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»Ja,« sagte Ott Boll zu Christin-Dörthe, neben der er auf einem umgestürzten Boote ganz dicht an dem grünen Seewiesenrand hockte, »heute is ein gutes Wetter dazu.«
»Wozu meinst du woll, Ott?« forschte Christin dagegen, wobei sie mit dem groben, nackten Fuß, denn sie war eine stämmige, hochgewachsene Dirn, ihren Holzpantoffel durch das feuchte Gras ein wenig hin und her schob. »Wozu meinst du woll?«
»Je,« begann er wieder, kraute sich verlegen in den borstigen, blonden Haaren und starrte dann auf die nahen Strandsteine, zwischen denen grüngefurchte niedrige Wässerchen müde hin und her plätscherten: »Je, ich mein' zu's Verloben. So um Pfingsten rum is die beste Zeit dafür.«
»Je, willst du denn?« wunderte sie sich, indem sie ihm erstaunt ihr breites rotes Gesicht zukehrte, und dabei nestelte sie ein wenig in ihren dicken, blonden Flechten.
»Ja,« murmelte er, »ich will.«
»Ja, aberst Ott Boll,« wandte sie ein, »du hast doch – –«
»I still, Dirning, still, ich weiß all', du meinst, ich hätt' als Matros' da oben in Ölland mit 'ne Strandaufseherstochter was gehabt; aberst – –«
»So? Hast du das?« unterbrach den Sprechenden seine hochgewachsene Gefährtin und sah ihn ruhig an.
»Ja, aberst« entschuldigte sich Ott, »ob das kleine Jör danach von mir is, das wollte doch das Gericht da oben nich gelten lassen.«
»Na, denn is es ja soweit ganz gut, ich mein' bloß –«
»Halt,« rief Ott Boll und schlug mit der Faust auf den zerfressenen Kiel, »ich weiß all, du denkst, ich bin das gewesen, der Kaufmann Raßmusen seinen Laden ausgeräumt hat? Aberst Stining, hat man mich das beweisen können? Hat nicht vielmehr der öberste Richter extra zu mich gesagt: »Wir sprechen Ihnen hiermit frei, aber Sie dürfen das auch nie mehr wieder tun?«
»Ja, das weiß ich woll, Ott. Aber das nützt doch allens nicht, es steht doch nu mal fest – – «
»Was? Was? Was?« schrie Ott und wurde ganz blaß in seinem aufgeschwemmten runden, prallen Gesicht. »Ach, du denkst wohl an die dumme Geschicht' mit der Frau von Räucherer Rupps? Sieh, da hätt' ich dir doch für klüger gehalten. Kann ich da vielleicht was davor? Sie steht doch nu so in die vierziger Jahren. Und dann mit die alten Frauens! Kuck, da geh' ich ganz ruhig an die alte Räucherei vorüber, und da steht das alte Weib vor die Tür und ruft mich rein, indem sie erzählt, ihr Mann wär' nicht zu Haus, und ob ich ihr woll die Spickäl' aus'm Rauch nehmen möcht'? Nu, warum denn nich? Man is doch en hilfreicher Mensch. Ich steig' also in den Rauchfang hinein, und als mich da der Rauch so in die Augen beißt, so faßt sie mir unten an den Strumpf und sagt, da war' en Loch drin. Das wollt sie mir flicken. Nu hab' ich doch sonst auf Gottes Welt keine liebreiche Hand dazu; ich sag' also »ja«, und nachdem ich ihr die Spickäl' runtergebracht habe, setz' ich mich vor ihr hin, zieh' mir den Strumpf aus, und sie flickt. Was hatte aber der Deuwel mit mir vor? Da hatte das verfluchtige Ding, der andere Strump, auch en Loch, und zum Schluß die olle, wahnschappene, wrampige Büx, oder die Hosens, wie man feiner sagt, auch. Sollte ich mich nu vielleicht die paßliche Gelegenheit entgehen lassen? – Ne, das kann keiner verlangen. Un nu frag' ich dir, Christin-Dörthe, was kann ich nu davor, daß Madam Rupps' Mann gerade nach Hause kommt und mir so sitzen sieht? Es war en großes Unglück vor mich, un ich hab' ihm dann auch nur aus reinem Anstand und Mitgefühl für die arme Frau die zwei Vorderzähne rausgeschlagen. So, nu kennst du meine Unschuld.«
Da lachte Christin Dörthe so recht hell auf, und dann brachte sie ein wenig lauernd hervor: »Ja, Ott Boll, glaubst du denn?«
»Was? Was?« tobte der Dicke nun in vollem Zorn, »gibt's noch was? Du piekst mir aber nicht slecht. Ach so, ich weiß all. Du meinst diese olle dumme Geschicht', wie sie mir damals starr und dun vor Klaus Dudys Tür gefunden haben? Aber nu auch Klaus Dudy. Das is so'n ollen Venynschen, so'n ollen Heimlichen. Da kommt er ja grad', der oll' Sleicher, das Bollwerk entlang. Kuck, Dirn', mit Klaus Dudy darfst du dir beileib' nich einlassen, das is 'n Feinen. Hör zu. Da ruft er mir damals von seinen Fenster aus zu, ich sollt' man zu ihm rein kommen, er hätt' da 'ne ganz neue Medizin von einen ollen Schäfer bekommen, von der man lange leben sollt'. Ich kuck' mir's Ding an, was is't? – Johannisbeerwein. Kuck', Stining, und ene halbe Stunde drauf, da lag ich denn unter seinen Fenster und war tot. Und was hatte mich die Kanaille hineingegossen? Na, wat meinst du woll? Ungelöschten Spiritus. Und davon soll denn der Mensch sich nich begeben! So, aberst, Dirning, nu kennst du mir aus- und inwendig, un nu wollt' ich dir hier auf das Boot in alle Feierlichkeit befragen – –«
Allein der Schiffer kam auch dieses Mal nicht zu Ende. Denn Stien-Dörthe verbarg gar nicht ihr grobes, hellschallendes Lachen, stieß ihn vielmehr mit der Hand vor die Brust und rief laut: »Stopp, Ott, man ümmer stopp, du läßt einen ja nie zu Wort kommen. Ich glaub', du hältst das mit das Reden. Dann passen wir so wie so nicht zusammen. Und ich wollt' dich ja auch von Anfang an sagen, daß ich bereits seit einer Stund' mit Klaus Dudy verlobt bün, der da eben ankommt.«
Und damit gab sie ihm mit ihrer wuchtigen Hand einen recht tüchtigen Klaps ins Gesicht und lief unter immerwährendem Lachen in das sonnige Dorf zurück.
Ott Boll jedoch stand erst eine Weile starr. Dann schüttelte er sein gewaltiges Stierhaupt und schritt darauf stracks dem überlangen Klaus Dudy entgegen.
»Du hast dir also mit ihr verlobt?« forschte er mit gefährlicher Kürze.
»Jawoll,« versetzte Klaus Dudy behaglich und streckte in voller Besitzerherrlichkeit seine Hände in die Taschen und stand breitbeinig da. »Das hab' ich.«
»So, du Spitzbub'?« fuhr Ott mit unnatürlicher Kälte fort. »Denn nimm auch hier en lüttes Verlobungsgeschenk von mich.«
Krach, hatte er zugeschlagen, und so sausend fest und treffgewohnt mitten in das lange Gesicht des anderen, daß der glückliche Bräutigam förmlich geblendet stand, und Sonne, Mond und Steine um ihn im Kreise sprühten.
»Un nu grüß' ihr noch vielmals,« fügte der Angreifer gelassen hinzu, »und zu eurer Hochzeit da komm' ich.«
»Was?« fuchtelte der Geschlagene dagegen, während er in seinem Schmerz einen Satz in die Luft vollführte, »auch noch zur Hochzeit, du wahnschappenes Diert? Ne, das laß dich nich träumen. Ins Loch kommst du, und zwar auf vier Wochen, denn kuck', ich geh' nu gleich hin und zeig' dir an. Und vorbestraft bist du auch all.«
Und so geschah's. Ott Boll verbrachte zurückgezogene Pfingsten an einem einsamen Orte, ließ sich später anheuern und stieg in Brasilien ans Land, gerade als für Klaus Dudy und Christin-Dörthe die Hochzeitsorgel klang und der Herr Pastor Witt eine wunderschöne Rede hielt nach dem erhebenden Kirchenverse: »Wo du hingehst, da laß auch mich hingehen.«
Dann verflossen drei Jahre.
Aber siehe, an einem schönen Frühlingstage, das Meer pfiff und flog gegen die Steine, und der Schaum brandete eine fröhliche Musik, wer schritt da breit und behäbig in nagelneuer blauer Seemannsuniform und betreßter Mütze das alte Bollwerk entlang?
Kuck, das ist Ott Boll. Und er trägt seine Hände noch immer so prachtvoll in den Taschen, als wenn er Millionen darin vergraben hätte. Auf dem alten, jetzt beinahe völlig zermürbten Boote sitzt der noch viel dürrer gewordene Klaus Dudy und rückt nun ein wenig beiseite, als sein alter Nebenbuhler neben ihm Platz nimmt.
»Tag, Klaus.«
»Na, wo geht's?«
»Was, wie soll's gehen?« ruft Klaus Dudy giftig und kaut an seinen Fingernägeln herum. »Wenn du nicht so'n ollen Düsigen gewesen wärst und mußt der Dirn' all deine Schandtaten aufzählen, wer weiß, ob du ihr dann nicht zu meinem Glück bekommen hätt'st.«
»Kuck,« greinte der andere behaglich, »das is jo nett.«
Aber der junge Ehemann wurde nur noch zorniger. »Was,« schrie er, »nett? Glaubst du vielleicht, es ließ sich mit so 'ner ollen Giftigen, die so verflucht starke Knochen hat, in Güte leben? Und schuld an dem ganzen Kram bist du allein. Aberst wart', diesmal will ich mir wenigstens rächen. Ich bin dich's nämlich noch schuldig.« Und damit erhob er sich und schlug mit aller Wucht dem heimgekehrten Freunde direkt auf die Nase. »Und weißt du auch,« fuhr er fort, »warum ich dies tu? Bloß damit du jetzt hingehn kannst und mir anzeigen. Denn dann krieg' ich, wie du damals, meine vier Wochen, und bin ihr auf diese glückliche Zeit los.«
»So?« meinte Ott Boll ganz sacht und eben, während er sich mit dem roten Taschentuch den Blutkratzer abwischte. »Das meinst du woll, du Krischan Tapps! Aber dazu bist du viel zu dumm. Wo werd' ich dich denn so en feines Quartier verschaffen, das nur für anständige Leute gilt? Ne, ich zeig' dir woll an, aber du mußt mich 'ne große Entschädigungssumm' zahlen, denn du büst noch unbestraft. Bis auf Christin-Dörthe. Und das mag ja woll genug sein. Donnerwetter, es is damals doch der Heilige Geist stark über mir gewesen. Na, und nu grüß' ihr vielmals und richt' ihr aus, wenn sie mich eins meine Strümpf' flicken wollt' – sie wüßt' all, denn käm' ich. Un nu, Gott segen dir, und adschö!«