Johann Peter Eckermann
Gedichte
Johann Peter Eckermann

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Die Heimat.

                      O Elb', an deinen Ufern aufgewachsen,
In deinen Buchten, deinen grünen Ebnen,
Und nun versetzt ins Mittelland der Sachsen,
Zu dem von Berg und Hügeln eng umgebnen,
Hab' ich, geschieden von der Heimat Freuden,
Am Weh der Heimat oft und viel zu leiden.

Da bleibt kein Trost, als innig mich versenken
In meiner Kinderzeit beglückte Stunden
Und jenes bunten Lebens zu gedenken,
Das rückwärts unerreichbar mir entschwunden.
O süßer Traum! – Was ich als Knabe sah,
Ist meinem Geist lebendig wieder nah.

Ich seh' die Elbe, wie sie glänzend wallt,
Den stolzen prächt'gen Strom, von solcher Breite,
Daß starkes Rufen kaum hinüberschallt
Vom Strande hüben bis zur andern Seite.
Ein mannigfalt'ges frisches Wasserleben
Fühl' ich, als wär' ich dort, lebendig mich umgeben.

Die Bekassine streicht am Ufer hin
Und setzet sich nach kurzer Strecke wieder,
Auf von der Sandbank weiße Möwen fliehn,
Die mit Geschrei sich schwingen auf und nieder,
Und wilde Enten, aufgescheucht durch Stimmen,
Ziehn überhin, wenn zahme ruhig schwimmen.

Es fehlt dem Strande nicht an Schilf und Weiden.
An Netzen nicht, die in der Sonne hängen,
An heitern Dörfern nicht zu beiden Seiten,
Wo Schiffe ruhn, woran sich Kähne drängen;
Nicht fehlt's an Kindern, die im Sande spielen,
An Menschen nicht, die hier sich glücklich fühlen.

Es nährt der Strom, der fette Boden nähret,
Hier ist der Frösche, hier der Störche Land,
Die jedes Jahr, sobald der Sommer kehret,
Vom fernen Nil den Flug hieher gewandt;
Auf Dächern friedlich siehst du Nest bei Neste,
Und jeder liebt die rotgebeinten Gäste.

Dort einen siehst in seichter Ebbe waten,
Wo emsig er nach Fisch und Fröschen gucket;
Jetzt greift er zu, der Fang ist ihm geraten,
Hoch langen Schnabel, siehst du, wie er schlucket!
Nun macht er auf sich, zieht die Beine nach,
Hinstrebend übern Strom zu Nest und Dach.

Wie lebt's am Strande! – Mädchen sind geschäftig,
In roten Eimern Milch zum Schiff zu tragen,
Fährleute regen flinke Glieder kräftig,
Stromüber setzend Menschen, Pferd' und Wagen;
Von früh zu Abend wechselt der Verkehr,
Von hier hinüber und von drüben her.

Dort kommt ein Schiff, ein andres dort gefahren,
Das leicht hinab, dies schwer den Strom hinauf;
Beladen dieses mit ausländ'schen Waren,
Mit Früchten das zum nahen Marktverkauf;
Dies längs dem Strand von Männern wird gezogen,
Dem leichter Wind und Strömung sind gewogen.

Dort gegen Wind und Strom siehst du lavieren
Ein drittes Schiff, und so der Segel mehr;
Ein sechstes dort mit lust'gen Passagieren,
Ihr Lachen, ihr Geschrei dringt zu uns her;
Das ist ein Leben! Jeder fühlt sich frei! –
Mir wär' es wohl, wär ich nur auch dabei.

Doch laß sie ziehn! – Ein Beßres lockt mich an:
Dort Hamburg liegt vor meinem Blick verbreitet,
Ein Meer von Giebeln! Mit Türmen himmelan,
So weit man sieht, mit Dünsten überbreitet;
Aus vielen tausend Küchen steigt der Rauch,
Tee, Beefsteak liebt man wie in London auch.

Im lauten Hafen seh' ich Mast an Mast,
Und den Matrosen, der im Tauwerk klettert;
Vorüber gleitet jetzt ein Schiff in Hast,
Ein andres streifend, daß die Mannschaft wettert;
Der kecke Steurer aber sieht sich um,
Und tut, als scher' er sich den Teufel drum.

Grob ist das Schiffervolk, wie's wen'ge sind,
In Seegefahren kühn und unerschüttert;
Braun von der Sonne, stark von Regen und Wind,
Frisch wie die Meeresluft, die sie umwittert;
Gewandt, verwegen, sicher, frei und froh,
Bald rasch zu Werk, bald faul und immer roh.

Hier sieht man sie in Gondeln, auf Verdecken,
Engländer, Portugiesen und Franzosen,
Amerikaner, Schiffer von allen Ecken,
In runden Hüten, in Schuhn und Pluderhosen
Gestreift die Länge, hellrot oder blau;
Halstücher leicht geknüpft; – so ganz genau.

Die brachten Kaffee der Levante her;
Ihr Glück im Walfischfange machten die;
Aus Stürmen die von dem atlant'schen Meer
Mit Rum, Baumwolle, Zucker kehrten sie;
Die hatten Wein geladen von Bordeaux,
Madeira, Malaga und weiter so.

Und neben diesen Großen welch Gedränge
Von klein'ren Schiffen deutscher Nachbargrenzen!
Noch naß von wind'ger See, allwo in Menge
Sie hatten Raum zu kühnen Fischertänzen.
Hier liegen friedlich bunt sie aneinander,
Ostfriesen, Blankeneser, Helgolander.

Sodann von offnen Ewern ganze Scharen,
Drin hochgeschichtet Eimer, Körbe, Fässer,
Mit täglichem Bedarf an frischen Waren
Für Hamburgs hundertdreißigtausend Esser;
Von Obst und Früchten Schiffe schwer zum Sinken,
Und frische Milch in Eimern, welche blinken.

Hier junges Hühnervolk, in Körben flatternd,
Dort Kälber, tief ein Schiff zum Rand erfüllend;
Langhälsge Gänse schreiend, Enten schnatternd,
Und dort am Strande schweres Mastvieh brüllend:
Das wandert allzumal in Hamburgs Küche,
Man wittert schon vom Braten die Gerüche.

Mit Strom und Ebbe seid ihr hergeschwommen,
Ihr Schiffe von Curslack und Neuengamme;
Ihr näheren Vierlander seid gekommen,
Und so auch ihr vom Wilhelmburger Damme.
Von Moorburg, Finkenwerder, Twielenfleth,
Ihr alle kommt, woher der Wind auch weht.

Vom Hafen nun stadteinwärts, welch ein Leben!
Welch drängendes Getöse, Rufen, Schreien!
Man fühlt bei jedem Schritte, daß man eben
In einer Seestadt ist, in einer freien.
Die Straßen sind zu eng bei dem Gedränge
Von solcher Käufer und Verkäufer Menge.

Die rufen Milch, die Schellfisch, jene frischen
Lebend'gen Stint, die Erdbeeren und Marellen;
Kohl, Blumenkohl, Radieschen und dazwischen
Aal, grüne Aal, daß dir die Ohren gellen.
Kreidweißen Sand, Bickbeeren, Elfbütt, Sturen,
Und würz'gen Honig aus der Heide Fluren.

Und durch dies wechselnd Schreien, dieses Bieten,
Der frachtbeladnen Karren schwer Geprassel,
In schmalen Gassen und in engen Twieten,
Und leichter Stadtkarossen hell Gerassel,
Tönt Lustgesang halbtrunkener Matrosen,
Und Glockenspiel von Petri Turm, dem großen.

Das drängt und treibt! – Hier lachende Gesichter,
Dort junge Herrn mit ernsten Kaufmannsmienen;
Arbeiter hier vom kräftigsten Gelichter,
Die schwer am Tag den Tagsbedarf verdienen;
Geputzte Jungfern, wert sie zu beachten,
Und muntres Landvolk in verschiednen Trachten.

Ihr aus der Heide Sand, ihr Bardowicker,
Wie regen raschen Gangs sich eure Glieder!
Und wackre Mädchen ihr vom fernen Spieker,
Wie kleiden euch die knappgeschnürten Mieder!
Geboten uns mit eurem Frohgesichte,
Wie duften eure Blumen, eure Früchte!

Doch seh' ich recht? – Ist's Wahrheit, ist es Traum?
Naht dort nicht ein Kumpan aus Knabenzeiten?
Fast zwanzig Jahre! Doch verändert kaum,
Nachlässig weich seh' ich wie sonst ihn schreiten.
Sein Wams, der einen Schulter angehangen,
Sein Haar noch blond, noch blühend seine Wangen;

Den Hut auf einem Ohr nach alter Art,
Er kaut Tabak, wie andre Schiffer pflegen;
Am offnen Kinne hat er wenig Bart,
Er ist es! Ja! Ich tret' ihm dreist entgegen.
Wie geht dir's, Franz? »Ganz gut! kennt mich der Herr?«
Er sieht mich an und scheint verwundert sehr.

Die schwere Schifferfaust drückt meine Hand;
Noch zweifelt er, doch schämt er sich zu fragen.
Er sieht mich an, er forschet unverwandt,
Jetzt, auf einmal beginnt's in ihm zu tagen.
»Was? Peter?« – Ja, ich bin's! – »Seit zwanzig Jahren
Hab' ich kein sterbend Wort von dir erfahren.«

Dein blühend Antlitz sagt, dir ging es gut.
»Bis dato ging's ganz leidlich, ganz gelinde;
Bei Sturm und Drang behielt ich frohen Mut,
Und wie von selber ging's bei gutem Winde.
Doch dir, wie ging's in den viel tausend Tagen?«
Ein wenig bunt und nicht so leicht zu sagen.

Du siehst mich, wie nach langer Fahrt ein Schiff,
So so, ganz gut, doch hie und da beschädigt.
Bald war ich fest auf schnödem Sand und Riff,
Bald aller Not durch günst'ge Flut entledigt.
Ergriffen bald von Stürmen rauh und wild,
Meerstille dann. – Dies meines Lebens Bild.

Wo liegt dein Fahrzeug? – »Nah' der Fischerbrücke.«
Was brachtest du? – »Ich führte Passagiere.«
Wohl mit der Flut noch fährest zu zurücke?
»Wenn nichts mich aufhält, dächt' ich gegen Viere.«
Ich fahre mit! – »Bei gutem Sonnenschein
Kannst du denn heut mit mir in Winsen sein.«

Wir trennen uns. – Er geht, um einzukaufen
Tee, Kaffee, Rum, Tabak und andre Waren.
Der Tag ist warm, die Straßen lang, zu laufen
Ist nicht bequem; wohlan! so mag ich fahren.
Fiaker her! Er rollt heran im Nu;
Ich wiege mich im Sitz, nun fahre zu.

»Wohin?« – Zunächst zum Jungfernstieg, dem schönen,
Und dann so weiter, wie ich werde deuten.
Nun über Brücken geht's dahin mit Dröhnen,
Dann wieder stockt es beim Gedräng von Leuten.
An hohen Häusern schweift der Blick hinauf,
Gemalte Schilder sagen: kauf, o kauf! –

Auf diesem nächsten raucht ein schlanker Mohr,
Behaglich angelehnt, aus ird'ner Pfeife;
Und hier im Bilde, dieser Schenke vor,
Entsteigt der Flasch' ein brausendes Gesäufe.
Am Bäckerladen winkt gemaltes Brot,
Ein Hering hier, dort Schinken weiß und rot.

Die Luft ist schwül in dieser Straßen Enge,
Geschwängert mit unsäglichen Gerüchen;
Hier aus der Waren aufgehäufter Menge,
Dort strömen sie aus unterird'schen Küchen;
Aus Kellern und Tavernen dringt es hier,
Ein Dunstgemeng von Tabak, Rum und Bier.

Dann aus den Fleeten, bei verlaufner Flut,
Wenn warm entgegen dir die Lüfte streichen,
Vom Schlamm herauf, der in der Sonne ruht,
Erleidest du Gerüche sondergleichen;
Wie wenn sich Dünste widerwärtig mischen
Von Teer und Tran und halbverfaulten Fischen.

Wie atm' ich auf nach solcher dunst'gen Schwüle,
Wenn der Fiaker rollt zur letzten Brücke,
Und wenn nun endlich bei der letzten Mühle
Der heitre Landsee liegt vor meinem Blicke!
Aus glatter Fläche lacht der Himmel blau,
O Alster! Wie umgeben! Welche Schau!

Nach Norden schweift der Blick ins grüne Weite,
Die reinste Kühlung strömet dir entgegen.
Am klaren See hinab, nach jeder Seite,
Geht's an Palästen hin auf breiten Wegen.
Großstädtisch ist's, ein ländlich Paradies,
Mit feiner Welt wie London und Paris.

Hier geht der Liebende, am Arm die Schöne;
Das Alter weilt auf diesen Promenaden;
Hier spielen Kinder; rudern siehst du Schwäne,
Die dich zum Mitgenuß der Fläche laden;
Die Gondel winkt, hier bis zum Abendschein
Möcht' ich verweilen, doch es kann nicht sein.

»Wohin?« – Zurück! – Ich seh', die Zeit verrann,
Wir lassen Altona und Rainvills Garten.
Beim Doven-Fleet am Keller fahre an,
Wo aus der Heimat die Gefährten warten.
Zum Ort der Kindheit reißt mich die Begier,
Für mich ist ferner nun kein Bleiben hier.

Wir sind im Schiff. – Die Stadt in ihrer Größe
Weicht schon zurück; die Türme sieht man ragen,
Doch hört man noch der Straßen dumpf Getöse,
Wie man von fern die Brandung höret schlagen.
Allmählich nun verhallt auch diese Spur,
Man fühlt sich tief im Frieden der Natur.

Des Schilfs, der Weiden Grün, das Weiß der Segel,
Der Wimpel Rot, das reine Blau der Luft;
Hoch überhin das Schrein der Meeresvögel,
Und unten her des Wassers eigner Duft;
Des Sommers Glanz, die Lust nach allen Seiten,
Sind Wonnen, die so heitre Fahrt begleiten.

Wie strebt das Schiff gradaus mit günst'gen Lüften
Und mächt'ger Flut! Nicht Not, daß man laviere.
Die Schiffer ruhn bequem auf Arm und Hüften,
Voll Scherz und Lachen sind die Passagiere.
Am Steuer sitz' ich neben dem Kumpan
Und seh' der Landschaft heitre Bilder an.

Aus Silberpappeln seh' ich Häuser schauen
Mit farb'gen Giebeln über grünen Deichen;
Und drüben seh' ich Dächer, die im blauen,
Im Ferne-Duft des breiten Stroms entweichen.
Vom Damm her zieht bis an des Wassers Rand
Sich Röhricht, Ried und fettes Weideland.

Gehegt dort seh' ich Gruppen bunter Rinder,
Teils käuend ruhn, teils tief im Grase gehen;
Von guter Rasse Pferde dort nicht minder
Am Schlagbaum mit gekreuzten Hälsen stehen;
Dort andre, die nach Kühlung voll Verlangen
Ins Wasser tief bis an den Leib gegangen.

Hier weiden Kälber, die, so wie wir fahren,
Neugier'gen Schritts ein Weilchen uns begleiten;
Am nassen Strande Gänse dort in Scharen,
Die mit Geklander sich zur Flucht bereiten;
Nur wen'ge ruhen fort auf breiten Füßen,
Langhälsig mit Geschrei uns zu begrüßen.

So Bucht auf Bucht entweichet nacheinander,
Im Fernen ist die Schanze schon zu sehen;
Dort links die letzte Landschaft der Vierlander,
Bald werd' ich auf der Heimat Boden stehen.
Die Segel ein! Rechts an! Schon sind wir da,
Der Kindheit liebste Fluren sind mir nah.

Einsam zu Fuß geh' ich die kurze Strecke
Des Deiches Krümmung nach, daß nichts mich störe.
Nun bei des Nachbardorfes letzter Ecke
Liegt vor mir frei die Stadt, der ich gehöre;
Das Schloß erglänzt im Schein der Abendsonne, –
Wie fass' ich all' die langentbehrte Wonne.

Gesegnet Land! Soweit das Auge späht,
Erblick' ich deiner Ebne fette Triften,
Mit Roß- und Rinderherden übersät,
Durchschlängelt von zwei Flüssen, von beschifften.
Der Hirtenknabe pfeift sein muntres Lied,
Und manch ein Vogel singt in Busch und Ried.

Und du, der Kindheit Fluß, geliebte Luh'!
Laß mich die Hand mit deinem Wasser kühlen!
Wie sonst auf klarem Sande fließest du,
O könnt' ich wieder mich als Knabe fühlen!
Du bist so jung noch wie vor zwanzig Jahren,
Mich siehst du wieder mit fast grauen Haaren.

Mich trieb mein Stern voll Unruh weit umher,
Von Weisen lernt' ich, war am Fürstenthrone;
Ich stand am Po, am mittelländ'schen Meer,
Am See Venedigs, trank die Flut der Rhone;
Ich sah den Rhein, die Maas, der Nordsee Welle, –
Du flossest ruhig fort an kleiner Stelle.

Wie zu beneiden scheinet mir dein Los!
Was hab' ich denn erreicht? – Doch laß mich schweigen.
Die Sonne sinkt hinunter still und groß,
Der Tag mit seinem Leben will sich neigen.
Der müde Wandrer, lang' umhergetrieben,
Ruht bald erquickt am Herzen seiner Lieben.

 


 


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