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Fünftes Capitel.

Der Tag, welcher auf diese ereignißreiche Nacht folgte, war ein Sonntag. Schon längst hatte die Glocke der Tiszaréter Kirche mit langsamen Klängen das Volk zur Andacht gerufen, welches bei Vándory's tröstender Predigt den Lärm der vorigen Nacht und sämmtliche Qualen des Lebens vergaß; im Herrenhause aber, dessen Religiosität, wie in vielen anderen adeligen Häusern, mehr bei General-Congregationen, wenn der Wiener und Linzer Friede aufs Tapet kam Auf diesen beiden Friedensschlüssen, deren einer – der Wiener Friede – zwischen Kaiser Ferdinand III. und Rákóczy geschlossen worden, beruhen die Religionsfreiheiten der Protestanten in Ungarn., als in der Kirche bemerkbar wurde, bereitete sich alles zum Empfange der adeligen Gäste, die man erwartete. Ákos und seine Schwester Etelka lustwandelten im Garten. Es war ein schöner Herbsttag, Mittag war nahe, die Sonne füllte die Gegend mit warmen Strahlen, an den buntgefärbten Blättern der Bäume, unter denen Ákos und Etelka lustwandelten, hingen zarte Fäden, als wolle der Herbst die Blätter binden, wo hohe Georginen standen und bescheidene Herbstblumen noch blühten, obgleich der Reif schon einzelne Blätter derselben angehaucht hatte.

Das Geschwisterpaar ging schweigend nebeneinander auf den Wegen fort, die schon mit Herbstlaub überstreut waren, während Tündér, der einzige unter den Windhunden, der dies Vorrecht genoß, um die Wandelnden herumsprang.

»Was fehlt dir, meine Liebe?« sprach endlich Ákos zur Schwester, die eben eine verwelkende Georgine betrachtete, »du bist heute so traurig.«

»Ich?« erwiderte das Mädchen lächelnd, indem sie ihre großen schwarzen Augen auf den Bruder heftete, »mir scheint, du bist wie Macskaházy, wenn er jährlich seine Gelbsucht hat und, mit seinen Pomeranzenaugen herumschauend, die ganze Welt nur als eine ungeheure Riesenmelone betrachtet.«

»Du hast Recht,« sprach Ákos ebenfalls lächelnd, »ich bin heute unendlich langweilig.«

»Das ist außer allem Zweifel; übrigens gehört dies zu den Privilegien des ungarischen Adels, und ist besonders unter Geschwistern alter Gebrauch; thue dir meinethalben keine Gewalt an.« Und das fröhliche Mädchen kehrte sich ihren Blumen zu und überließ Ákos seinen Gedanken, was beinahe immer die beste Art des Trostes ist, die wir aber am seltensten finden. Jeder Schmerz, und vorzugsweise jener Unmuth, der dem Schmerze so sehr ähnlich sieht, daß er auch oft dafür gehalten wird, schwindet, wenn er keine Nahrung von außen erhält. Unsere Freunde aber, die eher Alles gestatten, als daß sie uns mit etwas langen Gesichtern sehen, und sich mit uns langweilen, mühen sich ab, uns zu trösten, oder zu zerstreuen, und gerathen nicht nur in Widerspruch mit unseren Empfindungen, sondern, indem sie unseren Gram bekämpfen, fordern sie unseren Verstand auf, ihn zu verteidigen, und das ganze Ergebniß des Trösters ist gewöhnlich die Ueberzeugung, daß unser Schmerz weit größer ist, als wir gedacht. Wenn dich aber ein großes Unglück trifft und du wirklich Hilfe brauchst, so pflegen die Freunde diesen unangenehmen Fehler abzulegen und fallen mit ihrem Diensteifer ebenso wenig ungelegen, als sie früher unausstehlich waren; aber fällt es dir dann nicht ein, um wie viel es besser gewesen wäre, wenn sie den Grundsatz des Nichteinmengens früher angewandt, oder alle die unzähligen kleinen Opfer, mit denen sie dir zur Last gewesen, für diese eine Gelegenheit aufgespart hätten, und was ihre Liebe dir zugedacht, lieber auf einmal als so groschenweise geboten hätten? Wem der Himmel einen Freund, eine Frau oder Geschwister geschenkt, bei denen er diese Gedanken nicht bestätigt findet, der preise sein Geschick, denn er gehört wahrlich unter die Ausnahmen. Ákos gehörte zu diesen, und unter den zahllosen Glücksgütern, wegen deren der junge Herr von Tiszarét im Comitate glücklich gepriesen wurde, würde ich ihn nur um Eines beneiden, und das ist seine Schwester.

Ich bedauere, daß ich sie meinen Lesern nicht vorstellen kann; meine Beschreibung wird nicht genügen. So blondes Gelock, so schwarze Augen, so regelmäßige Züge darzustellen, reichen Tinte und Feder nicht hin. Etelka war eine jener Wenigen, deren ganzes Wesen so harmonisch ist, daß du gar nicht ahnest, wie glänzend ihre einzelnen Eigenschaften seien. Und wenn das Vorurtheil, daß Herz und Geist im Widerspruch sind, der Widerlegung bedürfte, und wenn du noch nicht weißt, daß es Dinge gibt, die du nur durch das Herz verstehst, andere, die du durch den Geist empfindest, so würden ein paar in Etelka's Nähe verlebte Wochen dich deines Irrthums überführen.

Ein paar Jahre jünger als Ákos, mäßigte sie doch ihres Bruders Leidenschaftlichkeit; ihr vertraute er alle Geheimnisse seines Herzens umso lieber, je mehr er überzeugt war, daß dieselben, und dies ist bei solchen Geheimnissen wie die seinen unstreitig eine Hauptsache, am schnellsten an Vilma gelangten, die seine Schwester mit solcher Freundschaft umfing, deren Frauen nur in ihrem Alter und auch dann nur auf kurze Zeit fähig sind.

Die Geschwister waren auf den Türkenhügel gelangt und überschauten das Dorf, die ruhige Theiß, die endlose Fläche.

»Sie kommen,« sprach Etelka, indem sie gegen Sz.-Vilmosch hinsah, von wo große Staubwirbel die Ankunft der erwarteten adeligen Gäste verkündeten, »in einer Stunde wird es großen Lärm im Hause geben.«

»Wollte Gott, ich wäre hundert Meilen weit von hier,« seufzte Ákos.

»Vielleicht würde dir eine geringere Entfernung auch genügen; dort im Dorfe, unfern von uns, im Hause des Notärs; nicht?«

»Rede nicht davon; wenn ich nur daran denke, so möchte ich weinen, du weißt, was gestern geschehen ist!«

»Der Lärm war groß genug, um ihn zu vernehmen.«

»Ich hoffe nichts mehr!«

»Sprich nicht so; Vilma liebt dich, du wirst dich nicht ändern, und unser Vater –«

»Unser Vater? wenn es kein Hinderniß gäbe außer ihm,« sprach Ákos leidenschaftlich, »ich verehre ihn, aber diese Verehrung hat Grenzen, und wenn Vilma und mein Vater in meinem Herzen sich nicht nebeneinander vertragen, so wäre ich bereit, das Bild desjenigen aus meinem Herzen zu reißen, der das Glück seines Sohnes Vorurtheilen aufopfert; aber kann ich das auch von Vilma hoffen? Und glaube mir, der alte Tengelyi ist weit unerbittlicher als mein Vater.«

»Glaube das nicht; er betet seine Tochter an.«

»Du kennst ihn nicht – ja, er betet seine Tochter an; Vermögen, Leben, nichts ist auf der Welt, was er ihr nicht zum Opfer bringen würde; eines ausgenommen: seine Ehre; was diese nur im Entferntesten berührt, findet ihn unerbittlich. Nach jenem unseligen Gespräche, in welchem die Stiefmutter, die meine Liebe wahrgenommen, ihm zu verstehen gegeben, daß seine Tochter seltener in unser Haus kommen möge, kam Tengelyi zu mir, erzählte mir das Vorgefallene und bat mich, ich möchte sein Haus mit Besuchen verschonen, nachdem – wie er sich bitter genug ausdrückte – es nicht gut ist, daß junge Herren von hohem Range mit armen Mädchen umgehen. Wenn ich ihm seitdem auf der Gasse begegne und ihn bis zu seinem Hause begleite, verneigt er sich jedesmal tief am Hausthore, und ich kann meiner Wege gehen. Ich habe mit seiner Frau gesprochen, die – Gott segne sie dafür – immer meine Partei genommen; aber diese Frau, die ihrem Manne eben nicht blind gehorcht, hat mich mit dem Bescheide entlassen, daß in dem Einen sie über ihren Mann keine Macht habe. Ich sprach mit Vándory; aber trotz seines Optimismus vermochte er mir doch keinen anderen Trost zu geben, als daß Tengelyi bis jetzt unerbittlich sei, und daß wir warten müssen. Und denke dir nun die gestrige Unwürdigkeit hinzu, die Tengelyi gewiß unserer Familie zuschreibt, und denke, daß wir bei der nächsten Restauration entgegengesetzten Parteien angehören – wenigstens so wie er glaubt, denn ich nehme keinen Theil an diesen Parteiumtrieben – und dann hoffe, wenn du es vermagst.«

»Und ich hoffe,« antwortete Etelka ruhig, ihres Bruders Hand ergreifend, »wenn auf der einen Seite lauter edle Empfindungen, auf der anderen Seite nur Verstandesgründe sprechen, so ist der Sieg nicht auf der Seite, die am besten vertheidigt wird, sondern auf jener, für die man am meisten fühlen kann.«

»Glaubst du?« rief Ákos freudig aus und küßte leidenschaftlich die Hand seiner Schwester, »wenn ich nur die eine weiß, wenn ich nur davon überzeugt sein kann, daß die Ränke meiner Feinde ihr Herz nicht von mir abwenden.«

»Aber Ákos, was sprichst du denn?« redete Etelka lächelnd dazwischen, »welche Feinde und Ränke? Wer sänne auf Listen gegen dich? Der alte Tengelyi selbst liebt ja in seinem Innersten seinen Sohn vielleicht nicht mehr als dich, und so oft er dich sieht, kann er sich ja kaum enthalten, dir um den Hals zu fallen; und glaube mir, wenn auch dies nicht wäre, wenn Vater, Mutter, das ganze Dorf nur Uebles von dir spräche, Vilma würde sich nicht ändern. Man sagt zwar, daß wir Mädchen schwach sind und keine Willenskraft besitzen, aber eben dies sichert Euch ja unsere Liebe. Wenn man uns auch hundertmal beweist, daß wir unser Herz einem Unwürdigen geschenkt haben, was hilft es? Wir haben doch nicht die Kraft, etwas Anderes zu wollen.«

»O liebe Etelka, wie glücklich machst du mich! ihr sprecht also zuweilen von mir?«

»Wenn ich mit Vilma allein bin, so wäre es schwer, von etwas Anderem zu reden. Du weißt, daß ich nach wie vor beinahe täglich meine Freundin besuche. Anfangs empfing mich der Alte zwar etwas brummig, aber als ich mich an's Clavier setzte und mit Vilma ein paar seiner Lieblingslieder sang, verlor sich sein Ernst, und so oft ihm wieder derlei durch den Sinn fährt, musiciren wir Alles in einer Viertelstunde wieder heraus. Vilma betet dich an; Anfangs, als sie den Grund deines Wegbleibens nicht wußte, war sie wohl betrübt; aber sie beruhigte sich, als ich ihr die Ursache sagte, und jetzt habe ich sie so getröstet, daß sie voll Hoffnung in die Zukunft blickt.«

»Wenn ich sie nur sehen könnte, nur auf einen Augenblick.«

»Wir werden sehen; wer weiß, vielleicht geschieht es bald – wenn der alte Tengelyi zur Restauration geht. Bis dahin sei ruhig; aber jetzt gehen wir, die Kortes Kortes – so nennt man die gebornen Wähler des kleinen ungarischen Abels. Sie spielen eine Hauptrolle bei den Restaurationen. werden gleich eintreffen.«

Ákos drückte die Schwester leidenschaftlich an seine Brust, und das Geschwisterpaar eilte dem Hause zu, von woher, wie fernes Gewitter unendliches Schreien gehört wurde. Diener und Haiduken, die vielerlei hin und her trugen, in der Küche der Koch mit den Küchenjungen, im Keller der Beschließer und Hofrichter Titel ungarischer Wirthschaftsbeamten., in den Vorrathskammern die Wirthschafterin und ihre Mägde. – Alles schrie, befahl, zankte durcheinander, daß Jeder kaum sein eigenes Wort verstand, und die gnädige Frau, die aus dem Mittelfenster des oberen Stockwerkes auf die nahenden Gäste schaute, hatte schon ihr letztes Extramädchen herabgeschickt, um Stille herzustellen, ohne daß die Mission einen anderen Erfolg gehabt hätte, als das Geschrei um eine Stimme zu vermehren. Mühsam nur konnte sie jenes huldreiche Lächeln bewahren, welches dem Comitate ohnedies nur von drei zu drei Jahren, und gerade bei Restaurationen, in seiner ganzen An- und Sanftmuth zu bewundern gegönnt war.

Im Vorhause schmauchten die Vicegespane Réty und Valentin Kislaky, der Oberstuhlrichter Nyúzó und noch ein paar Spectabiles von seiner Partei; und ein paar Verwandte des Hauses, die bei solchen Gelegenheiten immer geladen wurden, zündeten die Pfeifen an, oder verrichteten andere Dienste, um auf diese Weise den schuldigen Dank für die Einladung abzutragen; Macskaházy aber lehnte sich an eine der dorischen Säulen und ließ seine kleinen Augen mit aller Demuth in der Gesellschaft herumschweifen.

Diese Gesellschaft, dergleichen in Ungarn, besonders vor Restaurationen beinahe überall zu finden sind, bestand der Zahl nach aus wenig Individuen, aber diese wurden im Taksonyer Komitate ohne allen Zweifel unter die bedeutendsten gerechnet.

Der erste, der unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist Valentin Kislaky, mit dessen Sohn Kálmán wir auf dem Türkenhügel zusammengetroffen sind. Dem kleinen runden Mann mit schönen Silberhaaren und röthlichen Wangen, dessen Lippen immer lächeln, dessen blaue Augen dich immer gutmüthig anblicken, dessen Brust kein Geheimniß verbirgt, mußte man gut sein. Durch weitschweifige Erzählungen, die er bei jeder Gelegenheit wiederholt, und bei denen er zum Unglück immer den Schluß vergißt, wird er manchmal langweilig; aber wenn man sich überzeugt, daß in ihm eben so wenig Bosheit steckt, als in seinen Erzählungen, so vergibt man ihm dies gern und fühlt sich in seiner Gesellschaft behaglicher als oft in den unterhaltendsten Zirkeln.

Unter den Uebrigen, die mit dem Vicegespan im Vorhause stehen, ziehen aber besonders zwei Personen die Aufmerksamkeit auf sich, die im Comitate für bedeutend gelten. Ich meine den unüberwindlichen Schloßhauptmann des Comitatshauses, Augustin Karvay, und den kostbaren Steuereinnehmer Thomas Sáskay, und ohne Uebertreibung kann ich von ihnen sagen, daß man im Comitate fruchtlos zwei ähnliche Leute gesucht haben würde; was dem steuerpflichtigen Volke zur nicht geringen Erleichterung diente.

Augustin Karvay war von altem ungarischen Adel, sein Leben war in Bezug auf ihn selbst von der höchsten Bedeutung, und es ist zu bedauern, daß die Ereignisse desselben, die er als »Dichtung und Wahrheit« vorzutragen gewohnt war, nicht der Zukunft aufbewahrt wurden. Der fünfte Sohn seines Vaters, der ebenfalls seines Vaters fünfter Sohn gewesen, erhielt er vom Karvay'schen Erbe wenigstens so viel, daß ein ungarischer Edelmann, der bekanntlich mehr von seinen Rechten als von seinem Reichthume lebt, sich davon erhalten konnte. Die Kindheit verlebte er in der Curia seines Vaters mit seinen adeligen Blutsverwandten ringend, oder auf der Gänseweide sich mit der Dorfjugend herumprügelnd. Nach dieser classischen Erziehung kam er in das Pataker Collegium, wo er in der Schule immer der Letzte, auf der Hasenhetze immer der Erste war.

Zum Glücke der Familie Karvay rief die Insurrection von 1809 den muthigen Jüngling zur Vertheidigung des Vaterlandes auf. Dieser Krieg endete schneller, als daß Karvay Proben seiner außerordentlichen Tapferkeit hätte geben können; Alles, was wir von ihm zu sagen wissen, ist, daß er in jenem großen strategischen Meisterstück, durch welches die adelige Insurrection von 1809 Xenophons Rückzug für ewige Zeiten verdunkelt hat, von Niemandem überboten, der Erste des ganzen Regimentes in dieser gefahrvollen Zeit zur Vertheidigung des heimischen Herdes zu Hause erschienen war, obschon er von diesem Verdienste am liebsten schwieg.

In der Uniform ist etwas, wie man sagt, für die Frauen Unwiderstehliches: als Frau Ráczfalvy unseren Karvay in der Husaren-Uniform sah, wirkten seine schlanke Gestalt und der meisterhaft gewichste Schnurbart so vollständig auf sie, daß sie, die nicht einmal ihren früheren Gemahl geliebt hatte, und die nicht im Geringsten empfindsam war, ihr Herz dergestalt umstrickt fühlte, daß der Zauber nur durch den Segen des Geistlichen gelöst werden konnte.

Wohl gab es im Comitate Leute, die Karvay bei dieser Gelegenheit der Gewinnsucht beschuldigten, die Verwandten der Frau Ráczfalvy, die sie zu beerben dachten, lärmten viel gegen dieses, ihrer Ansicht nach, verächtliche Verfahren, und es gab welche, die da meinten, das junge Weibchen sei über 50 Jahre hinaus. Ich aber, der ich sehr gut weiß, wie sehr ihr Gatte sich bemühte, um das Vermögen, um dessentwillen er die Ehe geschlossen haben sollte, so schnell als möglich durchzubringen, ja daß er sogar, nachdem alles Andere nach und nach verschwunden war, die Frau selbst verließ, kann weder der einen, noch der anderen Verläumdung Glauben schenken, und kann meine Leser versichern, daß Karvay, insofern er der Erbe des Herrn Ráczfalvy war, nicht nur die Pflicht des Erben erfüllte, den Verstorbenen oft zu beweinen, sondern, was bei vielen Völkern für eine noch heiligere Pflicht gehalten wird, seinen Wohlthäter in vollem Maße zu rächen.

Nach dieser Katastrophe war Karvay wieder auf sein gutes Glück beschränkt, und wenn er sich durch seine Heirat nicht glücklicher Weise Feinde verschafft hätte, so müßten wir jetzt wahrscheinlich seine Person in dem großen Corteshaufen aufsuchen. Aber in einem constitutionellen Land ist der beste Weg des Emporkommens nicht der, viele Freunde zu haben, sondern vielmehr sich solche Feinde zu verschaffen, die zur schwächeren Partei gehören, und es ist natürlich, daß Karvay, dessen Feinde ebenfalls zu einer Partei gehörten, die in der Minorität stand, schon dieses Verdienstes wegen vom Vicegespan in Schutz genommen, sehr bald Schloßvogt, Haidukencapitän, ja sogar Honorär-Geschworner wurde.

Das Gegenstück zu diesem Manne steht in Thomas Sáskay vor uns. Es gibt kaum eine Gesellschaft, in der wir nicht ein paar sich ordentlich Hassende fänden. Im Taksonyer Comitate hatten diese Rolle Karvay und Sáskay übernommen. Einerseits der kleine magere Sáskay, dessen Gesicht vergilbtem Papiere glich, das irgend Jemand im Grimme zerknittert hatte, weil er Unangenehmes darauf gelesen, mit der spitzigen langen Nase, mit der Stirn in hundert Falten, die mit wenigen aber mit vieler Sorgfalt nach vorne zu gekämmten Haaren bedeckt war; andererseits der kräftige Karvay, mit dem kupferigen Gesichte und den krausen schwarzen Haaren, schienen schon durch ihre körperliche Bildung mit einander in Widerspruch zu stehen, und wenn beide zu sprechen begannen, so bemerkte man im ersten Augenblicke, daß der dünne, heisere Ton des einen mit dem mächtigen Baß des andern nie in Einklang gebracht werden könne. Die Verschiedenheit in ihrem Aeußeren war auch in ihrem Benehmen bemerkbar. Die Haupteigenschaft Karvay's war Offenheit, ja ein Theil des Taksonyer Comitates meinte, daß Karvay um nichts weniger liebenswürdig sein würde, wenn er diese Eigenschaft in bedeutend minderem Grade besäße. Sáskay war verschlossen; selbst wenn man ihn fragte, wieviel Uhr es sei, antwortete er nur nach einigem Bedenken und mit einiger Verwahrung, und bei ihm fanden wieder Viele, es sei Schade, sich so zu verschließen, nachdem auf seinem Gesichte ohnedies genug geschrieben stand, um Jeden von ihm abzuschrecken. Sáskay hatte im Leben viel Unglück gehabt, ich will nur das größte erwähnen, von dem er aus Seelenstärke nie sprach, welches aber im Comitats-Protokolle verzeichnet war. In der Zeit nämlich, als er General-Perceptor General-Perceptor, General-Steuereinnehmer des Comitats. war, fand sich ein Cassadefect vor, und ob er gleich hinreichend versicherte, das Geld sei gestohlen, und ob ihm auch das Comitat glaubte, ja obgleich Niemand daran zweifelte, daß Sáskay – wie er selbst sagte – den Dieb gesehen, als er aus dem Zimmer ging, war es doch vergebens; die Regierung enthob ihn seines Amtes; und obgleich das Taksonyer Comitat seinetwegen dreizehnmal höheren Ortes zu seiner Vertheidigung einschritt, wurde doch dieser so hochverdiente Mann nie mehr zu seinem vorigen Amte vorgeschlagen, welches er zur gänzlichen Zufriedenheit des Adels bekleidet und bei dem er sich nicht nur nichts erworben, sondern selbst sein ganzes Vermögen im Kartenspiele durchgebracht hatte.

Glaubt vielleicht Jemand, daß Sáskay nach dieser ungerechten Verfolgung, die er von der Regierung erduldet, sich in die Reihen der Opposition gestellt habe? Große Seelen rächen sich nicht so; ja Niemand war ein größerer Feind der Preßfreiheit, der Verantwortlichkeit der Beamten, und wer ihn nur einmal über Volksvertretung hatte sprechen hören, mußte vollkommen überzeugt sein, daß, nachdem die Vertheilung der Gewalten die Grundlage des constitutionellen Lebens ist, denjenigen, die Steuer zahlen, ohne große Verwirrung kein Einfluß gestattet werden könne.

In der ersten Zeit nach dem erwähnten Unglücke war Sáskay's Lage im Comitat etwas genirt. Aber im Laufe der Zeit verbleicht jeder Flecken an der Ehre – entweder, weil der Flecken schwächer oder das Ganze schmutziger wird – und so schwand auch allmählich diese unangenehme Erinnerung.

In der Mitte des Ganges steht der Vicegespan Réty im blauen Attila mit silbernen Knöpfen, kleine silberne Sporen an den Stiefeln, eine große, silberbeschlagene Meerschaumpfeife im Munde. Ich habe zwar gegen die Regeln der guten Lebensart gefehlt, indem ich den Hausherrn nicht vor Allen den Lesern vorgestellt habe, aber ich wollte das Wichtigste bis zuletzt aufsparen.

Réty wußte, daß es zwar die beste Weise ist, Vicegespan zu werden, wenn man sich einer Partei anschließt, daß es aber, um im Amte zu bleiben, oder weiter zu gelangen, nichts schlechteres gibt; seitdem also die Mehrheit des Comitates seine Person gleichsam zu ihrer Fahne gewählt hatte, um die sich die Parteien sammelten, hielt er es für seine Pflicht, sich nach dem Winde zu drehen. Je länger er lebte, umso mehr sah er ein, daß in seiner Stellung als Vicegespan unter allen Ueberzeugungen jene die beste sei, welche die Majorität im Comitate vertheidigte. Réty befand sich bei dieser seiner Taktik, Alles in Allem genommen, ganz wohl, und war – was im Taksonyer Comitate unglaublich schien – bereits durch neun Jahre, das ist durch drei Restaurationen, immer in seinem Amte geblieben.

Seit einiger Zeit war aber das schöne Verhältniß, welches zwischen Réty und dem Comitate bestand, etwas getrübt, und ein Theil des Comitates fing an von Apostasie zu reden, obschon ungerecht, denn wir könnten es beschwören, daß Réty, obschon fünfzigjährig, jetzt zum erstenmale in seinem Leben von Etwas überzeugt zu sein schien.

Große Männer haben gewöhnlich große Ambition, und dies ist gut, denn nur dies führt sie zu größeren Handlungen; große Männer haben zuweilen auch Frauen, und dies ist wieder gut, denn nur so können sie sich in einer zweiten Eigenschaft üben, die zur Erreichung menschlicher Größe ebenso nöthig ist: Großes Dulden ohne Klage. Die Frauen großer Männer haben auch oft ihre Ambition, und daß diese oft im Gegensatze mit der ihrer Männer ist, hierin liegt das Unglück, dem schon oft ein ruhmreicher Name zum Opfer gefallen. In dieser Lage war auch Réty, und ich frage, ob es dem charakterfesten Vicegespan, der immer der Mehrzahl der Redner nachgab, verübelt werden kann, daß er in seinem Hause das that, was er in den Congregationen zu thun gewohnt war? Geht in euch, meine Leser, und gesteht aufrichtig: habt ihr noch nie etwas gegen eure Ueberzeugung gethan, nur damit die Thore jenes Janustempels, die im häuslichen Leben durch die Rosenlippen eurer Frauen repräsentirt werden, geschlossen bleiben, und Friede sei im Reich? Frauen können in der Geschichte selten auf einen Platz rechnen; man wird es also natürlich finden, daß Frau Réty, der dies auch bekannt war, auf der Adresse in der Titulatur jedes an sie gerichteten Briefes den Titel der Excellenz, Hochgebornen oder gnädigen Frau mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören wollte; denn es läßt sich nicht läugnen, daß derlei Titulaturen in der pomphaften ungarischen Sprache ganz besonders wohl klingen. Ueberdies war sie eine geborne Baronesse, und wenn sie von ihrer Höhe sich zu ihrem Gemahl herabließ, so kann man es ihr nicht verübeln, daß sie wie die anderen Engel, die auch nicht darum in das Fegefeuer hinabsteigen, um dort zu bleiben, sondern um den Geläuterten mit sich heraufzubringen, ihrer Engelnatur nach dasselbe mit ihrem Manne vor hatte. Das Amt des Vicegespans ist jene Grenze, die wir auf einem gewissen Pfade nicht überschreiten können, und dürfen wir uns verwundern, wenn eine Frau bei diesem Rubicon nicht stehen zu bleiben vermochte? Alle diese zusammenwirkenden Gründe waren stärker, als daß Frau von Réty ihnen hätte widerstehen können, als daß sie sich nicht Tag und Nacht den Kopf zerbrochen hätte über die Art und Weise, wie sie ihren Mann zum Baron zu erheben im Stande wäre.

Réty selbst, der lange widerstand, schlug einen Mittelweg vor und stimmte vielmehr für den Kammerherrnschlüssel, wodurch man, auch ohne Baron zu sein, auf den Titel »hochgeborner« Anspruch hat; er hielt es für ritterlicher, erst dann nachzugeben, wenn er in seiner Position von rückwärts angegriffen würde; so viel ist aber gewiß, daß er, seit dieser Gedanke in ihm aufstieg, Alles in einem anderen Lichte sah, als ob plötzlich ein Schleier von seinen Augen gefallen wäre, und mit verdoppelten Kräften mühte er sich ab, seine Stelle als Vicegespan zu behaupten, die eben seines veränderten Verfahrens wegen gefährdet schien.

Der Vicegespan dachte eben über diese seine ungewöhnliche Stellung nach, als die Stille durch ein, aus der Ferne ertönendes, aber mächtiges Éljen! unterbrochen wurde. Alsobald gerieth die hochansehnliche Gesellschaft im Vorhause in Bewegung.

Éljen Réty! Éljen Nyúzó! Éljen die ungarische Freiheit! Haj rá! und andere ähnliche Ausrufungen, von Zeit zu Zeit ein kleiner Fluch dazwischen, und einzelne Pistolenschüsse schallten durch das Dorf. Ueber dies Alles herrschte aber als wunderschöner Chorus jener bei keiner Restauration fehlende Reim:

»Es blüht der Tulipan,
Réty wird unser Vicegespan.«

Denken wir uns hierzu einen ganzen Wagen voll Zigeuner, die den Rákóczy aufspielen, dann alle Hunde des Dorfes, die zum Willkommen bellen und heulen, und wir haben ein Tongemälde, bei dem, um mit Shakespeare zu reden, Engel weinen möchten.

»Das ist Begeisterung, das ist Popularität,« sprach Karvay, der sich den Schnurbart streichend, mit Wonne den Tönen lauschte, »es ist wahrhaftig ein schönes Ding, wenn man sich des allgemeinen Zutrauens so erfreut, wie der gnädige Herr. Ich bin ein armer Teufel, aber fünfzig Gulden gäbe ich darum, wenn mir nur einmal im Leben so zugebrüllt würde.«

»Wenn sie nur nichts in Brand stecken,« seufzte einer der armen Verwandten, der von der letzten Restauration nicht so viel Grünes Grünes reden, so viel als etwas Angenehmes reden, oder erzählen. erzählte als die Uebrigen, aber umso viel mehr Grünes, Blaues, Gelbes und wer weiß was noch auf seinem Leibe davongetragen hatte; so daß sich ihm ordentlich die Haare sträubten, wenn er an die ehemalige Verherrlichung seines Herrn Vetters dachte, dem vielleicht wie vor drei Jahren wieder auf seinem Rücken Beifall geklatscht werden sollte.

»Brand entstehen? Teremtette! Von wem sprichst du, hasenherziges Geschöpf!« brüllte der Schloßvogt dazwischen, »weißt du nicht, daß du von Edelleuten sprichst; daß Szent-Vilmosch 300 Stimmen zählt? Der gnädige Herr ist assecurirt und wenn am Ende wirklich das Dorf in Flammen aufgeht, so mußt du dich doch freuen, daß sie hierher gekommen sind, und nicht in das Lager der Gegner.«

»Karvay hat Recht,« sprach Réty zu seinem bleichen Vetter gewendet, »wie wagst du es so von meinen Gästen zu sprechen? Ich kenne die Sz.-Vilmoscher.«

»Ich auch,« fiel Karvay ein, »jeder zehnte Arrestant ist ein Sz.-Vilmoscher, ich habe nie tüchtigere Bursche gesehen; wer zu Hause am besten stiehlt, prügelt und mordet, der ist im Kriege und bei Restaurationen immer der Erste.«

»Vielleicht gibt es Ausnahmen,« sprach mit schneidender Stimme Sáskay dazwischen, »wie ich gehört habe, sind die Sz.-Vilmoscher bei der Insurrection von 1809 –«

Zum Glücke Sáskay's und aller Anwesenden waren die Cortes schon bis an das Thor gelangt, und die gigantischen Éljen! mit denen der erste Wagen einsprach, machten jede fernere Erörterung unmöglich; sonst würde Karvay eine gewisse Casse erwähnt haben, mit der er die Witze Sáskay's über die Insurrection von 1809 zu bezahlen pflegte, und das Gespräch hätte eine Wendung genommen, bei der Sáskay, wie es die Erfahrung schon öfters gelehrt hatte, immer geschlagen wurde.

Der ganze adelige Haufe bestand beiläufig aus dreißig Wagen, auf dem ersten und letzten flatterten gelbe Fahnen mit folgenden patriotischen Aufschriften; auf der einen Seite:

»Dämme und Straßen baut kein Edelmann,
Réty wird unser Vicegespan.«

Auf der andern

»Unter keiner Steuer stehen,
Frei durch Mauth und Brücken gehen,
Frei von Recrutirung leben,
Und dem Land Gesetze geben,
Ueber hohen Salzpreis schmähen,
Läßt des Adels Freiheit sehen.«

Jeder Edelmann hatte auf dem Hute oder der Mütze eine halb grüne, halb gelbe Feder, was die Hoffnungen der Partei und den Neid der Gegner darstellt, und überdies den praktischen Nutzen gewährte, daß die Anhänger Réty's nicht aus Irrthum etwa einen solchen Hirnschädel einschlugen, unter dem befreundete Gesinnungen beherbergt waren.

Unter dem Éljen der Edelleute, und unter unzähligen Complimenten trat der Vicegespan auf die erste Stufe des Vorhauses, und, nachdem die Gäste einen großen Kreis gebildet und mit gewaltigen » Halljuk« Halljuk! hören wir! die Feierlichkeit eröffnet hatten, und der Anführer des Adels mit der Erklärung aufgetreten war, daß der Notär wie gebräuchlich, sowohl seine eigenen als die Empfindungen aller Anwesenden im reinen Ungarisch vortragen werde, begann der Bezeichnete seine Rede.

Nachdem der Redner über Réty's Verdienste, das Vaterland und zuletzt über die Anhänglichkeit der Szent-Vilmoscher Edelleute geschwärmt hatte; nachdem er ferner an den Donaumündungen und den Grenzen Ungarns wie sie unter dem großen Ludwig bestanden, sich ein paar Momente aufgehalten, von dort zu den Grenzen von Szent-Vilmosch übergegangen war, ein Gegenstand, dessen Schlichtung nur von dem Vicegespan Réty und der Registrirung des Szent-Vilmoscher Adels zu hoffen, erwähnte er die ungeheure Anhänglichkeit seiner Committenten und schloß mit jenen Worten des Römers: si fractus illabatur orbis impavidum ferient ruinae – das heißt wie der Führer der Cortes, in die Hände klatschend, treu übersetzte:

»Es blüht der Tulipan,
Réty wird unser Vicegespan.«

Der Vicegespan, den, wie dies gewöhnlich ist, diese Auszeichnung unerwartet überrascht hatte, und der, wie es ebenfalls täglich geschieht, kaum Worte fand, seine Empfindungen auszudrücken, sprach für einen überraschten Menschen ziemlich gut. Er sagte, wie viel er sich schon abgemüht, und wie sehr er sich sehne nach stillem häuslichem Glück, das er im Kreise seiner Familie finde, und daß ihn nichts aus diesem Kreise reißen würde, wenn das Vertrauen der Sz.-Vilmoscher ihn nicht noch einmal auf die Bahn riefe, auf der er bisher unter so viel Bitterkeiten gewandelt, aber auf welcher die Vertheidigung der angefochtenen adeligen Freiheiten vielleicht die ganze Entwicklung aller seiner Kräfte erheische.

Diese Rede wurde wie die vorhergehende mit Éljen aufgenommen, und nachdem der Cortesführer erklärt hatte, daß die Edelleute der gnädigen Frau die Hand zu küssen wünschten, drängte sich der ganze Haufe abermals unter lautem Éljenrufen in das Haus.


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