Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XIX.

Die schönen Tage, die heißen Nächte von Havre sollten ein böses Nachspiel haben.

Kaum daß Jeanne und der König nach Versailles zurückgekehrt waren, regten sich aufs neue die Stimmen der Empörung, das dumpfe Grollen des Volkes.

Täglich kam es zu erregten Straßenkrawallen. Es hieß, man wolle Kinder rauben und sie in die entvölkerten Kolonien entführen. Jeder Tag brachte neue Pamphlete, anonyme Schmähungen, die der Pompadour freche Verachtung der Not vorwarfen, Gedichte, die sie lächerlich und gemein machten.

Jeanne ließ den Polizeirichter Berryer rufen; er war ihr stets ein treuer Anhänger gewesen. »Gab es keine Möglichkeit, diesen perfiden Pariser Schmähern auf die Spur zu kommen?«

Berryer zuckte die Achseln. Er wollte der Marquise nicht sagen, daß er nicht so sehr Paris wie Versailles für den Herd des Übels hielt, und daß es ihm keineswegs ausgeschlossen dünke, manches der grausamen Pamphlete sei in der unmittelbaren Umgebung der Marquise entstanden.

Er konnte im Augenblick nur eines für sie tun, ihr den Rat geben, Vorsicht zu üben, so selten als möglich und nur unter sicherer Bedeckung nach Paris zu gehen. –

Jeanne entließ den bedrückten Mann, Trauer und Empörung zugleich im Herzen.

Aber es sollte noch schlimmer kommen. Bisher hatte man den König aus dem Spiele gelassen, Wenige Tage nach seiner Rückkehr aus Havre fing Berryer eine Karikatur auf, die den König, von der Marquise gefesselt, vom Volk gepeitscht, zeigte.

Man schien Louis die »Renommierfahrt mit der Marquise«, wie man die Reise in die Normandie getauft hatte, nicht vergessen zu wollen.

Andere von Gemeinheiten strotzende Illustrationen folgten. Eine zeigte den König, am Busen der »Schande« eingeschlafen.

Ein Gedicht machte die Runde, aus dem man den flammenden Atem einer nahen Revolution zu spüren vermeinte:

»Louis, dissipateur des biens de tes sujets,
Toi, qui comptes les jours par les maux que tu fais,
Esclave d'un ministre et d'un femme avare,
Louis, apprends le sort, que le ciel te prépare:
Si tu fus quelque temps l'objet de notre amour,
Tes vices n'étaient pas encore dans tout leur jour...
Tu verras chaque instant ralentir notre zèle
Et souffler dans nos coeurs une flamme rebelle:
De guerres sans succès fatiguant tes États.
Tu fus sans généraux, tu serras sans soldats...
Tu ne trouveras plus des âmes assez viles
Pour oser célébrer tes prétendus exploits,
Et c'est pour t'abhorrer qu'il reste des Francois.«

Jeanne war trostlos. Ihre Gesundheit, die sich eben erst zu befestigen begonnen, schwankte aufs neue.

Gleichgültiger zeigte sich der König. Nur eine hoch vermehrte Rastlosigkeit überfiel ihn.

Noch öfter als sonst wechselte er den Aufenthalt und vermied Versailles soviel als möglich; von Paris, das er zu hassen begann, wollte er nicht einmal den Namen mehr hören.

Jeanne litt schwer unter diesem fortwährenden Ortswechsel. Sie sehnte sich nach ihrem schönen, begabten Kinde, das seit ein paar Monaten in l'Assomption, einem der vornehmsten Pariser Klöster, war. Alexandra konnte sie wohl in Versailles, nicht aber auf den entlegenen Schlössern besuchen.

Auch der Vater, den sie infolge des unruhigen Lebens jetzt so selten sah, fehlte ihr. Seine gutmütigen Prahlereien, sein Stolz auf die Ehren, mit denen sie überhäuft worden, seine großen Worte und freien Reden, sein gesunder Verstand und stets bereiter Humor hatten sie in trüben Stunden oft erheitert.

François Poisson paßte mit seinen etwas derben Lebemannmanieren nicht eben zu dem Ton von Versailles, es gehörte nicht viel dazu, sich das einzugestehen; aber er war im Grunde ein Mensch von ungewöhnlicher Gutmütigkeit, der ihre Zärtlichkeiten mit der innigsten Liebe vergalt. Seine abgöttische Zuneigung für die kleine Alexandra war Jeanne in dieser schweren Zeit ein großer Trost. Er besuchte das Kind statt ihrer in l'Assomption und konnte nicht genug des Zärtlichen und Liebenswürdigen von seiner reizenden Enkelin berichten.

»Sie ist wirklich ein Unikum von einem Kinde. Mit aller Kaltblütigkeit erklärt sie, daß sie ›Schön-Mütterchen‹ noch so sehr lieben mag und doch lieber im Kloster ist als bei ihr, weil sie so große Lust hat am Lernen, um sich der Güte von ›Schön-Mütterchen‹ würdig zu machen, die sie nie wieder verlassen will, wenn sie einmal alles gelernt hat, was nötig ist, und ihre Prüfungen gut bestanden hat.«

Auch sonst empfing Jeanne auf ihren Reisen nur gute Nachrichten aus L'Assomption.

Von den Schwestern, die Alexandra unterrichteten, hörte sie, wie leicht die Kleine lerne, wie verständig und liebenswürdig sie sei; sie hörte von Alexandras Freundschaft mit der kleinen Prinzessin Soubise.

Der Stolz auf ihr Kind zerstreute und belebte Jeanne in dieser rastlosen, sorgenvollen Zeit. Der aristokratische Verkehr Alexandras stärkte gewisse Hoffnungen, die Jeanne für ihre Tochter hegte. Sie gedachte, eine wirklich große Dame aus ihr zu machen, die durch eine vornehme Heirat die Abstammung der Mutter in Vergessenheit brachte.

Ein Herzog als Schwiegersohn war der Traum der Marquise.

Der König hatte von Crécy aus, wo sie zuletzt Station gemacht hatten, die Königin und Mesdames in Fontainebleau besucht.

Er traf den Dauphin und Maria Josepha dort, deren munteres, liebenswürdiges Wesen stets einen guten Einfluß auf seine Stimmung übte.

Die kleine Dauphine empfand ganz im Gegensatz zu Maria Rafaela eine herzliche Liebe für ihren Schwiegervater. Gern und oft vertraute sie ihm ihre großen und kleinen Geheimnisse an. Von ihr hatte Louis vor Monaten zuerst erfahren, daß des Dauphins kaltes Wesen wärmeren Empfindungen Platz gemacht hatte, daß er auf dem Wege war, seine erste Gattin zu vergessen. Heute vertraute Maria Josepha ihm mit heißem Erröten, daß sie der Geburt eines Kindes entgegensähe. Der König war außer sich vor Freude. Endlich sollte Frankreich der ersehnte Erbe erstehen! Von Herzen froh trat Louis die Rückfahrt nach Crécy an.

Die Marquise erwartete ihn auf der Terrasse. Sie sah frischer aus wie bei ihrer Ankunft in Crécy.

D'Argenson, der sie in Versailles bereits zu den Toten geworfen, der, ohne sie gesehen zu haben, überall herumgebracht hatte, die Marquise sei vor Ärger fast zum Skelett geworden, ihr Gesicht sei gelb und vertrocknet, ihre Gestalt gleiche einem Brett, würde schwer enttäuscht gewesen sein.

Jeanne war beglückt über des Königs frohes Aussehen, hocherfreut über die Nachricht, die er ihr brachte.

Sie saßen am Teetisch in Jeannes traulichem Boudoir, neben dem großen Empfangszimmer. Ihre vornehmen schlanken Finger spielten mit einer Tasse kostbaren sächsischen Porzellans.

»Wissen Sie, Sire, was ich gedacht habe, ehe Sie kamen?«

»Du hast dich hoffentlich heftig nach mir gesehnt und gedacht: wäre er erst hier!«

Sie lächelte ihn an mit ihrem bezauberndsten Lächeln.

»Das ist etwas, Sire, was sich so sehr von selbst versteht, daß man es nicht erst auszusprechen braucht.«

Er küßte entzückt ihre Hand.

»Also was war es denn, kleine Jeanne?«

»Sehen Sie diese Tassen, Sire, und die graziöse Kanne, das ganze reizende sächsische Porzellan, das meinen Tisch ziert. Ihre Hoheit die Frau Dauphine war so gütig, es mir zum Geschenk zu machen. Es ist Dresdener Fabrikat. Jedesmal, wenn ich es in Gebrauch nehme oder das japanische Porzellan drüben auf dem Tischchen Louis XIV. betrachte, frage ich, weshalb wir in Frankreich von Sachsen und Japan zehren und die Fabrikate des Auslandes mit einem horrenden Preis bezahlen? Weshalb wir nicht selbst erstklassiges Porzellan fabrizieren?«

Der König horchte auf, die Idee war nicht schlecht.

Das französische Porzellan war in der Tat nichts als eine plumpe, beinahe groteske Nachahmung der sächsischen und japanischen Fabrikate. Es paßte auf keine vornehme, geschweige denn königliche Tafel.

»Wie denkst du dir das, Jeanne?«

»Ich denke, wir müßten können, was Louis XIV. gekonnt: die Industrie Frankreichs aus eigener Initiative, aus eigenen Mitteln heben! Gründen wir eine Porzellanfabrik, wie Louis XIV. eine Gobelinfabrik gegründet hat. Ihre Produkte werden uns gleichen Ruhm und gleiche Vorteile bringen und nach Jahrhunderten noch von Frankreichs Geschmack, von Frankreichs Grazie zeugen.«

Der König war aufgesprungen. Ein paarmal war er im Zimmer hin und her gegangen.

Jetzt blieb er stehen und legte Jeanne die Hand auf die Schulter.

Trübe sagte er: »Du sprichst von eigenen Mitteln! Wo sollen wir sie hernehmen? Man steinigt uns ja ohnedies, verwünscht unseren Luxus!«

Jeanne schüttelte den Kopf. »Man wird uns die Gründung eines industriellen Unternehmens, das dem Lande reiche Einnahmequellen verschafft, nicht übel deuten. Ganz im Gegenteil. Abgesehen von dem finanziellen Vorteil, den eine heimische Porzellanmanufaktur durch den in- und ausländischen Vertrieb ihrer Produkte verspricht, beschäftigen wir ein Heer von Arbeitern, schaffen dem Volk neue Erwerbsmöglichkeiten.«

Der König lächelte über ihren Eifer.

»Du sprichst ja wie ein Advokat, der eine schlechte Sache verteidigt.«

»Eine gute, Sire, eine sehr, sehr gute, deren Ausführung gar nicht einmal so schwierig ist, wie sie im ersten Augenblick vielleicht aussieht. Euer Majestät müßten mit der Fabrik in Vincennes unterhandeln lassen. Sie ist in einem deplorabeln Zustand. Es wäre ein Segen für Vincennes, wenn Euer Majestät als Teilhaber einträte. Vielleicht wäre Monsieur de Fulvy der rechte Mann dazu, an die Spitze des Institutes gestellt zu werden. Boucher wird uns gewiß gern zur Seite stehen. Ich will bei der nächsten Porträt-Sitzung mit ihm darüber sprechen. Maler, Former und Zeichner finden wir leicht, wenn erst das Geheimnis der feinen Masse, die es mit den sächsischen und japanischen Fabrikaten aufnimmt, gefunden ist. Selbstverständlich muß die Erfindung das Geheimnis Vincennes' bleiben. Die Kleinfabrikanten von Chantilly, Sceaux, Saint-Cloud und Villeroi müssen von jeder Möglichkeit ausgeschlossen werden, in die Intimitäten unserer Werkstätten zu dringen.«

Der König lachte so laut und herzlich, wie er nur selten zu lachen pflegte.

»Du sprichst, als wären wir schon am Ziel deiner Wünsche! Als stehe die Fabrik leibhaftig da. Als flögen ihre Produkte bereits in alle Welt hinaus.«

»Ich sehe sie so,« sagte Jeanne lebhaft mit blitzenden Augen.

»Meine Phantasie malt mir das entzückendste Bild. Ich sehe die feinen durchsichtigen Gefäße mit zartbunten Blumen, Vögeln, Schmetterlingen, flatternden Libellen übermalt! Ich sehe herrlich geformte Vasen und Schalen auf den Tafeln von Versailles; ich sehe alle Welt bewundernd davorstehen. Ich sehe künstliche Blüten und Früchte aus den Vasen aufwachsen, die den natürlichen zum verwechseln gleichen. Ich sehe die Tafel, an der Euer Majestät bei mir zu Gast ist, mit den wundervollsten Geräten aus Vincennes bestellt. Ich sehe das gesamte Ausland uns beneiden. Ich sehe Hunderte von Arbeitern glücklich bei ihrer Arbeit, satt durch ihren Verdienst. Ich sehe das Gold in die Staatskassen fließen, ich sehe –.«

Louis umfaßte sie und schloß ihren beredten Mund mit seinen Küssen.

»Ich sehe eine liebenswürdige Phantastin.«

»Deren Phantasien recht behalten werden, Sire!«

Wenige Monate später wurden die Verhandlungen mit Vincennes durch das Ministerium eingeleitet. Es bildete sich eine Gesellschaft, die ein Einlagekapital von 250000 Livres leistete.

100000 Livres fügte der König aus seiner Privatschatulle hinzu.

Die Fabrik führte den Namen »Manufacture royale de porcelaine de France«. Ein jedes gefertigte Stück trug als Fabrikzeichen zwei gekreuzte L und das Datum der Fabrikation.

Sehr bald beschäftigte Vincennes hundert Arbeiter, und Monsieur de Fulvy war im Begriff, mit einer Anzahl geschickter Chemiker eine Masse zu fabrizieren, die, wenn der Versuch glückte, die Fabrikate des Auslandes weit zu überholen versprach.


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