Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Großer und viele Kleine

1

Anders auf Haaberg ging zum Pfarrer. Es gab nicht so viele Menschen, mit denen man reden konnte, und überdies hatte er heute abend einen besonderen Anlaß. Er konnte jetzt nicht mehr zum alten Pfarrer gehen, der war schon vor vielen Jahren weggezogen, und für Anders war es leer geworden, wie wenn man Hunger fühlt; denn der war einer gewesen, den man fragen und dem man antworten konnte. Aber auch der jetzige war mit der Zeit ganz brauchbar geworden. Er war kein Dummkopf. Anders hatte bei ihm einmal auf den Tisch geklopft, ein bißchen hart, es gab sich so, und er meinte fast, daß dies ein wenig geholfen habe.

Anders begann jetzt alt zu werden. Er war über Fünfzig. Er ging noch ebenso aufrecht wie früher und sah noch ebenso frisch aus im Gesicht, aber Haar und Bart waren weiß. Der Bart teilte sich in der Mitte und stand nach den Seiten hinaus, als sei Anders immer gegen den Wind gegangen.

Der Pfarrer war in seinem Arbeitszimmer. Er stand auf, als er sah, wer kam, ging Anders entgegen und reichte ihm die Hand.

Ja, Anders ging es gut und ordentlich, Dank für die Nachfrage.

Der Pfarrer saß eine Weile da und sah Anders an, und Anders sah ihn an. Es war ein großer, würdiger Mann mit Backenbart und Brille, so recht zum Bischof geschaffen, meinte Anders; er hatte kleine, gütige Augen und ein tiefes Lächeln, das im übrigen nicht sehr gefährlich war, wenn man sich daran gewöhnt hatte.

»Aber schau, ich habe so viele Dinge in der Mütze«, sagte Anders.

»Das ist falsch. Dort sollten Sie sie nicht haben, nein.«

»Wo dann, was meinst du?«

»Im Kopf. – Ja, das ist nur etwas, was ich so sage, verstehen Sie. – – Aber Sie haben ja das Haus voller Kinder, da gibt es freilich nicht wenig zu denken – man soll sie doch in der Zucht und Vermahnung des Herrn erziehen, wie es geschrieben steht.«

Anders blickte scharf auf. Der Pfarrer saß hinter seiner Brille und war nur ein undurchdringliches Lächeln.

»Ja, lach darüber nicht, Pfarrer! Das ist ein gutes Wort. Und Zucht sollen sie haben. Zucht sollen sie haben, ja, und Vermahnung, hab keine Angst, du.«

Anders saß noch eine Weile da und sah den Pfarrer an, vergaß sich gleichsam darüber. Seine Augen waren nicht mehr so kampflustig, und jetzt sahen sie stets durch ein Gewirr von vielen Gedanken hindurch; sie waren seltsam hellblau und alt. Dann ermunterte er sich, richtete sich auf und schlug sich einmal klatschend auf die Schenkel:

»Ich komme ja gerade ihretwegen. Willst du mir das Schwarzbuch leihen?«

»Was – soll ich Ihnen leihen? Das Schwarzbuch? Wie kommen Sie dazu, zu glauben – – «

Aber der Pfarrer war flink, so ruhig er dasaß, ging er doch gleich darauf ein und machte sich tiefernst wie Anders.

»Was soll nun das heißen, Haaberg?«

»Nenn mich Anders, hab ich gesagt – komm nicht mit solchem Unsinn! – – Ja, du mußt mit deinem Buch herausrücken, ja. Der alte Erik hat mir einen Streich gespielt.«

»Ja, was nicht gar. Ist er denn auch auf Haaberg?«

»Sitz nicht da und lach mich aus – bist du ein Pfarrer oder bist du keiner? – – Ja, er will uns ins Gerede bringen.

Und noch dazu jetzt, da ich anpacken will. Ich war bisher im toten Fahrwasser, jetzt ist meine Zeit gekommen. Und da geht er her und versperrt mir den Weg. Aber das soll ein Tanz werden. Ich will ihm schon eine Arbeit geben!«

»Hat er sich denn wirklich gezeigt?«

»Sich gezeigt? Das will ich meinen! Als schwarzer Hund ist er heute morgen unter unserm Bett gelegen und hat sich vor der Magd sehen lassen. Vor mir riß er aus, weißt du. Ich mag ihn nicht, ich will nichts von ihm wissen. Aber die Magd wird wohl in der ganzen Gemeinde damit herumlaufen, denk ich mir. Her mit dem Buch, dann will ich ihm eine neue Lektion geben!«

»Aber ich habe ja gar kein Schwarzbuch, Anders. Ich habe in meinem ganzen Leben nur ein einziges gesehen, und das war hundert Meilen von hier, du glaubst mir doch wohl, Anders?«

Anders verzog den Mund und biß sich auf die Lippe, er stieß die Luft durch die Nase:

»Ach, leck – – Du bist mir auch ein Pfarrer! Was, zum Teufel, soll ich denn dann machen? Denn ich will Frieden im Haus haben. Ich will nicht, daß die Leute über mich reden. Jetzt in dieser Zeit.«

Und er murmelte vor sich hin, er könne sich nicht erinnern, dem Kerl irgendwie zu nahe getreten zu sein.

»Ich habe sagen hören, daß dort, wo man fleißig betet –«

»Geschwätz und Dummheiten! Da wird es nur zehnmal schlimmer. Sag mir ein Wort – soviel wirst du doch wenigstens können?«

Der Pfarrer nahm die Brille ab und putzte sie mit dem Taschentuch, da saß er, offen und vertrauenswürdig.

»Sie müssen das doch begreifen, Sie als ein aufgeklärter Mann. Daß der Teufel nicht herumgeht und sich unter die Betten legt, er ist doch ein Geist, und –«

»Pah! Nein, da ist deine Brille trüb geworden, das kann ich dir sagen. Du glaubst gar nichts, du, außer das, was in deinen Büchern steht – darauf pfeif ich! Da geh ich lieber wieder heim!«

Damit stand er auf und wollte gehen, und der Pfarrer sah, daß es nichts nützte, sich in diesem Punkt mit ihm zu streiten. Aber er wollte gern mit Anders reden, und außerdem hatte er etwas mit ihm zu besprechen. Es handelte sich um die Kirche.

»Ja, jetzt ist ja die Kirche mit Brettern verschalt und ganz fertig, und da möchte ich Ihnen Dank sagen.«

»Sag du zu mir, dann versteh ich dich. Er hat sich auch nicht für zu gut dazu gehalten, der alte Pfarrer. Er und ich, wir haben gar manches Wort miteinander geredet, wir zwei.«

»Ja gern, gern. Also mit der Kirche bin ich sehr zufrieden, wie gesagt, und nicht zum mindesten mit den Fenstern, die du geändert hast. Jetzt sieht es wirklich wieder aus wie ein Gotteshaus. Ich muß gestehen, daß ich meine Zweifel darüber hegte, ob du der rechte Mann zu dieser Arbeit wärst; aber ich will mich für besiegt erklären.«

Anders stand nur da und sah zu Boden. Und der Pfarrer redete weiter. Er wollte den Anders dazu überreden, die Kirche auch anzustreichen und das Bleidach auf den Turm zu machen; da wüßte er wenigstens, daß es ordentlich gemacht würde. – Anders sagte nein; er sei kein Maler. – Nein, aber Petter, sein Bruder, sei einer, und den wollten auch die anderen haben. Wenn nur Anders es auf sich nehmen und die Arbeit überwachen würde, meinten sie im Kirchenausschuß. Auf diese Weise verhelfe er dem Bruder auch zu einem kleinen Verdienst, sagten sie, und dies, fand der Pfarrer, sei schön von ihnen gesagt.

Anders räusperte sich und ließ den Blick über die Wände gleiten. Er war rot geworden. – Er wolle sich's überlegen, sagte er. – Der Pfarrer bat ihn, sich so rasch wie möglich zu entschließen, es habe Eile. – Anders schwenkte zu einem anderen Gespräch um: Es gefalle ihm, mit verständigen Leuten zu sprechen. Aber der Unglaube sei keine große Sache. »Der Vater«, sagte er, »in dem hat mehr von einem Mann gesteckt als in den Leuten heutzutage, ja, das kann ich ja ebensogut gleich sagen. Und die anderen Juwikinger waren genau so. Die fürchteten sich nicht, weder vor Huf noch vor Hörnern. Aber das, was es wirklich gab, das leugneten sie nicht weg. Und es erging ihnen gut.« Anders lächelte und blickte auf: »Die wußten wohl irgendeinen Spruch, der die bösen Mächte bannte, denke ich.«

»Ja, ja, Anders, das kann schon sein« – der Pfarrer klopfte ihm auf die Schulter und bot ihm einen Schnaps an. »Und hör, Anders, hm, könnte es denn nicht sein, daß der Böse deswegen wütend ist, weil du die Kirche ausgebessert und sie wieder zu einem Gotteshaus gemacht hast, und noch dazu so billig?«

Anders beugte den Kopf, schloß die Augen halb, als buchstabiere er jedes einzelne Wort.

»Kann sein«, sagte er. »Schau, schau, du scheinst doch Vernunft zu haben, Pfarrer. Es ist gereizt, das Biest. Aber der Teufel hol mich, wenn ich nur das Schwarzbuch hätte, dann würde ich dem Kerl schon zum Schwitzen verhelfen, da würde ich ihm schon beibringen, wie man Kuchen bäckt!« Anders lachte wie ein Kind. Dann wurde er wieder nachdenklich. – Denn wenn es das Tanzen und die jungen Leute seien, über die sich der Teufel ärgerte, dann hätte er sich schon früher zeigen können; denn auf Haaberg habe die ganze Zeit Spiel und Munterkeit geherrscht, seit der Anders erwachsen war, und dies wolle er auch weiterhin so halten. – Ja, es müsse die Kirche sein, meinte der Pfarrer. Aber wie verhalte es sich denn: Anders habe doch auch die Kirche der Nachbargemeinde gebaut. Habe er denn damals nichts bemerkt? – »Hm, nein; der Schwarze ist nicht dumm. Denn ich war damals jung, hatte mir noch nicht die ganze Gemeinde aufgepackt. Er wußte wohl, daß er damals noch nicht weit mit mir gekommen wäre.«

Anders stand eine Weile auf dem Kirchenhügel und betrachtete die Kirche. Sie war jetzt so, wie sie sein sollte. Ein heiliges Haus, konnte man sagen, wie sie so dalag und im Abend schlummerte. Und seit er die Arbeit mit ihr angefangen hatte, war er auch wieder mit sich selbst zurechtgekommen. Bald würde es Ernst werden. – Und die Kirche sollte angestrichen werden. Kein Hund in der ganzen Welt sollte ihn davon abschrecken. Sie verdiente es. »Aber der Petter wird es kaum sein, der dieses Amt bekommt, nein«, sagte er, wie er so dastand, und dann drehte er sich um und ging fort. Mit Petter war es so eine Sache, ein so guter Kerl er im Innersten war, so war er doch auch wieder ein Fuchs und ein Gauner. Er würde pfuschen, sobald er ihn daran ließ. Er konnte nicht anders. Und dann stand Anders vor der Gemeinde als ein Pfuscher und ein Lump da; und der Petter lachte nur und ließ sich's gut gehen. Nein! Aber wenn er nein sagte, dann war dies häßlich von ihm, und dann fielen die anderen gleich über ihn her: Dem eigenen Bruder darf man sich doch nicht in den Weg stellen? Anders schien es, als habe er den Fuß schon in der Falle und könne ihn nicht mehr herausziehen. Der Fuchs war gut daran, der biß sich einfach den Lauf ab, der. Na ja, ja; man mußte doch erst noch hören, was die auf Lauvset sagten.

Er ging geradeswegs dorthin, obwohl es schon spät am Abend war. – In einer solchen Frühlingsnacht war er schon früher einmal unterwegs gewesen – Herrgott, es war noch nicht lange her. Damals war er gewiß noch nicht alt. So von Herzen sorglos und jung; und nachtscheu. Jetzt fürchtete er sich nicht einmal vor der Kirche; er war gut Freund mit ihr geworden. Aber sie mußte merkwürdig an seiner Sippe gezehrt haben. Wie mit Eisfingern hatte sie allen Juwikingern bis ans Mark gerührt. Er war der einzige, der sie bezwungen hatte. Es wäre lustig gewesen, mit den Alten ein wenig darüber reden zu können. Und in der Gemeinde war es das gleiche: was hatten sie dort zuwege gebracht? Anders hatte sie in der Hand, er. Oder im Kopf, wie man es eben nennen wollte. Er würde sie noch umgießen. Ja.

Und nun kam der Leibhaftige in eigener Person und legte sich ihm quer über den Weg. Aber dafür gibt es immer einen Rat, damit hat es keine Gefahr. Jetzt, zunächst, handelte es sich um diese Straße durch die Gemeinde. Die sollten sie haben, ob sie nun wollten oder nicht; und darum ging er nach Lauvset und wollte mit den Leuten dort reden.

2

Die Bauern der Lauvset-Höfe und außerdem ein paar Nachbarn waren in der Stube bei Kristian. Auch der Mönnicken von Nesse saß da. Er ließ sich sonst nicht auf den Höfen sehen: er war ein ganz Großer. Anders hatte gesagt, er wollte mit ihnen reden, und sie wußten genau, um was es sich drehte. – Anders fing zuerst mit dem Anstreichen an, denn Kristian Lauvset war mit im Kirchenausschuß. Sie sagten wie der Pfarrer, daß er das Anstreichen übernehmen sollte.

Petter hätte ganz offen darüber geredet, und Petter sei der beste Maler, den sie wüßten, aber es sei für ihn nicht leicht, die Farbe beim Händler zu bekommen – er habe wohl eine kleine Schuld bei ihm stehen, meinte einer von ihnen. »Und am besten wäre es, Anders, wenn du die ganze Sache übernähmst. Dann wüßten wir, an wen wir uns halten können. Die Gemeinde erwartet sich das von dir.«

»Ja, freilich«, sagte Anders. Sie erwartete so vieles. Sie erwartete sich wohl auch, daß er ihr die Straße verschaffe, eine ordentliche Fahrstraße, wie sie andere Gemeinden schon hatten. Ja, er wolle sich diese Sache mit der Kirche überlegen. Wenn es so und so verkehrt ist, ob ich ja oder nein sage, dann sage ich ja, dachte er. Aber er konnte doch nicht hier sitzen und wildfremden Leuten erzählen, was für ein Lump der Petter war. Er hatte seinen Bruder bis heute über Wasser gehalten, da mußte er es denn auch weiterhin tun. – »Ja, dann wollen wir also alle zusammen helfen«, sagte er. »So wie bei dieser Straße. Wir geben alle den Grund umsonst her und leisten jeder soundso viele Wochen Arbeit. Hm?«

Sie sahen Mönnicken an und zögerten mit der Antwort. Anders konnte nur gerade sehen, wie sie hinüberschielten, aber er verstand sie gut. Mönnicken war ein Gegner von Anders, und von dieser Straße wollte er nichts wissen. Er hatte fast nur mit Leuten zu tun, die den Seeweg kamen, jetzt, seitdem Anders einen Handelsmann unten auf Vaagen bei Haaberg angesiedelt hatte – dorthin sollte dieser Weg führen und dann in östlicher Richtung durch die Gemeinde. Mönnicken durchschaute das Ganze.

Anders sagte, den Mönnicken wolle er schon gar nicht um Hilfe fragen, obwohl beabsichtigt sei, einen Seitenweg zu ihm anzulegen; denn den solle er trotzdem bekommen. Nein, aber die anderen, die sahen doch wohl ein, daß sie gut dabei wegkamen? Daß dies ein Fortschritt war und kein Rückschritt? Er für sein Teil trete den Grund umsonst ab und würde den Sommer hindurch mit allen seinen Leuten arbeiten, es müßte doch eine Freude sein, die Straße eines Tages fertig zu sehen, es würde ein Staat sein, in vollem Trab auf ihr dahinzufahren – er sei bereit, alles zu tun, was er nur könnte. Wer nicht mittun wolle, solle es sein lassen, so hätten sie es im Nachbarkirchspiel auch gehalten.

Ja, ein paar Tage könnten sie ja immerhin dafür arbeiten, das ginge schon an.

Anders betrachtete einen nach dem anderen, und sie krochen in sich zusammen und wurden klein und garstig unter seinem Blick. Sie rutschten auf der Bank hin und her. Er schwieg, bis es fast nicht mehr auszuhalten war in der Stube.

»Ein paar Tage?« lächelte er. Nein, jetzt mußten sie denn in Gottes Namen wählen: Mit ihm oder gegen ihn! Die Straße würden sie trotzdem bekommen, aber sie sollten wählen. »Mich oder den Mönnicken dort. He?«

Mönnicken lächelte und strich sich über den Bart; und Anders wurde still und kalt und war zufrieden mit sich. Jetzt war er der, der er sein wollte; ganz gewiß war er zu diesem hier geschaffen. Bisher hatte er sie nicht richtig zu fassen gekriegt. Sie waren so gute Nachbarn gewesen.

»Nein, habt keine Angst«, sagte er. Er war kein – kein Mönnicken; er rächte sich nicht. Er drohte niemand, nein. Es hatte wohl auch keinen Sinn, erwachsenen Menschen zu drohen? Er würde dann nur die Straße allein bauen, von Vaagen weg und über ihre Grundstücke hin, bis nach Osten, zu den Wäldern von Engdalen hinüber, wo der Weg sich teilen sollte; und ihnen den Grund bezahlen. Das würde er tun. Denn einen Weg mußte die Gemeinde haben; soviel erwarteten sie sich vielleicht von ihm – sie erwarteten nicht gleich viel von allen. Jaha – Anders schlug sich leicht aufs Knie – so wußte er doch, wie er sich einzurichten hatte, und das war gut. »Du meinst wohl, du könntest mir den Grund verweigern, du, Kristian. Gescheiter bist du wohl nicht.« Anders wandte sich ab und schaute beglückt in die Luft und zur Decke hinauf; sein Gesicht war jung wie vor dreißig Jahren.

Sie schwiegen. Sie wußten, daß er mit der Obrigkeit geredet hatte, und sie sahen es ihm an, daß er seine Sachen in Ordnung hatte. Sonst hätten sie ihn diesmal schon ein wenig hart angefaßt. Sie hatten gemeint, ihn klein zu kriegen. Aber es war nicht ratsam, es mit ihm zu verderben – und außer dem war er ein Ehrenmann, durch und durch.

Anders fühlte, welche Gedanken in ihnen arbeiteten. Klein waren sie, aber nicht so klein, daß sie gefährlich waren. Wenn sie über einen nicht Herr werden konnten, dann taten sie sich mit ihm zusammen.

Ja, ja, jetzt müsse er gehen. Und es sei also abgemacht, wenn die Kirche in diesem Sommer angestrichen werden solle, dann müßten sie sich beraten und sich darüber einig werden. Wenn sie verständig wären, dann wollte er es auch sein, und jetzt wartete also die Kirche auf sie und nicht auf ihn. Sie sollten später einmal zu ihm kommen und mit ihm reden. »Gute Nacht und Gottes Frieden mit euch. Jetzt könnt ihr beieinander sitzen und mit dem Mönnicken überlegen, solange ihr wollt. Gute Nacht.«

Er war gegangen, noch ehe die anderen sich hatten aufraffen und mit ihm reden können. Kristian begleitete ihn bis vor die Tür, wie es der Brauch war, aber dabei sprachen sie nur ein paar Worte über das Wetter. Und die Schlacht war gewonnen, das wußte er, und das wußten sie. Noch ehe die Woche zu Ende ist, habe ich sie bei mir, dachte er. Und so kam es.

Mönnicken ging gleich nach ihm.

Mönnicken war ein vornehmer Mann. Er trug einen großen Bart, und Anders schien es, als trüge er selbst den seinen nur aus diesem Grund. Er übertrumpfte ihn darin wie in allem anderen. Aber es war kein schlechtes Zeichen, daß ihm der Herrgott keinen geringeren Gegner gegeben hatte.

Wo er gewesen sei? wollte Massi wissen, als er heimkam.

Oh, nur einen Sprung fort. Drüben beim Pfarrer, er habe ein paar Worte mit ihm geredet, fügte er hinzu und machte sich über das Abendessen her. Es war irgend etwas wegen der Kirche. Den Hund unter dem Bett hatte er vergessen, Massi hatte der Sache ja auch kein großes Gewicht beigelegt. – Ja, und dann war er einen Sprung auf Lauvset gewesen. Wegen der Straße.

Massi saß auf der Bank und wartete, bis er gegessen hatte; sie legte sich niemals schlafen, ehe er heimgekommen war.

Die anderen schliefen schon lange. Anders aß und dachte an seine Angelegenheiten.

»Und jetzt werd ich sie mir hernehmen!« murmelte er, legte die Hände zusammen und sprach einen kurzen Dank für das Essen, stand auf und verließ den Tisch. »Wenn ich sie doch so schön in der Hand habe. Diese Füchse. So, jetzt kriegen wir einen Weg, Massi« – er wandte sich ihr zu und fuhr sich durchs Haar.

Sie sah ihn an, wie sie es in allen diesen Jahren getan hatte. Der Blick war jung und mutig, aber doch so mild, ganz als lege sie die flache Hand auf seine Stirn und sei gut gegen ihn.

»Das werden wir wohl. Sicher gibt's einen Weg, wenn du nur erst damit anfängst. Aber du sollst glimpflich mit ihnen umgehen, Anders. Du mußt bedenken, du bist groß und stark, und sie sind klein.«

»Klein und zahlreich, ja, wie die Kartoffeln. Nein, nein, ich locke sie nur her. Wie du es mit den Schafen machst. Ich bin nicht einer, der die Leute gleich auffrißt.«

So war die Massi: wenn sie etwas sagte, so sah man es klar vor sich. Sie waren keine großen Kerle; man durfte die Zügel nicht zu kurz nehmen. Man mußte ihnen Zeit lassen.

»Wer doch nur selber Zeit genug hätte, Massi!« Ruhig und mit hellem Blick sah er vor sich hin und ging in die Schlafkammer. Nein, denn die Zeit war so jammervoll knapp, wenn man etwas ausrichten wollte.

Massi sah immer noch aus wie früher. Die Gesichtszüge waren ruhig und weich, nichts hatte sie angegriffen, sie war noch rotwangig, und die Haare schimmerten blond wie in ihrer Jugend. Sie stand bei dem einen Fenster, sah zwei Birkhähnen zu, die unten auf der Wiese miteinander kämpften; es war so eine blaue und wunderschöne Nacht. Jetzt schlief der Anders wohl. Mit ihm konnte man nicht Schritt halten; und besonders in der letzten Zeit ging es nur noch im Laufschritt bei ihm. Ein Gedanke traf sie so schwer, daß es ihr fast den Atem raubte: der Anders kam wohl auch nicht weiter als bis zum Kirchhof. – Nein, nein; aber er war eben doch der Anders, der Anders ganz und gar, solange er lebte. Und der Herrgott hatte gewiß nichts gegen ihn, soweit es sich absehen ließ.

»Schu – ischsch!« zischte der Birkhahn. Wovor warnte er wohl?

3

Am Tag danach machte Anders sich auf und redete mit Petter. Der Regen strömte herab, und das Gras wuchs, und der Wald schlug aus; es war ein richtiges Wachswetter, und Anders lächelte im Gehen vor sich hin: Die Leute hatten geklagt und gejammert über die kalte Trockenheit, und er hatte sie nur ausgelacht – jetzt konnten sie es sehen. Aber sie sahen wohl nichts, nein. Sie lernten auch in hundert Jahren nicht das geringste, wozu lebten sie dann eigentlich? Zeit hatten sie stets reichlich. Aber nie Zeit, um zu warten. Sie waren wohl nicht anders.

Petter lebte immer noch auf Rönningan, dem Anwesen, das Anders ihm gekauft hatte, und jetzt hatte der ihn auch noch verheiratet, mit einer Witwe, es war ein braves Weib, aber trotzdem mußte der Anders ihn noch bei den Ohren nehmen wie ein Ferkel – es fehlte nicht viel, so hätte er geschrien, sagte Anders im Weitergehen. Ja, und jetzt war er schon Witwer, und das war genau so gut, Petter war eben der Petter, wie er immer gewesen war. Die Pflegetochter, die Kjersti, führte ihm das Haus.

Nun lächelte Anders wieder vor sich hin. Denn Petter war doch ein verrückter Kerl, er ging den verkehrten Weg, und da kam Anders und packte ihn beim Ohr und führte ihn noch einmal auf den richtigen Weg; es machte Spaß, einen Menschen so zurechtzuleiten.

Petter war in die Arbeit vertieft, als Anders kam, hatte kaum Zeit aufzusehen, obwohl er ja nur selten etwas tat. Sein Haar war silbergrau geworden, auch das seine, im übrigen aber sah er viel jünger aus als der Bruder; das kam wohl daher, daß er keinen Bart trug. Noch waren die Augen dunkelblau und schön, man sah kaum schönere Augen an einem Mann; aber sie lagen tiefer und konnten bisweilen eine gefährliche Glut bekommen, wie jetzt, da Anders grüßte. Anders lächelte auch hierzu.

Er wolle die Kirche anstreichen, hatte Anders gehört. Und den Turm mit Bleiplatten decken?

So verhielt es sich; Petter hatte all sein Lebtag hoch hinaus gewollt. Ja, sie waren mit dieser Sache zu ihm gekommen.

Ja, wer darauf verfallen sei und wer nicht, das könne schließlich gleichgültig sein, ihm, dem Anders. Aber eines wolle er ihm sagen: jetzt müsse er sich zusammennehmen. Er solle es noch einmal versuchen. Anders wolle der Arbeit vorstehen und ihm auf den Weg helfen, und dann solle Petter, wie gesagt, sich ins Zeug legen und die Arbeit tun, wie sie getan werden mußte, und sich nicht betrinken oder von der halben Arbeit davonlaufen. »Denk daran, daß ich es bin, der dafür einstehen muß. Die Gemeinde zieht mich zur Verantwortung. Und ich dich. Ja!«

»Wer den Speck haben will, der muß das Schwein nehmen, ja.« Petter wischte sich den Schweiß und begann wieder zu arbeiten.

»Schweig still! Versprichst du mir, ein anständiger Mensch zu sein und die Kirche wie ein Gotteshaus herzurichten, he?«

Ja, Herrgott noch einmal, das wollte Petter tun; wenn es der Bruder war, der dafür einstehen mußte. Denn Blut war doch dicker als Wasser.

Sie redeten miteinander darüber, wie sie es anfangen sollten, und Petter war vernünftig und handlich. Er setzte etwas zu essen und zu trinken vor und begleitete dann den Bruder als dieser fortging.

Es gäbe übrigens noch eine Sache, über die Anders mit ihm reden wollte. Es handle sich um die Kjersti. Er hatte gehört und gesehen, daß Per, sein ältester Sohn, ein Auge auf sie geworfen hatte. War etwas Wahres daran?

»Wer weiß«, sagte Petter. »Es ist immer etwas Wahres daran, wenn es verrückt ist.«

»Ja, und sie sagen, daß du es seist, der dazu hilft!« sagte Anders hart.

Jetzt kehrte Petter das Grinsen heraus. Er schüttelte den Kopf: Nein, was fiel ihm denn ein! Er wollte nicht einmal etwas davon wissen, er wollte seine Tochter nicht mit dem Per verheiraten, pfui Teufel! Denn sie waren ja miteinander verwandt, anders konnte er es nicht nennen. Und außerdem hatte es jetzt aufgehört. Der Petter Lines ist jetzt vorne dran – Per ist zu kurz gekommen.

»So?«

»Ja, das hast du mir zu verdanken, Anders; denn du weißt wohl noch, wie es einmal war? Daß die Massi um mich gefreit hat – – daß wir verlobt waren und beieinander lagen und –«

Anders schlug stehenden Fußes zu, er hatte einen Hieb, den ihm keiner abschauen konnte, und er schlug so zu, daß Petter kopfüber ins Gebüsch rollte.

»Behalt deinen Dreck bei dir!« Anders sagte es ruhig und ging seiner Wege. Er war selber ganz erstaunt, daß er noch so zuschlagen konnte. Und jetzt hatte er dem Petter eine Lehre gegeben, die der wohl nicht so leicht vergessen würde.

Aber Anders ging nicht heim. Er war im Staatsgewand und wollte noch weiter. Er ging wieder über den Hügelrücken, rund um die Bucht herum und quer hinüber nach Skarsvaagen, nahm sich dort ein Boot und ruderte bis hinüber nach Leinland, im Westen drüben. Dort wohnte ein guter Bekannter von ihm, namens Ravald. Er hatte eine Tochter, Marja hieß sie, Anfang Zwanzig und ein prächtiges Mädchen. Und sie hatten Geld auf Leinland; und ordentliche Leute waren es durch und durch, Ravald saß sogar mit im Gemeinderat und hatte dort nicht wenig zu sagen.

Anders wurde großartig empfangen. Es geschah nicht alle Tage, daß solche Leute hierherkamen. Anders hatte sich einen Vorwand ausgedacht, er war ihm erst unterwegs eingefallen, wie immer, wenn es darauf ankam, jetzt in letzter Zeit. Er wollte fragen, ob er eine Schafherde auf ihren Inseln weiden lassen dürfe, es war dort eine so gute Sommerweide.

Dies wurde ihm gleich aufs erste Wort hin zugesagt, und der Mann ging sogar mit hinunter ans Ufer, als Anders abfuhr. Da trug er sein wahres Anliegen vor, es fiel ihm gleichsam erst ein, als er dastand und das Tau löste.

Ravald besäße eine heiratsfähige Tochter, habe er bemerkt. Das wäre etwas für den Per; sie würde zu ihm passen, denn in dem Mädchen stecke solch ein Leben, und das könne man vom Per gerade noch nicht sagen. Er habe sie sich heute genauer betrachtet. Was meine nun Ravald dazu? Es sei ja nur so ein Einfall, aber –

Das wäre keine geringe Sache, meinte Ravald. Und ihm würde es recht sein, wenn Anders es ernst meinte – er wolle einmal mit ihr reden. »Ausgelassen und mutwillig ist sie noch, die Marja; aber sie wird sich wohl zähmen lassen wie jedes andere Pferd« – der Mann lachte herzlich zu seinen letzten Worten.

»Darauf kannst du dich verlassen, Ravald. Wer nicht gezähmt zu werden braucht, der taugt nicht viel. Das glaube ich wenigstens, ja.«

Anders fühlte sich zu sehr gehoben, er konnte noch nicht heimfahren. Wenn es ihm gelang, die Leinlandleute auf seine Seite zu bringen, dann war er stark in der Gemeinde, so wie jetzt die Dinge standen. Ravald saß, wie gesagt, mitten im Gemeinderat und hatte sich ein wenig gegen den Straßenbau gestemmt. Und dann kamen die Leute von Leinland nach Vaagen herübergerudert zum Einkauf, das war leicht auszurechnen. Jede Hilfe hilft ein wenig, wenn sie einem selber hilft. Und Geld, das brauchte Per, und Geld bekam er, wenn es erst einmal soweit war.

Anders schlug den Weg nach Vaagen ein. Dort bekam er den Handelsmann unter vier Augen zu sprechen. Hallstein hieß er, und war von weit drunten aus dem Süden, und Anders war es gewesen, der ihn hier herauf geholt hatte, er hatte ihm Häuser gebaut und ihm weitergeholfen; früher war er Schiffer gewesen.

Ja, ja, jetzt könne er etwas verdienen, sie brauchten Farbe und Blei, sagte Anders. Für die Kirche.

Hallstein schob den Hut in den Nacken und fuhr sich über das Gesicht; es war rot und heiß. » Das ist gut«, sagte er, »es kommen nicht allzu viele Käufer.«

Und noch dazu für die Kirche, Mann! Das dürfe er nicht vergessen. Und jetzt solle er daran denken, daß er nur das Beste hergeben dürfe, Farbe und Tran von der besten Sorte, und ordentlich dickes Blei, Anders bat ihn noch einmal, zu bedenken, für welches Haus dies alles gehörte; und der andere nickte. – »Ich mach dich gewissermaßen verantwortlich, Hallstein – ja, du verstehst mich wohl? Der Petter soll die Arbeit ausführen, und dazu ist er auch gut genug; aber es könnte ihm doch einfallen, billige Arbeit leisten zu wollen.«

Ja, Hallstein verstand, er war ja nicht von heute.

Und außerdem noch eine Kleinigkeit: Der Jens, sein Zweitältester Sohn, hatte solche Lust auf den Handel, er wollte vorwärts. Ob Hallstein ihn in die Lehre nehmen wolle. »Denk daran, daß du einen billigen Bodenzins hast und so weiter. Und wenn du Geld brauchst, so will ich dir schon wieder einmal aushelfen.«

Ja, der Junge solle nur kommen, dem stünde nichts im Wege.

»Ja, ja, denk also daran, daß du die Verantwortung hast«, sagte Anders, und dann ging er.

Daheim trat er still in die Stube, sah fast niemand. Er erzählte Massi von seinem Gang nach Leinland, und ihr Gesicht hellte sich sofort auf, sie war wohlzufrieden. Dann aber blieb sie stehen und dachte nach. »Es kommt nur darauf an«, meinte sie, »ob er auch selber will, der Per?«

Das glaubte Anders. Per sei ein verständiger Bursche, wenn man ihm nur Zeit zum Nachdenken lasse. »Er ist allzu gehorsam, finde ich, oftmals.« Anders wandte sich ab und sah weg.

Ja, das war es gerade. Das durften sie nicht vergessen.

Kommt Zeit, kommt Rat. Es sei auf jeden Fall gut, daß man trotz allem die Leute von Leinland auf seiner Seite habe, lachte er. Die mochten jetzt einstweilen in dem Glauben leben, daß sie mit den Leuten auf Haaberg verwandt werden; er konnte sie brauchen.

Massi blickte ihn halb erstaunt an, denn so war doch der Anders eigentlich nicht.

Anders merkte, was sie so dachte, und er lächelte fast wie Petter zu lächeln pflegte: »Ja, jetzt wirst du's sehen, Massi. Du hast nie gemeint, daß in mir etwas Ordentliches steckt, du hast eher gedacht, ich sei wie eine ungewetzte Sense. Jetzt mußt du dich in acht nehmen, von nun an.«

»Bis jetzt ist es ja über Erwarten gegangen«, sagte sie. Und das sei auch ganz recht so. Aber auch nicht ganz ohne Gefahr. »Denn, wo du vorangehst, Anders, da folgt die ganze Gemeinde nach.« Und bei sich selbst dachte sie, wenn einer so viel Manns war wie der Anders und immer das durchsetzte, was er wollte, dann mußte er sich seine Sachen wohl überlegen. »Was du mahlst, Anders, das muß feingesiebtes Mehl sein, ja.«

Anders wandte sich ihr wieder zu, blickte an ihr hinauf und hinunter.

»He? Stehst du etwa da und hältst mir eine Predigt? Willst du vielleicht sagen, daß ich die Leute hinters Licht führe?«

Sie wurde rot und verlegen. – Er wußte doch, daß sie so etwas nicht sagte. Nein, es war so, wie es sein sollte; und man muß an dem Ende festhalten, das man hat, bei den Leuten. Aber es handelte sich eben um den Per. Der mußte in diesem Punkt über sich selbst bestimmen.

So hatte Massi noch nie mit Anders gesprochen; aber sie schob den Per vor, da war es nicht so schlimm, der Per stand ihr am nächsten von den Kindern. Sie wiederholte noch einmal, daß er selbst über sich bestimmen müsse. Und außerdem habe sie doch wohl auch ein wenig dabei mitzureden, wer hier auf dem Hof nach ihr zu befehlen habe? lachte sie und schlug es in den Wind.

»Der Per ist eben noch ein Schaf«, sagte Anders. So wie vor kurzem einmal. Wußte sie denn eigentlich, was er seinem Vater mitten ins Gesicht sagte? Daß der Weg nicht über Haaberg gehen dürfe, sagte er! Denn das sei ein Winkel und gehe bergauf, sagte er. Das sei nicht recht!

Hatte er das wirklich gesagt? Massi sah aus, als habe sie etwas Schönes gehört.

»Und ob er es gesagt hat, Gott verzeih mir die Sünde. Gerade, als wäre ich irgendein Lump. Das ist nicht recht, hat er gesagt.«

»Ja, der Per. Aus dem wird schon einmal etwas. Er hat ja auch seinen Namen nach einem tüchtigen Mann bekommen.

Darin hatte sie recht. Und seinen freien Willen sollte er haben. Die Leinlandleute konnten in dem Glauben leben, wie gesagt.

»So, das hat er also gesagt«, murmelte Massi vor sich hin. »Hm, hm! Er ist vielleicht von anderer Art als wir.«

Ja, Anders mußte zugeben, daß es schlimmer sei für Jens und Beret, die nach geringeren Leuten genannt worden waren, und das nur aus Übermut. Nur um zu sehen, ob es wirklich etwas ausmachte. »Ach ja, aber warte nur, für die wird sich schon auch ein Rat finden, später einmal. Hab keine Angst, Massi!«

Nein, Massi hatte keine Angst. Es war solch ein Zug in Anders, er riß sie mit sich, daß sie innerlich beinahe lachen mußte. Gleichzeitig aber fühlte sie eine Unruhe in sich: nun war der Anders der geworden, den sie aus ihm immer hatte machen wollen, und jetzt wußte sie nicht mehr, wie es weitergehen würde.

4

Der Frühling verging, und die Felder wurden bestellt, wie sich die Zeit dazu fand; Anders wußte sehr wohl, daß es nur so obenhin getan wurde, denn er fing ungefähr gleichzeitig mit dem Wegbau an, hatte keine Ruhe mehr, länger damit zu warten. Von Vaagen nach Haaberg war die Straße bereits fertig, und jetzt ging es durch die Wälder von Lauvset. Eine kleine Hilfe hatte er ja an den Nachbarn, ganz wollten sie sich der Arbeit doch nicht entziehen, und auch die Häusler kamen mit ihrem Grabscheit; am besten aber verschlug es, wenn er nach altem Brauch zur Arbeit und Bewirtung einlud, mit gutem Essen und allem, was dazugehörte; da kamen sie. und da arbeiteten sie, wenn sie auch sonst noch so saumselig waren. – Als sähen sie jetzt einen Sinn in der Sache, sagte Anders.

Anders' drei Söhne waren nun alle erwachsen, und Per und Ola halfen stets mit beim Wegbau; Jens war bereits nach Vaagen zum Handelsmann gezogen. Außerdem hatte Anders einen Knecht, und der war einer, der für zwei zählte. Er hieß Brede und war vom Tal oben, Anders hatte ihn mitgenommen, als er einmal dort oben beim Pferdehandel war. Dieses Jahr stellte er noch ein paar Männer ein und oft die ganze Häuslerschar, so daß er wie ein kleiner Heerführer zur Arbeit zog. Anders gönnte sich selbst gern gute Tage, in diesem Jahr aber war er wie der Wolf, und er riß auch die anderen mit sich. Er machte es so, daß es ihnen allen schien, als trieben sie nur lauter Scherze und dumme Streiche; es war ein Spaß.

Anders war dabeigewesen, als die Obrigkeit diesen Weg aussteckte, er hatte sie mit nach Haaberg genommen und sie dort gehörig gemästet, hieß es. Später machte er dann alles, wie er wollte; die Leute wußten es ganz genau, er hatte so viel mit den hohen Herren geredet, daß er die Sache beim richtigen Ende anpackte. Und im Grunde war es Anders, der die Gemeinde regierte, so wie es für sie alle den Anschein hatte. Der Lensmann war alt und gutmütig, und alles, was Anders wollte, wollte er auch, und er, der sozusagen der Erste im Rate war, der Pfarrer selbst, er war zu vornehm und reichte gleichsam nicht so weit herab. Wie Anders auch den Weg legen wollte, er bekam seinen Willen, anders war es nicht zu denken! Es gab viele, die mißvergnügt waren, aber sonderbar, sobald Anders ein wenig mit ihnen geredet hatte, gab der eine hierin und der andere darin nach. Sie taten alle zusammen mit, und Anders dankte keinem dafür. – Es wäre wirklich nicht zuviel, wenn wir einen Weg zur Kirche bekämen, sagte einer. – Und dann kann der Mönnicken dort sitzen und an seinem Bart kauen, sagte ein anderer. Sogar bis von Skarsvaagen und Leinland kamen sie und halfen mit, Tag für Tag. Nur zum Spaß, sagten sie. Denn Spaß gab es dort, wo der Anders war, besonders jetzt im Sommer. Bisher hatte er sich still verhalten, keiner hatte ihn zu fassen bekommen – und das gelang ihnen wohl auch jetzt nicht; aber bei der gemeinsamen Arbeit war er einer der Übermütigsten. Es waren eine Menge Geschichten in Umlauf darüber, was für Streiche er aussann.

Einmal arbeiteten sie des Nachts, denn es war jetzt die Zeit der hellen Nächte, und die Hitze war groß. Da taten sie sich zusammen und gingen zu einem Hof namens Grönsetvika, mitten in der Nacht, Anders voran, daß das Moor aufspritzte, weckten die Bäuerin und fragten, oh es seine Richtigkeit damit habe, daß sie alle von ihr eingeladen worden seien. Jedermann wußte, daß dort ein reich versorgtes Vorratshaus war und daß die Frau für herzlich geizig galt. Trotzdem aber stellte sie sich nicht dümmer, als sie war, sondern ging darauf ein und sagte: Sie sollten nur hereinkommen. Und dann trug sie ihnen das Beste auf, was sie hatte, ein Spaß soll ein Spaß sein, und sie würden wohl zeigen, daß sie Anstand hätten. Das aber taten sie nicht, sie aßen sie beinahe arm – sie seufzte, und Anders seufzte, und dann bedankten sie sich und trabten wieder davon. Du meine Zeit, wie wir uns den Magen verrenkt haben! sagten sie später. – Eines Nachts kamen sämtliche Mädchen aus der Nachbarschaft, jede mit einem Korb, angerückt – die Töchter auf Haaberg hatten sie zusammengerufen – sie kamen angesprungen, denn sie hatten gehört, die Männer hätten nichts zu essen und seien am Verhungern, rissen die Deckel von ihren Körben und packten vor ihnen aus: das waren Hochzeitsgaben, konnte man fast sagen, und die, die nicht an solch gutes Essen gewöhnt waren, aßen sich wieder krank daran. Dann zogen sie miteinander zur Tanzwiese und tanzten den Rest der Nacht hindurch. – Eines Abends, als die Mücken es ganz arg trieben, packte Anders die Burschen einen nach dem andern und warf sie ins nasse Moor.

Sie fanden, sie ließen einen Weg hinter sich auf die eine oder andere Art. Es war schade für die, die nicht dabei waren.

Als die Straße bis nach Lauvset ging, sagte Anders, nun hätte er das Seine getan, und er wolle jetzt zur Seite treten, damit die andern sich sehen lassen könnten. Dann könnten sie nach ihm senden. Und wer mit dabeigewesen sei und geholfen habe, an den wolle er denken; die sollten zu Weihnachten nach Haaberg kommen; dann würde es erst losgehen, und wenn ihnen nichts anderes einfiele, sollten sie hingehen und sich verheiraten – darüber ließe sich schon reden.

Anders meinte, was er sagte. Die Zeit konnte so vieles tun. Sie arbeitete jetzt für ihn. Er war nun im Begriff, ein glücklicher Mann zu werden, das war es; alles fügte sich für ihn, wie es sollte. Er hatte gar manche Anzeichen gehabt. Wie jetzt mit dem Wetter: Es war so strahlend gut gewesen während des ganzen Wegbaus, das Leben hatte förmlich seine gute Seite herausgekehrt – so etwas tut es nicht, ohne daß es einem wohl will. »So recht ein Paradieswetter«, sagte er. Aber die anderen verstanden den Sinn nicht, den hatte er für sich allein. – Und die Leute waren wie das Wetter; sie kehrten die gute Seite heraus. Anders konnte derb zufassen, er wußte das – er bekam das von Massi zu hören; aber am wohlsten fühlte er sich, wenn sie zufrieden waren, und am allerwohlsten, wenn sie mit ihm zufrieden waren. Er vergaß alle die Schliche, die er gebraucht hatte, hinter ihm lag blanker Sonnenschein. Wenn er aber so recht fühlen wollte, wie hoch sie ihn schätzten, dann mußte er heim zu Massi. Und das mußte er oft. Dort las er es in ihren Augen, wenn sie ihm auch geradezu widersprach.

Während der Zeit, in der die Straße gebaut wurde, hing Petter an der Kirchenwand und malte. Er hörte von der ganzen Herrlichkeit und sang dazu.

»Ich mal dich, Brüderlein fein, so weiß, wie ich nur kann,
Wenn du nur nicht doch schwarz wirst wie der schwärzeste Mann«,

sang er und ähnliches mehr. Er war so aufgeräumt.

Petter war mit den Jahren still geworden, es war mit ihm gerade umgekehrt gegangen wie mit Anders. »In unserer Sippe ist immer einer ein Mann und einer ein armer Tropf, das sage ich stets, wenn ich einen Rausch hab, und der Rausch hat stets mich«, äfften sie ihn nach. Meistens sagte er gar nichts.

Eines späten Abends, als er von der Arbeit kam, begegnete er einem der Männer vom Wegbau. Sie setzten sich nebeneinander am Straßenrand hin; Petter schwieg, und der andere erzählte; und es war nichts als nur Anders hin und Anders her. Endlich nach einiger Zeit sagte Petter, und es war fast, als habe er vergessen, daß der andere dasaß:

»Ich bin lange Zeit so sanftmütig gegen den Anders gewesen, daß ich mich richtig über mich selber wundere. Aber jetzt mag ich bald nimmer, das fühl ich, und Gott sei Dank dafür. Es fällt wie eine schwere Last von mir ab, pfui Teufel! Ich fühle mich so merkwürdig frei!«

Er hielt den Blick hinausgerichtet, gleichsam als hinge er noch unter dem Kirchendach, und dann begann er:

» Aller Augen warten auf dich, Anders

Er war schon aufgestanden und im Gehen.


 << zurück weiter >>