er blickte tief und redlich in ihr Auge. »Beriefe mich jetzt ein schneller Tod aus Deinem Arm, ich würde dennoch reicher scheiden als ein Kaiser, obwohl ich gerne, sehr gerne länger leben würde!«

Krampfhaft, zitternd schmiegte sie sich an seine Brust.

»Wunibald!« rief sie wie in heiligem Schwur, »ich will nie die ewige Seligkeit schauen, wenn ich Deinen Tod auch nur um eines Tages Frist überleben würde! An Deine Seite gehöre ich, Dir bin ich angetraut im Herz und in der Seele und bei Dir verbleibe ich, so wahr ein Gott mir helfe!«

Da nahm er ihr Köpfchen in beide Hände und antwortete ihr mit tausend Worten in einem einzigen Blick.

Sonnenschein flimmerte über sie hin und die Perlen an dem Brautkrönlein glänzten so wundersam hell, wie lauter, lauter Thränen – –

Das war eine wilde, eine furchtbare Nacht. Vom hölzernen Wachtturm herab hatte der Alarmruf des Wächters gegellt, schlaftrunken waren die Gesellen emporgeschreckt, hatten zur Waffe gegriffen und die Wallmauer besetzt, Carl Wolfgang an ihrer Spitze, ruhig, besonnen und zuversichtlich, das Glück der Feste Wolfsburg glänzte hell an seinem Finger. Von drei Seiten war die Wolfsburg uneinnehmbar, an der vierten jedoch wimmelte es empor wie ein Haufen Ameisen, Kopf an Kopf, Speer an Speer drängte die Schar der Bauern vorwärts. Durch Dunkelheit und Gestrüpp gedeckt, hatten sie bereits den äußeren Ring des Schutzwalles erschlichen und der ahnungslosen Burg somit einen bedeutenden Vorteil abgewonnen. Hätte nicht die verdoppelte Turmwache gerade in dieser Nacht besonders helle Augen und offene Ohren gehabt, wäre Juan Piccolos Heerhaufen wohl unbehindert bis über Brücke und Mauer vorgedrungen. So galt es noch ein tollkühnes, blutiges Berennen und mit Wurfgeschoß und Kampfruf forderte Juan Piccolo seine Enkelin, Leben und Ehre seiner gerichteten Tochter von dem Teufelsnest zurück. Kühn und unerschrocken hielten die Wolfsgeilschen dem Sturme stand. Schon dämmerte der Tag im fernen Osten und versprach mit seinem Lichte der bedrängten Burg eine gewichtige Hilfe, denn die Dunkelheit beeinflußte die Verteidiger und verhüllte ihnen ihren Vorteil.

Mit ungeduldigem Zorne harrten die Bauern auf Mustelas Hilfe, auf die roten Flammen, welche als furchtbarster Feind den Burglern in den Rücken fallen sollten. Da endlich, endlich züngelte es rot empor, das Dach einer Scheune hatte Feuer gefangen, lichte Strohgarben prasselten auf und wilder Schreckensruf der Wolfsgeilschen mischte sich in das Sprühen der Funken. Juan Piccolo faltete finster die Stirn. »Das Dach des Herrenhauses wäre wichtiger!« murmelte er, »der Schober steht abgelegen und nicht im Wind, die Flammen verraten uns mehr, als daß sie helfen!« und sein Blick irrte harrend nach den dunklen Dächern, welche sich grell, blutig rot beleuchtet gegen den dämmernden Himmel abhoben.

Gellendes Jubelgeschrei der Bauern begrüßte den Brand, mit erneuter Kampfeswut stürzten sie sich gegen die Mauern, in vergeblichem Ringen sie zu ersteigen.

Während dessen stürmte Mustela mit fast brechenden Knieen über den Burghof, starr vor Grausen dem Flammenmeer entfliehend, welches sie selber mit eigener Hand gezündet, auch an das Knechtshaus hatte sie Hand gelegt, jeden Augenblick konnte auch aus seinen Mauern die fürchterliche Lohe schlagen. Nun aber war ihr Eid gelöst und keine Macht der Welt hätte es vermocht, sie zu bestimmen, das liebe, stolze Ritterhaus dem Verderben preis zu geben.

Eine fiebernde Angst trieb sie in die Nähe Carl Wolfgangs, Wunibald hatte ihr einen letzten Kuß auf die Stirn gedrückt, ehe er auf seinen Posten an der Brücke eilte. In dem kleinen Garten, an der Mauerbrüstung wußte Hermengilde den Burgherrn. Dort ließ er sich von Fräulein Guntramis die Stirnwunde verbinden, welche ihm ein Steinwurf ungefährlich beigebracht; aber das Blut rieselte ihm über die Augen und hinderte ihn am Schauen. Leise schlich sich die Vogelstellerin in die Jasminlaube, brach in die Kniee und preßte die Hände gegen das stürmende Herz, sie betete, flehte zu der hohen Himmelskönigin um Rettung des Geliebten und wie ein süßer Trost beschwichtigte es ihr Herz: »das Glück der Wolfsburg glänzt ja treu und fest an seiner Hand!«

Rote Flammenglut tauchte Garten, Felsabgrund und die Ritterhalle in taghelles Licht, die dunkeln Gestalten eilten hastig durch die Rauchwolken, brechendes Gebälk, Sturmruf füllte die stille Nacht mit grauenvollem Getöse.

Da führte Guntramis den Burgherrn näher herzu, riß den Verbandstreifen zurecht und sprach mit leidenschaftlich gereizter Stimme: »Auch jetzt noch begütigende Worte für die gottverfluchte Dirne, so dies ganze Unheil über uns herauf beschworen? O daß ich sie mit eigener Hand erwürgen könnte für all das Elend, welches sie über uns gebracht!«

Da stieß Carl Wolfgang zornig ihre Hand mit der Binde von sich zurück und entgegnete hastig: »Dann möge sich die Verdammnis Deiner erbarmen, Du herzloses Frauensbild! Nicht durch Mustela ist mir Unheil gekommen, sondern durch Dich, Du berechnend Weib, das sich mit falscher Liebe zwischen mich und sie gedrängt! O daß doch Dein minniglicher Sänger um ein paar Wochen früher den Weg zur Wolfsburg gefunden hätte, mir die Augen über Deines Herzens Lauterkeit zu öffnen!«

Da zuckte das stolze Haupt der Edeldame wild trotzig in den Nacken und sie ballte die weißen Hände. »Also doch!« rief sie hohnvoll, »ich drängte mich zwischen Euch! damals schon, als ich Euch so innig auf der Heide traf und noch an eines Edelmannes Stolz und Würde glaubte. Haha! Würde! … die ist an den Sprenkeln einer Vogelstellerin hangen geblieben und nach der heutigen Nacht wird wohl der ganze Rittersmann daran glauben müssen und mit dem braunen Ehgemahl in der Borkenhütte Einzug halten!«

Und Fräulein von Orbe schüttelte sich in nervösem Lachen.

Carl Wolfgang maß sie mit unsagbar verächtlichem Blick. »Tausendmal lieber mit Mustela in einer Hütte, als mit Dir in einem Schlosse wohnen, Du Gefühllose! Denn wisse, ich habe die Hermengilde so lieb wie mein Leben, habe mein Herz an sie gehängt, da ich noch als leichtsinniger Fant mit ihr getändelt, und habe sie geliebt mit aller Inbrunst und Aufrichtigkeit, seit jener Stunde, wo sie verhöhnt, verspottet vor mir im Saale stand! Da war bereits das Band zwischen uns zerrissen, Du Mitleidslose, das Band, welches von dieser Stunde an gelöst sein soll, endgültig, vor Gott und der Welt!« –

Mit leisem Aufschrei furchtbar gekränkten Stolzes trat sie gegen ihn vor, faßte seine Hand mit eisernem Griff und rief gellend: »Wage es, mich also vor der Welt zu brandmarken! Wage es, einer Edeln von Orbe solchen Schimpf zu thun! Mir hast Du Dich angelobt, Verräter, und darum wache ich über die Hand, welche mir die Treue gelobt!« und sie starrte mit blitzendem Auge auf seine Hand hernieder, schnell wie der Gedanke riß sie das »Glück der Wolfsgeil« von seinem Finger und schleuderte den Reifen über die Mauerbrüstung in die Tiefe hernieder. »Glaubst Du, ich hätte den Ring nicht wieder erkannt, den einst das Heidekind am Finger trug? Zum Teufel mit ihm und mit der hinterlistigen Dirne!« und sie wandte sich und entfloh.

Ein lauter Angstschrei gellte von Wolfsgeils Lippen: »Guntramis, was thatest Du! das Glück der Feste Wolfsburg ist dahin!« Und er taumelte wie ein Trunkener nach der Mauerbrüstung und rang verzweifelt die Hände.

Da wurden die Jasminzweige auseinander geschlagen, mit fahlem Antlitz stürzte Mustela an die Mauer und rief außer sich: »Getrost, Carl Wolfgang, ich rette Dir Dein Glück! und sie sah empor in sein bleiches Antlitz mit dem blutigen Streif an der Stirne, sah den fast brechenden Blick des Jammers, welcher sie abermals traf, wie damals unter dem Eichbaum, da dies blaue Auge ihre ganze Seele nahm, und mit leidenschaftlichem Ungestüm, übermannt von dem Sturme ihrer Gefühle, sank sie an seinen Füßen nieder, faßte seine Hände und bedeckte sie mit heißen Küssen.

Da war alles vergessen, was zwischen dem Einst und Jetzt lag; umglüht von Feuerslohe, umbraust von dem Geschrei der Kämpfenden, hielt der Burgherr die Enkeltochter seines Todfeindes im Arme, minutenlang weltvergessen, in reinem, todverachtendem Liebesglücke. Da rang sie sich los, raffte den feuchten Strick von der Erde und wand ihn mit zitternder Hast um die schlanke Hüfte.

»Was beginnst Du, Mustela?« rief er außer sich.

» Mein Leben für den Ring!« – und behend wie ein Wiesel schwang sie sich auf die Mauer und glitt zur furchtbaren Tiefe hinab.

Wolfsgeil wollte sie zurückreißen – umsonst, er griff verzweifelt in die leere Luft. – –

Die erste Tageshelle schimmerte über den Felsen und die Glut der brennenden Gebäude bestrahlte die Gestalt der Dirne, wie sie furchtlos, sicher und gewandt, zwischen Himmel und Erde schwebend, das klüftige Gestein hinabklomm.

Juan Piccolo erblickte sie, die Schar der Bauern starrte auf das grauenvolle Schauspiel, wie mit Zauberschlag stockte der Kampf und aller Augen richteten sich auf die Vogelstellerin und ihren tollkühnen Gang.

»Sie will zu uns! sie entflieht!« schrie Juan, »sorget, daß keiner einen Wurf nach jener Seite führe!«

Jung Wunibald stand regungslos auf der Brustwehr des Thorturmes, geisterbleich, mit weitgeöffneten Augen neigte er sich über die Brüstung, um dem Gang der Geliebten mit den Blicken zu folgen.

Die Sonne stieg empor, ihre ersten Strahlen fielen auf Mustela, auf die brennende Burg, auf den zweifellos siegenden Feind, welcher Fuß um Fuß breit den blutigen Weg durch Wall und Mauer erkämpfte.

Das Heidekind ist ungefährdet bis zu dem Plateau hinabgeklommen, sie neigt sich spähend nach dem Boden, schreitet hastig hin und her und läßt die Blicke suchend über das Gestein irren, da greift sie etwas auf, wendet sich ungestüm zu der Felswand zurück und beginnt von Kante zu Kante wieder empor zu klimmen.

Was soll das bedeuten? was hat sie gesucht da drunten? was bezweckt ihr seltsam Gebahren? Leises Murmeln fliegt durch die Reihen der Bauern und der Wolfsgeilschen, sie weisen mit mißtrauischem Blick zu der Krenelierung der Mauerbrüstung empor, über welche man deutlich das blonde Haupt Carl Wolfgangs ragen sieht.

Näher und näher kommt ihm Mustela, jetzt hebt sie die beiden nackten Arme empor und reicht dem Burgherrn etwas entgegen. Juan Piccolos Auge schärft sich, er sieht den Sonnenschein goldig an ihren Fingern aufblitzen, ein leiser, furchtbarer Schrei der Wut ringt sich von seinen Lippen, er sieht, wie der Wolfsgeil die Arme jauchzend ihr entgegen breitet.

»Verrat! Verrat!« brüllt es heißer in den Reihen der Bauern. »Das Wiesel ist falsch!!«

Und sie dringen gegen Juan Piccolo mit drohend erhobenen Äxten vor und schreien ihm gellend in das fahle Angesicht: »Sie brach ihren Schwur! Rache! Strafe für Mustela!«

Ein wilder, fast irrsinniger Blick des Alten glüht über die Männer, er hebt ruhig den Bogen, legt ihn ohne Zittern an und drückt ab, pfeifend schwirrt der Pfeil und mit markerschütterndem Schrei – mit letzter Kraft der Verzweiflung schwingt sich das Heidekind auf die Mauer, um zu Tode getroffen in die Arme Carl Wolfgangs zu sinken.

Ihr Schrei fand ein Echo; auf der Burgthorwarte hob Jung Wunibald mit knirschenden Zähnen den Speer und schleuderte ihn mit furchtbarem Rachefluch in das Gewühl der Stürmenden nach der Richtung, wo Juan Piccolo starr und leblos wie ein steinern Bildnis stand.

Gleichzeitig aber erhob sich Hörnerklang und Kampfruf in dem Rücken der Feinde, auf schnaufenden Rossen sprengte ein Reiterzug heran, gewappnete Reisige drangen ihm nach.

»Die Schweinsbergischen!« jubelt es von den Wällen der Burg, »dem Himmel sei Dank!« – –

An Carl Wolfgangs Brust liegt das Wiesel und atmet leise, wie in lächelndem Traum. Sie schlägt die Augen auf, sie blickt ihn an und flüstert mit erbleichenden Lippen: »Der Ring ist wieder Dein, Carl Wolfgang, Dein Glück ist gerettet!«

Da rollen heiße Thränen über seine Wangen, verzweifelnd preßt er das Leinen auf die tiefe Halswunde der Geliebten, den grausamen Blutstrom zu hemmen. »Mein Glück bist Du, Mustela, – bleibe bei mir!« fleht er.

»Je kürzer das Glück ist, desto vollkommener ist es!« – lächelt sie mit durchgeistetem Blicke zu ihm auf. »Laß mich zur Mutter, Herzlieber, halt mich nicht,« schon wird ihre Stimme undeutlich und erstickt, »sie wartet auf mich. – Ich war ja glücklich, so unendlich glücklich, ich habe Dir den Ring gebracht, alle Schuld gesühnt – und Dich so lieb gehabt, so lieb!«

Er neigt sein blondes Haupt und küßt die erkaltenden Lippen, er selber fühlt es wie Todesschauer durch die Seele wehn.

Da klingt das Signal der Schweinsbergischen, der Jubel auf den Wällen.

Unnatürlich groß und strahlend werden die Augen des Heidekindes, sie strebt mit qualvollem Röcheln empor, sie wankt an seiner Brust gegen die Mauerscharten und preßt die Hand gegen das Herz.

»Hilfe! Hilfe!« murmelt sie. »Die Burg ist gerettet, ich habe sie gerettet, Carl Wolfgang, ich, das braune, falsche Wiesel, auch Feuer gelegt, o vergieb – vergieb!« …

Er hält sie an der Brust, er streift den Ring von seinem Finger und steckt ihn an die kleine, erstarrende Hand Hermengildes.

»Mein süßes, trautes Weib!« sagt er feierlich, »in Deine Hände befehle ich für ewige Zeit das Glück der Feste Wolfsburg!«

Da ringt sich ein leiser, letzter Jubellaut aus der erstickenden Kehle, noch ein Blick, verklärt in strahlender Glückseligkeit, dann ein kurzes, krampfhaftes Zucken, die weichen Arme lösen sich von seinem Nacken und bleich, todesstarr bricht die Enkelin Juan Piccolos zusammen; – – ein kleiner, welker Klettenzweig aber glitt aus ihrem Fürtüchlein, Carl Wolfgang kannte ihn, er hatte ihn mit eigener Hand in jene Tiefe hinab geschleudert.

Mit leisem Jammerlaut sank er an Mustelas Seite nieder, preßte das Antlitz auf ihre kühle,Wange und weinte bitterlich.

Dann sprang er wild empor, riß die Waffe an sich und stürzte racheheischend an den Wall.

Jung Wunibald kam ihm entgegen, baren Hauptes, mit verwildertem Haar und Schmerz entstelltem Antlitz. »Wie steht es? – sie ist schwer verwundet, Junker?!« keuchte er.

»Mehr wie das, Gesell, sie ist tot!« Wolfsgeil hebt die blitzende Schwertklinge, »bleib an meiner Seite, wir wollen ausschwärmen!« Da reißt Wunibald die kurze Streitaxt aus dem Gürtel und faßt sie mit sicherer Hand. »Ja Herr, laßt uns hinaus!« entgegnet er.

Die Zugbrücke rasselt hernieder, krachend weicht das schwerbohlige Thor, mit lautem Sturmesruf stürzen sich die Wolfsgeilschen auf die Bauern, welche, von zwei Seiten bedrängt, in dichtem Knäul auf schmalem Burgpfad eingekeilt sind. Hie und da fliehen die einzelnen in bergendes Gebüsch, oder versuchen an den steilen Felswänden herab zu klettern.

Carl Wolfgangs Schwert sprüht Funken im Glanz der Morgensonne, die Wunden, die es schlägt heilt keine Salbe mehr, er selber blutet an Schulter und Arm.

Wunibalds Auge schweift über die Kämpfenden, er sieht Juan Piccolo auf moosigem Felsblock stehen, regungslos, den Speer gesenkt, als ginge ihn dies alles nichts mehr an. Der Weidgesell haut sich Bahn zu dem Alten, drängt zu ihm heran und hebt das blitzende Beil. »Hierher verruchter Mörder! Gottverfluchter Würger unschuldigen Weiberblutes!« donnert er, »zehnmal Dein Leben für Mustelas gebrochnes Auge!«

»Ist sie tot?« Juan Piccolo schrickt empor wie aus tiefem Traum. »So gnade Gott dem ehrvergessnen, meineid'gen Kind!« Er hebt den Speer, schüttelt todestraurig das Haupt und schleudert die Waffe in weitem Bogen über Wunibalds Haupt hinweg in die Tiefe. Zu gleicher Zeit blitzt die Streitaxt durch die Lust, gräbt sich schmetternd in die Stirn des Vogelstellers und rollt mitsamt dem Opfer in den Abgrund zur Seite.

Wehrlos steht Wunibald, er sieht die feindlichen Speere gegen sich eindringen, breitet mit gellendem Rufe: »Mustela!« die Arme weit aus und stürzt sich dem Eisen entgegen in sichern Tod. –

Mit durchrannter Brust sank er in das Moos; der Wind schüttelte die blinkenden Tautropfen in sein dunkles Lockenhaar und die Sonnenstrahlen glänzten darin wie in des Heidekindes Hochzeitsschmuck, wie lauter, lauter Thränen! – – – Da brach sein treues, redliches Auge – –

*

Die Bauern wurden besiegt, aufgerieben in furchtbarer Strafe, oder härter wie je zuvor gedrückt, mit eigenen Händen mußten sie dem Ritter von Wolfsgeil die teilweise zerstörte Burg wieder aufbauen, mit eigenem Hab und Gut die Kosten decken. Lange Jahre hat der junge Ritter einsam und trauernd auf dem Felsennest gesessen, hat Mustela wie sein rechtlich Weib in der Gruft neben seinem dereinstigen Denkmal beisetzen lassen und er hat mit seines Landesherrn Erlaubnis das Wappenschild seines Hauses geändert und zwei Frauenarme, welche einen Ring emporhalten, als ständig Zeichen hineingesetzt. So hielt er dem kleinen Wiesel sein Versprechen und befahl das Glück der Wolfsgeil für ewige Zeiten in ihre Hand. – –

Fräulein Guntramis von Orbe aber ist gen Thüringen zurück gezogen, hat noch etliche Jahre unvermählt an des Landgrafen Hermann Hof verweilt, bis sie von des Herrn Walther von der Vogelweide Tod vernommen, da hat sie den Schleier genommen und kein Mensch hat jemals von ihrem Ende gehört. –

Carl Wolfgang vermählte sich, da er schon hoch bei Jahren war. Eine Edle von Talwig zog als Herrin auf der Wolfsburg ein, eine stille, ernste Frau mit bleichem Angesicht und fieberheißen Händen, die schenkte ihrem Hausherrn ein Töchterlein und zwei Knaben und da der fünfte Winter über dem Felsennest herauszog, lag sie ruhig und todesgefaßt in den Kissen, segnete ihren Gatten und die Kinder und schied friedselig hinüber, wie ein ernstes Lied in leisem Accorde ausklingt und verstummt. Da war der Ritter wiederum allein.

Und abermals zogen Jahre in das Land. Da kehrte sein Töchterlein Hermengilde von lustigem Ausritt zur Burg, sprang empor in des Vaters Erkerstübchen und wollte ihm den gewohnten Heidestrauß auf die Kniee legen. Es war aber ganz still im weiten Gemach, und als sie schüchtern des Schläfers Lippe küssen wollte, da sah sie, daß er für ewige Zeiten entschlummert war.

Sein Antlitz aber lächelte Frieden, und in seiner Hand lag ein kleiner, trockener Klettenzweig.

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