August Gottlob Eberhard
Hannchen und die Küchlein
August Gottlob Eberhard

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Geduld.

          Still noch saßen beisammen Antonie und die Baronin,
Sprechend mit Tadel von Laura, mit Lobe von Hannchen und Gotthold,
52 Als mit eben empfangenem Brief', ins Zimmer der Graf trat.
»Teure Antonie!« sprach er bewegt, und reichte den Brief ihr –
»Ach, es verlanget nach mir, todkrank, die geliebteste Mutter,
Und auch dich noch zu sehen, das wünscht sie mit brechendem Herzen!
Folgen Sie beide mir morgen, Mama! ich reise sogleich ab.«
Und wehmütig ergriff er die Hände von Mutter und Tochter,
Die sich beide sogleich, ihm morgen zu folgen, entschlossen.
Kaum ein Stündchen verging, da riß sich der Graf von der Braut los,
Und nach reisten die Braut und die Mutter, so wie sie versprochen.
»Fahrt nur!« sprach der Baron, »ich will mit den Vettern und Basen
Schon mir vertreiben die Zeit, auch ohne die Tochter und Hausfrau!
Nur zu der Hochzeit, bitt' ich, vergeßt nicht, wieder zu kommen!«

Eben dem Frührot schauete Hannchen am Fenster entgegen,
Staunend erblickte sie da, vom Schloßberg rollend, den Wagen,
Nickte verwundert Antonie zu, die eilig nun ausstieg,
Und in die Hofthür sprang, um mit wenigen Worten zu sagen,
Was zu der Reise sie trieb. Schwer wollte sich Hannchen beklagen;
Aber Antonie sprach: »Viel hätt' ich dir noch zu erzählen!
Haben die Ohren dir nicht seit gestern gewaltig geklungen?
Vieles gesprochen von dir ist, wahrlich, zu Lob' und zu Tadel!
Jetzt im Fluge nur eins: Mau kann die Verleumder verachten;
Aber den Freund, der ehrlich die Hand anbietet zum Beistand,
Muß man nimmer verschmähn, und zurück nicht stoßen im Unmut!
53 Hattest du denn kein Wort auf Gottholds Brief zu erwidern?«

»Gottholds Brief!« antwortete Hannchen, »ich weiß ja von keinem!«
Aber es rief die Baronin! Antonie küßte zum Abschied
Hannchen im Fluge nur noch. Fort war sie, die zärtliche Freundin!

Lange noch stand in der Thür, nachschauend dem eiligen Wagen,
Hannchen, betrübten Gesichts und doppelt bekümmerten Herzens.
Bitterlich that es ihr weh, schon wieder zu missen die Freundin,
Deren sie kaum zwei Tage sich hatte gefreut! Und wie vieles
Hatt' auf dem Herzen sie noch, zu vertrau'n, zu erkunden, zu klagen!
Hin zu der Mutter geeilt, mitteilte sie alles Gehörte.

»Sieh!« sprach diese – »wie schnell auch in Leid kann Freude sich wandeln!
Wie, dicht neben die Freudenaltäre, die Urnen der Trauer
Stellen das Schicksal kann, sich an Rang nicht kehrend und Reichtum;
Wie vor höherer Macht muß jeglicher beugen den Nacken;
Keiner zu sagen vermag, was morgen, was heut' ihm bevorsteht!«

Aber beschäftigt allein mit ihrem Verhältnis zu Gotthold,
Fiel ihr Hannchen betrübt ins Wort: »Ach was mir bevorsteht –
Das zu ergrübeln, verlang' ich ja nicht! Du weißt es, ich hab' auch
Nimmer gehalten auf Träum', und Zigeuner, und Kartengeschlage;
Aber von dem, was geschehn soll sein zum Exempel von Briefen,
Wichtigen Inhalts voll, von dem redlichsten Freunde geschrieben,
54 Nichts zu erfahren! wie hart! Und darüber den Freund zu verlieren –
Mutter, wahrhaftig, es giebt kein tiefer betrübendes Schicksal!«

Inneren Lächelns vermochte sich nicht zu erwehren die Mutter,
Hannchen so quer abspringen zu sehen vom Hoch-Allgemeinen
Auf den besonderen Fall: doch schwieg sie darüber mit Schonung,
Wissend aus langer, vielleicht aus früherer, eigner Erfahrung,
Wie dem Bescheidensten auch sein Ich in der Mitte des Weltalls
Öfters erscheint, und den meisten das eigne, gewöhnliche Schicksal,
Nah vor die Augen gerückt, merkwürdig vor andern zu sein scheint;
Drum in dem mildesten Ton nur sprach sie die tröstlichen Worte:
Ȁngste dich nicht um den Brief! er kann wohl heute noch kommen;
Oder gedulde dich nur, bis Antonie wieder zurückkommt!
Die bringt alles gewiß, was dunkel erscheinet, ins klare.«

Aber es ging ein Tag nach dem andern hin, und die Freundin
Kam nicht zurück! und der Brief blieb aus! und es hatte die Mutter
Gänzlich die Quellen des Trostes erschöpft! Zwei Wochen und drüber
Waren vorüber geschlichen im langen, vergeblichen Hoffen!
Aus brach endlich in Thränen, und Seufzer, und bittere Klagen
Hannchens verhaltener Schmerz! Da nahm an die Hand sie die Mutter,
Führt' auf den Hausflur freundlich sie hin, und zeigte das Huhn ihr.
55 »Siehe,« begann sie, »das Huhn, wie still und geduldig es brütet!
Wollt' es, mit minder geduldigem Sinn, abwarten die Zeit nicht,
Bis es die Küchlein sieht, und begönn' es die Eier zu rütteln,
Oder es liefe umher, laut klagend, wie lang' ihm die Zeit sei:
Meinst du, es brächte dadurch ans Licht ein einziges Küchlein?
Faul dann würden die Eier; im Keimen erstürbe das Leben.
Das nur, daß es so still ausharret, und sitzet und brütet,
Wie die Natur es gebeut, das schaffet ihm endlich die Küchlein,
Denn sein Zeitmaß brauchet das kleinste, so gut, wie das größte.
So auch im Menschengeschick; es bedarf oft stiller Entwicklung;
Und vorgreifen ihm wollen mit unvorsichtigem Treiben,
Störet es leicht, und bestraft oft streng das Beginnen der Thorheit.«

Hannchen verstummte beschämt, und wischte die Thränen vom Antlitz,
Schmiegt' an die Mutter sich sanft, und sah ernst sinnend das Huhn an;
Sanft dann nahm sie das Wort: »Ja, Mutter! es soll mir der Himmel
Nicht zum Brüten allein das Huhn da haben erhalten!
Auch ein Vorbild soll es mir sein im geduldigen Hoffen!
Und nicht will ich mich mehr hingeben verwerflicher Klage.«

Hannchen vergaß nicht, was sie versprach: und wollte sie wanken,
Blickte sie hin auf das Huhn, zu gewinnen erneuerte Fassung.

Ein Tag still nach dem andern verging: drauf wurden sie beide,
Mutter und Tochter, geladen aufs Schloß, zum morgenden Gastmahl,
Feierlich mit zu begehn der entfernten Baronin Geburtsfest.
56 Hannchen errötete sanft: denn hell aufblühte die Freud' ihr,
Morgen zusammen zu sein mit Gotthold, endlich ihn selber
Wegen des Briefes zu fragen, und mindestens ihn zu versichern,
Daß sie den Vorwurf nicht, den sie neulich vernommen, verdiene.
Höher und höher errötete sie: denn ganze Gespräche
Hielt sie mit Gotthold schon, in Gedanken und Träume versunken,
Ungleich inniger noch, als jenes im blühenden Garten;
Und es erschien sein Bild, in dem magischen Spiegel des Geistes,
Zürnend ihr erst, doch endlich versöhnt, so lebendig und sprechend,
Daß sie, erschrocken davor, schnell weg mit den Händen es winkte.
Plötzlich verwandelte sich ihr Hoffen in Furcht; sie erbebte
Ängstlich davor, ihm zu nahen, von Brief und Garten zu sprechen;
Meinend sogar, das wäre nicht passend zu ihrem Gelöbnis,
Und sie müsse nur still abwarten Antoniens Rückkehr.

Uneins noch mit sich selbst in dem Wählen des rechten und besten,
Schwankend im Urteil noch, was ratsam, zu thun und zu lassen,
Stand sie folgenden Tags auf dem Hausflur, nahe dem Neste:
Horch! da klang es, wie Piepen: und immer vernehmlicher piept' es
Unter dem Huhne hervor! Hin sprang zu der Mutter die Tochter,
Flüchtigen Fußes, und jauchzte ihr zu die erfreuliche Botschaft.

Auf hob Hannchen das zürnende Huhn; und siehe, da lagen
Mehrere Küchlein, schon die gewonnene Freiheit genießend,
Andere pickend, versuchten erst noch, ihr Gefängnis zu sprengen,
Während die meisten darin noch still und geduldig verweilten.
57 Martha besorgte den Topf voll wärmender Federn, und Hannchen
Bettete drinnen die muntersten Küchlein, setzte das Huhn dann
Wieder aufs stillere Nest, sein Werk zu vollenden mit Treue.
Feierlich wurde der Topf in die wärmere Stube getragen,
Futter geholt und gestreut für die kleinen, beweglichen Gäste,
Und mit fröhlicher Sorge die weitere Pflege besprochen.

»Mutter, entschieden nun ist's!« rief plötzlich die Tochter dazwischen,
»Du nur gehest aufs Schloß; ich bleibe daheim bei den Küchlein.
Stündlich bedürfen sie Futter, und stündlich entkriechen den Eiern
Ankömmlinge noch mehr; die dürfen zu lang in dem Neste
Ja nicht bleiben, denn sonst kann tot sie treten die Alte.
Nein! ich wäre untröstlich, verlör' ich, während des Schmausens,
Solch ein niedliches Tier! Drum, Mutter, zu Hause nur laß mich!
Mir ist's besser, ich lasse das Schmausen! Antonie würd' ich
Schmerzlich vermissen, und – kurz, wie es scheint, will selber der Himmel,
Daß ich daheim hübsch bleib'; ich gehorche dem Winke des Himmels!«
Während die Mutter erwägen doch wollte das für und das wider,
Holt' ihr Hannchen geschäftig herbei schon Kleider und Haube,
Half sie putzen, und trieb sie hinweg durch Bitten und Küsse.

Einsam blieb sie zurück, doch flüchtig enteilte die Zeit ihr,
Und nicht sehnte sie sich nach fremder Zerstreuung und Gastmahl.
Fleißig am Arbeitstisch, und fleißig im Ordnen des Haushalts,
Sann sie darauf, zu erfreuen die Mutter mit diesem und Jenem!
58 Doch am vergnügtesten war mit den Küchlein viel sie beschäftigt.
Immer ein neues, und wieder ein neues entnahm sie dem Neste:
Jegliches preisend und streichelnd, so weißes und schwarzes, als buntes;
Jegliches hieß sie willkommen, und nannt es das schönste, das keckste.
Aber dazwischen verweilte sie wieder mit inniger Rührung
Bei der Betrachtung des Huhns, und sie sann und bedacht' es mit Staunen,
Wie es, vom Frühling erweckt, auf einmal verlanget nach Küchlein,
Gluckend im nämlichen Ton, mit dem es sie späterhin leitet;
Plötzlich, als säh' es mit geistigem Aug' in den winkenden Eiern
Schlummern die Küchlein schon, sich ein Plätzchen ersiehet zum Brüten;
Warm nun die Eier bedeckt mit der Brust und den Flügeln der Liebe,
Und nicht wanket und weicht, bis die schlummernden Kinder erwacht sind!
»Hätte mir,« sprach sie, »der Himmel verliehen die Gabe der Dichtkunst:
Hier beim Neste des Huhns, in Bewunderung freudig versunken,
Sollte das heiligste Lied zum Preise des Schöpfers erklingen!
So viel Eier das Huhn ausbrütet im schweigenden Neste,
So viel Wunder erstehn dann plötzlich, den Blicken entschleiert.«
Und in dem innersten Herzen ergriffen von frommer Bewunderung,
Saß sie, mit still andächtigem Blick und gefalteten Händen,
Ein holdseliger Engel, der Erd' und dem Himmel gehörend,
Bis ein neues Geschäft aufs neue sie freudig erregte.


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