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Es war in Sekunda. Die letzte der nachmittäglichen Unterrichtsstunden neigte sich ihrem Ende zu. Da erhob sich mein Freund Wilhelm Rumpf aus Gamsweiler – derselbe, der später als neugebackener Primaner jenes denkwürdige Rencontre mit dem Direktor Heinzerling zu bestehen hatte – und bat den Lehrer in der hergebrachten Weise um die Erlaubnis, »mal hinausgehen zu dürfen«.
Es fiel mir auf, daß Wilhelm, als ihm die Bitte gewährt wurde, ganz gegen seine Gewohnheit nach der Mütze griff; – bald aber sollte ich den Grund dieser Maßregel erfahren . . . Denn als Doktor Brömmel die lateinischen Stilübungen glücklich beendet hatte und sich verabschieden wollte, fand er die Tür des Schulzimmers von außen verschlossen. Wilhelm Rumpf hatte, gleichsam als Vorstudie für sein künftiges Attentat auf Samuel Heinzerling, ganz sachte den Schlüssel herumgedreht und war dann, im Hochgefühl einer bedeutsamen Tat, schmunzelnd von dannen gewandelt.
In den Räumen Sekundas herrschte infolge dieser unerwarteten Einkerkerung großer Tumult. Alles drängte sich eifrig heran und versuchte zu öffnen. Die Schwächeren wurden in dem Gedränge zu Boden geworfen, die Kecken und Rücksichtslosen teilten Püffe und Stöße aus, und der Lehrer selbst geriet in Gefahr, von dem brandenden Ozean der erregten Schuljugend mit fortgerissen zu werden. Nur mühsam und mit Aufbietung aller Körper- und Geisteskräfte gelang es ihm, die Ordnung so weit wieder herzustellen, daß er zum Worte kam. Zerstreut, wie er war, hielt er uns folgende Ansprache:
»Vor allen Dingen bitt' ich mir Ruhe aus! Ruhe, sage ich, oder es geschieht ein Unglück! Boxer, der ganze Unfug scheint mir wieder von Ihnen auszugehen! Ich rate Ihnen freundschaftlichst, treten Sie etwas gelinder auf!«
Boxer versuchte zu remonstrieren.
»Gehn Sie auf Ihren Platz«, rief Brömmel mit Donnerstimme. »Ich will mal sehen, ob ich den Urheber solcher Streiche nicht ausfindig mache! Hutzler, Sie sollen sich setzen! Es ist unerhört, was man in dieser Klasse erleben muß! Kurz und bündig: Wer hat die Tür da zugeschlossen? Der Betreffende möge sich melden!«
»Aber Herr Doktor,« versetzte Hutzler im Ton einer milden Zurechtweisung, »der Schlüssel steckt ja von außen.«
Allgemeinem Gelächter.
»Das ist wahr,« brummte der Lehrer, »daran dachte ich nicht. Nun, es ist wahrlich nicht Ihr Verdienst, wenn Sie diesmal wider Erwarten unschuldig sind. Jedenfalls ist der Täter ein ganz erbärmlicher Junge, den ich exemplarisch bestrafen werde.«
»Herr Professor,« begann Kleemüller, »das hat ganz bestimmt einer von den nichtsnutzigen Primanern getan!«
»Unsinn! die Primaner sind ernste, gesittete Leute! Ich wollte, Ihr hättet halb so viel Anstand und Ehrgefühl!«
»Dann war's einer aus Tertia!« rief Gildemeister.
»Das ist hier zunächst indifferent. Vorläufig müssen wir zusehen, daß wir hinaus kommen. Heppenheimer, gehn Sie mal hinunter und rufen Sie den Pedellen!«
Wir unterdrückten nur mühsam eine diabolische Heiterkeit. Heppenheimer erhob sich und schritt mit komischer Grandezza der Tür zu.
Jetzt erst erkannte Brömmel, wie seltsam er sich geirrt hatte.
»Ja, so«, rief er in wachsendem Unwillen. »Wahrhaftig, man wird ganz irre in dieser Umgebung. Setzen Sie sich, ich werde selbst gehen!«
Eine Salve des tollsten Gelächters belohnte dieses neue Capriccio.
»Ich will sagen,« verbesserte Brömmel stirnrunzelnd, »wir müssen schleunigst den Pedellen zitieren . . . Boxer, gehn Sie ans Fenster und rufen Sie!«
»Recht gern, Herr Professor«, erwiderte Boxer zuvorkommend.
Er öffnete einen Flügel:
»Herr Quaddler! Herr Gymnasialpedell! Herr Karzerverwalter! Herr Leberecht Gottlieb Quaddler! Sie möchten doch gleich mal heraufkommen! Hören Sie nicht? Quaddler! Der Herr Professor ruft!«
»Lassen Sie Ihre Glossen«, zürnte der Lehrer, heftig aufstampfend. »Rufen Sie einfach: Herr Quaddler! und damit basta!«
»Herr Quaddler! und damit basta!« schrie Boxer aus vollem Halse.
»Ich komme ja schon«, erklang die Stimme des ehrlichen Hausverwalters, der eben mit einer Ladung von Kienspänen aus dem Holzstalle trat. »Was wollen Sie denn von mir?«
»Herr Quaddler! Sie sollen gleich mal herauf kommen! Hören Sie, Herr Quaddler? Der Herr Professor ruft! Wir sind eingeschlossen, Herr Quaddler! Eilen Sie sich, Herr Quaddler, sonst wird der Kaffee kalt! Hören Sie, Herr Quaddler?«
»Lassen Sie Ihr verdammtes ›Herr Quaddler‹!« rief Brömmel entrüstet.
»Aber der Mann heißt doch so! Ich soll nicht Herr Gymnasialpedell sagen, ich soll nicht Herr Karzerverwalter sagen . . .«
»Sie sollen das Maul halten!« schrie der Professor außer sich.
»Auch gut«, versetzte Boxer demütig.
Nach zwei Minuten ertönten auf dem Korridor Schritte. Gleich darauf pochte es schüchtern ans Türgetäfel.
»Herein!« rief der Professor zerstreut.
Quaddler drückte zur größten Erheiterung von zweiundfünfzig übermütigen Sekundanern auf die Türklinke.
»Sie müssen den Schlüssel herumdrehen«, sagte Brömmel verdrießlich. »Irgend ein frecher Wicht hat uns hier eingeschlossen.«
»Was?« fragte Quaddler.
»Den Schlüssel sollen Sie umdrehen!« schrie der cholerische Pädagoge. »Sie scheinen heute wieder infam schwerhörig!«
»Schwerhörig? Gewiß nicht, Herr Professor, aber da drüben in der Prima, wo von vier bis fünf Englisch ist, wird ergebenst so laut gelacht, daß man sein eigenes Wort nicht versteht.«
»Enthalten Sie sich aller Bemerkungen und schließen Sie auf!«
»Ja, Herr Professor, verzeihen Sie gütigst, wenn ich mir ganz ergebenst erlauben darf zu vermerken, so wird das mit dem besten Willen nicht möglich sein, weil der Schlüssel nicht steckt.«
»Was? Auch das noch? Es ist empörend.«
»Warten Sie mal, Herr Professor,« begann jetzt Boxer, indem er mit der rechten Hand seine Tasche durchsuchte, »ich habe da meinen Hausschlüssel bei mir, vielleicht paßt der . . .«
»Was? Ihren Hausschlüssel? Mit welchem Recht tragen Sie einen Hausschlüssel bei sich? Wissen Sie nicht, daß Sie Punkt neun Uhr in Ihrer Wohnung zu sein haben?«
»Gewiß, Herr Professor! Aber man kann sich doch einmal wider Willen verspäten. Wenn man zum Beispiel einen Onkel an die Bahn zu begleiten hat . . .!«
»Ihre Onkels können bei Tag reisen. Dieser Hausschlüssel wirft ein sehr bedenkliches Licht auf Ihre Gewohnheiten.«
»Das ist wohl zu schroff geurteilt! Aber darf ich einmal die Probe machen? Ich wette, er schließt!«
»Meinetwegen, versuchen Sie's!«
Boxer begann nun sehr geräuschvoll zu operieren. Natürlich erfolglos.
»Herr Professor!« rief Hutzler nach einer Weile. »Ich muß schleunigst hinaus! Ich fühle mich unwohl.«
»So? Was fehlt Ihnen denn?«
»Wir hatten Gurkensalat zum Rindfleisch, – und jedesmal, wenn ich Gurkensalat esse . . .«
»Gedulden Sie sich! Ich kann um Ihretwillen die Tür nicht eintreten lassen!«
»So erlauben Sie mir, daß ich durchs Fenster . . .«
»Ich glaube, Sie sind verrückt!«
»Keineswegs, Herr Professor! Ich klettere einfach am Rohr der Dachtraufe hinab.«
»Und brechen den Hals!«
»Nun, da wär' auch nichts weiter verloren! Sie haben mir ja so manchmal gesagt . . .«
»Sparen Sie Ihre Worte! Sie bleiben hier, bis geöffnet ist! Quaddler! sorgen Sie jetzt dafür, daß dieser Unfug ein Ende nimmt!«
»Erlauben der Herr Professor . . . Soll ich sozusagen den Schlosser holen?«
»Natürlich! Mit Ihren Fingern werden Sie bei der Sache nichts ausrichten!«
»Schön, Herr Professor. Welchen Schlosser soll ich denn holen?«
»Das ist mir gleichgültig.«
»Vielleicht den Kreiling?«
»Himmelkreuzdonnerwetter, holen Sie, wen Sie wollen!«
»So will ich den Kreiling holen. Der Burkhardt wohnt zwar bedeutend näher . . .«
»Selbstverständlich holen Sie dann den Burkhardt.«
»Belieben der Herr Professor ganz ergebenst vermerken zu wollen, der Schmelzer wohnt aber noch näher!«
Doktor Brömmel schlug mit der geballten Faust auf die Kathederfläche.
»Sie sind ein Schafskopf! Augenblicklich machen Sie, daß Sie fortkommen!«
»O, Herr Professor . . . Ich gehe ja schon«, sagte Quaddler beleidigt.
Und hiermit tappte er langsam über den Korridor und die Stiege hinunter.
Doktor Brömmel setzte sich, kreuzte nach Art Walthers von der Vogelweide ein Bein mit dem andern und heuchelte eine wahrhaft stoische Ruhe.
»Ich werde die Frist benutzen, um Ihnen ein kurzes lateinisches Exerzitium zu diktieren. Rüsten Sie sich zum Schreiben!«
»Was?« rief Boxer pathetisch. »Das steht nicht im Schulprogramm!«
»Wenn Sie sich noch ein einziges freches Wort erlauben, so schick' ich Sie nach dem Karzer!«
Boxer erhob sich.
»Frech zu sein ist meine Gewohnheit nicht; aber in aller Bescheidenheit . . .«
»Sie lernen mir zur Strafe den ersten Gesang der Odyssee auswendig. Ich will Sie lehren, meine pädagogischen Maßnahmen Ihrer unreifen Kritik zu unterwerfen! – Still jetzt dahinten! Ich beginne mit dem Diktat!«
Er legte die Arme gleichmütig vor die Brust und hub an, wie nachstehend:
»Gönne die Reichtümer den Reichen und ziehe die Tugend den Reichtümern vor!«
»Wie?« fragte Knebel. »Was soll man vorziehen?«
». . . Und ziehe die Tugend den Reichtümern vor«, wiederholte Brömmel mit eisiger Kälte.
Die Federn kritzelten hastig übers Papier.
»Wenn ich die Lehren der Weisheit verschmähe und noch im reiferen Alter wie ein Kind nach den Zerstreuungen des Augenblicks hasche, so bin ich albern . . . Das letzte Wort geben Sie mit ineptio, ineptire.«
»So bin ich was?« fragte Knebel.
»Albern sind Sie,« versetzte Brömmel, – »im höchsten Grade.«
»Gehört das mit ins Diktat?«
»Ja, Sie können sich's mit ins Diktat setzen! Heppenheimer, warum schreiben Sie nicht?«
»Ich bin fertig.«
»So? Zeigen Sie einmal her!«
Mit siegesgewissem Lächeln reichte Heppenheimer sein Blatt hin.
»Was ist das für eine erbärmliche Schmiererei?«
»Das ist Stenographie.«
»So? Stenographie? Auch wieder so ein Mittel, um den Lehrer zu hintergehen! Ich muß Ihnen sagen, daß ich von solchen Geheimschriften absolut kein Freund bin. In meinen Stunden wird so geschrieben, daß es jedermann lesen kann!«
»Das kann jedermann lesen, – vorausgesetzt natürlich, daß er's gelernt hat. Auch die gewöhnlichste Schrift ist nur dem leserlich, der sie versteht.«
»Lassen Sie Ihr Geschwätz, und schreiben Sie weiter!«
Noch drei oder vier Sätze brachten wir so zu Papier. Dann fingen wir an, die denkwürdigen Phrasen ins Lateinische zu übertragen.
»Boxer, warum schreiben Sie nicht?«
»Ich habe Kopfweh! Sechs Stunden Gymnasium sind mir gerade genug.«
»Sie lernen mir jetzt auch den zweiten Gesang der Odyssee auswendig!«
»Damit sich mein Kopfweh noch steigert? Damit ich schließlich eine Gehirnentzündung bekomme?«
»Kein Wort mehr, oder ich weise Ihnen die Tür!«
Die Klasse begann wieder zu lachen. Auch Boxer konnte nicht umhin, sich trotz seines Kopfwehs aufrichtig zu beteiligen.
»Was? Sie wollen mir hier Gesichter schneiden? Augenblicklich gehn Sie hinaus!«
»Gern, Herr Professor, sobald der Quaddler mit dem Schmelzer gekommen ist.«
»Ja so . . . Der Mensch bleibt in der Tat über alle Begriffe lang'! Heppenheimer, sehen Sie mal nach . . . Das heißt . . . Ich will sagen . . . Es ist gut! Halten Sie sich an die Arbeit!«
So verstrich eine Viertelstunde. Da knarrte es auf den Dielen des Korridors.
»Herr Professor, der Schmelzer war nicht zu Hause, und damit Sie nicht so lang warten müssen und denken, ich bin etwa nachlässig im Dienst, so wollte ich mir erlauben, Ihnen dies kurz zu melden. Ich gehe jetzt gütigst zum Burkhardt.«
»Sie sind der bornierteste Mensch, der mir je vorgekommen!« wetterte Brömmel in heller Verzweiflung. »Denken Sie, ich habe Lust, hier bis morgen früh Quarantäne zu halten?«
»Aber der Herr Professor werden so frei sein . . . insofern Sie mir doch gesagt und vermeldet haben, und der Schmelzer doch ganz in der Nähe wohnt . . .«
Brömmel verließ den Katheder und stürmte in ohnmächtigem Zorn nach der Tür. Mit geballter Faust schlug er wider die Bretter.
»Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß die Tür uns trennt«, ächzte er, kaum noch der Sprache mächtig.
»Gott verzeih' mir die Sünde, der Herr Professor sind ja furchtbar erregt! Da will ich mich doch recht beeilen, damit ich ja zur pünktlichen Zeit wieder da bin!«
Und fort war er, ehe Brömmel etwas erwidern konnte.
Wilhelm Rumpf hatte sich bis dahin abseits im Hofe herumgetrieben und die Situation ausgekundschaftet. Er benutzte den günstigen Moment, um unbemerkt den Schlüssel wieder ins Schloß zu stecken.
Brömmel saß inzwischen, von heftigen Gemütsbewegungen hin und her geschüttelt, auf dem Lehrstuhl. Sein ganzer Habitus verriet, daß er alle moralische Kraft aufwenden mußte, um nicht in schäumende Wut auszubrechen. Mit den Fingern der rechten Hand trommelte er in heftigem Dreivierteltakt auf die Kathederfläche. Ab und zu nickte er verzweiflungsvoll lächelnd vor sich hin, als wollte er sagen: »Sehr gut, wirklich, ganz ausgezeichnet! So etwas kann auch nur in Sekunda passieren!« Dann warf er wieder den Kopf in den Nacken und zuckte die Achseln. »Die ganze Sache«, so ließ sich diese Geste interpretieren, »ist mir zu erbärmlich, um mich darüber zu ärgern. Dumme Jungens seid Ihr allesamt, den Quaddler mit eingerechnet! Wenn ich doch endlich einmal dieses Gymnasium mit seinen fatalen Auftritten los wäre! – Aber die Professur an der Hochschule will noch immer nicht kommen, trotz meiner epochemachenden Studie über das griechische Medium! Das wahre Verdienst wird niemals erkannt! Fluch über dies Zeitalter!«
Endlich, endlich erschien Quaddler mit dem sehnsuchtsvoll erwarteten Burkhardt.
Der Schlossermeister war im höchsten Grad ungehalten.
»Sie denken, ich kann um jede Lumperei abkommen«, sagte er noch im Treppenbau. »Es ist jetzt verdammt schlimme Zeit: die Gesellen sind fort, und der Lehrbub versteht nichts. Um ein Schloß aufzumachen, läuft man nicht so ohne weiteres drei Meilen weit. Die paar Kreuzer machen die Suppe nicht fett!«
»Aber erlauben Sie gütigst,« erwiderte Quaddler, »das gehört doch sozusagen in Ihr Geschäft, und wo die Pflicht Ihres Amtes . . .«
»Ach was,« versetzte Burkhardt, »ich habe kein Amt, und der Teufel soll's holen, wenn ich alle Naselang aus der Werkstatt geholt werde! Das nächste Mal setz' ich Ihnen zwei Gulden auf Rechnung. Ich danke dafür, den halben Nachmittag zu vertrödeln, wenn die Leute einmal einen Schlüssel verlegen.«
So traten sie vor die Tür.
»Aber was wollen Sie denn eigentlich?« schrie Burkhardt, den armen Quaddler wütend am Arme schüttelnd. »Da steckt ja der Schlüssel! Himmelschockmillionendonnerwetter, denken Sie vielleicht, Sie können mich hier, wie ein böser Bube, zum Narren halten?«
»Ja, aber bester Herr Burkhardt, das geht nicht mit rechten Dingen zu! Vorhin stak der Schlüssel nicht, das kann ich beeidigen.«
»So? Können Sie das beeidigen? Na, mir sollen Sie wieder kommen mit Schlösseraufmachen! Einen alten Hund werde ich tun, aber nicht wieder mit Ihnen herlaufen, Sie alter, versoffener Pfannenschmied!«
Der Schlossermeister eilte fluchend die Treppe hinab. Quaddler aber stand wort- und regungslos da, eine männliche Niobe.
»Nun, wird's bald?« rief Doktor Brömmel, an der Türklinke rüttelnd.
Der Pedell seufzte. Dann drehte er in völlig geknickter Stimmung den Schlüssel um.
»Hören Sie,« begann Doktor Brömmel in strafendem Tone, »ich glaube, Sie selbst haben in Ihrer bodenlosen Zerstreutheit den Schlüssel da abgezogen! Ich hasse nichts mehr als die Zerstreutheit. Wiederholt sich dergleichen, so werde ich dafür sorgen, daß Ihnen von höchster Stelle aus ein Verweis erteilt wird.«
»Herr Professor, so wahr ich hoffe, dereinstens selig zu werden . . .«
»Das kann jeder sagen.«
»Das finde ich auch«, meinte Boxer. »Wie die Dinge liegen, kann nur Herr Quaddler die Tat verübt haben.«
»Da hören Sie's«, eiferte Brömmel.
»Aber ich will augenblicklich des Todes sterben . . .«
»Schweigen Sie! Nur von außen kann der Schlüssel herumgedreht worden sein, und Sie allein sind draußen gewesen. Ihr hartnäckiges Leugnen ist geradezu abgeschmackt. Ich werde dem Herrn Direktor nunmehr sofortige Anzeige machen.«
Wilhelm Rumpf, der diese Verhandlungen aus einer Ecke des Korridors mit anhörte, verspürte bei den strengen Worten des Professors etwas wie Mitleid. So trat er denn plötzlich ins Schulzimmer und rief atemlos:
»Ach, Herr Doktor, ich bin rein außer mir! Wie ich vorhin das Zimmer verließ, war ich so in Gedanken, daß mir ein Unglück passierte. Ich glaubte, ich wäre daheim. Denn wissen Sie, Herr Professor, Sie sprechen gerade so, wie mein Hauswirt . . . Ich weiß selbst nicht, wie es gekommen ist . . . In der Zerstreutheit zog ich den Schlüssel ab . . .«
»Knebel, schreiben Sie mal ins Tagebuch: ›Rumpf wegen groben Unfugs mit einem Tage Karzer bestraft‹. Wenn Sie wieder ein Märchen aushecken, so lügen Sie weniger ungeschickt!«
»Ein Märchen?« rief Wilhelm im höchsten Pathos. »Ich rede die Wahrheit! Wer sich schuldig fühlt, der bleibt im Verborgenen! Ich aber trete kühn vor Sie hin, um den Quaddler vom Verdacht zu befreien . . .«
»Ach ja, Herr Rumpf,« murmelte Quaddler gerührt, »das ist wirklich recht schön von Ihnen! Ich hab's ja immer gesagt, der Rumpf ist gar so kein übler Schüler nicht.«
»Es bleibt dabei«, sagte Brömmel, den Hut aufsetzend. »Wenn Sie wirklich so über alle Begriffe zerstreut sind, wie Sie behaupten, so geben Sie künftighin besser acht! Ich kann die Zerstreutheit nicht leiden! Und Sie, Quaddler, werden von jetzt ab den Schlüssel inwendig stecken lassen. Wenn uns dann jemand einschließt, können wir wenigstens öffnen, ohne den Schlosser zu rufen. Adieu!«
»Seien Sie ruhig, Herr Rumpf,« flüsterte Quaddler beschwichtigend, »ich will Ihnen die zwölf Kreuzer Pedellengebühren für den Tag Karzer nicht anrechnen!«