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Aus der Sage von der Gründung Roms geht hervor, daß die erste Ansiedlung durch eine Anzahl zu einem Stamm vereinigter latinischer Gentes (der Sage nach hundert) erfolgte, denen sich bald ein sabellischer Stamm, der ebenfalls hundert Gentes gezählt haben soll, und endlich ein dritter, aus verschiedenen Elementen bestehender Stamm, wieder von angeblich hundert Gentes, anschloß. Die ganze Erzählung zeigt auf den ersten Blick, daß hier wenig mehr naturwüchsig war außer der Gens, und diese selbst in manchen Fällen nur ein Ableger einer in der alten Heimath fortbestehenden Muttergens. Die Stämme tragen an der Stirn den Stempel künstlicher Zusammensetzung, jedoch meist aus verwandten Elementen und nach dem Vorbild des alten gewachsenen, nicht gemachten Stamms; wobei nicht ausgeschlossen bleibt, daß der Kern jedes der drei Stämme ein wirklicher, alter Stamm gewesen sein kann. Das Mittelglied, die Phratrie, bestand aus zehn Gentes und hieß Curie; ihrer waren also dreißig.
Daß die römische Gens dieselbe Institution war wie die griechische, ist anerkannt; ist die griechische eine Fortbildung derjenigen gesellschaftlichen Einheit, deren Urform uns die amerikanischen Rothhäute vorführen, so gilt dasselbe ohne Weiteres auch für die römische. Wir können uns hier also kürzer fassen.
Die römische Gens hatte wenigstens in der ältesten Zeit der Stadt folgende Verfassung:
1. Gegenseitiges Erbrecht der Gentilgenossen; das Vermögen blieb in der Gens. Da in der römischen Gens wie in der griechischen schon Vaterrecht herrschte, waren die Nachkommen der weiblichen Linie ausgeschlossen. Nach dem Gesetz der zwölf Tafeln, dem ältesten uns bekannten geschrieben römischen Recht, erbten zunächst die Kinder als Leibeserben; in deren Ermanglung die Agnaten (Verwandte in männlicher Linie); und in deren Abwesenheit die Gentilgenossen. In allen Fällen blieb das Vermögen in der Gens. Wir sehn hier das allmälige Eindringen neuer, durch vermehrten Reichthum und Monogamie verursachter Rechtsbestimmungen in den Gentilbrauch: das ursprüngliche gleiche Erbrecht der Gentilgenossen wird zuerst – wohl schon früh, wie oben erwähnt – durch Praxis auf die Agnaten beschränkt, endlich auf die Kinder und deren Nachkommen im Mannsstamm; in den zwölf Tafeln erscheint dies selbstverständlich in umgekehrter Ordnung.
2. Besitz eines gemeinsamen Begräbnißplatzes. Die patrizische Gens Claudia erhielt bei ihrer Einwanderung aus Regilli nach Rom ein Stück Land für sich angewiesen, dazu in der Stadt einen gemeinsamen Begräbnißplatz. Noch unter Augustus wurde der nach Rom gekommene Kopf des im Teutoburger Wald gefallenen Varus im gentilitius tumulus beigesetzt; die Gens ( Quinctilia) hatte also noch einen besondern Grabhügel.
3. Gemeinsame religiöse Feiern. Diese, die sacra gentilia, sind bekannt.
4. Verpflichtung, nicht in der Gens zu heirathen. Dies scheint in Rom nie in ein geschriebnes Gesetz verwandelt worden zu sein, aber die Sitte blieb. Von der Unmasse römischer Ehepaare, deren Namen uns aufbewahrt, hat kein einziges gleichen Gentilnamen für Mann und Frau. Das Erbrecht beweist diese Regel ebenfalls. Die Frau verliert durch die Heirath ihre agnatischen Rechte, tritt aus ihrer Gens, weder sie noch ihre Kinder können von ihrem Vater oder dessen Brüder erben, weil sonst das Erbtheil der väterlichen Gens verloren ginge. Dies hat Sinn nur unter der Voraussetzung, daß die Frau keinen Gentilgenossen heirathen kann.
5. Ein gemeinsamer Grundbesitz. Dieser war in der Urzeit stets vorhanden, sobald das Stammland anfing getheilt zu werden. Unter den latinischen Stämmen finden wir den Boden theils im Besitz des Stammes, theils der Gens, theils der Haushaltungen, welche damals schwerlich Einzelfamilien waren. Romulus soll die ersten Landtheilungen an Einzelne gemacht haben, ungefähr eine Hektare (zwei Jugera) auf jeden. Doch finden wir noch später Grundbesitz in den Händen der Gentes, vom Staatsland gar nicht zu sprechen, um das sich die ganze innere Geschichte der Republik dreht.
6. Pflicht der Gentilgenossen zu gegenseitigem Schutz und Beistand. Davon zeigt uns die geschriebne Geschichte nur noch Trümmer; der römische Staat trat gleich von vornherein mit solcher Uebermacht auf, daß das Recht des Schutzes gegen Unbill auf ihn überging. Als Appius Claudius verhaftet wurde, legte seine ganze Gens Trauer an, selbst die seine persönlichen Feinde waren. Zur Zeit des zweiten punischen Kriegs verbanden sich die Gentes zur Auslösung ihrer kriegsgefangnen Gentilgenossen; der Senat verbot es ihnen.
7. Recht den Gentilnamen zu tragen. Blieb bis in die Kaiserzeit; den Freigelassnen erlaubte man, den Gentilnamen ihrer ehemaligen Herren anzunehmen, doch ohne Gentilrechte.
8. Recht der Adoption Fremder in die Gens. Dies geschah durch Adoption in eine Familie (wie bei den Indianern), die die Ausnahme in die Gens mit sich führte.
9. Das Recht, den Vorsteher zu wählen und abzusetzen, wird nirgends erwähnt. Da aber in der ersten Zeit Roms alle Aemter durch Wahl oder Ernennung besetzt wurden, vom Wahlkönig abwärts, und auch die Priester der Curien von diesen gewählt, so dürfen wir für die Vorsteher ( principes) der Gentes dasselbe annehmen – so sehr auch die Wahl aus einer und derselben Familie in der Gens schon Regel geworden sein mochte.
Das waren die Befugnisse einer römischen Gens. Mit Ausnahme des bereits vollendeten Uebergangs zum Vaterrecht, sind sie das treue Spiegelbild der Rechte und Pflichten einer irokesischen Gens; auch hier »guckt der Irokese unverkennbar durch.«
Welche Verwirrung, auch bei unsern anerkanntesten Geschichtschreibern, heute noch über die römische Gentilordnung herrscht, dafür nur ein Beispiel. In Mommsen's Abhandlung über die römischen Eigennamen der republikanischen und augustinischen Zeit (Römische Forschungen, Berlin 1864, I. Band) heißt es: »Außer den sämmtlichen männlichen Geschlechtsgenossen, mit Ausschluß natürlich der Sklaven, aber mit Einschluß der Zugewandten und Schutzbefohlnen kommt der Geschlechtsname auch den Frauen zu ... Der Stamm (wie Mommsen hier gens übersetzt) ist ... ein aus gemeinschaftlicher – wirklicher oder vermutheter oder auch fingirter – Abstammung hervorgegangenes, durch Fest-, Grab- und Erbgenossenschaft vereinigtes Gemeinwesen, dem alle persönlich freien Individuen, also auch die Frauen, sich zuzählen dürfen und müssen. Schwierigkeit aber macht die Bestimmung des Geschlechtsnamens der verheirateten Frauen. Dieselbe fällt freilich weg, solange die Frau sich nicht anders als mit einem Geschlechtsgenossen vermählen durfte; und nachweislich hat es für die Frauen lange Zeit größere Schwierigkeit gehabt, außerhalb als innerhalb des Geschlechts sich zu verheirathen, wie denn jenes Recht, die gentis enuptio, noch im sechsten Jahrhundert als persönliches Vorrecht zur Belohnung vergeben worden ist ... Wo nun aber dergleichen Ausheirathungen vorkamen, muß die Frau in ältester Zeit damit in den Stamm des Mannes übergegangen sein. Nichts ist sicherer, als daß die Frau in der alten religiösen Ehe völlig in die rechtliche und sakrale Gemeinschaft des Mannes ein- und aus der ihrigen austritt. Wer weiß es nicht, daß die verheirathete Frau das Erbrecht gegen ihre Gentilen aktiv und passiv einbüßt, dagegen mit ihrem Mann, ihren Kindern und dessen Gentilen überhaupt in Erbverband tritt? und wenn sie ihrem Mann an Kindesstatt wird, und in seine Familie gelangt, wie kann sie seinem Geschlecht fern bleiben?« (S. 9–11.)
Mommsen behauptet also, die römischen Frauen, die einer Gens angehörten, hätten ursprünglich nur innerhalb ihrer Gens heirathen dürfen, die römische Gens sei also endogam gewesen, nicht exogam. Diese Ansicht, die aller Erfahrung bei andern Völkern widerspricht, gründet sich hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, auf eine einzige vielumstrittene Stelle des Livius (Buch XXXIX, L. 19), wonach der Senat im Jahr der Stadt 568, vor unsrer Zeitrechnung 186, beschloß, uti Feceniae Hispallae datio, deminutio, gentis enuptio, tutoris optio item esse quasi ei vir testamento dedisset, utique ei ingenuo nubere liceret, neu quid ei qui eam duxisset, ob id frandi ignominiaeve esset– daß die Fecenia Hispalla das Recht haben soll, über ihr Vermögen zu verfügen, es zu vermindern, außer der Gens zu heirathen, und sich einen Vormund zu wählen, ganz als ob ihr [verstorbner] Mann ihr dies Recht durch Testament übertragen hätte; daß sie einen Vollfreien heirathen dürfe, und daß dem, der sie zur Frau nehme, dies nicht als schlechte Handlung oder Schande angerechnet werden soll.
Unzweifelhaft wird hier also der Fecenia, einer Freigelaßnen, das Recht ertheilt, außerhalb der Gens zu heirathen. Und ebenso unzweifelhaft hatte hiernach der Ehemann das Recht, testamentarisch seiner Frau das Recht zu übertragen, nach seinem Tode außerhalb der Gens zu heirathen. Aber außerhalb welcher Gens?
Mußte die Frau innerhalb ihrer Gens heirathen, wie Mommsen annimmt, so blieb sie auch nach der Heirath in dieser Gens. Erstens aber ist diese behauptete Endogamie der Gens grade das, was zu beweisen ist. Und zweitens, wenn die Frau in der Gens heirathen mußte, dann natürlich auch der Mann, der ja sonst keine Frau bekam. Dann kommen wir dahin, daß der Mann seiner Frau testamentarisch ein Recht vermachen konnte, das er selbst, und für sich selbst, nicht besaß; wir kommen auf einen rechtlichen Widersinn. Mommsen fühlt dies auch, und vermuthet daher: »es bedurfte für die Ausheirathung aus dem Geschlecht rechtlich wohl nicht bloß der Einwilligung des Gewalthabenden, sondern der sämmtlichen Gentilgenossen.« (S. 10, Note.) Das ist erstens eine sehr kühne Vermuthung, und zweitens widerspricht es dem klaren Wortlaut der Stelle; der Senat gibt ihr dies Recht an Stelle des Mannes, er gibt ihr ausdrücklich nicht mehr und nicht minder als ihr Mann ihr hätte geben können, aber was er ihr gibt ist ein absolutes, von keiner andern Beschränkung abhängiges Recht; so daß, wenn sie davon Gebrauch macht, auch ihr neuer Mann darunter nicht leiden soll; er beauftragt sogar die gegenwärtigen und künftigen Konsuln und Prätoren dafür zu sorgen, daß ihr keinerlei Unbill daraus erwachse. Mommsen's Annahme scheint also durchaus unzulässig.
Oder aber: die Frau heirathete einen Mann aus einer andern Gens, blieb aber selbst in ihrer angebornen Gens. Dann hätte nach der obigen Stelle ihr Mann das Recht gehabt, der Frau zu erlauben, aus ihrer eignen Gens hinaus zu heirathen. Das heißt, er hätte das Recht gehabt, Verfügungen zu treffen in Angelegenheiten einer Gens, zu der er gar nicht gehörte. Die Sache ist so widersinnig, daß darüber kein Wort weiter zu verlieren ist.
Bleibt also nur die Annahme, die Frau habe in erster Ehe einen Mann aus einer andern Gens geheirathet und sei durch die Heirath ohne Weiteres in die Gens des Mannes übergetreten, wie dies Mommsen auch für solche Fälle tatsächlich zugibt. Dann erklärt sich der ganze Zusammenhang sofort. Die Frau, durch die Heirath losgerissen von ihrer alten Gens und aufgenommen in den neuen Gentilverband des Mannes, hat in diesem eine ganz besondre Stellung. Sie ist zwar Gentilgenossin, aber nicht blutsverwandt; die Art ihrer Aufnahme schließt sie von vornherein aus von jedem Eheverbot innerhalb der Gens, in die sie ja gerade hineingeheiratet hat; sie ist ferner in den Eheverband der Gens aufgenommen, erbt beim Tode ihres Mannes von seinem Vermögen, also Vermögen eines Gentilgenossen. Was ist natürlicher, als daß dies Vermögen in der Gens bleiben, sie also verpflichtet sein soll, einen Gentilgenossen ihres ersten Mannes zu heirathen und keinen andern? Und wenn eine Ausnahme gemacht werden soll, wer ist so kompetent, sie dazu zu bevollmächtigen wie derjenige, der ihr dies Vermögen vermacht hat, ihr erster Mann? Im Augenblick wo er ihr einen Vermögenstheil vermacht und ihr gleichzeitig erlaubt, diesen Vermögenstheil durch Heirath oder in Folge von Heirath in eine fremde Gens zu übertragen, gehört ihm dies Vermögen noch, er verfügt also buchstäblich nur über sein Eigenthum. Was die Frau selbst angeht und ihr Verhältniß zur Gens ihres Mannes, so ist er es, der sie in diese Gens durch einen freien Willensakt – die Heirath – eingeführt hat; es scheint also ebenfalls natürlich, daß er die geeignete Person ist, sie zum Austritt aus dieser Gens durch zweite Heirath zu bevollmächtigen. Kurzum, die Sache scheint einfach und selbstverständlich, so bald wir die wunderbare Vorstellung von der endogamen römischen Gens fallen lassen und sie mit Morgan als ursprünglich exogam fassen.
Es bleibt noch eine letzte Annahme, die auch ihre Vertreter gefunden hat, und wohl die zahlreichsten: Die Stelle besage nur, »daß freigelaßne Mägde (libertae) nicht ohne besondre Bewilligung e gente enubere (aus der Gens ausheirathen) oder sonst einen der Akte vornehmen durften, der, mit capitis deminutio minima verbunden, den Austritt der liberta aus dem Gentilverbande bewirkt hätte.« (Lange, Römische Alterthümer, Berlin 1856, I, S. 195, wo sich auf Huschke zu unsrer livianischen Stelle bezogen wird.) Ist diese Annahme richtig, so beweist die Stelle für die Verhältnisse vollfreier Römerinnen erst recht nichts und kann von einer Verpflichtung derselben, innerhalb der Gens zu heirathen, erst recht nicht die Rede sein.
Der Ausdruck enuptio gentis kommt nur in dieser einen Stelle, und sonst in der ganzen römischen Literatur nicht mehr vor; das Wort enubere, ausheirathen, nur dreimal, ebenfalls bei Livius, und dann nicht in Beziehung auf die Gens. Die Phantasie, daß Römerinnen nur innerhalb der Gens heirathen durften, verdankt nur dieser einen Stelle ihre Existenz. Sie kann aber absolut nicht aufrecht erhalten werden. Denn entweder bezieht sich die Stelle auf besondre Beschränkungen für Freigelaßne, und dann beweist sie nichts für Vollfreie (ingenuaes); oder aber sie gilt auch für Vollfreie, und dann beweist sie vielmehr, daß die Frau in der Regel außer ihrer Gens heirathete, aber mit der Heirath in die Gens des Mannes übertrat; also gegen Mommsen und für Morgan. –
Noch fast dreihundert Jahre nach Gründung Roms waren die Gentilbande so stark, daß eine patricische Gens, die der Fabier, mit Einwilligung des Senats einen Kriegszug gegen die Nachbarstadt Veji auf eigne Faust unternehmen konnte. 306 Fabier sollen ausgezogen und in einem Hinterhalt sämmtlich erschlagen worden sein; ein einziger zurückgebliebner Knabe habe die Gens fortgepflanzt.
Zehn Gentes bildeten, wie gesagt, eine Phratrie, die hier Curie hieß, und wichtigere öffentliche Befugnisse erhielt als die griechische Phratrie. Jede Curie hatte ihre eignen Religionsübungen, Heiligthümer und Priester; diese letzteren, in ihrer Gesammtheit, bildeten eins der römischen Priesterkollegien. Zehn Curien bildeten einen Stamm, der wahrscheinlich, wie die übrigen latinischen Stämme, ursprünglich einen gewählten Vorsteher – Heerführer und Oberpriester – hatte. Die Gesammtheit der drei Stämme bildete das römische Volk, den Populus Romanus.
Dem römischen Volk konnte also nur angehören, wer Mitglied einer Gens, und durch sie einer Curie und eines Stammes war. Die erste Verfassung dieses Volkes war folgende. Die öffentlichen Angelegenheiten wurden besorgt zunächst durch den Senat, der, wie Niebuhr zuerst richtig gesehn, aus den Vorstehern der dreihundert Gentes zusammengesetzt war; eben deßwegen, als Gentilälteste, hießen sie Väter, patres, und ihre Gesammtheit Senat (Rath der Aeltesten, von senex, alt). Die gewohnheitsmäßige Wahl aus immer derselben Familie jeder Gens rief auch hier den ersten Stammesadel in's Leben; diese Familien nannten sich Patricier und nahmen ausschließliches Recht des Eintritts in den Senat und alle andern Aemter in Anspruch. Daß das Volk sich diesen Anspruch mit der Zeit gefallen ließ und er sich in ein wirkliches Recht verwandelte, drückt die Sage dahin aus, daß Romulus den ersten Senatoren und ihren Nachkommen das Patriciat mit dessen Vorrechten ertheilt habe. Der Senat, wie die athenische Bulê, hatte die Entscheidung in vielen Angelegenheiten, die Vorberathung in wichtigeren und namentlich bei neuen Gesetzen. Diese wurden entschieden durch die Volksversammlung, genannt comitia curiata (Versammlung der Curien). Das Volk kam zusammen, in Curien gruppirt, in jeder Curie wahrscheinlich nach Gentes, bei der Entscheidung hatte jede der dreißig Curien eine Stimme. Die Versammlung der Curien nahm an oder verwarf alle Gesetze, wählte alle höhern Beamten mit Einschluß des Rex (sogenannten Königs), erklärte Krieg (aber der Senat schloß Frieden) und entschied als höchstes Gericht, auf Berufung der Betheiligten, in allen Fällen, wo es sich um Todesstrafe gegen einen römischen Bürger handelte. – Endlich stand neben Senat und Volksversammlung der Rex, der genau dem griechischen Basileus entsprach, und keineswegs der fast absolute König war, als den Mommsen ihn darstellt.Das lateinische Rex ist das keltisch-irische righ (Stammesvorsteher) und das gothische reiks; daß dies ebenfalls, wie ursprünglich auch unser Fürst (d. h. wie englisch first, dänisch förste, der erste) Gentil- oder Stammesvorsteher bedeutete, geht hervor daraus, daß die Gothen schon im vierten Jahrhundert ein besonderes Wort für den späteren König, den Heerführer eines gesammten Volkes, besaßen: thiudans. Artaxerxes und Herodes heißen in Ulfilas Bibelübersetzung nie reiks, sondern thiudans und das Reich des Kaisers Tiberius nicht reiki, sondern thiudinassus. Im Namen des gothischen Thiudans, oder wie wir ungenau übersetzen, Königs Thiudareiks, Theodorich, d. h. Dietrich, stießen beide Benennungen zusammen. Auch er war Heerführer, Oberpriester und Vorsitzer in gewissen Gerichten. Civilbefugnisse oder Macht über Leben, Freiheit und Eigenthum der Bürger hatte er durchaus nicht, soweit sie nicht aus der Disciplinargewalt des Heerführers oder der urtheilsvollstreckenden Gewalt des Gerichtsvorsitzers entsprangen. Das Amt des Rex war nicht erblich; er wurde im Gegentheil, wahrscheinlich auf Vorschlag des Amtsvorgängers, von der Versammlung der Curien zuerst gewählt und dann in einer zweiten Versammlung feierlich eingesetzt. Daß er auch absetzbar war, beweist das Schicksal des Tarquinius Superbus.
Wie die Griechen zur Heroenzeit, lebten also die Römer zur Zeit der sogenannten Könige in einer auf Gentes, Phratrien und Stämmen begründeten und aus ihnen entwickelten militärischen Demokratie. Mochten auch die Curien und Stämme zum Theil künstliche Bildungen sein, sie waren geformt nach den echten, naturwüchsigen Vorbildern der Gesellschaft, aus der sie hervorgegangen und die sie noch auf allen Seiten umgab. Mochte auch der naturwüchsige patricische Adel bereits Boden gewonnen haben, mochte die Reges ihre Befugnisse allmälig zu erweitern suchen – das ändert den ursprünglichen Grundcharakter der Verfassung nicht, und auf diesen allein kommt es an.
Inzwischen vermehrte sich die Bevölkerung der Stadt Rom und des römischen, durch Eroberung erweiterten Gebiets theils durch Einwanderung, theils durch die Bewohner der unterworfnen, meist latinischen Bezirke. Alle diese neuen Staatsangehörigen (die Frage wegen der Klienten lassen wir hier bei Seite) standen außerhalb der alten Gentes, Curien und Stämme, bildeten also keinen Theil des populus romanus, des eigentlichen römischen Volks. Sie waren persönlich freie Leute, konnten Grundeigentum besitzen, mußten steuern und Kriegsdienste leisten. Aber sie konnten keine Aemter bekleiden und weder an der Versammlung der Curien theilnehmen, noch an der Vertheilung der eroberten Staatsländereien. Sie bildeten die von allen öffentlichen Rechten ausgeschlossene Plebs. Durch ihre stets wachsende Zahl, ihre militärische Ausbildung und Bewaffnung wurden sie eine drohende Macht gegenüber dem alten, gegen allen Zuwachs von Außen jetzt fest abgeschlossenen Populus. Dazu kam, daß der Grundbesitz zwischen Populus und Plebs ziemlich gleichmäßig vertheilt gewesen zu sein scheint, während der allerdings noch nicht sehr entwickelte kaufmännische und industrielle Reichthum wohl vorwiegend bei der Plebs war.
Bei der großen Dunkelheit, worin die ganz sagenhafte Urgeschichte Roms gehüllt ist – eine Dunkelheit, noch bedeutend verstärkt durch die rationalistisch-pragmatischen Deutungsversuche und Berichte der späteren juristisch gebildeten Quellenschriftsteller – ist es unmöglich, weder über Zeit, noch Verlauf, noch Anlaß der Revolution etwas Bestimmtes zu sagen, die der alten Gentil-Verfassung ein Ende machte. Gewiß ist nur, daß ihre Ursache in den Kämpfen zwischen Plebs und Populus lag.
Die neue, dem Rex Servius Tullius zugeschriebne, sich an griechische Muster, namentlich Solon, anlehnende Verfassung schuf eine neue Volksversammlung, die ohne Unterschied Populus und Plebejer ein- oder ausschloß, je nachdem sie Kriegsdienste leisteten oder nicht. Die ganze waffenpflichtige Mannschaft wurde nach dem Vermögen in sechs Klassen eingetheilt. Der geringste Besitz in jeder der fünf Klassen war: I. 100,000 Aß; II. 75,000; III. 50,000; IV. 25,000; V. 11,000 Aß; nach Dureau de la Malle gleich ungefähr 14,000, 10,500, 7000, 3600 und 1570 Mark. Die sechste Klasse, die Proletarier, bestand aus den weniger Begüterten, Dienst- und Steuerfreien. In der neuen Volksversammlung der Centurien ( comitia centuriata) traten die Bürger militärisch an, kompagnieweise in ihren Centurien zu hundert Mann, und jede Centurie hatte eine Stimme. Nun aber stellte die erste Klasse 80 Centurien; die zweite 22, die dritte 20, die vierte 22, die fünfte 30, die sechste des Anstands halber auch eine. Dazu kamen die aus den Reichsten gebildeten Reiter mit 18 Centurien; zusammen 193; Majorität der Stimmen: 97. Nun hatten die Reiter und die erste Klasse zusammen allein 98 Stimmen, also die Majorität; waren sie einig, wurden die übrigen gar nicht gefragt, der gültige Beschluß war gefaßt.
Auf diese neue Versammlung der Centurien gingen nun alle politischen Rechte der früheren Versammlung der Curien (bis auf einige nominelle) über; die Curien und die sie zusammensetzenden Gentes wurden dadurch, wie in Athen, zu bloßen Privat- und religiösen Genossenschaften degradirt, und vegetirten als solche noch lange fort, während die Versammlung der Curien bald ganz einschlief. Um auch die alten drei Geschlechterstämme aus dem Staat zu verdrängen, wurden vier Ortsstämme, deren jeder ein Viertheil der Stadt bewohnte, mit einer Reihe von politischen Rechten eingeführt.
Somit war auch in Rom, schon vor der Abschaffung des sogenannten Königthums, die alte auf persönlichen Blutbanden beruhende Gesellschaftsordnung gesprengt und eine neue, auf Gebietseinteilung und Vermögensunterschied begründete, wirkliche Staatsverfassung an ihre Stelle gesetzt. Die öffentliche Gewalt bestand hier in der kriegsdienstpflichtigen Bürgerschaft, gegenüber nicht nur den Sklaven, sondern auch den vom Heeresdienst und der Bewaffnung ausgeschlossenen sogenannten Proletariern.
Innerhalb dieser neuen Verfassung, die bei der Vertreibung des letzten, wirkliche Königsgewalt usurpirenden Rex Tarquinius Superbus und Ersetzung des Rex durch zwei Heerführer (Consuln) mit gleicher Amtsgewalt (wie bei den Irokesen) nur weiter ausgebildet wurde – innerhalb dieser Verfassung bewegt sich die ganze Geschichte der römischen Republik mit allen ihren Kämpfen der Patricier und Plebejer um den Zugang zu den Aemtern und die Betheiligung an den Staatsländereien, mit dem endlichen Aufgehn des Patricieradels in der neuen Klasse der großen Grund- und Geldbesitzer, die allmälig allen Grundbesitz der durch den Kriegsdienst ruinirten Bauern aufsogen, die so entstandnen enormen Landgüter mit Sklaven bebauten, Italien entvölkerten und damit nicht nur dem Kaiserthum die Thür öffneten, sondern auch seinen Nachfolgern, den deutschen Barbaren.