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Swedenborg oder der Mystiker

Die hervorragenden Persönlichkeiten, welche den Menschen am teuersten sind, gehören nicht zur Klasse, die der Nationalökonom im prägnanten Sinn »produktiv« nennt; es sind Leute, die nichts in den Händen haben; sie haben nie Korn gepflanzt, noch Brot gebacken, sie haben keine Kolonie gegründet und keinen Webstuhl erfunden. Einen höheren Rang in der Achtung und Liebe dieser städtebauenden, märktebesuchenden Menschenrasse nehmen die Dichter ein, die aus ihrem geistigen Königreiche Geist und Phantasie mit Ideen und Bildern nähren, welche die Menschen über diese Welt von Geld und Brot emporheben und sie über die Mißerfolge des Tages und die Gemeinheiten ihrer Arbeiten und ihres Handels trösten. Nach diesen hat auch der Philosoph seinen Wert, der dem Verstande des Arbeiters schmeichelt, indem er ihn mit subtilen Dingen beschäftigt, die neue Fähigkeiten in ihm entwickeln. Andere mögen Städte bauen, seine Sache ist's, dieselben zu verstehen und die Ehrfurcht in ihnen zu erhalten. Aber es giebt noch eine andere Gattung von Menschen, die uns in ein anderes Gebiet führen, – in die Welt der Ethik oder des Willens. Was an diesem Gebiete des Geistes eigentümlich ist, das ist der Anspruch, den es stellt. Wo immer das Rechtsgefühl auftritt, nimmt es den Vortritt vor allen anderen Empfindungen. Aus allen anderen Dingen kann ich Poesie machen, aber das sittliche Gefühl macht Poesie aus mir.

Ich habe manchmal gedacht, daß derjenige der modernen Kritik den größten Dienst erweisen würde, der die Verbindungslinie ziehen würde, die von Shakespeare zu Swedenborg führt. Der menschliche Geist ist stets in großer Verlegenheit: er verlangt Geist und er verlangt Heiligkeit und mag eines nicht ohne das andere leiden. Aber der Versöhner ist noch nicht erschienen. Wenn wir der Heiligen müde werden, ist Shakespeare unsere Zuflucht. Sogleich aber lehren uns die Instinkte selbst, daß das Problem des Seins vor allen anderen den Vortritt haben muß, – daß die Fragen Woher? Was? und Wohin? die tiefsten sind und daß die Lösung derselben in einem Leben und nicht in einem Buche zu finden sein könne. Ein Drama oder ein Poem ist nur eine approximative und indirekte Antwort, aber Moses, Menu und Jesus beschäftigen sich unmittelbar mit dem Problem. Die Atmosphäre des sittlichen Gesichts ist eine Region der Erhabenheit, in der alle materielle Pracht zum Spielzeug wird, und die dennoch dem armseligsten mit Vernunft begabten Wesen die Pforten des Alls eröffnet. Beinahe mit wilder Hast tritt es seine Herrschaft über den Menschen an. In der Sprache des Korans heißt es: »Gott sprach: Den Himmel und die Erde und alles, was zwischen ihnen ist, glaubt ihr, daß wir es zum Scherze geschaffen, und daß ihr nicht zu uns zurückkehren werdet?« Es ist das Königreich des Willens, und da es den Willen inspiriert, der der Sitz der Persönlichkeit ist, scheint es das Universum in eine Person zu verwandeln.

»Die Reiche all des Seins, sie neigen dir sich zu.
Sind nicht nur alle dein, vielmehr sind alle Du!«

Alle Menschen sind dem Gebot des Heiligen unterworfen. Der Koran unterscheidet scharf die Klasse jener, die von Natur aus gut sind und deren Güte auf andere Einfluß hat, und nennt diese das Ziel der Schöpfung, alle anderen Menschenklassen sind zum Feste des Daseins nur als im Gefolge des Zuges der ersteren zugelassen. Und der persische Dichter ruft einer Seele von solcher Art zu:

»Geh kühn einher und feiere das Fest des Daseins,
Du bist berufen – die andern mit dir geduldet!«

Das Privilegium dieser Klasse ist, in die Geheimnisse und den Bau der Natur durch eine höhere Methode einzudringen, als die Erfahrung ist. Die Araber erzählen, daß Abul Khain der Mystiker und Abu Ali Sina der Philosoph miteinander konferierten; und beim Fortgehen sagte der Philosoph: »Alles was er schaut, das weiß ich,« und der Mystiker sagte: »Alles was er weiß, das schaue ich.« Wenn einer nach dem Grunde dieser Intuition fragen würde, so würde die Lösung uns zu jener Eigenschaft führen, die Plato als »Erinnerung« bezeichnete, und welche in der Lehre der Brahminen von der Seelenwanderung mit enthalten ist. Da die Seele zu wiederholten Malen geboren worden, oder, wie die Hindu sagen »den Pfad des Daseins durch Tausende von Geburten wandelt«, da sie die Dinge gesehen hat, die hienieden, jene, die im Himmel und die, die im Abgrund sind, so giebt es nichts, von dem sie keine Kenntnis erlangt hat, und es ist daher kein Wunder, wenn sie bei irgend einem Dinge sich dessen zu erinnern imstande ist, was sie vorher davon gewußt. »Denn da alle Dinge in der Natur verkettet sind und in mannigfacher Beziehung zu einander stehen, und da die Seele schon ehedem alles gekannt hat, so liegt kein Hindernis vor, daß ein Mann, der ein Ding einmal sich in den Geist zurückgerufen, oder, wie die gewöhnliche Redensart lautet, einmal gelernt hat, von selbst all sein früheres Wissen wiedergewinne und alles Fehlende entdecke, wenn er nur Mut genug hat und nicht in der Mitte seiner Forschungen erlahmt. Denn Forschung und Lernen sind beides nur Erinnerung. Wie viel mehr nun, wenn der Forschende eine heilige und gottähnliche Seele ist! Denn eine Menschenseele, die der Urseele ähnlich geworden, durch welche und nach welcher alle Dinge existieren, strömt leicht in alle Dinge, und alle Dinge strömen in sie; so mischen sie sich, und sie gewinnt durch Gegenwart und Mitgefühl die Erkenntnis des Aufbaues und des Gesetzes der Dinge.

Dieser Pfad ist schwer, geheim und von Schrecken umgeben. Die Alten nannten ihn Ekstase oder Geistesabwesenheit, ein Heraustreten aus dem Leibe, um zu denken. In der Geschichte aller Religionen finden sich Spuren von der Verzückung der Heiligen – von einer Seligkeit, der jedes äußere Zeichen von Freude fehlt, die ernst, einsam, beinahe traurig ist, »die Flucht des Einsamen zum Einsamen« nannte sie Plotinus. »Μυεσις« das Schließen der Augen – davon unser Wort: Mystik. Die Verzückungen des Sokrates, des Plotinus, Porphyrius, Behmen, Bunyan, Fox, Pascal, Guion und Swedenborg werden uns sogleich erinnerlich. Aber was uns ebenso erinnerlich und auffällig wird, das ist die Begleiterscheinung dieser Verzückungen: die Krankheit. Diese Seligkeit kommt in Schrecken und mit furchtbaren Erschütterungen für den Geist, der sie empfängt. »Sie überfüllet dies Gefäß von Lehm« und treibt den Mann zum Wahnsinn, oder giebt ihm eine gewisse gewaltsame Richtung, die die Urteilskraft schädigt. In den hervorragendsten Beispielen religiöser Erleuchtung zeigt sich eine krankhafte Beimischung, trotz der unzweifelhaften Steigerung der geistigen Kräfte. Muß das höchste Gut eine Eigenschaft nach sich ziehen, welche es neutralisiert und entwertet?

»Jawohl, es nimmt
Von unsern Leistungen, wenn höchst gesteigert,
Das Mark mit sich von unsrer besten Kraft.«

Wir dürfen vielleicht sagen, daß die sparsame Mutter so viel Erde und so viel Feuer mit bestimmtem Maß und Gewicht ausgiebt, um einen Menschen zu schaffen und nicht ein Quentchen zulegt und sollte darüber eine ganze Nation aus Mangel an einem Führer zu Grunde gehen. Darum erkauften die Männer Gottes ihr Wissen mit Narrheit oder Leid. Wenn du reine Kohle, den Diamant oder Karfunkel haben willst, um das Hirn transparent zu machen, so werden Rumpf und Organe um so größer werden, statt aus Porzellan sind sie aus Töpfererde, Lehm oder Kot.

In neuerer Zeit ist kein so merkwürdiger Fall dieses in sich gekehrten Geistes vorgekommen wie bei Emanuel Swedenborg, der im Jahre 1688 zu Stockholm geboren wurde. Dieser Mann, der seinen Zeitgenossen als ein Visionär, als ein Elixir von Mondstrahlen erschien, führte ohne Zweifel das realste Leben, das ein Mensch auf Erden führen kann, und heute, wo all die königlichen und herzoglichen Friedrichs, Christians und Braunschweigs jener Tage in Vergessen geraten sind, beginnt er sich in den Geistern von Tausenden auszubreiten. Wie es bei großen Männern der Fall zu sein pflegt, so schien auch er durch die Vielfältigkeit und Vollendung seiner Fähigkeiten eine Zusammensetzung von mehreren Personen zu sein, – gleich den Riesenfrüchten, die durch die Vereinigung von vier oder fünf einzelnen Blüten in Gärten gezeitigt werden. Sein Bau ist nach größeren Maßen eingerichtet und hat die Vorteile eines gewaltigen Umfangs. Und so wie es leichter ist, das Spiegelbild der Himmelssphäre in großen Kugeln zu sehen, auch wenn sie durch einen Sprung oder Schaden entstellt sein sollten, als in Wassertropfen, so nützen uns Menschen von mächtigem Kaliber wie Pascal oder Newton, auch wenn sie mit irgend einer Excentricität oder Narrheit behaftet sind, mehr als mittelmäßige Geister, die im Gleichgewichte sind.

Seine Jugend und Erziehung konnten nicht anders als ungewöhnlich sein. Solch ein Knabe konnte nicht pfeifen oder springen, sondern geht graben in Berge und Schachte und wirft spähende Blicke in die Chemie, Optik, Physiologie, Mathematik und Astronomie, um Bilder zu finden, die in das Maß seines vielseitigen und umfassenden Hirnes passen. Er war ein Gelehrter schon als Kind und wurde zu Upsala erzogen. Im Alter von achtundzwanzig Jahren wurde er von Karl dem Zwölften zum Assessor des Bergrates ernannt. Im J. 1716 verließ er seine Heimat für vier Jahre und besuchte die Universitäten in England, Holland, Frankreich und Deutschland. Er vollbrachte eine bemerkenswerte Leistung als Ingenieur bei der Belagerung von Fredericshall im Jahre 1718, indem er zwei Galeeren, fünf Boote und eine Schaluppe im königlichen Dienst etwa vierzehn englische Meilen weit über Land schaffte. Im Jahre 1721 bereiste er Europa, um Bergwerke und Schmelzöfen zu untersuchen. 1716 gab er seinen Daedalus Hyperboreus heraus und beschäftigte sich während der folgenden dreißig Jahre mit der Abfassung und Herausgabe seiner wissenschaftlichen Werke. Mit der gleichen Heftigkeit warf er sich auf die Theologie. Im Jahre 1743, als er vierundfünfzig Jahre alt war, begann, was man seine Erleuchtung nennt. All seine Metall- und Hüttenkunde, seine Schiffstransporte über Land wurden von dieser Ekstase verschlungen. Er hörte gänzlich auf, wissenschaftliche Bücher zu veröffentlichen, zog sich von seiner praktischen Thätigkeit zurück und widmete sich völlig dem Schreiben und Herausgeben seiner umfangreichen theologischen Werke, die teils auf seine Kosten, teils auf die des Herzogs von Braunschweig oder anderer Fürsten zu Dresden, Leipzig, London oder Amsterdam gedruckt wurden. Später legte er auch sein Amt als Assessor nieder; der Gehalt, der mit diesem Amt verbunden war, wurde ihm jedoch, so lange er lebte, fortbezahlt. Seine Amtspflichten hatten ihn in intimen Verkehr mit König Karl dem Zwölften gebracht, der ihn auszeichnete und oft seinen Rat einholte. In gleicher Gunst stand er bei dem Nachfolger des Königs. Beim Reichstag von 1751, sagt Graf Hopken, waren die brauchbarsten finanziellen Memoranda aus seiner Feder. In Schweden scheint er viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt zu haben. Sein ungewöhnliches Wissen, seine praktischen Fähigkeiten und Leistungen, und hierzu noch der Ruf des zweiten Gesichts und außerordentlicher religiöser Kenntnisse und Gaben führte Königinnen, Edelleute, Geistliche, Schiffsherren und alle Arten von Leuten in den Hafenstädten, durch die er auf seinen vielen Reisen kam, zu ihm. Der Klerus sträubte sich hier und da gegen die Einfuhr und Veröffentlichung seiner religiösen Schriften, aber er scheint sich die Freundschaft der Mächtigen erhalten zu haben. Er blieb unverheiratet. Sein Betragen war ungemein bescheiden und liebenswürdig. Seine Gewohnheiten waren einfach; er lebte von Milch, Brot und Pflanzenkost; er wohnte in einem Hause, das in einem weiten Garten lag; er kam mehrmals nach England, wo er die Aufmerksamkeit der Gelehrten und Vornehmen in keiner Weise auf sich gezogen zu haben scheint, und starb zu London am 29. März 1772 vom Schlage getroffen in seinem fünfundachtzigsten Jahre. Er wird uns während seines Aufenthaltes in London als ein Mann von ruhigen geistlichen Gewohnheiten geschildert, der Thee und Kaffee gern trank und freundlich gegen Kinder war. Er trug einen Degen zu seinem sammetnen Gala-Anzug und führte, so oft er ausging, einen Stock mit goldenem Knopf mit sich. Es existiert ein ziemlich gewöhnliches Portrait von ihm in altertümlichem Anzug und Perücke, aber das Gesicht hat einen schwärmerischen oder geistesabwesenden Ausdruck.

Der Genius, der das Wissen seines Zeitalters mit einem weit feineren, subtileren Wissen durchdringen sollte, der die Grenzen von Raum und Zeit überschreiten, in die Nebelregionen des Geisterreiches eindringen und eine neue Religion in der Welt zu errichten versuchen sollte, begann seine Studien in Steinbrüchen und Schmiedewertstätten, bei Schmelztiegeln und Retorten, in Schiffswerften und Seciersälen. Es giebt vielleicht keinen Menschen, der imstande wäre, über den Wert aller seiner Arbeiten zu urteilen, so mannigfach sind die Gegenstände derselben. Man freut sich zu erfahren, daß seine Bücher über Metalle und Bergwerke von den Sachverständigen als höchst wertvoll betrachtet werden. Es scheint, daß er vieles anticipierte, was erst die Wissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts klarlegte, daß er in der Astronomie die Entdeckung des siebenten Planeten anticipierte, aber leider nicht auch die des achten; daß er die Anschauung der modernen Astronomie in Bezug auf die Entstehung der Erden aus der Sonne anticipierte, desgleichen im Magnetismus einige wichtige Experimente und Folgerungen späterer Forscher; in der Chemie die Atomtheorie, auf anatomischem Gebiet die Entdeckungen Schlichtings, Monros und Wilsons; und daß er zuerst die Funktion der Lungen demonstrierte. Sein vortrefflicher englischer Herausgeber legt hochsinnigerweise kein Gewicht auf seine Entdeckungen, da er zu groß gewesen, als daß ihm etwas hätte daran liegen können, originell zu sein; und wir können nun aus dem, auf was er verzichten kann, auf das schließen, was ihm bleibt.

Ein kolossaler Geist, liegt er in ungeheurer Ausdehnung, unverstanden, weit über ihren Horizont hinausreichend auf seiner Zeit; es bedarf einer gewaltigen Brennweite, ehe er sichtbar wird, und wie Aristoteles, wie Bacon, Selden, Humboldt beweist er, welch eine riesenhafte Ausdehnung des menschlichen Wissens, eine Art von Allgegenwart des Menschengeistes in der Natur, möglich ist. Seine großartigen Betrachtungen über Natur und Kunst, die geschrieben sind, als ob er von der Höhe eines Thurmes herab geschaut hätte, ohne je den Blick für das feine Gewebe und den Zusammenhang der Dinge zu verlieren, verwirklichen beinahe das Gemälde von der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen, das er selbst in seinen »Principia« entworfen hat. Aber noch weit höher als all seine einzelnen Entdeckungen steht die ausgeglichene Allseitigkeit seines Wesens, der höchste seiner Vorzüge. Ein Wassertropfen hat wohl alle Eigenschaften der See, aber das Schauspiel eines Sturmes kann er nicht bieten. Ein ganzes Konzert hat eine andere Schönheit als eine einzelne Flöte, ein Heer eine andere Stärke als ein Held, und an Swedenborg werden diejenigen, die unsere moderne Litteratur am besten kennen, vor allem den Eindruck des Massenhaften und des Reichtums bewundern. Er ist einer der Mammutriesen und Mastodonten der Litteratur, – ganze Kollegien von gewöhnlichen Gelehrten können sein Maß nicht erreichen. Seine gewaltige Gegenwart würde die Talare einer ganzen Universität in Verwirrung bringen. Unsere Bücher sind falsch, weil sie fragmentarisch sind; ihre Sentenzen sind Bonmots, nicht natürliche Teile der Rede; es sind kindische Ausdrücke des Erstaunens und der Freude an der Natur; oder sie verdanken – was noch schlimmer ist – ihrer Heftigkeit und Abkehr von der Natur eine kurze Berühmtheit, als Curiosa und Paradoxen, die in beabsichtigter Disharmonie mit der Natur und direkt zu dem Zwecke verfaßt sind, Staunen zu erregen, so wie es Taschenspieler thun, indem sie ihre Mittel verbergen. Aber Swedenborg geht systematisch vor, jeder Satz hält sich an die Wirklichkeit und nimmt auf die Welt Bezug; er zeigt all seine Mittel ehrlich vor, seine Fähigkeiten arbeiten mit astronomischer Genauigkeit, und diese wunderbare Art zu schreiben ist frei von aller Dreistigkeit und aller Ichsucht.

Swedenborg wurde in eine Atmosphäre von großen Ideen hineingeboren. Es ist schwer zu sagen, wie viel davon sein eigen war; jedenfalls haben die erhabensten Bilder des Weltalls sein Leben verherrlicht. Die kraftvolle aristotelische Methode, die, in ihrer eigenen Weite der Weite der Natur gewachsen, unsere sterile und lineare Logik durch ihre geniale Strahlung beschämt, die Grade und Stufenfolgen, Wirkungen und Ziele versteht und verwertet, die Kraft von der Form, das Wesen vom Accidens zu unterscheiden weiß und mit ihrer Terminologie und ihren Definitionen weite Landstraßen in die Natur hinein eröffnet, hatte eine Rasse athletischer Philosophen gezüchtet. Harvey hatte die Cirkulation des Blutes gezeigt, Gilbert hatte bewiesen, daß die Erde ein Magnet sei, Descartes, durch Gilberts Magneten mit seiner Rotation seinen Spiralen und seiner Polarität belehrt, hatte Europa die leitende Grundidee der rotierenden Bewegung als das Geheimnis der Natur gegeben. In demselben Jahre, in welchem Swedenborg geboren ward, veröffentlichte Newton seine »Principia« und begründete die Lehre von der allgemeinen Gravitation. Malpighi, den hohen Doktrinen des Hippokrates, Lenkippus und Lucretius folgend, hatte dem Dogma Nachdruck gegeben, daß die Natur im Kleinsten schafft: » tota, in minimis existit natura.« Unerreichte Anatomen, Swammerdam, Leeuwenhoek, Winslow, Eustachius, Heister, Vesalius, Boerhaave hatten dem Scalpell und dem Mikroskop auf dem Gebiet der menschlichen und der vergleichenden Anatomie wenig zu entdecken übrig gelassen; sein Zeitgenosse Linnaeus stellte auf seinem schönen Wissensfelde den Satz auf: »Die Natur bleibt sich immer selbst gleich?« und zuletzt hatten Leibniz und Wolff die höchste Vollendung der Methode, die ausgedehnteste Anwendung der Principien in der Kosmologie gezeigt, während Locke und Glotius die moralischen Folgen gezogen hatten. Was war für einen Geist vom gewaltigsten Kaliber anderes übrig als das Gebiet all jener Männer zu durchschreiten, zu verifizieren und zu vereinheitlichen? Mit Leichtigkeit läßt sich in jenen Geistern der Ursprung von Swedenborgs Studien und die Anregung zu seinen Problemen erkennen. Er besaß die Fähigkeit, diese Bände von Gedanken in sich aufzunehmen und zu beleben. Und doch bietet die Nähe so vieler genialer Forscher, von welchen der eine oder der andere all seine leitenden Ideen zum erstenmal ausgesprochen hatte, ein neues Beispiel, wie schwer es ist, selbst bei einem Genius von höchster Produktivität die Originalität, die Erstgeburt und Verkündigung eines der Naturgesetze nachzuweisen.

Er benannte seine Gesichtspunkte, von welchen er die Dinge mit Vorliebe betrachtete: die Lehre von den Formen, die Lehre von den Reihen und Graden, die Lehre von den Einflüssen und die Lehre von den Wechselbeziehungen. Was er über diese Lehren sagt, verdient in seinen Werken studiert zu werden. Nicht jeder Mann kann sie lesen, aber sie werden den reichlich lohnen, der es vermag. Seine theologischen Werke geben wertvolle Erläuterungen zu denselben. Seine Schriften würden für einen einsamen und athletischen Forscher eine ausreichende Bibliothek geben, und seine »Ökonomie des animalischen Reiches« ist eines jener Bücher, welche mit ihrer durchwegs festgehaltenen Würde des Gedankens der menschlichen Natur Ehre machen. Er hatte die Metalle und Spate nicht vergebens studiert. Sein mannigfaches und solides Wissen durchleuchtet seinen Stil in zahllosen Pointen und Gedankenblitzen, gleich einem jener Wintermorgen, in denen die Luft von Krystallen funkelt. Die Großartigkeit des Gegenstandes hat die Großartigkeit des Stils zur Folge. Er war berufen, über Kosmologie zu schreiben, da er jene angeborene Erkenntnis der Identitäten besaß, sodaß die bloße räumliche Ausdehnung für ihn bedeutungslos wurde. In einem Atom magnetischen Eisens erkannte er dieselbe Qualität, welche die Spiralbewegung von Sonnen und Planeten hervorrufen könnte.

Die Gedanken, in denen er lebte, waren: die Universalität jedes Gesetzes in der Natur; die Platonische Lehre von der Stufenfolge oder den Graden, die Wandlung oder Umwandlung jedes Dinges ins andere und somit die Wechselbeziehungen aller Teile, das wundervolle Geheimnis, daß das Kleine das Große erklärt und das Große das Kleine: die Centralität des Menschen in der Natur und der Zusammenhang, der durch alle Dinge geht; er sah, daß der menschliche Körper im strengsten Sinne ein Kosmos sei oder ein Instrument, vermittelst dessen der Geist die ganze Materie verzehrt und in sich aufnimmt, sodaß er im schärfsten Gegensatz zu allen Skeptikern dafür hielt: »daß je weiser ein Mann sei, er desto mehr die Gottheit verehren werde,« kurz er war ein gläubiger Anhänger der Identitätslehre, die er jedoch nicht müßig annahm wie die Träumer von Berlin oder Boston, sondern mit der er experimentierte, und die er durch jahrelange Arbeit begründete, mit der Kraft des rauhesten Wikings, den sein rauhes Schweden je in den Kampf geschickt.

Diese Theorie rührt von den ältesten Philosophen her und verdankt den neuesten vielleicht ihre besten Argumente. Es ist die Lehre, daß die Natur dieselben Mittel stets von neuem auf successiven Gebieten in Anwendung bringt. Im alten Aphorisma heißt es: Die Natur ist immer sich selbst ähnlich. In der Pflanze entwickelt sich das Auge, die sprossungsfähige Stelle zu einem Blatt und wieder zu einem Blatt, jedoch mit der Fähigkeit, das Blatt in ein Würzelchen, einen Staubfaden oder Griffel, in ein Blüten-, Kelch- oder Deckblatt oder in Samen umzuwandeln. Die ganze Kunst der Pflanze ist und bleibt, Blatt auf Blatt ohne Ende zu wiederholen, während ein größeres oder geringeres Maß von Wärme, Licht, Feuchtigkeit und Nahrung die Form bestimmt, die das Blatt anzunehmen hat. Im Tier formt die Natur einen Wirbel oder eine Achse von Wirbeln und hilft sich mit stets neuen Achsen, nebst einer beschränkten Fähigkeit, die Form derselben zu modifizieren, – und so arbeitet sie mit einer Achse nach der andern bis ans Ende der Welt. Ein poetisch veranlagter Anatom unserer Zeit lehrt, daß die Schlange, als eine Horizontale, und der Mensch, als eine Vertikale, zusammen einen rechten Winkel bilden; und zwischen den Linien dieses mystischen Quadranten finden alle beseelten Wesen ihren Platz; derselbe nimmt an, daß im Haarwurm, im Engerling oder in der Schlange bereits der Typus der Wirbelsäule gegeben oder vorangedeutet ist. Am Ende der Wirbelachse bringt die Natur deutlich kleinere Achsen als Arme an; am Ende der Arme neue Achsen als Hände, und am anderen Ende wiederholt sie denselben Vorgang in Bein und Fuß. Au der Spitze der Säule bringt sie abermals einen Wirbel an, der sich wie ein Engerling umlegt oder zur Kugel zusammenballt und den Schädel bildet und auch wieder Extremitäten aussendet: an Stelle der Hände tritt die obere Kinnlade, an die Stelle der Fuße der untere, die Finger und Zehen sind durch die oberen und unteren Zähne vertreten. Diese neue Achse ist zu hohen Zwecken bestimmt. Sie ist gleichsam ein zweiter Mensch auf den Schultern des ersten. Sie könnte beinahe ihren Rumpf fahren lassen und für sich allein zu leben versuchen, wie es Platon im Timaeus dargestellt hat. Und innerhalb dieses Gebildes wiederholt sich alles, was im Rumpfe geschieht, auf einem höheren Felde. Wiederum sagt die Natur ihre Lektion auf, doch in einer höheren Stimmung. Der Geist ist mir ein seiner organisierter Körper und nimmt alle Funktionen desselben: Ernährung, Verdauung, Absorption und Ausscheidung, nur in einem neuen und ätherischen Element vor. Hier im Gehirn wiederholt sich der ganze Ernährungsprozeß im Ausnehmen, Verdauen, Vergleichen und Assimilieren der Erfahrungen. Hier wiederholt sich das Mysterium der Zeugung. Im Gehirn finden sich sowohl männliche als weibliche Eigenschaften; hier wie in der Körperwelt haben wir Vermählung und Frucht. Und diese emporsteigende Stufenleiter kennt keine Schranken, sondern Reihe folgt auf Reihe. Alles, was auf dem Gebiet einer Funktion ans Ende gelangt ist, wird zur nächsten hinaufgenommen, und jede neue Reihe wiederholt pünktlich jedes Organ und jeden Prozeß der vorhergehenden. Eine Umwandlung und Anpassung ohne Ende geht mit uns vor. Wir sind schwer zu befriedigen und lieben nichts, was endet; und in der Natur giebt es auch nirgends ein Ende, sondern alles wird, wenn es einen Zweck erfüllt und die Bahn durchmessen, zu einem höheren emporgehoben, und dieses Emporsteigen aller Dinge führt bis zu den dämonischen und himmlischen Wesen hinauf. Die schöpferische Kraft wiederholt wie ein Compositeur unermüdlich dieselbe einfache Melodie, dasselbe simple Thema, jetzt hoch, jetzt tief, jetzt Solo, jetzt im Chor, zehntausendfach von allen Seiten wiederhallt, bis sie Erd' und Himmel mit dem Gesang erfüllt.

Die Gravitation, wie Newton sie erklärt hat, ist etwas Wunderschönes; aber noch großartiger wird sie, wenn wir finden, daß die Chemie nur in der Ausdehnung der Gesetze der Massen auf die kleinsten Teile beruht, und daß die Atomtheorie zeigt, daß auch die chemischen Bewegungen rein mechanische sind. Die Metaphysik zeigt eine Art von Gravitation, die auch in den geistigen Phänomenen wirksam ist; und die schrecklichen Tabellen der französischen Statistiker wollen sogar jeden Ausbruch von Humor und Laune auf exakte arithmetische Gesetze zurückführen. Wenn ein Mensch unter zwanzigtausend oder unter dreißigtausend Schuhleder ißt oder seine Großmutter heiratet, dann findet sich auch in jeden weiteren zwanzig- oder dreißigtausend einer, der Schuhleder ißt oder seine Großmutter heiratet. Was wir Gravitation nennen und für das letzte Grundlegende halten, das ist mir ein Arm eines mächtigeren Stromes, für den wir noch keinen Namen haben. Die Astronomie ist etwas ganz Ausgezeichnetes, aber sie muß ins Leben eingreifen, um zu ihrem vollen Wert zu gelangen, und darf nicht in den Globen und im unendlichen Raum liegen bleiben. Das Blutkörperchen in den menschlichen Adern rotiert um seine Achse wie der Planet im Himmelsraum, und die Kreise des Intellekts hängen mit jenen des Himmels zusammen. Jedes Naturgesetz besitzt die gleiche Universalität: Essen, Schlaf und Winterruhe, Rotation, Zeugung, Metamorphose, Wirbelbewegung zeigen sich an einem Ei so gut wie an Planeten. Diese großen Reime, dieses Wiederkehren der Natur – wodurch das liebste, bestbekannte Gesicht uns an jeder Ecke in einer so unerwarteten Maske erschreckt, daß wir es für das Gesicht eines Fremden halten, und zuletzt selbst hoch in göttlichen Formen wiederkehrt, – entzückte das prophetische Auge Swedenborgs; und er muß als ein Führer jener Umwälzung betrachtet werden, welche, indem sie der Wissenschaft Ideen gab, einer ziellosen Anhäufung von Experimenten eine bestimmte Führung und Gestaltung und ein klopfendes lebendiges Herz verlieh.

Ich gestehe mit einigem Bedauern, daß seine gedruckten Werke etwa fünfzig starke Oktavbände ausmachen, von welchen die wissenschaftlichen Werke etwa die Hälfte bilden; und es scheint, daß eine Masse von Manuskripten noch unveröffentlicht in der königlichen Bibliothek zu Stockholm liegt. Die wissenschaftlichen Werke sind soeben in einer vortrefflichen Ausgabe ins Englische übersetzt worden.

Swedenborg publizierte diese wissenschaftlichen Werke in den zehn Jahren von 1734 bis 1744; von da an wurden sie vernachlässigt; und erst jetzt, nachdem mehr als ein Jahrhundert vergangen, hat er endlich in Herrn Wilkinson in London einen Schüler gefunden, einen philosophischen Kritiker von gleicher Kraft des Verstandes wie der Phantasie, in einem Maße, wie nur Lord Bacon beide vereinigte; und dieser hat die vergrabenen Bücher seines Meisters wieder ans Tageslicht gebracht und sie, zum äußersten Vorteil der Sache, aus ihrem vergessenen Latein ins Englische übersetzt, sodaß sie nun in unserer siegreichen Welthandelssprache sich über die Welt verbreiten können. Unterstützt, wie es heißt, durch die Munificenz Herrn Clissolds und des Übersetzers eigene schriftstellerische Begabung, ist dieser Akt poetischer Gerechtigkeit vollzogen worden. Die wunderbaren einleitenden Aufsätze, mit welchen Herr Wilkinson diese Bände bereichert hat, stellen die ganze zeitgenössische Philosophie Englands in den Schatten und lassen mir auf ihren Gebieten nichts mehr zu sagen übrig.

Das »Animalische Reich« ist ein Buch von wunderbarem Werte. Es ist darin die höchste Aufgabe in Angriff genommen; es hat den Zweck, Wissen und Seele, die lange einander entfremdet waren, wieder zu einigen. Es ist der Bericht eines Anatomen über den menschlichen Körper, im höchsten Stile der Poesie geschrieben. Nichts kann die kühne und glänzende Behandlung eines gewöhnlich so trockenen und abstoßenden Gegenstandes übertreffen. Er sah die Natur »sich wie Blumengewinde an einer ewigen Spirale emporheben, mit Rädern, die nie vertrocknen, auf Achsen, die nie knarren«, und versuchte manchmal »jene geheimen Schlupfwinkel aufzudecken, in denen die Natur an den Feuerstellen in den Tiefen ihrer Laboratorien schafft;« und dabei schafft sein Gemälde sich um so mehr Vertrauen durch die strenge Treue, mit der es auf der praktischen Anatomie basiert ist. Es ist bemerkenswert, daß dieser erhabene Genius sich peremptorisch zu Gunsten der analytischen und gegen die synthetische Methode entscheidet, und in einem Buche, dessen Geist die kühnste poetische Synthese ist, sich darauf beruft, daß er sich auf strenge Erfahrung beschränke.

Er, und wenn er der einzige wäre, kennt das Strömen der Natur, er weiß, wie weise die alte Antwort des Amasis war, welcher dem, der ihn den Ocean austrinken hieß, erwiderte: »Ja, gern, wenn du die Flüsse anhältst, die in ihn strömen.« Wenige wußten so viel wie er über die Natur und ihre wunderbar feinen Wege, niemand hat ihre Wege so wunderbar fein dargestellt. Er fand, daß die Natur keine geringeren Ansprüche an unseren Glauben stellt als die Wunder. »Er bemerkte, daß es auf ihrem Wege von ihren ersten Principien durch all ihre Abstufungen keinen Zustand giebt, den sie nicht durchmacht, als ob ihr Weg durch alle Dinge führte.« »... Denn, so oft sie sich aus sichtbaren Phänomenen emporschwingt, oder mit anderen Worten, sich ins Innere zurückzieht, verschwindet sie scheinbar augenblicklich, und niemand weiß, was aus ihr geworden ist oder wohin sie entflohen ist, und so wird es notwendig, sich der Wissenschaft zu bedienen, um sie auf ihren geheimen Pfaden zu verfolgen.«

Daß er seine Untersuchung im Lichte eines Endzieles oder letzten Grundes betreibt, teilt der ganzen Schrift eine wunderbare Lebendigkeit, eine Art von Persönlichkeit mit. Das Buch verkündigt seine Lieblingslehren. Es sind die alte Lehre des Hippokrates, daß das Gehirn eine Drüse ist und die des Leukippos, daß das Atom nach der Masse beurteilt werden kann, oder, wie es im Platon heißt, der Makrokosmus nach dem Mikrokosmus; die auch in den Versen des Lucretius enthaltene Doktrin:

Ossa videlicet e pauxillis atque minutis
Ossibus, sic et de pauxillis atque minutis
Vicseribus viscus gigni, sanguemque creari
Sanguinis inter se multis coeuntibus guttis
Ex aurique putat micis consistere posse
Aurum et de terris terram concrescere parvis
Ignibus ex ignes, humorem humoribes esse.

Lib. I. 835

»Es bestehen die Knochen aus kleinen und winzigen Knochen,
Und so jedes Organ aus vielen und kleinen Organen,
So das Blut aus vielen zusammenströmenden Tröpflein,
Und aus Flimmerchen Goldes das Gold, es wachset zusammen
Die gewaltige Erde aus vielen winzigen Erden
Und aus Feuern das Feuer, und aus Feuchten die Feuchte.«

Dieselbe Lehre, welche Malpighi in seiner Maxime: »Die Natur zeigt sich ganz in den kleinsten Teilen« zusammengefaßt hatte, ist ein Lieblingsgedanke Swedenborgs. »Es ist ein konstantes Gesetz der organischen Körper, daß große, zusammengesetzte, sichtbare Formen aus und durch kleinere, einfachere und zuletzt auch unsichtbare Formen bestehen, welche in ganz ähnlicher Weise wie die größeren funktionieren, nur noch in viel vollkommenerer und universellerer Weise; und gerade die allerkleinsten Wesen so vollkommen und universell, daß sie geradezu ein Abbild, eine Idee des ganzen Universums zu enthalten scheinen.« Die Einheiten jedes Organes sind so und so viele kleine Organe, deren Natur dem zusammengesetzten homogen ist: die Einheiten der Zunge sind kleine Zungen, die des Magens kleine Mägen, die des Herzens kleine Herzen. Diese fruchtbare Idee liefert den Schlüssel zu allen Geheimnissen. Was zu klein war, um mit dem Auge entdeckt zu werden, das mußte aus seinen Aggregaten erkannt werden; was zu groß war, aus seinen Einheiten. Diesen Gedanken weiß er in unendlicher Mannigfaltigkeit zu verwerten und anzuwenden. »Der Hunger ist ein Aggregat aus vielen kleinen Hungererscheinungen oder Blutverlusten in den kleinen Äderchen des ganzen Körpers.« – Derselbe Gedanke ist auch ein Schlüssel zu seiner Theologie: »Der Mensch ist gewissermaßen ein winzig kleiner Himmel, der mit der Geisterwelt und dem Himmel in Verbindung steht. Jede einzelne Idee des Menschen, jede Gemütsbewegung, ja jeder kleinste Teil seiner Gemütsbewegung ist sein Bild und Ebenbild. An einem einzigen Gedanken kann ein Geist erkannt werden. Gott ist der ins Großartige erweiterte Mensch.«

Die Kühnheit und Energie seiner Naturforschung führte ihn zu folgender Theorie der Formen: »Die Formen steigen in ordentlicher Reihenfolge von der niedersten zur höchsten empor. Die niederste Form ist die eckige oder irdische und körperliche. Die zweite und nächsthöhere Form ist die kreisförmige, die auch die perpetuell-angulare (fortgesetzt- oder beständig-eckige) genannt wird, weil die Peripherie des Kreises eine beständige Ecke ist. Die nächste Form über dieser ist die Spirale, die zugleich der Ursprung und das Maß aller Kreisformen ist, die Durchmesser derselben sind nicht mehr geradlinig, sondern mannigfache Kreise, und haben eine sphärische Fläche zu ihrem Centrum; darum wird diese Form die perpituell-cirkulare (fortgesetzt-kreisförmige) genannt. Die Form, die über dieser steht, ist die Wirbel-Form oder perpetuellspiralige; die nächste die perpetuelle Wirbelform oder die himmlische; endlich die perpetuell-himmlische: die spirituale.«

Kann es befremden, daß ein so kühner Geist auch den letzten Schritt wagte, daß er zu vermeinen wagte, er würde die Wissenschaft aller Wissenschaften erreichen, den Sinn der Welt erschließen können? Im ersten Band des »Animalischen Reiches« berührt er diesen Gegenstand in einem bemerkenswerten Absatz:

»In unserer Lehre von den Repräsentanten und Wechselbeziehungen werden wir von diesen beiden Phänomenen, den symbolischen und typischen Ähnlichkeiten, zu sprechen haben, und von den erstaunlichen Dingen, welche sich nicht etwa nur im lebenden Körper, sondern in der ganzen Natur finden, und welche so vollkommen den höchsten und geistigen Dingen entsprechen, daß man schwören möchte, die ganze physische Welt sei nichts weiter als ein Symbol der geistigen Welt; und dies in solchem Grade, daß, wenn wir eine beliebige natürliche Wahrheit in physikalischen bestimmten Wortausdrücken aussprechen und diese Ausdrücke einfach durch die entsprechenden geistigen Ausdrücke ersetzen, wir sogleich eine geistige Wahrheit oder ein theologisches Dogma an Stelle der physischen Wahrheit oder Lehre gewinnen: obgleich kein Sterblicher vorausgesagt hätte, daß etwas Ähnliches durch bloße wörtliche Übersetzung sich würde ergeben können: um so mehr, als die eine Lehre, getrennt von der anderen betrachtet, absolut nichts mit ihr gemein zu haben scheint. Ich werde später eine Reihe von Beispielen solcher Wechselbeziehungen anführen, sowie ein Wörter-Verzeichnis, welches die technischen Bezeichnungen für geistige Phänomene sowie die entsprechenden physischen Ausdrücke, welche durch sie zu ersetzen sind, enthalten wird. Dieser Symbolismus durchsetzt den ganzen belebten Weltkörper.«

Die Thatsache, die in diesen Worten ausführlich festgestellt ist, liegt stillschweigend aller Poesie, allen Allegorien und Fabeln, jeder Anwendung von Sinnbildern und dem Bau der Sprache zu Grunde. Plato wußte es bereits, wie aus seiner zweimal zwiegeteilten Linie im sechsten Buch des Staates hervorgeht. Lord Bacon hatte gefunden, daß Wahrheit und Natur sich nicht anders unterschieden als Siegel und Schrift, und er erbrachte einige physische Thesen samt ihrer Übersetzung ins Geistige oder Politische als Beispiele. Behmen und alle Mystiker wenden dieses Gesetz in ihren dunklen Rätselschriften an. Die Dichter gebrauchen es, so weit sie Dichter sind, aber es ist ihnen, so wie der Magnet seit Jahrhunderten bekannt war, nur als Spielzeug bekannt. Swedenborg war der erste, der die Thatsache specialisierte und in wissenschaftlicher Weise feststellte, weil sie ihm unaufhörlich gegenwärtig war und er sie auch nicht einen Augenblick aus den Augen verlor. Sie war, wie wir oben auseinandergesetzt haben, in der Lehre von der Identität und Selbst-Wiederholung der Natur bereits enthalten, weil die geistigen Ketten den materiellen genau entspreche. Aber zu ihrer Erkenntnis bedurfte es einer Einsicht, welche die Dinge in ihrer natürlichen Ordnung, in den Ketten ihrer Zusammenhänge zu erblicken imstande war, oder besser, es bedurfte eines so richtigen Standpunktes, daß die Pole des Auges mit denen der Weltachse zusammenfallen konnten. Die Erde hatte ihr Menschengeschlecht durch fünf oder sechs Jahrtausende ernährt; sie hatten Wissenschaften, Religionen, Philosophien; und doch hatten sie es nicht zustande gebracht, den Zusammenhang der Bedeutung eines jeden Teiles mit jedem anderen Teile zu erkennen. Und bis zur Stunde hat die Litteratur kein Buch, in welchem der Symbolismus der Dinge wissenschaftlich klargelegt wäre. Man hätte meinen sollen, daß, sobald den Menschen nur die erste Ahnung davon aufgedämmert war, daß jeder sinnlich wahrnehmbare Gegenstand, Tier, – Felsen, Strom und Lüfte, – ja Raum und Zeit selbst, nicht für sich selbst existieren, noch überhaupt in ihrem materiellen Dasein ihre endgiltige Bedeutung haben, sondern gleichsam nur als eine Bildersprache, um eine ganz andere Geschichte von Wesen und Pflichten zu erzählen, – sie jede andere Wissenschaft aufgegeben hätten und eine so gewaltige Vorahnung alle Fähigkeiten hätte auf sich ziehen müssen, daß jeder Mensch alle Dinge gefragt hätte, was sie denn eigentlich bedeuten? und: Warum hält dieser Horizont mich mit all meinen Freuden und meinem Weh in seinem Centrum fest? Warum hör' ich denselben Inhalt in zahllosen verschiedenen Stimmen, warum les' ich eine nie völlig zum Ausdruck gelangte Thatsache in dieser unendlichen Bildersprache? – Aber, sei es, daß diese Dinge sich überhaupt nicht mit dem Verstände erfassen lassen, oder daß viele Jahrhunderte zur Ausarbeitung und Zusammensetzung einer so seltenen und reichen Seele nötig sind – es giebt keinen Kometen, keine Felsenschicht, kein Fossil, keinen Fisch, kein Quadruped, keine Spinne und keinen Fungus, der nicht, an sich, mehr Gelehrte und Systematiker interessieren würde als der Sinn und das Endresultat des Aufbaues aller Dinge.

Aber Swedenborg war mit der kulinarischen Verwertung der Welt nicht zufrieden. In seinem vierundfünfzigsten Jahre ergriffen ihn die Gedanken immer heftiger, und sein tiefer Geist ließ sich von dem gefährlichen Glauben hinreißen, der in der Religionsgeschichte nur zu häufig auftritt, daß er ein abnormer Mensch sei, dem das Vorrecht gegeben sei, mit Engeln und Geistern zu verkehren; und diese Ekstase ergriff ihn gerade bei dieser Aufgabe, die geistige Bedeutung der sinnlichen Welt zu erklären. Mit einer richtigen, großen und doch bis ins kleinste genauen Auffassung der Natur verband er ein Verständnis der geistigen Gesetze in ihren weitesten socialen Ausblicken; aber infolge irgend einer übermäßigen Formenbestimmtheit, die in seinem Wesen lag, sah er, was immer er sah, nicht abstrakt, sondern in Bildern, hörte es in Gesprächen, konstruierte es in Ereignissen. Wenn er versuchte, ein Gesetz in recht gesunder Weise mitzuteilen, sah er sich gezwungen, es in Parabeln einzukleiden.

Die Psychologie der modernen Zeiten hat kein ähnliches Beispiel eines gestörten Gleichgewichtes aufzuweisen. Die wichtigsten Kräfte seines Körpers hörten nicht auf, eine gesunde Thätigkeit zu entwickeln, und für einen Leser, der von den Eigentümlichkeiten des Berichterstatters, die sich im Bericht geltend machen, abzusehen weiß, wird das Resultat noch immer ein förderliches und ein schlagenderer Beweis für die erhabenen Gesetze, die er verkündet, sein, als alle, die ein Philister mit ungestörtem geistigen Gleichgewicht erbringen könnte. Er versucht auch einige Mitteilungen über den » modus« seines neuen Zustandes zu machen, und behauptet, »daß seine Gegenwart in der Geisterwelt eine gewisse Erweiterung seines Wesens zur Folge hat, aber nur, was den intellektuellen Teil seines Geistes betrifft, nicht auch im wollenden Teil;« auch behauptet er, »daß er mit dem inneren Gesicht die Dinge, die sich in einem anderen Leben befinden, klarer sieht, als er die Dinge, die hier in der Welt sind, erkennt.«

Da er sich den Glauben zu eigen gemacht, daß gewisse Bücher des Alten und Neuen Testamentes durchaus allegorischer Natur seien und in der angelischen oder ekstatischen Weise abgefaßt, so verwendete er die übrigen Jahre seines Lebens darauf, den allgemeinen Sinn aus dem buchstäblichen herauszuschälen. Von Plato hatte er die schöne Fabel von »einem ganz alten Volke, von Menschen, die besser waren, als wir sind, und den Göttern näher lebten« entlehnt, und Swedenborg fügte noch hinzu, daß dieselben die Erde als symbolisch behandelt hätten, daß sie beim Betrachten irdischer Dinge durchaus nicht an diese selbst dachten, sondern an das, was dieselben bedeuteten und bezeichnen sollten. Von da an beschäftigte ihn nur mehr der Zusammenhang zwischen Gedanken und Dingen. »Sogar jede organische Form gleicht dem Endzweck, der ihr eingeprägt ist.« Der Mensch ist im allgemeinen wie im einzelnen nichts anderes als eine organisierte Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, Selbstsucht oder Dankbarkeit. Und den Grund dieser Harmonie gab er in den »Arcana« an: »Die Ursache, weshalb alle Dinge, einzeln und zusammengenommen, in den Himmeln und auf der Erde, nur repräsentativen Wert und Bedeutung haben, liegt darin, daß alle nur durch einen Einfluß, der vom Herrn ausgeht und durch die Himmel wirkt, existieren.« Dieser Plan, solche Zusammenhänge aufzudecken, der, entsprechend ausgeführt, das Weltgedicht werden müßte, in welchem alle Geschichte und Wissenschaft eine wesentliche Rolle spielen würden, wurde verengert und entwertet durch die exklusiv theologische Richtung, welche seine Forschungen einhielten. Seine Naturanschauung ist keine menschlich-universelle, sondern eine mystische und hebräische. Er verknüpft jeden Naturgegenstand mit einer bestimmten theologischen Idee: ein Pferd bedeutet fleischlichen Verstand, ein Baum Wahrnehmung, der Mond Glauben, ein Katze bedeutet dieses, ein Strauß jenes, die Artischoke ein anderes, und so hängt jedes Symbol armselig genug an irgend einem kirchlichen Ausdruck. So leicht wird der schlüpfrige Proteus nicht gefangen. In der Natur spielt jedes individuelle Symbol zahllose Rollen, so wie jedes Teilchen der Materie der Reihe nach durch alle organischen Systeme cirkuliert. Die centrale Identität befähigt jedes Symbol, successive alle Qualitäten und Nuancen des wahren Seins auszudrücken. In der Transmission des himmlischen Wassers paßt jeder Schlauch zu jeder Fontaine. Die Natur rächt sich rasch an der harten Pedanterie, die ihre Wogen fesseln möchte. Sie kennt keine Buchstabenklauberei. Alles muß genial gefaßt werden, und wir müssen auf der höchsten Höhe unseres menschlichen Wesens stehen, wenn wir irgend ein Ding richtig verstehen wollen.

Dieser verhängnisvolle theologische Hang machte seine Naturauslegung zu einer höchst beschränkten, und so muß das Lexikon der Symbole noch geschrieben werden. Aber der Interpret, den die Menschheit noch erwarten muß, wird keinen Vorgänger finden, der dem wahren Problem so nahe gekommen ist.

Swedenborg nennt sich selbst auf dem Titelblatt seiner Bücher »den Knecht des Herrn Jesu Christi«, und seine geistige Bedeutung sowie seine Wirksamkeit macht ihn zum letzten Kirchenvater, der schwerlich noch einen Nachfolger haben wird. Kein Wunder, daß die Tiefe seiner ethischen Weisheit ihm solchen Einfluß als Lehrer verlieh. In die verwitterte traditionelle Kirche, die nur mehr trockene Katechismen hervorbrachte, ließ er die lebendige Natur einströmen, und der Andächtige konnte einmal aus der Sakristei von Worten und Texten entkommen und findet zu seinem Erstaunen, daß er teil hat am Geiste seiner Religion: daß seine Religion für ihn denkt und sich allgemein anwenden läßt; er dreht sie nach allen Seiten und sie paßt in alle Teile des Lebens, deutet und erhebt jeden Umstand. Statt einer Religion, welche ihm diplomatisch drei- oder viermal im Leben ihren Besuch abstattet – bei seiner Geburt, seiner Hochzeit, in schwerer Krankheit und ehe er starb – und sich sonst niemals um ihn bekümmerte, fand er hier eine Lehre, die ihn den ganzen Tag begleitete, die ihn selbst im Schlaf und in seinen Träumen nicht verließ: die in sein Denken eintrat und ihm zeigte, aus welch einer langen Ahnenreihe seine Gedanken abstammten, die ihn in die Gesellschaft begleiteten und ihm zeigten, durch welche verwandtschaftlichen Bande er mit seinesgleichen und mit seinen Widerspielen verbunden war; in die Natur, wo sie ihm Ursprung und Bedeutung aller Dinge, deren Schädlichkeit und Nutzen zeigte und ihm die künftige Welt eröffnete, indem sie ihm die Kontinuität der gleichen Gesetze andeutete. Alle seine Jünger versichern, daß das Studium seiner Werke ihren Geist gekräftigt habe.

Kein schwereres Problem kann der Kritik gestellt werden als seine theologischen Schriften; ihr Wert ist ein so imponierender; und dennoch müssen so ernste Einwände dagegen erhoben werden. In ihrer ungeheueren sandigen Weitschweifigkeit gleichen sie der Prairie oder der Wüste, und in ihren Ungereimtheiten den äußersten Fieberphantasien. Er giebt die überflüssigsten Erklärungen, und seine Meinung, sein Gefühl von der Unwissenheit der Menschen ist ein sonderbar übertriebenes. Die Menschen fassen Wahrheiten von dieser Art sehr rasch auf. Aber er giebt auch eine Fülle von Thesen, er ist ein reicher Entdecker und entdeckt Dinge, die zu kennen für uns von äußerster Wichtigkeit ist. Seinem Geist entgeht keine wesentliche Ähnlichkeit, wie die Ähnlichkeit eines Hauses mit dem Manne, der es erbaut. Er sah die Dinge und die Gesetze, die in ihnen wirkten, die Gleichheit der Funktion, nicht die des Baues. Er teilt seine Wahrheiten in einer unveränderlichen Methode und Ordnung mit, es ist der stetig wiederholte geistige Vorgang vom Innersten zum Äußersten. Und welcher Ernst, welche Gerechtigkeit! – Sein Auge schweift nie ab, nie finden wir die leiseste Spur von Eitelkeit, nie auch nur einen Blick auf ihn selbst, nicht eine der gewöhnlichen Formen des Litteratenstolzes! Ein Theoretiker, ein spekulativer Geist, dem doch kein praktischer Mann in der Welt mit Verachtung hätte begegnen können! Plato ist ein Professor, sein Gewand, obgleich von Purpur und beinahe aus Himmelslicht gewoben, ist ein akademischer Talar, dessen mächtige Falten die Bewegung hindern. Aber dieser Mystiker ist einem Cäsar gewachsen, und Lykurg selbst würde sich ihm beugen.

Die moralischen Erkenntnisse Swedenborgs, seine Verbesserungen volkstümlicher Irrtümer, die ethischen Gesetze, die er verkündigte, weisen ihm eine unvergleichliche Stellung unter allen modernen Schriftstellern zu und berechtigen ihn zu einem Platz unter den Gesetzgebern des Menschengeschlechtes, der noch durch einige Generationen unausgefüllt bleiben wird. Der langsame, aber mächtige Einfluß, den er gewonnen hat, wird wie der jedes religiösen Genies eine Zeitlang ein übermäßiger werden und wird seine Gezeiten durchmachen, bis er sein entsprechendes und dauerndes Maß gefunden haben wird. Denn das, was in ihm real und allgemein ist, kann natürlich nicht auf diejenigen beschränkt bleiben, die mit seinem Geiste aufs engste sympathisieren, sondern wird über diese Grenze hinaus in den gemeinsamen Gedankenvorrat der Weisen und Rechtdenkenden übergehen. Die Welt hat ein sicheres chemisches Verfahren, durch welches sie alles, was in ihren Kindern Vortreffliches ist, zu gewinnen weiß und die Schwächen und Beschränktheiten ihres großartigsten Geistes fallen läßt.

Jene Metempsychose, die der alten Mythologie der Griechen vertraut ist, die sich im Ovid und in der indischen Seelenwanderungslehre gesammelt findet, und welche für all diese eine objektive ist, das heißt thatsächlich in Körpern und infolge eines fremden Willens Platz greift – nimmt in Swedenborgs Anschauung einen mehr philosophischen Charakter an. Ihm ist sie eine subjektive und hängt völlig vom Sinne der Person ab. Alle Dinge im Weltall gruppieren sich für jede Person neu, und ihre beherrschende Liebe ist das Gesetz dieser Gruppierung. Der Mensch ist so, wie seine Gedanken und Neigungen sind. Ter Mensch wird Mensch kraft seines Wollens, nicht kraft seines Wissens und Erkennens. So wie er ist, so sieht er. Die Ehen der Welt gehen in Brüche; die Seelen, das innerste Wesen der Menschen, verbinden sich in der geistigen Welt. Alles, worauf der Blick der Engel fiel, das war für sie himmlisch. Jeder Satan dünkt sich, selbst ein Mensch zu sein; seinesgleichen, die ebenso schlecht sind, scheint er ein recht anmutiger Mensch, den Gereinigten ein Haufen Aas. Das Mächtigste, das Unwiderstehlichste ist das Wesen, der Zustand eines Dinges, alle Dinge gravitieren, das gleiche dem gleichen zu. Was wir poetische Gerechtigkeit nennen, das vollzieht sich stets und augenblicklich. Wir sind in eine Welt gekommen, die ein lebendiges Gedicht ist. Alles ist, wie Ich bin. Vogel und Rind sind nicht Vogel und Rind, sondern Emanationen und Ausflüsse des Geistes und des Willens der eben existierenden Menschen. Jeder schafft sich sein Haus und seine Lage. Die Geister werden von Todesfurcht gequält und haben vergessen, daß sie bereits gestorben sind. Diejenigen, die sich selbst der Liebe entäußert, wandern und flicken; wo Menschen gesellig vereint sind und wo sie sich nähern, entdeckt man ihren Mangel und treibt sie fort. Die Habgierigen wähnen in Zellen zu leben, in denen ihr Geld aufbewahrt ist, und die von Mäusen voll sind. Diejenigen, die das Verdienst in guten Werken erblicken, glauben selbst Holz zu hacken. »Ich fragte solche, ob sie nicht müde wären. Sie antworteten, daß sie noch nicht genug gethan, um den Himmel zu verdienen.«

Er hat goldene Sentenzen, in welchen ethische Gesetze mit ungewöhnlicher Schönheit ausgedrückt sind, so in dem berühmten Ausspruch: »daß im Himmel die Engel sich immer mehr dem Frühling ihrer Jugend nähern, sodaß die ältesten Engel die jüngsten scheinen,« oder »Je mehr Engel, desto mehr Raum,« »Das Vollkommenste des Menschen ist die Liebe zur Bethätigung,« »Der Mensch in seiner vollkommenen Form ist der Himmel,« »Was von Ihm ist, das ist Er,« »So wie die Natur abnimmt und verfällt, steigen die Ziele,« und das wahrhaft poetische Bild von der Schrift im innersten Himmel, die, da sie aus Kurven besteht, die der Form des Himmels entsprechen, ohne Lehre gelesen werden kann. Ja, man möchte den Anspruch auf ein übernatürliches Schauen, den er erhebt, beinahe für gerechtfertigt halten, so wunderbare Einblicke hat er in den Bau des menschlichen Körpers und Geistes. »Im Himmel ist es keinem gestattet, hinter einem anderen zu stehen und sein Haupt von rückwärts zu betrachten, weil der Einfluß, der vom Herrn ist, dadurch sogleich gestört wird.« Die Engel erkennen den Grad der Liebe eines Menschen am Klang seiner Stimme, aus der Artikulation seiner Rede seine Weisheit, aus dem Sinn der Worte sein Wissen.

In der »Ehelichen Liebe« entfaltet er die Lehre von der Ehe. Von diesem Buche möchte man sagen, daß es trotz der höchsten Elemente ein verfehltes ist. Es kommt dem Hymnos auf die Liebe nahe, den Plato im Gastmahl versuchte; auf die Liebe, von welcher Casella vor Dante unter den Engeln des Paradieses sang, und die, in ihrer Genesis, ihrem Genüsse und ihren Folgen richtig gefeiert, wohl alle Seelen hinreißen und verzücken müßte, da sie die Entstehung aller Dinge, aller Institutionen, aller Sitten und Weisen enthüllen müßte. Das Buch wäre ein großartiges geworden, wenn der Hebraismus beiseite gelassen wäre, wenn das Gesetz ohne Gotik aufgestellt worden wäre und mit all jenem Spielraum für seine Erhebung, den die Natur des Gegenstandes erfordert.

Es enthält eine schöne platonische Entwicklung der Lehre von der Ehe, es lehrt uns, daß das Geschlecht etwas Universelles, nicht etwas Lokales ist, daß jedes Organ, jede Handlung und jeder Gedanke des männlichen Geschöpfes etwas spezifisch Männliches hat, während ebenso am Weibe alles von seiner Weiblichkeit qualifiziert wird. Daher ist in der wirklichen, das heißt in der geistigen, Welt die eheliche Bereinigung nichts Momentanes, sondern total und ununterbrochen, und die Keuschheit dort keine lokale, sondern eine alles durchdringende Tugend, indem Unkeuschheit sich ebenso im Handel, im Landbau, im Sprechen und Philosophieren zeigen kann, wie im Geschlechtsleben. Und obschon die Jungfrauen, welche er im Himmel sah, schön waren, waren die Frauen noch bei weitem schöner, und ihre Schönheit nahm unaufhörlich zu.

Aber wie es schon seine Art ist, stutzte Swedenborg seine Theorie für eine temporäre Form zurecht. Er giebt der Ehe eine übertriebene Bedeutung, die ihr nicht zukommt, und obschon er auf Erden verfehlte Ehen findet, wähnt er eine weisere Wahl in der himmlischen Welt. Aber jede Liebe und jede Freundschaft einer progressiven Seele ist etwas Momentanes. Die Frage: » Liebst du mich?« bedeutet: »Siehst du die gleiche Wahrheit?« – Wenn es der Fall ist, dann beseligt uns ein gemeinsames Glück; aber jetzt tritt einer von uns in die Erkenntnis einer neuen Wahrheit ein: »wir sind geschieden, und kein Zwang der Natur kann uns aneinander fesseln. Ich weiß, wie köstlich dieser Liebeskelch ist, wenn ich für dich existiere und du für mich; aber es ist nicht anders, wenn ein Kind sich an ein Spielzeug klammert; ein Versuch, der Kaminecke und dem Brautgemach ewige Dauer zu geben, beim Bilderbuche zu bleiben, durch das uns die ersten Kenntnisse so zierlich beigebracht wurden. Das Eden Gottes ist öde und weit wie die Landschaft vor unseren Thüren; wenn wir beim Abendfeuer und Kamin ihrer denken, scheint sie kalt und trostlos, so lange wir vor den Kohlen kauern; aber sind wir einmal wieder draußen, dann bemitleiden wir die, die die Großartigkeit der Natur für Kerzenlicht und Kartenspiel aufgeben können. Der wahre Gegenstand der »Ehelichen Liebe« ist vielleicht der Verkehr der Menschen, dessen Gesetze in tiefsinniger Weise untersucht werden. Aber es ist falsch, wenn es wörtlich auf die Ehe angewandt wird. Denn Gott ist die Braut oder der Bräutigam der Seele. Der Himmel ist nicht das Paaren zweier, sondern die Gemeinschaft aller Seelen. Wir begegnen einander und verweilen einen Augenblick unter dem Tempel eines Gedankens und scheiden, doch als ob wir nie geschieden wären, um uns in einem neuen Gedanken mit neuen Glücksgenossen zu vereinen. Weit entfernt davon, daß in dem niedrigen und besitzanzeigenden Sinn des Satzes: » Liebst du mich?« etwas Göttliches läge, werde ich vielmehr erst dann, wenn du mich verlassest und verlierst, um dich auf ein Gefühl zu werfen, das höher ist denn einer von uns, dir wirklich nahe gezogen und finde mich nun erst an deiner Seite, und ich werde abgestoßen, wenn du dein Auge auf mich heftest und Liebe verlangst. Thatsächlich wechseln wir in der geistigen Welt in jedem Augenblick das Geschlecht. Du liebst, was in mir an Wert liegt, dann bin ich dein Gatte; aber nicht ich bin es, der deine Liebe festhält, sondern mein Wert; und dieser Wert ist ein Tropfen aus dem Ocean von Wert, der jenseits meines Ichs liegt. Unterdessen verehre ich wieder den größeren Wert eines anderen und werde so seine Gattin. Er wieder strebt einem höheren Werte in einem anderen Geiste zu und wird die Gattin, das heißt der Empfänger seines Einflusses.

Sei es infolge der Gewohnheit, die er sich aneignete, sein eigenes Inneres zu durchforschen, oder aus eifersüchtiger Angst vor den Sünden, welchen die Denker unter den Menschen am meisten anheimfallen, er erreichte im Entwirren und Aufdecken dieser besonderen Form des moralischen Krankseins eine Schärfe, der kein Gewissen widerstehen kann. Ich beziehe mich hier auf sein Gefühl für die Profanation des Denkens.

 

»Über den Glauben vernünfteln heißt zweifeln und leugnen.« Die Kluft zwischen Thun und Wissen war ihm stets schmerzlich fühlbar, und er verleiht dieser Empfindung unausgesetzt Ausdruck. Die Philosophen sind daher Vipern, Basilisken, Nattern, Hämorrhoiden, Blitzstrahlen und fliegende Drachen; die Litteraten sind Hexenmeister und Charlatans.

Aber gerade dieser Gegenstand bringt uns auf einen traurigen Gedanken: hier finden wir den Sitz seines eigenen Leidens. Möglich, daß Swedenborg nur die Verkehrung seiner eigenen Fähigkeiten büßen mußte. Der Erfolg, das glückliche Genie scheint durch ein glückliches Verhältnis zwischen Herz und Hirn bedingt zu sein, eine richtige, schwer zu treffende Proportionalität der sittlichen und geistigen Kräfte, die vielleicht denselben chemischen Gesetzen gehorcht, die eine Proportionalität der Mengen erfordern, wenn eine Verbindung zustande kommen soll, so wie Gase sich nur in gewissen fixen Verhältnissen, aber durchaus nicht in allen Verhältnissen verbinden. Es ist schwer, einen vollen Becher zu tragen, und dieser in Herz und Geist so verschwenderisch begabte Mann verfiel frühe in gefährlichen Zwiespalt mit sich selbst. In seinem »Animalischen Reiche« überraschte er uns durch die Erklärung, daß er die Analyse und nicht die Synthese liebe; und nun, nach seinem fünfzigsten Jahre, verfällt er in Eifersucht auf seine eigene Geisteskraft, und obgleich er fühlt, daß das Wahre nichts Alleinstehendes ist, so wenig wie das Gute, sondern daß beide sich beständig mischen und vermählen müssen, führt er Krieg gegen seinen Verstand, ergreift die Partei seines Gewissens gegen ihn und verleumdet und verlästert ihn bei jeder Gelegenheit. Diese Gewaltthätigkeit rächt sich augenblicklich. Die Schönheit verliert den Reiz, die Liebe wird unlieblich, wenn die Wahrheit, die des Himmels andere Hälfte ist, verleugnet wird; es ist gerade, wie wenn die Verbitterung einen begabten Menschen zum Sarkasmus verführt und sein Urteil entwertet. Er ist weise, aber weise zu seiner eigenen Qual. Eine Atmosphäre unendlichen Wehs und ein Ton schmerzlicher Klage erfüllen dies ganze düstere Weltall. Auf dem Stuhle des Propheten sitzt ein Vampyr, der sich mit unheimlicher Gier zu den Bildern des Wehs wendet. In der That, ein Vogel kann nicht eifriger an seinem Neste weben, ein Maulwurf nicht in die Erde bohren, als dieser Seher der Seelen immer neue Abgründe und Höllen, eine immer scheußlicher als die andere, für jede neue Schar von Sündern in die Tiefe baut. Er wurde zu ihnen durch eine Säule hinabgelassen, die aus Erz schien, sie war jedoch aus Himmelsgeistern gebildet, sodaß er sicher unter die Unseligen hinabstieg, die Verwüstung der Seelen wahrnahm und hier durch lange Zeit ihr Wehklagen hörte; er sah ihre Peiniger die Schmerzen in die Unendlichkeit vermehren und steigern; er sah die Hölle der Gaukler, die Hölle der Mörder, die Hölle der Wollüstigen, die Hölle der Räuber, die Menschen tödten und sieden, die höllische Tonne der Betrüger! die Höllen von Exkrementen, die Hölle der Rachsüchtigen, deren Gesichter einem runden, breiten Kuchen gleichen, und deren Arme wie Räder kreisen. Niemand außer Rabelais und dem Diakon Swift besaß je solch eine Kenntnis des Schmutzes und der Verderbnis.

Solche Bücher müssen mit Vorsicht gebraucht werden. Es ist gefährlich, diese schwindenden Bilder der Phantasie in feste Formen zu meißeln. Wahr in ihrem Vorüberschweben, werden sie falsch, sobald man sie fixiert. Sie verlangen, um recht verstanden zu werden, fast ein Genie, das dem seinen gleicht. Aber wenn solche Visionen die stereotype Sprache der Mengen jedes Alters und von den mannigfachsten Verständnisgraden werden, werden sie verkehrt. Das weise Volk der griechischen Rasse pflegte die begabtesten und tugendhaftesten jungen Leute durch die Eleusinischen Mysterien zu führen – und zwar bildete dies einen Teil ihrer Erziehung; dort wurden mit vielem Pomp und Graden der Weihe die höchsten Wahrheiten, welche die alte Weisheit gefunden hatte, gelehrt. Ein feuriger und zur Betrachtung geneigter junger Mensch mag mit achtzehn oder zwanzig Jahren diese Bücher Swedenborgs, diese Mysterien des Gewissens und der Liebe, einmal lesen und dann sie für immer beiseite werfen. Das Genie wird stets von ähnlichen Träumen verfolgt, wenn die Höllen und die Himmel ihm aufgethan sind. Aber man muß sich darüber klar sein, daß diese Bilder mystischer Natur sind, das heißt, daß sie ein ganz willkürliches und zufälliges Bild der Wahrheit – nicht selbst Wahrheit sind. Jedes andere Symbol wäre ebenso gut – dann mag man dieses ungefährdet schauen.

Swedenborgs System der Welt entbehrt der centralen Spontaneität, es ist dynamisch nicht lebendig bewegt, es fehlt ihm die Kraft, Leben zu erzeugen. Es giebt kein Individuum darin. Das Universum ist ein gigantischer Krystall, dessen Atome und Blättchen in ununterbrochener Ordnung geschichtet liegen, in ungebrochener Einheit, aber kalt und still. Was Individuum und Willen scheint, ist es nicht. Eine unendliche Kette von Zwischengliedern spannt sich vom Centrum zu dem äußersten Ende, die jeden Vorgang aller Freiheit und Selbständigkeit beraubt. Das Weltall, wie er es dichtet, liegt in einem magnetischen Schlaf und spiegelt nur den Geist des Magnetiseurs wieder. Jeder Gedanke tritt in jeden Geist nur durch den Einfluß eines Kreises von Geistern, die ihn umschweben, und in diese selbst wieder aus höheren Kreisen, und so fort. All seine Typen bedeuten dieselben wenigen Dinge. All seine Gestalten sprechen eine Sprache. All seine Unterredner swedenborgisieren. Seien sie wer immer, sie müssen zuletzt seine Farbe annehmen; dieser Charon führt sie alle in seinem Boot über, Könige, Räte, Kavaliere, Doktoren, Sir Isaac Newton, Sir Harry Sloane, König Georg den Zweiten, Mahomet oder wen immer sonst, und alle nehmen eine grimme Farbe und Stil an. Nur, da Cicero auftritt, stockt unser freundlicher Seher ein wenig bei der Erklärung, daß er mit Cicero gesprochen, und mit einer Anwandlung menschlicher Nachsicht, bemerkt er, »mit einem, der, wie man mich verstehen ließ, Cicero war;« aber sowie der soi-disant Römer den Mund öffnet – sind Rom und Beredsamkeit dahingeschwunden; – es ist alles simpler theologischer Swedenborg, wie alles andere. Seine Himmel und Höllen sind langweilig, weil ihnen aller Individualismus fehlt. Die tausendfachen Beziehungen der Menschen fehlen. Das Interesse, das sich in der Natur an jeden Menschen knüpft, weil er recht hat durch sein Unrecht und unrecht durch sein Recht, weil er aller Dogmen und aller Klassifikation spottet – so viele Ausnahmen und Zufälligkeiten und so viel Künftiges muß in Rechnung gezogen werden – weil er stark ist durch seine Laster und oft genug gelähmt durch seine Tugenden – alles dies geht in der vollkommenen Sympathie, die zwischen ihm und seiner Gesellschaft herrscht, verloren. Und dieser Mangel macht sich bis ins Centrum seines Systems fühlbar. Obgleich das Wirken des »Herrn« in jeder Zeile mit Namen genannt wird, wird es doch nie lebendig. Es liegt kein Glanz in dem Auge, das aus dem Centrum blickt und das die unendlichen abhängigen Kreise der Wesen beleben sollte.

Der Grundfehler in Swedenborgs Geist ist seine theologische Beschränktheit. Nirgends finden wir bei ihm die Liberalität der universellen Weisheit, wir sind immer in einer Kirche. Die hebräische Muse, welche den Menschen die Lehre von Recht und Unrecht gegeben, hatte auf ihn denselben übermäßigen Einfluß, den sie auf die Nationen genommen. Die Form wurde geheiligt wie das Wesen. Palestina wird immer wertvoller als ein Kapitel der Weltgeschichte, immer weniger nützlich als Erziehungselement. Der Genius Swedenborgs, der gewaltigste aller modernen Geister auf diesem Gedankenfelde, verschwendete eine Kraft in dem Streben, das wieder zu beleben und zu erhalten, was bereits sein natürliches Ziel erreicht hatte und nach der großen weltlichen Vorsehung von seiner hervorragenden Stellung hinabsank, um westlichen Gedankenformen und Ausdrucksweisen Platz zu machen. Swedenborg und Behmen griffen beide fehl, indem sie sich ans christliche Symbol klammerten, anstatt auf dem sittlichen Gefühl zu bauen, das unzählige Christentümer, Humanitäten und Göttlichkeiten in seinem Busen trägt.

Dieses Übermaß von Einfluß zeigt sich auch in der ungereimten Importierung einer fremden Rhetorik. »Was gehen mich,« fragt der ungeduldige Leser, »Jaspis und Sardonyx, was Arche und Passahfeste, Ephahs und Ephods an? Was Aussatz und Blutflüsse, Hebeopfer und ungesäuerte Brote? Was die Feuerwagen, gekrönte und gehörnte Drachen, Einhörner und Behemoths? All dies ist gut für Orientalen und nichts für mich. Je mehr Gelehrsamkeit ihr aufwendet, um sie zu erklären, um so greller fällt ihre Nichthergehörigkeit auf. Je zusammenhängender und ausgearbeiteter das System ist, um so weniger mag ich es leiden. Ich sage mit dem Spartaner: Was redet ihr so viel zum Frommen von Dingen, die nicht frommen? Mein Wissen ist so, wie Gott es mir durch Geburt und Gewohnheit gegeben, im Entzücken und in der Erfahrung meiner eigenen Augen und nicht der eines anderen. Von allen Absurditäten scheint mir der Vorschlag eines Fremden, mir meine Rhetorik wegzunehmen und seine eigene an ihre Stelle zu setzen, mich mit Storch und Pelikan, anstatt mit Drossel und Rotkehlchen, mit Palmbäumen und Sandelholz statt mit Sassafras und Walnüssen zu unterhalten – die allerüberflüssigste.

Locke sagte: Wenn Gott den Propheten schafft, schafft er den Menschen nicht ab. Swedenborgs Geschichte bestätigt diese Bemerkung pointiert. Die Streitigkeiten in den Gemeinden der schwedischen Kirchen zwischen den Freunden und Feinden Luthers und Melanchthons über »Glauben allein« und »Werke allein« drängen sich bis in seine Spekulationen über den Bau des Weltalls und die himmlischen Scharen ein. Der Sohn des Lutheranischen Bischofs, dem die Himmel geöffnet sind, sodaß er die ungeheuere Wahrheit der Dinge mit Augen schaut und in den reichsten symbolischen Formen, und der in seinen Büchern wie über himmlischen Auftrag die unbestreitbaren Geheimnisse der Moral im All wiedergiebt – er bleibt, während all diese Erhabenheiten um ihn weilen, der Sohn eines Lutheranischen Bischofs; seine Urteile sind die eines polemischen schwedischen Theologen, und seine mächtigen Schritte ins Weite durch eherne Beschränkungen aufgewogen. Die Erinnerung an diese armseligen Kontroversen verläßt ihn nicht, wenn er die Geister besucht. Er ist gleich Michelangelo, der in seinen Fresken den Kardinal, der ihn beleidigt, unter einem Berg von Teufeln gebraten darstellte, oder wie Dante, der in rachsüchtigen Gesängen jede private Unbill rächte; oder vielleicht am ähnlichsten dem Pfarrer Montaignes, der, wenn ein Hagelwetter über dem Dach niedergeht, meint, daß der jüngste Tag angebrochen und die Kannibalen bereits den Pips gekriegt haben. Swedenborg ärgert uns nicht weniger mit den Schmerzen Luthers und Melanchthons und seinen eigenen Büchern, die er unter den Engeln anzeigt.

In demselben theologischen Krampf liegen viele seiner Lehren gefesselt. Seine Grundposition in der Moral ist, daß alles Böse gemieden werden muß, weil es Sünde ist. Aber der weiß nicht, was böse ist, noch was gut ist, der da glaubt, daß sich noch irgend ein Standpunkt einnehmen läßt, nachdem bereits gesagt ist, daß das Böse gemieden werden muß, weil es böse ist. Ich zweifle nicht, daß ihn der Wunsch, der Gottheit eine gewisse Persönlichkeit zu geben, hierzu führte. Aber es ist damit nichts gegeben. Der eine, sagst du, fürchtet sich vor Rotlauf – zeig ihm, daß diese Furcht von Übel ist? der andere fürchtet sich vor der Hölle – nun zeig ihm, daß alle Furcht an sich von Übel ist. Wer das Gute liebt, der beherbergt Engel, der hat Ehrfurcht vor der Ehrfurcht und lebt in der Gemeinschaft Gottes. Je weniger wir mit unseren Sünden zu thun haben, um so besser. Kein Mann hat Zeit genug, um sie auf Gewissensbisse zu verschwenden. »Das ist thätige Pflicht« sagen die Hindu, »die uns nicht zur Fessel wird; das ist Wissen, was uns befreit; alle andere Pflicht ist nur gut für die Müdigkeit.«

Ein anderes Dogma, das dieser verderblichen theologischen Beschränktheit entspringt, ist dies Inferno. Swedenborg hat Teufel. Übel ist nach der Meinung alter Philosophen Gutes, das in der Entstehung begriffen ist. Daß ein an sich Böses existieren könne, ist der extremste Satz des Unglaubens. Es ist ein Satz, der durch kein rationales Element gestützt werden kann, es ist Atheismus, es ist die äußerste Profanation. Euripides sagte mit Recht:

»Gut sein und in den Göttern sein, ist eins,
Wer sie für bös erklärt, der leugnet sie.«

Zu welch einer raschen Verkehrung war die gotische Theologie gekommen, daß Swedenborg keine Bekehrung der bösen Geister zuließ! Die göttliche Wirksamkeit läßt nie nach, das Aas in der Sonne verwandelt sich in Blumen und Gras, und der Mensch, und wäre er im Bordell, im Gefängnis oder am Galgen, ist auf seinem Wege zu allem, was gut und wahr ist Burns, in dem wilden Humor seiner Apostrophe an den »armen alten Nickie Ben« Volkstümlicher schottischer Name für den Teufel.

»Ach, überleg' dir's doch und bessre dich!«

vertritt einen schöneren Standpunkt als der rachsüchtige Theologe. Alles ist oberflächlich und geht zu Grunde, nur Liebe und Wahrheit allein bestehen. Das umfassendste Gefühl ist stets das wahrste; und wir fühlen, um wie viel hochherziger der Geist des indischen Vishnu ist: »Ich bin für die ganze Menschheit derselbe. Es ist keiner, der meiner Liebe oder meines Hasses würdig wäre. Diejenigen, die mir anbetend dienen ich bin in ihnen und sie sind in mir. Wenn einer, dessen Wege völlig böse sind, mir allein dienet, – ist er achtungswert wie der Gerechte; auch er wird bald ein tugendhafter Geist und erlangt ewige Seligkeit.«

Was seine abnorme Behauptung von Offenbarungen aus der anderen Welt betrifft, die ihm zu teil geworden, so kann nur seine Ehrlichkeit und seine Genialität dieselben ernstlicher Beachtung würdig machen. Seine Offenbarungen vernichten ihre Glaubwürdigkeit selbst durch die Details, in die sie sich verlieren. Wenn ein Mann behauptet, der heilige Geist hätte ihn belehrt, daß das jüngste Gericht (oder das jüngste der Gerichte) im Jahre 1757 stattgefunden, oder daß die Holländer im Jenseits in einem eigenen Himmel wohnen und desgleichen die Engländer in einem eigenen Himmel, so erwidere ich, daß der Geist, der heilig ist, auch zurückhaltend und verschwiegen ist und nur Gesetze offenbart. Es sind Geister und Kobolde der Märchengerüchte, die schwatzen und wahrsagen. Die Lehren des höchsten Geistes sind lauter und, soweit es sich um Einzelheiten handelt, negativ. Der Dämon des Sokrates verriet ihm nie, was er zu thun oder zu finden hätte, sondern er warnte ihn nur, so oft er etwas Unvorteilhaftes thun wollte. »Was Gott ist,« sagte er, »das weiß ich nicht: was er nicht ist, weiß ich.« Die Hindus haben das höchste Wesen mit dem Namen »die innere Hemmung« bezeichnet. Die erleuchteten Quäker erklärten ihr Licht nicht als etwas, das zu irgend einer Thätigkeit führte, sondern es erscheint nur als Verhinderung des Ungehörigen. Die richtigen Beispiele indes sind privateste Erfahrungen, die in diesem Punkte völlig übereinstimmen. Um es scharf auszusprechen: Swedenborgs Offenbarungen beruhen auf einer Verwechslung der Gebiete – ein Kapitalfehler für einen so gelehrten Kategoriker. Er überträgt die Gesetze der oberflächlichen Erscheinungen auf das Gebiet der Substanz, er bringt das Individuelle und seine Spielereien und Träume ins Reich des Wesentlichen und Allgemeinen, und da muß wohl Verrückung und Chaos entstehen.

Das Geheimnis des Himmels wird durch alle Zeitalter bewahrt. Kein unvorsichtiger, kein gutmütiger Engel ließ sich je eine voreilige Silbe entschlüpfen, um das Sehnen der Heiligen, die Angst der Sterblichen zu stillen. Auf unseren Knien hätten wir dem Günstling der Götter gelauscht, der durch strengeren Gehorsam seine Gedanken in Parallelismen mit den himmlischen Strömen gebracht und menschlichen Ohren den Wohnplatz und Zustand der jüngst geschiedenen Seele hätte verraten können. Aber zweifellos ist, daß solche Kunde dem Besten in der Natur entsprechen muß. Sie kann nicht im Ton geringer sein als die schon bekannten Werke des großen Künstlers, der die Himmelskugel formte und die sittlichen Gesetze schrieb. Sie müßte frischer sein als Regenbogen, fester als Berge, sie müßte mit den Blumen, mit Ebbe und Flut, mit dem Aufgehen und Niedersinken der herbstlichen Gestirne übereinstimmen. Die melodienreichsten Dichter müßten heiser scheinen wie Bänkelsänger der Straße, wenn einmal die durchdringende Grundnote der Natur und des Geistes ertönte – jener Herzschlag, jenes Erd- und Seepochen, das die Melodien bildet, nach denen die Wogen rollen, nach denen das Blut kreist und der Saft des Fichtenstammes schwillt.

In dieser Stimmung hören wir das Gerücht, daß der Seher erschienen ist und verkündigt hat, was er weiß. Aber wir sehen keine Schönheit, keinen Himmel von lauter Engeln und Kobolden. Seine traurige Muse liebt die Nacht und den Tod und den Abgrund. Sein Inferno ist ein mesmerisches. Seine geistige Welt verhält sich zu all den Herrlichkeiten und Wonnen, welche menschliche Seelen uns bereits kennen gelehrt, wie die bösen Träume eines Menschen zu seinem idealen Leben. In ihrer endlosen Fülle düsterer Gemälde gleicht sie wirklich den Traumphänomenen, die nächtlich so manchen ehrlichen guten Mann, der eine schlechte Verdauung hat, zu einem Elenden machen, der wie ein Hund um die Vorhöfe und Pfützen der Schöpfung schleicht. Wenn er in den Himmel emporsteigt, vernehm' ich die Sprache des Himmels nicht. Es soll mir keiner sagen, daß er unter Engeln gewandelt, er soll mir's beweisen, indem er aus mir einen Bewohner des Himmels macht. Sollten die Erzengel weniger majestätisch und lieblich sein als Gestalten, die wirklich auf Erden gewandelt? Diese Engel, die Swedenborg schildert, geben uns keinen hohen Begriff von ihrem Wissen und ihrer Vollkommenheit, es sind lauter Landgeistliche; ihr Himmel ist eine fête champêtre, ein evangelisches Picknick, oder eine französische Preisverteilung an tugendhafte Landleute. Seltsamer, scholastischer, lehrhafter, leidenschafts- und blutloser Mann, der Menschenseelen klassifiziert wie ein Botaniker einen carex einreiht, der die schmerzenreiche Hölle durchwandelt, als wenn es eine Schicht Kalksteine oder Hornblende wäre! Er besitzt keine Sympathie. Er wandelt auf und ab durch die Märchenwelt, ein moderner Radamanthus mit Perücke und Rohrstock mit goldenem Knopf, und mit der nonchalanten, geschäftsmäßigen Miene eines Referenten teilt er die Seelen ein. Die warme, wetterwechselnde, mit leidenschaftlichen Geschöpfen bevölkerte Welt ist ihm eine Grammatik von Hieroglyphen, ein symbolischer Freimaurerzug. Wie ganz anders ist Jacob Behmen! Er zittert vor Erregung und lauscht in Ehrfurcht gebeugt und mit liebevollster Menschlichkeit auf die Worte des Meisters, dessen Lehren er verkündet, und wenn er den Satz ausspricht, »daß die Liebe in gewissem Sinne größer sei als Gott,« da klopft sein Herz so heftig wider das lederne Wams, daß sein Pochen durch die Jahrhunderte vernehmlich wird. Das macht einen großen Unterschied. Behmen ist voll gesunder und herrlicher Weisheit, trotz seiner mystischen Beschränktheit, trotz der Unfähigkeit, sich mitzuteilen. Swedenborg ist von einer unangenehmen Weisheit und wirkt trotz seiner ungeheueren Begabung lähmend und abstoßend.

Es ist das sicherste Zeichen einer großen Natur, daß sie einen neuen Vordergrund aufschließt und wie der Hauch einer Morgenlandschaft uns zum Vorwärtsschreiten einladet. Swedenborg ist retrospektiv, und niemals können wir ihn vom Spaten und Leichentuch loslösen. Es giebt Geister, denen für alle Zeit die Fähigkeit versagt ist, ins Innere der Natur zu dringen; anderen ist für immer unmöglich, aus ihr emporzusteigen. Mit der Kraft vieler Menschen ausgerüstet, gelang es ihm dennoch nie, die Nabelschnur zu zerreißen, die ihn an die Natur knüpfte, und er erhob sich niemals zur Höhe des reinen Genius.

Es ist bemerkenswert, daß dieser Mann, der infolge seiner Erkenntnis der Symbole den poetischen Bau des All und die primären Beziehungen zwischen Geist und Materie erkannte, so völlig des ganzen Apparats poetischen Ausdrucks entbehrte, den diese Erkenntnis sonst hervorzurufen pflegt. Er kannte die Grammatik und die Elemente der großen Muttersprache, – wie kam es, daß er keine Strophe davon in Musik lesen konnte? Erging es ihm wie Saadi, der in seiner Vision seinen Schoß mit himmlischen Blumen füllte, die er als Geschenke seinen Freunden zu bringen gedachte, aber der Duft der Rosen betäubte ihn so sehr, daß der Saum des Kleides seiner Hand entfiel? Oder ist das Wiedererzählen eine Übertretung der guten Sitte in jener himmlischen Gesellschaft? Oder war es, weil er seine Vision nur intellektuell sah, und kommt daher jenes Keifen des Intellekts, das seine Schriften durchdringt? Sei dem, wie ihm wolle, seine Schriften sind ohne Melodie, ohne Bewegung, ohne Humor; kein Hügel erhebt sich über die tote prosaische Fläche. Sein profuser und treffender Bilderreichtum gewährt keinen Genuß, weil die Schönheit fehlt. Wir wandern verloren durch eine glanzlose Landschaft. Kein Vogel sang je in all diesen Totengärten. Der völlige Mangel an Poesie bei einem so transcendenten Geiste verrät die Krankheit, und wie eine rauhe Stimme bei einem schönen Weibe ist er eine Art Warnungszeichen. Ich denke manchmal, man wird ihn nicht lange mehr lesen. Sein großer Name wird zu einer Sentenz werden. Seine Bücher sind ein Monument geworden. Sein Lorbeer ist so sehr mit Cypressen vermischt, in den Weihrauch seines Tempels mengt sich so fühlbar ein Leichengeruch, daß Knaben und Mädchen den Ort meiden werden.

Und dennoch: in diesem Opfer des Geistes und des Ruhmes am Altar des Gewissens liegt ein Verdienst, das über alles Lob erhaben ist. Er lebte nicht plan- und zwecklos, und er fällte ein Urteil. Er erwählte das »Gut sein« als den Leitfaden, an den die Seele sich im ganzen Labyrinth der Natur zu halten hat. Viele Meinungen streiten über das wahre Centrum. Im Schiffbruch halten die einen sich an das flutende Tauwerk, andere an Fässer und Tonnen, einige an Balken, einige an den Mast – der Pilot aber wählet mit Wissen: Hier pflanze ich mich auf; alles andere sinkt zuvor: »der kommt ans Land, der mit mir segelt.« Verlaßt euch nicht auf die Gunst des Himmels oder auf Mitleid mit eurer Thorheit, oder auf die Klugheit, auf gesunden Verstand, auf alten Gebrauch, auf das, was die Menschen für die Hauptsache halten; nichts kann euch bewahren, nicht das Fatum, noch Gesundheit, noch wunderbare Begabung; nichts kann euch bewahren als nur Rechtschaffenheit allein, Geradheit für immer und ewig! – und mit einer Zähigkeit, die bei all seinen Studien niemals nachließ, hält er fest an dieser tapferen Wahl. Ich denke seiner wie eines Büßers der indischen Legende in der Seelenwanderung: »Ob ich ein Hund sei oder ein Schakal, oder eine Ameise, in den letzten Bruchstücken der Natur, in welcher Hülle, in welch wilder Gestalt es sei, – halt' ich mich ans Gute als die sichere Leiter, die zum Menschen und zu Gott hinaufführt.«

Swedenborg hat der Menschheit einen doppelten Dienst geleistet, der erst jetzt begriffen zu werden anfängt. Auf dem Gebiet der experimentellen und nützlichen Wissenschaft machte er seine ersten Schritte: er beobachtete die Naturgesetze und machte sie bekannt; dann in richtigen Stufen emporsteigend, von den Ereignissen zu ihren Gipfeln und Ursachen, entbrannte er in frommem Entzücken und überließ sich seiner Wonne und Anbetung. Dies war der erste Dienst. Wenn die Glorie zu leuchtend war, um von seinen Augen ertragen zu werden, wenn er im Rausche seiner Entzückung taumelte – um so wunderbarer wird das Schauspiel, das er sah, die Wesenheiten des Seins, die durch ihn flammen und leuchten und die keine Schwäche des Propheten verdunkeln kann; und so leistet er den Menschen einen zweiten passiven Dienst, der nicht geringer ist als der erste – der vielleicht im großen Kreise des Daseins und in den Wiedervergeltungen der geistigen Natur, auch für ihn selbst, nicht minder herrlich und schön ist.


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