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Durch das Treppenhaus der Villa Florian klirrten Sporen Und Säbel, Fürst Heller-Hüningen war soeben, mit etwas im Nacken sitzender Mütze, leicht gerötetem Antlitz und mit einem Maiglockenstrauß in der Hand, eingetreten und ließ sich bei seiner Cousine Dynar in »wichtiger Angelegenheit« melden.
Er hatte den Paletot bereits aufgerissen und ging ungeduldig auf den Marmorplatten auf und nieder, eine landläufige Melodie zwischen den Zähnen pfeifend.
Nebenau ward eine Thür sehr hastig geöffnet, und ein allerliebster kleiner Backfisch trat über die Schwelle, sehr erregt noch in das Zimmer zurücksprechend.
»Alberner Bengel, ich verbitte mir so etwas! Ich habe deine Bleisoldaten mit keinem Finger angerührt und spiele überhaupt nicht mehr mit Puppen, wie ich dir schon tausendmal gesagt habe! Ich bin kein Kind mehr, ich gehöre nicht mehr zu dir!«
Und damit schlug die Thür schmetternd ins Schloß, und Fräulein Beatrice von Drach wandte sich mit hochentrüsteter Miene nach der Treppe.
»Ei guten Tag, meine kleine Ungnädige! Bitte treten Sie mich nicht tot!«
Wie von einem Schlage getroffen, zuckte Beatrice zusammen, glühende Blutwellen ergossen sich über ihr Gesichtchen, starr vor Schrecken sanken ihre Hände mit dem Entenpelzmuff hernieder.
»Ach … Vetter Donat … ich habe Sie gar nicht gesehen«, stotterte sie in höchster Verwirrung, »ich … ich …«
»Ja Sie waren sehr schlechter Laune«, lachte der junge Offizier amüsiert, »und die Thür dort ist zu, dauerhaft geschlossen! … Wo soll es denn hingehen, in die Konfirmandenstunde?«
Die braunen Augen blitzten auf.
»Ich bin konfimiert – seit einem Jahre bereits! es ist empörend, mich so etwas zu fragen!«
Die junge Dame sah so zornig aus, daß Hüningen förmlich erschrak.
»Ach ja, richtig – ich vergesse das immer wieder, Bickychen – bitte tausendmal um Verzeihung … aber weil man Sie so selten zu sehen bekommt, und dann … Donnerwetter, was für ein prachtvoller Zopf? Da spielen Sie gewiß recht oft Pferd mit Bruder Konstantin?«
Donat wog bewundernd die dicke braunglänzende Flechte, welche, mit roter Bandschleife geschlossen, über die Schultern des kleinen Fräuleins hing, in der Hand.
Mit sprühendem Blick riß sie Beatrice aus seinen Fingern und stampfte zornig auf den Boden.
»Ich spiele nicht mehr Pferd … ich bin kein Kind mehr, und wenn Sie mich noch einmal mit meinem abscheulichen Babyzopf ärgern, dann kratze ich Ihnen die Augen aus! Verstanden?«
»Alle neune! Sauve qui peut! … Ich scheine es ja furchtbar mit Ihnen verdorben zu haben, kleines Noli me tangere! und dabei meine ich es doch so gut mit Ihnen, nenne Sie bereits höchst respektvoll ›Sie‹, obwohl ich viel lieber ›du‹ sagen möchte – «
Thränen der Empörung blitzten in den schönen Augen des Backfischchens.
»Mich du nennen? O, das wollte ich mir verbitten! Das sollte Ihnen doch schlecht bekommen! Ich bin siebzehn Jahre alt!«
Und Bicky stellte das Füßchen hart auf den Boden und trat kampfbereit noch um einen Schritt näher.
»Mein Gott, wie jung!!« – Donat schlug die Hände zusammen und amüsierte sich wie ein Gott, »da müßten Sie ja eigentlich noch in die Schule gehen und ganz kurze Kleider tragen …«
Weiter gedieh des jungen Fürsten Bosheit nicht, der Entenmuff flog ihm ins Gesicht, und Bickys zorniges Hohngelächter folgte ihm.
»Rache! Rache! dafür werden Sie in die dunkle Stube gesperrt!« lachte der Ulan schallend auf, die atlasgefütterte Bombe annektierend, »erst Abbitte thun, sonst nehme ich dieses Kaninchenfell unwiederbringlich mit mir!«
»Es ist Entenpelz!« schrie ihn Beatrice halb verächtlich, halb empört an, »augenblicklich her damit, sonst fliegen die Schlittschuhe nach!!«
»Hu – dafür danke ich, die sind nicht wattiert!« entsetzte sich Donat mit einer Grimasse; da soeben der Diener droben an dem Treppengeländer erschien: »Die gnädigste Gräfin läßt bitten, einzutreten!« so reichte Hüningen mit seinem treuherzigsten Gesicht den Muff zurück und bot zu gleicher Zeit die Hand hin.
»Na, Waffenstillstand, Bicky! ich sehe meine Schlechtigkeit ein und bitte um Absolution!«
Beatrice preßte die Lippen zusammen.
»Nein, Sie sind abscheulich!«
»Ich war's zum letztenmal!«
Was er für Augen machen konnte! Alles Blut schoß wieder in ihre Wangen. Schweigend nahm sie den Muff, die rosigen Lippen zuckten wie in unterdrücktem Schluchzen.
»Noch ein Patschhändchen!«
»Babys geben Patschhändchen!!«
»Nun, dann bitte ich um die hohe Vergünstigung, diese siebzehnjährige jungfräuliche Hand an die Lippen ziehen zu dürfen!« und schnell hatte Donat die herabhängende Rechte der jungen Dame ergriffen und sie galant über dem Handschuhrand geküßt. Er bemerkte nicht, wie sie erbebte.
Eine reizende, süße Verwirrung leuchtete auf dem rosigen Antlitz, hochaufatmend schaute sie zu dem schönen Mann empor.
Donat aber klappte die Sporen zusammen, machte eine sehr schelmische Miene und ehe sie sich's versah, hatte er ihren Zopf wieder erwischt und behandelte ihn genau wie einen Klingelzug, dann stürmte er mit wenigen Sprüngen die Treppe empor.
Das lächelnde Gesicht unter dem Pelzbarettchen und dem zarten Gazeschleier war wieder sehr blaß geworden, Beatrice stand regungslos und schwieg.
Als er droben auf der Treppe verschwunden war, hob sich ihr Blick ihm nach.
Ein unbeschreiblicher Ausdruck, Jubel, Zorn und Schmerz war sein leidenschaftliches Gemisch.
Sie nahm den Zopf und warf ihn trotzig auf den Rücken zurück, dann blickte sie zufällig auf den Teppich und sah ein Maiglöckchen liegen, welches aus seinem Strauß gefallen. Ungestüm neigte sie sich, es aufzuheben, sah es durch Thränen lächelnd, voll unendlicher Zärtlichkeit an, und floh mit der kostbaren Beute den langen Korridor hinab in ihr Zimmer.
Dort holte sie ihr Tagebuch herzu, küßte die Blume ganz heimlich und verstohlen, und legte sie zwischen die weißen Blätter.
»Zur Erinnerung an seinen Handkuß!« flüsterte sie wie verklärt, drückte ihren Entenmuff ungestüm ans Herz, weil er ihn in der Hand gehabt hatte und seufzte: »Ach du glückliche Xenia! all die andern Maiblumen bringt er dir!«
Dann rief Miß Davenport ungeduldig auf dem Korridor nach ihrer Schutzbefohlenen.
»Gott sei Dank, daß die alte Hexe vorhin nicht da war und unser Gespräch störte!« jubelte Beatrice im Herzen, stürmte hinaus, und sah den Bruder Konstantin in der Thür stehen.
»Den Letzten!« lachte sie übermütig, klatschte den ahnungslosen Quartaner energisch mit dem geliebkosten Muff auf den Kopf, und dahin ging die wilde Jagd in den Park hinaus, wo sich bald ein feuereifriges Gefecht mit Schneebällen entspann. Konstantin hatte noble Gesinnungen und blieb nichts schuldig.
» Incredible! like a Blackguard! … like a school girl!« alterierte sich Miß Davenport, und sah es kopfschüttelnd mit an, wie sich der braune Zopf mit der roten Schleife in der Hitze der Balgerei schier schlängelte vor Lust und Freude!
Währenddessen hatte sich Fürst Heller-Hüningen droben im Ecksalon einen Sessel neben die Staffelei gerollt, vor welcher Gräfin Dynar saß, um auf goldfarbigen Atlas ein Watteau-Medaillon zu malen.
Er war sehr animiert, so lustig und guter Dinge, daß es gar nicht seiner Versicherung: »er komme direkt vom Frühstück« bedurft hätte.
»Also heute ist der unsterbliche Proczna mit vier Schlachtrossen aus Andalusien, unzähligen Bedienten und königlichem Gepäck hier einpassiert!« lachte er, seine übereinander gezogenen Handschuhe an dem untersten Knopf im Wirbel drehend, »und Flandern hat natürlich nichts Eiligeres zu thun, als ihn unter den Arm zu nehmen und zu uns ins Kasino zu führen; eine schwere Sitzung, sage ich Ihnen, Cousinchen, denn selbstverständlich wollten wir doch dem Mann imponieren!«
Donat lachte leise auf.
»Ein famoser Kerl, der Proczna! Endlich mal einer, der dem Ulanenregiment Kaiser Franz Josef gewachsen ist! Der und ihm imponieren! Flandern denkt Wunder, wie forsch er ins Zeug geht, wenn er seine beiden Jucker anschirrt und den Sängerknaben zum Hotel droschkt! Pumpt sich noch den zweiten Livreebedienten von Weyer, und wie Gott den Schaden besieht, schüttelt Proczna den Kopf über so eine Hungerfuhre und leuchtet den beiden Herren von der ›feudalen Waffe‹ mit seinem Viergespann heim, – haha!! … Ich habe dem guten Flandern den Rat gegeben, er soll seine beiden dienstbaren Geister an eine Leine binden, sonst findet er sie unter dem Heerhaufen des Procznapersonals gar nicht wieder heraus!«
»Für so boshaft hätte ich Sie wirklich nicht gehalten, Donat!«
Xenia wandte das Haupt noch mehr zur Seite und retouchierte einen falschen Lichteffekt, sie malte sehr zerstreut, der Pinsel vibrierte zwischen ihren Fingern.
»O, es kommt noch viel bessert« amüsierte sich Hüningen mit strahlendem Gesicht, ergriff ein Farbentübchen nach dem andern und versorgte den Deckel des Malkastens mit geschmackvollen Klecksen. »Sie hätten nur dieses Frühstück mit erleben sollen, Xenia, faktisch, so was kriecht gar nicht mehr auf dem Boden herum, und Flanderns Gesicht, und der dicke Rittmeister Hechelberg, der zuerst dasaß wie ein aufgeblasener Frosch: › L'état c'est le roi!‹«
» L'état c'est moi!«
»Mir auch recht! … und dann so dünn und klein wurde wie eine sechsmal geteilte Sardelle, ich versichere Sie, Cousinchen, ich habe mein Lebtag noch nicht so gelacht! Der braven Erlaucht Isterloh habe ich vor Vergnügen fast die große Zehe unter dem Tisch abgetreten! Also hören Sie: Es wurde beschlossen, den Stern der Kunst in huldvollster Herablassung an unsere Tafel zu ziehen, um ihm zu zeigen, wie die Ulanen in H. für gewöhnlich frühstücken, und ihm damit die Erlaubnis zu geben: ›Gehe hin und erzähl's weiter! Wir, die Ulanen, sind gewohnt, daß uns die Mitwelt anstaunt!‹ Flandern und der Rittmeister, großspuriger denn je, geben ihrem Herzen einen Stoß und lassen, als ›Kasinobevollmächtigte‹, sofort unsern Renommagewein anfahren, dessen Marke und Goldhals bei Gott nicht von schlechten Eltern sind! – Proczna trinkt ihn auch, weil's nichts anderes gibt und weil er es so ganz stillschweigend thut, wurmt es den Rittmeister fürchterlich. ›Na, Verehrtester – kommen ja aus der Heimat dieser schlanken Schönen!‹ schmunzelt er, daß sein feistes Antlitz Falten schlägt. ›Haben Sie das zufällige Glück gehabt, dieser Couleur schon mal in Frankreich zu begegnen?!‹
›Ich glaube nicht, Herr Rittmeister … pardon … ich habe noch gar nicht auf die Marke geachtet‹ … und damit dreht er die Flasche gelassen herum, die Etikette zu lesen.
›Das glaube ich, Proczna!‹ schreit Flandern, den Kopf zurückwerfend. ›Sie wären auch der erste, dem wir › les fleurs de gouttes d'or‹ als etwas Bekanntes verzapfen!‹
› Fleurs de gouttes d'or?‹, ein feines Lächeln spielte um Procznas Mund. ›Sollte dies nicht ein Irrtum sein, meine Herren?‹
Brüllendes Gelächter erhob sich.
›Nein, nein – es ist eine seltene, aber effektive Thatsache!‹ kräht der Rittmeister mit zugekniffenen Augen. ›Das Ulanenregiment Kaiser Franz macht oftmals Unmögliches möglich und leistet sich ein Weinchen, dessen Existenz die meisten Sterblichen für eine Fabel halten! Prost, mein lieber Proczna! auf daß es Ihnen wohl ergehe und Sie noch lange leben darin!‹
Wieder ein Mordsspektakel; unser Gast thut reihum in liebenswürdigster Weise Bescheid, lehnt sich alsdann zurück und sagt:
›Die Heimat der gouttes d'or ist ein Weinberg von knapp zwanzig Hektaren Umfang in der Guienne, bei Château Nisle la Baise, einem Besitztum des Herzogs von Valence; beziehen die Herren den Wein durch irgend welche Protektion direkt aus den Kellern des Herzogs?‹
Allgemeine Stille, dann räuspert sich Hechelberg.
›Nein … so viel ich weiß … wo sitzt denn eigentlich unser Knabe an der Quelle, Flandern? Sie besorgen ja die Einfuhr!‹
Flandern thut beinahe beleidigt.
›Ich war selber in Bordeaux und habe mit einem vollkommen zuverlässigen ersten Weinhaus mein Abkommen getroffen!‹
Proczna schüttelte den Kopf und zuckt die Achseln, hebt das Glas gegen das Licht und sagt bedauernd:
›Es scheint etwas anmaßend von mir, die Behauptung aufzustellen, daß jener Händler vielleicht eine richtige Etikette, aber einen falschen Tropfen liefert, dieser Wein ist gut, meine Herren, aber les fleurs de gouttes d'or ist er nun und nimmermehr!‹
›Wie können Sie diese Aussage bekräftigen?‹
Der Rittmeister ist ganz blaß geworden, und die ganze Tafelrunde scheint gelähmt.
›Durch den einfachsten Beweis, meine Herren‹, lächelte Proczna, ›indem ich Sie sämtlich bitte, mir in wenigen Tagen das Vergnügen zu bereiten, bei mir zu dinieren und Weinprobe zu halten. Ich trinke seit Jahresfrist die echten gouttes d'or und führe sie stets mit mir!‹
Nun hätten Sie die Wirkung dieser Worte sehen sollen, Xenia!«
Hüningen lehnte sich in den Sessel zurück und lachte, daß Gräfin Dynar ihn mit großen, verweisenden Augen maß, aber Donat war so aufgeregt, so vollkommen bei der Sache, daß er es gar nicht bemerkte.
»Proczna erzählte zur Bekräftigung seiner Aussage, daß die echten gouttes d'or überhaupt niemals in die Öffentlichkeit gelangen, da einzig die Kaiserliche Tafel zu Paris und die des Herzogs von Valence aus jenen Zauberkellern von Nisle la Baise versorgt werden! ›Ein großer und glücklicher Zufall hat meine bescheidene Tafel zur dritten in diesem Bunde gemacht!‹ sagte er mit einer Miene, als mache er höchstens die Mitteilung, daß zwei mal zwei vier ist, ›denn der Herzog von Valence hat mich mit dem Vorzug ausgezeichnet, ihn Freund nennen zu dürfen, und als ich bei einer kleinen Matinee in seinem Hotel vor dem engsten Hofkreise sang und besonders gut bei Stimme war, behauptete er, daran sei einzig die Flasche gouttes d'or schuld, aus welcher er zuvor mit mir auf › bonne chance‹ angestoßen hatte. Seitdem werde ich auf seinen Befehl in verschwenderischster Weise mit diesem Stimmenelixier versorgt.‹
Ach, Cousinchen – ich gäbe ein Jahr meines Lebens darum, hätte ich nach dieser weisen Rede Procznas Flandern und den Rittmeister photographieren können!! Gesichter – so lang wie ein Heimatswimpel, und eine Färbung wie … o hier sehen Sie, gerade wie diese Mischung von Grün, Gelb und Jämmerlich!«
Donat tippte in höchster Lustigkeit auf die Palette.
»Und bei Gott, mit aller Ursache: Denken Sie doch die bodenlose Schlappe, die unser Weinkeller erlitten hat! Unserer! der cave des lanciers, welcher in der deutschen Armee so berühmt ist, wie ein Känguruh in Lappland, haha! und nun kommt Janek Proczna und erzählt dem erstaunten Volk, daß er bei den Kaiser Franz Joseph-Ulanen mit geschmiertem Zeug beinahe vergiftet ist! Les fleurs des gouttes d'or – !! Proste Mahlzeit, Zuckerwasser mit Essig und Schwefelhölzchen drin! … ach, Cousinchen, ich komme noch rein um vor Lachen!«
Und Fürst Heller-Hüningen lachte so bezwingend übermütig, daß selbst von Xenias Stirn der finstere Schatten einen Augenblick wich. Sie legte den Pinsel aus der Hand und sah ihn fest an, ihre Stimme klang noch strenger wie sonst.
»Wie können Sie sich aber über diese Blamage, welche Sie doch ebenso gut betrifft, wie Ihre Kameraden, derart amüsieren?«
Donat sah treuherzig empor.
»Wir haben ja alle einen diebischen Spaß daran! Außer Flandern und dem ›verlorenen Sohn‹, dem Rittmeister, die das Zeug besorgt haben! Nächstens setzen sie uns Karmintinte vor! Wäre es uns bei einem andern passiert, boste es mich entschieden fürchterlich, aber Proczna, dieser Kavalier von reinstem Wasser, dieser scharmanteste aller Gäste, welchen wir jemals an unsern Tisch gesetzt haben, der würde sich eher die Zunge abbeißen, ehe er uns eine Narrenkappe über die Ohren zöge!«
Gräfin Dynar schien nervös zu sein, sie grub die Zähne in die Unterlippe und schob die Staffelei brüsk zur Seite.
»Und diese Heldenthat des Sängers Proczna ist alles, was Sie mir von so ›großer Wichtigkeit‹ mitzuteilen hatten?« fragte sie fast spöttisch.
Das Antlitz des jungen Offiziers ward ernster, er richtete sich empor und schüttelte den hübschen Kopf.
»Nein, Xenia, ich komme aus anderm Grunde, und wenn ich mich so lange bei der Vorrede aufhielt, so geschah es aus dem diplomatischen Grunde, mir erst Courage anzureden, denn ich weiß, daß Sie über meine Frage wieder gewaltig böse werden!«
Erstaunt blickte sie auf, Donat aber schaute ihr stracks in die Augen:
»Offen und ehrlich heraus, verehrte Cousine: In welcher Beziehung steht Janek Proczna zu Ihnen und Ihrem Hause?!«
Leichenblässe lag auf dem schönen Antlitz der Komtesse, ihre Hände krampften sich in die knirschenden Seidenfalten ihres Kleides, dennoch blieben ihre Züge unverändert.
»Janek Proczna – zu mir?« verächtlich klang es von ihren Lippen.
»Ich bitte Sie, mir, Ihrem Verwandten gegenüber, kein falsches Spiel zu spielen, Xenia!« bat Fürst Hüningen sehr herzlich, »mir nicht zu verheimlichen, was bereits wildfremde Menschen wissen …«
»Fremde Menschen wissen?! …« Wie ein Angstschrei rang es sich aus ihrer Brust. »Ich beschwöre Sie, Donat, was hat man gewagt zu mutmaßen, was hat man für Gerüchte ausgesprengt?!«
Die starre Ruhe war dahin, mit sprühendem Auge war Gräfin Dynar emporgezuckt, und die Hand, welche sich beschwörend auf den Arm des Ulanenoffiziers legte, bebte.
Donat war ernst, aber in seinem Auge strahlte es auf:
»Janek Proczna ist ein Pseudonym, das ist Thatsache, Xenia, und wer sich dahinter birgt, scheint auch kein Geheimnis zu sein. Als wir beim Frühstück saßen, bekam Weyer-Sensfeldt einen roten Kopf und – wes das Herz voll ist, des geht der Mund über – er hob sein Glas gegen Proczna: – ›Diskretion Ehrensache, lieber Kamerad, aber wie es unter Husaren und Schützen: ›Guten Morgen, Couleur‹ heißt, so besteht auch zwischen den beiden schwesterlichen Waffen der Kürassiere und Ulanen eine geheime Sympathie, welche schärfer blickt, als man oft ahnt! Das Wohl der Gardekürassiere, Proczna. Guten Morgen, Couleur!‹«
Wie ein Fieberschauer ging es durch die Glieder der Komtesse. »Und er … der Pole …, was erwiderte er?!«
»Er spielte meisterlich den Ahnungslosen. Bis ihm Flandern mit tausend kleinen Andeutungen zusetzte, welche auf Sie münzten, Cousine!«
»Auf mich?« … Xenia flüsterte es durch die Zähne. »Und darauf?«
»Darauf erhob er sich, stolz, ernst und sehr ruhig, faßte sein Glas und überflog die Tafelrunde mit wahrhaft königlichem, beinahe drohendem Blick. ›Diskretion Ehrensache! meine Herren!‹ sagte er langsam. ›Ich bitte Sie, mit mir auf das Wohl des › Kräutleins Vergessenheit‹ zu trinken!‹«
Xenias Haupt sank hernieder, starr haftete ihr Auge auf dem wirren Teppichmuster, Fürst Hüningen aber erhob sich und trat neben sie.
»Xenia!« sagte er leise, »ist Proczna Ihr Adoptivbruder Hans?«
Sie sah empor, wie wilder Trotz glühte es in ihrem Auge:
»Gott sei's geklagt, Donat, ja er ist es!«
»Er ist es! Xenia, er ist es?! …« Heller-Hüningen jubelte laut auf und faßte ungestüm beide Hände der Komtesse, »und das konnten Sie verheimlichen, das konnten Sie auf dem Herzen behalten und jetzt, nachdem Sie es einer Menschenseele verkündet, ›Gott sei's geklagt‹ davorsetzen?! O Cousine, wie stolz können Sie auf solch einen Bruder sein!«
Fast zornig befreite sie ihre Hände.
»Der Adoptivsohn meines Vaters ist nicht mein Bruder!« entgegnete sie heftig, »und kein Mensch hat das Recht, ihn dazu zu stempeln! Janek Proczna ist mir durch Blut und Namen so fremd, wie jeder andere Pole, welcher singend durch die Welt zieht und sich zum Spielball in den Händen eines launischen Publikums macht! Jener Schritt, welcher ihn aufs Podium führte, welcher ihn zum beklatschten und bekrittelten Konzertsänger machte, hat die Brücke hinter ihm weggerissen, welche mein Vater einst nur äußerlich gebaut hatte! Janek Proczna hat sich durch die Wahl seines Berufs und seines Pseudonyms selber für unwürdig erklärt, der Bruder einer Gräfin Dynar zu sein, und die Kluft zwischen uns gerissen, welche alle Lorbeeren der Welt nicht imstande sind zu füllen!«
Es war, als habe ein Strom wild aufkochend die Bande gesprengt, unter welchen er ohnmächtig die stolzen Wogen gebäumt hatte, als sei plötzlich ein Siegel von den Lippen Xenias genommen, welches ihrer Seele stürmische Leidenschaft lange Jahre hindurch im tiefsten Herzen eingedämmt! Eine fessellose Heftigkeit zitterte durch ihre Worte, klang durch ihre Stimme und flammte in dem dunklen Auge; wie der Frühlingssturm über die Eisfelder des besiegten Winters braust, so zogen die Purpurwogen heißer, tiefinnerster Erregung über das ehedem so bleiche Angesicht.
Hüningen stützte sich schwer auf die Lehne des Sessels. Er hatte die Empfindung, daß hier ein Kampf in stolzem Frauenherzen ausgekämpft sein wolle, dessen siegreichstes Feld die Einsamkeit ist.
Er reichte ihr treuherzig die Hand entgegen.
»Sie haben Janek seit Jahren nicht gesehen, Sie ahnen nicht, wie ungerecht Sie ihn verurteilen. Und darum glaube ich noch nicht an ihre harten Worte, welche Sie hoffentlich recht bald widerrufen! Auf Wiedersehen, verehrteste Cousine – und wenn meine Fürbitte ein klein wenig Chance bei Ihnen hat – « Donat neigte sich und küßte die weiße Hand – »dann begrüßen Sie Janek Proczna gnädiger, als Sie mich jetzt entlassen!«
Er ging, und Xenia warf sich auf den Sessel nieder und verharrte regungslos.
Das Gewitter, welches seit zwei Jahren drohend am Horizont emporgestiegen war, stand über ihrem Haupt und seine Donner rollten ein einziges Wort, majestätisch und furchtbar zugleich: »Janek Proczna!«
An der Thür klopfte es, Xenia hob das Haupt.
Ein Diener brachte zwei Briefe und meldete, daß der Groom Ihrer Excellenz der Frau Präsidentin Gärtner auf Antwort warte.
Lautlos verschwand er wieder hinter der Portiere.
Xenia preßte die kalten Hände gegen die Schläfen, dann öffnete sie mechanisch die Billets und schaute zerstreut darauf nieder. Ein paar Augenblicke blieb es totenstill in dem Salon, nur das steife, Papier knisterte zwischen den Fingern der Leserin, dann knirschte es plötzlich laut auf, voll zitternder Erregung zusammengeknäult und wie ein widriges Insekt weit hin auf das Parkett geschleudert, Xenia aber lachte grell auf, ein unbeschreibliches Lachen, welches in Thränen zu ersticken schien!
Wie ein Schleier zerriß es plötzlich vor ihrem geistigen Auge, sie blickte auf ein Netz voll feiner wirrer Fäden, welches die Intrigue kunstvoll und heimlich geknüpft hatte, und welches Frau Fama mit gierigen Händen erfaßte, um es auszuspinnen und breitzuzerren, dicht vor die Füße der Gräfin Dynar, damit sie hintaumele und zum Spott und Gelächter der Menschheit werde.
Janek Proczna unter ihrem Dache! Janek Proczna in ihren Salons empfangen und der Neugier präsentiert! Wie ein Schwindel brauste es durch ihre Sinne, sie schüttelte das Haupt wild in den Nacken und preßte die Hände gegen die Brust. Lieber sterben, lieber zu Grunde gehen, als eine solche Niederlage erdulden!
Alles war geplant, seit langer Zeit ausgeklügelt!
Man weiß es längst, wer Janek Proczna ist, und hat eine Komödie ersonnen, in welcher ihr die Rolle der Gedemütigten und Bewitzelten zuerteilt ist. Wenige Stunden nur, und man wird über diese Schwelle schreiten, um über den Namen Dynar zu Gericht zu sitzen, um sich an dem Schauspiel zu weiden, Gräfin Xenia vor Scham erbleichen zu sehen. Janek Proczna aber wird triumphieren, wird sie mit jenem Blick messen, wie damals, als er ihr diese Stunde prophezeite, wird abermals moralisch seine Peitsche heben, um ihrem Stolz und ihrer Ehre für ewige Zeiten brandmarkend ein Schandmal auf die Stirn zu schreiben!
Vor Verzweiflung that Xenia einige Schritte nach dem Schellenzug und setzte ihn mit kurzem Ruck in Bewegung.
»Fort von hier! fort, in die tiefste Einsamkeit … mag alles hinter mir in Splitter und Trümmer brechen, wenn ich nur nicht Zeugin davon sein muß, wenn ich nur nicht Janek Procznas spottende Augen zu sehen brauche!«
Der Diener trat ein, er hatte bereits die Hand auf die Thürklinke gelegt, um eine Visite anzumelden; mit stummer Verneigung bot er seiner jungen Herrin eine Karte auf dem Silbertablett entgegen.
Mit blitzendem Auge herrschte ihn Gräfin Dynar an:
»Ich empfange keine Visiten mehr, schicken Sie Gustine augenblicklich zu mir heraus!«
»Der Herr läßt gnädigste Gräfin dringend ersuchen, ihm nur einen Augenblick Gehör zu schenken!« wagte der Galonnierte schüchtern einzuwerfen, er dachte an das fürstliche Douceur, welches ihm der Fremde in die Hand gedrückt hatte, mit dem Ersuchen, während seines Besuches den Hatzhund in Verwahrung zu nehmen, welcher ihm unbemerkt gefolgt sei.
Eine Falte senkte sich zwischen die feinen Augenbrauen Xenias.
»Wer ist es?« fragte sie herb, nahm die Karte und maß sie mit flüchtigem Blick.
»Janek Proczna – – !«
Wie ein Erstarren ging es über die schlanke Gestalt, regungslos stand sie.
»Janek Proczna …«
Nein, sie träumt nicht, es ist Wahrheit, hier steht es fest und klar … Janek Proczna …
Langsam streicht sie mit der Hand über Stirn und Augen.
»Befehlen gnädige Gräfin, daß ich eintreten lasse?«
Das goldblonde Haupt zuckt empor, hebt sich stolz und königlich auf dem Nacken und wendet sich dem Frager zu
»In das Balkonzimmer!«
Wie ein Aufatmen klingt es durch ihre Stimme. Wieder ist sie allein.
Noch einmal braust es wie Frühlingssturm durch ihre Seele, dann wird's ruhig, vor ihr liegt's klar und hell, kalt und frostig wie eine weite, glanzlose Schneefläche. Weg und Steg sieht sie nicht, aber wie ein Nebelbild steht fern, fern am Horizont eine dunkle Gestalt, wächst größer und größer, hebt die Hand und winkt ihr:
»Komm!«
Mit sicherem Schritt geht Xenia Dynar ihr entgegen. Fand sein Fuß den Weg durch das Brachfeld, auf welchem Spott, Demütigung und Anfeindung ihre giftigen Nesseln gesät, auf welches die öffentliche Meinung und die Falschheit der Welt ihre Steine gerollt, so war Gräfin Xenia Dynar auch kühn und stolz genug, den martervollen Pfad zu wandeln, um verachtend Nesseln und Steine unter die Füße zu treten! … – –
Als sich die Thür kaum hinter ihr geschlossen, huschte etwas behend durch die entgegengesetzte Portiere in den Salon.
Beatrice schlich sich auf den Fußspitzen an den Tisch und that schnellen Umblick.
Richtig! Da lagen Donats herzige Maiglöckchen, unbeachtet und nachlässig hingeworfen, ganz welk bereits und teilweise sogar geknickt!
Ein fast zorniger Blick sprühte aus den klaren Rehaugen Bickys nach der Thür, hinter welcher die hohe Gestalt der Cousine verschwunden war; sie hob die Blumen liebkosend an die Stumpfnase empor und sagte ihnen tausend zärtliche Worte:
»Nur um seinetwillen sehe ich nach euch, ihr armen Dinger, denn die abscheuliche Xenia verdient es nicht, daß man hinter ihr herläuft, um ihre Bouquets ins Wasser zu stellen! Kämt ihr nicht von Donat, möchtet ihr meinetwegen hier liegen bleiben bis zum jüngsten Tag, aber er sieht's am Ende, und dann kränkt es ihn, denn er ist wirklich so dumm, die Xenia schrecklich lieb zu haben, und ich weiß es ja wie's thut, wenn man so gar nicht beachtet wird!«
Ein tiefer Seufzer stahl sich über die Lippen, mit schwärmerischem Blick wurden die Maiglöckchen noch einmal gemustert und dann ins Wasser gestellt.
Sie durfte das getrost riskieren, hatte es schon mehr wie einmal gethan, und von Xenia war es nie bemerkt worden.
Warum war sie nun nicht so groß und schön wie die bewunderte Gräfin Dynar?
Warum mußte sie immer noch in der Kinderstube stecken? Und warum bestand ihre Mama so eigensinnig auf diesem abscheulichen Zopf, diesem Herzeleid, welches noch zum Nagel ihres Sarges werden wird? Donat ärgerte sie ewig damit … und … o wie haßte sie diese Frisur, welche einzig daran schuld war, daß er sie noch als Kind behandelte.
Könnte sie ihn nur abschneiden! … aber dann wehe ihr! … Was thun?
Bicky gab den Maiglocken noch einen verzweifelten Kuß, dann trat sie den Rückweg an, um drunten in ihrem Zimmer einmal ernstlich auf ein Mittel zu sinnen, den unerträglichen Zuständen der Villa Florian ein Ende voll Schrecken zu bereiten.
Sie dreht sich hin, sie dreht sich her, der Zopf, der hängt ihr hinten.
O Donat! Donat!! …