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9. Kapitel.

Dem alten Sandhofer war es ganz recht, daß der Herr Werner sich mit ihm aussprechen wollte. Zu Hause, wo die Weibsleute zugegen waren, ginge es nicht so gut. Das war Männersache. Mußte zwischen ihnen beiden geregelt werden. Er saß mit dem jungen Mann in der kleinen Weinstube und konnte ungestört mit ihm die Pläne für die Zukunft seines Kindes machen.

Werner hatte den Kassenboten wie zufällig in der Nähe der Reichsbank getroffen, da er von Mia erfahren, um welche Zeit der Vater tagtäglich diesen Weg ging. Er bat ihn, mit ihm zu frühstücken. Einen Schluck würde er wohl nicht verschmähen. Ein guter Tropfen war des alten Sandhofers Achillesferse, sozusagen. Er leistete sich ihn zwar nicht häufig, aber er verstand ihn zu schätzen. Damals, als er in der rheinischen Garnison seine Dienstjahre machte, hatte er den Geschmack daran kennen gelernt und trotz aller bürgerlicher Zurückgezogenheit blieb ein heimliches Glas Wein oder ein gutes Glas Bier das einzige Laster des alten Mannes. Natürlich mit allem Maß, denn er wußte mit Bedacht die Grenzen zu ziehen und seinen klaren nüchternen Verstand durfte ihm auch Bacchus nicht verdüstern.

Die Beiden saßen in der kleinen Weinstube. In den Gläsern vor ihnen schillerte der goldgelbe Moselwein und Vater Sandhofer prüfte mit Kennerzunge den ausgezeichneten Jahrgang. Er hatte sich bequem in den Rücken des Sessels gelehnt, neben ihm auf den leeren Stuhl lag die Ledermappe. Mit einem bedeutungsvollen Lächeln sagte er, in dem er auf die Tasche zeigte:

»Man muß schon ein bißchen Acht auf das Ding geben – – Gebranntes Kind scheut das Feuer! ... nicht wahr? – – 'Ne hübsche Summe ist heute dadrin: 350 000 Mark ... lauter neue Banknoten!!«

Er lachte und trank.

Werner dachte darüber nach, wie er die Tasche an sich nehmen könnte. Er hatte den festen Entschluß, sie sich anzueignen. Er schenkte dem Alten wieder ein, veranlaßte ihn zu trinken. Bestellte eine neue Flasche. Wenn der Wein wirken würde, fände sich eine Gelegenheit ...

Mit gestecktem Ziel war er an die Ausführung des Planes gegangen. Hatte diese Unterredung über die Heirat mit Mia vorgeschützt, weil er wußte, daß der Alte darauf sofort anbeißen würde. Die Gelegenheit müßte sich dann ergeben, um in den Besitz der Tasche zu kommen oder ihr eine größere Summe zu entnehmen. Was weiter käme? ...

Er dachte nicht darüber nach. Das Glück hatte ihn schon einmal herausgeholfen – also vertraute er auf seinen Stern. Und wer würde daraus verfallen, ihm den Diebstahl zuzutrauen? Der Alte?... Seinen Schwiegersohn könnte der nicht ins Unglück stürzen, das täte er schon seinem Kinde zu Liebe nicht. Und die Polizei?

Der Gedanke an eine Kriminaluntersuchung schnürte ihm die Kehle zu. Ein verteufelt unangenehmes Gefühl. Mit einem Räuspern, als wenn er einen Fremdkörper aus dem Hals entfernen wollte, machte er sich davon frei.

»Prosit, Schwiegerpapa!« sagte er und trank dem Alten einen Schluck zu.

Der fühlte sich geehrt. Immerhin kommt sein Mariechen in eine bessere Position. Sie wird die Frau eines vornehmen Herrn und die Nichte vom Generalkonsul Kunzmann.

Ein leises Kichern ertönte. Werner drehte sich nicht um. Er war so sehr mit sich beschäftigt, daß er sich um die Umgebung nicht kümmerte. Hinten in der Ecke am runden Tisch saß eine elegante junge Dame mit einem ebenso eleganten Herrn. Die beiden schienen in angelegentlicher Unterhaltung begriffen zu sein. Die Dame schlürfte eine Auster und der Herr spritzte die Zitrone auf eine neue, die er ihr zurecht zu machen im Begriffe war.

Der Alte war aufgestanden und sagte:

»Der Wein ist gut, Donnerwetter! ... Aber nun ist's genug, wenn ich zurückkomme, gehen wir.«

Er verschwand hinten in der kleinen Tür.

In diesem Augenblick trat der Herr von dem runden Tisch hinten in der Ecke an den Garderobenständer, der neben dem Stuhl stand, auf dem der alte Sandhofer gesessen und nahm seinen Ueberzieher und Hut, die der Kellner dort ausgehängt hatte.

Werner glaubte, daß jetzt die Gelegenheit wäre, an die Tasche heranzukommen. Er wartete einen Augenblick.

Gott sei Dank, der Alte beeilt sich nicht.

Jetzt also ...

Als er die Tasche an sich reißen wollte, hörte er einen aufgeregten Wortwechsel hinter sich am Tisch, der zwischen dem Herrn, dem Kellner und dem dazugetretenen Wirt stattfand. Die junge Dame kreischte in den höchsten Tönen und Werner konnte kaum glauben, daß das dieselbe Stimme war, die eben noch wie ein Vögelchen gezwitschert hatte.

Die Aufregung hinten schien immer größer zu werden. Schimpfworte flogen. Werner vernahm etwas von gemeiner Uebervorteilung, Nepperei und ähnlichen Anschuldigungen. Schließlich warf der Herr eine Banknote auf den Tisch, zog seine Begleiterin am Arm und ging mit drohender Gebärde aus dem Lokal.

Werner hatte dem Auftritt gespannt gefolgt und darüber einen Augenblick an die Tasche vergessen. Jetzt, da er wieder daran dachte, stand der alte Sandhofer am Tisch, der noch die letzte Szene mit angesehen und fragte:

»Was war denn los?«

Werner erzählte. Der Kellner kam und gab Einzelheiten.

Der Wirt sagte, daß ihm so eine unverschämte Bande noch nicht vorgekommen wäre, so lange er sein Geschäft hätte.

Werner dachte, daß die Gelegenheit, an die Tasche heranzukommen, nun verpaßt wäre.

Was nun?

Der Alte hatte seinen Hut aufgesetzt und war zum Weggehen bereit, Werner hatte dis Rechnung bezahlt.

Da schrie der Alte auf:

»Meine Tasche? ... Wo ist meine Tasche?«

Mit gläsernen Augen, schreckerfüllt, starrte er auf den leeren Stuhl neben sich, auf dem die Tasche fehlte.

Werner war aufgesprungen. Auch er blickte ratlos umher.

Der Alte schrie in einem fort:

»Meine Tasche! ... Wer hat meine Tasche gestohlen?«

Einen bösen Blick heftete er auf Werner.

Der Wirt eilte hastig an den Tisch. Was denn nun schon wieder passiert wäre. Ob man denn heute den Teufel auf seine Weinstube losgelassen hätte? ... Die Ledertasche? ... Darin wären 350 000 Mark enthalten gewesen? ... Er zuckte mit den Schultern. Bedauerte. Aber man dürfte nicht so leichtsinnig mit so viel Geld umgehen und die Tasche einfach auf einen Stuhl legen, während man ein Bedürfnis zu verrichten gehe...

Der Kellner telephonierte inzwischen an die Polizei. Aber der Kriminalwachtmeister, der bald danach ankam, konnte nur den Sachverhalt protokollieren.

Dann verliessen der alte Sandhofer und Werner das Lokal.

Auf der Straße, als sie sich trennten, sagte der Alte – die Worte kamen gequetscht aus dem Munde, als wenn die Nerven den Dienst versagten –

»Sie wissen nichts von der Tasche, Herr Kunzmann? – – Sie könnten es vielleicht wissen ...?«

Er sah ihn argwöhnisch an.

»Wie damals? ...« fuhr er fort.

Er sah ihn wieder mit zusammengekniffenen Augen von der Seite an.

»Einmal hatten Sie sich doch schon mit meiner Tasche was zu tun gemacht? ... Haben Sie sie nicht auch heute auf die Seite geschafft?«

Werner erschrak. Der Alte hatte ihn erkannt. Wenn ihm der Plan gelungen wäre, hätte der Alte ihn bestimmt als Täter angegeben –

Die Tasche blieb verschwunden. Man durchsuchte das ganze Lokal noch einmal. Die Großbank übergab den Fall einem Detektiv, dessen Erfolge ihn bekannt gemacht haben. Aber von dem Geld und von der Tasche blieb keine Spur zu entdecken.

In der Bank herrschte große Aufregung. Nicht so sehr das Abhandenkommen der Geldsumme verursachte diese, sondern die offen zu Tage getretene Unzeverläßlichkeit eines Beamten, dessen langjährige Bewährtheit ihn bisher jeden Zweifels enthoben hatte. Er tat der Direktion leid, aber sie mußte die Schlußfolgerung ziehen und entließ den alten Sandhofer.

Ein böser Stern leuchtete über dem Haus in der Pestalozzistraße.


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