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Auch ein Tagebuch.
Sie besitzt bereits einen ganzen Tierpark, unsere Jüngste, Tiere von Holz, Stein, Leder, Papiermaché und Metall, kurz von allem möglichen Material und in jeder erdenklichen Herstellungsart; endlich aber läßt sich der Drang nach dem Lebendigen nicht mehr zurückhalten, und zur nächsten Weihnacht will sie einen wirklichen Hund haben.
Roswitha, welch ein Begehren!
Ich habe die Hunde gern, soweit sie vier Beine haben, und soweit sie vier Beine haben, scheinen sie diese Zuneigung auch zu erwidern; diese Tiere haben wie die kleinen Kinder einen Instinkt für das Wohlwollen – aber einen Hund als Hausgenossen –? Mein Weib und ich erheben die ernstlichsten Sauberkeits- und Gesundheitsbedenken.
Wir erschöpfen unsere Phantasie in der Ausmalung kolossaler Unannehmlichkeiten und Gefahren, die ein Hund mit sich bringen kann; Roswitha sieht auch alles ein, wie es sich für ein pietätvolles Kind geziemt, und wenn wir sie dann fragen, was sie sich also statt eines Hundes wünsche, dann sagt sie: »'n Hund.«
Wir versuchen es anders herum: wir breiten vor ihrer Phantasie die wunderbarsten Dinge aus: Ganze Puppenhäuser mit Wasserleitung und Zentralheizung, prachtvolle Parks mit Springbrunnen und lustwandelnden Paaren, die man aus einer einzigen Schachtel hervorzaubern kann, vollständige Eisenbahnen mit sämtlichen modernen Verkehrserschwerungen, kurz: alles, was ein kindlich Herz erfreuen kann, und artig und folgsam erklärt Roswitha denn auch endlich: Ja, das alles möchte sie gern haben, und außerdem natürlich einen Hund.
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Er ist da. Der Hundeseelenverkäufer hat den Judaslohn eingesteckt und ist gegangen. Es ist ein Dackel; er steht da und sieht sich ratlos im Kreise um wie ein Untersekundaner in der ersten Tanzstunde. Roswitha ist nicht zugegen. Wir lassen sie unter irgendeinem gleichgültigen Vorwande rufen. Sie kommt, und nun ereignet sich ein Wunder. Das Tier springt mit einem jauchzenden Belllaut an ihr hinauf und will ihr das Gesicht belecken. Roswitha ist hochbeglückt und fragt: »Wo kommt der her? Wem gehört der?«
»Der gehört dir.«
Das Weitere ist nicht zu beschreiben. Es gibt eine Freude, bei der dem Zuschauer die Tränen ins Auge treten. Menschenfreude ist so ergreifend wie Menschenleid.
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Es ist kein Zweifel mehr, Roswitha und Männe sind durch Schicksalsschluß von Ewigkeit her für einander prädestiniert. Er spielt auch gern mit den andern Kindern; er zeichnet mich aus, indem er, wenn er unter meinem Schreibtisch liegt und schläft, sich mit schmeichelhafter Vertraulichkeit auf meine Füße bettet, deren animalische Wärme ihm sehr brauchbar scheint; er schätzt meine Frau noch höher; denn sie, nur sie, reicht ihm regelmäßig das Futter, und wenn er seine Schüssel leer geleckt hat – »nicht jedes Mädchen hält so rein« – so schenkt sie ihm einen prachtvollen Knochen; wenn die lieblichsten Düfte der Küche in ihren Kleidern hängen, so folgt er ihr, wohin sie will, und auch sonst gehorcht er ihr nicht selten (für einen Dackel eine enorme Leistung) – und doch: wenn diese Frau zum Schein die Hand gegen Roswithen erhebt, als wolle sie sie schlagen, so blafft er sie wütend an und schnappt nach ihrer Hand. Der edle Grundsatz: »Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe,« gilt bei den Hunden nicht. Ich möchte wissen, wer auf die törichte Idee gekommen ist, das Wort »Hund« als Schimpfwort zu gebrauchen. Ich wills gewiß nicht wieder tun.
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Sobald das Dienstmädchen am Morgen seine Kammer geöffnet hat, rast er – zeigt mir einen Menschen, der mit so krummen Beinen so rasend laufen kann – rast er die Treppe zu Roswithens Schlafzimmer hinauf. Ich weiß nicht, wie ich dies Rennen bezeichnen soll – etwa wie wir ein Zündholz anreißen: rrt! – ist er oben und winselt vor ihrer Tür. Wenn ihm das Mädchen die Tür geöffnet hat, läuft er an Roswithens Bett und schaut hinein, und wenn sie schläft, legt er sich still auf den Bettvorleger nieder und wartet. Sowie sie erwacht und sich leise regt, springt er an ihrem Bett empor, reißt den Mund auf bis an die Ohren und lacht.
Bei der Toilette und beim Frühstück weicht er nicht von ihrer Seite, und wenn sie zur Schule fährt, begleitet er sie zum Bahnhof. Wenn er die Mittel hätte, würde er ihr jeden Morgen ein Veilchenbouquet in den Wagen reichen. Anfangs wollte er mitfahren; aber bald hat er eingesehen, daß das nicht möglich ist, und hat resigniert. So ein Dackel kann resignieren wie ein Philosoph. Nur daß er dem Zuge wehmütig nachschaut, bis er den Bahnhof verlassen hat. Roswitha winkt mit dem Taschentuch und will bemerkt haben, daß er mit den Ohrlappen zurückwinkt. Dann steht er noch einen Augenblick versunken da, das Haupt auf die Seite geneigt und mit einem Blick – einem Blick! – ich muß immer an den Primgeiger einer Zigeunerkapelle denken, der mit geneigtem Ohr die schwermütig-schmelzenden Töne seiner Geige einsaugt. Dann tappt er heimwärts. Das Leben hat vorläufig keinen Sinn und Zweck mehr als den, verschlafen zu werden. Zu jeder ihm passenden Zeit kratzt er an meine Tür, ob ich dichte oder nicht, und ich oder jemand anders macht ihm auf: denn ich habe die Weisung gegeben:
»Dieser Ritter wird künftig ungemeldet vorgelassen.«
Er geht geradeswegs unter meinen Schreibtisch, legt sich mit melancholischer Unverschämtheit quer über meine Füße und schläft. Schläft und schnarcht wie ein aktiver Kammerpräsident. Stunde auf Stunde. Wenn er gar zu heftig zu meinen Versen schnarcht, versetz ich ihm aus verletzter Autoreneitelkeit einen Stoß und rufe: »Männe. Mäßige dich.« Dann hört das Schnarchen für eine Minute auf, um dann mit neuer Kraft zu beginnen. Wer so schlafen könnte! Wer die Zeit dazu hätte! Die Türklingel mag läuten und die Haustür mag gehen, so oft sie will – er schläft und schnarcht. Verrückt, so etwas »ein Hundeleben« zu nennen!
Aber Männe könnte wie der Mann des Seidl-Löweschen Liedes singen:
Ich trage, wo ich gehe, Stets eine Uhr bei mir – |
Gegen zwei Uhr wird sein Schlaf unruhig. Von Zeit zu Zeit zucken seine Ohren – es wetterleuchtet in seinen Zügen, wie ein ordentlicher Romanschreiber sagen würde – plötzlich hebt er den Kopf, rast – rrt! – nach der Tür, kratzt und winselt: »aufmachen, aufmachen.« – rrt! an die nächste, ebenfalls geschlossene Tür und heult: »aufmachen, schneller, schneller.« – rrt! an die Haustür und bellt: »diese ekelhaften Türen!« saust wie ein abgeschossener Dackel durch den Garten und in die Arme seiner vergötterten Herrin. Er hat sie gehört, gespürt, geahnt, mit zweitem Gesicht gesehen, bevor wir nur das Geringste hörten. Wie sie sich begrüßen, wie sie miteinander durch den Garten tollen – ja, das ist Liebe! Er lacht Tränen vor Wonne, und sein Schwanz, das Perpendikel seines Herzens, macht zehn Schwingungen in der Sekunde. Wenn sie ihre Schularbeiten macht, wenn sie mit ihren Puppen spielt – er liegt selig blinzelnd zu ihren Füßen. Wehe, wenn ein anderer das Zimmer betritt! »Wer wagt es, in den Dunstkreis meiner Herrin zu treten!« fährt er grollend auf und beruhigt sich nur langsam, wenn es ein Mitglied oder ein Freund des Hauses ist. Er erlaubt uns, mit Roswithen familiär zu verkehren, läßt aber durchblicken, daß ihm diese Vertraulichkeiten im Grunde seines Herzens nicht gerade angenehm sind.
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Einmal aber kam sie nicht nach Hause, weil sie gleich von der Schule zu ihrer Freundin auf Logierbesuch gegangen war. Um zwei Uhr lief er an die Haustür, horchte und witterte und dachte: »Nanu?!« Er setzte sich nieder und wartete bis drei, bis vier, bis fünf. Er aß nicht, kauerte sich zusammen und verfiel in einen unruhigen Halbschlummer. Er fuhr empor, sobald er draußen etwas hörte – und sank traurig wieder in sich zusammen. Um sieben Uhr saß er noch auf dem Vorplatze,
und das Antlitz noch, das bleiche nach dem Fenster sah. |
Dann begriff er: sie kommt nicht, und suchte, ohne gegessen zu haben, mehr kriechend als gehend, sein Lager auf.
In der Nacht begann er zu heulen, daß wir erwachten und nicht wieder einschlafen konnten. Ich stieg im tiefsten Negligé die Treppen hinunter und machte ihm beruhigende Vorstellungen, schüttelte ihm sein Lager zurecht und lud ihn ein, wieder Platz zu nehmen und wohl zu ruhen. Nach solchen Exkursionen empfindet man die Bettwärme besonders wohltuend. Ich hatte kaum drei Minuten gelegen, als Männe wieder zu heulen begann wie ein besserer Schloßhund. Diesmal entfuhr ich schneller dem Bett, eilte die Treppe hinunter und wurde in meinen Worten sehr unangenehm, in meiner Stimme äußerst drohend. Ich sah nach dem Futter und dem Wassernapf – es war alles in Ordnung, stellte ihm das Ultimatum: jetzt Ruhe oder Prügel. und flüchtete klappernd wieder in mein Bett.
»Na, jetzt scheint er sich ja –«
»Zu beruhigen,« wollte meine Frau sagen, kam aber nicht dazu, weil der Herr Dackel wieder das Wort genommen hatte.
»Vielleicht will er hinaus,« meinte meine Frau. Ich zog mich also an, ging hinunter, schloß die beiden Haustüren auf und sagte: »Hinaus.«
Rrrrt! war er draußen.
Ich schloß wieder zu, ging nach oben, entkleidete mich und schlüpfte tief aufatmend und zufrieden ins Bett. Da heulte und bellte er draußen, und schlimmer als zuvor.
»Jetzt weckt er auch die Nachbarn auf,« sagte meine Frau.
Ich zog mich abermals an, diesmal aber lag in der Art, wie ich die Hosen heraufzog, entschlossener Ingrimm. Ich nahm einen gehörigen Stock zur Hand, ging hinunter, schloß wieder zweimal auf, rief den Hund mit wohlwollend gefärbter Stimme ins Haus – rrt, lag er wieder in seinem Korb – und schloß wie ein bedächtiger Henkersknecht wieder zu. Dann ging ich zu dem Hunde und hob den Stock – aber das Tier sah mich mit einem Paar Augen an – nie hab' ich in menschlichen Augen eine so ergreifende Angst und Traurigkeit gesehen. Aus der Tiefe seines dunkleren Daseins herauf fürchtet sich ein Tier vielleicht noch mehr, als ein Mensch sich fürchten kann. Ich warf den Stock hin, redete dem Tiere wieder begütigend zu und ging wieder nach oben. Wir mußten uns endlich entschließen, auch trotz Hundegeheuls einzuschlafen, und wenn man muß und will, kann man auch das.
Als Roswitha nächsten Tages heimkehrte, ließ Männe eine Art Bellheulen hören, das man nicht näher bezeichnen kann; es schien ein wirres Produkt von Bellen, Weinen, Jauchzen, Heulen, Schluchzen und Hurrarufen, und in seiner Begeisterung rannte er so heftig gegen sie an, daß sie sich wider Willen »bums« auf den Rasen setzte. Diese Gelegenheit benutzte Männe wider alles Verbot, ihr immer abwechselnd Hals und Gesicht zu belecken. Sein Schwanz machte diesmal fünfzehn Schwingungen in der Sekunde.
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Inzwischen ist es Frühling, ist es Sommer geworden, und Männe zieht Feld und Garten dem Aufenthalt zu meinen Füßen bei weitem vor. Wenn Kinder im Garten sind, vor allem, wenn Roswitha dabei ist, bevorzugt er den Garten vor allen andern Plätzen. (Auch ein Beweis für Männes feinen Instinkt, daß ihm die Kinder lieber sind als die Erwachsenen.) Er erlaubt dann gütigst, daß man ihn spazieren fahre. Die Kinder setzen ihn in den Blockwagen, bedecken ihn bis an den Hals mit Birken, Erlen und Weidenkätzchen, so daß nur der interessante Kopf hervorschaut; zwei ziehen und eines geht hinterher und hält den Sonnenschirm über ihn. Er aber blickt um sich mit dem lässigen Behagen eines Elegants, der mit dem chicksten Gespann der Welt durch das Boulogner Wäldchen fährt.
Wenn keine Kinder da sind, bin ich ihm gut genug, ja, wenn ich Miene mache, nach den Stiefeln zu greifen, macht er die halsbrechendsten Versuche, mich zu küssen. Ich brauche von dem Worte »ausgehen« nur die erste Silbe zu sprechen, so steht er schon wonneheulend an der Haustür. Es ist der Forscherdrang, der ihn hinaustreibt. Denn unterwegs gibt es keinen Garten und kein Gehöft, keine Tür und keine Pforte, durch die er nicht eindränge, um eine gründliche Lokalinspektion vorzunehmen, so daß ich mir schon gedacht habe, er sei im Stillen mit der Abfassung eines Adreßbuches für Hunde beschäftigt. Man kann nie wissen, was in so einem Dackel steckt und was er vorhat.
Wenn weder die Kinder noch ich zu seiner Unterhaltung verfügbar sind, liegt er auf dem Rasen in der hellsten und heißesten Sonne. Es ist nicht zu sagen, was solch ein Tier an Sonne in sich aufnehmen und an Faulheit hervorbringen kann. Dackel sind der schlagendste Beweis gegen die Theorie, daß Wärme sich in Bewegung umsetze. Männe nun gar hat die Faulheit zur Genialität entwickelt. Der trägste Maurersmann ist eine Biene im Vergleich zu ihm, und wenn Otto der Faule ein Denkmal erhalten hat, so verdient Männe eine ganze Siegesallee. Halbe Tage lang liegt er, den Kopf auf die Vorderpfoten gestreckt, in der Sonne und schlürft das Dasein in sich ein als ein Schlemmer, der die ewige Seligkeit durch einen Strohhalm einsaugt.
Nur zuweilen steht ihm der Sinn nach anderem Pläsier. Dann kommt niemand, auch der harmloseste Spaziergänger nicht, an unserm Garten vorbei, ohne daß ihn Männe ohne allen Grund und Zweck auf die heftigste Weise angebellt und angeschnauzt hätte. Er bleibt wohlweislich hinter dem Gitter; aber er schnauzt wie toll: »Was haben Sie hier zu suchen! Scheren Sie sich augenblicklich fort, oder –!« Ich denke mir, daß er in einem früheren Dasein Polizeibeamter in Deutschland gewesen ist, und daß es sich nur um gelegentliche Rückfälle, um eine Art Atavismus handelt.
Wenn er auch dieses Vergnügens müde ist und sich gar nichts anderes mehr bietet, trottet Männe nach dem Hintergarten und holt aus einem Versteck den ewigen Knochen hervor. Es ist ein vollkommen abgenagter, steinharter, gebleichter Knochen, von dem auch nicht das Geringste mehr herunterzubeißen ist; aber was will man dazu sagen? Man kann daran nagen und kauen. So hat der Mensch die Erinnerung . . . .
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In Alexander Dumas wundervollem Lügenroman »Der Graf von Monte Christo« gibt es einen alten Mann namens Noirtier, der so schwer vom Schlage gerührt ist, daß er weder sprechen noch ein Glied rühren kann; aber Augen hat er, Augen, in denen sich sein ganzer Lebensrest konzentriert. Mit alleiniger Hilfe dieser Augen unterhält er sich, macht er Testamente, entlarvt er Giftmischerinnen, führt er Liebende zusammen – ich erinnere mich nicht, ob er auch Klavier spielt; aber Dumas würde auch das auf sich nehmen – kurz: macht der alte Herr Sachen, bei denen im Vollbesitz ihrer Kräfte befindliche Menschen in Schweiß geraten würden. An die Augen des Noirtier muß ich jedesmal denken, wenn ich in Männes Augen schaue. Auch er macht und sagt mit den Augen alles. Es gibt nichts Klügeres und dabei Unergründlicheres als Dackelaugen, nichts Ausdrucksvolleres, Wechselvolleres als ein Dackelgesicht; denn der Dackel ist derjenige unter den Hunden, der ein wirkliches Gesicht hat. Manchmal, wenn ich ganz allein bin und keinen andern Gesellschafter habe als ihn, spreche ich stundenlang mit ihm die tiefsten Dinge über moderne Literatur und Kritik. Das Resultat dieser Dialoge gedenke ich einmal als »Unterhaltungen mit einem Hunde« herauszugeben. Wie köstlich sind auch seine Antworten, wenn er sich in meiner Abwesenheit eine Wurst vom Frühstückstisch geholt hat.
»Ach bitte, verehrter Männe, komm doch mal her!«
Seine ganze Reaktion besteht darin, daß seine Ohren leise zucken.
»Männe!«
Er hebt langsam den Kopf von den Pfoten.
»Hörst du nicht, Männe?«
Er erhebt sich langsam und streckt sich in den Vorderbeinen.
»Hierher, Männe!«
Er wiederholt dieselbe Freiübung in den Hinterbeinen.
»Na?!«
Jetzt läßt er sich langsam herbei.
»Wo ist die Wurst geblieben?«
»Wie meinen?« versetzt er, indem er mit sanftem Augenaufschlag den Kopf auf die Seite legt.
»Wo die Wurst geblieben ist, will ich wissen.«
»Sie verzeihen, ich höre auf diesem Ohr nicht gut,« erklärt er und neigt den Kopf auf die andere Seite.
»Wer hat die Wurst hier weggenommen?«
»Gestatten Sie eine Frage: Was ist Wurst?« erwidert er.
Ich ziehe ihn an seinem Halsband an den Tisch, stelle ihn auf einen Stuhl und deute auf den Teller, um ihm seine Schandtat durch die Sinne in Erinnerung zu bringen.
»Ich danke,« bemerkt er, »ich habe keinen Appetit.«
»Pfui, Männe,« ruf' ich, indem ich ihn schüttele, »du stiehlst Würste? Schäm' dich, du Lump!«
Er blickt mich voll an mit den Augen des Herrn Noirtier und versetzt: »Auf diesen Ton einzugehen verbieten mir Erziehung und Selbstachtung.«
Kurz, es ist ihm nicht beizukommen. Er stellt sich konsequent auf den Standpunkt: »Solange man unschuldig tut, kann man noch Dumme finden, die's glauben«, und erinnert mich dann immer an den bekannten biederen, krummbeinigen Bürgersmann, der es faustdick hinter den Ohren hat und die allgemeine Achtung seiner Mitbürger genießt.
Nun wird mir vielleicht der eine oder andere meiner Leser einwenden, ich übertriebe und schätzte die Intelligenz meines Dackels denn doch gar zu hoch ein. Solchen Opponenten will ich noch ganz was anderes sagen. Die Menschen haben jahrtausendelang die Erde für das Zentrum des Weltgebäudes gehalten und sind furchtbar damit hineingefallen. Dann hat es noch lange Zeit Leute genug gegeben, die da hofften, daß wenigstens der Mensch das Zentrum der Welt sei. Ihre Blamage hat nicht auf sich warten lassen. Daß er Gipfel und Zentrum der organischen Erdenwelt sei, das glaubt der Mensch noch heute. Wie aber, wenn er eines Tages auch von diesem selbstgezimmerten Throne verjagt würde und in irgend einem Tier eine weit intelligentere und ehrenwertere Gattung erkennen müßte? »Oho!« hör' ich einige rufen. Bitte: ich stand vor einiger Zeit vor dem Ladenfenster eines großen Bankiers, allwo man Münzen in Silber und Gold und unzählige Banknoten und Wertpapiere aus aller Herren Ländern, alles in allem ein beträchtliches Vermögen ausgestellt sah. Da kam ein riesiger Hund daher, und was tat dieser Hund? Er warf einen kurzen Blick in das Schaufenster und nahm dann diesen Schätzen gegenüber eine Stellung ein, wie sie die Hunde an Ecken, Bäumen, Laternenpfählen u. dgl. nicht selten einnehmen. Kann ein zynischer Philosoph eine größere Überlegenheit beweisen? Ja, noch mehr; dieselbe Stellung sah ich bald darauf einen Hund vor einem Bücherladen einnehmen, und zwar genau an der Stelle, wo das Buch eines meiner literarischen Gegner – ich will den Namen nicht nennen – ausgelegt war. Wo findet man bei Menschen ein so sicheres Urteil? Nun ja, wendet vielleicht ein Mann von großer Vernunft ein: der Hund weiß eben nicht, welchen Wert eine Obligation der Österreichisch-ungarischen Staatsbahn repräsentiert; man halte ihm aber eine Wurst hin, und man wird sehen, wo seine Überlegenheit bleibt. Das ist ja eine sehr vernünftige und ernsthafte Bemerkung; indessen: ich habe Hunde nach einer Wurst springen, schnappen und lungern sehen, und habe Politiker, Künstler und Gelehrte nach einem Orden springen, schnappen und lungern sehen, und ich muß euch sagen: ich habe stets die Bewegungen des Hundes anmutiger und würdiger gefunden. Und dann, wie gesagt, wenn ich Männe soeben eine Gothaer Zervelatwurst geschenkt habe und im nächsten Augenblick auf Roswitha losfahre, als wollte ich ihr ein Leids tun, so schnappt er nach mir mit wütendem Gebell. Bringt mir ein Analogon aus der Menschenwelt.
Nein, ich laß es mir nicht nehmen: der Hund, wenigstens der Dackel, besitzt Qualitäten, die ihn sogar zu hohen Stellungen in unserem Staatswesen berechtigen. Männe zum Beispiel liebt es in Winterszeiten, sich, wenn er nicht über meine Füße verfügen kann, möglichst unmittelbar vor den glühenden Ofen zu legen. Da ich das für ungesund halte, so pflege ich es nicht zu dulden.
»Na –?« ruf ich dann in ziemlich energischem Tone, worauf er leise mit den Ohren zuckt und über die Pfoten hinweg nach mir hinschielt. (Vergleiche die Darstellung von vordem.)
»Na, Männe?!« ruf ich lauter, worauf er langsam den Kopf hebt, ganz wie oben und wie immer.
Ich muß also erst zu ihm herantreten und mit nicht mißzuverstehender Gebärde rufen:
»Gehst du jetzt augenblicklich fort?!«
Dann erhebt er sich, dreht sich einmal langsam um sich selbst und legt sich wieder nieder. Er glaubt damit bei mir die Täuschung zu erzielen, daß er vom Ofen weggerückt wäre.
»Männe, wenn du jetzt nicht sofort –!!«
Da erhebt er sich abermals, dreht sich einmal auf der Stelle, legt sich wieder hin und spricht zu mir mit den Augen eines Engels:
»Sie sehen, ich tue alles, was Sie von mir wünschen.«
Da frage ich: man verwendet die Hunde jetzt auf allen Gebieten, bei wissenschaftlichen Forschungen, bei der Polizei, in der Armee – warum nicht in der Diplomatie?!
Um aber vollends ernst zu reden: Wenn ich gesehen habe, wie Tiere von Menschen gequält, geschunden und mit Mühsal überladen wurden, wenn ich den Blick gesehen habe, mit dem ein Pferd die Roheit seines Herrn erträgt, ohne zu vergelten, wie es doch wohl könnte, dann ist mir mehr als einmal der Gedanke gekommen: sie befolgen die Philosophie, die die Menschen von den Kanzeln predigen: Liebet eure Feinde und widerstrebet nicht dem Übel; denn ihm widerstreben, heißt es vermehren. Und dann ist mir noch immer vor meiner Gottähnlichkeit bange geworden.
In Summa: ich lerne Roswithens Sympathien täglich mehr verstehen, und jetzt find' ich auch, daß Männe schön ist, schön wie Engel voll Walhallas Wonne, und weiß auch, woher er die krummen Beine hat. Er wäre sonst zu schön gewesen, darum krümmte ihm der Neid der Olympischen die Beine. Zwar finde ich, daß er bei der guten Kost etwas in die Breite geht, daß er einer Nudelwalze ähnlich wird wie ein zu gut gepflegter erster Held und Liebhaber; aber Roswithens Liebe ist blind. Sie hat mir auch ganz heimlich, damit es Männe nicht höre, ins Ohr geflüstert, was sie ihm zur bevorstehenden Weihnacht verehren will. Sie will ihm ein Halsband sticken, ihm eine Wurst und ein Tannenbäumchen schenken. Das Bäumchen hat sie schon leise herbeigeschafft, als er schlief, und wenn sie an dem Halsband stickt und Männe zur Tür hereinkommt, verbirgt sie es schnell unter dem Tisch. Auch hat sie mir bereits anvertraut, was sie sich zur wiederum nahenden Weihnacht wünscht: ein Lamm, eine Ziege, zwei Kaninchen, einen Laubfrosch, einen Kanarienvogel und noch einen Dackel. »Weiß du warum, Pappi? Denn kriegen sie fürleicht Junge, un denn kriegen wir immer mehr Dackel.«