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(Dieselbe Dekoration, nur sieht man durch die Fenster der Veranda Blumen und Laubgewinde, mit denen das Haus und die Straße geschmückt sind. Die Fensterbänke sind zum Teil bereits mit Lichtern für die Illumination bestellt. In der Veranda sind Stühle aufgestellt für erwartete Gäste.)
Ein alter Diener und Frau Büsing (sind damit beschäftigt, das festliche Arrangement fertigzustellen).
Frau Büsing (hält ein großes, dickes Licht in der Hand). Donnerwetter, wat 'n Licht! Davor kriegt er gewiß 'n Orden! Wat menen Se, Dittmer!
Diener. Dscha – mit 'n Orden is er diesmal nich zufrieden; er will höher hinaus.
Frau Büsing. Nanu? Wat will er denn noch?
Diener (heimlich). Jeadelt will er werden.
Frau Büsing. Nee!
Diener. Ja, ja; die Gnädige hat jegen die Zofe so wat fallen lassen.
Frau Büsing. Pah – wenn ick mir die Jnädige mit 'n »von« vor denke! Det muß aussehen wie 'ne Jans mit Lackstiebeln. Ja, det jnädige Fräulein – dat will ick nich sagen – die würde sowat kleiden –
Diener. Die hat's aber nich nötig.
Frau Büsing. Nee, da haben Se recht. – Sagen Se mal, Dittmer, wat is eigentlich mit det jnädige Fräulein
Sonja? Man sieht se jar nicht mehr.
Diener. Die is verbannt.
Frau Büsing. Dittmer! Se können eenen ja jraulich machen. Verbannt?
Diener. Ja. Nach London, zu 'ner janz alten Tante.
Frau Büsing. Ja aber warum denn?
Diener. Büsingen, Sie haben keene Kombinationsjabe. Haben Se nich bemerkt, daß der Oberlehrer jar nich mehr in't Haus kommt?
Frau Büsing. Ja, ja!
Diener. Da is wat kaput jejangen. Ick hab's selbst jehört, wie der Jeheimrat sagte: »Morgen früh fährst du nach London zur Tante Mathilde. Und da bleibst du, bis ich dich rufe!«
Frau Büsing. Det arme Kind! Und so 'n Tyrann kriegt noch Orden! Ja, nu sagen Se mal, Dittmer, warum kriegen diese Leute immer Orden und Auszeichnungen! Er verkooft seine Flinten an de Rejierung, macht 'n jehörigen Schnitt dabei und kriegt immer eenen Pipvogel über 'n andern. Wer jibt uns Orden?
Diener (zuckt die Achsel).
Frau Büsing. Ich habe neun Jungens in de Welt jesetzt – dat soll mir der Jeheimrat mal nachmachen.
Diener. Kann er nich.
Frau Büsing. Un alle hab' ick se herjeben müssen zu's Militär, un den jüngsten haben se mir nach Afrika jeschickt, mang de Wilden.
Diener. Djäjä.
Frau Büsing. Neun Jungens, Dittmer! Na, ick will ja nich sagen, dat ick det aus Liebe zum Vaterland jetan hätte; aber so viel is sicher: wenn einer von uns beiden den Schwarzen Adler haben soll, der Jeheimrat oder ick, denn jehört er mir.
Die Vorigen. Neumann. Dann Julchen.
Neumann (hat die letzten Worte gehört). Da haben Sie recht, Frau Büsing. Na, ist alles in Ordnung?
Frau Büsing. Alles in Ordnung, Herr Neumann. Meinetwegen kann det hohe Brautpaar kommen.
Neumann (hat einen prüfenden Blick auf das Arrangement geworfen). Na schön. Nehmt alles weg, was nicht hergehört, und verschwindet, Kinder.
Frau Büsing und Diener (gehen mit ihren Gerätschaften ab).
Julchen (in großer Gesellschaftstoilette). Ist alles fertig, Neumann?
Neumann. Alles, gnädige Frau. Aber es ist ja noch lange nicht so weit.
Julchen. Ich weiß, ich weiß. Aber ich habe keine Ruhe. Lassen Sie mich sitzen, Neumann.
Neumann (holt ihr einen Stuhl herbei).
Julchen. Die Beine fliegen mir nur so. Die ganze Nacht hab' ich kein Auge zugetan.
Neumann. Frau Geheimrat müssen wohl immer an das Fräulein Sonja denken.
Julchen. –Ach nein, das war es nicht. Ja, das regt mich ja auch natürlich auf – aber das war es nicht. Nein, stellen Sie sich vor, lieber Neumann, es ist doch ein merkwürdiges Gefühl: Die letzte Nacht bürgerlich – Von morgen ab adlig! Können Sie sich das vorstellen?
Neumann (trocken). – Gewiß, gewiß. Das muß so sein, als wenn man fünfzig Jahre lebendig begraben war und sich sagen kann: Morgen kommst du an die Luft.
Julchen. Nun, das ist wohl etwas übertrieben, lieber Neumann; so schlimm ist es ja nicht – aber können Sie begreifen, daß ich furchtbar aufgeregt bin?
Neumann. Ja, ja.
Die Vorigen. Schneidemühl.
Schneidemühl (im Frack, mit sämtlichen Orden, ein Konzept in der Hand und aufgeregt memorierend, kommt durch die offene Gartentür herein). »Nicht umsonst haben wir den feindlichen Boden mit unserm Herzblut gedüngt, und wenn es jemals wieder fremdem Übermute gelüsten sollte« – (entdeckt jetzt erst die Anwesenden). Neumann, ich suche Sie. Sagen Sie (indem er einen Brief hervorzieht), wie hieß doch der Mensch, der Redakteur, der auf meine Anregung wegen Majestätsbeleidigung verurteilt wurde?
Neumann. Doktor Braumann.
Schneidemühl. Also richtig. Denken Sie, dieser Mensch besitzt die Dreistigkeit, mir zu schreiben, er werde heute morgen zu mir kommen, um eine Unterredung mit mir zu haben.
Julchen. Um Gotteswillen, laß den Menschen nicht vor!
Schneidemühl. Ich denke gar nicht daran. Wenn der Mensch kommt, Neumann, fangen Sie ihn ab und machen Sie ihm klar, daß ich Leute seines Schlages überhaupt nicht empfange.
Neumann. Hm.
Julchen. Du bist so blaß, Männchen, ist dir nicht wohl?
Schneidemühl. Nein, mir ist gar nicht gut, gar nicht gut. – Haben Sie eine Ahnung, Neumann, was der Mensch wollen kann?
Neumann. Nee. An Ihrer Stelle würd' ich ihn ruhig empfangen.
(Gleichzeitig:)
Schneidemühl. I Gott bewahre!
Julchen. Um Gotteswillen nicht! Der Mensch beabsichtigt womöglich ein Attentat!
Neumann. Gnädige Frau, so etwas fürchtet ein alter Soldat nicht.
Schneidemühl. Na ja, einerlei, ich will mit solchen Leuten nichts zu tun haben. Geht jetzt, ich muß mich noch mit meiner Rede beschäftigen.
Julchen. Ja, ja. (Mit Neumann ab.)
Schneidemühl (allein). Später: Julchen. Ein Diener. Ein Bote.
Schneidemühl (memorierend, indem er sich oft den Schweiß von der Stirn wischt, mit unwillkürlicher Verbeugung). Königliche Hoheit! Durchlauchtigste Prinzessin! Der »Vaterländische Verein« hat es sich nicht nehmen lassen – der »Vaterländische Verein« hat es sich nicht nehmen lassen – an diesem hohen Feste, – an diesem hohen Feste, – das alle patriotischen Herzen – das alle patriotischen Herzen – höher schlagen läßt – höher, höher schlagen läßt – (im Manuskript suchend:) höher schlagen läßt, höher schlagen läßt – durch seine Anwesenheit seine unwandelbare Liebe – durch seine Anwesenheit seine unwandelbare Liebe – und Untertanentreue zu bekunden – und Untertanentreue zu bekunden. Frohbewegten und begeisterten Herzens – frohbewegten und begeisterten Herzens – bin ich dem an mich ergangenen Rufe gefolgt – bin ich dem an mich ergangenen Rufe gefolgt – dem hohen Brautpaare die untertänigste Huldigung – dem hohen Brautpaare die untertänigste Huldigung – des Vereins zu Füßen zu legen – des Vereins zu Füßen zu legen. – Möge dieser herrliche Frühlingstag –
Julchen (schreit hinter der Szene laut auf und kommt aufgelöst herein, ein Telegramm in der Hand). Paul! Paul! Sonja ist geflohen!
Schneidemühl. – Geflohen?
Julchen (das Telegramm in Absätzen lesend). »Meine notgedrungene dreitägige – Abwesenheit benutzend – ist Sonja entflohen – unbekannt wohin – Lasse Nachforschungen anstellen. – Mathilde.«
Schneidemühl (entreißt ihr das Blatt und liest).
Julchen. Ach Gott, ach Gott, ach Gott, hättst du sie doch nicht weggeschickt! Ich hab' dir' s ja gleich gesagt!
Schneidemühl. Du hast was gesagt?
Julchen. Gewiß hab' ich es gesagt!
Schneidemühl. Nichts hast du gesagt!
Julchen. Doch hab' ich was gesagt!
Schneidemühl. Was hast du denn gesagt?
Julchen. Das weiß ich nicht mehr. Aber gesagt hab' ich was!
Schneidemühl. Ja, Unsinn, das ist möglich.
Julchen (gekränkt). Paul!
(Ein Diener tritt auf.)
Schneidemühl. Was ist denn zum Henker schon wieder! Werd' ich einmal Ruhe haben?
Diener. Es ist ein Bote da vom Herrn Obersten.
Schneidemühl. Von meinem Bruder?
Diener. Jawohl.
Schneidemühl. Also herein damit!
(Ein Bote tritt auf.)
Schneidemühl. Was gibt's, was wollen Sie?
Bote. Der Herr Oberst läßt vielmals grüßen und fragen, ob Herr Geheimrat jetzt zur Fahrt bereit wären.
Schneidemühl. Zu welcher Fahrt?
Bote. Mit dem Luftschiff.
Schneidemühl. Danke. Sagen Sie meinem Bruder, ich ginge schon so in die Luft. – (Zu Julchen, halblaut:) Jetzt ist er ganz verrückt geworden. (Zum Boten:) Was heißt denn das. Fliegt denn das Luftschiff überhaupt?
Bote (stolz). Das wollt' ich meinen, Herr Geheimrat. Wir haben soeben eine Rundreise über Deutschland gemacht und sind hier vor der Stadt mit Eleganz vorgefahren.
Schneidemühl (wie oben zu Julchen). Der Mensch ist auch verrückt. Schick ihn weg.
Julchen (zum Boten). Der Herr Geheimrat läßt grüßen und danken; aber er ist verhindert.
Bote. Sehr wohl. (Ab.)
Julchen. Ach Gott, ach Gott, das Mädchen, das Mädchen! Wer hätte das von ihr gedacht! – Ja, was denkst du denn zu tun?
Schneidemühl. Das weiß ich noch nicht! Erst muß ich meine Rede halten! Tu mir den Gefallen und laß mich allein, sonst werd' ich auch verrückt!
Julchen. Wo sie nur hingegangen ist! Wenn die Geschichte bekannt wird – die Blame! Das kann uns den Adel kosten!
Schneidemühl (macht eine verzweifelnde Gebärde).
Julchen (seufzend ab).
Schneidemühl allein. Später Neumann.
Schneidemühl (nimmt seine Memorierarbeit wieder auf). Möge dieser herrliche Frühlingstag ein günstiges Omen sein, und mögen alle, die ihm folgen, ihm gleichen. Sollten aber, wie auch gegenwärtig wieder, fremder Neid und fremde Mißgunst den Frieden unseres heißgeliebten Vaterlandes bedrohen, dann wird auch der Vaterländische Verein beweisen, daß Alldeutschland einig ist »von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt« (zu sich:) die Stelle ist sehr hübsch – (fortfahrend) und daß Deutschlands Söhne, so oft sie auch innerer Hader zersplittern mag, wo es sich um die Ehre des deutschen Namens handelt, alle in dieselbe Kerbe hauen – (wieder zu sich selbst:) Hm – »in die Kerbe hauen« gefällt mir nicht – Hm – na. (Fortfahrend:) Nicht umsonst haben wir den feindlichen Boden gedüngt – den feindlichen Boden gedüngt – (Es klopft.) Herein!
Neumann (tritt auf).
Schneidemühl. Was zum Teufel ist denn los, daß Sie mich wieder –
Neumann. Er ist da.
Schneidemühl. Wer?
Neumann. Der Doktor Braumann.
Schneidemühl. Ich hab' Ihnen doch gesagt –
Neumann. Nützt nichts. Er will Sie durchaus sprechen, und zwar jetzt.
Schneidemühl. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit.
Neumann. Nein, nein, lassen Sie ihn vor. Es ist besser. Es ist in Ihrem Interesse.
Schneidemühl. In meinem –
Neumann. Was ich Ihnen sage. Ich hab' mit ihm gesprochen. Sie müssen ihn unter allen Umständen vorlassen. Er ist ganz ungefährlich.
Schneidemühl. Wer bürgt mir dafür?
Neumann. Ich. – Lassen Sie ihn vor. Es kann Ihnen nicht schaden. Aber es kann Ihnen sehr viel nützen.
Schneidemühl. Gut, er soll kommen. Aber Sie bleiben dabei.
Neumann. Wenn Sie wollen –. (Geht und öffnet die Tür.) Darf ich bitten.
Die Vorigen. Franz. Zuletzt ein Diener.
Franz (als Redakteur Doktor Braumann, einfach, aber anständig gekleidet, mit dunklem Vollbart und Brille. Mit gemessener Verbeugung). Guten Morgen.
Schneidemühl (erwidert nur durch ein Nicken).
Franz. Sie wünschen, daß dieser Herr zugegen bleibt?
Schneidemühl. Ja.
Franz. Meinetwegen. (Immer mit trockenem Ernst, aber sehr verbindlich.) Gestatten Sie mir, Ihnen zunächst mein Kompliment über den festlichen Schmuck Ihres Hauses zu machen. Ich habe selten eine so patriotische Fassade gesehen wie die Ihrige.
Schneidemühl. Was wünschen Sie von mir?
Franz. Zunächst einen Stuhl. Sehen Sie: man kann wohl drei Monate sitzen; aber man kann nicht drei Monate stehen. (Setzt sich.)
Schneidemühl. Beabsichtigen Sie drei Monate hier sitzen zu bleiben?
Franz. Nicht entfernt. Übrigens wird Ihnen die Zeit nicht lang werden. – Sie erkennen mich doch wieder?
Schneidemühl (obenhin). Ich meine – soweit ich mich erinnere.
Franz. Sie werden mich damals kaum eines Blickes gewürdigt haben. Ich sollte ja die Majestät beleidigt haben. Wissen Sie, daß ein Gesetz in sicherer Aussicht steht, nach dem solche »Beleidigungen« wie die meine überhaupt nicht mehr bestraft werden?
Schneidemühl. Ein sehr törichtes Gesetz.
Franz. Das ist Anschauungssache, und ich ehre jede Überzeugung. Sie nahmen damals »Ärgernis« an meinem Artikel, Sie schlugen Lärm, Sie fanden einen schneidigen Staatsanwalt, und der schneidige Staatsanwalt fand einen schneidigen Richter, der mir drei Monate verehrte. Das alles ist Ihnen gegenwärtig, nicht wahr?
Schneidemühl. Wollen Sie mir endlich sagen, was Sie wollen.
Franz. Das frag' ich Sie.
Schneidemühl. Was fragen Sie?
Franz. Was Sie von mir wünschen.
Schneidemühl. – Ich?? –
Franz. Sie haben mich doch herbestellt.
Schneidemühl. Ich Sie? – Das ist ja unglaublich!
Franz. Ein guter Bekannter von mir, Doktor Franz Pfeil – Sie kennen ihn doch?
Schneidemühl. Hm.
Franz. Wenn ich recht gehört habe, ist er sogar mit Ihnen verwandt?
Schneidemühl. Mein Stiefneffe –
Franz. Ach, Ihr Stiefneffe – nun, der sagte mir, daß Sie mich zu sprechen wünschten.
Schneidemühl (kapiert ganz allmählich). – – Sie sind der Redakteur, der einen Güteragenten bei mir aus- und eingehen sah?
Franz. Ganz recht.
Schneidemühl. Hm. Das ändert die Sache. Bitte, nehmen Sie Platz.
Franz. Danke, mehr Platz brauche ich nicht.
Schneidemühl. Ah – da fällt mir ein, Neumann, sehen Sie nochmal nach, ob nichts vergessen worden ist –
Neumann. Ich habe alles wiederholt revidiert –
Franz. Pardon – meinetwegen kann der Herr ruhig dableiben –
Schneidemühl. Nein – Sie müssen auch noch an die Dömitzer Eisenwerke schreiben –
Neumann. Ist bereits geschehen, Herr Geheimrat – aber ich kann ja irgend etwas anderes schreiben. (Geht ab, indem er Franzen vergnüglich zulächelt.)
Schneidemühl (auf Franzen zuschreitend). Es ist richtig: ich wünsche Sie zu sprechen, um Ihnen zu sagen, daß ich – selbstverständlich! – keine Ahnung davon gehabt habe, es mit einem Polen zu tun zu haben, und daß ich im übrigen sein Anerbieten kurzerhand zurückgewiesen habe.
Franz. Die kurze Hand war eine halbe Stunde lang.
Schneidemühl. Nun ja, man spricht so hin und her –
Franz. Gewiß, man streitet über Polenpolitik, man spricht über Olgemälde (auf die Bilder an der Wand zeigend); so 'n Agent bietet 1½ Millionen, bietet 1¾ Millionen, bietet schließlich 2 Millionen – und so vergeht die Zeit.
Schneidemühl (starrt ihn sprachlos an).
Franz. Übrigens war es wirklich kein Pole.
Schneidemühl (stammelnd). Doch – ich hab' es – hab' es nachträglich erfahren –
Franz. Nein, nein, es war kein Pole. Es war ein guter Deutscher. Wissen Sie, wer bei Ihnen war?
Schneidemühl. Hm?
Franz. Ich.
Schneidemühl (sinkt in einen Stuhl).
Franz (spricht die nächsten Sätze im Tone des Agenten Treumeyer). Ihr Stiefneffe kann Ihnen erzählen, daß ich ein gewisses Talent zu Verkleidungen habe – wir haben manche Komödie miteinander aufgeführt, der Franz und ich – freilich, gegen ihn bin ich nur ein Stümper. Als ich nun aus dem Gefängnis kam und als ich hörte, daß Sie Ihr Gut in Posen verkaufen wollten, da sagte ich mir: Sollst dir doch mal den Patriotismus des Herrn Geheimrats genauer ansehen. Das Resultat kennen Sie. (Schweigen.)
Schneidemühl. Und nun wollen Sie sich natürlich rächen.
Franz. Natürlich (klopft dabei spielend mit seinem Stock an den Stiefel, wie er überhaupt während der ganzen Szene die unerschütterlichste Gelassenheit bewahrt).
Schneidemühl. Also bitte, was wollen Sie von mir?
Franz. Nein, mit Geld ist die Sache nicht abzumachen.
Schneidemühl. Bitte, mein Herr, ich habe keine Zeit; ich muß –
Franz. Ach ja, Sie müssen den Großherzog begrüßen. Übrigens: Ihre Fassade (hinausdeutend) ist wirklich großartig. Hat die Hinterseite auch patriotischen Schmuck?
Schneidemühl. Wieso? – Nein –
Franz. Aha. Na, die sieht man ja auch nicht.
Schneidemühl. Also bitte, was –
Franz (scharf und streng). Haben Sie Geduld, mein Herr! Ich habe 3 Monate Geduld haben müssen.
Schneidemühl (setzt sich wieder).
Franz. Nur noch ein paar Worte im Vertrauen, mein Herr! (Rückt nahe an ihn heran.) Ich bin Monarchist. Und ich halte meinen König, den ich »beleidigt« habe, nicht nur für einen Mann von redlichstem Willen, ich habe auch menschliche Sympathien für ihn. Aber er sitzt gefangen hinter einer Mauer von Schranzen, und weil mir nun bangte für mein Volk, weil mir das Herz überquoll von Zorn und Bangen, deshalb schrieb ich jenen Artikel, der mich ins Gefängnis brachte. (Mit größter Ruhe:) Ich weiß nicht – Haben Sie mal gesessen?
Schneidemühl (antwortet nur durch einen entrüsteten Blick).
Franz. Sie müssen sich die Sache nämlich nicht so einfach vorstellen. Man sagt: eine solche Strafe entehrt nicht. Gewiß nicht; es entehrt auch nicht, wenn man der Länge nach in eine Kloake fällt; aber man schämt sich doch vor den Leuten. (Eindringlich:) Das Schlimmste aber ist: man hat eine Frau, man hat Kinder. In diesen zarten und weichen Herzen wächst sich so eine Anklage, so eine Gerichtsverhandlung, wächst sich die Gefangenschaft zu einem großen Unglück, zu einem fressenden Kummer aus. Darüber haben Sie wohl niemals nachgedacht.
Schneidemühl (schweigt).
Franz. Nein. Das sollten Sie einmal tun: Sie sollten sich mal ein deutsches Gefängnis von innen ansehn. Sie werden fast immer den einen oder andern Patrioten darin finden. Freilich andre als Sie. Sie sind ein Patriot in großem Stil. Fassadenpatriot. Sie begießen die Pflanze der Vaterlandsliebe täglich mit französischem Sekt und rufen dabei: Hurra, ich bin deutsch! Ich bin treu! Hurra, ich liebe mein Vaterland! Seht, was ich für ein Kerl bin: ich liebe meine Mutter! Haben Sie sonst noch Verdienste?
Schneidemühl. Ich zweifle, ob Sie jemals für Ihr Vaterland geblutet haben.
Franz. Ah, Sie haben den Krieg mitgemacht. Werden Sie nachher dem Großherzog Ihre Narben zeigen?
Schneidemühl. Ich – was soll – was wollen Sie damit sagen –? (ist aufgesprungen)
Franz. In Königsberg lebte bis vor kurzem ein Buchhändler, der an Ihrer Seite gefochten hatte –
Schneidemühl (sinkt vernichtet in seinen Stuhl zurück).
Franz. Also das langt nicht. Nein, wenn Sie ein Patriot werden wollen, müssen Sie sich den Oberst Pfeil zum Muster nehmen. Im Kriege schlug er sich mit Tollkühnheit für sein Vaterland; im Frieden opferte er seine Kraft, seine Arbeit, sein Genie, die Muße seines Alters, sein Vermögen; er stürzte sich in Schulden, er ertrug Schimpf und Spott – alles für sein Vaterland. Und dann schenkte er seinem Volke eine neue Welt: die Luft. Und machte, daß alle Völker mit Ehrfurcht den deutschen Namen nennen und bekennen müssen: Deutschlands Adler schreit nicht nur, Deutschlands Adler fliegt!
Schneidemühl (der ihn wiederholt unterbrechen wollte). Kennen Sie den Obersten?
Franz. Natürlich; er ist ja Doktor Pfeils Vater. Er ist also wohl auch mit Ihnen verwandt?
Schneidemühl. Er ist mein lieber Bruder –
Franz. Ihr Bruder! Ach, da haben Sie ihn gewiß in jeder Weise unterstützt –
Schneidemühl (wehrt mit der Hand ab). Wollen Sie mir eine Bitte erfüllen –?
Franz. Welche?
Schneidemühl. Mein Bruder ist ganz in der Nähe – was Sie auch zu tun gedenken – wollen Sie warten, bis er mit Ihnen gesprochen hat –?
Franz. Ja, unter einer Bedingung.
Schneidemühl. Und?
Franz. Daß ich unter vier Augen mit ihm spreche.
Schneidemühl. Gewiß! gern! gern! Ich lass' ihn sofort benachrichtigen –
(Ein Diener tritt ein.)
Der Diener. Der Herr Oberst.
Schneidemühl. Da ist er schon. Bitte, warten Sie hier – ich schick' ihn herein, ich schick' ihn – ich will ihn nur mit zwei Worten informieren – nur einen Augenblick – (Eilt davon.)
Franz. Der Oberst.
Franz (macht einen Gang durchs Zimmer, blickt durch die Fenster der Veranda auf die Straße und kehrt nach vorn rechts zurück).
Oberst (tritt ein. Verbeugung.) Mein Herr. Pfeil ist mein Name.
Franz. Er fliegt durch die Welt.
Oberst (wird aufmerksam, tritt Franzen näher und fixiert ihn schärfer). Ah – danke. Ich habe die Ehre mit Herrn –?
Franz. Braumann.
Oberst. Mein Herr, mein Bruder wünscht, daß ich mich mit Ihnen in einer, wie es scheint, recht peinlichen Angelegenheit bespreche –
Franz. Sie verliert alles Peinliche, sobald Sie sich ihrer annehmen.
Oberst (tritt nahe an Franzen heran und ruft plötzlich:) Franz, du verwetterter Kerl, was treibst du wieder für Possen!
Franz (umarmt seinen Vater und dreht sich mit ihm im Kreise). Hahahahaaa, mein Vater, mein großer, geliebter Vater, und was machst du für Dinge, du fliegst durch ganz Deutschland?
Oberst. Ja – Kerl – was ist denn – was soll denn diese –
Franz. Komm mit, komm mit, das ist eine lange Geschichte. Wir suchen uns einen stillen Winkel, und ich erzähle –
Oberst. In einer Stunde fahr' ich wieder ab!
Franz. – Hast du noch Platz in deinem Schiff?
Oberst. Für wen?
Franz (parodierend). »Für ein glücklich liebend Paar!«
Oberst. Hör mal, du bist 'n doller Kerl –
Franz. Leider das Einzige, was ich von dir geerbt habe – komm! (Beide vorn links ab.)
(Von hinten links kommen:) Frau Oberkonsistorialrat Liekefett mit ihren 3 Töchtern und ihrem Söhnchen Karl, die Bürgermeisterin nebst ihrer Tochter Ludmilla, der Oberkonsistorialrat und Axel.
Herr Liekefett. Es ist wirklich ungeheuer liebenswürdig, Frau Geheimrat, daß Sie uns einen Platz an Ihrem Fenster einräumen –
Die Bürgermeisterin. Ja, wirklich zu liebenswürdig – ich freu' mich schrecklich!
Julchen. O bitte, bitte, meine Herrschaften, es ist ja Platz genug da.
Die Bürgermeisterin. Ich war schon so ärgerlich, daß der Zug nicht an unserm Hause vorbeikommt. Mein Mann hatte das natürlich beantragt; aber na – Sie können sich ja denken – die liebe Mißgunst –
Julchen. Nun, von hier aus kann Ihnen nichts entgehen – hier muß alles vorbei – (Man ist nach hinten gegangen und nimmt Platz.)
(Durcheinander:)
Frau Liekefett. Ach, hier ist es ja prachtvoll!
Emmy. Himmlisch!
Anny. Wonnig!
Henny. Tadellos!
Karl. Famos!
Die Bürgermeisterin. Großartig!
Ludmilla. Wundervoll!
Julchen. Machen Sie sich's so bequem wie möglich, meine Herrschaften! Hier sind auch Operngläser.
Die Damen. Ach, das ist ja herrlich! Danke, danke! (Man zieht die Bonbontüten hervor.)
Die Bürgermeisterin. Ich hätte gedacht, daß noch mehr Menschen auf den Beinen wären.
Axel. Die meisten sind eben beim Luftschiff.
Emmy. Beim Luftschiff?
Die Bürgermeisterin. Ach ja, Ihr Herr Schwager hat ja wieder eine Fahrt gemacht!
Axel (begeistert). Und was für eine! In 20 Stunden quer durch Deutschland!
Die Damen. Oh – Ach – Ist es möglich!
Frau Liekefett. Da sind Sie gewiß recht stolz auf Ihren Herrn Schwager.
Julchen. O ja, gewiß.
Frau Liekefett. Verkehrt er viel in Ihrem Hause?
Julchen. O, natürlich. Er und mein Mann sind ja ein Leib und eine Seele!
Die Bürgermeisterin. So??
Julchen. Ja, wenn er meinen Mann nicht gehabt hätte –
Frau Liekefett. So – Ihr Herr Gemahl hat ihn gewiß immer unterstützt!
Julchen. Nna! Mein Mann mußte ihm immer Mut zusprechen, mußte ihm immer wieder sagen: Du darfst die Sache nicht liegen lassen; sie hat eine Zukunft. Ich darf wohl sagen, daß mein Mann ebensoviel Teil an der Erfindung hat wie mein Schwager.
Herr Liekefett. Das kann ich mir denken. (Man hört Pferdegetrappel und Murmeln.)
Karl. Hurra!
Emmy. Junge, das ist ja 'n reitender Schutzmann! (Gelächter der übrigen.) Ach Frau Geheimrat, ich hab' eine große Bitte.
Julchen. Ja?
Emmy. Verschaffen Sie mir ein Autogramm von Ihrem Herrn Schwager.
Julchen. Gern, mein Kind.
Anny. Mir auch eins.
Henny. Mir drei – oder noch lieber elf!
Julchen. Ich will sehen.
Ludmilla. Hm, ja. Ihr Herr Schwager soll aber doch wieder einen Defekt an seinem Schiff erlitten haben. So ganz vollkommen scheint es also doch nicht zu sein.
Axel. Nein, es hat 'ne alte Schraube gefehlt.
Ludmilla (ihn argwöhnisch ansehend). So.
Frau Liekefett. Nun ja, es ist schon dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen und menschlicher Vorwitz seine ewigen Schranken nicht vergißt. Immerhin ist es merkwürdig genug, daß ein Mann diese Erfindung gemacht hat, der nicht einmal ein richtiges Gymnasium besucht hat. (Man hört einen Wagen und Gemurmel.)
Die drei Fräulein Liekefett (springen auf und winken mit den Taschentüchern). Hoch! Hoch!
Julchen. Meine Damen, das war ja nur der Polizeirat!
Die drei Fräulein. Ach soo!
Die Bürgermeisterin. Ihr Herr Gemahl wird reden, nicht wahr?
Julchen. Ja, Königl. Hoheit haben es gewünscht.
Die Bürgermeisterin. So, ja, mein Mann wollte auch reden; aber er hat es dem Oberbürgermeister überlassen.
Frau Liekefett. Da kommen sie! (Man hört Wagenrollen, Pferdegetrappel und Hurra- und Heilrufe, an denen sich die auf der Bühne befindlichen Personen unter gleichzeitigem Tücherschwenken beteiligen. Dann tritt eine tiefe Stille ein.)
Julchen. Sch–t. mein Mann spricht!
Die Übrigen. Pst – stille – der Geheimrat spricht!
Herr Liekefett (halblaut). Ich fürchte, es gibt Regen.
Ludmilla. Ach, das wäre ja abscheulich.
Frau Liekefett. Man versteht nichts.
Julchen. O doch – hören Sie? »– seine unwandelbare Liebe und Untertanentreue« – »Frohbewegten und begeisterten Herzens« – »dem an mich ergangenen Rufe gefolgt« – »die untertänigste Huldigung – zu Füßen zu legen.« – »Möge dieser herrliche Frühlingstag – ein günstiges Omen sein« – »und mögen alle, die ihm folgen, ihm gleichen.« (Nachdem sich die Luft mehr und mehr verdunkelt hat, prasselt in diesem Augenblick ein heftiger Regen nieder.)
Die Damen (durcheinander). Gott, wie gräßlich – wie abscheulich – wie unangenehm!
Julchen. Pst – der Großherzog lächelt!
Die Bürgermeisterin. Wirklich??
Frau Liekefett. Ja, ja!
Julchen. Die Prinzessin lächelt auch! Sie ist reizend!
Emmy. Wie liebenswürdig, daß sie in dem Wetter anhalten!
Herr Liekefett. O, unser Großherzog ist ein Muster an Pflichttreue!
Julchen. Er sieht hierher!
Die Damen. Ja, wirklich, er sieht hierher!
Julchen. Er gibt meinem Mann die Hand!! Axel, er gibt Papa die Hand.
Frau Liekefett. Sch–t, was sagt er? – Ich verstehe kein Wort.
Die Anderen. Ich auch nicht – ich auch nicht!
Julchen. Doch!
Die Bürgermeisterin. Sie fahren weiter! (Man hört die Wagen weiterfahren unter den Hochrufen der Menge.)
Julchen. Ich habe jedes Wort verstanden! Er sagte: »Nehmen Sie innigsten Dank, lieber Herr Geheimrat; Ihre Worte haben uns tief ergriffen. Grüßen Sie die lieben Ihrigen und besuchen Sie uns recht bald.«
Die Bürgermeisterin. So viel kann er wohl kaum gesagt haben, ich –
Julchen. Aber ich bitte Sie, Frau Bürgermeisterin, gewiß hat er so viel gesagt; ich hab's doch Wort für Wort gehört! Horch – da kommt mein Mann, da werden Sie's hören!
Die Vorigen. Schneidemühl.
Schneidemühl (vollständig durchnäßt, stapft herein).
Julchen. Ach, mein armes Männchen! (Zu einem Lakaien:) Schnell einen anderen Rock!
Schneidemühl. Nun nun, solche Opfer darf man nicht scheuen. Ich habe – (nachdem er sich vorsichtig umgesehen) schon in einem ganz andern Regen gestanden!
Julchen. Der Großherzog schien ja sehr gnädig zu sein!
Schneidemühl. Außerordentlich gnädig, ja.
Julchen (seine Hand nehmend). Er hat dir wieder die Hand gedrückt!
Schneidemühl. Ja, er schüttelte mir kräftig die Hand und sagte: »Ich danke Ihnen«.
Julchen. Und was sagte er noch?
Schneidemühl. Sonst sagte er nichts.
Die Bürgermeisterin (mit süßem Lächeln). Sehn Sie!
Julchen. Doch, er muß doch noch was gesagt haben; er sprach doch viel länger!
Schneidemühl. So? so? Dann hab' ich's wohl überhört – ich war so aufgeregt – mir tanzte alles vor den Augen –
(Draußen erhebt sich lautes Hurra- und Hochrufen.)
Julchen. Paul, sie bringen dir eine Ovation! (Ist ans Fenster geeilt.) Sie rufen »Heil! Heil!«
Schneidemühl. Wirklich? Axel (ebenfalls am Fenster). Nein, Papa, sie rufen »Pfeil! Hoch Pfeil!« Ich hole den Onkel! (Schnell ab.)
Julchen. Ach Axel, du bist wohl nicht bei Trost! Sie rufen Heil!
Die Bürgermeisterin (am Fenster, süßlich:) Nein, Frau Geheimrat, sie rufen ganz deutlich »Pfeil! Pfeil!«
Herr Liekefett. Ja, es scheint mir allerdings auch, als wenn man nach dem Herrn Obersten ruft!
Die Vorigen. Der Oberst.
Oberst. Ach Unsinn, Junge, laß sie schreien
Herr Liekefett. Das Volk verlangt nach Ihnen, Herr Oberst.
Oberst. Das »Volk«?
Schneidemühl. Du mußt dich wohl mal zeigen.
Oberst. I bewahre. (Das Rufen der Menge schwillt mächtig an.)
Julchen. Lieber Schwager, tu mir den Gefallen, damit dies Geschrei ein Ende hat.
Oberst (geht langsam ans Fenster. Als er dort erscheint, bricht ungeheurer Jubel los, der dann plötzlicher Stille weicht.) Ich soll wohl reden? (Laute Zustimmung und Heiterkeit.) Ja, ich kann aber nicht reden. Ich danke Ihnen, daß Sie sich mit mir freuen, freuen über den mit Gottes Hilfe erzielten Erfolg. Es muß aber noch viel besser werden. Helfen Sie mir den deutschen Philister überwinden. Der Philister hängt sich als Bleigewicht an jedes Luftschiff. Der Philister sagt: »Es ist immer so gewesen, und es wird immer so bleiben. Der Mensch kann nicht fliegen.« Meine Herrschaften, nichts ist immer so gewesen, und nichts wird immer so bleiben. Tragen Sie diesen Satz ins Land hinaus. Das deutsche Luftschiff fliegt. Sorgen Sie dafür, daß die deutsche Seele fliegt! Amen. (Winkt kurz mit der Hand und tritt zurück. Brausende Hochrufe, die sich allmählich verlieren. Die Gäste beglückwünschen den Obersten mit den üblichen Redensarten und verabschieden sich dann von den Schneidemühls.)
Schneidemühl (zieht den Obersten nach vorn). Sag mir, was hast du erreicht?
Oberst. Alles. Die Sache ist erledigt.
Schneidemühl. Wirklich?
Oberst. Du kannst vollkommen beruhigt sein; die Sache ist tot und begraben.
Schneidemühl (tief aufatmend). Da dank' ich dir wirklich von ganzem Herzen. Du hast mir einen großen Dienst erwiesen. Wenn du für die Gesellschaft für Luftschiffahrt Geld brauchst – ich bin gern bereit, mich mit einer halben Million zu beteiligen.
Oberst. Das ist ja prachtvoll. Natürlich – du weißt ja – Gewinn fällt nicht dabei ab – Dividenden gibt's nicht –
Schneidemühl (schnappend). So so – Dividenden gibt's nicht – na, wir können ja noch später darüber sprechen – es war nur so 'n Einfall von mir –
Oberst. Jawohl. Aber etwas andres. Liebes Julchen, darf ich einen Augenblick bitten – und du, mein lieber Axel (ihm die Wange klopfend), du gehst mal auf ein Weilchen nach hinten und schaust möglichst angestrengt zum Fenster hinaus, gelt?
Axel (lächelt zustimmend und geht in die Veranda).
Oberst (zwischen Schneidemühl und Julchen). Sagt mal, mein Sohn Franz scheint den Verstand verloren zu haben –
Schneidemühl und Julchen (eifrig). Ja –!
Oberst. Er ist offenbar nicht bei Trost –
(Gleichzeitig, eifrig nickend:)
Julchen. Nein!
Schneidemühl. Sehr richtig!
Oberst. Er behauptet, Ihr wollt ihm die Sonja nicht geben, weil er »kein deutscher Mann« sei.
Schneidemühl und Julchen. Hm –
Oberst. Ich hab' ihm gesagt: du bist komplett verrückt, Junge. Du hast den Onkel mißverstanden. Was kann denn Onkel Paul gegen dein Deutschtum einzuwenden haben?
Schneidemühl. Hm – ja – ich habe in der Übereilung wohl mal etwas gesagt, was so gedeutet werden könnte – aber ich sehe die Sache jetzt anders an –
Julchen. Ja, ich weiß nicht –
Schneidemühl. Ja, Julchen, ja, die Sache liegt anders –
Oberst. Du hast natürlich gegen eine Verbindung der beiden nicht das Geringste einzuwenden –
Schneidemühl. Nein –
Oberst. Na also –
Julchen. Ja, aber Sonja –
Oberst. Was ist mit Sonja?
Julchen. Wir haben sie nach London geschickt – und sie ist entflohen.
Oberst (trocken). Ja, das weiß ich, mit einem jungen Mann. Aber das schad't nichts. (Ist vorn links an die Tür gegangen und öffnet sie): Kommt mal herein, Kinder!
Die Vorigen. Sonja. Franz.
Oberst. Na, was hab' ich euch gesagt: Onkel und Tante denken gar nicht daran, euch etwas in den Weg zu legen.
Sonja (eilt auf ihre Mutter zu). Mama!
Franz. Dank, lieber Onkel!
Julchen. Aber Sonja! Was hast du uns für Angst gemacht!
Sonja. Es ging wohl nicht anders, Mama –
Julchen. Wärst du wenigstens einen Tag früher gekommen, dann hättest du noch als Ehrenjungfrau beim Einzug sein können!
Franz. Ja – liebe Schwiegermama – das – das wäre doch wohl nicht gegangen –
Julchen. Nicht –?
Franz. Nein, seht mal –: Ihr wart so freundlich, Sonja nach London zu schicken – in London ist einem das Heiraten so leicht gemacht – und da bin ich ihr nachgereist – und da haben wir – um ganz sicher zu gehen – gleich geheiratet.
(Gleichzeitig:)
Julchen. Sonja! (fällt auf einen Stuhl).
Schneidemühl. Das ist 'n starkes Stück!
Oberst. Ein verfluchter Kerl! Geht immer aufs Ganze!
Ein Lakai tritt auf.
Schneidemühl. Was gibt's?
Der Lakai. Herr Baron v. Plockhorst.
Julchen (fliegt wieder vom Stuhl empor). Huch – Paul! Der Kammerherr – du sollst sehen –
Schneidemühl (eilt dem Baron entgegen). Mein verehrter Herr Baron – Herzlich willkommen!
v. Plockhorst (in amtlicher Haltung). Herr Geheimrat! Se. Königl. Hoheit der Herr Großherzog haben mich beauftragt, Ihnen noch heute die Mitteilung zu überbringen. daß Höchstsie geruht haben, Ihnen zum Zeichen Höchstihrer gnädigen Gesinnung den blauen Sperberorden zweiter Klasse zu verleihen. Das Dekret und die Insignien werden Ihnen demnächst zugehen. Ich ergreife mit Freuden die Gelegenheit, Ihnen als Erster meinen Glückwunsch darzubringen.
Julchen (macht ein unendlich langes Gesicht).
Schneidemühl (mit verblüfftem Gesicht). Hm –?
v. Plockhorst (hustet ungeduldig). Hem Hem.
Schneidemühl (rafft sich plötzlich zusammen.) Äh – Herr Baron. Ich bitte Sie – bitte Sie – Sr. Königl. Hoheit meinen allergnädigsten Dank auszusprechen, und bitte um die gnädigste Erlaubnis, meinen Dank Sr. Königl. Hoheit persönlich wiederholen zu dürfen. – Auch Ihnen danke ich, Herr Baron.
Oberst. Herzlichen Glückwunsch, Paul.
Die Übrigen (gratulieren ebenfalls).
v. Plockhorst. Ah, Sie hier, Herr Oberst? Das trifft sich ja glänzend. Ich bin nämlich von Sr. Königl. Hoheit beauftragt, Ihnen die Mitteilung zu überbringen, daß Höchstsie geruht haben, Ihnen zum Zeichen Höchstihrer gnädigen Gesinnung ebenfalls den blauen Sperberorden zweiter Klasse zu verleihen. Das Dekret und die Insignien werden Ihnen demnächst zugehen.
Oberst (trocken-gemütlich). Das freut mich ja ganz unglaublich, Herr Baron. Sagen Sie bitte Sr. Königl. Hoheit einstweilen meinen ehrerbietigsten Dank.
v. Plockhorst. Ich ergreife mit Freuden die Gelegenheit, Ihnen als Erster meinen Glückwunsch darzubringen.
Oberst. Danke, danke sehr.
v. Plockhorst (verabschiedet sich).
Oberst. Kinder, nun wird's Zeit, daß ich abfahre!
Sonja. Herzlichen Glückwunsch, Papa!
Oberst. Wozu, mein Kind, wozu?
Sonja. Zu dem Orden.
Oberst. Ach so, ach so, zu dem Orden, jawohl.
Axel. Onkel Konrad, willst du mich in die Lehre nehmen?
Oberst. Wieso, mein Junge?
Axel. Ich werde Luftschiffer.
Oberst. Topp, mein Junge, ich nehm' dich in die Lehre.
Axel. Laß mich gleich mit!
Oberst. Geht nicht, mein Junge, wir sind komplett. Hab nur Geduld, die kommenden Zeiten brauchen auch Flieger. (Zu Franz und Sonja:) Seid ihr bereit?
Franz. Jawohl. Adieu, Schwiegermama!
Julchen. Was ist denn? Was soll denn werden?
Franz (jauchzend). Wir gehen in die Luft! Das ist unsere Hochzeitsreise! Das heißt (Sonja bei der Hand fassend) wenn du wirklich Mut hast!
Sonja (sieht ihn mit innigem Ausdruck an und sagt dann): Ich steige in dein Boot.
Franz. Du –! (Zieht sie zärtlich an sich und küßt sie.)
Der Vorhang fällt.