Georg Ebers
Die Schwestern
Georg Ebers

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218 Fünfzehntes Kapitel.

Lysias hatte recht gesehen.

Der mit den Schimmeln bespannte Wagen, dem er bei seiner Flucht mit Irenen ausgewichen war, gehörte dem Eunuchen Euläus.

Des kühlen Morgens wegen und weil ihn Kleopatra's Gespielin Zoë begleitete, bediente er sich eines geschlossenen Fuhrwerks, in dem er auf weichen Kissen neben der Macedonierin saß und sie durch eifriges, in seiner Weise witziges Geplauder für sich zu gewinnen suchte.

Auf der Hinfahrt, dacht' er, mache ich sie mir ganz gewogen, bei der Heimkehr rede ich auch von meinen eigenen Angelegenheiten.

Schnell und angenehm verging Beiden die Fahrt und weder sie noch er achteten auf den Hufschlag der Rosse, die Irene entführten.

Hinter dem Akazienhain stieg Euläus aus und bat die Macedonierin, sich die Stunde nicht lang 219 werden zu lassen, in der er mit dem Oberpriester zu verhandeln habe; vielleicht, bemerkte er, könne sie auch die Zeit des Wartens ausnutzen, indem sie zu der falschen Hebe in Beziehung zu treten beginne.

Irene war längst im Hause des Bildhauers Apollodor freundlich aufgenommen worden, als Beide sich wieder bei der Kutsche zusammenfanden, Euläus nur scheinbar, Zoë in der That höchst unzufrieden mit dem, was im Tempel auszurichten gewesen war.

Der Oberpriester hatte die Aufforderung Philometor's, die Krugträgerin am Geburtstage des Königs Euergetes in den Palast zu senden, mit einer Entschiedenheit zurückgewiesen, die der Eunuch dem früher zu manchem vermittelnden Schritte geneigten Manne nie zugetraut haben würde, und Zoë die Krugträgerin nicht einmal gesehen.

»Ich glaube,« sagte die kluge Freundin Kleopatra's, »daß ich Dir zu spät gefolgt bin und daß, als ich eine halbe Stunde nach Dir den Tempel betrat, vor dem mich erst der alte Arzt Imhotep und dann ein Gehülfe des Bildhauers Apollodor mit neuen Philosophenbüsten aufgehalten hatte, von dem Oberpriester schon der Befehl ertheilt worden war, das Mädchen verborgen zu halten, denn als ich es zu sehen begehrte, führte man mich erst in ihr elendes Gemach, das mir für Bauern oder Ziegen passender zu sein schien, als für eine Hebe, selbst für eine falsche, – aber ich fand es völlig leer.

»Dann wies man mich in den Serapistempel, wo ein Priester einige Mädchen im Singen unterwies, 220 dann hier- und dorthin und endlich, nachdem ich nirgends eine Spur der berühmten Irene gefunden, zu der Wohnung eines Thorwächters dieses Tempels.

»Ein unschönes Weib öffnete mir die Thür und sagte, Irene sei schon längst nicht mehr bei ihr, wohl aber ihre ältere Schwester, die ich dann zu mir zu kommen ersuchen ließ.

»Aber was erhielt ich zur Antwort?

»Die Göttin Klea, so nenn' ich sie, weil sie doch die Schwester einer Hebe ist, habe ein krankes Kind zu pflegen und wenn ich sie sehen wolle, möchte ich sie aufsuchen.

»Das klang etwa so, als wollte sie mir sagen lassen, daß es ja eben so weit von mir zu ihr, als umgekehrt wäre.

»Immerhin hielt ich es der Mühe werth, mir die selbstbewußte Krugträgerin anzuschauen, und ich trat in ein niedriges Gemach – mich ekelt noch, wenn ich an den Geruch der Armuth denke, der es erfüllte, – und da saß sie mit einem blödsinnigen, sterbenden Kind auf dem Schooß.

»Alles, was mich umgab, war so abschreckend und traurig, daß es mich noch nach Wochen im Traum ängstigen und mir die heiteren Stunden verderben wird.

»Ich blieb auch nicht lange bei den unseligen Leuten, aber gestehen muß ich, daß, wenn Irene der Hebe so ähnlich sieht, wie ihre ältere Schwester der Hera, Euergetes Grund hat zu zürnen, wenn ihm Asklepiodor das Mädchen vorenthält.

221 »Manche Königin, und nicht am letzten eine, der wir beide am nächsten stehen, gäbe wohl ihr halbes Reich darum, wenn sie solche Gestalt und solche Haltung besäße, wie diese dienende Dirne.

»Und mit welchen Augen sie mich ansah, als sie sich mit dem hustenden Leichnam im Arme erhob und mich fragte, was ich von ihrer Schwester begehre!

»Ein gewaltiger, finsterer Ernst glühte in diesem Auge, das aus einem Medusenhaupt in ihren schönen Kopf versetzt zu sein schien. Es lag darin selbst eine Drohung, die sich nicht anders auffassen ließ, als etwa also: ›Verlange von ihr nichts, was mir nicht gefällt, oder Du wirst auf der Stelle in einen Felsen verwandelt.‹ Keine zwanzig Worte antwortete sie auf meine Fragen, und als ich draußen wieder frische Lust schöpfte, die mir noch nie so gut gemundet hat, wie vor der Thür dieser widrigen Höhle, da wußt' ich weiter nichts, als daß Niemand den Schlupfwinkel kenne oder kennen wolle, in dem sich die schöne Irene verborgen, und ich gut thun würde, nicht weiter nach ihr zu fragen.

»Was wird Philometor nun thun?

»Was wirst Du ihm rathen? –«

»Was man nicht durch leichte Reden erlangt, das läßt sich zuweilen durch ein schweres Geschenk erkaufen,« entgegnete der Eunuch. »Du weißt ja, von allen Worten, die es gibt, ist diesen Herren keines weniger geläufig, als das kleine ›genug‹; aber wer bequemt sich wohl leicht, es zu sagen?

»Da erzählst Du mir von dem Stolz und der 222 strengen, abweisenden Haltung der Schwester unserer Hebe.

»Ich habe sie auch gesehen und finde, daß ihr Bild in der Stoa als glückliche Vermenschlichung der strengen Tugend ausgestellt werden könnte, und doch pflegen die Kinder den Eltern zu gleichen; ihr Vater aber war der größte Nimmersatt und listigste Spitzbube, der mir je vorgekommen ist, und mußte mit nur zu gutem Grund in die Goldbergwerke geschickt werden.

»Wegen der Tochter eines Verbrechers wirst Du jetzt durch den Staub und Sonnenbrand gejagt und mußt Dir Hohn und Abweisung gefallen lassen, mir aber droht durch die Dirne ernste Gefahr, denn Du weißt, daß Kleopatra jetzt die Laune hat, den Römer Publius Scipio auszuzeichnen; der aber läuft unserer Hebe nach, hat ihr versprochen, für ihren Vater die unverdiente Begnadigung zu erwirken, und wird nun versuchen, auf mich die Schuld des Diebes zu wälzen.

»Heute noch will ihn die Königin hören, und Du weißt nicht, wie viel Feinde sich ein Jeder erwirbt, der, wie ich, lange Jahre zu den Leitern eines großen Staates gehört. Der König erkennt mit Dankbarkeit an, was ich für seine Mutter und ihn geleistet; wenn Publius Scipio aber Kleopatra in der Stunde, in der er mich anklagt, besser gefällt als in einer andern, so bin ich verloren.

»Du bist ja stets in der Umgebung der Herrin; sage Du ihr, wer diese Dirnen sind und was den Römer veranlaßt, mich mit der Schuld ihres Vaters 223 zu belasten. Es wird sich ja wohl die Gelegenheit finden, Dir und den Deinen einen andern Freundschaftsdienst zu erweisen.«

»Schändliches Gesindel!« rief Zoë. »Verlasse Dich darauf, ich werde nicht schweigen, denn ich thue immer was recht ist und mag auch nicht sehen, daß Andere Unrecht erleiden, am wenigsten aber, daß ein Mann von Deinen Verdiensten an seiner Ehre geschädigt wird, weil einem übermüthigen Fremden ein hübsches Lärvchen und eine aufgeblasene Puppe gefällt.«

 


 

Wenn Zoë die Luft in der Wohnung des Thorhüters abscheulich gefunden, so war sie im Rechte, konnte doch die arme, unverwöhnte Irene sie ebensowenig ertragen, wie die anspruchsvolle Gespielin einer Königin. Auch Klea kostete es Ueberwindung, in dem elenden Gemach zu verweilen, das eine ganze Familie beherbergte, in dem auf einem rauchigen Herde gekocht und während der Nacht eine Ziege und ein paar Hühner beherbergt wurden; aber sie hatte im Dienste dessen, was sie für Recht hielt, schon Schwereres erduldet und sie liebte den kleinen Philo so sehr, ihre Sorge für die allmälige Erweckung seines schlummernden Geistes hatte ihr so viel Befriedigung und die zärtliche Dankbarkeit dieses Kindes so reichen Lohn gewährt, daß sie, sobald sie fühlte, wie nöthig ihre Gegenwart und Pflege dem kleinen Kranken sei, völlig vergaß, in einer wie widerwärtigen Umgebung sie sich befand.

224 Imhotep, der berühmteste unter den priesterlichen Aerzten im Asklepiustempel, ein Mann, der mit der ägyptischen Medizin so wohl vertraut war wie mit der griechischen, und den man, seitdem er von dem Könige Philometor aus Alexandria nach Memphis berufen worden war, den neuen Herophilus nannte, hatte dem schlummernden und nach und nach sich belebenden Geiste des kleinen Philo, den er täglich sah, wenn er den Tempel betrat, längst seine Aufmerksamkeit zugewandt und kam, bald nachdem Zoë die Wohnung des Thorhüters verlassen, zum dritten Mal, um nach dem kleinen Kranken zu sehen.

Klea hielt, als er eintrat, Philo noch immer auf ihrem Schooße.

Vor ihr auf einem hölzernen Sessel stand in einem Kohlenbecken ein kleiner kupferner Kessel, den der Arzt gebracht hatte, und an dem ein langes Rohr befestigt war.

Dieß letztere bestand aus zwei Theilen, welche durch einen ledernen Cylinder verbunden waren, der das obere Stück hin und her zu bewegen gestattete.

Die Krugträgerin führte das Rohr von Zeit zu Zeit an die Brust des Kindes und ließ es nach Imhotep's Vorschrift den heißen Wasserdampf, der ihm entströmte, einathmen.

»Hat es lösend gewirkt, wie es sollte?« fragte der Arzt.

»Ich glaube wohl,« entgegnete Klea, »es rasselt doch nicht mehr so in der Brust, wenn der arme Schelm Luft schöpft.«

225 Der Alte näherte sein Ohr dem Munde des Kleinen, legte seine Hand auf seine Stirn und sagte:

»Wenn das Fieber sich mäßigt, so hoffe ich das Beste. Dieß Dampfathmen ist ein gutes Mittel für solche böse Verschleimung, und ehrwürdig ist es dazu, denn schon in den ältesten Schriften des Hermes wird angerathen, es in Fällen wie diesem da anzuwenden.

»Aber nun ist's damit genug!

»Dieser Dampf, dieser Dampf!

»Weißt Du, daß er stärker ist als Pferde und Stiere und die vereinte Kraft einer Schaar von Riesen? Der fleißige Hero von Alexandria fand es vor Kurzem.

»Unser Kranker hat jetzt genug davon, denn wir dürfen ihn nicht zu sehr erhitzen.

»Nimm jetzt ein leinenes Tuch; das da wird's thun, wenn's auch nicht schön ist. Leg' es zusammen, feuchte es mit kaltem Wasser hübsch an, – da steht ja welches in dem elenden Ding da – wie soll man es nennen? – und nun zeig' ich Dir, wie man es dem Kinde um den Hals legt.

»Du brauchst mir nicht zu beweisen, daß Du mich verstehst, Klea, denn Du hast Hände, Hände und dazu eine Geduld! Fünfundsechzig Jahre leb' ich nun und war immer gesund, aber ich möchte beinahe einmal krank werden, nur um mich von Dir pflegen zu lassen.

»Das arme Ding da hat's gut, besser als manches leidende Königskind, dem gedungene Wärterinnen Alles thun und reichen, was es auch braucht, aber nur Eines nicht geben können, weil sie's nicht haben, ich meine 226 die liebevolle, freundliche, niemals müde Geduld, mit der Du an dem Geiste dieses Kindes ein Wunder verrichtet und nun auch an seinem Leibe ein zweites zu thun in. Begriffe stehst.

»Nein, nein, mein Mädchen, nicht mir, sondern Dir hat dieses Weib da zu danken, wenn ihm sein Kind erhalten bleibt.

»Hörst Du es, Frau?

»Sag' es auch Deinem Manne; und wenn ihr die Klea nicht ehrt wie eine Göttin und ihr die Hände nicht unter den Fuß legt, so soll euch – nun ich will euch nichts Böses wünschen, denn ihr habt ja auch so schon des Guten nicht eben zu viel.«

Bei diesen Worten trat des Thorhüters Weib scheu auf den Arzt und das kranke Kind zu, strich sich ihr wirres, ungeordnetes Haar ein wenig aus der Stirn, kreuzte die hageren Arme langgestreckt auf dem Rücken, blickte mit weit vorgeneigtem Halse auf den Knaben hernieder, sah mit dummem Erstaunen auf die nassen Tücher und fragte dann zaghaft:

»Sind die bösen Geister heraus aus dem Kinde?«

»Freilich,« entgegnete der Arzt, »die Klea dort hat sie beschworen und ich hab' ihr geholfen; nun weißt Du's.«

»Dann darf ich wohl etwas fort? Ich habe das Pflaster im Vorhof zu fegen.«

Nachdem sie sich, einem zustimmenden Winke Klea's folgend, entfernt hatte, sagte der Arzt:

»Mit wie vielen bösen Dämonen haben wir es doch zu thun und mit wie wenigen guten! Es glauben 227 die Menschen auch viel lieber und leichter an schädliche, als an freundliche und hülfreiche Geister, denn wenn es ihnen schlecht geht, und daran sind sie doch gewöhnlich selbst schuld, dann erscheint es ihnen tröstlich und thut ihrer Eitelkeit gut, wenn sie's einem Andern, wenn sie's bösen Geistern in die Schuhe zu schieben vermögen; aber wenn sie sich wohl befinden, wenn das Glück ihnen lacht oder ihnen etwas Schweres gelungen, dann wollen sie das natürlich sich selbst, ihrem Geschicke und ihrer hohen Einsicht zu danken haben und lachen Den aus, der sie an die Erkenntlichkeit mahnt, die sie den hülfreichen Dämonen schulden. Ich für mein Theil halte mehr von den guten, als von den bösen Geistern, und zu den besten von allen gehörst Du ohne Zweifel, mein Mädchen.

»Von Viertelstunde zu Viertelstunde wechselst Du den Umschlag, und dazwischen gehst Du in's Freie und spülst Dir die Brust mit frischer Luft aus, denn Deine Wangen sind bleich. Um Mittag gehst Du etwas in Dein Stübchen und versuchst zu schlafen. Man darf kein Ding übertreiben und Du wirst mir gehorchen.«

Klea nickte dem Arzte töchterlich freundlich zu, Imhotep strich ihr mit der Hand über das Haar und entfernte sich; sie aber blieb in dem dumpfen, heiß und heißer werdenden Raum allein mit dem kranken Kinde, wechselte die Umschläge und freute sich über seinen immer freier und geräuschloser wehenden Athem.

Dazwischen überfiel sie eine kleine Müdigkeit und sie schloß die Augen ein wenig, aber immer nur auf 228 kurze Zeit, und dieses mit Träumereien durchflochtene, bloß dann und wann von einer leicht und gern zu erfüllenden Pflicht unterbrochene Halbwachen, diese Aufhebung der Spannkraft aller Glieder besaß eine gewisse Süßigkeit, deren sie sich auch bewußt ward.

Sie fühlte sich hier am rechten Platze; die guten Worte des Arztes hatten ihr wohl gethan, und der Angst um ein geliebtes Leben war die wohlbegründete Hoffnung auf seine Erhaltung gefolgt.

Schon in der Nacht hatte sie den festen Entschluß gefaßt, dem Oberpriester zu erklären, das Amt der an der Bahre des Osiris klagenden Zwillingsschwestern nicht annehmen zu können und lieber versuchen zu wollen, für sich und Irene – denn daß auch diese ernstlich thätig sein könne, kam ihr nicht in den Sinn – zu Alexandria, wo auch Blinde und Lahme Beschäftigung fanden, durch ihrer Hände Arbeit das Brod zu verdienen.

Auch diese Aussicht, die sie gestern noch erschreckt hatte, begann ihr jetzt freundlich zu winken, denn sie eröffnete ihr die Möglichkeit, die mächtige, sie erfüllende Thatkraft selbstständig zu bewähren.

Dann und wann stellte sich auch das Bild des Römers Publius Scipio vor ihr inneres Auge, und jedesmal, wenn das geschah, wurde sie roth bis zur Stirn.

Aber sie gedachte heute des Störers ihrer Ruhe ganz anders als gestern, denn gestern hatte sie sich mit Scham von ihm besiegt gefühlt, heute aber wollte es ihr scheinen, als habe sie beim Aufzug am 229 vergangenen Nachmittag über ihn triumphirt, indem sie seinen Blicken standhaft auswich und ihm, als er es wagte, sich ihr zu nähern, entrüstet den Rücken kehrte.

So war es gut, denn wie mochte nun der stolze Mann sich noch einmal einer Demüthigung aussetzen!

»Aus, aus! für immer aus!« murmelte sie vor sich hin, und ihre Augen und ihre Stirn, auf denen bis dahin ein Lächeln geschwebt hatte, nahmen wieder den Ausdruck abweisender Härte an, der gestern den Römer zurückgeschreckt und empört hatte.

Aber bald milderte sich die Strenge ihrer Züge, denn sie sah vor sich den bittenden Blick des ernsten Jünglings, sie erinnerte sich des Lobes, das ihm der Klausner gespendet, und als ihr dann wieder mitten unter diesen Gedanken die Augen zufielen und der Schlummer ihren Geist für wenige Augenblicke berührte, sah sie im Traum den Cornelier, der festen Schrittes auf sie zutrat, sie wie ein Kind auf seinen Arm nahm, ihre gegen ihn ankämpfenden Hände an den Knöcheln ergriff, sie mit rauher Gewalt zusammenpreßte und sie selbst in einen am Ufer des Nils ankernden Kahn warf.

Mit aller Kraft kämpfte sie gegen diesen Ueberfall an, schrie laut auf vor Entrüstung und erwachte vom Klang ihrer eigenen Stimme.

Jetzt erhob sie sich, trocknete ihre in Thränen schwimmenden Augen, legte einen neuen Umschlag auf den Hals des Kindes und trat dann, dem Rathe des Arztes folgend, in's Freie.

Die Sonne stand bereits in der Mittagshöhe und 230ihre Strahlen prallten kräftig auf die gelben Sandsteinplatten des Vorhofs hernieder.

Nur einer von den diesen weiten, unbedachten Raum umgebenden Säulengängen warf einen schmalen, kaum armbreiten Schatten, und sie betrat ihn nicht, denn es standen unter seinem Dache mehrere Betten, auf denen Pilger lagen, die hier in der Wohnung des Gottes Träume zu empfangen hofften, welche einen Einblick in die Zukunft gewährten.

Klea's Haupt war unbedeckt, und eben wollte sie, weil sie die Glut des Mittags fürchtete, sich in das Haus des Thorhüters zurück begeben, als sie einen jungen, weißgekleideten, im besondern Dienste Asklepiodor's thätigen Schreiber über den Hof kommen und ihr mit Lebhaftigkeit winken sah.

Sie ging ihm entgegen, aber schon ehe sie ihn erreicht hatte, rief er ihr die Frage entgegen, ob sich ihre Schwester Irene im Wächterhause befinde. Der Oberpriester verlange sie zu sprechen, aber sie sei nirgends zu finden.

Klea entgegnete ihm, daß sie bereits von einer vornehmen Frau vom Hofe der Königin nach ihr gefragt worden sei, und daß sie sie vor Anbruch des Tages, als sie die Krüge für den Altar des Gottes aus dem Sonnenbrunnen füllen wollte, zum letzten Male gesehen habe.

»Das Wasser für die früheste Spende,« antwortete der Priester, »stand zu rechter Zeit auf dem Altar, aber für die zweite und dritte mußten Doris und ihre Schwester sie holen. Asklepiodor ist 231 unwillig, nicht auf Dich, denn er weiß von Imhetop, daß Du Dich eines kranken Kindes annimmst, wohl aber auf Irene. Denke nach, wo sie sein kann. Es muß auch etwas Wichtiges vorgefallen sein, das der Oberpriester ihr mitzutheilen begehrt.«

Klea erschrak, denn es kamen ihr Irenens Thränen vom gestrigen Abend und ihr Sehnsuchtsschrei nach Freude und Freiheit in den Sinn.

Hatte die Unbesonnene diesem Verlangen nachgegeben und sich ohne ihr Wissen, wenn auch nur auf wenige Stunden, fortgestohlen, um die Stadt und das glänzende Leben in ihr zu sehen?

Sie nahm sich zusammen, um dem Boten nicht ihre Besorgniß zu verrathen, und sagte mit niedergeschlagenen Augen:

»Ich werde sie suchen.«

Eilend begab sie sich in das Haus zurück, sah noch einmal nach dem kranken Kinde, rief seine Mutter, zeigte ihr, wie sie die Umschläge zu machen habe, schärfte ihr ein, sorgfältig und pünktlich bis zu ihrer Rückkehr die Verordnungen Imhotep's zu beachten, gab Philo einen zärtlichen Kuß auf die Stirn, empfand an ihren Lippen, daß der Kleine weniger heiß sei als am Morgen, und begab sich zuerst in ihre Wohnung.

Dort lag und stand Alles noch ebenso, wie sie es in der Nacht verlassen, nur die goldenen Krüge fehlten.

Das steigerte Klea's Angst, aber der Gedanke, Irene könnte die kostbaren Gefäße mit sich genommen haben, um sie zu verkaufen und ihr Leben durch den 232 Erlös zu fristen, blieb ihr fern, denn ihre Schwester, das wußte sie, war unvorsichtig und leicht erregbar, aber keiner schlechten Handlung fähig.

Wo sollte sie die Verlorene suchen?

Der Klausner Serapion, den sie zuerst ansprach, wußte nichts von ihr.

Am Altar des Serapis, wohin sie sich nun begab, fand sie beide Krüge und trug sie in ihre Wohnung zurück.

Vielleicht hatte Irene den alten Krates besucht, und während sie seiner Arbeit zuschaute und mit ihm plauderte, Zeit und Stunde vergessen; aber der priesterliche Schmied, den sie in seiner Werkstätte aufsuchte, wußte nichts von der Verschwundenen.

Er hätte Klea gern geholfen, seinen Liebling zu suchen, aber das neue Schloß für die Apisgräber mußte bis Mittag fertig sein und seine geschwollenen Füße thaten ihm weh.

Vor der Thür des Alten blieb Klea nachdenklich stehen, und es fiel ihr ein, daß Irene manchmal in freien Stunden in den Taubenschlag des Tempels geklettert war, um von dort aus in die Ferne zu blicken, den brütenden Thieren zuzusehen, ihren Jungen Futter in die breiten Schnäbel zu stecken und den aufwirbelnden Schwärmen nachzuschauen.

Die aus Töpfen und Nilschlamm zusammengefügten Taubenhäuser standen auf dem Speicher, der sich an die südliche Umfassungsmauer des Tempels schloß.

Sie eilte über sonnige Höfe und spärlich beschattete Gänge dorthin und erstieg das flache Dach des 233 Vorrathshauses, aber sie fand dort weder den alten Taubenwärter, noch seine beiden, ihn in seiner Arbeit unterstützenden Enkelknaben, denn alle drei theilten im Vorraum der Küche die Mahlzeit der Tempeldiener.

Klea rief einmal, zwei-, zehnmal den Namen ihrer Schwester, aber Niemand antwortete ihr.

Es war, als ob die Glut der Sonne jeden von ihren Lippen tönenden Laut verzehre.

Jetzt schaute sie in den ersten Schlag, dann in den zweiten und dritten bis zu dem letzten.

Wie erhitzte Oefen strahlten die zahlreichen irdenen Wohnungen der schnellen Thiere brennende Wärme aus, aber das hinderte sie nicht, jeden versteckten Winkel in ihnen zu durchsuchen.

Schon glühten ihre Wangen, heller Schweiß perlte auf ihrer Stirn und es kostete sie Mühe, sich von dem Staub der Taubenschläge zu säubern, aber noch war sie nicht entmuthigt.

Vielleicht war Irene in das Anubidium oder das Heiligthum des Asklepius gegangen, um nach der Meinung eines seltsamen Gesichts, das sie gehabt haben konnte, zu forschen, denn dort lebte neben den ärztlichen Priestern auch eine Priesterin, welche die Träume der Heilung Suchenden noch besser zu deuten wußte, als einer der Klausner, welcher gleichfalls diese Kunst zu üben verstand.

Die Fragenden hatten vor dem Asklepiustempel oft lange zu warten.

Diese Erwägung ermuthigte Klea und machte sie 234 unempfindlich gegen den heißen Südwestwind, der sich zu erheben begann, und die Glut des Tagesgestirns, aber als sie langsam, wie ein Krieger nach der verlorenen Schlacht, zum Pastophorium zurückging, litt sie schwer unter der Hitze, und Angst und Ungewißheit bedrängten ihre Brust.

Sie hätte so gern geweint und manchmal versuchte sie auch, vor sich hin zu stöhnen, als ob sie schluchze, aber der Trost der das Herz erleichternden Thränen blieb ihr dennoch versagt.

Ehe sie Asklepiodor mittheilte, daß ihr Suchen vergeblich gewesen, drängte es sie, noch einmal mit ihrem Freunde, dem Klausner, zu reden, aber schon ehe sie seine Zelle zu erblicken vermochte, trat ihr der Schreiber des Oberpriesters von Neuem in den Weg und befahl ihr, ihm in den Tempel zu folgen.

Hier mußte sie in tödtlicher Ungeduld länger als eine Stunde in einem Vorzimmer warten.

Endlich führte man sie in einen Saal, wo Asklepiodor und die gesammte höhere Priesterschaft des Serapis versammelt war.

Zagend trat Klea vor die vielen mächtigen Männer und hatte wieder minutenlang zu harren, ehe der Oberpriester sie fragte, ob sie gar keine Auskunft über das Verbleiben des Flüchtlings zu geben vermöge und ob sie nichts bemerkt oder erfahren habe, was auf ihre Spur leiten könne, denn er, Asklepiodor, wisse, daß, wenn Irene sich heimlich aus dem Tempel entfernt habe, dieß sie selbst ebenso bekümmern werde wie ihn.

235 Klea mußte mühsam nach Worten suchen und ihre Kniee bebten, als sie nun zu reden begann, aber sie wies den Stuhl ab, den ihr Asklepiodor zu bringen befahl.

Der Reihe nach zählte sie alle Orte auf, an denen sie ihre Schwester vergeblich gesucht hatte, und als sie auch das Heiligthum des Asklepius nannte und ihr dabei das Bild einer vornehmen Frau, die mit vielen Sklavinnen und Dienerinnen gekommen war, um sich einen Traum deuten zu lassen, in die Vorstellung trat, fiel ihr auch Zoë's Besuch und ihre erst überfreundlichen, dann aber höhnischen und immer hochmüthigeren Fragen nach ihrer Schwester ein.

Sogleich unterbrach sie sich in ihrer eigenen Rede und sagte:

»Aus freiem Antrieb, heiliger Vater, ist Irene gewiß nicht geflohen, aber vielleicht hat sie Jemand verlockt, den Tempel und mich zu verlassen; sie ist ja noch ein Kind mit schwankendem Herzen. Könnt' es wohl sein, daß eine vornehme Frau sie verführt hat, mit ihr zu gehen? Eine solche suchte mich heute im Hause des Thorhüters auf. Sie war reich gekleidet, trug einen goldenen Halbmond im blonden, lockigen, mit seidenen Bändern durchflochtenen Haar und fragte mit Dringlichkeit nach meiner Schwester. Der Arzt Imhotep, der ja häufig den Palast des Königs besucht, hat sie gesehen und mir gesagt, daß sie Zoë heiße und eine Gespielin der Königin Kleopatra sei.«

Bei diesen Worten ergriff eine große Erregung die versammelten Priester und Asklepiodor rief:

236 »Weiber, Weiber! So hattest Du dennoch Recht, Philammon; ich konnte und wollt' es nicht glauben! Kleopatra hat Manches gethan, was man nur Königinnen verzeiht, aber daß sie sich zum Werkzeuge der wilden Leidenschaften ihres Bruders hergibt, das hieltest selbst Du, Philammon, der eher das Böse als das Gute erwartet, für wenig wahrscheinlich. Aber was läßt sich nun thun? Wie können wir uns gegen Gewalt und Uebermacht wehren?«

Klea war mit hochgerötheten Wangen und glühend von der Hitze des Mittags zu den Priestern getreten, aber bei den letzten Worten Asklepiodor's wich alles Blut aus ihrem tief erbleichenden Antlitz und ein kalter Frost durchschüttelte ihre Glieder.

Ihres Vaters Kind, ihre heitere, unschuldige Irene geraubt, listig geraubt für Euergetes, den wildesten Wüstling, dessen Treiben ihr Serapion erst gestern Abend beschrieben, als er ihr die Gefahren ausmalte, die sie und Irene, wenn sie den Tempel verlassen sollten, bedrohen würden.

Ja gewißlich!

In Glanz und Wohlleben hatte man ihr geliebtes Sorgenkind, ihren Trost und ihre Freude gelockt, damit sie in Schande untergehe!

Sie mußte sich an der Lehne des Stuhles, den sie verschmäht hatte, festhalten, um nicht zusammen zu sinken.

Aber nur wenige Augenblicke ward sie von dieser Schwäche beherrscht, dann schritt sie mit zwei raschen Schritten auf den Tisch los, hinter dem der Oberpriester saß, klammerte sich mit der Rechten an die 237 Platte desselben und ihre sonst so wohllautende tiefe Stimme hatte einen heisern Klang, als sie rief:

»Ein Weib hat sich dem Laster zum Werkzeug geboten, um ein anderes Weib des Namens eines Weibes unwerth zu machen, und ihr, die ihr die Hüter seid des Rechten und der Tugend, die ihr im Sinne der Götter, denen ihr dient, zu handeln berufen seid, ihr fühlt euch zu schwach, es zu hindern? Wenn ihr das duldet, wenn ihr diesem Frevel nicht steuert, so seid ihr, ja, ich lasse mich nicht unterbrechen, so seid ihr des heiligen Namens, der Ehrfurcht, die ihr beansprucht, nicht würdig, so klag' ich . . .«

»Schweig', Mädchen!« unterbrach Asklepiodor die furchtbar Erregte. »Zu den Gotteslästerern ließ' ich Dich sperren, wenn ich nicht den Schmerz zu achten wüßte, der Dich um den Verstand bringt. Wir werden für die Geraubte einzutreten wissen, Du aber wirst Dich schweigend gedulden. Du, Kallimachus, befiehlst sogleich dem Boten Ismael, dem Rappen den Zaum anzulegen, um nach Memphis zu reiten und ein Schreiben von mir der Königin zu überbringen; laßt es uns gemeinsam abfassen und unterschreiben, sobald wir völlig gewiß sind, daß Irene aus diesen Mauern entführt ward. Befiehl jetzt, das große Blech zu schlagen, Philammon, das alle Bewohner des Tempels zusammenberuft, und Du, Mädchen, verlaß diesen Saal und geselle Dich dann zu den Anderen.«

 

 


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