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Herr von Welfen ritt langsam durch die sauberen Straßen von Feldheim, freundlich und guter Dinge, nach allen Seiten nickend und grüßend, hie unb da ein paar heitere Worte zurufend, oder für eine Minute das Pferd anhaltend, um eine Frage in irgendein Fensterlein empor oder an einen Vorüberschreitenden zu richten.
Feldheim verkörperte die Vorstellungen von einem kleinen Landstädtchen. Hübsche, breite Straßen, niedere Häuschen mit spitzem, rotem Ziegeldach, weißen Mullgardinen an den Fenstern und prächtig blühenden Stöcken hinter den Scheiben – zwischen den Gebäuden die grünen Gärten oder breiten Tore, die den Einblick in einen Ökonomiehof gewähren, und aus dem friedliche Hühnerscharen strömen, das Gras zwischen den Pflastersteinen abzuzwicken.
Das Pflaster war die schlimmste Eigenschaft von Feldheim. Ein poetisch angelegter Husarenleutnant hatte einst eine, längere Dichtung über diese, seine neue Garnison verfaßt, aus der namentlich eine Strophe sehr populär wurde:
»Doch das größte deiner Laster,
Feldheim, ist dein Straßenpflaster!«
eine unleugbare Tatsache, die den Bürgermeister zu Selbstmordgedanken veranlaßt haben sollte.
Kaufläden gab es ausreichende und gute – auch zwei Gendarmen und ein Nachtwächter sollten existieren, doch behaupteten böse Zungen, der letztere wäre noch weniger zu sehen als die ersteren. Um zehn Uhr abends tutete es allerdings alle Schaltjahre einmal durch die Straßen von Feldheim, doch behauptete der schlaftrunkene Provisor, der einmal bis zehn Uhr gewacht hatte: das mantelverhüllte Etwas, das nachtwandelnd über den Marktplatz geschritten sei, wäre des Nachtwächters Claus Schwiegermutter, die vereidigte Hebamme gewesen, die einen Gang zu einer Wöchnerin dazu benutzt habe, für die Sicherheit Feldheims zu wachen. – Das war praktisch und bequem, und die Feldheimer Bürger lächelten im Traume, wenn sie das Horn hörten und dachten schadenfroh: »Aha – der Klapperstorch ist bei der Müllern oder Bäckern eingekehrt!«
Wozu sollte auch der alte Claus so unnütz seinen Schlaf opfern! Es passierte ja nichts in Feldheim. Die zweite Husarenschwadron lag in Bürgerquartieren, da sich die Kaserne nicht als groß genug erwiesen, um alle Jünger des Mars aufzunehmen.
Die Kaserne war nicht etwa eigens für das Militär erbaut, wie ahnungslose Reisende im ersten Moment zur Schamröte der Stadtväter annahmen, sie war nur aus dem alten »Kloster« hergerichtet, denn Feldheim hatte in grauer Vorzeit gute Tage gesehen und war die Residenz einer verwitweten Herzogin gewesen, deren frommer Sinn das Kloster gestiftet, und deren Schlößchen »Fasanerie« noch eine Zeitlang später als Schmollwinkel für fürstliche Herren und Damen diente, die die kleine Residenz durch längere Abwesenheit strafen wollten. Aus jener Zeit stammten auch noch ein paar altherrschaftliche Häuser, die nunmehr zum Landratsamt oder zur Kanzlei geworden waren, oder in welchen verheiratete Offiziere Wohnung genommen hatten.
Die Fasanerie stand unverändert altersgrau und verstaubt in ihrem urwaldähnlichen Park, und die weißhaarige Kastellanin saß hinter den bleiverschnörkelten Fenstern und spann einsam den Faden, wie die Schicksalsnorne, die geheimnisvoll ihres Amtes waltet.
Nur am Geburtstag des Landesfürsten stand es den Offizieren und Honoratioren des Städtchens frei, mit ihren Damen in der Fasanerie zu tanzen, ein eigenartiges Fest, an dem sich auch die Gutsbesitzer der Umgegend zu beteiligen pflegten.
Die Geselligkeit in Feldheim war nicht groß, aber sie wurde auf die Güter und die naheliegende Infanterie-Garnison ausgedehnt, und wenn auch neu nach dort versetzte Offiziere voll Verzweiflung stöhnten, es sei in Feldheim zum Rasendwerden langweilig, so hatte doch auch dieses Landstädtchen seine Freunde und Gönner, die ihm die eigenartigen Reize seiner schönen Umgebung und seine göttliche Ungeniertheit nachrühmten.
Herr von Welfen war nicht nur in dem ersten Hotel »Zum Fürsten Adolph«, das sich durch vortreffliche Frühstücksstube auszeichnete, bekannt, sondern überall, bei groß und klein, soweit ein Feldheimer Häuschen stand. Grüßend und nickend ritt er fürbaß, und als er wieder in den Wald einbog, der seine knospenden Zweige und die ehrwürdig rauschenden Tannen über ihm im sonnigen Frühlingsglanz badete, ging es ihm so recht durch den Kopf, was Elten soeben gesagt und angeregt hatte. Ja, er wollte seine künftigen Schwiegersöhne erst prüfen und kennenlernen, ehe er ihnen Jawort und Tochter gab! – Und darum sollten sie erst eine Probe ablegen, wie weiland die Ritter ihren Mut und Edelsinn betätigen mußten, ehe ihnen holder Lohn ward. Heutzutage gab es kein Kämpfen gegen Lindwurm und Mohrenfürst, sondern eine ganz einfache, kleine Schriftprobe genügte, um zu erforschen, was Gutes und Schlechtes an dem Manne war.
Daß die Schrift des Landrats keine allzu glänzenden Eigenschaften aufwies, konnte sich der Major schon im voraus denken. Er hatte keine sehr große Vorliebe für Herrn von Born, denn dieser gehörte zu den Menschen, die Herrn von Welfen zu widersprechen wagten und ihre Ansichten obendrein zu Sieg und Ehren durchfochten.
Für einen cholerisch veranlagten Herrn, wie den Besitzer von Jeseritz, war solch ein Verkehr recht unerquicklich. – Das Bataillon des Majors hatte isoliert in einer kleinen Garnison gestanden; er war dort oberster Befehlshaber und Beherrscher aller Reußen, und dienstlich wie gesellschaftlich war seine Ansicht maßgebend gewesen. Dadurch hatte er sich ein etwas tyrannisches und rechthaberisches Wesen angeeignet, was in der Oberbefehlshaberstellung eines Gutsherrn eher noch gefördert, als gemildert wurde. Herr von Born wagte es als erster, ihm in manchen Dingen zu opponieren, mit jener lächelnden, stets liebenswürdigen Schlagfertigkeit des geistig Überlegenen, die den Gegner an versetztem Ingrimm die Wände hochgehen läßt.
»Der Kerl hat eine verfluchte Manier, einen zu bevormunden!« brauste er oft auf, wenn Frau Dora die Kenntnisse des neuen Landrats pries, der schon in vielen Dingen sehr günstig und geschickt dem alten Schlendrian den Garaus gemacht hatte und im Interesse der bedrängten Agrarier manchem Übelstand abzuhelfen gedachte.
Ja, der Landrat wollte immer das Richtige, und das verdroß Herrn von Welfen am meisten, weil er sich steif und fest einbildete, von allen Dingen mehr zu verstehen als andere Leute. Es war zu kleinen Reibereien gekommen, die von seiten Borns stets mit größter Ruhe und Liebenswürdigkeit im Keim erstickt wurden, im Herzen des Majors aber einen nagenden Groll zurückließen, der sich bei jeder Gelegenheit gern Luft machte.
So war eine kleine Geschichte passiert, die viel Anlaß zu Gelächter gegeben und dem Landrat, der erst seit dem Monat Februar seinen Posten in Feldheim bekleidete, viele Neckereien eingetragen hatte.
Die obligate Frühlingsüberschwemmung hatte die Gegend heimgesucht, und Herr von Born verlangte in einem Artikel des Lokalblattes von den umliegenden Rittergütern Hilfe und Unterstützung für die Notleidenden der bedrängten Stadtviertel.
Da erschien andern Tags eine kurze, herrlich poetische Antwort in demselben Blatt, die folgendermaßen lautete:
»Mein lieber Herr von Born
Von hinten und von vorn,
Sind wir, die Landgenossen,
Vom Wasser selbst umflossen!«
Ob Zufall, oder heitere Absicht – die Interpunktion des Verses war unrichtig; nicht nach Schluß der ersten – sondern erst nach Schluß der zweiten Zeile stand das Komma – was Wunder, wenn man nun in Stadt und Dorf den neuen Landrat nie mehr anders nannte als: »Mein lieber Herr von Born von hinten und von vorn!«
Am meisten lachte der Betroffene selbst darüber, denn er hatte viel Sinn für Humor und war überzeugt, daß der Dichter unfreiwillig diese Komik geliefert hatte. Auch war er eine viel zu liebenswürdige Natur, um einer Spitzfindigkeit fähig zu sein und die Sache als Beleidigung aufzufassen.
Daß Herr von Welfen der gottbegnadete Lyriker gewesen, pfiffen bald die Spatzen auf dem Dach, und als beide Herren sich das nächste Mal wieder im Frühstückslokal begegneten, ging Born mit ausgestreckten Händen auf seinen Gegner zu und rezitierte lachend:
»O möchte treu das feuchte Element dir bleiben,
Daß nicht Agrarierstürme auf dich reiben –
Will's rettend nicht am Reichstagshimmel blitzen,
Kannst auf dem Land du bald recht – trocken sitzen!«
Reim gegen Reim!
Man lachte über diesen letzteren Reim ebenso vergnügt, wie über den ersten; Herr von Welfen aber sah in der Anspielung auf den Notstand der Landwirtschaft eine hämische Schadenfreude, und das diente nicht dazu, seine inneren Gefühle für den Spötter zu besänftigen.
Äußerlich lebte man selbstverständlich in gutem Einvernehmen, denn die Verhältnisse waren zu klein und die Elemente der Gesellschaft zu sehr auf sich angewiesen, um Spaltungen und Zwietracht ertragen zu können.
Schon die andern Herrn sorgten für den versöhnenden Ausgleich, und Frau von Welfen, die der ritterlichen Erscheinung Borns stets sympathisch gesonnen gewesen, war eine nicht zu unterschätzende Vermittlerin zwischen dem Gatten und dem wohlgemuten Widersacher. Daß die Besuche Borns unter obwaltenden Verhältnissen aber zu Seltenheiten in Jeseritz gehörten, war selbstverständlich, und da Frau Nora das leicht erregbare Gemüt ihres Mannes kannte, vermied sie es, den Namen Born mehr als notwendig zu nennen.
Mit eitel Genugtuung erfüllte es nun den einsam dahinreitenden Major, den verhaßten Herrn mit seinen eigenen Waffen, d.h. mit seiner eigenen Handschrift geschlagen zu haben. Er hatte ihn entlarvt und so, wie er den vortrefflichen Elten kannte, würde der nicht ermangeln, die üble Charakterzeichnung des Landrats unter der Hand in allen maßgebenden Kreisen zu verbreiten.
Tat er ihm Unrecht damit? Nicht im mindesten! Daheim lagen elegant gebunden die Werke der berühmtesten Graphologen, er brauchte die betreffenden Stellen nur aufzuschlagen, um die Zweifler an der Hand anerkannter Meister von der Wahrheit des Gesagten zu überzeugen.
Dieser Gedanke erfreute ihn ungemein, und lustig das schöne Marschlied pfeifend, das ehemals seine Grenadiere hinter ihm gesungen, ruckte er die Zügel an und trabte durch Gottes Frühlingsherrlichkeit der Heimat zu. Schon von weitem ragte der stumpfe Turm des Gutshauses über die Parkbäume empor.
Der Major hob überrascht das Haupt und blickte mit zusammengekniffenen Augen aufmerksam nach dem runden Fensterchen unter dem Schieferdach. Täuscht er sich? Nein, eine Stange schob sich langsam daraus hervor und entrollte die Fahne, er sah es deutlich, der Wind hob sie just empor, und die weißroten Wappenfarben leuchten im Sonnenschein. Inmitten, wie ein dunkler Punkt, prangte das Schild, das die fleißigen Hände seiner Frau und seiner Jüngsten während der langen Wintertage hineingestickt hatten.
Die Fahne wehte nur an Sonn- und Festtagen vom Turm, oder sie begrüßte freundlich die Gäste, die in Jeseritz erwartet werden. Heute war weder ein besonderer Feiertag noch waren Einladungen ergangen – kam trotzdem Besuch? Hm, womöglich die Miltitscher Husaren. Elten meldete sie ja gewissermaßen an.
So gern Herr von Welfen für gewöhnlich Gäste bei sich sah, heute kamen sie ihm doch ein wenig ungelegen, denn der Ritt und die Frühstücksstunde hatten ihn etwas ermüdet, und er hätte sich vor Tisch gern noch ein halbes Stündchen hinlegen und ausruhen mögen.
Aber was half es. Auch ein Vater hatte seine Verpflichtungen und mußte lächelnd zusehen, wenn die Söhne des Landes herzuströmten, den schönen Töchtern zu huldigen. Dieser Gedanke versöhnte ihn, denn Herr von Welfen war eitel auf seine Töchter, besonders auf seine geistreiche, talentvolle Salome, die berechtigt war, sich bewundern und anbeten zu lassen.
So ermunterte er seinen eleganten Goldfuchs zu lebhafterer Gangart und hielt in kurzer Zeit vor der Freitreppe, von der Wulf in »erster Garnitur« herabeilte, ihm die Zügel zu halten. Bachmann kam von der Veranda herzu. Auch er trüg gute Livree und machte das beklommen, feierliche Gesicht, das er stets zur Schau trug, wenn sich etwas Außergewöhnliches in Jeseritz ereignen soll.
»Ist der Besuch schon da?«
»Nein, Herr Major.«
»Wer wird denn erwartet?«
»Die Herren Husarenoffiziere – zu Befehl.«
»Die Miltitscher?«
»Verzeihen, Herr Major, das weiß ich nicht.«
»Selbstverständlich die Miltitscher –- können ja nur die Miltitscher sein. Um wieviel Uhr werden die Herren kommen?«
»So wie gewöhnlich – gnädiger Herr – wohl um zwei ... halb drei ...«
Welfen zog hastig die Uhr. – »Potz Wetter, dann muß ich mich ja schleunigst umziehen! – Verfluchte Wirtschaft – bei der warmen Sonne bin ich siedeheiß geworden und nun in den kalten Staat hinein, wird wiederum eine nette Rheuma- Attacke geben!«
»Darf ich gehorsamst zuvor um den Wein bitten, Herr Major! Ich muß noch die Karaffen füllen!«
»Himmel Schockschwerenot! Auch noch in den eisigen Keller 'runter? –- Undenkbar! Das kann kein Mensch verlangen. Da hier ... alter Maulwurf ... da ist der Schlüssel.« – Und der Sprecher wühlte umständlich ein großes Schlüsselbund ans der Tasche und warf es dem Getreuen zu: »Holt euch mal selber ran, was ihr braucht! – He? Wie viele Herren kommen denn?«
Wulf zuckte die Achseln. »Wir dachten, Herr Major wüßten wohl – –«
»Na, es können ja nur der Rittmeister und die beiden Leutnants sein! Von den Verheirateten reitet keiner zu Tisch über Land – also sechs rot und sechs weiß ... und eine Flasche Portwein zur Suppe!«
»Gnädige Frau wußte nicht genau – ob Sekt?«
»Unsinn! Narrheit! Wer sich mir nichts dir nichts hier anmeldet, der nimmt mit einem einfachen Mittag fürlieb. Ohne Sekt – verstanden?«
»Befehl, Herr Major!«
Wulf stürmte davon, und der Gebieter von Jeseritz stieg etwas steifbeinig die Freitreppe empor. Er merkte es doch, daß er nach langer Winterpause heute zum erstenmal wieder im Sattel gesessen. Im Vorbeischreiten warf er einen Blick in das Eßzimmer. Rose eilte noch geschäftig um den Tisch und steckte in jede Serviette ein Veilchensträußchen.
»Gott sei Dank, daß du kommst, Päppschen!« lachte sie ihm in ihrer frischen Weise entgegen: »Mutter war schon in großer Sorge, du könntest zu spät kommen!«
»I wo werde ich denn!« – Sein Blick überflog etwas übellaunig die festliche Tafel. »Fünf Gedecke? Ihr seid wohl verdreht, nur die drei Miltitscher kommen!«
»Gott sei Dank! Das will ich gleich mal der Mama melden, die hatte schon Todesangst, das ganze Regiment käme!« Rose legte beide Händchen auf die Schultern des alten Herrn: »Du siehst ja gar nicht vergnügt ans, Papachen? Und Salome freut sich so sehr über die Abwechslung!«
»Die hat auch nicht den ganzen Morgen auf dem Meteor gesessen! Ich bin verteufelt müde und legte mich gern noch ein Weilchen hin –«
»Ob noch Zeit dazu ist? Mamsell sagt, es muß sofort gegessen werden, wenn die Herren kommen, sonst verbretzelt ihr das ganze schöne Menu!«
Welfens Antlitz hellte sich etwas auf.
»Hm – haben sie drunten gut gekocht, Kleinchen?« schmunzelte er.
Sie nickte schalkhaft, – »Wirst du Augen machen!! Da kannst du mal sehen, was zur Not in drei Stunden zustande kommen kann! Aber geh, Väterchen, geh – es wird die höchste Zeit!« -
»Wo ist Mama?«
»In den Salons und wischt noch Staub. Die Mädchen waren gerade mitten im größten Reinemachen!«
»Na, dann gehe ich gleich in mein Ankleidezimmer und rüste mich. Wulf soll kommen und mir die Stiefel ausziehen!«
»Gleich, gleich! Ich schicke ihn sofort!«
In dem Gartensalon, von dem eine große, glasgedeckte Veranda in den Park führte, saß Herr von Welfen im bequemen Sessel und las die Zeitung. Er hatte sich umgezogen und schimpfte in allen Tonarten über den Schnupfen, den er sich sicher dabei geholt haben würde, über die dämliche Mode, Gästen zuliebe in einem dünneren Rock frieren zu müssen, und über die Miß, die in allen Zimmern derart parfümiert hätte, daß es ihm rein übel würde!
Salomes Erscheinen brachte ihn momentan auf andere Gedanken. Sie sah so reizend aus, daß es selbst den grauköpfigen Vater verblüffte.
Die Toilette, ein undefinierbares Gemisch von gebauschtem, cremefarbigem Stoff, weich und seidenglänzend, überwogt von Spitzen und umflattert von Schleifen, hob die rosige Zartheit des Gesichtchens auf das vorteilhafteste, wenngleich Fräulein Salome in diesem Augenblick durchaus nicht ihre vorteilhafteste Miene aufgesetzt hatte.
Sie warf sich indigniert in einen Sessel, und zog das Mündchen zu jener scharfen Linie, die die Mama »Trotz und Eigensinn«, der verblendete Vater aber »Energie und Charakter« nannte.
»Na, darling – du siehst ja auch in die Welt, als ob du beißen möchtest!« lachte er. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen, daß du knurrst, mein Pudelchen?«
Statt aller Antwort erhob sich Salome hastig und trat mit aufblitzenden Augen vor den Sprecher hin. Sie warf das Köpfchen zurück und drehte sich langsam herum.
»Wie gefällt dir diese Toilette, Papachen? Du verstehst ja etwas davon!«
Welfen klemmte den Kneifer auf die Nase. »Hm ... famos! ›Pschütt‹ sagt man ja wohl zu so einer eleganten kleinen Sache! Steht dir übrigens brillant, kleiner Schelm, und das scheinst du auch zu wissen!«
Salomes hübsches Gesicht strahlte triumphierend auf. »Und weißt du, was Mama dazu sagt?«
»Na?«
»Es sei ein durchaus unpassendes Kleid für mich. Eine so kostbare Toilette könne eine junge Frau zu größerer Gesellschaft tragen, aber kein blutjunges Pensionsdämchen hier auf dem Lande, wenn zwei Leutnants kämen! – Oh, Papa – ich habe mich furchtbar geärgert!« und die Sprecherin drückte ihr Spitzentüchelchen gegen die tränenlosen Augen und war – ein wenig theatralisch – außer sich!
»Unsinn! Wie kannst du das so ernsthaft nehmen!« alterierte sich der Major. »Du weißt, daß Mama sehr einfach und sparsam ist, und immer über deine hohen Schneiderrechnungen gescholten hat! Sie ist noch aus der alten Schule und kann sich nicht in die Anforderungen der Jetztzeit finden! War ja ein Segen, daß Mutterchen so sparte, um alles, was sie sich selber abknappste, für euch zurückzulegen, aber jetzt geht das nicht mehr und ist auch nicht mehr nötig. Ich liebe hübsche Kleider und sehe sie gern an dir – also! Kopf hoch! Taschentuch herunter! Wir wollen Mamachen schon die Sache plausibel machen, daß ein Mädel wie Salome nicht in Sackleinewand herumlaufen kann!«
»O Papa, wenn ich dich nicht hätte!« rief die junge Dame und schlang voll überschwenglicher Zärtlichkeit die Arme um den Bundesgenossen: »Du verstehst mich! Du bist der Einzige, der mich begreift! Oh, wie danke ich dir!« Dann nahm sie, sichtlich beruhigt und bester Laune, ihm gegenüber Platz, warf noch einen schnellen Blick in den gegenüberliegenden Spiegel und griff nach einem Romanbuch, das sie stets an ihren Lieblingsplätzchen bereit liegen hatte.
Nebenan im Eßsaal plauderten Rose und Miß Dolly, und man hörte soeben die Stimme der ersteren sehr vernehmlich: »Ich kann nicht mehr warten! Ich sterbe vor Hunger! Wulf! Bitte tun Sie mir die einzige Liebe und bringen Sie uns die Suppe in das Arbeitszimmer! Außerdem alles andere, was Mamsell schon im voraus geben kann!«
Der Major sah nach der Uhr. »Das Kind hat recht! Ich bekomme auch einen Löwenhunger. Bereits halb drei Uhr! Weiß der Teufel, wo die Kerle bleiben!«
»Ja, es dauert unerträglich lange!« seufzte Salome, »ich habe in der Eile nicht einmal ordentlich frühstücken können!«
»Welch ein Unfug! Gehe mal sofort und laß dir auch einen Teller Suppe geben!«
»Sie müssen ja jeden Augenblick kommen, Väterchen, so lange halte ich noch aus!«
Beide nickten sich zu, der Major brummte noch etwas Unverständliches, und dann lasen sie weiter.
Im Eßsaal erschien Frau von Welfen. »Schon halb drei Uhr, Wulf! Ich beginne hungrig zu werden, sehen Sie doch mal am Parktor nach, ob man die Herren noch nicht sieht!«
»Befehl, gnädige Frau!«
»Sie bringen schon die Suppe, Bachmann?«
»Für Fräulein Rose und Miß Dolly, gnädige Frau.«
»So so! – Ganz recht, es ist ja entsetzlich, so lange warten zu müssen.«
Sie blickte in den Gartensalon. »Die Herren lassen ja furchtbar lange auf sich warten, Ernst!«
»Hm – finde ich auch. Mein Magen knurrt bereits in allen Tonarten.«
»Ist es denn so weit von Miltitsch bis hierher?« fragte Salome mit verschleiertem Blick.
»O ja – eine ganz anständige Strecke Wegs! Aber ich hoffe, sie haben jetzt das längste Stück hinter sich!«
»Ja, das wäre wirklich zu wünschen. Hast du einen Kaffeelikör bereit, Ernst?«
Herr von Welfen nickte, ohne aufzublicken. »Hm – Rose hat mich schon daran erinnert.«
»Rose! – Das Kind denkt doch auch an alles!« Ein weicher, zärtlicher Klang lag in der Stimme der Sprecherin, sie wandte sich und schritt in das Eßzimmer zurück.
Um Salomes Lippen zuckte es ein wenig spöttisch. Selbstverständlich denkt Rose an alles, was hat sie denn auch anderes zu tun? Ein derart hausbackenes Landpomeränzchen kennt ja keine höheren Interessen. Mehr denn je revoltierte es in dem eigensinnigen, frühreifen Dämchen. Sie empfand die mütterliche Sorge und Anleitung als unerträgliche Bevormundung, ihre Strenge als Härte, ihre gerechten Vorwürfe als Tyrannei.
Nicht einmal anziehen sollte sie sich nach Belieben. Alles war zu teuer, alles unnötig, alles übertriebener Luxus! Das ertrage eine andere!
So sehr es in der Pension den Anschein hatte, als ob die jungen Damen streng überwacht würden, so sehr erfreuten sie sich trotzdem der goldensten Freiheit. Sie kleideten sich, wie sie wollten, sie wandten ihr Taschengeld an – je nach dem es ihnen beliebte. – Kein Mansch fragte: Wie teuer ist dieses Parfüm – wie teuer sind diese Handschuhe, was kostet dieser seidene Unterrock, und war es notwendig, ihn anzuschaffen?
Madame beschränkte sich auf den Lehrsitz: »Ihr seid verpflichtet, mit euerm Monatsgeld auszukommen, auf Rechnung wird keine Stecknadel in meinem Hause genommen!«
Aber Madame fragte nicht weiter danach: »Langte euer Geld auch wirklich?« und wunderte sich auch nicht, und forschte nicht der Ursache nach, warum das Taschengeld von den Eltern immer freigiebiger erhöht ward.
Sie las ja nicht die Briefe, in denen die Pensionärinnen über die vielen, teuern Ausgaben klagten, die sie noch extra, neben den Pensionsgebühren, zu begleichen hätten, und fragten die Eltern bei ihr an, »wie das käme?« so schrieb Madame einen charmanten Brief, in dem sie versicherte, »daß die jungen Damen sich nach Kräften einschränkten, daß aber manche Sonderausgabe geboten sei, und daß ein paar besonders reiche und vornehme Pensionärinnen sich Dinge gestatten konnten, die den anderen Mitschülerinnen vielleicht zu kostspielig seien; sie wolle aber künftighin alles auf das gewissenhafteste überwachen und nur das absolut Notwendige gestatten.« – Dann erfolgte eine Rede an die betreffenden jungen Mädchen mit dringender Ermahnung, alles Überflüssige künftighin zu unterlassen.
Man gelobte es – und fand nach wie vor, daß die teuersten englischen Parfüms, die Spitzentaschentücher, Lackschuhchen und elegantesten Briefpapiere für eine schicke junge Dame eben durchaus notwendig seien!
Und dabei blieb es, und man war schließlich überzeugt, daß die törichtsten Ansprüche nur gerecht und billig seien – fehlte doch die wahrhaft sorgende Mutter, die einer Tochter auch in Kleinigkeiten eine gewissenhafte Lehrmeisterin ist, und durch gutes Beispiel zeigt, was man sparen – und was man vergeuden kann.
Nun war es zu spät, um gut zu machen, was fremde Sorglosigkeit und Nachlässigkeit verschuldet hatten.
Salome hatte die Pensionsschuhe ausgezogen, und revoltierte gegen jede weitere Erziehung. Sie fand sich überflüssig, gemaßregelt und bevormundet in ihrem Elternhause, sie war exaltiert genug, sich einzubilden, es könne nie zu einem harmonischen Zusammenleben zwischen ihr und der Mutter kommen, und darum schien ihr das einzig wünschenswerte Ziel eine schleunige Heirat, die ihr Freiheit und Selbständigkeit verlieh.
Warum nur die Husaren so empörend lange auf sich warten ließen. Im Nebenzimmer schlug es drei Uhr – und der Major warf ingrimmig die Zeitung aus der Hand und sprang auf.
»Hol der Kuckuck diese saumseligen Bengels!« rief er, hastig auf und nieder schreitend: »Ich habe Hunger! – Ich will essen! Es ist drei Uhr durch! Länger warte ich nicht mehr!«
Auch Salome stand auf und trat zu der Tür der Veranda, »Ich begreife gar nicht, was das heißen soll!« schmollte sie und da sie leicht dazu neigte, alles übelzunehmen, fuhr sie erregt fort: »Es ist doch beleidigend, Damen so lange warten zu lassen, zum mindesten liegt in solcher Unpünktlichkeit eine Nichtachtung!«
»Na, na, so schlimm ist's nun gerade nicht, es kann jeden Augenblick ein dienstliches Hindernis eintreten, das den Ritt verzögert. Aber darum brauchen wir uns doch nicht die Seele aus dem Leibe zu hungern!!«
Frau Nora trat wieder ein – sie sah ganz elend ans vor Abspannung und Hunger.
»Lieber Ernst – es ist ja zum Verzweifeln! Wo bleiben die Herren?! Mamsell ringt die Hände und stöhnt, daß das ganze Essen, das wir heute wirklich im Schweiße unseres Angesichts hergerichtet, verbrennt und verbrodelt! Das Fleisch zerfällt, die Suppe kocht ein, der Fisch wird gar, ohne daß er auf dem Feuer war – o es ist wirklich zu arg! Tante Sidonie hat auch schon wieder argen Skandal gemacht, über das unpräzise Essen in diesem Hause, daß ich einfach den Braten anschneiden ließ, um ihr servieren zu lassen. In all dieses Hungern und Absagen auch noch den Ärger über die ewigen Nörgeleien von der verrückten Person!«
»Ich bitte euch dringend,« fiel Salome ein, »komplimentiert diesen Störenfried zum Hause hinaus! Man schämt sich ja zu Tode, sie als Tante anerkennen zu müssen!« »Liebes Kind, das verstehst du nicht. Wir können ihr doch nicht die Tür weisen, nachdem wir sie erst eingeladen haben!
Nun heißt's, die Suppe ausessen, die wir uns eingebrockt haben!«
»Gott sei Dank, daß sie die ihre wenigstens auf ihrem Zimmer ißt!«
»So lange es dauert. Ist ihr wissenschaftliches Werk beendet, schenkt sie sich der Welt zurück. Da schlagt es ein Viertel vier Uhr vom Turm!!« Der Major fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Anrichten! – Es soll sofort angerichtet werden, Dorchen! Mir wird schon ganz blau und grün vor den Augen!!«
»Sieh doch noch einmal nach, für welche Stunde sie sich angemeldet haben!« – nickte Frau von Welfen mit matter Stimme.
»Nachsehen? – Wo?!«
»Nun in dem Anmeldebrief! – Sie haben doch geschrieben!«
»Geschrieben? An mich?!«
»Gewiß, an wen sonst? Oder war es ein reitender Bote, der die Schreckenskunde brachte?«
Welfen neigte den Kopf vor, als verstehe er nicht recht, »Geschrieben? Reitender Bote? – Ich weiß überhaupt nichts davon!« stieß er barsch hervor.
»Aber Ernst! Du hast ja doch den Besuch in der Küche angemeldet!« rief Frau Dora ärgerlich, »und jetzt willst du weder Brief noch Nachricht erhalten haben!«
«Ich – habe – den Besuch – angemeldet?« wiederholte der Major langgedehnt mit schwerer Betonung: »Wer behauptet solchen Blödsinn?!«
»Nun, die Mamsell! – Wulf! Wulf!«
»Befehl gnädige Frau?«
»Die Mamsell Mine soll sofort einmal heraufkommen.«
Wulf schwenkte eilig ab; auch ihm hing der Magen bis in die Schuhe.
Eine dumpfe Pause. Wolfen lief wie ein hungriger Löwe im Käfig auf und nieder, Salome rieb sich die Schläfen mit Eau de Cologne, und Frau Dora harrte, die Augen starr auf die Tür gerichtet, auf Mamsell Mine. Diese erschien mit hochgerötetem Kopf und Augen, die so aufgeregt flackern, daß sie gar nicht so gut und lammfromm wie sonst in die Welt schauten.
Als sie eintrat, schallten ihr drei Stimmen in undurchdringlichem Gewirr entgegen. Frau von Welfen aber hob energisch die Hand, und als ihr Mann und Salome verstummten, fragte sie feierlich: »Mamsell, wer hat die Gäste bei Ihnen angemeldet?«
Das alte Jungferchen schnappte nach Luft. »Der Herr Major taten es!« knixte sie.
»Ich? Sind Sie etwa rappelig geworden?« Mit ein paar langen Schritten stand der Besitzer von Jeseritz vor ihr und sah ihr in das Gesicht, als zweifle er tatsächlich an ihrem gesunden Menschenverstand. Mine entfärbte sich vor Schreck. Sollte es etwa bei dem Major nicht ganz richtig sein? Furchtbarer Gedanke! Aber aufgeregt und wunderlich war er die ganze letzte Zeit schon, und oft seltsam zerstreut.
»Herr Major – verehrter Herr Major!« lispelte sie so freundlich und milde, wie es ihr Wesen war: »Wollen Sie sich nicht erinnern, daß Sie an das Souterrainfenster gekommen sind?«
»Selbstverständlich entsinne ich mich dessen! Aber was hat das mit den Tischgästen, den Miltitscher Husaren, zu tun?« donnerte Welfen.
Mamsell schlug leise wehklagend die Hände zusammen. »Ach Herr Major, bitte entsinnen Sie sich einmal ganz genau – sagten Sie nicht: ›Mamsell, laufen Sie flink einmal zu meiner Frau, und melden Sie ihr: Die Vergißmeinnicht kämen?‹ Und dann sagten Herr Major, wir sollten nur recht gut zukochen ... die Schnepfenpastete...« Die Sprecherin schluchzte in ihrer Herzensangst leise auf –: »Ach, nicht wahr, Herr Major, dessen entsinnen Sie sich doch?«
Welfen stand starr und regungslos. Seine Augen wurden unnatürlich groß: »Na ... und weiter? Was sagte ich von Tischbesuch?«
Nun weinte Mamsell, in der festen Überzeugung, ihr unglücklicher Herr sei rettungslos krank, dicke Tränen in die Schürze: »Nun – daß die Vergißmeinnicht kommen! – Ach du lieber Gott ... und das gnädige Fräulein erklärte mir, mit den Vergißmeinnicht meinte der Herr Papa die Husaren...« Ein schallendes, unbändiges Gelächter. Welfen warf sich in den Sessel nieder, streckte die Beine von sich und lachte – lachte, daß er sich gar nicht fassen konnte.
»Aber Ernst! Welch ein Unfug! Ich bitte dich dringend, erkläre mir diesen Scherz!«
Salome begann zu begreifen; sie drückte einen Moment erschrocken das Taschentuch gegen den Mund, und dann warf sie sich in einen anderen Sessel und lachte mit. Auch Mamsell setzte sich, aber nur, weil ihr vor Angst über den allgemeinen Wahnsinnsausbruch die Knie zitterten.
»Ernst, hältst du uns zum Narren?!«
»Nein, Dörchen, nein! Aber die Geschichte ist so unbezahlbar komisch, daß ich mich erst erholen muß!«
Der Major atmete tief auf, faltete die Hände über dem knurrenden Magen und lehnte erschöpft den Kopf zurück. »Eine unglaubliche Verwechslung, Mutterchen, die Vergißmeinnicht aus deinem Verlobungsbukett!«
»Blumen?! – Blumen?! Und keine Husarenoffiziere?« kreischte Mamsell Mine, allen Respekt vergessend, auf.
Und nun lachte auch Frau von Welfen. »Welch eine unglaubliche Konfusion! Et tant de bruit pour une omelette!! Alle Arbeit, alle Last und Mühe vergeblich!!«
»Unser prachtvolles Diner!« stöhnte Mamsell Mine mit einem Gesicht, als wolle sie der Schlag rühren – sie konnte nicht lachen, nein, sie konnte es nicht.
»Ja, das schöne Diner müssen wir nun allein essen!« lachte der Major, plötzlich in vortrefflichster Laune, »o weh, die Vergißmeinnicht sind ohne Freier gekommen! – Na, gleichviel! Lukullus ißt bei Lukullus! Vorwärts, Mamsell, richten Sie schleunigst an! Es soll mir für sechse gutschmecken, und auf das Wohl der Miltitscher Husaren trinken wir ein Glas Sekt! Rose und Miß sollen sich zu uns setzen und noch mal das Menü durchessen! Marsch, meine Herrschaften – die Familie Welfen geht zu Tisch!« Er verneigte sich feierlich vor seiner Gattin und bot ihr galant den Arm, dann wandte er sich und offerierte Salome den andern.
Wulf riß diensteifrig die Tür vor den Herrschaften auf.
In demselben Augenblick stürmte Bachmann von dem Garten durch die Veranda herein: »Herr Major: Die Equipage ist in Sicht! Die Herren fahren soeben in die Allee ein!« Wie angewurzelt stand die Familie Welfen und starrte sich sprachlos vor Überraschung an.