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3. Wie ist zu helfen?

Deutscher Wille

Daß der jetzige Zustand deutscher Sprache eine Geistesschmach des deutschen Volkes ist, hat sich dieses seit Beginn des Weltkrieges selbst gesagt; haben ihm seine Feinde, in diesem einen Punkte keine Verleumder, mehr als einmal ins Gesicht gehöhnt (vgl. S. 52). Staat, Geisteswelt, Volksmasse haben öffentlich bekannt, daß es im Deutschland der Zukunft mit der deutschen Sprachschande so nicht weitergehen darf, daß es besser werden muß. Wie und durch wen soll es besser werden? Durch andern Willen als bisher; durch andres Verfahren als bisher; durch jeden ehrlichen Freund deutscher Sprache, also nicht durch die welschenden Nachplapperer von ›Muttersprache, Mutterlaut‹!

Ich spreche zu Denen, die gleich mir, ohne Wenn und Aber, die schlichte Überzeugung hegen: In Deutschland muß Deutsch geredet und geschrieben werden, und diesen Lesern will ich, statt weitschweifiger sprachwissenschaftlicher Auseinandersetzungen, ein ganz einfaches, aber unfehlbares Mittel verraten, wie sie im Weltkriege und allezeit nachher sich im Worte würdig erweisen können der Taten unsrer geliebten Brüder und Helden im Felde. Wer da glauben sollte, mit deutschem Volkstum sei welschende Sprache dauernd verträglich, für den ist dieses Buch nicht geschrieben: er und ich verstehen einander nicht, was sehr begreiflich ist, da er Welsch, ich Deutsch spreche. Ich weiß aber, daß es unzählige Deutsche aller Bildungsstufen gibt, die unbeirrt durch den gelehrttuerischen Kampf der Fremdwörtler gegen die Freunde reiner deutscher Sprache den innigen Wunsch hegen, Deutsch zu sprechen und zu schreiben. Denen sei das Zaubermittel verraten, das geheimnisvolle Zauberwort verkündet, wodurch sie mit einem Schlage, ganz von selbst, reines, edles, kraftvolles Deutsch zunächst schreiben, nach einiger Zucht und Übung auch sprechen können. Das Zauberwort heißt nicht etwa: Ich möchte gern! Dieses bedeutet ebensowohl: Ich mag aber nicht, denn es ist zu schwer. Das Zauberwort lautet anders:

Die Sterne reißt's vom Himmel,
Das eine Wort: Ich will!

Ein andres Zauberwort habe ich, der ich überhaupt nicht anders als Deutsch schreiben kann, niemals besessen. Der Leser braucht nur seinen Gedanken mit äußerster Schärfe und Helle durchzudenken, jedes sich aufdringlich heranschleichende bequeme, aber unklare, schwammige Welschwort durch noch größere Vertiefung in den Gehalt als wertlos zu verscheuchen; er braucht dies nur mit unbeugsamem Ernst zu wollen, was im Deutschen Wollen heißt, und er wird zu seinem freudigen Staunen gewahren, nicht nur daß er's kann, was sich für einen noch nicht ganz welschverbildeten Deutschen von selbst versteht; sondern daß alles von ihm Geschriebene allsogleich das Gepräge lauterer Echtheit, Wahrheit, Klarheit gewinnt. Ins Schrullenhafte braucht sich kein deutscher Schreiber dabei zu verirren. Allgemein übliche, nicht der geckischen Eitelkeit und Gelehrttuerei entsprossene Fremdwörter wie Politik, liberal, Literatur, Drama, Religion, Konzert und noch einige Dutzend andrer braucht keiner ängstlich zu meiden. Es ist jedoch etwelcher Unterschied zwischen diesen paar Dutzend – mehr sind es nicht! – und den vielen Hunderten, nein Tausenden überflüssiger Welschwörter, aus denen der Sprachflitterschatz unsrer meisten Schreiber, mit Ausnahme der Dichter, besteht.

Dazu muß als Heilmittel kommen das tägliche Gesundungsbad in reinem Deutsch. Leicht ist es nicht zu beschaffen, denn 99 Hundertstel alles bedruckten Papiers in Deutschland sind welsch. Obenan stehen unsre Dichter, d. h. ihre Dichtungen: ganz deutsch sind fast nur der deutsche Vers oder die dichterische Prosa. Ferner: Luthers Bibel, Moltke, Brehm, Ratzel, Treitschke, Helmholtz, D. Schäfer, Nietzsche (aber nur die Gedichte und Zarathustra), Clausewitz, Jähns, Vischer, Köstlin, C. Justi, Lichtwark, Wörmann, Gurlitt, Volkelt, Eucken, R. Huch, H. Hettner, Francé, Kräpelin, – die deutschen Heeresberichte. In meinem Sammelbande › Deutsche Meisterprosa‹ findet der Leser das Beste der Besten und Fingerzeige für eine ganze Bücherei deutscher Schriften in deutscher Sprache.

Leser mit solcher Selbsterziehung werden gefeit sein gegen die Verführung durch welschende Bücher und Zeitungen. Aus den Büchern schöpfe man das Wissen, das sie nach Abzug des welschen Aufputzes enthalten mögen, und bestärke sich in der Verachtung der sprachlichen Unwahrhaftigkeit und Vornehmtuerei alles Gewelsches. Jedes Buch eines deutschen Schreibers in der Fremdbrockensprache, er sei noch so berühmt – seit gestern, für heute, vielleicht bis morgen –, sei ihm zuerst und für lange verdächtig; denn ein Deutscher, der seine Weisheit nicht auf Deutsch vortragen kann, schleppt einen Erdenrest mit sich, unreinlich und peinlich. Es müßte schon ein außerordentlicher Schreiber, ein Geistesriese sein, der etwas durchweg Bedeutendes in so gemeiner Sprache wie dem Welsch vortrüge. Bis jetzt hat Deutschland solch einen nicht erzeugt, obwohl so ziemlich jeder Überwelscher sich für einen hält und andre auf Welsch an ihn zu glauben bereden möchte. Der Leser kann ganz sicher sein: kein von ihm um der ekelhaften Sprache willen in die Ecke geworfenes Buch bedeutet einen unersetzlichen Verlust.

 

Kampf gegen das Welsch

Und im ganzen: rücksichtsloser Kampf aller deutsch und sauber Fühlenden gegen die Verschmutzer unsrer Sprache! Alle Schüchternheit der Verteidiger des Deutschen gegen das Welsch ist vom Übel: grade dadurch sind unsre Welscher in Buch und Zeitung so anmaßend geworden. Die reine deutsche Sprache braucht nicht demütig um Einlaß in die Hallen des Staates, der Wissenschaft, des Volkslebens zu betteln; sondern diese Spenderin aus reichem Horne, Schöpferin aus vollem Borne, Wohnerin im Sternenzelt hat kraft ihres königlichen Herrscherrechtes zu fordern, daß das fremdbürtige Bettlergesindel den angemaßten, von ihm besudelten Platz räume.

Aber erscheinet sie selbst, hinaus vor die Türe, Gesinde!
Auf den Sessel der Frau pflanze die Magd sich nicht hin!
(Schiller.)

Man lasse endlich ab von der wissenschaftlich tuenden Tiftelei, womit der Kampf für reines Deutsch bisher zumeist geführt worden. Will man sich nicht darauf beschränken, daß das Welschgeschmier ein Hohn auf deutsches Volkstum ist, was eigentlich genügen könnte, so schreie man es mit Donnerstimme hinein ins unverbildete deutsche Volk: Fremdwörterei ist gemein, Welscherei ist pöbelhaft, undeutsche Sprache ist roh, Aufputz ist Schwindelei, Brockenmausen ist Geckenwerk. Unbekümmert um Namen und Titel wiederhole man hartnäckig diese Urteile, steigere ihre Schärfe je nach dem Einfluß oder der Anmaßung des Schreibers, lasse die Dutzendwelscher unbeachtet, halte sich vornehmlich an die Koryphäen, Autoritäten, Sommitäten, Kapazitäten, die Geniüsse der Welscherei, nicht an die von ihnen verführten Welscherlein in der Presse, im Handel, im Gewerbe. Der Schlammquell, der ewig fließt und jedes Gewässer der Niederungen verschmutzt, entspringt hochoben, auf den Gipfeln der schreibenden Wissenschaft.

Der Kampf gegen die deutsche Sprachschande könnte vielleicht auch anders geführt werden. Mit Sanftmut, mit Behutsamkeit, mit ängstlich berechnendem Maß, mit Schonung der Hauptschuldigen: der Welscher an den Hochsitzen der Wissenschaft; mit Geduld, mit noch mehr Geduld, mit dem festen Glauben an den Satz: Steter Tropfen höhlt den Stein. Kennt der Leser die allerliebste Geschichte vom klugen Hirtenbüblein, dem Kaiser und dem Demantberg? Nein? Dann lese er sie geschwind, um zu verstehen, wenn ich sage: der Demantberg ist die deutsche Welscherei, das Schnäblein wetzende Vöglein ist der in Deutschland von Einzelnen, oder ganzen großen Vereinen lobesam gegen die Welscherei geführte Kampf. Kann sein, der Riesendemantberg wird auch durch solches Schnäbleinwetzen noch vor Ablauf der Ewigkeit abgetragen; das deutsche Volk aber hat so lange weder Zeit noch Geduld, und die Jüngeren unter den Lebenden möchten und sollten es noch erleben oder mit einiger Wahrscheinlichkeit erhoffen, daß in Deutschland Deutsch, nicht Welsch die herrschende Sprache wird.

 

Die Pflicht des deutschen Staates

Wer in deutschen Landen eine durchgreifende Verbesserung erstrebt, der ruft nach dem Staat. Alle andern großen Bildungsvölker halten ohne staatliche Hilfe ihre Landessprachen rein; Wissenschaft, Kunst, Presse, Schule, Gesellschaft – alles wetteifert dort, Hüter zu sein des höchsten Gutes seines Volkes, der eigentlichen Lebensurkunde jedes Menschenstammes. In Deutschland walten nur die Dichter des völkischen Heiligtums; alle andern Volksteile, und zwar je höher auf der geistigen Leiter desto gewissenloser, gehen mit der Sprache ihres Volkes gleichgültiger um, als nach Schopenhauers immer wieder zu beschwörendem Gleichnis die gesetzlichen Schützer eines Misthaufens. Die ganze lange Leidensgeschichte deutscher Sprachreinigung vom Unrat der Jahrhunderte hat uns gelehrt, daß es auf dem bisherigen Wege geht wie mit dem unverwüstlichen Demantberge. Gegen die Übermacht der Welscher kann nur die noch stärkere Obermacht der öffentlichen Gewalt helfen. Glaubt die deutsche Staatsgewalt wirklich, daß durch sanftes Zureden, durch liebreiche Verordnungen und Ermahnungen dieser Schandfleck auf der deutschen Volksehre allmählich, in einigen Jahren oder Jahrzehnten ausgetilgt werden wird, nachdem er Jahrhunderte hindurch dem sanften wie dem unsanften Zureden, den liebreichen wie den schärferen Verordnungen und Ermahnungen getrotzt hat, so glaubt sie an ein Wunder, und gegen solchen Glauben kämpfen selbst wir Sprachfreunde vergebens. Sind aber die Träger der deutschen Staatsgewalt ernstlich gesonnen, unsrer Welscherschmach wahr und wahrhaftig ein Ende zu machen oder doch das Ende vorzubereiten, dann haben sie ohne Rücksicht auf versteinerte inhaltlose Redensarten die Ehrenpflicht, jedes anständige und wirksame Mittel gegen die Verschmutzung des Ausdruckes deutscher Seele anzuwenden. Mit der weißen Salbe der immer erneuten, immer wirkungslosen Verordnungen und Rundschreiben heilt man keine schwärende Wunde am deutschen Volksleibe wie die Entvolkung unsrer Sprache.

Obenan steht die Forderung jedes Volksgenossen an jede Staatsbehörde, daß sie selbst deutsch, nur deutsch zu Deutschen reden soll. Aufhören muß der unerträgliche Zustand, daß hohe deutsche Beamte in Reden oder Erlassen an das deutsche Volk sich des Küchenlateinischen und des Französischen bedienen, ihm von Démarchen, Désinteressement, absoluter Aktualität, realen Garantien sprechen. Wir mußten erleben, daß amtliche Bekanntmachungen eines der höchsten Reichsämter über die Unterscheidungszeichen echter und unechter Banknoten hervorhob, wie die Guillochen auf den echten Scheinen aussähen, während doch auf hunderttausend deutsche Menschen kaum einer kommt, der da weiß, was im Französischen Guilloche bedeutet. Dem welschenden Schriftsteller in Buch und Zeitung hat der Staat nicht vorzuschreiben, wie er mit seiner Feder die völkische Ehre zu achten habe. Um diesen Preis geistiger Bevormundung will selbst ich den hohen Gewinn saubrer deutscher Sprache nicht eintauschen. Wohl aber hat der Staat wie die Macht so das Recht und die Pflicht, streng darauf zu halten, daß seine Verwaltungsbeamten Deutsch, nur Deutsch, bestmögliches Deutsch schreiben; denn mit jedem ihrer Schriftstücke vertreten sie die Sprachehre ihres Staates, mit jedem Schriftstück in schludriger, lächerlicher, nun gar volkswidriger Sprache schädigen sie Ansehen und Ehre der Staatsgewalt, die sie vom höchsten bis zum letzten schreibenden Beamten zu vertreten beschworen haben.

Zum Zweiten wohnt dem Staate das Recht bei und liegt ihm die Pflicht ob, die seinen Schulen anvertraute oder seiner Schulaufsicht unterstellte Jugend davor zu behüten, daß sie durch den staatlich geordneten Unterricht, gleichviel auf welchen Stufen, ob in der Volks- oder auf der Hochschule, daran gewöhnt werde, die Sprache ihres Volkes mißachtend zu besudeln und fremden Flitterkram für vornehm, wissenschaftlich, unentbehrlich zu halten. Daß der Staat bei diesem Bestreben auf die freudige Unterstützung der Volks- und Mittelschullehrer zählen kann, ist nicht zu bezweifeln; wo er schroffem Widerstande begegnen wird, das brauche ich unsern weisen Staatsmännern nicht zu sagen.

Und warum am Schlusse dieses Abschnittes nicht sprechen von dem, woran doch jeder Leser längst gedacht hat: von Macht und Beispiel des Deutschen Kaisers? Er gehe seinem Volke gebieterisch voran auf einem Felde deutschen Geistes, das von deutschen Fürsten nur selten nach seiner hohen Bedeutung gepflegt wurde, und er darf sicher sein:

Nachahmend heiliget ein ganzes Volk
Die edle Tat der Herrscher zum Gesetz.


(Iphigenie 5, 6.)

Darf uns der Staat vorschreiben, wieviel Lot Brot und Fleisch und Zucker und Butter wir wöchentlich essen können; wieviel Wolle und Baumwolle und Leinen und Seife wir an unsern Leib wenden dürfen; ob uns knallige Kinobilder anschreien sollen; ob wir das Recht haben, über das Wichtigste unsers Volkes: die Ziele des Weltkrieges, öffentlich zu sprechen und zu schreiben; so steht ihm unzweifelhaft auch das Recht zu – ich behaupte: die Pflicht –, das deutsche Straßenbild vor niedriger Entwürdigung zu schützen. Die Polizei, die jedes Ladenschild auf Länge, Breite, Höhe, Verkehrssicherheit prüft; die den Bürgern befiehlt, rechts zu gehen und auszuweichen; die überhaupt Herrin der Straße ist, die sollte nicht verbieten dürfen, daß ein Krämer seinen Kram Maison, Modes, Manteaux nenne und die deutsche Würde stinkend mache in den Nasen unsrer Feinde? – ›Was kann ein unschuldiges französisches Wort dafür, daß die Franzosen uns mit Hilfe der Engländer und Russen und aller andern gegen uns zu kaufenden weißen, braunen, schwarzen, gelben Völker vernichten wollen?‹ Wir kennen die Weise, wir kennen den Ton, wir kennen die Herren Verfasser. Sie sind dieselben, die unter keinen Umständen wollen, daß der deutsche Reiseverkehr nach dem Kriege die Länder meide, wo man uns Jahre hindurch bübisch verleumdet und begeifert hat. ›Tragen etwa die unschuldweißen Firngletscher der Dent du Midi, tragen die Venus von Medici und vom Kapitol eine Mitschuld an der Haßgesinnung der schweizerischen Franzosen, an der Treulosigkeit der Italiener?‹ Ein Narr, wer mit solchen Menschen über Scham und Würde eines Volkes streitet. Ein seiner Würde bewußter Staat hat ohne langes Hin- und Herreden, ohne sprachwissenschaftelnde Spitzfindigkeiten seine Polizei anzuweisen: Jede Welscherei auf Ladenschildern deutscher Händler ist zu verbieten; in Zweifelsfällen entscheidet die Behörde, die über öffentliche Würde und Sauberkeit zu wachen hat, nach Anhörung eines Sachverständigen aus dem Deutschen Sprachverein.

 

Die Pflicht der Schule

Die Staatsgewalt vermag viel durch Verbot und Befehl, doch dieses Vermögen hat nur Augenblickswert. Dauer erzeugt sie nur durch Verständnis und innere Mitarbeit des Volkes. Das ganze junge Stammesgeschlecht muß aufwachsen mit einem neuen Ehrgefühl in allen völkischen Dingen und vor allen andern in seiner Sprache. Mit jedem deutschen Wort, das deutsche Lippen sprechen, tut die deutsche Seele einen Atemzug ihres Lebens; mit jedem elenden Fremdbrocken, den eine deutsche Zunge bewußt verschmäht, wird deutsches Volksbewußtsein gestärkt. Wer dies Nationalismus und Chauvinismus nennt, dem drehe man den Rücken zu: es muß doch ein paar deutsche Grundfragen geben, über die zwischen Deutschen kein Streit erlaubt ist.

Immer wieder muß gefragt werden: Ist es dem deutschen Staat ernst mit seinen immer erneuten Verordnungen über die Reinheit deutscher Sprache im Verkehr der Behörden und besonders im Unterricht seiner Schulen? Gibt es kein wirksameres Mittel gegen die deutsche Sprachverluderung als Verordnungen, die nur beschriebenes oder bedrucktes Papier bleiben? Deutschland vor allen Ländern ist der Hochsitz der Sprachwissenschaft, und Deutschland vor allen Ländern ist das mit der öffentlichen Mißachtung und Besudelung der eignen Landessprache. Darf eine würdevolle Staatsgewalt dieser von niemand bestrittenen, von ihr selbst beklagten Tatsache länger mit völlig wirkungslosen Verordnungen begegnen? Der Staat hält in starken Händen das stärkste Mittel der Abhilfe und gebraucht es nicht: die Schule. Man wende mir nicht ein: Der Staat tut, was er kann; Unmögliches ist von ihm nicht zu fordern. Wenn es dem Unterrichtsstaat notwendig erscheint, ein bestimmtes Pensum im Latein, im Griechischen, in der Mathematik vom Durchschnitt der Schüler zu fordern und zu erzwingen, so sollte es ihm nicht gelingen, alle seine Schüler im Gebrauch der reinen Muttersprache unbedingt zu festigen und sie gegen jeden Rückfall in die alte deutsche Sprachschande auf den höchsten Unterrichtsstufen zu schützen? Merkwürdige deutsche Staatsgewalt, die diese Selbstverständlichkeit nicht durchsetzen könnte, wenn sie – wollte! Eisern wollte, ohne feilschende Redensarten, ohne auf schreibende Welscher, auf die ganz und gar nicht objektiven Interessenten, zu hören, die mit Recht das Versinken ihres welschen Flitterwerkes befürchten, wenn ein Geschlecht junger deutscher Leser heranwüchse, die Welschgeschriebenes verlachen, verachten, verwerfen. Wenn von einem deutschen Knaben verlangt wird, daß er niemals, selbst nicht im Schlaf, ut oder ne oder quin mit dem verwerflichen Modus indicativus verbinde; daß er spätestens in der Tertia keinen Verstoß mehr gegen die ehrwürdige Consecutio temporum begehe; wenn er sitzen bleibt, weil er que und comme verwechselt oder vom Subjonctif nichts weiß; wenn er keine Humaniora studieren, also nicht Oberlehrer werden darf ohne einige Kenntnisse im ionischen Dialekt, – so meine ich, der allmächtige oder doch sehr mächtige deutsche Unterrichtsstaat wird seinen Schülern mit gleicher Festigkeit den Schul- und Lebensgrundsatz einhämmern können: Welschen ist ungebildet, unwürdig, gemein. Nichts Geringeres kann helfen: das hat uns ein Menschenalter, angefüllt mit wohlgemeinten wirkungslosen Verordnungen, erwiesen, seit jenem feierlichen Erlaß des Preußischen Unterrichtsministers von Goßler (15. Januar 1889): › In der Hut und Pflege des in unserer Sprache uns überkommenen Besitzes erkennt die preußische Schulbehörde eine heilige Aufgabe unsrer Schule‹, bis zu den vielen nicht minder feierlichen Ermahnungen während des Weltkrieges. Gibt es einen triftigen Einwand gegen folgenden Erlaß aller deutschen Unterrichtsminister: ›Kein deutscher Lehrer wird angestellt, befördert und – ausgezeichnet, der sich nicht in Wort und Schrift möglichst reiner deutscher Sprache befleißigt‹ –? Dieser Erlaß unerbittlich angewandt, durch alle Stufen des Lehrerstandes: vom Volksschullehrer, wo er kaum nötig wäre, über den Mittelschullehrer, wo er jedenfalls nichts schaden würde, zum Hochschullehrer aller Grade, wo er allein helfen kann, – und in 25 Jahren hätten wir ein sprachsaubres Vaterland. Die wackeren deutschen Lehrer – mit den Ausnahmen, die jeder kennt – warten nur auf solche Unterstützung ihres völkischen Strebens durch den Staat, und unsre Knaben und Mädchen werden als deutsche Männer und Frauen den Staatsmann, den Fürsten segnen, die ihrem Volke den deutschen Weg gewiesen.

 

Ist denn das klug und wohlgetan?
Was willst du Freund' und Feinde kränken?

So ließ Goethe sich in ähnlichen Fragen gründlicher Umkehr fragen und antwortete sogleich selbst:

Erwachs'ne gehn mich nichts mehr an,
Ich muß nur an die Enkel denken.

Nicht auf dem lebenden Welschergeschlecht ist Deutschlands Zukunft gegründet wie Fels im Meer, sondern auf der in die neue deutsche Zeit hineinwachsenden Jugend. Darum auch hier die Mahnung, die widerbellenden angejahrten Schreiber, die nichts andres als das Welsch darzubieten haben, also ihre Ware verteidigen und anpreisen, als ganz belanglos anzusehen, sie keines Streites zu würdigen über eine Sprache, die sie nicht beherrschen: die deutsche. Nur an die Jugend sollten sich alle Vereine zur Stärkung deutschen Volksgefühls, z. B. die Sprachvereine, wenden. Ein paar rührende Vorkommnisse im Weltkriege haben gezeigt, was mit der richtig geleiteten deutschen Jugend zu erreichen wäre. Im Dezember 1914 wurde ich gebeten, eine ›Kriegserklärung‹ deutscher Schüler gegen – die englischen Stahlfedern zu unterstützen: ›Wir wollen dafür kämpfen, daß bei uns nur noch die deutsche Feder gebraucht wird.‹ Ich antwortete dem Comité – ohne Comité oder Centralcomité keine völkische Bestrebung in Deutschland –: ›Es ist bei weitem schimpflicher, mit deutschen Stahlfedern zu welschen, als mit englischen reines Deutsch zu schreiben‹, was mir das Comité gewiß nie verzeihen wird. – Dann aber etwas Erfreulicheres: Die deutsche Jugend hat seit dem Kriege ein Fremdwort völlig ausgetilgt, vorbehaltlich seines Wiederauflebens im Frieden: sie sagt nicht mehr Adieu, hat sogar vielen Erwachsenen das Adieu verleidet, und nun redet man sich in Deutschland ein: der Bann der Welscherei ist gebrochen, weiter braucht die Reinigung doch nicht zu gehen.

Zu Lesern dieses Buches wünsche ich mir mehr junge als alte, und den jungen rufe ich über den Raum meines eignen Lebens hinweg zu: Erfüllet euch bis in den letzten Blutstropfen und in jede Gehirnzelle mit der Überzeugung: in Deutschland muß um der deutschen Ehre, der deutschen Bildung, der deutschen Wortkunst willen Deutsch geredet und geschrieben werden. Auch ihr Jungen, grade ihr Jungen, in den höheren und höchsten Schulen, denn ihr seid berufen, dereinst die Führer und die Hüter eures Volkes zu sein. Ihr seid die neuen Schläuche für den neuen lautern deutschen Wein. Lasset die gelehrten Toten ihr totes Welsch begraben, ihr aber schreibet die lebendige Sprache eines neuen deutschen Lebens. Habt Achtung vor einem vereinzelten alten Lehrer, der noch welscht, weil man ihn in seinen jungen Jahren so gelehrt hat; euch aber festiget um so gewisser gegen jede Verwelschung eures Geisteslebens. Gebet nie dem leisesten Zweifel Raum, ob nicht irgendeine Sprache der alten oder neuen Zeit vornehmer, reicher, biegsamer zu jedem Menschenwerke sei, als die deutsche. Lasset euch durch keinen Ruhm, keinen Titelglanz eines alten Welschers irremachen: ehret sein Wissen und lernet von ihm; verachtet seine Sprache und welschet ihr nicht nach! Ihr seid die Träger des neuen deutschen Jahrhunderts, ihr die Gestalter seiner Sprache, denn jede Erneuung eingerosteter oder verschmutzter Sprache ist von einer neuen Jugend ausgegangen. Mehr als einmal im letzten Jahrhundert hat die deutsche Jugend, das junge, das jüngste, das allerjüngste Deutschland neue Moden in Dichtung und Ausdruck aufgebracht; immer waren die Moden aus der Fremde, meist aus Frankreich, übernommen. Meint ihr nicht, man sollte es auch einmal – oh nur der Abwechslung wegen! – mit einer deutschen Mode versuchen, z. B. mit der, in Deutschland Deutsch zu schreiben? Die neue Zeit sucht nach einem neuen Stil; hier habt ihr ihn in höchster Vollendung, wenn euch vor ihm nicht graut: den deutschen Stil. Das ist ein Stil, denn Stil, gleichviel welcher, heißt reiner Stil; sprachlicher Gummistempel ist kein Stil, ist weder Kunst noch Handwerk, sondern – Gummistempel.

Vielleicht sogar – Bücher haben ihre Schicksale – liest dieses Buch ein Jüngling, der sein Leben der Deutschforschung zu weihen gedenkt. Ein Funke in seine Seele, und zum Manne gereift sagt er, als Fachgenosse zu Fachgenossen mit stärkerer Wirkung als ich, den alsdann etwa noch lebenden welschen Germanisten: Eine lächerlich-widerwärtigere Gestalt als einen undeutsches Zeug hinschmierenden Germanisten kann die ausgelassenste Posse nicht bieten; es ist Zeit, daß diese Affenschande der deutschen Wissenschaft aufhöre!

 

Handel und Presse

Wie spricht der deutsche Handel, vom königlichen Kaufmann, der die deutsche Ehre in allen Ländern der Erde zu vertreten hat, wie kein zweiter Stand, bis zum Kleinkrämer im Kellerloch? So spricht er: à, per, pro, circa, präter propter; en détail, en gros, en masse, en face, en bloc; Export, Import, Transit, Transport; à Conto, à Condition, a Dato, à fonds perdu, a Meta, à jour, à la baisse, à la hausse, al pari, à tout prix, au fond, au fait, au courant, au porteur, a vista, à vue; kreditiert, debitiert, spezialisiert, usw. usw. Also ebenso welsch wie der deutsche Mann der Wissenschaft? Nein, ganz so arg nicht, denn in der Welt des Welsch ist die deutsche Wissenschaft uneinholbar voran; aber unter den Prima-Prima-Welschern liefert der deutsche Kaufmann Qualitäts ware. Ein Hauptunterschied zwischen dem wissenschaftlichen und dem kaufmännischen Welscher soll nicht übersehen werden: Der gebildete Kaufmann kennt dieses Gebrechen seines Standes, schämt sich seiner, macht Anstrengungen, aus der Selbsterniedrigung herauszukommen, und es gibt schon eine stattliche Reihe großer Handelshäuser, die der Wissenschaft zu Vorbildern dienen könnten. Die deutsche Wissenschaft hingegen versinkt immer tiefer in den undeutschen Sprachschlamm, und viele ihrer zu deutscher Sprache unfähigen Führer erdreisten sich sogar beleidigenden hochmütigen Hohnes über die Ermahner zur deutschen Würde.

Am Kaufmannsstande, dessen bin ich sicher, würde der Staat bei seinem Bestreben, Deutschland seine Sprachehre wiederzugeben, sehr bald einen Helfer finden, wenn zu spüren wäre, daß der Staat ernstlich will. Freilich würde der Kaufmann, und das ist sein Recht, zum Staate sagen: Willst du uns Deutsch sprechen lehren, so sprich du es zuerst und allewege! Ein Polizeipräsident, dessen sozialpolitischer Dezernent die Konstituierung einer Kommission zur Reform des Firmenregisters proponiert, wird dem Manne der Wirklichkeit nicht grade als Muster edler Reinheit der Absicht und des Ausdruckes dienen. Das aber wird der Gesetzgeber, zumal nach dem Kriege, vom deutschen Kaufmann fordern müssen, daß keine in Deutschland erzeugte Ware von einem deutschen Händler mit fremdsprachiger Bezeichnung in Deutschland feilgeboten werden darf, zumal da es in solchem Falle nicht bloß um die deutsche Ehre, sondern fast immer auch um die deutsche Ehrlichkeit geht. Viskosives Konzentrikum ist als Wagenschmiere, Eau de Cologne als Kölnisches Wasser zu verkaufen. Und sollte, was ich bestreite, der Absatz darunter leiden, so ist Absatz nicht das allerhöchste Gut eines großen Volkes, und selbst kaufmännisch gerechnet haben Würde und Ehre des Handels auch einen gewissen Marktwert.

 

Eine sehr alte und nicht ganz unwahre Redensart lautet: Wer die Schule hat, der gebietet über die Zukunft. Ich stelle ihr den noch wahreren Satz gegenüber: die eigentliche Schule eines Volkes ist seine Presse; sie ist die Fortbildungsschule, deren Unterricht es genießt, solange ihm die Augen den Dienst zum Lesen leihen. Aus der Zeitung, unvergleichlich mehr als aus dem Buch, schöpft die große Masse jedes lesenden Volkes, auch des deutschen, ihre Bildung und ihre Sprache. Schon vor dem Kriege haben die Einsichtsvollen gewußt, was der Krieg uns jetzt alle gelehrt hat: die deutsche Presse steht durch Ehrenhaftigkeit, Wissen und Belehrungsreichtum hoch über der aller andern großen Länder. Ein unerschöpflicher Bildungsstrom durchflutet täglich aus den deutschen Zeitungen unser ganzes Volk bis hinein in die kleinsten Nester des Landes. An vielseitigem Wissen und Können überragt noch der Leiter jeder durchschnittlichen deutschen Provinzzeitung seine meisten Berufsgenossen in England, Frankreich, nun gar im Englisch sprechenden Amerika, und die Käuflichkeit, die sich namentlich in Paris für jede einflußreiche Zeitung von selbst versteht und keine mehr im mindesten in der öffentlichen Meinung bemakelt, würde jedes deutsche Blatt einfach unmöglich machen.

Mit diesem starken Gefühl für Mannes- und Berufsehre ist das für die schwere Verantwortung des Zeitungsamtes bei den weitaus meisten Mitarbeitern der Presse verbunden. Verbrecherische Aufhetzer und Giftmischer wie in der französischen und englischen Presse – von der zumeist in jeder Hinsicht minderwertigen englisch-amerikanischen gar nicht zu reden – haben selbst die Leidenschaften des Weltkrieges in Deutschland nicht erzeugt. Wie immer sonst das Urteil über manche Formgebrechen unsrer Presse lauten mag, – wer da leugnet, daß sie die anständigste und gebildetste auf Erden ist, der weiß nichts von ihr oder nichts von Anstand und Bildung. Zur deutschen Presse in enger oder loser Verbindung steht irgendwie fast jeder deutsche Schreiber von irgendwelcher Bedeutung. Daß ich selbst mehr als ein Menschenalter nicht nur durch Bücher, sondern öfter noch durch Zeitungen zu wirken vermocht, rechne ich mir als eine Ehre an. All dies kann mich nicht abhalten, die beschämende Wahrheit auszusprechen: Die deutsche Presse ist eine Hauptquelle der sprachlichen Verwelschung Deutschlands. Sie ist bei weitem nicht so schuldig wie die deutsche Gelehrsamkeit, die aus schlechtem Gewissen ihre eigne schwerere Schuld gern auf die Zeitung abwälzt. Der welschende Mann der Wissenschaft ist unentschuldbar, denn er verübt seine Sprachschmutzereien in aller Gemächlichkeit, in voller Muße, mit Vorsatz und Bedacht, und er verübt sie zum allergrößten Teil aus unwürdig eitler Vornehmtuerei. Der Zeitungsmann welscht hauptsächlich aus übler Gewohnheit, im Drange der knappen Zeit und fast ohne den Kitzel persönlicher Eitelkeit, denn der Leser erfährt ja meist den Namen des Welschers gar nicht. Dennoch bleibt die Schuld der deutschen Zeitung an der Verwelschung der Sprache unsers Volkes riesengroß, wenn man an die Verbreitung der Zeitungssprache in allen Schichten der Leser denkt.

In dem Augenblick, wo ich diesen Satz abgeschlossen habe und nach einem Zeitungsblatt greife, das die Kunde von einer neuen deutschen Großtat im deutschen Kriege gegen den englischen Zwingherrn der Meere bringt: der Ankunft eines unsrer Tauchkreuzer in den nordamerikanischen Gewässern, fallen meine Augen auf die fettgedruckte Überschrift: Ein Ozean- Raid. Ist mir's zu verdenken, daß ich das Blatt zerknüllt in den Papierkorb werfe mit dem Gefühl, das Friedrich Vischer ›brecherisch‹ nannte? Es ist nur eine Kleinigkeit, denkt mancher allzu milde oder längst durch noch Tolleres abgestumpfte Leser. In Fragen völkischer Ehre gibt es keine Kleinigkeiten, und aus ähnlichen Kleinigkeiten zu Zehntausenden setzt sich die deutsche Sprachschande zusammen. Ein deutscher Zeitungsschreiber ist also schon so stumpf in seinem völkischen Ehrgefühl geworden, daß er einen weltgeschichtlichen deutschen Sieg über den Todfeind England nur mit einem englischen Wort bezeichnen kann! Jedoch warum sollte der Zeitungsschreiber das unterlassen? Hat er zu befürchten, daß sogleich nach dem Erscheinen seiner Albernheit 20, 100 empörte Briefe an den Verleger abgehen: Entweder Sie entlassen den Menschen, der Ihr Blatt bloßstellt, oder wir verzichten auf dessen ferneren Bezug? Nicht ein deutscher Leser kommt auf den Gedanken, das zu schreiben; die meisten, besonders die nicht Englisch verstehenden, bewundern den sprachkundigen Schmock.

Ein schmutzigfreches Tingeltangel in Berlin wird während des Krieges verboten; ein großes Heimpariserblatt bedauert dies als einen ›Eingriff in die Kunst, deren Diener sich unter der Führung eines Conférenciers zu einem Ensemble mit saloppmondäner Linie vereinigt hatten‹. – Ludwig Fulda hält im Kriege einen wackern Vortrag in Berlin über die deutsche Ausländerei; eine der größten Berliner Zeitungen berichtet: ›Der beliebte Conférencier erntete vielfach lebhaften Beifall für seine geistvollen Aperçus.‹ – Aus derselben Zeitung ein Satz über die hellen Sommerabende in Schweden: ›Jetzt ist es 9 Uhr abends, und die Souveränin Sonne hat ihren Séjour am Horizont noch nicht abgebrochen.‹

Aber wozu diese oder noch so viele, noch so tolle weitere Beispiele? Jeder Leser weiß so gut wie ich, daß es schwerlich eine einzige deutsche Zeitung mit 2–3 Sätzen hintereinander in reindeutscher Sprache gibt. Die einzige Ausnahme, auf die ich aber nicht schwören will, ist an manchen Tagen die Kölnische Zeitung. Alle deutsche Heereszeitungen allerdings stehen sprachlich hoch über der gesamten deutschen Presse, und eine so saubre Zeitung wie z. B. die Wilnaer des 10. deutschen Heeres oder die Liller hat es in Alldeutschland noch niemals gegeben und wird es nach dem Kriege für absehbare Zeit nicht wieder geben.

Zwei berühmte deutsche Männer der Wissenschaft haben ziemlich übereinstimmend die deutsche Zeitungssprache in der bekannten splitterrichterlichen Art verdammt: Schopenhauer und Nietzsche. Jener schimpfte über den ›schändlichen Jargon, in welchem meistens die deutschen Zeitungen geschrieben sind‹; dieser rasaunte von oben herab: ›Schweinedeutsch ... Verzeihung, Zeitungsdeutsch!‹ Ähnlich wie diese beiden Großen maßt sich der letzte Sudler der Wissenschaft an, sich über die ›gar zu schlechte Zeitungssprache‹ überlegen emporzublähen. Die schlichte Wahrheit ist diese: die Zeitungsschreiber haben ihr Welsch von den Männern der Wissenschaft gelernt, welschen im Durchschnitt lange nicht so schamlos wie die Wissenschafter und schreiben in der Mehrzahl einen weit bessern Stil als die meisten wissenschaftlichen Schreiber. Trotzdem bleibe ich dabei: der durch die welschende Zeitung am deutschen Sprachgefühl angerichtete Schaden ist unvergleichlich größer als der durch die sittlich schuldigere Wissenschaft verursachte. Wissenschaftliche welschende Bücher lesen wenige Hunderttausende, welschende Zeitungen viele Millionen. Von jeher hat die an Verrücktheit streifende unverständliche Schreibweise deutscher Zeitungen das Staunen des nachdenklichen Beobachters erregt. Im Jahre 1644 fragte der Badener Hans Heinrich Schill in seinem ›Teutscher Sprache Ehrenkranz‹: ›Wem schreiben sie die Zeitungen zu lesen? Nicht den Franzosen, nicht den Italienern, nicht den Spaniern; sondern es geschieht dem ehrlichen Teutschen zu lieb. Aber was ist das, da so viel Französisch, Italienisch, Spanisch darinnen, daß solches kein Teutscher verstehen kann, und ist gewiß, welcher nicht auch im Französischen oder Italienischen weiß, daß derselb kein Zeitung verstehen kann.‹ – Verrücktheit ist ein sehr scharfes Wort, aber der Leser urteile selbst: ein Mann schreibt in einer Zeitung für Hunderttausende von Lesern Wörter aus 5, 6 fremden Sprachen, von denen er weiß, daß kaum einer von hundert sie verstehen kann, und er hat nicht einmal die allgemein menschliche Entschuldigung, daß er damit seine eigne kleine Eitelkeit befriedigen wollte, denn er nennt ja nicht seinen Namen. Der Geistesarzt steht hier vor einer überaus merkwürdigen Krankheitserscheinung: ein im übrigen gesunder Mensch handelt bewußt zweckwidrig, sinnlos, und hat höchstens die Genugtuung, sich selbst darob zu bewundern.

Unter dem geistigen Druck des Krieges sind viele deutsche Redaktionen und Redakteure so weit sprachdeutsch geworden, daß sie sich in Schriftleitungen und Schriftleiter umnannten. Die heimparisischen ›erstklassigen‹ Chefredakteure allerdings haben fast durchweg diese Qualitäts-Bezeichnung beibehalten. Vor dem Kriege war es nur in den seltensten Ausnahmefällen möglich, einen deutschen Redakteur zu der Bezeichnung Schriftleiter zu bewegen; die tiefsinnige Ablehnung des deutschen Wortes lautete: Ich leite keine Schrift, sondern ich leite eine Zeitung. Meine Entgegnung in solchen Fällen war: Also sind Sie auch kein Schriftsteller, denn Sie stellen keine Schrift, – was zwar verblüffend, aber nicht überzeugend wirkte, dieweilen ein vollendeter Welscher weder durch Menschen- noch durch Engelszungen überzeugt werden kann.

Daß gegen die welschende Zeitung mit keiner Staatsgewalt etwas ausgerichtet werden kann, auch nicht soll, versteht sich von selbst. Nur eine Möglichkeit der Umkehr von dieser für die deutsche Sprache lebensgefährlichen Verwilderung ist denkbar und könnte uns durch die tiefe Erschütterung des Krieges ums deutsche Dasein doch am Ende beschieden werden: durch das Besinnen der deutschen Presse auf ihre ungeheure völkische Verpflichtung. Man täusche sich nicht: jedes Hinhören auf eine Unterhaltung des Alltags, jeder Brief, jedes Buch eines Durchschnittschreibers lehrt, daß die deutsche Zeitungssprache die deutsche Volkssprache unsrer Tage geworden ist. Die Überzeugung, daß es so wie jetzt mit der Zeitungssprache nicht bleiben darf, ist in den Kreisen unsrer Presse selbst schon weit verbreitet. Leider entschuldigen sich die meisten Zeitungsmänner mit einer nachgrade abgenutzten unstichhaltigen Ausrede: Die Eile, mit der im Zeitungswesen gearbeitet werden muß, rechtfertige die herrschende Welscherei. Dies bedeutet doch nichts andres als: Ich habe keine Zeit, deutsch zu sein. Keine noch so hetzende Eile würde einen Zeitungsschreiber entschuldigen, der Mir und Mich verwechselte, Durch mit dem dritten Fall, Von mit dem vierten verbände; und ein sich achtender Zeitungsschreiber verfällt nach einem Und nicht mehr in die fehlerhafte Satzumdrehung, schreibt auch nicht mehr Derselbe, Dieselbe, Dasselbe statt Er, Sie, Es. Ein anständiger Schreiber darf gewisse Verstöße gegen sprachliche Anständigkeit und Sauberkeit nicht einmal im Rausch oder im Traum begehen. Das müßte fürwahr ein durchaus unfähiger deutscher Zeitungsmann sein, der selbst im äußersten Drang der Eile seinen deutschen Gedanken nicht in deutsche Worte kleiden könnte, – wenn er wollte; wenn er nicht bloß möchte, sondern wirklich wollte. Unter Wollen verstehe ich nicht den bloß redensartlichen ›besten Willen‹, sondern ganz einfach den guten Willen, der viel besser ist als der ›beste‹.

Schwierig allerdings, das gebe ich zu, ist das Übersetzen eines welsch gedachten und zuerst welsch niedergeschriebenen Satzes ins Deutsche; aber Deutschschreiben heißt nicht: ins Deutsche übersetzen, sondern Deutschgedachtes deutsch aussprechen. Ich muß leider, so sehr ich mich dessen schäme, diese und andre Selbstverständlichkeiten bis zur Ermüdung wiederholen, denn für die meisten Schreiber sind sie Offenbarungen.

Der deutsche Zeitungsmann komme mir auch nicht mit der windigen Entschuldigung, es gebe keine allgemein feststehende und verständliche deutsche Gleichwerte für solche Fremdwörter des eisernen Zeitungsbestandes wie: Politik, Minister, Staatssekretär, Parlament, liberal, konservativ, Zentrum, Präsident, Interpellation, Finanzen, Justiz. Einmal ist selbst dies für alle hier aufgezählte Haupt- und Kraftwörter der Zeitungssprache in allen Fällen nicht wahr, wie ein Blick in mein Fremdwörterbuch zeigen wird; und zweitens wird kein vernünftiger Sprachreiniger einem sonst saubern deutschen Zeitungsschreiber einen Vorwurf machen; wenn er jene und noch gut hundert andre tief eingenistete Fremdbrocken nachbrockelt. Von den Tausenden jedoch der überflüssigen Welschereien soll er sich selbst unterm Donner seiner Schnellpressen aus deutschem Ekel und schriftstellerischem Stolz fernhalten; und niemals, unter keinen Umständen, in keiner Hetze, aus keiner sogenannten Bequemlichkeit, deren wahrer Name Lodderei ist, darf ein Mann, der die Ehre hat, der deutschen Presse zu dienen, die schon vorhandenen genügend dicken Fremdwörterbücher um ein einziges neues Welschwort bereichern.

Und noch eins muß ein für allemal aus der deutschen Presse verschwinden: das völkische Ärgernis, daß in einigen viel gelesenen, allerdings weniger geachteten Zeitungen jedes Streben nach Reinigung unsrer Sprache von einigem wenigem Schmutz zur Zielscheibe der salzlosen Späße sehr unwissender, darum sehr anmaßender Schreiber letzten Ranges gemacht wird. Wiederum muß gefragt werden: in welchem andern Lande würde man solche Verhöhnung eines Bestrebens dulden, das selbst im Falle eines vereinzelten Vergreifens noch um seines völkischen Gehaltes willen Achtung verdient?

Zum Schlusse dieses Abschnittes eine Bemerkung rein geschäftlicher Art, die vielleicht stärker wirken mag als jede von höherer Warte. Eine anständige, gut geleitete, gut unterrichtete und unterrichtende deutsche Zeitung in deutscher Sprache würde in überraschend kurzer Zeit die meistgelesene Deutschlands sein und ihren mutigen Begründer zum schwerreichen Manne machen. Desgleichen würde jede große schon bestehende deutsche Zeitung, die mit Strenge, aber ohne schrullenhafte Peinlichkeit reines Deutsch vom Titel bis zur letzten Anzeige ein- und durchführte, in weniger als einem Jahr an der Spitze des deutschen Zeitungswesens stehen. Nötig ist dazu weiter nichts als ein Wille, der wirklich will.

 

Unsre Heeressprache

Redet man einem Welscher der Gelehrsamkeit oder der Presse ins Gewissen, so entschuldigt er sich, nach einigem Hin- und Herreden, mit der törichten Frage: Und die Fremdwörter im Heer? Man fahre jedem Welscher, der es wagt, seine Geckensprache durch solchen Hinweis zu rechtfertigen, rücksichtslos übern Mund: die hundert Fremdwörter im Heer sind geschichtlich aufgezwungene Fachwörter, die Tausende des Wissenschafters und Zeitungsschreibers sind sprachliche Ohnmacht oder Dünkel oder beides vereint. Man lese nach, was ich über die musterhafte Reinsprache unsrer Obersten Heeresverwaltung auf Seite 121 gesagt habe, und vergleiche mit ihr das Deutsch der berühmten Heroen der Wissenschaft, die in ihren ›Deutschen Reden in schwerer Zeit‹ bewiesen haben, wie herrlich weit es die deutsche Sprache unter den Händen unsrer Welscher seit Fichtes ganz deutschen Reden an die deutsche Nation gebracht hat. Das Fehlen jeder Eitelkeit im Gebrauch ihrer Fachfremdwörter ist das zweifellose Kennzeichen unsrer Heeressprache. Niemals hat die deutsche Heeresverwaltung eine Spur der unanständigen Überhebung über jedes Bestreben nach reiner deutscher Sprache gezeigt, wie die welschende Wissenschaft. Unter denen, die Erich Schmidts und Hans Delbrücks anmaßliche Erklärung gegen den Deutschen Sprachverein unterschrieben – die Besten nur durch erweisbare Täuschungen verleitet –, war kein einziger der vielen ausgezeichneten Heeresschriftsteller, war vor allen nicht Moltke, einer der bewußten Reinschreiber seines Zeitalters.

Fremdwörter wie Armeekorps, Division, Brigade, Regiment, Bataillon, Kompagnie, General, Major, Leutnant sind geschichtlich und fachlich durchaus anders zu bewerten als solch Geckenwelsch wie Milieu, Psyche, Analyse, Synthese oder eine Pennälersprache wie halbieren, inhaftieren, Lagerist, Probist, Germanist. Keinem deutschen General fällt es ein, solche von geschichtlichem Ruhmesglanz umstrahlte Wörter wie Armeekorps usw. eitel tiftelnd als besonders nüankßenreich und darum unverdeutschbar zu verspitzfindeln; sondern er sagt einfach: es sind mehrhundertjährige Fachwörter, die seit dem 17. Jahrhundert europäisches Gesamtsprachgut aller Heere sind und um der Einheitlichkeit unsrer amtlichen Heeressprache willen nicht willkürlich von einem Unberufenen geändert werden dürfen. Regiment muß es heißen, bis der oberste Kriegsherr für gut befindet, ein vollkommen entsprechendes deutsches Wort, das es natürlich gibt, anzubefehlen. Dieses Wort wird alsdann nach einem Jahr fester deutscher Sprachbesitz geworden sein, wie vor 80 Jahren der Hauptmann statt des Capitaines, vor 20 Jahren der Leutnant und Oberleutnant statt des Second- und Premierlieutenants einfach durch Befehl eingeführt wurden. Hingegen hat die deutsche ›Seele‹ Jahrtausende hindurch dem vernünftigen deutschen Volke, allen seinen großen Dichtern und Denkern genügt, bis gespreizter Dünkel in der Wissenschaft und ihren Nachbargebieten die Geckennase über Seele rümpfte und Psyche lispelte.

Und noch eine kennzeichnende Kluft zwischen der Ehrerbietung der Männer der Tat vor ihrer Muttersprache – und deren schnöder Geringschätzung durch die welschende Wissenschaft: planmäßig hat die Heeresverwaltung im letzten Menschenalter das getrieben, was ein besonders anmaßender, besonders schlecht schreibender Wissenschafter ›dummen Purismus‹ genannt; sie hat viele Hunderte tiefgewurzelter fremder Fachwörter wie Terrain, Lizière, Plateau, Tête, Avantgarde, Arrièregarde, Rekognoszierung, Requisition hinausgeworfen und mühelos durch gute deutsche Ausdrücke ersetzt. Die welschende Wissenschaft dagegen hat solch deutsches Beginnen höchst mißfällig betrachtet, und zwei Professoren, Hans Delbrück und Paul Cauer, dieser sogar ein Schulrat, also ein Berater unsrer Schulverwaltung, haben sich entschieden für Terrain, gegen Gelände ins Zeug gelegt.

Daß die welschende Wissenschaft durch den Krieg nicht zum sprachlichen Deutschtum bekehrt werden wird, steht schon jetzt fest: ihre Welscherei und ihr Hohn über die dummen Verteidiger reiner Sprache sind alle diese Kriegsjahre hindurch die gleichen geblieben wie im Frieden. Hingegen unsre Feldherren! Laßt sie nur mit ihren paar Fremdwörtern, an denen als den Erbstücken ruhmvoller Jahrhunderte sie selbst unschuldig sind, im Deutschen Kriege siegen, siegen, siegen, dann werden sie im Deutschen Frieden zweifellos freudig bereit sein, immer noch reineres Deutsch zu schreiben. Ihre Fremdwörter sind keine Entschuldigung für die Schreiber, die keine Schlacht bei Tannenberg, an der Somme, bei Hermannstadt geschlagen haben, so wenig wie Goethes Fremdwörter seines Franzosenjahrhunderts eine Rechtfertigung der welschenden Germanisten sind, von denen ganz bestimmt keiner einen Götz oder einen Faust geschrieben hat oder schreiben wird. Und es gibt ein hübsches römisches Sprüchlein, so recht für die Welscher geschaffen, das anfängt: Quod licet Jovi –!

Im 70er Kriege mahnte Vischers Schartenmeyer:

Und warum die Sprach' von jenen,
Die man doch geklopft, entlehnen?
Premier-, Sekondlieutenant,
Warum das im deutschen Land?


Laßt den Zopf dem alten Fritze,
Sagt statt Tête kecklich Spitze,
Spricht sich Kette, Saum so schwer?
Braucht man Chaine und Lisière?

Alle diese von Vischer gerügte Welschbrocken sind aus dem deutschen Heere längst verschwunden; wie aber heißt das elendeste Flitterwort, auf das die deutsche Wissenschaft je freiwillig verzichtet hätte? Ihre Sprachbereicherung heißt einzig Aufplusterung der ihnen immer noch nicht genügenden Riesenfremdwörterbücher.

 


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