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1803-1882
Emersons Einfluß auf die europäische Kultur geht zusammen mit dem Einfluß des Amerikanismus im Handel und in der Industrie. Bis heute hat sich der Amerikaner etwas von der asketischen Kraft der Auswanderer auf der Mayflower bewahrt. Im Hintergrunde des staunenswerten Fortschritts dieser Mischnation steht die alttestamentliche Strenge der Puritaner. Spartanerart hat auch dieses Krämervolk zu einem Volk von Herrschenden erzogen. Wenn man Emerson liest, verspürt man wirklich so etwas wie Versöhnung mit der Welt, in der Kohlenpreise und Hungersnöte die Stelle der mittelalterlichen Marterwerkzeuge vertreten, Arbeiterstreike, Überschwemmungs- und Choleragefahren durch Absperrungen bekämpft werden, das Werk der Daumschrauben übernehmen und die Freiheit des Einzelnen problematischer ist als je. Indes hat Emerson, das müssen wir uns klar machen, nur gerade soviel mit dem Amerikanismus eines Roosevelt gemein wie etwa in Deutschland der Pfarrer des 18. Jahrhunderts mit dem der Gegenwart, oder wie ein Quäkerkaufmann mit einem Carnegie. So schnell leben wir.
»Ich glaube ich bin eher ein Quäker als sonst irgend etwas. Ich glaube an die kleine leise Stimme und diese Stimme ist Christus in uns.« Ich entnehme diesen Ausspruch sowie eine Reihe anderer wesentlicher Daten aus dem Leben Emersons der Biographie, die sein Sohn, der Concorder Arzt Edward Waldo Emerson, mit Hilfe der wertvollsten Quellen geschrieben hat. Sie ist in einer deutschen Übersetzung von Sophie von Harbou im Verlag von J. C.C. Bruns erschienen. So konnte Emerson noch selbst sprechen, als er im Jahre 1834 eine Zeitlang mit einigen hervorragenden Mitgliedern dieser Sekte einen regen geistigen Verkehr pflegte und in ihrem Kreise eine Reihe von Predigten hielt. Aber auch jene Quäker, mit denen Emerson in Berührung kam, waren längst nicht mehr die unduldsamen Starrköpfe des 18. Jahrhunderts, die einen falschen Begriff des Stoizismus in das protestantische Christentum einführten … Die Zeiten des Kampfes waren jetzt vorüber, Acker- und Städtebau, der Handelsverkehr mit dem Mutterland jenseits des Ozeans hatte aus den wagemutigen Helden friedliche aber zähe Kaufleute und Ackerbürger gemacht. Aus der kleinen Schar, die in ein unbekanntes Land, in eine unsichere Zukunft hinausgesegelt war, die um ihres Glaubens willen die heimatliche Scholle verlassen hatte, waren erst ruhelose Wanderer geworden. Sie mußten noch manche harte Prüfung bestehen. So in Holland, ihrem ersten Zufluchtsort. Als sie auch hier ein Fremdkörper im Staatsleben blieben, jede Mischehe als Todsünde scheuten, mußten sie wieder die Zelte abbrechen und sich von neuem dem Sturm des Meeres anvertrauen. Aus diesen verarmten Familien, die zu stolz waren, betteln zu gehen und sich lieber die Wildnis eroberten, war jetzt ein neues Volk geworden. Und nun nahm auch ihre Religion mildere Formen an. Was der Trotz Einzelner hindern kann, ringt uns die Zeit selbst wieder ab und die Zeit ist klüger als jedes andere Weib.
Der jüdisch-dogmatische Geist war unversehens einer stillen Einkehr in Gott gewichen, der sich nicht einmal in einer fernen Zeit in einem Auserwählten offenbart hat, sondern sich uns täglich in unserer eigenen Natur wie in jeder anderen rings um uns offenbar macht. Der altväterische mit der Strenge eines prügelnden Vaters zum Guten erziehende Moralimperativ war ein stilles Aufhorchen auf die innere Stimme, die Wahl zwischen Gut und Böse, der die persönliche Einsicht ganz gleichgültig ist, war ein stilles Gehorchen geworden, wo sich der Tat irgend etwas in den Weg stellte. Hier konnte Emerson sich sehr wohl heimisch fühlen.
Seine ganze Denkweise ist aus dieser inneren Befreiung von einem starren moralischen Zwange zu erklären, als die Emanzipation vom Gesetz des puritanischen neuenglischen Glaubens. So hat Jesus das Gesetz erfüllt, in dem er es auflöste.
Immer handelt es sich im Leben der Völker und der Kulturen um eine größere oder geringere Übertreibung nach irgend einer Seite, die ihre eigene Reaktion herausfordert: das Gesetz der Ausgleichungen, wie es Emerson genannt hat. Auch die Erstarrung hat verschiedene Stärkegrade, entsprechend den verschiedenen Härten der Steine, Metalle und Hölzer. Das jüdische Volk war, als Johannes und Jesus auftraten, am Ende seiner Kultur angelangt. Die Perioden der einzelnen Reaktionen hatten sich verlangsamt, die Erscheinungen Naturalismus und Klassizismus hatten sich mit jeder neuen Phase nicht nur vertieft sondern auch verschärft. Die Beständigkeiten waren gewachsen, es bedurfte eines viel größeren Kraftaufwandes, die eine oder die andere Lebensform zur Herrschaft zu bringen. Mit der Zähigkeit, die man ebensogut bei alten Kulturen wie bei alten Leuten beobachten kann, mit der Bedachtsamkeit und tiefer gegründeten Weisheit einer reichen Erfahrung wuchs die Spannung zwischen den Gegensätzen. Man kann den Naturalismus Jesu in seiner gewaltigen Wirkung auf die Nachwelt nur recht würdigen, wenn man sein Wirken als die höchste Weisheit eines sterbenden Volkes betrachtet, die nun selbst das trostloseste Schicksal, das einer so bevorzugten Kultur zuteil werden kann, göttlich zu rechtfertigen, das heißt mit den Gesetzen der Natur noch einmal in Einklang zu bringen strebt. Ich meine, das Schicksal, das Ibsen in seinem »Baumeister Solneß« und in »Wenn wir Toten erwachen« behandelt, daß die Jugend immer recht behält. Das barbarische Rom zertritt das alte Juda und dem Greise bleibt keine Weisheit als die: Tod ist Leben, du sollst deine Feinde lieben. Fürwahr, der kühnste Naturalismus, der das Sterben zur Gotteslehre erhebt, das Sterben am Kreuze für alle, die da kommen werden. Ein solches Gleichnis ist so sehr letztes aller Gleichnisse, daß es auch schon in allen jüngeren Kulturen als verschleiertes Bild vorgeahnt und sehr leicht mit Gott selbst verwechselt oder für ihn eingesetzt werden konnte.
Nun sind vielleicht die Beziehungen klar, die ich zwischen der Emanzipation eines Emerson von dem puritanischen amerikanischen Kirchendogma und der Emanzipation und zugleich Erfüllung Jesu von den Menschengesetzen (die doch immer das Leben wollen) hergestellt wissen möchte. Der Organismus Neu-England ist selbst noch so jung, daß jede Veränderung, jede Reaktion in seiner kirchlichen Anschauung nicht viel mehr bedeutet als der erste Lehrerwechsel des Abcschützen. Die alttestamentlichen Moralanschauungen der neuenglischen Puritaner können wir etwa mit jener starren Form übertriebener Ehrbegriffe vergleichen, wie sie bei Kindern, besonders bei begabten Kindern alltägliche Erscheinungen sind. Sie würden irgend ein Vorbild in ihrem Leben (Eltern), oder in der Geschichte, in die sie gerade eingeführt werden (Helden), für das letzte hinter den Dingen halten. In diesem glänzenden Vorbild vereinigen sie ihre Anschauung vom Lebensrätsel, ahnen dort hinein die Lösung aller sie beängstigenden Fragen, die parallele vollständig zu machen, suchen und finden Gott.
Aber es ist nicht das jüdische Volk zur Zeit Christi, sondern das Volk Moses mit seinen strengen Fleischgesetzen, das aus dem alten morschen Europa auswandert und das gelobte Land seiner Freiheit sucht. Wie eng, wie scharf in ihren eigenen religiösen Formeln abgegrenzt war diese Freiheit, wie sehr Familienfreiheit.
Man muß sich dieses Amerika mit seinem starken aber doch primitiven Bedürfnis nach religiösem Leben ansehen, um den Wert eines Emerson und seiner Lebensphilosophie zu ermessen. In ihm vereinigt sich nun mit einem klaren Gefühl für das Gesunde und Kräftige in seinem eignen Volk und für die wenig komplizierten Bewegungen seines Seelenlebens die Kenntnis alles dessen was reife und überreife, vergangene und noch lebende Kulturen bereits an Lebenswerten nicht nur praktisch sondern auch theoretisch dargestellt haben. Unter Kenntnis ist hier nicht allein das Wissen sondern auch die innere Erfahrung zu verstehen, und niemals das eine ohne das andere. Denn es gilt von Emerson, was Goethe von sich sagte: »Übrigens ist mir alles verhaßt, was mich bloß belehrt, ohne meine Tätigkeit zu vermehren oder unmittelbar zu beleben.«
Nicht allen Reformatoren ist es geboten mit ihrem Naturalismus, so schlicht an das anzuknüpfen, was bereits da ist. Die Form der amerikanischen Kirche in ihrem Gelöstsein vom Staate wie in ihrem Sektenwesen, der nüchterne vollkommene Sinn des praktischen Amerikaners, der sich in Meinungsstreitigkeiten nicht sonderlich erhitzt, ergaben, daß Emerson niemals ernstlichen Anfeindungen ausgesetzt war, wie sie bei uns in dem Leben schöpferischer Geister an der Tagesordnung sind. Selbst sein Rücktritt vom Pfarramt vollzog sich mit einer sachlichen Ruhe auf beiden Seiten, die man unseren Pastoren und unseren Kirchenbehörden nur wünschen kann. Er wurde später noch häufig aufgefordert, zu predigen, und selbst in der Bostoner Kirche, in der er früher amtiert hatte, betrat er noch des öfteren die Kanzel. »Es ist mir mitunter der Gedanke gekommen, daß man, um ein guter Priester zu sein, sein Predigtamt niederlegen müsse«, schrieb er damals in sein Tagebuch.
Von einem guten Menschen geht eine unsichtbare Macht aus, die alles verschönt, was in seiner Nähe atmet. So empfinden wir oft eine heftige Sehnsucht, die Stätten aufzusuchen, deren verklärte Schönheit uns in irgend einem Kunstwerk erschien. Sesenheim und das Lahntal, Tiefurt und Ilmenau sind Wallfahrtsorte einer modernen Religion. Sempach und der Rütli sind Namen, deren lockende Melodie die Abneigung gegen die Gebirgslandschaft in Deutschland in einen Alpensport gewandelt hat. Leipzigs eintönige Umgebung nimmt es an Naturreizen mit jedem Ausflugsort Deutschlands auf, seit seine welligen Hügel und schemenhaften Weidenbüsche den Geistern der großen Völkerschlacht Wohnstatt wurden, seit vor der Mühle von Probstheida das Kriegsglück eines Napoleon seinen Herrn im Stich ließ. Es gibt etwas dauernderes als den Menschen und die natürlichen Dinge, das ist die Stimmung, welche beide beseelt: ihre Natur.
Es scheint mir hier am Platze, der äußeren Lebensschicksale des Mannes Erwähnung zu tun, dem eigentlich nichts äußerliches im strengen Sinne des Wortes zustoßen konnte. Denn immer spürte er jenen verborgenen Beziehungen von Mensch und Welt nach, deren Runenschrift das Geschehen ist, wie es sich dem menschlichen Auge darbietet. Wenn wir den Frieden in Concord als die Grundnote seines Lebens erkennen, dann finden wir ihn leicht in allen seinen Werken wieder. Dieses Jasagen zu der Idylle seines Dorfes in der Nähe der Großstadt, die heiligen Empfindungen, mit denen er der weiten Natur draußen und der im Herzen jedes Menschen entgegentrat, wo anders sollte man es sich zu Hause denken, als in dieser Einsiedelei?
Ob die Vorfahren Emersons mit den ersten Auswanderern oder den ersten Nachzüglern aus Durham im nordöstlichen England in das Land der Verheißungen kamen, ist nicht mehr festzustellen. Jedenfalls liegt der erste Neuengländer der Familie Emerson, Thomas, seines Gewerbes ein Bäcker, in Ipswich begraben. Schon dessen Sohn Joseph wurde Prediger in Concord, und von nun an scheint die Gottesgelahrtheit bei den Emersons erblich zu sein. Auch der Kaufmann Eduard, Josephs Sohn, besteigt bisweilen die Kanzel. Es folgen noch drei Pastoren im Stammbaum bis zu Ralph Waldo Emerson, von denen sich Emersons Urgroßvater durch die Ehe mit des exzentrischen Father Moody Tochter, und Emersons Großvater dadurch bemerkbar machte, daß er seine Pfarrkinder in Concord mit mutigen Reden in den Befreiungskrieg schickte und auch selbst als Feldgeistlicher in diesem Feldzuge in Rütland an Malaria starb.
Emersons Vater endlich, der wie sein Großvater William hieß, vereinigte wiederum auf die glücklichste Weise das Weltliche mit dem Überweltlichen in seinem Leben und Trachten. Drei Punkte, die fast alle Biographen erwähnen, seien hier als charakterisierende Momente hervorgehoben. Er war jahrelang Herausgeber einer literarischen Zeitschrift » Monthly Anthology«, die erst mit seinem Tode (1811) einging; er schon faßte den Plan, als er noch in dem kleinen Dorfe Harward in Massachusetts (– 1799) amtierte, dort eine Kirche ohne formuliertes Kredo und Dogma zu gründen. Und endlich hebt Emersons Sohn Edward Waldo hervor: »der Humor und die liebevollen und vertraulichen Ausdrücke in den Briefen meine Vaters an seine Angehörigen und nächsten Freunde erinnern oft eigentümlich an die Briefe seines Vaters und Großvaters, welche so zwanglos und häufig so voller Witz und Scherz waren, daß sie einen auffallenden Kontrast zu dem derzeitigen Briefstil Neu-Englands bildeten.«
Bei einem solchen geistigen Erbe brauchen wir nicht erst lange nach den Einflüssen zu suchen, die in des Vaters Erziehung seiner vier Söhne William, Ralph Waldo, Edward Bliß und Robert Bulkeley weiter begründet sein könnten. Der frühe Tod des Pastors (1811) William Emerson, seit 1799 an der »ersten Kirche« in Boston, überließ zudem sehr bald die Lasten der Erziehung wie die der Ernährung der fünf lebenden Kinder der mutigen Frau Ruth, einer geborenen Haskins, und der strengen Tante Mary. Ralph Waldo war damals 7 Jahre alt und hatte noch zwei Jahre die Schreibschule der Herren Webbs in Boston zu besuchen, die er denn auch fleißig schwänzte.
Die Mutter mußte Pensionäre aufnehmen und war schließlich noch auf die Unterstützung eines Verwandten, des Dr. Ripley in Concord angewiesen. Durch Nachhilfeunterricht und als Hilfslehrer in eines anderen Onkel Ripley Schule in Boston konnten die beiden älteren Jungens ihre Mutter bald in der Unterhaltung der Familie unterstützen. Das wesentliche dieser herben Jugendjahre scheint für Ralph Waldo doch eine frühe Selbständigkeit zu sein, die nur durch den Ehrgeiz, sich auf eigene Füße zu stellen, und durch die Ermahnungen der sehr strengen und frommen Tante Mary geleitet wurde, die ihre eigene Belesenheit und alles, was sie sich selbst aus ganz ärmlichen Verhältnissen heraus an geistiger Bildung ertrotzt hatte, nun auch von ihren Neffen forderte. So war das beste vielleicht an dieser wie an jeder Erziehung das, was darin unterlassen wurde. Der eigne kleine Mensch konnte sich ungehinderter zu dem entwickeln, was die Natur durch Vererbung und Milieu mit ihm beabsichtigte. Der Freimut des Handelns geht nur zu oft da verloren, wo das sinnige vor sich Hinleben noch in die Schranken irgend eines voralterlichen Ideals oder gar einer Konvention hineingepfercht wird. Auch hier gilt: Sorget nicht für den morgenden Tag, er hat seine eigene Plage. Wo Kampf ist, ist auch Leben, und das Leben ist selbst Erziehung genug. Die hat füglich erst da einzusetzen, wo ein ungehindertes Wohlleben jeglichen Kampf ausschaltet. Dann sollte man allerdings den Kampf künstlich aufstöbern und eine Not herausfordern, um beten zu lernen.
Mit 14 Jahren bezog Ralph Waldo die Harvard-Universität und strebte im exakten Studium seinem älteren Bruder William durchaus nicht nach, vielmehr verriet er stets eine Neigung zum Eigensinn und mochte sich z. B mit der Mathematik durchaus nicht auf Freundschaftsfuß stellen. Aus seinen Briefen an den älteren Bruder William leuchtet dieser über den Lernstoff sich erhebende Humor eines selbständigen Kopfes prächtig hervor. Das hinderte ihn indes nicht, im Jahre 1821 das erste Examen glatt zu bestehen. Sogleich mußte er in der höheren Mädchenschule, die William gerade in Boston eröffnet hatte, als Hilfslehrer eintreten. Er hat sie dann bis zum Jahre 1825 allein geleitet, während William in Göttingen seine theologischen Studien fortsetzte. Er selbst hat nicht an seine Autorität als Lehrer geglaubt, die Gesetze der Ausgleichung und des individuellen Genies beschäftigten ihn schon damals. Kein Wunder, daß sie ihm interessanter waren, als der Mathematikunterricht an Backfische.
Seine theologischen Studien aber erforderten einen dritten Teil seiner Zeit und so war es nicht zu verwundern, daß er schließlich ernstlich erkrankte. Wiederholte Reisen auf das Land zu Verwandten oder in den Süden mußten jetzt seine kranken Augen und die angegriffene Lunge heilen. Die Not zwingt ihn, dann wieder eine Schule in Cambridge zu übernehmen, und als er im Jahre 1826 durch die Middlesexer Prediger-Vereinigung ohne Prüfung als »Prediger approbiert« wurde, muß er die Erfahrung machen, daß nach zwei Predigten am Tage seine Stimme in beunruhigender Weise angegriffen ist. Es war ein Glück, daß er jetzt jeden Ehrgeiz und den Zwang etwas zu erwerben so weit es irgend ging zurücksteckte. Er mietete sich ein besseres Zimmer in Divinity Hall, übte eine fröhliche Geselligkeit, die seinen Lebensmut auffrischte und nicht allzu große geistige Anstrengungen von ihm forderte. Die erste Folge davon war natürlich eine Verlobung, mit Louise Tucker, der Tochter eines Bostoner Kaufmanns. Aber auch sie war lungenleidend und starb im Februar des Jahres 1831 nach anderthalbjähriger Ehe, zu einer Zeit, als Emerson nach vielem Umherpredigen einen Ruf an die zweite Kirche in Boston angenommen hatte und ihm auch noch die Pflichten des ersten Pfarrers nach dessen Amtsaustritt übergeben waren.
Es folgen jetzt ein paar entscheidende und zugleich für Emerson schwere Jahre seines Lebens. Zunächst der innere Konflikt, der ihm jene Aufforderung an die Gemeinde diktierte, daß sie bei der Feier des heiligen Abendmahls von dem Gebrauch von Wein und Brot absehen und auf die buchstäbliche Befolgung des Kirchenritus verzichten möchte. Ich habe den Ausgang erwähnt. Diese Enttäuschungen in seiner Heimat veranlaßten die erste Europareise nach Italien, Paris, England und in erster Linie seinen Besuch bei Carlyle. Doch war sein Ruf als Prediger schon zu weit gedrungen, und es wurde ihm gleich nach seiner Rückkehr 1833 eine Predigeranstellung angeboten, so bei den Unitariern in New-Bradford. Jetzt forderte er auch, daß er das Gebet im Gottesdienst verrichten oder nicht verrichten dürfe, je nachdem der Geist des Gebetes über ihm sei oder nicht. Er hatte erfahren, daß die Leute religiöse Ermahnungen viel leichter von einem Laien annehmen als von einem Prediger, und so entschloß er sich zu dem Beruf des Wanderredners, arbeitete eine Reihe von Vorträgen aus und zog während mehrerer Monate im Jahre mit ihnen als vielbegehrter Redner durch das Land. 1834 wählte er dann Concord, zu dem die Familie schon so mannigfache Beziehungen hatte, zu seinem Wohnort. Immer hatte er gehofft, seine Brüder ebenfalls dahin zusammenführen zu können, aber der Tod seines Lieblingsbruders Edward in Portoriko zeigte denn auch hier wieder das Vorhandensein einer Macht über unseren Entschlüssen, über unseren Plänen und Erfüllungen. Der ältere Bruder William hatte ebenfalls aus inneren Bedenken heraus die theologische Laufbahn aufgegeben und war Advokat in New York. Nur Charles, der jüngste, der noch Jura studierte, traf daher mit Waldo und der Mutter in Concord zusammen. Aber auch eine alte Freundin des Hauses, die resolute Tante Mary, fand sich in diesem engeren Kreise wieder ein. Hier nahm sich Emerson vor, keine Rede zu halten, kein Gedicht oder Buch zu veröffentlichen, das nicht bis ins einzelne sein Werk ist. Seine öffentlichen Vorlesungen sollten das Resultat seiner Gedanken über Welt und Einsamkeit aus dieser fruchtbaren Einsiedelei, wie es die Zeit erfordere, hinaus in das praktische Leben tragen, um dort den anderen als Waffe gegen die geistige Verödung des Erwerbslebens zu dienen. Selten ist das Ziel eines Lebens so klar erfaßt und so unerbittlich durchgeführt worden. Hier kam alles zusammen, das zähe angelsächsische Blut, gestärkt durch die Kämpfe in der neuen Welt, die Überlieferung innerhalb dieser Pastoren-Familie und ein ernstes Studium dessen, was von Plato bis auf Goethe an positiven Lebenswertungen zusammengetragen ist.
Emerson stand (1834) zudem in der Vollkraft seines Lebens, an jenem Zeitpunkt seiner Entwicklung, wo es sich fast bei jedem von uns entscheidet, ob er nicht nur berufen sondern auch auserwählt ist, in etwas die Natur und ihre Absichten mit der Menschheit zu fördern. Es gehören zehn Jahre unermüdlicher Arbeit dazu, bis man deutlicher den Weg, auf dem man sich befindet, zu erkennen und aus eigenem Willen die Richtung weiter zu verfolgen imstande ist, sagt Balzac einmal; und es ist in der Tat merkwürdig, wie zutreffend diese Zahl für die Lehrjahre der meisten bedeutenden Menschen ist.
Auf seinen Vortragsreisen hatte er Frl. Lydia Jackson in Plymouth kennen gelernt, die ihm jetzt als Frau in das neuerworbene House an der Straße nach Boston in Concord, unweit des alten Pfarrhauses, folgte. Eine kleine Scheune und zwei Morgen Landes gehörten dazu. Sein Bruder Charles zog ebenfalls in dieses Haus mit seiner Frau, und in den ersten Jahren wurde hier von Emersons Frau und Charles sogar noch eine Schule eingerichtet. Später kam noch mehr Landbesitz am Ufer des Walden und das Birkenwäldchen dazu, eine halbe Meile vom Dorfe entfernt, von Beginn das Ziel seiner Feierstunden. Man hatte von dort einen herrlichen Ausblick auf den See und auf die Höhen und Wälder von Lincoln sowie auf den Fluß. Fast in jedem seiner Essays nehmen wir an diesen wahrhaften Erholungsstunden teil, werden wir an die kleinen Freuden und Gesundheiten des Landlebens mit seiner besten Übung unserer Sinne erinnert. Es liefert dem Autor weiter eine unerschöpfliche Fülle von Bildern und Vergleichen, wenn es ihm darauf ankommt, allgemein menschliche Lebensgesetze abzuleiten. Die wasserbespülten Wiesen von Concord, die Landarbeit sind ebenso wichtig für die Philosophie Emersons, wie der Verzicht Tolstojs auf Eigentum und sein mönchisches Leben im inneren Rußland auf dem Gute seiner Familie für diesen russischen Messias die Stärke und die Schwäche seiner Religion wird.
Hier in Concord ließ Emerson das Leben an sich vorüberfließen und bat nur zu sich herein, was ihm eine Unterhaltung wert schien. Er verließ das Dorf nur zu seinen jährlichen Vortragsreisen, die mit einer außerordentlichen Anstrengung und einer auch nach unseren Begriffen ermüdenden Reisehast verbunden waren. Noch einmal zog ihn das Bedürfnis, das soziale Gebäude der alten Welt aus eigener Anschauung kennen zu lernen, nach Europa (1847). Noch einmal führte ihn der Kampf um die Sklavenbefreiung in die lautere politische Öffentlichkeit. Er trat in Versammlungen auf, deren Verlauf schon von vornherein durch die johlende Masse bestimmt war, und sprach tapfer gegen den Aufruhr an, aber vergebens. Er begrüßte den Krieg als eine gerechte Sache, doch führten ihn schon damals seine stillen Gedanken abseits vom Streit des Tages, zu den großen Linien des reicheren Innenlebens.
Hierzu verhalf ihm der nahe und ferne Freundeskreis und jede Lebensregung, die von ihnen ausgeht, beschäftigt ihn als Denker eingehend. Allcott, Thoreau und Ellery Channing werden seine intimsten Freunde, wie ihm in der ersten Zeit in Concord der alte Pfarrer Dr. Ripley ein treuer Berater und seine Predigt eine oft gesuchte Anregung war. Aber auch sonst fand bei ihm Unterkunft, wer nur irgend durch seelisches Leiden oder unter der Last einer nicht alltäglichen und gangbaren Weltanschauung Rat und Hilfe suchte. So war das einsame Haus an der Bostoner Straße nie vereinsamt, wenigstens fanden alle bedeutenden Geister der Zeit ihren Weg nach Concord zu den Denker, der sie mit offenen Armen erwartete und sie nicht eher wieder ziehen ließ, als bis er sie mit seinem eigenen Geiste bewirtet und um die Erfahrungen eines fern vom Alltagsgetriebe zwischen Tann und Moos lebenden Weisen reicher gemacht hatte.
Wenn man erwähnt, daß er 1867 zum Doktor der Harvard-Universität ernannt wurde, daß der Neunundsechzigjährige zu seiner Erholung eine dritte Reise nach Europa unternimmt, um dann noch volle zehn Jahre seine gewohnte Arbeit zu verrichten, ja sie bis zuletzt mit dem Aufwand aller Kräfte durchzuführen bemüht ist, dann sind die äußeren Schicksale dieses seltenen Mannes erschöpft, der, ohne den Kampf zu fürchten, doch von Natur aus immer den Frieden und die gute Hoffnung, das Jasagen und die stille innere Lebensfreude mit unwiderstehlicher Zauberkraft an sich zu ziehen und mitzuteilen wußte. Schon im Juli 1872, noch vor seiner letzten Europareise, litt er unter einer heftigen Erkrankung. Er und seine Frau hatten sich aus ihrem brennenden Hause nur spärlich bekleidet in den Regen hinausretten müssen, und es waren weitere körperliche Anstrengungen bei der Bergung des nötigsten Hab und Gut gefolgt. Ein starker Fieberanfall war die Folge.
Eine Reihe außerordentlicher Ehrungen, Rektoratsangebot, Ernennung zum Mitglied der französischen Akademie (1876), krönten das Werk des Philosophen von Concord noch bei Lebzeiten. Es ist, als dürfte hier nichts unvollendet bleiben. Er fand Zeit, die Gesamtausgabe seiner Schriften zu ordnen und sein Hauswesen zu bestellen. Da stellte sich noch einmal das alte Leiden, die Lungenentzündung ein. »Augenscheinlich glaubte er selbst zu sterben,« schreibt sein Sohn, ein Augenzeuge und treuer Pfleger neben der Mutter. »Er strengte sich aufs äußerste an, noch ein oder das andere Wort der Ermahnung an seine Kinder zu richten. – Am letzten Tage sah er einzelne Freunde und nahm Abschied von ihnen. Schmerzen hatte er nur zu allerletzt, und auch diese linderte eine Äthereinspritzung, unter deren besänftigendem Einfluß er in einen ruhigen Schlaf fiel, währenddessen er leise und sanft die letzten Atemzüge tat. Er starb am Abend des 27. April 1882.«
Wir haben gesehen, wie Emerson aus den Traditionen eines Landes, aus dem Geiste einer in ihrer Anschauungswelt ziemlich genau zu verfolgenden Familie, ja aus dem Wesen einer bestimmten Landschaft heraus erklärt werden kann. Er selbst sagt einmal, daß sich der Grieche eine andere Vorstellung von Dämonen und Naturgöttern machen mußte, als ein Dichter, der durch die Fichtenwälder von Massachusetts wandert, mit den vom Sturm ausgerissenen Wurzelriesen und knorrigen Urwaldgnomen, die ihn rings aus dem verworrenen Baumgewächs anstieren. Und an einer anderen Stelle: »Alle meine Gedanken sind Kinder des Waldes.« – Wir verfolgten die wurzeln seiner Kraft im Wesen jener Puritaner, die über das Meer schifften, in Wäldern unter wilden Tieren und wilden Menschen ihre Wohnung aufschlugen, weil sie nicht die Sünde begehen wollten, in dem Hause Gottes sich einem einzigen Gebrauch zu unterwerfen, von dem sie glaubten, daß er ihm mißfällig sei, und wir konnten auch wahrnehmen, eine wie neue Bedeutung dieser religiöse Ernst für Emerson in der neuen Verfassung seines Landes erhielt, zu einer Zeit, da es der große englische Staatsmann Macauly als »die reiche und erleuchtete Republik« bezeichnet, und dem englischen Parlament die Volkserziehung in Massachusetts als Musterbeispiel vorhält. Was seine Philosophie aber auch für uns wertvoll macht, was ihn ebenso sehr zum Prediger in der alten Welt, wie zum Redner in der neuen befähigt, dessen Worte niemand überhören darf, der recht in unsere Welt hineinlauschen will, ist vielleicht nicht ohne weiteres ersichtlich.
Emerson scheint mir gerade im gegenwärtigen Stand der deutschen Kultur einer der wenigen Lehrer, die nicht eifrig genug gelesen werden können, deren Weltanschauung für so vieles, das dem deutschen Gemüt unüberbrückbare Schwierigkeiten zu bieten scheint, eine einfache, ja die einfachste Lösung weiß, wir haben bei unseren Nachbarn mit einem ziemlichen Schein des Rechts gerade so viel durch unsere theoretische Methode in den Wissenschaften an Achtung eingebüßt, als früher diese von den Dingen sich entfernende Methode der deutschen Hochschule an Weltruhm eintrug. Man glaubt nicht mehr an eine Art unpersönlichen Wissens und hat eingesehen, wie sehr vielmehr jede Entdeckung eine künstlerische Tat ist. Der Gelehrte als solcher ist in der Vorstellung der modernen Welt wieder zum Sammler und Registrator geworden, eine Unterscheidung, die man übrigens schon im 18. Jahrhundert einmal ziemlich streng an den Hochschulen durchgeführt hatte. Ja wir müssen selbst den Weg von der wissenschaftlichen Kultur, die immer eine rationalistische ist, zur künstlerischen finden, wenn wir zu den Fragen der Gegenwart nicht eine ganz falsche Haltung einnehmen wollen, die uns von dem Ziele nur noch weiter entfernt.
»Ich war niemals ein Metaphysiker, aber ich habe jahrelang das Ineinandergreifen meiner Fähigkeiten beobachtet und ausgezeichnet, und weiß, daß kein Metaphysiker sich ohne das behelfen kann, was ich zu sagen habe.« Das sind Emersons Worte, als man ihn im Jahre l869 aufforderte, an der Harvard-Universität Vorlesungen zu halten, wieder einmal sind es die Zusammenhänge, die Fäden der Schicksale und Dinge ineinander spinnenden Natur, auf die uns das Genie aufmerksam macht, im Gegensatz zu jenen fruchtlosen versuchen der Wissenschaft die Natur selbst, das Letzte hinter den Dingen und ihrem Entstehen und vergehen, in eine Formel zu bringen. Es wird noch lange dauern, bis als allgemeine grundlegende Wahrheit nicht mehr eine theoretisch gefundene von der Erscheinungswelt abstrahierte Form – in seiner reinlichsten Abart das wissenschaftliche Schema – sondern der lebendige fließende Inhalt der Geschehnisse erkannt wird. Ich meine den Inhalt, dessen Eigenschaft in so hohem Grade fließend, ja flüchtig und alles wie eine unsichtbare Welle zu durchdringen scheint, daß es im gegenwärtigen Augenblick ebenso stark in Amerika wie in einer kleinen deutschen Provinzstadt zu spüren ist. Zwar gehört immer so etwas wie höhere Intuition oder Genie dazu, diesen Inhalt als einen Lebensfaktor in sich selbst zu erkennen, Dinge, die in unserem rationalistischen Wissenschaftsbetrieb nicht allzuhäufig angetroffen werden. Erst als Zeitstimmung und als künstlerische Stimmung macht sich dieser Inhalt weiteren Kreisen bemerkbar, man sieht, er hat etwas Aristokratisches in seiner Art.
Auch Emerson war davon überzeugt, daß die Götter am besten tun, den Geschöpfen gegenüber eine gewisse Distanz zu wahren, und sich nicht in ihren Meinungsstreit hineinzumischen. Sie nutzen im Gegenteil die Feuerkraft solcher Reibungen für ihre höheren Ziele aus und danken es ihnen, indem sie den zu erhören versprechen, »wer immer strebend sich bemüht«. Es war ihm wertvoller, in dem blöden Menschen der Dorfstraße einen Lebensinhalt als in den großen Geschehnissen der Weltgeschichte eine gemeinsame Form entdeckt zu haben. Denn es ist ganz etwas anderes, die Gewißheit von der einheitlichen Kraft zu haben, die allem zugrunde liegt, und etwas anderes, diese Gewißheit mit Menschenwerten abstecken zu wollen. Man kann nur sagen, hier ist sie, hier verspüre ich sie, im besten Falle hier fängt sie für uns an, aber zu bestimmen, wo sie aufhört, müssen wir höheren Wesen überlassen.
Allein aus diesem Glauben an die Natur und an Gott in der Natur und in diesem Wissen um die Fähigkeiten des Menschen innerhalb der Allweisheit, aber auch um die Grenzen der Menschenarbeit ist Emersons Lebenswerk zu verstehen. Wenn man einmal diesen Kernpunkt seiner Philosophie, seine Mahnung zur Fröhlichkeit in Gott und zur Weisheit in der Welt erkannt hat, dann erhalten seine Worte Flügel, die den Sinn des Einzelfalles zu seinem Ewigkeitswert erheben. Hier liegt denn auch der grundlegende Unterschied einer künstlerischen von einer wissenschaftlichen Weltanschauung und in gewissem Sinne noch einer ästhetischen von einer ethischen Kultur. Die Kultur der Griechen war eine ästhetische. Sie bildete sich nicht ein, das Volk durch etwas anderes als durch die Ausbildung der Sinne, durch die Ausbildung zur rechten Wahrnehmungsfähigkeit erziehen zu können, während die kirchlich-christliche so gut wie die wissenschaftliche Moral der Vielheit des wirklichen wertvollen Lebens um einer erdachten und konstruierten höchsten Form willen den Krieg erklärt, sie ableugnet und durch einen falschen Altruismus in der Vorstellungswelt des Einzelwesens ertötet.
Emerson hat den Skeptizismus Montaignes und die Mystik Swedenborgs, er hat Plato und Hume auf das eifrigste studiert und man sieht sehr wohl bald den einen bald den anderen dieser Gegensätze in seinen Gedanken mitwirken. Aber der Wunsch, den jedes wissenschaftliche Buch wie jeder schlechte Schriftsteller erweckt, und der Verdruß bleibt einem erspart: warum hast du nicht selbst die Quellen aufgesucht, aus denen hier geschöpft ist. Selbst da, wo Emerson Goethe mißversteht, bereut man es nicht ihm gefolgt zu sein. Alles, was er sagt, kommt aus einem einheitlich schaffenden Organismus und ist durch eine Welt hindurchgeführt, die sich alle Stoffe durch einen geistigen Verbrennungsprozeß zu eigen gemacht hat.
Ja, es muß uns immer wieder in Erstaunen setzen, wie Emerson die großen Weisheiten der alten Welt seinen neuenglischen Beziehungen und Erfahrungen anpaßt, als haben sie alle nur existiert, um das Gedeihen gerade eines solchen Geistes und Predigers des Modernen zu sichern, um die Existenz eines starken entwicklungsfähigen Volksstammes zu rechtfertigen. Dieses Volk denkt noch nicht daran, sich ausschließlich mit den schönen Wissenschaften und der besten Lebensführung zu beschäftigen, sondern es kämpft in allererster Linie um sein kaufmännisches Erwerbsleben, das ihm den Komfort für ein gediegenes Innenleben, die klingende Berechtigung für ein stolzes Selbstvertrauen nach außen hin verschafft. Fürwahr, von dieser volklichen Gesundheit, gepaart mit künstlerischer Unbefangenheit fehlt uns noch viel.
Emersons Rede ist von jener einschmeichelnden Art, die uns bald in ihren Bann tut. Denn er verstand es, die Menschen und die Ereignisse zu belauschen, »er begrüßte die leiseste Andeutung eines Talentes, einer Begabung, eines guten Charakters, die er irgendwo in irgend jemand entdeckte oder zu entdecken glaubte«, sagt sein Jugendfreund Dr. Furneß. Und dieses feine Aufhorchen auf alles, was das Leben bejaht, charakterisiert auch seine Schriften, jener unverwüstliche Optimismus, der nicht Leichtgläubigkeit, sondern das Resultat eines beschaulichen Skeptizismus ist: »Ich mache alles unsicher, wenn ich meinen eigenen Gedanken und Grillen folge, so will ich den Leser daran erinnern, daß ich nur ein Versuchmacher bin.« Und ein anderes Mal: »Ich habe das Wesen der Natur an einigen ihrer Teilerscheinungen erläutert; so können wir die Richtung des Lebensstromes verfolgen. Doch dieser Strom ist Blut; jeder Tropfen ist lebendig. Die Wahrheit kennt nicht vereinzelte Siege; alle Erscheinungen sind ihr untertan, – nicht nur Staub und Stein, sondern auch Irrtum und Lüge.«
Auch Plato sagt von sich, daß er das Trennen und das Verbinden liebe, ja erst dann sei er imstande zu denken und zu reden, wenn er zugleich löse und binde. Und das ist das Eigentümliche an Emerson: er wird niemals das eine ohne das andere tun. Wenn ihn ein Schlagschatten des Lebens von seiner trostlosen Dunkelheit überzeugt hat, so betont er im nächsten Satze, daß jeder Schatten das Dasein der Sonne beweist. Er mußte sich hüten, allzuempfindsam zu werden, wo die Erscheinungen auf ihn einstürmten und er nichts an den Dingen zu übersehen vermochte. Er hatte alle Anlage dazu »ein armer exzentrischer Mensch mit struppigem Bart oder irgendwelcher Lieblingsverrücktheit im Hirn« zu werden. Aber seine Seele blieb gesund und fröhlich, weil sie »voll Sonnenschein und Gastlichkeit war« und sein Begreifen größer noch als ihr Erleiden, ihr Leben reicher durch den Reichtum der Welt, wo immer er sich an ihm erfreuen konnte. Es war kein Zufall, daß er das Thema seiner ersten Predigt einem Tagelöhner abgelauscht, der die Bemerkung machte, daß das Leben des Menschen ein fortwährendes Gebet sei und daß jedes Gebet seine Erhörung in sich trüge. Es wurde das Thema aller seiner Bücher.
Ich habe bisher noch gar nicht von der Freundschaft Emerson-Carlyle gesprochen. In der Tat gehen hier die Meinungen am weitesten auseinander. Sicher scheint mir, daß diese beiden Forscher, so nahe sie sich in den Resultaten ihres Denkens standen, im Leben selbst so weit voneinander entfernt waren, und zwar nicht nur räumlich, daß ein Erfahrungsaustausch, so wie ihn Emerson anfangs beabsichtigte, unmöglich wurde, überall, wo Emerson im alltäglichen Leben ja im Vegetieren helles Sonnenlicht sah, zeigte sich Carlyle die Welt widerspenstig und mit Leiden und Klagen überhäuft: ein Gefängnis oder ein Lazarett. Befreiung und Schönheit drängte sich für Carlyle in alles das zusammen, was er sich erarbeitete. Er hatte ein großes Maß ständiger Verbitterung zu überwinden, um zu einem einigermaßen gerechten Urteil zu gelangen. Emerson dagegen brauchte sich nur umzuschauen, nur zur Haustür seines friedlichen Heims herauszutreten, und es lachte ihm die Au. Er hatte im Gegenteil allen Scharfsinn seines kritischen Wesens aufzuwenden, diese Harmonie dem Unglück gegenüber zu rechtfertigen, das er als Forscher nicht übersehen durfte. Es ist leicht erklärlich, daß Emerson Carlyle sehr wohl verstand, auch nachdem sich ihm jene Grundverschiedenheit offenbart hatte, während Carlyle bis an sein Lebensende seinem Concorder Freunde jene naive Lebensfreudigkeit und -leichtigkeit nicht verzeihen konnte. Es ging ihm mit Emerson wie es lange Zeit Schiller Goethe gegenüber ergangen sein mag: der vom Schicksal Verfolgte glaubt nicht an die Weisheit des Glücklichen. Auch konnte der aristokratisch empfindende Carlyle im Grund Emerson seine Freundschaften nicht verzeihen, denn er konnte aus der Ferne nicht übersehen, wie viel Emerson etwa von Thoreau und umgekehrt Thoreau von Emerson beeinflußt, wie wenig überhaupt Emerson seiner Gastlichkeit zum Opfer wurde, wie wenig er »an all dem Wahnwitz teilhatte, dem er gern eine Zuflucht bot«. Nichts konnte Emerson selbst aber in dem starken Gefühl erschüttern, daß ein gemeinsames Einverständnis zwischen allen Menschen besteht und indem er dieses Bewußtsein mystisch oder wirklich überall in die Tat umzusetzen bemüht war, machte er sein Leben in gleichem Sinne wie sein Lebenswerk zu einem Markstein des menschlichen Geistes.
Das Geistesleben des zwanzigsten Jahrhunderts ist in seinem Gedeihen davon abhängig, wie weit es diese religiöse Weltanschauung, die zugleich die künstlerische und natürliche ist, sich zu eigen macht und mit ihr als Grundlage einer neuen Einheitskultur allem Oberflächenwissen und -leben entgegenarbeitet. Jedes Streben, das nicht seine Quellen in der Natur aufsucht, muß versiegen, wir müssen wieder erkennen, daß erst die Allnatur dem einzelnen Geschehen seinen Wert gibt und da wir uns im Labyrinth eines kleinlichen Menschengetriebes verstrickt haben, können wir nicht ohne Anleitung zu dem Sinn unserer Arbeit zurückkehren. Wir brauchen heilige Männer, die selbst die Wüste der Einsamkeit haben ertragen lernen, bis sich ihnen Gott offenbarte. Es klingt wie ein wunderbares altes Märchen, was sie von uns, der Menschen Leiden und Verirrungen erzählen, fast unglaublich. Aber dann merken wir eines Tages, nachdem wir gegen uns selbst kritischer geworden sind, daß unser ganzes Leben eigentlich eine solche Kette von Verirrungen gegen das einfach Natürliche ist und alle unsere Leiden eine Folge unseres unnatürlichen Empfindens sind. Welche neue Welt geht uns da auf. Und ein Stück weiter noch auf diesem Wege, so begegnen wir der großen Einheit in unserem Ich: unserer Wahrnehmung. Wir haben schauen gelernt, vor dieser Sonne versinkt alles, was seine gespenstigen Schatten über unseren Weg streckte. Wir erkennen alles gleichsam zum zweitenmal, so recht für uns, und sehen auch unsere Gedanken in einem ganz neuen Zusammenhang, in ihrer Abhängigkeit von der in uns wirksamen Allnatur. Wir entdecken mit Emerson, daß »unser Denken eine heilige Wahrnehmung ist«.