Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

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Dreißigstes Kapitel.

Kaum hatte Macrinus die Thüre hinter sich gelassen, als Caracalla sich erschöpft auf den Thronsessel warf und Wein zu bringen befahl.

Der düstere Blick, womit er zu Boden schaute, war diesmal nicht erkünstelt.

Besorgt folgte der Arzt den tiefen Atemzügen und dem heftigen Zucken der Augen des Gebieters; – als er aber dem Cäsar einen beruhigenden Trank anbot, wies er ihn zurück und befahl, ihn unbehelligt zu lassen.

Dennoch schenkte er um weniges später dem Legaten Gehör, der die Nachricht brachte, die im Stadium versammelte Jugend der Stadt beginne ungeduldig zu werden. Hier höre man sie singen, dort toben, und was sie beklatsche und wiederholt zu hören wünsche, enthalte sicherlich kein Lob auf die Römer.

»Laß sie,« entgegnete der Cäsar herb. »Jeder Vers, der dort erklingt, gilt mir und keinem andern. Aber man gestattet ja den Verurteilten vor dem letzten Gange, sich das Leibgericht schmecken zu lassen. Das ihre ist giftiger Spott. Mag er ihnen noch einmal munden! Ist es weit bis zum Gefängnis des Zminis?«

Die Antwort fiel verneinend aus, und Caracalla nahm sie mit dem Ruf: »Um so besser!« in Empfang, und ein vielsagendes Lächeln umschwebte ihm dabei die Lippen.

Der Oberpriester des Serapis war den letzten Vorgängen mit tiefer Betrübnis gefolgt. Er, der Vorsteher des Museums, hatte die größten Hoffnungen auf den unglücklichen Jüngling gesetzt, der ein so schreckliches Ende genommen. Machte der Kaiser seine Drohungen zur That, so war auch das Ende der berühmten Anstalt, die seiner Meinung nach der Forschung immer noch so reiche Früchte trug, gekommen. Und worauf zielte die dunkle Versicherung des Kaisers, daß der Spott, in dem sich die versammelten Jünglinge ergingen, ihr Henkersmahl bedeute? Von dem furchtbaren, tief gereizten und schwer verletzten Wüterich war auch das Unerhörte zu erwarten, und der Oberpriester hatte darum schon einige seiner Untergebenen, angesehene Griechen, in das Stadium geschickt, um die Uebermütigen zu warnen. Aber er, der oberste Diener der Gottheit, empfand es auch als seine Pflicht, den Herrscher, den er im Begriff sah, sich zu Unthaten sondergleichen hinreißen zu lassen, auf jede Gefahr hin zu warnen.

Er hielt die Zeit dazu für gekommen, als Caracalla aus dem vor sich Hinbrüten, in das er wieder verfallen war, auffuhr und mit finster zusammengezogenen Stirnfalten den Theophilus mit der Frage anherrschte, ob seiner Gattin, deren Gastfreundschaft Melissa noch gestern genossen, nicht bekannt gewesen sei, daß die Verruchte sich einem andern hingegeben habe, während sie ihm Liebe geheuchelt.

Mit der hohen, ihm eigenen Würde wies der Oberpriester diesen Verdacht zurück und beschwor dann den Kaiser, die Bürger einer guten und fleißigen Stadt nicht büßen zu lassen, was die niedere Gesinnung und die Treulosigkeit eines leichtfertigen Mädchens an ihm verbrochen.

Doch Caracalla ließ ihn nicht zu Ende kommen, sondern warf ihm, unwillig auffahrend, die Frage vor, wer ihm das Recht gebe, ihm, dem Kaiser, seinen Rat aufzudrängen.

Da versetzte Theophilus mit ruhiger Würde: »Deine eigenen, edlen Worte, großer Cäsar, die zu Deiner höchsten Ehre dem verirrten Skeptiker zu Gemüte führten, was die alten Götter bedeuten und was ihnen gebührt. Der Gott aber, hoher Cäsar, dem ich diene, steht keinem andern nach; denn der Himmel ist sein Haupt, das Meer sein Leib, die Erde sind seine Füße, sein fernschauendes Auge ist das Sonnenlicht selbst, und alles, was sich in Herz und Sinn des Menschen regt, ein Ausfluß seines göttlichen Geistes. So ist er gleich dem beseelten All, und ein Teil von ihm lebt und zeigt sich wirksam in Dir, in mir, in uns allen! Seine Macht ist stärker als jede Macht auf Erden, und wenn Dich wohl begründete Empörung und nur zu gerechter Zorn antreiben, die Dir von dem Höchsten selbst verliehene Macht . . .«

»Ich werde sie brauchen,« fiel ihm hier der Cäsar hochfahrend ins Wort. »Sie reicht weit. Ich brauche keinen Beistand, auch nicht den Deines Gottes.«

»Ich weiß es,« entgegnete Theophilus, »und die Gottheit wird Dich diejenigen finden lassen, die sich schnöde an Deiner geheiligten Majestät vergingen. Wohlgefällig wird jede Strafe ihr sein, auch die strengste, die Du über die Hochverräter verhängst; denn Du trägst den Purpur als ihr Geschenk und in ihrem Namen, und wer ihn beleidigt, der vergeht sich auch gegen sie. Und ich mit meiner ganzen schwachen Macht will Dir helfen, den einzelnen Verbrecher vor Gericht zu ziehen. Wo aber die Menge sich schuldig erwies und der menschlichen Gerechtigkeit die Möglichkeit abgeht, den Schuldigen vom Unschuldigen zu sondern, da fällt die Strafe dem Gotte anheim. Streng wird er das schwere Unrecht sühnen, das Dir in dieser Stadt widerfuhr, und darum beschwöre ich Dich im Namen Deiner edlen, herrlichen Mutter, die es mir in diesem Hause zu bewirten vergönnt war und die den Serapis, dankbar für seine Huld . . .«

»Und habe ich mit Opfern gekargt?« fiel ihm der Cäsar ins Wort. »Es lag mir daran, die Gunst Deines Gottes zu gewinnen, und wie ward mir gedankt? Was des Menschen Herz kränkt, ist mir hier unter seinen Augen angethan worden. Wie gegen die verruchten Bewohner dieser Stadt, so habe ich gegen ihren göttlichen Herrn die schwerste Anklage zu erheben. Er versteht es wohl, Rache zu üben. Die dreiköpfige Dogge zu seinen Füßen sieht wahrlich nicht aus wie ein Schoßhund. – Verachten müßte er mich, wenn ich seiner unbewährten Gunst die Züchtigung der Strafwürdigen überließe. Mit eigener Macht vermag ich sie zu vollziehen. Siehst Du mich in manchem einzelnen Falle dennoch Gnade üben, so geschieht es im Andenken an die Mutter. Zu guter Stunde erinnerte mich Deine Rede an sie. Die hohe Frau – ich weiß es – ist Deinem Gotte gewogen. Mir gegenüber verletzten die Alexandriner schnöde das Gastrecht. Ihr waren sie freundliche Wirte. Das werde ihnen jetzt zu gute gehalten. Alle sind sie schuldig. Wenn dennoch viele ungestraft ausgehen – gib das den Hochverrätern zu wissen – so haben sie es der Gastlichkeit zu danken, die ihre Eltern und manche von ihnen selbst meiner Mutter erwiesen.«

Hier ward er unterbrochen; denn der Nachtstrateg Aristides wurde gemeldet und trat in großer und, wie es schien, froher Erregung vor den Cäsar.

Seine Späher hatten einen Uebelthäter gefangen, der ein Epigramm von verruchter Bosheit an die Bildsäule der Mutter des Kaisers im Cäsareum geheftet.

Der Dichter war ein Schüler des Museums und im Stadium ergriffen worden, während er sich noch seines Frevels rühmte. Ein Späher, der sich unter die Jünglinge gemischt, hatte Hand an ihn gelegt, und der Nachtstrateg war ungesäumt in das Serapeum zurückgeeilt, um sich vor dem Cäsar mit einem Gelingen zu brüsten, das ihn in seiner erschütterten Stellung befestigen konnte.

Bei dem Uebelthäter hatte man das Konzept der Verse gefunden, und Aristides hielt das Täfelchen, worauf es verzeichnet stand, in der Hand, während Caracalla ihm das Ohr lieh.

Atemlos vor Eifer berichtete er, was ihm gelungen; der Kaiser aber riß ihm das Diptychon ungeduldig aus der Hand und las die folgenden Verse:

Buhlerisch nenn' ich dies Weib und Mutter der feindlichen Brüder.
    Meinst du Jokaste? O nein! Schlimm'res! Das Weib des Sever.«

»Das Verruchteste, doch das letzte!« knirschte Caracalla vor sich hin, während er tief erblaßt die Hand mit dem Täfelchen sinken ließ.

Doch fast im nämlichen Augenblick hob er sie wieder, reichte die boshaften und zugleich verleumderischen Verse dem Oberpriester, und rief ihm auflachend zu: »Das Siegel unter das Urteil! Auch die Mutter verunglimpft. Um Gnade bitten heißt von nun an den eigenen Kopf auf den Richtblock legen.«

Damit hob er drohend die Faust und murmelte dumpf vor sich hin: »Auch das aus dem Museum.«

Der Oberpriester hatte inzwischen gleichfalls die Tafel gelesen. Noch blasser als der Kaiser und sich wohl bewußt, daß jede neue Mahnung fruchtlos sein und die Wut des empörten Mannes gegen ihn selbst entfesseln werde, gab er nur seiner Empörung über diese Verunglimpfung der edelsten aller Frauen durch einen Buben, der kaum der Schule entwachsen, lebhaften Ausdruck; Caracalla aber fiel ihm drohend ins Wort: »Wehe auch Dir, wenn Dein Gott mir das einzige versagt, was ich von ihm für so viele Opfer verlange: Rache, ganze, volle, blutige, das Große und Kleine sühnende Rache!«

Dann unterbrach er sich plötzlich selbst mit dem Rufe: »Und er gewährt sie. So muß das Werkzeug aussehen, das ich gebrauche!«

Da stand es, stand Zminis, der Aegypter, und in jedem Zug entsprach er der Vorstellung, die sich Caracalla von dem Vollstrecker des blutigsten seiner Wünsche gebildet.

Mit ungeordnetem Haar und bläulich schwarzen Bartstoppeln auf den hageren, fahlen, eingefallenen braunen Wangen, in einem grauen, unsauberen Gefangenenrocke, barfuß, unhörbar schreitend wie das Unheil, das sein Opfer leise beschleicht, trat er dem Herrscher entgegen.

Wie er ging und stand, hatte der Präfekt ihn aus dem Kerker auf einem schnellen Wagen hierher geführt. In seinen länglichen Augensternen war das Weiß, das Melissa erschreckt hatte, gelblich geworden, und seine Blicke schossen unstät hin und her wie die der Hyäne. Auch der schmale Kopf des ruchlosen Mannes, der tagelang den Tod erwartet hatte und nun wie durch ein Wunder dem höchsten Ziele seines Ehrgeizes gegenüber stand, zuckte auf dem langen Halse in nervöser Ueberreizung hierhin und dorthin. Als er aber endlich den Kaiser mit der mißtönenden Stimme, die in dem feuchten Gefängnis, aus dem er kam, einen rasselnden Klang angenommen hatte, fragte, was er befehle und ihm dabei wie ein hungriger Hund, der sich einen guten Bissen aus der Hand des Herrn aufzusaugen anschickt, gierig ins Antlitz starrte, rieselte es selbst dem Brudermörder, der das zur Rache geschliffene Schwert zum Schlage bereit hielt, kalt über den Rücken.

Doch Caracalla faßte sich schnell, und als er den Aegypter frug: »Nimmst Du es auf Dich, mir als Nachtstrateg zu helfen, die alexandrinischen Hochverräter zu strafen?« lautete die Antwort: »Was einer kann, das trau' ich auch mir zu.«

»Wohl,« fuhr der Kaiser fort. »Doch es handelt sich hier nicht nur darum, den einen oder andern zu greifen. Jeder – hörst Du? – hat das Leben verwirkt, der das Gastrecht brach, das diese Stadt mir mit trügerischen Worten verhieß. Verstehst Du, was das bedeutet? Ja? Nun wohl: Wie finden wir die Schuldigen heraus? Woher nehmen wir die Häscher und Henker? Wie züchtigen wir diejenigen am schwersten, denen die Verruchtheit der anderen zur Last fällt und allen voran die Epigrammenschmiede vom Museum? Wie kommen wir an die Hochverräter – an alle – die mich gestern im Zirkus beleidigten, wie unter den Jungen im Stadium denen an den Hals, die sich unterstanden, mir ihren giftigen Groll ins Gesicht zu pfeifen? Was schlägst Du vor, damit uns von den Schuldigen auch nicht einer entrinne? Denke nach! Wie wird sich das bewerkstelligen lassen, und zwar so, daß ich mich niederlegen kann und sagen: Sie haben empfangen, was sie verdienten; ich bin befriedigt?«

Da suchte der Aegypter mit den flackernden Augen am Boden umher; bald aber richtete er sich straff auf und stieß kurz und schneidend hervor, als habe er der Wache einen Befehl zu erteilen: »Wir töten sie alle.«

Da schrak Caracalla zusammen und fragte dumpf: »Alle?«

»Alle,« wiederholte Zminis mit einem häßlichen Grinsen. »Die Jungen haben wir im Stadium zusammen. Die im Museum erwarten uns nicht. Was auf der Straße ist, wird niedergestoßen. Verschlossene Thüren lassen sich brechen.«

Da schnellte der Cäsar, der sich wieder auf den Thron niedergelassen hatte, in die Höhe, schleuderte den Becher, den er in der Hand hielt, weit in das Zimmer, lachte schrill auf und rief: »Du bist mein Mann! Ans Werk denn! Das wird ein Tag! Macrinus, Theokrit, Antigonus! Wir brauchen auch die Truppen. Die Legaten hierher! Wem das Blut nicht mundet, der versüße es sich mit der Beute.«

Wie entlastet und verjüngt schaute er drein, und die Frage, ob die Rache nicht doch noch süßer sei als die Liebe, flog ihm schnell durch den Sinn.

Seine Umgebung schwieg.

Selbst Theokrit, dem sonst stets ein schmeichlerisches oder beifälliges Wort auf den Lippen schwebte, schaute verlegen zu Boden; Caracalla aber achtete in der wilden Erregung seiner Seele keines andern.

Um ihrer unerhörten Großartigkeit willen schien ihm die furchtbare Eingebung des Zminis köstlich und seiner würdig.

Sie mußte zur That gemacht werden!

Furcht zu erwecken war er bestrebt gewesen, seit der Purpur ihn schmückte. Wenn dies Ungeheure gelang, brauchte er nicht mehr die Stirn zu runzeln und anzuschielen, was er mit Angst zu erfüllen begehrte.

Und welch eine Rache!

Wenn Melissa davon erfuhr, wie mußte das auf sie wirken!

Ans Werk denn!

Und als gelte es eine freudige Ueberraschung vor zu frühem Bekanntwerden zu wahren, fuhr er leiser fort: »Aber Schweigen, tiefes Schweigen, hört ihr, bis alles bereit steht. Und Du, Zminis. Mit den Pfeifern im Stadium und den Schwätzern im Museum magst Du beginnen. Der Lohn für die Krieger und Lictoren liegt in den Truhen der Kaufherren.«

Immer noch schwieg alles, und jetzt nahm er es wahr. Die schwächlichen Seelen fanden zu kühn, was er plante. Es galt, ihnen helfen, das Gewissen, die Stimme des römischen Rechtsgefühles zum Schweigen zu bringen und die Verantwortlichkeit, vor der den Zaghaften graute, auf die eigenen Schultern zu nehmen.

So richtete er sich denn höher auf, und indem er sich das Ansehen gab, die Bedenken seiner Umgebung nicht zu bemerken, rief er in freudig zuversichtlichem Ton: »Thue jeder das Seine! Keinem von euch mute ich mehr zu, als einen Richterspruch zu vollziehen. Ihr wißt, was die Bürgerschaft dieser Stadt gegen mich verbrach, und kraft der Macht über Leben und Tod, die mir zusteht, sei hiermit euch allen erklärt, daß ich, der Kaiser, jeden freien männlichen Alexandriner, gleichviel welchen Alters und Standes, verurteilte – verurteile, hört ihr! – durch das Schwert meiner Krieger zu sterben. Dieser Ort ist eine eroberte Stadt, welche jeden Anspruch auf Gnade verscherzte. Das Blut und die Schätze ihrer Bürger gehören meinen Soldaten. Nur« – und damit wandte er sich an den Oberpriester – »das Haus Deines Gottes, das mich gastlich aufnahm, die Priester und der Besitz des großen Serapis werden verschont. Jetzt ist es an ihm, zu zeigen, ob er mir wohlwill! Ihr alle« – und damit wandte er sich an seine Umgebung – »alle, die ihr mir helft, die schnöden Kränkungen sühnen, die eurem Cäsar hier zugefügt wurden, seid meines kaiserlichen Dankes gewiß.«

Diese Versicherung verfehlte nicht ihre Wirkung, und unter den Freunden und Günstlingen erschollen Rufe des Beifalls, doch spärlicher und leiser, als es der Kaiser gewohnt war.

Aber die Schwächlichkeit dieser Kundgebung machte ihn nur stolzer auf den eigenen, vor nichts rückbebenden Mut.

Der Präfekt Macrinus hatte zu denen gehört, deren Zuruf am lautesten geklungen, und es freute Caracalla, daß auch der besonnene Ratgeber ihm gönnte, den Pokal der Rache bis auf die Neige zu leeren.

Schon vor dem Trunke wie berauscht, rief er ihn und den Zminis mit glühenden Augen an seine Seite, und vor allem anderen legte er ihnen ans Herz, Sorge zu tragen, daß Melissa, ihr Vater, Alexander und Diodor ihm lebend vorgeführt würden. »Und noch eins,« schloß er: »Es wird morgen viele trauernde Mütter hier geben, aber eine möchte ich wiedersehen, und zwar nicht nur als Leiche: die Geputzte im roten Kleid aus dem Zirkus mein' ich, das Weib des Seleukus in der kanopischen Straße.«


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