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Frau Maria

.Frau Maria war jetzt nahezu ein Jahr Witwe. Sie hatte sich nach dem Tod ihres Mannes ganz zurückgezogen in dem kleinen Gartenhaus. Niemand kam zu ihr als der Freund ihres Mannes. Er war Professor in der Baukunde und hatte ihnen damals auch das Gartenhaus zum Heim eines kurzen Glückes gebaut und eingerichtet. Haus und Stuben waren damals unter seiner Pflege gleichsam für die beiden gewachsen. Er sagte oft dabei, ein Baumeister habe keine gleiche Lust, als ihm teuren Menschen Wände zu schaffen.

Nun kam er immer noch, wie vordem; als Freund ihres Mannes, der auch ihr Freund geworden war. Denn die Trauer führt Menschen nahe zusammen auch für die Zeit, da die Schleier sich wieder vor den helleren Tagen lüften.

Es war dieweil Herbst, Winter, Frühling und jetzt wieder früher Sommer geworden. Die Syringen blühten eben noch an der Gartentür, und die Rosen vor den Fenstern standen schon im ersten hohen Flor. Und Frau Maria hatte mit dem Professor manche von jenen Stunden verbracht, wo die stillen Dinge vernehmlich werden und verwandte Menschen unvermerkt ihre Gedanken ineinander hinüberweben. Entdeckte sich Frau Maria, wie weit sie auf solchen Wegen manchmal geriet gegen die Schwelle hin, wo mit den Gedanken die Wünsche wechselten, so erschrak sie wohl und holte sich zurück. Und wenn der Professor gescheit und schön vom Leben sprach und aus seinem gesund tätigen Dasein seiner Rede Kräfte der Gegenwart gab, wenn er warm gefärbt von Kunst, Sport und Reisen sprach, so kam sie wohl in Not. Denn auch ihre ungeprüften Vorstellungen liefen gern über die Rosenbeete und die Syringenpforte ach wie weit hinaus!

Dann sorgte Frau Maria, daß sie mit dem Professor nicht mehr allein war, indem sie die Gestalt ihres Mannes in die Zwiesprach rief und die Unterhaltung mit seinen Erinnerungen füllte. So vermochte sie, daß ganz ihrer drei wieder in den vertrauten Ecken des Hauses zu sitzen schienen. Wie den guten Hausgeist rief sie den Toten, bis sie wußte und spürte, daß all das rings, daß auch sie in all dem noch ihm gehörte. Waren derweil die schwankenden Gefühle beglichen, brachte sie manchmal aus ihrem Schreibtisch beschriebene Blätter hervor. Von der Hand ihres Mannes standen Gedichte darauf. Verse, die zwischen der Syringenpforte, den Rosenbeeten und den vertrauten Ecken des Hauses entstanden waren. Niemand draußen wußte, daß da ein Dichter gewesen sei. Die Verse gehörten nur ihr, und so ganz wie das Blut in ihren Adern, wie der Duft des Gartens in ihren Sinnen, wie die Glocke von der Kirche drüben in ihrem Ohr, wie sein Bild an der Wand in ihrem Auge. Tönte einer an, so tönte ihr Wesen mit, glänzte einer auf, so glänzte auch sie. Sie hegte die Blätter wie eine priesterliche Sachwalterin, und wenn sie etwas las, schien sie mit ihm in einem Licht zu sitzen, daraus die Worte sich beschwingt dem Zuhörer hinhoben und wieder gingen:

Und wenn du in die Fremde gehst,
So geh ich leis mit dir.
Und leise führt dich eine Hand
Und ist die Hand von mir.

Und wacht dir draußen einmal auf
In dunkler Nacht ein Schmerz,
So greif nach deinem Herzen hin
Und sieh, es ist mein Herz.

Hatte Frau Maria so und solche Verse gelesen, dann saß wohl auch der Professor ihr gegenüber still, sprach nicht mehr von Kunst, von Sport und von Reisen. Und sie sahen wohl eine Weile schweigend die Wolken vor dem Mond ziehen, bis der Professor ihr die Hand zur guten Nacht gab und von ihr eine frisch gepflückte Rose und einen großen, schönen Blick mit fortnahm …


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