Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

***

Die Kette auf dem Webstuhl des Großvaters war längst geknüpft und in Ordnung gebracht, und das Weben ging flott und fröhlich vonstatten wie immer. Der alte Salzküfel war wieder der zufriedenste und sanftmütigste Mensch auf dem ganzen Schottenfeld, und sein Ärger über die Nähterin Lois längst verraucht. Er dachte überhaupt nicht mehr an sie, nur die Wettl beobachtete er manchmal verstohlen, ob sie vielleicht wirklich einen geheimen Kummer hätte? Aber er konnte keine Veränderung in ihrem Wesen wahrnehmen, und es sah nicht aus, als ob sie sich schwere Gedanken machte oder nagenden Sorgen hingäbe. Und so oft im Hause vom bevorstehenden Krieg geredet wurde, war sie eine Stürmerin und trat entschlossen für die Verteidigung des Vaterlandes und des angestammten Kaiserhauses ein und für den Kampf bis aufs Messer gegen die fremdländische Anmaßung.

Das gefiel dem Großvater wohl. Er hielt es nicht für unwahrscheinlich, daß die Anfänge einer leisen und zarten Beziehung zwischen der Wettl und dem Lebold, aus der die beflissene Nähterin schon eine Heirat gemacht hatte, wirklich bestanden. Aber umsomehr freute es ihn, daß Wettl mutig und fröhlich blieb wie immer und vor der drohenden Gefahr nicht gleich einknickte. Das bestärkte ihn in seiner Überzeugung, daß er sich in seinem Liebling nicht getäuscht habe. Nein, die Wettl war kein Mädel, wie man sie alle Tage fand! Die war viel zu herzhaft und griff viel zu wacker bei jeder Arbeit mit zu, als daß der erste Windstoß sie hätte umwerfen können! Die würde sich schon aufrecht halten, auch wenn ihr Liebster wirklich einmal in Schlachten kämpfte! Die wußte es, so jung und heiter sie war, daß das Leben kein Spielzeug ist, sondern Mut von uns fordert. Die wußte es, so unerfahren sie schien, daß wir nichts Wertvolleres zu verlieren haben als uns selbst, und daß Gott uns Kraft verliehen hat, alle Verluste zu ertragen, solange wir nur ihn noch besitzen! – So dachte der alte Salzküfel. Und er war stolz auf seine Wettl.

Er mußte jetzt einbringen, was er durch das Zerreißen und langwierige Anknüpfen der Kette versäumt hatte, und fing jeden Tag eine halbe Stunde früher zu weben an als gewöhnlich. Diese halbe Stunde täglich wollte er so lange zulegen, bis die zwei Arbeitstage, die er durch seinen Zorn verloren hatte, wieder eingebracht wären. So hatte er sich's vorgenommen, und so hielt er es auch. Ein wenig hart kam es ihm manchmal an, denn die gewöhnliche Arbeitszeit war ohnedies schon reich bemessen, vom Morgen bis zum Abend, mit einer einzigen kurzen Mittagspause. Aber er war froh, daß er überhaupt sühnen konnte. Das müßte arg sein, dachte er öfters, wenn man etwas begangen hätte, das sich nicht mehr gut machen ließe! Wenigstens äußerlich war doch, wenn er seine Überstunden abgearbeitet hätte, alles wieder getilgt, und seine Webe genau so weit, als ob nichts gewesen wäre. Und der Diwrisl würde schon nichts verraten. So blieb alles zwischen ihnen beiden – und dem Herrgott freilich, dem er aber versprochen hatte, daß der Zornpünkel jetzt endgültig begraben sei. Ein klein wenig früher als er selbst mußte dieser beharrliche Gesell, der ihn sein ganzes Leben lang durchschnittlich in jedem Vierteljahr einmal besucht hatte, doch in die Grube fahren!

In dieser Sühn- und Bußzeit fühlte sich der alte Salzküfel ganz besonders frohgemut. Wie nach einem solchen verlängerten Arbeitstage die Feierabende schmeckten! Wie man da zufrieden war und das Gefühl erfüllter Pflicht in sich trug! Wie Osterglocken klang es jedesmal, wenn der Schustermichel, wie die große Glocke von St. Laurenz genannt wurde, zum Feierabend läutete!

Einmal kam während des Glockenläutens der alte Tollrian herüber, wie er oft zu tun pflegte, besonders im Sommer. Höchst aufgeräumt trat gerade der Salzküfel mit Diwrisl aus seinem Gelasse in den Hof hinaus. Es war ein ausnehmend milder und klarer Herbstabend, und sie gingen in den Garten, um noch einmal auf ihrer Bank zu sitzen, die an der Mauer des Tyrolergartens unter der Linde stand. Die gelben Herbstblätter lagen schon auf den Kieswegen umher, und die Gesträuche und Baumkronen fingen an durchsichtig zu werden. Aber im wilden Wein an der Feuermauer, der purpurrot glühte, zwitscherten die Sperlinge, als ob sie noch lange nichts vom Winter wissen wollten, und zankten sich mit den Schwarzamseln um die kleinen blauen Beerendolden.

»Bist wieder recht fleißig gewesen, den ganzen Tag?« fragte Tollrian.

Der Salzküfel rieb sich vergnügt die Hände.

»No, es ist schon ein ziemliches Stückel Arbeit, das ich wieder hinter mich gebracht hab'. So geht's halt nach und nach vorwärts, und Gott g'segnet mir's. Und was hast denn du gemacht?«

Tollrians Blick flammte.

»Auf der Spur bin ich ihr!« sagte er leise, fast geheimnisvoll. Er streckte die Hand aus und griff mit den fünf Fingern in die Luft. »Nicht lange mehr kann's dauern, so halt' ich sie beim Schopf!«

»Wen?« fragte der Salzküfel.

»Die Wahrheit!« sagte Tollrian feierlich.

»Die Wahrheit?« meinte der Salzküfel. »Die hast du ja schon oft eingefangen, aber die rechte war es nie.«

»Es waren Trugbilder,« sagte Tollrian. »Diesmal aber ist es die richtige, echte, wirkliche Wahrheit, die ich beweisen, und die niemand mir abstreiten kann!«

»Geh, du mit deiner Wahrheit kommst mir vor wie die große Pariser Revolution! Alle paar Monate werden neue Götter eingesetzt und die alten geköpft. Gib doch endlich einmal Ruh'! Für unsere blöden Menschenaugen ist die richtige, echte, wirkliche Wahrheit doch viel zu groß.«

»Die Ruhe ist der Tod,« sagte Tollrian. »Nur das unablässige Vorwärts- und Aufwärtsstreben ist Leben. Die Wissenschaft ist wie eine Leiter, die an den Mond, oder noch höher, an einen fernen Stern angelehnt ist. Und Sprosse für Sprosse klimmen wir empor.«

»Mir kommt es anders vor,« meinte der Salzküfel. »Ich hab' einmal ein Eichhörndl gehabt, das war in einen Drahtkäfig eingesperrt. Und in dem Käfig war auch eine große drehbare Walze aus Draht, in die ist das Eichhörndl hineingeschlüpft und ist geloffen, so schnell, wie es im Wald über die Baumstämme laufen tut. Und weil die Walze sich immer gedreht hat, hat es gemeint, es kommt vom Fleck. Und ist doch immer im Drahtkäfig geblieben. Geradeso, kommt mir vor, geht es den Menschen mit dem Wissen!«

»Nicht bloß mit dem Wissen, mußt du sagen,« bemerkte Tollrian ernst. »Mit allen menschlichen Dingen überhaupt, mußt du sagen – dann hast du vielleicht in gewissem Sinne recht.«

»Gar nicht!« rief der Salzküfel eifrig. »Gar nicht mit allen menschlichen Dingen überhaupt! Was ich glaube im Vertrauen auf Gott, das steht fest, und das dreht sich nicht wie ein Blendwerk. Und was an Gottseligkeit in mir ist, das ist wie ein eisernes Geländer, an das ich mich anhalten kann!«

Im Gegensatz zu seinem Freunde war Tollrian sein ganzes Leben lang ein unruhiger Geist gewesen. Wie der Basilisk, von dem erzählt wird, daß er in einem Hause in der Schönlaterngasse in einem Brunnen gesehen worden sei und einen Bäckerlehrling durch seinen bloßen Blick getötet habe – so giftig, behauptete er, sei alle bürgerliche Zufriedenheit und Behaglichkeit, und von ihrem bloßen Anhauch müsse aller Fortschritt und jede lebendige Regung und geistige Beweglichkeit ersterben. Ursprünglich gelernter Bandmacher, hatte er von seinem Vater das Nachbarshaus des »Blauen Gugucks«, das Haus »Zum ewigen Leben«, und die darin befindliche Seidenbandfabrik ererbt. Ohne besondere Mühe hätte er die gut eingerichtete Werkstatt weiterführen und dadurch mit der Zeit wahrscheinlich ein recht vermögender und höchst ansehnlicher Bürger werden können. Aber er besaß nicht den geringsten Sinn für eine bürgerliche Gewerbstätigkeit und war alles eher als ein Geschäftsmann. Die neu aufgekommenen Ideen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit füllten seine Gedanken, das Erlernen der neuen und alten Sprachen und das Lesen philosophischer Bücher seine Zeit aus, und nichts fesselte ihn weniger, als was mit seinem Beruf zusammenhing. Das Geschäft ging zurück und kam schließlich ganz herab.

Tollrian machte sich nichts daraus.

Er war Witwer und besaß nur einen Sohn, der Schackerl genannt wurde, aber eigentlich auf die Namen Jean Jacques getauft war – wem zu Ehren, das wußten freilich nur Philosophen, wie sein Vater einer war. Mit diesem einzigen Kinde und bei seinen bescheidenen Ansprüchen brauchte Tollrian nicht viel zum Leben. So hatte er es also nicht gerade notwendig, Bandmacher zu bleiben, wenn er bereit war, sich einzuschränken, und dazu sind Menschen, die halb in einer anderen Welt leben, ja gerne bereit. Gerade noch rechtzeitig, bevor er fallit wurde, löste er seinen Betrieb auf und beschloß, in Hinkunft von seiner kleinen Rente und ausschließlich der Wissenschaft und der Erziehung seines Sohnes zu leben. Ohnedies hielt er das Dasein eines Philosophen für das allein menschenwürdige. Denn durch den Fleiß und die biedere Beschränktheit des Spießbürgers, meinte er, habe die Menschheit noch nie auch nur den kleinsten Schritt vorwärts getan. Dagegen aber seien alle großen Menschheitsbewegungen durch philosophische Geister vorbereitet und eingeleitet worden. Aus ihrer Unruhe und Unzufriedenheit allein quelle die treibende Kraft, die die Revolutionen mache. Und ohne Revolutionen gebe es überhaupt keine Entwicklung und kein Vorwärtskommen.

Derlei Meinungen und Überzeugungen liefen dem alten Salzküfel natürlich schnurstracks wider den Strich. Und dem Tollrian wieder war des Salzküfels Lebensweisheit nichts mehr und nichts weniger als ein Greuel. Also ergänzten sie sich prächtig und waren nie um einen Gesprächsstoff verlegen. Und der durch ununterbrochene Vorstöße von beiden Seiten stets genährte Greuel, den sie wechselweise vor einander empfanden, bildete die unerschütterliche Grundlage, auf der ihre Freundschaft ruhte. So saßen sie denn seit Jahren an vielen Feierabenden in der guten Jahreszeit nebeneinander auf ihrer Philosophenbank im Gugucksgarten und tauschten ihre Ansichten aus und erzählten sich von ihrer Arbeit, und was sie sich dabei gedacht hatten, und stritten weidlich und fühlten sich recht zufrieden dabei; der Salzküfel, weil er es überhaupt war, und der Tollrian darüber, daß er sich den ganzen Tag lang so schön unzufrieden gefühlt hatte.

»Ja, das wär' mir schon recht,« wiederholte jetzt der Salzküfel: »die Ruh' ist der Tod, und nur die Bewegung ist Leben. Aber es ist ein Unterschied zwischen Bewegung und Bewegung. Die eine ist von der Art, wie sie mein Eichhörndl gemacht hat: daß sich einem das Rad unter den Füßen immer dreht und dreht, und man meint, man käm' vorwärts, und bleibt doch immer auf dem nämlichen Fleck. Solcher Art ist alles Verstandestüfteln an den Dingen, die Gott uns eh' geoffenbart hat, wie die Aufklärer es machen, und alles Herumbessern an der von ihm eingesetzten Weltordnung, wie die Parteimänner es treiben. Die andere Gattung aber hat einen Zweck, und man kommt wirklich weiter dabei. Und das ist die Arbeit.«

»Die Arbeit in Ehren,« sagte Tollrian, »daneben aber muß sich doch der Mensch auch etwas denken. Die Saat der großen Revolution ist leider nur spärlich aufgegangen. Aber jeder, der sie miterlebt hat, wird unwillkürlich gezwungen, Stellung zu nehmen und sich für Aufklärung und Freiheit, oder für Stillstand und Knechtung zu entscheiden. Und du willst also zu keiner Partei gehören?«

»Freilich gehör' ich auch zu einer Partei,« meinte der Salzküfel schalkhaft.

»Und zu welcher?« wollte Tollrian wissen.

»Zu den Seidenzeugmachern,« sagte der Salzküfel.

»Man muß doch außerdem noch etwas sein!« meinte Tollrian.

»Ich hab' schon genug mit dem einen zu tun,« versetzte jener.

Tollrian war der Ansicht, ein Bürger müsse auch für den Staat und die Allgemeinheit etwas wirken.

»Hab' ich schon getan,« behauptete der Salzküfel. »Wenn einer ein Meisterstück gearbeitet hat wie ich – weißt, das ist schon etwas! Soll nur jeder in seinem Metier es gerade so gut machen wie ich in dem meinen, dann fehlt dem Staat ohnedies nichts, und es kommt auch das Ganze dabei vorwärts, verlaß dich darauf!«

»Man sieht aus dem, was du sagst,« meinte Tollrian betrübt, »wie sehr uns die gesunde politische Schule des öffentlichen Lebens abgeht. Das ist das Unglück Österreichs, daß seine große Revolution ein einzelner Mensch gewesen ist: der Kaiser Joseph. Er hat es ja sehr gut gemeint, aber er ist eben nur ein Einzelner gewesen. Darum war unsere Revolution selbstherrisch, sprunghaft und unzulänglich. Auch die französische hat schließlich in Gewaltherrschaft gemündet, aber wenigstens in eine großzügige. Bei uns dagegen versickern sogar die notwendigsten Reformen in Plackerei und Polizeiwirtschaft.«

»Mir scheint,« spottete der Salzküfel, »du kränkst dich, daß die große Kopfabschneidemaschin' bei uns gefehlt hat.«

»Das bissel Aderlassen,« sagte Tollrian, »an das jetzt alle mit sträubenden Haaren denken, wenn von der Revolution geredet wird, das war nicht ihr großer Sinn. Das waren Ausschreitungen und Auswüchse. Aber ihre Idee, wie sie von den großen Philosophen der Aufklärung vorbereitet worden ist, die war gut! Und die hätte sich verwirklichen lassen und wäre zum Segen der Menschheit geworden, wenn nicht die Herrschsucht Einzelner sie besudelt und geschändet hätte.«

»Ja, mit dem Wäre und Hätte,« sagte der Salzküfel, »damit läßt sich alles Falsche verteidigen. Aber was haben wir Seidenweber vom Schottenfeld indessen alles gemacht, während daß die Aufklärer, von denen du redest, das große Kopfabschneiden vorbereitet und die Parteimänner es ausgeführt haben? Gewebt haben wir inzwischen! Und all die vielen, vielen Stückeln Zeug und Band, die wir derweilen fertig gebracht haben, die sind nicht wäre und hätte! Übrigens – wenn du schon durchaus meine Überzeugung wissen willst: die Revolution und alles, was dazu gehört, kann ich ebensowenig ausstehen wie die Katzen. Ich halt's mit dem ewigen Leben, und nicht mit der Göttin der Vernunft!«

Es war eine Anspielung, die er machte. Das Haus Tollrians hatte früher »Zum ewigen Leben« geheißen, und der Name war über dem Haustor in vergoldeten Gipsbuchstaben angebracht gewesen. In der Zeit der hochgehenden Wogen aber hatte Tollrian die Aufschrift herunter nehmen lassen, er wollte mit seiner Gesinnung nicht hinter dem Berg halten. Darum taufte er sein Haus um und nannte es »Zur Göttin der Vernunft«. Die Behörde jedoch untersagte das Anbringen des neuen Namens, und Tollrian wurde sogar eingezogen und eine zeitlang gefangen gehalten. Man hatte ihn in Verdacht, an der Jakobiner-Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, wegen der der Platz-Oberleutnant Hebenstreit von Streitenfeld auf dem Glacis gehenkt und der Magistratsrat Prandstetter ebenda auf der Schandbühne öffentlich ausgesetzt worden war. Da die Untersuchung, die gegen Tollrian geführt wurde, nichts Greifbares zu Tage förderte, so setzte man ihn zwar später wieder in Freiheit; das Verbot bezüglich des Hausnamens aber blieb aufrecht. So war es gekommen, daß Tollrians Haus eine ganze kleine Geschichte an der Stirne trug, die jeder Denkende ablesen konnte, und die sinnbildlich war für die unterbrochene Entwicklung der Revolutionsideen. Denn die frühere Aufschrift zeichnete sich noch an der Hauswand deutlich ab, weil die herabgenommenen Buchstaben an der Stelle, wo sie angebracht gewesen waren, den Verputz der Mauer vor Schmutz und Verwitterung geschützt hatten. Aber je mehr Zeit darüber hinging, umsomehr verblaßten und verwischten sich die Spuren der alten Aufschrift, und es war vorauszusehen, daß man vom »Ewigen Leben« bald nichts mehr würde ahnen können. Und die »Göttin der Vernunft« war doch nicht an seine Stelle getreten.

»Das ewige Leben ist ein Traum,« sagte Tollrian; »die Vernunft hingegen ist Wirklichkeit. Die ganze Menschheit steht jetzt im Begriffe, sich zu verjüngen und die Tatsachen der Natur endlich einmal ins Auge zu fassen. Auf diesem Wege gibt es kein Umkehren mehr, und wer nicht mitkommen kann, der bleibt zurück, und der Geist des Jahrhunderts schreitet über ihn hinweg.«

»Der Geist des Jahrhunderts kann von mir aus machen, was er will,« sagte der alte Salzküfel, »Die Hauptsach' bleibt, daß der Geist Gottes in uns ist.«

»Wir sind es den kommenden Geschlechtern schuldig,« beharrte Tollrian, »daß wir endlich von den alten Märchen lassen. Sollen wir denn unsere Kinder immer wieder mit den Hoffnungen und Schrecknissen des Jenseits erziehen? Und sollen wir ihnen immer wieder einreden: das oder jenes mußt du tun oder lassen, weil Gott es so will?«

»Freilich müssen wir ihnen das einreden!« sagte der Salzküfel eifrig. »Weil es eben kein Märchen, sondern geoffenbarte Wahrheit ist.«

»Wenn sie es aber nicht glauben? Kann man sie zwingen, einem Gott zu gehorchen, den man ihnen nicht beweisen kann?«

»Dann muß man ihnen halt eine Dachtel geben,« sagte der Salzküfel; »nachher werden sie schon daran glauben, daß es auch im Jenseits eine Vergeltung gibt.«

»Auf diese Weise werden wir sie nie zu wahrer Sittlichkeit erziehen!« rief Tollrian. »Zur wahren sittlichen Freiheit kann der Mensch nur gelangen, wenn er begreifen lernt, daß das Sittliche zugleich auch das Nützliche und das Vernünftige ist.«

»Was die wahre sittliche Freiheit ist, weiß ich nicht,« meinte der Salzküfel. »Aber dafür weiß ich, was ein braver und zufriedener Mensch ist, der seine Pflicht tut und eine Freud' an seiner Arbeit hat. Und wenn ein solcher aus einem jungen Menschen nicht wird, so war seine ganze Erziehung falsch und für die Katz'.«

Das Wort reute ihn, kaum daß er es ausgesprochen hatte. Gern hätt' er es wieder eingefangen, wär' es möglich gewesen. Denn er fühlte, daß Tollrian es leicht auf sich selbst und auf sein Erziehungskunststück beziehen konnte, das er an Schackerl vollbracht. Und wirklich verfiel Tollrian in Schweigen und sank gleichsam in sich zusammen und blickte zu Boden und schien zu sinnen. Das tat dem Salzküfel leid. Er hatte nur ganz allgemein gesprochen und in diesem Augenblick an Schackerl gar nicht gedacht. Und erst nachträglich ging es ihm auf, daß Tollrian offenbar schon während des ganzen Gesprächs seinen eigenen Fall vor Augen gehabt hatte, und daß es ihm einen gewissen Trost gewähren mochte, die Grundsätze, die im wirklichen Leben ein so verfehltes Ergebnis geliefert hatten, wenigstens in der Lehre zu rechtfertigen. Aber nun ließ es sich nicht mehr gutmachen; die Wunde, an der Tollrian siechte, war wieder aufgebrochen und blutete, und man mußte sie ausbluten lassen. Darum schwieg der Salzküfel, und jedesmal, wenn Tollrian seufzte, seufzte er mit; denn der Freund dauerte ihn, und dem Schackerl war er immer hold gewesen. Und nun war der hoffnungsvolle junge Mensch verschollen, vielleicht verdorben und gestorben.

Jean Jacques hatte in seiner Jugend eine über die kühnsten Träume seiner Altersgenossen weit hinausgehende Freiheit genossen, die nur insoweit eingeschränkt werden durfte, als seine natürlichen Menschenrechte es zuließen. So wollt' es Tollrian. Schon frühzeitig entwickelte sich infolgedessen in dem Knaben ein ungebändigter Eigenwille. Auch die Sittenlehre, die ihm eingeprägt wurde, trug dazu bei, diesen Eigenwillen mehr und mehr erstarken zu lassen. Denn die Religion war nach Tollrians Überzeugung – und die bemühte er sich auch seinem Sohne beizubringen – nichts weiter als ein großer, schädlicher Irrtum, der nach dem Urteil aller denkenden Menschen den Todeskeim schon in sich trage. Für den einzig wahren und echten Glauben galt ihm der an die Menschheit und ihr zukünftiges Glück. Dieses Glück herbeizuführen und zu vermehren, sei das höchste Ziel, das jeder Einzelne sich stellen müsse. Und darum könne als Maßstab, mit dem jedes Tun und Lassen zu messen sei, nur der Nutzen für die Allgemeinheit dienen. Der wohlerwogene eigene Vorteil jedes einzelnen Menschen sei aber zugleich auch ein Vorteil für die Gesamtheit. Darum brauche ein jeder nichts weiter zu tun, als was für ihn selbst das wirklich Nützlichste ist, so nütze er auch der Allgemeinheit und diene dem höchsten Ende.

Das ließ Schackerl sich nicht zweimal sagen. Die Lehre gefiel ihm gut. Man brauchte also nur zu tun, was einem selbst vorteilhaft schien, und wurde dadurch noch obendrein zum Wohltäter der Menschheit. Vergebens betonte der Vater, daß nur der wohlverstandene eigene Vorteil gemeint sei, und daß einem manches nicht zum Vorteil gereiche, was im Augenblick nützlich und angenehm scheine. Jean Jacques aber war für eine scharfe Unterscheidung zwischen seinem wohlverstandenen Vorteil und dem, was ihm jeweils wünschenswert schien, nicht zu haben. Vielmehr hielt er sich für berechtigt, so ziemlich zu tun und zu lassen, was ihm beliebte, und lernte es nie, sich unterzuordnen oder sich etwas zu versagen, das er lebhaft begehrte.

Nun liebte er die Freiheit und das fröhliche Nichtstun über alles, Tollrian dagegen hielt es für nötig, seinem Sohne als Grundlage für andere Wissenschaften eine gediegene Kenntnis der klassischen Sprachen beizubringen, die er selbst sich mühsam und mit vielem Schweiße aus Büchern angeeignet hatte. Jean Jacques aber ließ es nicht nur an Fleiß und Eifer, sondern auch an gutem Willen fehlen. Es war ihm so oft vorgesagt worden, daß die Menschennatur von Haus aus das denkbar Vortrefflichste sei, daß er nicht einsah, warum er sein edles Naturgut durch Bildung trüben und mit Kenntnissen übertünchen sollte. Außerdem fand er es viel wohlverstanden-vorteilhafter, auf der Straße zu tollen oder im Gugucksgarten mit Wettl, Melcher, Lebold, Fany, Pepi, Mali, und wie sie sonst noch hießen, Räuber zu spielen, als hinter den Büchern zu sitzen. Oft stellte er es seinem Vater vor, das könne unmöglich das Glück der Menschheit fördern, wenn er lateinisch konjugieren lerne, dagegen, wenn er sich unterhalte, so sei doch er wenigstens glücklich dabei, und wenn nur jeder für sich Sorge trage, daß er selbst glücklich sei, so sei ohnedies die ganze Menschheit glücklich und der sittliche Weltzweck erfüllt.

Mit ansehnlichem Scharfsinn wußte er die Grundsätze, die sein Vater ihm beigebracht hatte, spitzfindig gegen diesen auszuspielen, so daß Tollrian manchmal seine ganze Gelehrsamkeit zusammennehmen mußte, um ihn zu widerlegen. So gab es jahrelang ein Geplänkel, das halb und halb mit Heiterkeit geführt wurde. Als aber Jean Jacques in die Bengeljahre kam, nahm der Zwiespalt ernstere Formen an. Der Sohn wuchs dem Vater über den Kopf und wurde immer ungebärdiger. Es sei eine wahre Strafe, behauptete er, nach Grundsätzen erzogen zu werden, und noch obendrein nach schwankenden. Denn solange er ein dummer Junge gewesen, sei von Menschenrechten geredet worden, die er besitze, seit er aber zur Vernunft gekommen, wolle der Vater ihn schinden und ihm seinen Willen aufzwingen. Das werde er nicht lange mehr aushalten, drohte er jeden Tag. Und eines Morgens war er wirklich verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen, ohne ein Wort an seinen Vater, und alle Versuche, ihn aufzufinden, blieben erfolglos.

Daran dachte jetzt Tollrian, und der Kummer, der seither an seinem Herzen fraß, übermannte ihn, daß er lange nichts reden konnte.

Auf einem niedrigen Hausdach, von dem ein kleines Stück schräg über die Gartenmauer lugte, hatte sich flüchtig eine Katze gezeigt. Diwrisl, der zu des Salzküfels Füßen lag, war auf sie aufmerksam geworden und ließ ein grimmiges Knurren hören. Sein Herr verwies ihn zur Ruhe.

»Es wäre viel besser, wenn ihr selbst eine Katze halten würdet,« sagte Tollrian. »Dann würde Diwrisl sich daran gewöhnen, und das ewige Gekläff hätte ein Ende. Und den Mäusen in eurem Keller wäre es auch gesund.«

Der Salzküfel behauptete immer, im Guguckshaus sei es gänzlich überflüssig eine Katze zu halten, denn Diwrisl sei ohnedies ein Rattler und mache jeder Maus unfehlbar den Garaus. Das ließ er sich nicht ausreden, seine Liebe zu Diwrisl war blind, stockblind, wie die Liebe es immer ist. Denn Diwrisl kümmerte sich nicht im geringsten um die Mäuse und hatte auch keine Zähne mehr und war außerdem nie ein Rattler gewesen; eher ein Pudel oder ein Pinscher, aber auch noch von mehreren anderen Rassen hatte er einiges an sich. Es wäre schwer zu sagen gewesen, was er eigentlich war; aber ein Rattler schon einmal ganz gewiß nicht.

Obgleich die Katze vom Hausdach längst wieder verschwunden war, setzte Diwrisl sein Knurren und Kläffen fort. Der Salzküfel verwies es ihm ein paarmal im Guten. Als es aber nichts nützte, nahm er endlich seine braune Schirmkappe vom Kopf und versetzte seinem Liebling einen kleinen Schlag auf den Rücken. Wehgetan hatte es nicht, aber der moralische Eindruck genügte. Diwrisl war beleidigt, daß er einen Schlag bekommen hatte, noch dazu in Gegenwart eines Dritten, legte seinen Kopf zwischen seine Vorderpfoten und schwieg.

»Siehst, Tollrian,« sagte der Salzküfel vergnügt, »so muß man es machen!«

»Ich habe viel über Erziehung gelesen und studiert,« sagte Tollrian kleinlaut. »In dieser Wissenschaft lernt man nicht aus. Es ist eine der schwierigsten von allen.«

Der Salzküfel schüttelte den Kopf, er konnte nicht begreifen, warum das eine Wissenschaft sein sollte, und was Schwieriges dabei war. Daß man überhaupt nachdenken konnte darüber, schon das verstand er nicht recht. Es schien ihm zumindest überflüssig. Gewiß war es außer dem Tollrian noch keinem Seidenweber vom Schottenfeld in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken, wie man Kinder erzieht. Das war doch längst ausgemacht und stand von jeher fest, so fest, daß gar nichts darüber zu reden war.

»Ich weiß nicht,« sagte er, »mir kommt das alles so einfach vor. Gehorsam und Gottesfurcht muß man den Kindern beibringen, und damit basta. No, und wenn eins nicht folgen will, so muß man es halt pleschen.«

»Wie sollen Kinder sich beherrschen lernen,« meinte Tollrian, »wie sollen sie sich abgewöhnen zornig zu sein und aufzubrausen, wenn man ihnen selbst das Beispiel des Zornes und der aufbrausenden Leidenschaft gibt?«

»Man darf sie eben nicht aus Zorn, man muß sie aus Liebe pleschen,« bemerkte der Salzküfel.

»Und beschämt man sie nicht zu tief durch eine körperliche Züchtigung? Kränkt man nicht die Menschenwürde in ihnen? Weckt man in ihren gedemütigten Herzen nicht den Geist sklavischen Trotzes? Ich glaube, daß der Gehorsam ein freiwilliger sein muß, wenn er veredeln soll.«

Der Salzküfel wollte ihn nicht wieder kränken und bemühte sich seine Meinung milde und schonend auszudrücken.

»Du hast es studiert,« sagte er nach einer kurzen Überlegung, »und weißt es auch, und was du sagst, wird schon seine Richtigkeit haben. Aber – ein gesunder Pracker im rechten Augenblick ist halt doch auch etwas wert. Ich weiß es von mir selbst, denn ich bin als Bub ein recht Wilder gewesen, ich erinnere mich noch gut daran, solang es schon her ist. Meiner Frau Mutter hab' ich es zu danken, daß nicht ein Unnutz aus mir geworden ist. Sie war sonst eine milde Frau, aber wenn ich es verdient hab', so hat sie mich halt gestraft. Das dank' ich ihr bis in die Grube hinein.«

Tollrian seufzte. Er hatte eine jener Anwandlungen von Zaghaftigkeit, die ihn seit Schackerls Verschwinden manchmal heimsuchten. Vielleicht wäre es nie so weit gekommen mit dem Jungen, wenn die Mutter noch gelebt hätte? Vielleicht konnten auf diesem Gebiete aller Verstand und alles Nachdenken und alles Wissen eine von Natur aus geschickte Hand nie und nimmer ersetzen? Und vielleicht war wirklich seine Hand nicht die geschickteste gewesen? –

»Das hab' ich mir auch schon öfters gedacht,« sagte er: »vielleicht taugt eine wackere Frau besser zum Kindererziehen als ein gelehrter Mann. Ohne vieles Nachdenken trifft sie das Richtige, und was sie tut, ist oft, als ob es gar nicht anders sein könnte. Am End' ist es in manchen Dingen gescheiter, wenn man gar keine Prinzipien hat, und nur von Fall zu Fall das Natürliche tut. Denn Prinzipien sind oft wie ein Pferd, das den Koller hat. Es reitet hin, wohin es mag, und nicht wohin der Reiter kommen möchte.«

Der Salzküfel schwieg. Aus Rücksicht für den Freund wollte er nicht einbekennen, wie sehr ihm das aus der Seele gesprochen war. Denn er wußte, daß Tollrian in den letzten Jahren manchmal Anfälle von Trübsinn gehabt hatte, wo er dann an allem und jedem, am meisten aber an sich selbst verzweifelte.

»Jeder tut halt das Beste, was er kann,« sagte er, um ihn zu trösten. »Und unser Herrgott schätzt uns nicht nach unseren Erfolgen, sondern nach unseren Absichten.«

Seit Schackerls Flucht beschäftigte Tollrian sich noch mehr als früher mit einem Gegenstande, dem er eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt hatte, und dessen Erörterung in der Philosophie der Aufklärung einen breiten Raum einnahm. Es war die Frage, ob der Selbstmord zu rechtfertigen sei, oder nicht. Schon unter der Regierung Josephs II. hatte er unter dem Schutze der plötzlich gewährten Preßfreiheit ein Büchlein drucken lassen, das den Titel führte: »Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt?« Und unter den knapp gefaßten Anklagen, die diese Schrift gegen den großen Schätzer der Menschheit erhob, fand sich auch der Satz: »Die Edlen im Volke wünschen, Kaiser Joseph möge die Unglücklichen, die sich ohne vorherige Zeichen einer Verlockung den Selbsttod geben, nicht auf dem Schindanger einscharren lassen.« Denn dies hatte der Kaiser in seiner Abneigung gegen alles Zwecklose, wozu er auch Menschen zählen mochte, die sich selbst für überflüssig hielten, in der Tat verordnet. Zwar war die harte Bestimmung nach dem Tode Josephs wieder aufgehoben worden, aber noch immer verfolgte man das Andenken und manchmal auch die Überreste derer, die sich selbst getötet hatten, mit allerhand Unbill. Das hielt Tollrian für eine schmachvolle Rückständigkeit, und er hatte sich vorgesetzt, durch eine aufklärende Schrift Wandel in diesen Dingen zu schaffen. Darum war er ununterbrochen beschäftigt, Gründe zu sammeln, die gegen jene grausame Sitte und für die Berechtigung, oder doch wenigstens für die Entschuldbarkeit des Selbstmordes sprachen. Und niemals war er vergnügter, als wenn er einen neuen schlagenden Beweisgrund gefunden zu haben glaubte, daß es erlaubt sei, sich umzubringen.

»Ich hab' heute über Cato gelesen,« erzählte er jetzt; »weißt du, Salzküfel, wer das gewesen ist?«

»Wie soll ich es wissen,« sagte der Salzküfel. »Mein Lebtag hab' ich den Namen noch nicht gehört.«

»Ein alter Römer ist es gewesen, der sich selbst umgebracht hat.«

»So ein Narr!« sagte der Salzküfel aus vollster Seele.

»Man sollte einen, der so etwas tut, nicht vorschnell verurteilen,« meinte Tollrian. »Überhaupt ist alles, was ein Mensch tut, notwendig, und er tut nur, was er tun muß. Eine unbekannte Macht setzt seinen Willen in Bewegung, und er hat auf sein eigenes Tun und Lassen nicht mehr Einwirkung, als dein Webstuhl auf das Stück Zeug, das du gerade webst.«

Der Salzküfel überlegte.

»Das ist nicht wahr,« sagte er ruhig. »Wenn das wirklich so wär', dann wär' ja ein Mensch nicht gescheiter als mein alter Webstuhl?«

»Jedenfalls ist er nicht freier in dem, was er will,« beharrte Tollrian.

»Es ist aber nicht wahr!« eiferte der Salzküfel. »Frag einen Menschen, ob er sich umbringen mag, oder nicht, so wird er ja oder nein sagen. Frag einmal meinen Webstuhl, ob der sich umbringen will? Der wird nie ja sagen, gar keine Spur, daß er ja sagen wird! Und wird sich auch nie umbringen, fällt ihm gar nicht ein! Fällt ihm nicht im Traum ein, so eine Dummheit zu machen! No, und das ist halt so meine Meinung; einen Menschen, der nicht wenigstens so gescheit ist wie mein alter Webstuhl, den nenn' ich einen Narren!«

Tollrian mußte lachen. Eigentlich neidete er dem Salzküfel seine Sicherheit. Der wußte immer so genau, was das Richtige war, was er in jedem Fall zu denken und zu tun hatte, und sein Urteil über alle göttlichen und menschlichen Dinge stand felsenfest. Wie ein Kind, so harmlos und unbefangen, nahm er das Leben. In Tollrians Herzen aber, so sehr er sich bemühte, Klarheit und Gewißheit über alles zu erlangen, nisteten Zweifel. Es war wie ein Geiernest, immer neu bevölkert, und seit Schackerls Verschwinden wuchs wieder eine frische Brut heran, mit scharfen, krummen Schnäbeln.

»Wie fängst du es eigentlich an, Salzküfel: ich studier' und plag' mich und grüble und weiß doch am Ende oft erst recht nicht, ob es das Richtige ist, was ich schließlich herausgebracht hab'. Und du bist immer so sicher in allen Dingen und so schnell im Reinen mit dir selbst und so ruhig und zufrieden dabei – sag' mir, wie machst du es eigentlich?«

Der Salzküfel sann nach.

»Arbeiten tu' ich halt,« sagte er endlich, »Aber das allein kann es nicht sein, denn arbeiten tust du auch, wiewohl nicht mit der Hand, sondern mit dem Kopf. Und das muß freilich noch viel schwerer sein, stell' ich mir vor. No, und sonst – warum ich immer mit mir im Reinen bin, ja, das weiß ich schließlich selber nicht. Vielleicht, weil ich halt nicht so gescheit bin wie du. Und so fällt mir halt immer nur ein, was ich mir selber denk', und das, was andere sich denken könnten, behelligt mich nicht weiter. Und dann hab' ich so ein Gefühl in mir, daß alles noch einmal gut werden wird. Daß alles, um was die Menschen sich ängstlich abwursteln, und alles, was die Welt durcheinanderbringt, noch einmal gut werden wird. Und daß ich mich also deswegen gar nicht zu sorgen brauch'. Das macht mich halt ruhig und sicher. Denn immer und immer denk' ich mir: Es liegt alles in guten Händen! Tu du deine Sach', Salzküfel, für alles andere sorgt schon der da droben!«

Sie schwiegen beide. Die Sperlinge im Garten verbrachten ein endloses Gezwitscher und zankten sich und vertrugen sich, und die Hähnchen liebelten mit den Weibchen, als ob es gerade anfangen wollte, noch einmal Frühling zu werden.

»Das sind die Spießbürger,« dachte Tollrian, die in den Tag hineinleben und zufrieden sind und unsern Herrgott sorgen lassen. Zu einem Volk von Sperlingen sänke die Menschheit herunter, wenn es nicht Philosophen gäbe, die ihre eigene Seelenruhe dem Glück der Allgemeinheit opfern!«

»Hörst du die Spatzen?« sagte der Salzküfel. »Es ist nur ein geringes Volk. Aber ihr unscheinbares Gezwitscher sogar lobt den lieben Gott und dankt ihm, daß er Zuversicht und Freude der Kreatur ins Herz gelegt hat.«


 << zurück weiter >>